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Anastasios Metaxas und Hans Castorps Schneetraum: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Hans Castorps Schneetraum''' ist eine Episode im Kapitel ''Schnee'' des Romans [[Der Zauberberg]] von [[Thomas Mann]].
'''Anastasios Metaxas''' (* [[27. Februar]] [[1862]]; † [[28. Januar]] [[1937]]) war ein griechischer Architekt und Schießsportler.


Hans Castorp, ein junger Mann aus Hamburg und Patient in dem Davoser Lungensanatorium, unternimmt eines Tages einen Skiausflug ins Hochgebirge . Dort gerät er in einen lebensbedrohlichen Schneesturm, verliert die Orientierung und muss das Unwetter im Windschatten eines Heuschobers abwarten. Er schläft ein, nachdem er einige Schlucke Portwein zu sich genommen hat, „die sofort ihre Wirkung zeitigten“ und träumt. Der Traum zerfällt in zwei Teile: Anfangs träumt Hans Castorp in Bildern, danach gerät der Traum zu einem inneren Monolog. Thomas Mann trennt zwischen „Bildertraum“ und „Gedankentraum“.
Metaxas war der Architekt und betreute den Wiederaufbau des [[Panathinaikon-Stadion|Panhellenischen Stadion]] in dem die [[Olympische Sommerspiele 1896|I. Olympischen Sommerspiele]] [[1896]] in [[Athen]] stattfanden. Er nahm selbst an den Spielen im Schießsport teil und belegte in den Wettbewerben mit dem Militärgewehr über 200 und 300 Meter jeweils den vierten Platz.


===Der Bildertraum===
Zehn Jahre später nahm Metaxas an den [[Olympische Zwischenspiele 1906|Olympischen Zwischenspielen 1906]] teil, die erneut in dem von ihm erbauten Stadion stattfanden. Er beteiligte sich an neun Wettbewerben. Im Doppeltrapschießen belegte er dabei den zweiten Platz. Im Mannschaftswettbewerb mit dem freien Gewehr wurde er mit dem griechischen Team Vierter. Ebenfalls vierte Plätze belegte er bei den Spielen [[Olympische Sommerspiele 1908|1908 in London]] und [[Olympische Sommerspiele 1912|1912 in Stockholm]] im Trapschießen.


Er besteht aus einer Folge von vier Szenen. Die erste könnte die Überschrift ´Heimat´ tragen: Hans Castorp sieht Laubbäume in ihrem vollen Blätterschmuck, sacht mit den Wipfeln rauschend. Er atmet ihren Duft und denkt: „Oh Heimatodem, Duft und Fülle des Flachlandes, lang entbehrt.“ Ein Regenschauer geht nieder und es entsteht ein Regenbogen. Der Regenbogen leitet einen Szenenwechsel ein.


´Paradiesische Gefilde´, so ließe sich das folgende Bild überschreiben: Die Landschaft öffnet sich „in wachsender Verklärung“. Ein Meeresgestade tut sich auf, eine wunderschöne Bucht. „Eine Seligkeit von Licht, von tiefer Himmelsreinheit“.
[[Kategorie:Mann|Metaxas, Anastasios]]
[[Kategorie:Grieche|Metaxas, Anastasios]]
[[Kategorie:Architekt|Metaxas, Anastasios]]
[[Kategorie:Geboren 1862|Metaxas, Anastasios]]
[[Kategorie:Gestorben 1937|Metaxas, Ansastasios]]


Bevölkert wird die Szenerie von Jugend beiderlei Geschlechts: „Sonnen- und Meereskinder“ nennt sie Hans Castorp. Es sind wohlgestaltete Jünglinge, die ihre Pferde tummeln, sich im Bogenschießen üben. Und schöne Mädchen, musizierend, im Reigentanz.
{{Personendaten|
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Tief beeindruckt ist Hans Castorp durch die große Freundlichkeit, die höfliche Rücksicht, in der die Sonnenleute miteinander umgehen, ernst und heiter zugleich, in „verständiger Frömmigkeit“.
[[en:Anastasios Metaxas]]

