Ein Monat auf dem Land (Roman) und Fernsehabend: Unterschied zwischen den Seiten
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'''Fernsehabend''' (auch ''Fernsehen'')<ref>In ''Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition'', den Textveröffentlichungen, der Sekundärliteratur sowie in der von Loriots Erbengemeinschaft betriebenen Website [https://www.loriot.de/index.php/loriot/werke/sketche loriot.de] heißt der Sketch ''Fernsehabend''. Die Bildtonträger-Sammlungen ''Loriots Vibliothek'' und ''Loriot – Sein großes Sketch-Archiv'' verwenden den Titel ''Fernsehen''.</ref> ist ein [[Zeichentrickfilm|Zeichentrick]]-[[Sketch]] des deutschen Humoristen [[Loriot]]. Er zeigt ein Ehepaar, das am Abend vor seinem kaputten [[Fernsehgerät|Fernseher]] sitzt und sich über das Fernsehprogramm und das eigene Fernsehverhalten unterhält. |
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'''Ein Monat auf dem Land''' ist ein Roman von [[J. L. Carr]], der wegen seiner Kürze auch als [[Novelle]] oder Kurzroman bezeichnet wird.<ref name="Kienbaum">Jochen Kienbaum: [https://lustauflesen.de/carr-monat-auf-dem-land/ Melancholischer Sommer in Yorkshire – »Ein Monat auf dem Land« von J. L. Carr], auf lustauflesen.de/carr-monat-auf-dem-land</ref><ref name="Mahfouz">Laila Mahfouz: [https://www.kultumea.de/2017/09/09/rezension-zu-j-l-carrs-erzaehlung-ein-monat-auf-dem-land-a-month-in-the-country/ Rezension zu J. L. Carrs Erzählung »Ein Monat auf dem Land« / »A Month in the Country«], auf .kultumea.de</ref> Thema ist die psychische Gesundung eines die Schlachten des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs in Nordfrankreich]] überlebenden jungen [[Restaurator]]s, der 1920 den Auftrag erhält, ein mittelalterliches Gemälde in einer Dorfkirche in Nordengland freizulegen. |
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Der Sketch ist Teil der dritten Folge der Sendereihe ''[[Loriot (Fernsehserie)|Loriot]]'', die im Mai 1977 im [[Deutsches Fernsehen|Deutschen Fernsehen]] ausgestrahlt wurde. Darin ist er der letzte der drei unter dem Titel ''Szenen einer Ehe'' zusammengefassten Trickfilmsketche. Anders als die beiden anderen konzentriert sich ''Fernsehabend'' nicht auf das problematische Verhältnis der Ehepartner, sondern stellt deren Abhängigkeit vom Fernsehen in den Mittelpunkt. Gedruckt erschien der Sketch erstmals 1981. |
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Der Roman, Carrs 1978 geschriebenes und 1980 unter dem Titel ''A Month in the Country'' erschienenes „Meisterstück“, kam 1980 auf die Shortlist für den [[Booker Prize]], den wichtigsten britischen Literaturpreis, gewann den Guardian Fiction Prize, wurde für das Radio adaptiert und 1987 mit [[Colin Firth]] und [[Kenneth Branagh]] verfilmt.<ref>Penelope Fitzgerald: Introduction, in: J. L. Carr: A month in the country, Penguin Modern Classics, S. VIII.</ref> Auf Deutsch erschien der Roman erstmals 2016 bei [[DuMont Buchverlag|DuMont]]. |
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== Handlung == |
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Ein Ehepaar sitzt auf dem Sofa und blickt auf den Bildschirm seines kaputten Fernsehers. Auf die Frage der Frau, warum denn der Fernseher ausgerechnet heute kaputtgegangen sei, verweist der Mann darauf, dass das Gerät [[Geplante Obsoleszenz|extra so gebaut worden sei]], schnell kaputtzugehen. Die beiden versichern sich nun gegenseitig, dass sie nicht gern fernsehen. Nach einer kurzen Pause wirft die Frau ihrem Mann vor, er blicke auf den Fernseher. Als er ihr dasselbe vorwirft, betont sie, dass sie absichtlich vorbeiblicke und er das auch wissen würde, wenn er sich nur für sie interessieren würde. Als die Frau vorschlägt, mal zur Seite oder nach hinten zu schauen, lehnt der Mann das ab, weil er sich von einem kaputten Fernseher nicht seine Blickrichtung vorschreiben lasse. Danach beschwert er sich allgemein über das Fernsehprogramm und fragt sich, warum man überhaupt noch Fernsehen schaue. Die Frau schlägt dann vor, früher ins Bett zu gehen. Der Mann möchte aber wie sonst auch nach den Spätnachrichten der [[Tagesschau (ARD)|Tagesschau]] ins Bett gehen. Als die Frau antwortet, der Fernseher sei doch kaputt, erhebt sich der Mann wütend vom Sofa und schreit, er lasse sich von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann er ins Bett zu gehen habe. |
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1920 erhält Tom Birkin, ein junger Restaurator Mitte zwanzig,<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 130 f.</ref> den mäßig bezahlten Auftrag, in einer kleinen mittelalterlichen Landkirche des fiktiven Dörfchens Oxgodby in [[North Riding of Yorkshire|North Riding]], Yorkshire, ein altes Wandgemälde von seinen Übermalungen zu befreien. Vor seiner Einberufung zum Militär hatte Birkin auf dem ''London College of Art'' hierfür ein Diplom erworben<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 129, 136.</ref> und kämpfte im Ersten Weltkrieg auf den Schlachtfeldern in Nordfrankreich, einem „Ort des Grauens“, einem „Fleischwolf“.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 37, 41.</ref> Birkin kommt körperlich unversehrt, aber mit „zerbombten Nerven“, stotternd und mit einem Gesichtszucken aus dem Krieg zurück.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 15, 18 f., 44.</ref> Er quartiert sich der schlichten Bezahlung wegen oben im Kirchturm neben dem Gemälde ein, das nach einer testamentarischen Verfügung von Übermalungen befreit werden soll. |
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[[Datei:Büdingen_Marienkirche_Jüngstes_Gericht_01.jpg|mini|''Das Jüngste Gericht,'' Wandmalerei in der [[Marienkirche (Büdingen)|Marienkirche in Büdingen]], vermutlich Ende des 15. Jh., übertüncht während der Reformation 1601 wegen des Bilderverbots]] |