Sein Blick fällt auf eine junge Mutter, die ihr Kind stillt. Die Vorübergehenden grüßen sie „durch das nicht allzu genaue Andeuten einer Kniebeugung, ähnlich dem Kirchenbesucher, der im Vorübergehen vorm Hochaltar sich leichthin erniedrigt.“ Die Figur der jungen stillenden Mutter und die konventionellen Ehrerbietungen lassen den Leser eine Mariendarstellung imaginieren.

Abseits, im Text heißt es: „…gelassen abseits“ steht ein schöner Knabe, dessen volles Haar wie ein Helm seinem Kopfe aufliegt, und der die Arme vor der Brust verschränkt. Er sieht zwischen Hans Castorp und dem Strandbild hin und her. Doch dann blickt der Knabe an ihm vorbei ins Weite. Seine Miene ändert sich, wird immer ernster, versteinert und nimmt eine unergründliche „Todesverschlossenheit“ an. Es ist Hermes, den Thomas Mann wie schon zuvor in „Der Tod in Venedig“ wieder auftreten lässt. Zu den Aufgaben dieser verbindenden Gottheit gehörte auch, die Seelen in die Totenwelt zu geleiten. Hans Castorp kommt angesichts dieser „Todesverschlossenheit“ „der blasse Schrecken“ an, „nicht ohne eine unbestimmte Ahnung ihres Sinnes“. Er wendet sich rückwärts und das dritte Bild tut sich auf.

Hans Castorp steht in vor den Säulen eines antiken Tempels. Er betritt ihn und gewahrt eine steinerne Gruppenplastik, „Mutter und Tochter, wie es schien“. „In Betrachtung des Standbildes wurde Hans Castorps Herz aus dunklen Gründen noch schwerer, angst- und ahnungsvoller“. Die Thomas-Mann-Interpretation sieht in den zwei Frauen Persephone und Demeter. Damit erweist sich das dritte Bild als Hades.

Die ´Paradiesischen Gefilde´ zuvor lösen beim Leser eine religiöse Anmutung aus. Der Tempelbezirk führt in vorreligiöse, in mythische Sphäre.

Durch eine offene Tür blickt Hans Castorp in das Innere der Tempelkammer. Es ist das vierte und letzte Bild. Er wird konfrontiert mit der personifizierten Natur. Thomas Manns eigenwillige Allegorie der Natur tritt paarig auf: Zwei graue, zottelhaarige Weiber, halbnackt, mit „hängenden Hexenbrüsten und fingerlangen Zitzen“ zerfleischen und fressen über flackerndem Feuer ein kleines Kind. Mit Entsetzen wacht Hans Castorp auf, schläft aber gleich wieder ein, und ohne die anfängliche Schlaftiefe zu erreichen träumt er weiter, jetzt „nicht mehr in Bildern, sondern gedankenweise“.

Mit dem Bildertraum greift Thomas Mann einen Mythos auf, den [[Nekyia]]–Mythos. Er beinhaltet den vorübergehenden Aufenthalt eines Sterblichen in der Totenwelt. Gegen Ende seiner Irrfahrt gelangt Odysseus in den Hades. Der vierundzwanzigste Gesang der Odyssee, der dies schildert, ist mit „Nekyia“ überschrieben. Als Synonym für Nekyia gilt die Bezeichnung Höllenfahrt.

Die Bilder ´Heimat´, ´paradiesische Gefilde´, ´Hades´ und ´Natur´ illustrieren einen mythischen Abstieg zum Uranfänglichen. Thomas Mann folgt dabei Schopenhauers Philosophie vom Primat des Willens, nach dem Wille und Natur die Grundlagen von Vorstellung und Geistigkeit sind.