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Das Wandbild entpuppt sich als eine außergewöhnliche Darstellung des [[Jüngstes Gericht|Jüngsten Gerichts]]. In der Zwiesprache mit diesem ihn immer wieder überraschenden Gemälde und seinem vor Jahrhunderten gestorbenen Schöpfer, in Gesprächen mit den allmählich den Kontakt suchenden Dorfbewohnern und befördert durch einen traumhaft schönen August verlieren sich Birkins äußere Zeichen seines Kriegstraumas. In den Gesprächen mit einem etwas älteren Kriegskameraden und Archäologen-Helfer, der mit einem ähnlichen Legat einer wohlhabenden Verstorbenen beauftragt ist, das Grab eines Familienangehörigen außerhalb des Friedhofs zu finden, und bei den regelmäßig werdenden Mittagessen mit der Familie des Bahnwärters gewinnt er seine Ruhe zurück. |
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== Produktion und Veröffentlichung == |
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Der Glaube spielt eine große Rolle in der Geschichte, der Glaube an sich selbst und der an eine göttliche Gerechtigkeit, die das Wandbild beschwört und sich in der latenten Spannung zwischen der methodistischen Familie des Bahnwärters und dem Vikar der anglikanischen Kirche zeigt: „Religion durchdringt die Geschichte. […] Der subtile soziale Unterschied der Glaubensgemeinschaften in England [...] belebt das Dorf Oxgodby. Glocken läuten und Orgeln klingen auf allen Seiten“, obgleich Birkin ein ungläubiger Humanist sei.<ref>„Religion hovers around the novel. [...] The subtle social distinctions of worship in England [...] animate life in Oxgodby. Bells ring and organs bellow across the pages. But Birkin is a non-believer, and the story that delicately unfurls is a deeply humanistic one.“ Ingrid Norton, [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/]</ref> |
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[[Datei:Loriot 1971 (1).jpg|mini|hochkant|Loriot 1971 während einer Autogramm­stunde]] |
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Der Sketch entstand im Trickfilmstudio Loriots, das er Anfang der 1970er Jahre in [[Percha (Starnberg)|Percha]] am [[Starnberger See]] unweit seines Wohnorts [[Ammerland (Münsing)|Ammerland]] gegründet hatte und in dem er bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigte.<ref>Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 45.</ref> Wie bei fast allen seiner Trickfilme übernahm Loriot die beiden Sprechrollen selbst.<ref>Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 226.</ref> |
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''Fernsehabend'' wurde erstmals in der dritten Folge der Sendereihe ''Loriot'' gezeigt, die am 16. Mai 1977 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin ist der Sketch neben ''[[Das Frühstücksei]]'' und ''[[Feierabend (Loriot)|Feierabend]]'' einer der ''Szenen einer Ehe''. Diese drei Trickfilme zeigen Situationen aus dem Ehealltag. Die ähnliche Kleidung und Frisuren legen nahe, dass es sich in allen drei Sketchen um dasselbe Paar handelt. Im ''Frühstücksei'' heißt die Frau Berta, in ''Feierabend'' heißt der Mann Hermann.<ref>Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 275. Uwe Ehlert: ''„Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“.'' 2004, S. 215.</ref> Die einzelnen Szenen reihen sich zeitlich aneinander. Nach dem Frühstück sieht sich das Paar erst zum [[Feierabend]] des Mannes wieder. Nachdem die Frau ihre Hausarbeit beendet hat, sitzen beide vor dem Fernseher.<ref>Zhu Yanfei: ''Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot.'' 2017, S. 106.</ref> |
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„Es liegt an Oxgodby, dieser Ort hat mich verändert.“<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 133; 115.</ref> Er hilft bei der Ernte, nimmt teil an Picknicks und Ausflügen, fungiert als Kricketschiedsrichter und als Lehrer der Sonntagsschule. Und er verliebt sich in die neunzehnjährige Frau des Vikars, deren körperliche Annäherung er aber nicht erwidert. So endet dieser August 1920 für Tom Birkin mit einer Rückkehr ins Leben und dem Verzicht auf eine ihn vielleicht noch überfordernde Liebe – doch als er die Endgültigkeit begreift, jene zärtliche Regung nicht erwidert zu haben, erlebt er den schlimmsten Augenblick seines Lebens.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 154.</ref> |
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1997 ordnete Loriot sein Fernsehwerk neu und machte aus den sechs ursprünglichen ''Loriot''-Folgen mit einer Länge von 45 Minuten vierzehn Folgen mit einer Länge von 25 Minuten. ''Fernsehabend'' ist Teil der zwölften Folge ''Der einsame König, andere kulturelle Intimbereiche und eine Skatrunde'', die 8. Juli 1997 im [[Das Erste|Ersten]] ausgestrahlt wurde. Damit wurde der Sketch von den anderen beiden ''Szenen einer Ehe'' getrennt, die in der ersten Folge der Neuschnittfassung enthalten sind.<ref>Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 414, 416.</ref> |
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== Form == |
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Die nicht nummerierten, aber thematisch geordneten Abschnitte, die nur einmal die sonst fortschreitende Chronologie durchbrechen,<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 51.</ref> unterstützen den Eindruck eines langen Monologs über eine kurze und doch prägende Phase im Leben des Ich-Erzählers. Er beschreibt diese vier Wochen als Rückblick in eine ferne Vergangenheit, wie ein flüchtiges Geschenk, das ihm helfen, das er aber nicht festhalten konnte: „Der Sommer vergeht und die Vollendung seines Auftrags gibt der Geschichte eine natürliche Struktur.“<ref>„The summer’s passing and Birkin’s completion of his job gives the story a natural momentum (...).“ Ingrid Norton [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/]</ref> |
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Der Text erschien 1981 in dem Sammelband ''Loriots dramatische Werke''. Darin ist er dem Kapitel ''Szenen einer Ehe'' zugeordnet, das neben den drei Trickfilmen auch die Texte einiger Realfilmsketche Loriots mit Ehepaaren enthält. Seitdem wurde der Text in einigen weiteren Sammelbänden von Loriot veröffentlicht. |
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Der Roman ist in einem oft ironischen [[Parlando (Sprachwissenschaft)|Parlando]] geschrieben, das sich an seine Leser wendet und Formulierungen und Wertungen ausprobiert, korrigiert und verwirft, wodurch der Charakter eines Gesprächs verstärkt wird: „Die Geschichte ist ohne starke Wendungen, aber sie mäandert.“<ref>„''A month in the country'' doesn‘t twist or turns. It meanders.“ Ingrid Norton [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/]</ref> |
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== Analyse und Einordnung == |
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Die ersten beiden Szenen einer Ehe ''Das Frühstücksei'' und ''Feierabend'' sind von großen Konflikten zwischen den beiden Ehepartnern geprägt. Dabei tritt in erster Linie die Frau als Aggressor auf. In ''Fernsehabend'' klagt sie nun darüber, dass ihr Mann sich nicht für sie interessiere, und offenbart damit den Grund für ihr aggressives Verhalten in den zwei Szenen zuvor, wie die chinesische [[Germanist]]in Yanfei Zhu feststellt. Davon abgesehen verläuft das Gespräch zwischen den Ehepartnern diesmal deutlich weniger konfliktreich. Vor allem das Verhalten der Frau sei anders, da sie diesmal die Aussagen ihres Mannes weder überhöre noch verdrehe.<ref>Zhu Yanfei: ''Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot.'' 2017, S. 109.</ref> Die Situation der Ehepartner erscheine dadurch weitaus weniger bitter und ausweglos als in den beiden anderen Szenen.<ref name="Neumann277">Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 277.</ref> |
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Carr schreibt in seinem Vorwort, dass ihm zunächst „eine nette, unterhaltsame Geschichte vorschwebte, ein ländliches Idyll“, das er mit einer leisen Trauer im Rückblick von fünfzig Jahren erzählen wollte.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 7 f.</ref> Aber an dieser Schwelle seiner Rückkehr in die Zivilisation formuliert der über den Tag hinausdenkende Erzähler eine Reihe grundsätzlicher Einsichten. Im ersten der von Carr dem Text vorangestellten Epitaphe aus ''Dr. Johnson´s Dictionary'' heißt es daher einschränkend: „Eine ''Novelle'' – eine kleine Erzählung, zumeist über die Liebe.“ |
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Statt der Konflikte innerhalb der Beziehung der Ehepartner steht beim ''Fernsehabend'' vor allem ihr Fernsehverhalten im Mittelpunkt. Die Ehepartner haben den Ablauf des Abends ganz auf den Fernseher ausgerichtet. Selbst als dieser kaputt ist, sind sie nicht in der Lage, sich von ihm abzuwenden und sich anders zu beschäftigen. Ihre gesamte Kommunikation dreht sich weiterhin nur um den Fernseher. Vor allem der Mann scheint vom Fernsehen vollkommen abhängig zu sein, während seine Frau zwar enttäuscht ist, aber sonst pragmatisch mit der Situation umgeht. Besonders absurd erscheint es dabei, dass der Mann darauf besteht, sich von dem Fernseher nichts vorschreiben lassen zu wollen, obwohl seine Aussagen das Gegenteil beweisen. So richtet er seine Zubettgehzeit selbst bei einem kaputten Fernseher noch am Fernsehprogramm aus. Uwe Ehlert, der zu Kommunikationsstörungen in Loriots Werk promovierte, weist darauf hin, dass dieses Verhalten auch im realen Leben anzutreffen sei. So versuchten viele, den Umfang ihres eigenen Fernsehkonsums gegenüber anderen zu verschleiern.<ref>Uwe Ehlert: ''„Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“.'' 2004, S. 242–244.</ref> Für Felix Christian Reuter, der seine Dissertation über Loriots Fernsehsketche verfasste, entspricht der Mann damit außerdem dem Stereotyp eines [[Kleinbürger]]s, der alles versuche, um nicht als Kleinbürger zu erscheinen.<ref>Felix Christian Reuter: ''Chaos, Komik, Kooperation.'' 2016, S. 179.</ref> |
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Dieser eine Monat in Oxgodby führt den Erzähler aus dem Weltkriegschaos zurück in ein bürgerliches Leben und ein zentrales Element dieser Traumabearbeitung ist die erfolgreiche Bewältigung seines Auftrages: „Der Roman ist, unter Anderem, ein Lob der Professionalität.“<ref>„The novel is, among other things, a hymn to professionalism.“ Ingrid Norton [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/]</ref> Den Bildinhalt, eine Darstellung des Jüngsten Gerichts, bezieht er auf mehreren Ebenen auf seine Kriegserlebnisse: „Je näher er dem Meisterwerk hinter der Kirchendecke kommt, desto näher kommt er auch sich selbst.“<ref>Laila Mahfouz: Rezension zu J. L. Carrs Erzählung »Ein Monat auf dem Land« / »A Month in the Country«, auf .kultumea.de</ref> Für Birkin – und das Gemälde – ist Gerechtigkeit ein Hauptthema: Die in die Hölle stürzenden Körper der Verdammten – das sind auch seine Kameraden auf den Schlachtfeldern des Krieges. Die Prognose der Apokalypse – die sollte nach ihm über all jene hereinbrechen, die diesen Krieg angezettelt hätten.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 43, 105, 111 f.</ref> Sowohl die Darstellung der Verdammnis im Jüngsten Gericht wie auch der Ausgrabungsgehilfe Charles Moon, ein weiterer „Überlebender“ des Weltkriegs,<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 32 ff., 37.</ref> bestätigen die Wahrheit des erlebten Grauens – wenn auch Birkin anfangs an der Zivilisation verzweifelt, so doch nie an seinem Verstand. Wie das Gemälde in kleinen Schritten an der Wand wieder erscheint, so festigt sich auch Birkins psychische Statur: Im ersten Satz verlässt er den Zug in Oxgodby die Stufen noch „hinabstolpernd“, im letzten Satz der Erzählung macht er sich „quer über die Wiese auf den Weg“ zurück nach London.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 9 und 158.</ref> |