===Der Gedankentraum===

Gleich zu Beginn nennt der Erzähler Hans Castorp einen einfachen jungen Menschen. Auf der letzten Seite ruft er ihm nach: „[…,] denn du warst simpel“. Doch nach seiner Rückkehr vom Hades gelingen Hans Castorp im Halbschlaf tiefgreifende Schlussfolgerungen.

Leben und Tod werden als zusammengehörig erkannt. „Wer aber den Körper, das Leben erkennt, erkennt den Tod.“ Und umgekehrt: „Denn alles Interesse für Tod und Krankheit ist Ausdruck des Interesses am Leben“.

„Mir träumte“, so Hans Castorp „vom Stande des Menschen in seiner höflich-verständigen und ehrerbietigen Gemeinschaft, hinter der im Tempel das grässliche Blutmahl sich abspielte. Waren sie so höflich und reizend zueinander, die Sonnenleute, im stillen Hinblick auf eben dies Grässliche? Das wäre eine feine und recht galante Schlussfolgerung, die sie da zögen“. Was hier so leichthin geäußert wird, ist Thomas Manns Ansicht über die Wurzeln menschlicher Gesittung. „Form und Gesittung verständig-freundlicher Gemeinschaft und schönen Menschenstaats – im stillen Hinblick auf das Blutmahl“ heißt es dann später im Gedankentraum.

Thomas Manns Antinomie von Natur und Geist: Sie wird zurückgenommen, aber eben nur hier. Hans Castorp fragt sich: „Geist und Natur, sind das wohl Widersprüche? Ich frage: Sind das Fragen? Nein, es sind keine Fragen[…].“

Verworfen wird auch die poetische Verbindung von Liebe und Tod (das zentrale Thema der Wagneroper „Tristan und Isolde“, ohne dass diese Liebestragödie hier erwähnt wird). „Tod und Liebe, das ist ein schlechter Reim, ein abgeschmackter, ein falscher Reim!“ Doch in dem Kapitel „Fülle des Wohllauts“, gegen Ende des Romans, stellt Thomas Mann Hans Castorps Lieblingsschallplatten vor. Von dem Schlussduett in „Aida“ - in dem Aida und Radames in Liebe und Tod vereint sind - ist Hans Castorp zutiefst gerührt und weit entfernt, hier einen „schlechten Reim“ zu erkennen.

Die persönlichen Expektorationen im Gedankentraum sind zwar verschlüsselt, bleiben aber trotzdem Mitteilungen. Zum Beispiel Thomas Manns Standortbestimmung als Künstler. „Der Mensch ist der Herr der Gegensätze“, meint Hans Castorp. Der Künstler ist der Herr der Gegensätze! Zu Thomas Manns Kunstauffassung gehörte, dass die Kunst aus der Bipolarität der Wirklichkeit, dem ´Entweder/Oder´ ein ´Sowohl als Auch´ macht. Dass die Kunst widersprüchliche Aussagen gelten lässt und sie durch ästhetische Gestaltung glaubwürdig versöhnt. „Künstlerische Paradoxie“ hat er die Simultanität von gegensätzlichen Affekten oder inhaltlichen Aussagen genannt.

Im Dichter sieht Thomas Mann den "Homo Dei". Sein Stand ist "zwischen Durchgängerei und Vernunft - wie auch sein Staat ist zwischen mystischer Gemeinschaft und windigem Einzeltum". In der Hochschätzung des Dichters als "Homo Dei" folgt Thomas Mann Goethe. Im "Prolog im Himmel" (Faust I) legitimiert "Der Herr" die Dichter als die "echten Göttersöhne". Sie sollen ,"was in schwankender Erscheinung schwebt", befestigen "mit dauernden Gedanken".

Hans Castorp erkennt: „Der Tod ist Freiheit, Durchgängerei, Unform und Lust.“ Freiheit, Durchgängerei, Unform und der Lustgewinn, den das Sich gehen lassen bringt, ist Thomas Manns Definition von ´Schande´. Sie findet sich einige hundert Seiten zuvor in dem Unterkapitel „Herr Albin“. Hans Castorp urteilt: Selbsttötung ist schändlich.