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''Fernsehabend'' zeigt ein ähnliches Motiv wie der Realfilmsketch ''Das Medium der Verinnerlichung'' aus der ersten Folge der Sendereihe ''Loriot'' und kann als dessen trickfilmische Fortsetzung gelten. In diesem Sketch sitzt das Ehepaar vollkommen teilnahmslos auf dem Sofa und reagiert erst nach dem „Anschalten“ einer Fernsehattrappe.<ref>Stefan Neumann: ''Loriot und die Hochkomik.'' 2011, S. 257–258, 276. Felix Christian Reuter: ''Chaos, Komik, Kooperation.'' 2016, S. 178.</ref> Beide Sketche zeigen Loriots ambivalentes Verhältnis gegenüber dem Fernsehen. Auf der einen Seite war er von den Möglichkeiten des Mediums angetan und bediente sich ihrer für sein eigenes Werk, auf der anderen Seite war er sich auch der Risiken bewusst, die vom Fernsehen ausgingen.<ref name="Neumann277" /> Wie in ''Fernsehabend'' bezog er in seine Fernsehkritik oft auch die Zuschauer ein, die das Programm durch ihr Nutzungsverhalten beeinflussten.<ref>{{Literatur |Autor=Claudia Hillebrandt |Titel=Zwischen Spielfreude und Medienkritik – Loriots Fernseh-Sketche über das Fernsehen |Hrsg=Anna Bers, Claudia Hillebrandt |Sammelwerk=Loriot und die Bundesrepublik |Verlag=De Gruyter |Ort=Berlin/Boston |Datum=2023 |ISBN=978-3-11-100409-9 |DOI=10.1515/9783111004099-013 |Seiten=149–162 |Fundstelle=hier: 160–161}}</ref> |
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Der Ich-Erzähler registriert aufmerksam auch die dunklen Seiten des Dorfalltags, die den Frieden weniger friedlich erscheinen lassen und nachträglicher Idealisierung entziehen: „Es ist die große Kunst Carrs deutlich zu machen, dass Glück nicht von Schmerz und Vergessen zu trennen ist, die es erst möglich machen.“<ref>„Carr´s great art is to make it clear that joy is inseparable from the pain and oblivion which make it.“ Ingrid Norton [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/]</ref> So wird Birkin unfreiwillig Zeuge eines Albtraums der auch seelischen Leere im Haus des Vikars<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 68 ff.</ref> und wird über eine Jugend unter einem gewalttätigen Vater ins Vertrauen gezogen. Er erinnert sich auch an den Zustand seiner noch nicht geschiedenen Ehe, einer anderen Art von „Hölle“ vor der Einberufung in den Krieg. Im Realismus dieser Grautöne flutete das Leben zu Birkin zurück, ohne ihn zu überrollen und lässt ihn in der Zivilisation wieder Fuß fassen.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 112.</ref> |
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== Bildtonträger == |
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Anfangs sieht sich der Londoner Birkin als „Marsmensch“ in Oxgodby, im „Feindesland“ des nördlichen England, dann aber erwacht er nach und nach zu einem Neubeginn in „diesem herrlichen Sommer“ des Jahres 1920.<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 9, 25, 33; 27, 73.</ref> Von der Situation fasziniert wirft Birkin die Frage auf, ob diese Momente festzuhalten gewesen wären: „Hätte ich dieses Glück bewahren können, wäre ich dortgeblieben? Nein vermutlich nicht.“<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 122.</ref> |
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* ''Loriots Vibliothek. Band 1: Herren im Bad oder der Mann als solcher.'' Warner Home Video, Hamburg 1984, VHS Nr. 1. |
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* ''Loriot – Sein großes Sketch-Archiv.'' Warner Home Video, Hamburg 2001, DVD Nr. 4 (als Teil von ''Loriot 12''). |
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* ''Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition.'' Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 3 (als Teil von ''Loriot III''). |
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* ''Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition.'' Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 5 (Lesung von Loriot und Evelyn Hamann). |
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== Textveröffentlichungen (Auswahl) == |
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Seine Abreise begründet der Erzähler zunächst mit jugendlichem Optimismus, dass „erneut etwas Wunderbares hinter der nächsten Biegung auf einen wartet“ – was der Erfahrung nach dann doch nicht eintrete. „Das dargestellte Glück […] ist klug und vorsichtig, seiner Zeitlichkeit bewusst. […] Birkin weiß sehr gut, dass das Leben nicht immer Leichtigkeit und Freundschaft ist, sondern dass es auch lange Sommertage mit einer Ernüchterung gibt, die hinter der nächsten Ecke wartet.“<ref>„The happiness depicted […] is wise and wary, aware of it‘s temporality. […] Birkin knows very well life is not all ease and intimicy, long summer days with ´winter always loitering around the corner‘.“ Ingrid Norton, [https://web.archive.org/web/20100216145231/http://www.openlettersmonthly.com/carr-month-in-the-country/] </ref> |
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* {{Literatur |
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|Titel=Loriots dramatische Werke |
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|Verlag=Diogenes |
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|Ort=Zürich |
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|Datum=1981 |
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|ISBN=3-257-01004-4 |
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|Seiten=124–126}} |
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* {{Literatur |
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|Titel=Das Frühstücksei |
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|Verlag=Diogenes |
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|Ort=Zürich |
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|Datum=2003 |
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|ISBN=3-257-02081-3 |
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|Seiten=77–79}} |
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* {{Literatur |
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|Titel=Gesammelte Prosa |
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|Verlag=Diogenes |
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|Ort=Zürich |
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|Datum=2006 |
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|ISBN=978-3-257-06481-0 |
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|Seiten=172–174}} |
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== Literatur == |
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Im Rückblick räumt er ein, dass die für seine Heilung so günstigen Umstände sich gewiss mit der Zeit verändert hätten und Glück nicht in einer ''time capsule'' festzuhalten ist – das gelinge nur in einem verschlossenen Raum der Erinnerung, „von der Vergangenheit möbliert, luftdicht, reglos, gleich längst vertrockneter Tinte in einem vor langer Zeit niedergelegten Federhalter.“ Glück sei flüchtig, „wir müssen das Glück beim Schopf packen.“<ref>J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land, Du Mont 2017, S. 122, 141, 158. Auch das Unglück lässt sich nur in der Fiktion einer mythologischen Falle der Veränderung entziehen: Trotz aller Workouts nimmt [[Sisyphos|Sisyphus]] nie an Kräften zu und sein rollender Stein trotz aller Stöße nie an Gewicht ab.</ref> „Schon mit dem Vorwort wird die Perspektive der Zeit, der Vergänglichkeit, etabliert. Birkin blickt verwundert zurück auf die letzten Jahre eines Zeitalters von Laternenlicht und Pferdewagen.“<ref>„Early in the book the perspective of time is established. Birkin is looking back, with wonder, at the very last years of a lamplit, horse-drawn age.“ Penelope Fitzgerald: Introduction, in: J. L. Carr: A month in the country, Penguin Modern Classics, S. XIII.</ref> |
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* {{Literatur |
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|Autor=[[Klaus-Michael Bogdal]] |
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|Titel=Weiche Eier und kaputte Fernseher. Loriots Einakter |
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|Sammelwerk=[[Praxis Deutsch]] |
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|Nummer=125 |
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|Datum=1994 |
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|Seiten=44–47}} |
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* {{Literatur |
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|Autor=Uwe Ehlert |
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|Titel=„Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. Die Darstellung von Mißverständnissen im Werk Loriots |
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|Verlag=ALDA! Der Verlag |
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|Ort=Nottuln |
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|Datum=2004 |
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|ISBN=3-937979-00-X |
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|Seiten=236–244 |
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|Kommentar=zugleich Dissertation an der Universität Münster 2003}} |
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* {{Literatur |
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|Autor=Stefan Neumann |
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|Titel=Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows |
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|Verlag=Wissenschaftlicher Verlag Trier |
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|Ort=Trier |
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|Datum=2011 |
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|ISBN=978-3-86821-298-3}} |
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* {{Literatur |
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|Autor=Felix Christian Reuter |
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|Titel=Chaos, Komik, Kooperation. Loriots Fernsehsketche |
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|Reihe=FILM – MEDIUM – DISKURS |
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|BandReihe=70 |
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|HrsgReihe=[[Oliver Jahraus]], [[Stefan Neuhaus]] |
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|Verlag=Königshausen & Neumann |
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|Ort=Würzburg |
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|Datum=2016 |
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|ISBN=978-3-8260-5898-1 |
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|Kommentar=zugleich Dissertation an der Universität Trier 2015}} |