Der Mensch ist „vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen - das ist die Freiheit seines Kopfes. Vornehmer als das Leben, das ist die Frömmigkeit in seinem Herzen.“ Das gibt nur Sinn, wenn man für „Mensch“ ´der Künstler´ setzt und für „Tod“ ´Freitod´. Der Künstler ist „vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen – das ist die Freiheit seines Kopfes“, denn er weiß, dass ihn sein Werk unsterblich macht. Thomas Mann verbannt die Alternative Tod um des Werkes willen, des noch nicht vollendeten Lebenswerkes. - Der Mensch ist „vornehmer als das Leben“ sagt: Ich, Künstler und Sohn eines Lübecker Senators, meinem ganzen Wesen nach auf Repräsentation bedacht, halte Keuschheit („Frömmigkeit“ in meinem Herzen) für „vornehmer“, als das Ausleben meiner homoerotischen Neigungen.

Am Ende des Gedankentraums beschließt Hans Castorp die schon zitierte Vorsatzbildung und fügt hinzu: „Und damit wach´ ich auf, denn damit hab´ ich zu Ende geträumt“. Der Schneesturm hat inzwischen aufgehört. Hans Castorp fährt zurück ins Tal, in sein Sanatorium. Und bereits während der Abendmahlzeit beginnen seine Traumgedanken zu verblassen. „Was er gedacht, verstand er schon diesen Abend nicht mehr so ganz“.





[[Kategorie:Thomas Mann]]

Version vom 17. August 2006, 06:56 Uhr

Hans Castorps Schneetraum ist eine Episode im Kapitel Schnee des Romans Der Zauberberg von Thomas Mann.

Hans Castorp, ein junger Mann aus Hamburg und Patient in dem Davoser Lungensanatorium, unternimmt eines Tages einen Skiausflug ins Hochgebirge . Dort gerät er in einen lebensbedrohlichen Schneesturm, verliert die Orientierung und muss das Unwetter im Windschatten eines Heuschobers abwarten. Er schläft ein, nachdem er einige Schlucke Portwein zu sich genommen hat, „die sofort ihre Wirkung zeitigten“ und träumt. Der Traum zerfällt in zwei Teile: Anfangs träumt Hans Castorp in Bildern, danach gerät der Traum zu einem inneren Monolog. Thomas Mann trennt zwischen „Bildertraum“ und „Gedankentraum“.

Der Bildertraum

Er besteht aus einer Folge von vier Szenen. Die erste könnte die Überschrift ´Heimat´ tragen: Hans Castorp sieht Laubbäume in ihrem vollen Blätterschmuck, sacht mit den Wipfeln rauschend. Er atmet ihren Duft und denkt: „Oh Heimatodem, Duft und Fülle des Flachlandes, lang entbehrt.“ Ein Regenschauer geht nieder und es entsteht ein Regenbogen. Der Regenbogen leitet einen Szenenwechsel ein.

´Paradiesische Gefilde´, so ließe sich das folgende Bild überschreiben: Die Landschaft öffnet sich „in wachsender Verklärung“. Ein Meeresgestade tut sich auf, eine wunderschöne Bucht. „Eine Seligkeit von Licht, von tiefer Himmelsreinheit“.

Bevölkert wird die Szenerie von Jugend beiderlei Geschlechts: „Sonnen- und Meereskinder“ nennt sie Hans Castorp. Es sind wohlgestaltete Jünglinge, die ihre Pferde tummeln, sich im Bogenschießen üben. Und schöne Mädchen, musizierend, im Reigentanz.

Tief beeindruckt ist Hans Castorp durch die große Freundlichkeit, die höfliche Rücksicht, in der die Sonnenleute miteinander umgehen, ernst und heiter zugleich, in „verständiger Frömmigkeit“.