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* {{Literatur |
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|Autor=Zhu Yanfei |
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|Hrsg=Wei Maoping |
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|Titel=Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. Kommunikativ-situative Frauengestaltung vom Frühstück bis zum Fernsehabend |
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|Sammelwerk=Die Flucht vor der Vernunft und die Suche nach ihr. Beiträge chinesischer Germanisten zur internationalen Germanistik |
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|Reihe=Jahrbuch für Internationale Germanistik – Reihe A |
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|BandReihe=130 |
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|Verlag=Peter Lang |
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|Ort=Bern/Brüssel/Frankfurt am Main/New York/Oxford/Warschau/Wien |
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|Datum=2017 |
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|ISBN=978-3-0343-2843-2 |
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|Seiten=97–113 |
|||
|DOI=10.3726/b10962}} |
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== Weblinks == |
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* {{YouTube |id=h4tNZXGmMiw |titel=''Fernsehabend'' |abruf=2021-10-14 |kommentar=Tonaufnahme der Veröffentlichung der [[Deutsche Grammophon|Deutschen Grammophon]] – Gesprochen von Evelyn Hamann und Loriot}} |
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Jochen Kienbaum lobt Carr, dass er, in seiner eleganten und leichtfüßigen Art zu erzählend, die Geschichte zu keiner Zeit überfrachte. Seine große Kunst bestehe darin, in altmodisch anmutenden Miniaturen das Seelenleben seiner Figuren mit der Natur des warmen Sommers verschmelzen zu lassen: „Man spürt förmlich den lauen Wind, riecht den Duft von Heu und Blumen, erahnt das Flirren der Luft.“<ref name="Kienbaum" /> |
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== Einzelnachweise == |
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Joana Kruse notiert für den Deutschlandfunk, dass Carr „von einer Zeit erzählt, als alles noch möglich scheint und niemand ein Empfinden dafür hat, dass es vieles bald nicht mehr geben wird.“ Seine berührende und kluge Sommergeschichte erinnere sie auch an Rilkes Herbstgedicht („Der Sommer war sehr groß“) in ihrer „Erinnerung und Unschuld, aber auch um den Schrecken des Krieges, denn der verlässt die Überlebenden der Schützengräben nicht mehr.“<ref>[https://www.deutschlandfunkkultur.de/j-l-carr-ein-monat-auf-dem-land-geschichte-eines-100.html J.L. Carr: „Ein Monat auf dem Land“ {{!}} Geschichte eines glücklichen Sommers], auf deutschlandfunkkultur.de</ref> |
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<references responsive /> |
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[[Kategorie:Sketch von Loriot]] |
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Petra Lohrmann sieht die Qualität des Romans in der Bildlichkeit seiner Beschreibungen und den individuellen Charakterzeichnungen aller Personen: „Der ruhige Fluss der Erzählung wird nicht eintönig, weil Carr – wie der Maler des meisterlichen Gemäldes – keine vorgestanzten Figuren darstellt, sondern lebendige Menschen. Eleganz und Leichtigkeit, vor allem aber Warmherzigkeit zeichnen seinen Stil aus.“<ref>[https://www.gute-literatur-meine-empfehlung.de/autoren-a-f/carr-joseph-lloyd/j-l-carr-ein-monat-auf-dem-land/ J.L. Carr - Ein Monat auf dem Land], auf gute-literatur-meine-empfehlung.de</ref> |
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[[Kategorie:Zeichentrickfilm]] |
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[[Kategorie:Loriot (Fernsehserie)]] |
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Laila Mahfouz ist beeindruckt von den Farben, Gerüchen und Geräuschen, mit denen Carr das Leben im Dorf zu beschreiben versteht. Es sei das warme Licht der Erinnerung, das ihm geholfen habe, sein Leben zu meistern: „inmitten der Natur zu sein, in einer Gemeinschaft warm aufgenommen zu werden und Befriedigung im Wert der eigenen Arbeit zu finden“, so könne die Seele zur Ruhe kommen und sogar die größten Schrecken überstehen.<ref name="Mahfouz" /> |
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[[Kategorie:Radio Bremen (Fernsehen)]] |
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== Ausgaben == |
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* J. L. Carr: ''A Month in the Country. With an introduction by Penelope Fitzgerald,'' Penguin Random House: Penguin Classics 2000, ISBN 978-0-14-118230-8 |
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* J. L. Carr: ''Ein Monat auf dem Land.'' Aus dem Englischen von Monika Köpfer, Du Mont, Köln 2016, ISBN 978-3-8321-9835-0 |
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Version vom 19. Dezember 2024, 18:59 Uhr
Fernsehabend (auch Fernsehen)[1] ist ein Zeichentrick-Sketch des deutschen Humoristen Loriot. Er zeigt ein Ehepaar, das am Abend vor seinem kaputten Fernseher sitzt und sich über das Fernsehprogramm und das eigene Fernsehverhalten unterhält.
Der Sketch ist Teil der dritten Folge der Sendereihe Loriot, die im Mai 1977 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin ist er der letzte der drei unter dem Titel Szenen einer Ehe zusammengefassten Trickfilmsketche. Anders als die beiden anderen konzentriert sich Fernsehabend nicht auf das problematische Verhältnis der Ehepartner, sondern stellt deren Abhängigkeit vom Fernsehen in den Mittelpunkt. Gedruckt erschien der Sketch erstmals 1981.
Handlung
Ein Ehepaar sitzt auf dem Sofa und blickt auf den Bildschirm seines kaputten Fernsehers. Auf die Frage der Frau, warum denn der Fernseher ausgerechnet heute kaputtgegangen sei, verweist der Mann darauf, dass das Gerät extra so gebaut worden sei, schnell kaputtzugehen. Die beiden versichern sich nun gegenseitig, dass sie nicht gern fernsehen. Nach einer kurzen Pause wirft die Frau ihrem Mann vor, er blicke auf den Fernseher. Als er ihr dasselbe vorwirft, betont sie, dass sie absichtlich vorbeiblicke und er das auch wissen würde, wenn er sich nur für sie interessieren würde. Als die Frau vorschlägt, mal zur Seite oder nach hinten zu schauen, lehnt der Mann das ab, weil er sich von einem kaputten Fernseher nicht seine Blickrichtung vorschreiben lasse. Danach beschwert er sich allgemein über das Fernsehprogramm und fragt sich, warum man überhaupt noch Fernsehen schaue. Die Frau schlägt dann vor, früher ins Bett zu gehen. Der Mann möchte aber wie sonst auch nach den Spätnachrichten der Tagesschau ins Bett gehen. Als die Frau antwortet, der Fernseher sei doch kaputt, erhebt sich der Mann wütend vom Sofa und schreit, er lasse sich von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann er ins Bett zu gehen habe.
Produktion und Veröffentlichung

Der Sketch entstand im Trickfilmstudio Loriots, das er Anfang der 1970er Jahre in Percha am Starnberger See unweit seines Wohnorts Ammerland gegründet hatte und in dem er bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigte.[2] Wie bei fast allen seiner Trickfilme übernahm Loriot die beiden Sprechrollen selbst.[3]
Fernsehabend wurde erstmals in der dritten Folge der Sendereihe Loriot gezeigt, die am 16. Mai 1977 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin ist der Sketch neben Das Frühstücksei und Feierabend einer der Szenen einer Ehe. Diese drei Trickfilme zeigen Situationen aus dem Ehealltag. Die ähnliche Kleidung und Frisuren legen nahe, dass es sich in allen drei Sketchen um dasselbe Paar handelt. Im Frühstücksei heißt die Frau Berta, in Feierabend heißt der Mann Hermann.[4] Die einzelnen Szenen reihen sich zeitlich aneinander. Nach dem Frühstück sieht sich das Paar erst zum Feierabend des Mannes wieder. Nachdem die Frau ihre Hausarbeit beendet hat, sitzen beide vor dem Fernseher.[5]
1997 ordnete Loriot sein Fernsehwerk neu und machte aus den sechs ursprünglichen Loriot-Folgen mit einer Länge von 45 Minuten vierzehn Folgen mit einer Länge von 25 Minuten. Fernsehabend ist Teil der zwölften Folge Der einsame König, andere kulturelle Intimbereiche und eine Skatrunde, die 8. Juli 1997 im Ersten ausgestrahlt wurde. Damit wurde der Sketch von den anderen beiden Szenen einer Ehe getrennt, die in der ersten Folge der Neuschnittfassung enthalten sind.[6]
Der Text erschien 1981 in dem Sammelband Loriots dramatische Werke. Darin ist er dem Kapitel Szenen einer Ehe zugeordnet, das neben den drei Trickfilmen auch die Texte einiger Realfilmsketche Loriots mit Ehepaaren enthält. Seitdem wurde der Text in einigen weiteren Sammelbänden von Loriot veröffentlicht.
Analyse und Einordnung
Die ersten beiden Szenen einer Ehe Das Frühstücksei und Feierabend sind von großen Konflikten zwischen den beiden Ehepartnern geprägt. Dabei tritt in erster Linie die Frau als Aggressor auf. In Fernsehabend klagt sie nun darüber, dass ihr Mann sich nicht für sie interessiere, und offenbart damit den Grund für ihr aggressives Verhalten in den zwei Szenen zuvor, wie die chinesische Germanistin Yanfei Zhu feststellt. Davon abgesehen verläuft das Gespräch zwischen den Ehepartnern diesmal deutlich weniger konfliktreich. Vor allem das Verhalten der Frau sei anders, da sie diesmal die Aussagen ihres Mannes weder überhöre noch verdrehe.[7] Die Situation der Ehepartner erscheine dadurch weitaus weniger bitter und ausweglos als in den beiden anderen Szenen.[8]
Statt der Konflikte innerhalb der Beziehung der Ehepartner steht beim Fernsehabend vor allem ihr Fernsehverhalten im Mittelpunkt. Die Ehepartner haben den Ablauf des Abends ganz auf den Fernseher ausgerichtet. Selbst als dieser kaputt ist, sind sie nicht in der Lage, sich von ihm abzuwenden und sich anders zu beschäftigen. Ihre gesamte Kommunikation dreht sich weiterhin nur um den Fernseher. Vor allem der Mann scheint vom Fernsehen vollkommen abhängig zu sein, während seine Frau zwar enttäuscht ist, aber sonst pragmatisch mit der Situation umgeht. Besonders absurd erscheint es dabei, dass der Mann darauf besteht, sich von dem Fernseher nichts vorschreiben lassen zu wollen, obwohl seine Aussagen das Gegenteil beweisen. So richtet er seine Zubettgehzeit selbst bei einem kaputten Fernseher noch am Fernsehprogramm aus. Uwe Ehlert, der zu Kommunikationsstörungen in Loriots Werk promovierte, weist darauf hin, dass dieses Verhalten auch im realen Leben anzutreffen sei. So versuchten viele, den Umfang ihres eigenen Fernsehkonsums gegenüber anderen zu verschleiern.[9] Für Felix Christian Reuter, der seine Dissertation über Loriots Fernsehsketche verfasste, entspricht der Mann damit außerdem dem Stereotyp eines Kleinbürgers, der alles versuche, um nicht als Kleinbürger zu erscheinen.[10]
Fernsehabend zeigt ein ähnliches Motiv wie der Realfilmsketch Das Medium der Verinnerlichung aus der ersten Folge der Sendereihe Loriot und kann als dessen trickfilmische Fortsetzung gelten. In diesem Sketch sitzt das Ehepaar vollkommen teilnahmslos auf dem Sofa und reagiert erst nach dem „Anschalten“ einer Fernsehattrappe.[11] Beide Sketche zeigen Loriots ambivalentes Verhältnis gegenüber dem Fernsehen. Auf der einen Seite war er von den Möglichkeiten des Mediums angetan und bediente sich ihrer für sein eigenes Werk, auf der anderen Seite war er sich auch der Risiken bewusst, die vom Fernsehen ausgingen.[8] Wie in Fernsehabend bezog er in seine Fernsehkritik oft auch die Zuschauer ein, die das Programm durch ihr Nutzungsverhalten beeinflussten.[12]
Bildtonträger
- Loriots Vibliothek. Band 1: Herren im Bad oder der Mann als solcher. Warner Home Video, Hamburg 1984, VHS Nr. 1.
- Loriot – Sein großes Sketch-Archiv. Warner Home Video, Hamburg 2001, DVD Nr. 4 (als Teil von Loriot 12).
- Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition. Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 3 (als Teil von Loriot III).
- Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition. Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 5 (Lesung von Loriot und Evelyn Hamann).
Textveröffentlichungen (Auswahl)
- Loriots dramatische Werke. Diogenes, Zürich 1981, ISBN 3-257-01004-4, S. 124–126.
- Das Frühstücksei. Diogenes, Zürich 2003, ISBN 3-257-02081-3, S. 77–79.
- Gesammelte Prosa. Diogenes, Zürich 2006, ISBN 978-3-257-06481-0, S. 172–174.
Literatur
- Klaus-Michael Bogdal: Weiche Eier und kaputte Fernseher. Loriots Einakter. In: Praxis Deutsch. Nr. 125, 1994, S. 44–47.
- Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. Die Darstellung von Mißverständnissen im Werk Loriots. ALDA! Der Verlag, Nottuln 2004, ISBN 3-937979-00-X, S. 236–244 (zugleich Dissertation an der Universität Münster 2003).
- Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 2011, ISBN 978-3-86821-298-3.
- Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. Loriots Fernsehsketche (= Oliver Jahraus, Stefan Neuhaus [Hrsg.]: FILM – MEDIUM – DISKURS. Band 70). Königshausen & Neumann, Würzburg 2016, ISBN 978-3-8260-5898-1 (zugleich Dissertation an der Universität Trier 2015).
- Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. Kommunikativ-situative Frauengestaltung vom Frühstück bis zum Fernsehabend. In: Wei Maoping (Hrsg.): Die Flucht vor der Vernunft und die Suche nach ihr. Beiträge chinesischer Germanisten zur internationalen Germanistik (= Jahrbuch für Internationale Germanistik – Reihe A. Band 130). Peter Lang, Bern/Brüssel/Frankfurt am Main/New York/Oxford/Warschau/Wien 2017, ISBN 978-3-0343-2843-2, S. 97–113, doi:10.3726/b10962.
Weblinks
- Fernsehabend auf YouTube, abgerufen am 14. Oktober 2021 (Tonaufnahme der Veröffentlichung der Deutschen Grammophon – Gesprochen von Evelyn Hamann und Loriot).
Einzelnachweise
- ↑ In Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition, den Textveröffentlichungen, der Sekundärliteratur sowie in der von Loriots Erbengemeinschaft betriebenen Website loriot.de heißt der Sketch Fernsehabend. Die Bildtonträger-Sammlungen Loriots Vibliothek und Loriot – Sein großes Sketch-Archiv verwenden den Titel Fernsehen.
- ↑ Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 45.
- ↑ Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 226.
- ↑ Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 275. Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. 2004, S. 215.
- ↑ Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. 2017, S. 106.
- ↑ Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 414, 416.
- ↑ Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. 2017, S. 109.
- ↑ a b Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 277.
- ↑ Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. 2004, S. 242–244.
- ↑ Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. 2016, S. 179.
- ↑ Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 257–258, 276. Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. 2016, S. 178.
- ↑ Claudia Hillebrandt: Zwischen Spielfreude und Medienkritik – Loriots Fernseh-Sketche über das Fernsehen. In: Anna Bers, Claudia Hillebrandt (Hrsg.): Loriot und die Bundesrepublik. De Gruyter, Berlin/Boston 2023, ISBN 978-3-11-100409-9, S. 149–162, hier: 160–161, doi:10.1515/9783111004099-013.