Sein Blick fällt auf eine junge Mutter, die ihr Kind stillt. Die Vorübergehenden grüßen sie „durch das nicht allzu genaue Andeuten einer Kniebeugung, ähnlich dem Kirchenbesucher, der im Vorübergehen vorm Hochaltar sich leichthin erniedrigt.“ Die Figur der jungen stillenden Mutter und die konventionellen Ehrerbietungen lassen den Leser eine Mariendarstellung imaginieren.

Abseits, im Text heißt es: „…gelassen abseits“ steht ein schöner Knabe, dessen volles Haar wie ein Helm seinem Kopfe aufliegt, und der die Arme vor der Brust verschränkt. Er sieht zwischen Hans Castorp und dem Strandbild hin und her. Doch dann blickt der Knabe an ihm vorbei ins Weite. Seine Miene ändert sich, wird immer ernster, versteinert und nimmt eine unergründliche „Todesverschlossenheit“ an. Es ist Hermes, den Thomas Mann wie schon zuvor in „Der Tod in Venedig“ wieder auftreten lässt. Zu den Aufgaben dieser verbindenden Gottheit gehörte auch, die Seelen in die Totenwelt zu geleiten. Hans Castorp kommt angesichts dieser „Todesverschlossenheit“ „der blasse Schrecken“ an, „nicht ohne eine unbestimmte Ahnung ihres Sinnes“. Er wendet sich rückwärts und das dritte Bild tut sich auf.

Hans Castorp steht in vor den Säulen eines antiken Tempels. Er betritt ihn und gewahrt eine steinerne Gruppenplastik, „Mutter und Tochter, wie es schien“. „In Betrachtung des Standbildes wurde Hans Castorps Herz aus dunklen Gründen noch schwerer, angst- und ahnungsvoller“. Die Thomas-Mann-Interpretation sieht in den zwei Frauen Persephone und Demeter. Damit erweist sich das dritte Bild als Hades.

Die ´Paradiesischen Gefilde´ zuvor lösen beim Leser eine religiöse Anmutung aus. Der Tempelbezirk führt in vorreligiöse, in mythische Sphäre.

Durch eine offene Tür blickt Hans Castorp in das Innere der Tempelkammer. Es ist das vierte und letzte Bild. Er wird konfrontiert mit der personifizierten Natur. Thomas Manns eigenwillige Allegorie der Natur tritt paarig auf: Zwei graue, zottelhaarige Weiber, halbnackt, mit „hängenden Hexenbrüsten und fingerlangen Zitzen“ zerfleischen und fressen über flackerndem Feuer ein kleines Kind. Mit Entsetzen wacht Hans Castorp auf, schläft aber gleich wieder ein, und ohne die anfängliche Schlaftiefe zu erreichen träumt er weiter, jetzt „nicht mehr in Bildern, sondern gedankenweise“.

Mit dem Bildertraum greift Thomas Mann einen Mythos auf, den Nekyia–Mythos. Er beinhaltet den vorübergehenden Aufenthalt eines Sterblichen in der Totenwelt. Gegen Ende seiner Irrfahrt gelangt Odysseus in den Hades. Der vierundzwanzigste Gesang der Odyssee, der dies schildert, ist mit „Nekyia“ überschrieben. Als Synonym für Nekyia gilt die Bezeichnung Höllenfahrt.

Die Bilder ´Heimat´, ´paradiesische Gefilde´, ´Hades´ und ´Natur´ illustrieren einen mythischen Abstieg zum Uranfänglichen. Thomas Mann folgt dabei Schopenhauers Philosophie vom Primat des Willens, nach dem Wille und Natur die Grundlagen von Vorstellung und Geistigkeit sind.

Der Gedankentraum

Gleich zu Beginn nennt der Erzähler Hans Castorp einen einfachen jungen Menschen. Auf der letzten Seite ruft er ihm nach: „[…,] denn du warst simpel“. Doch nach seiner Rückkehr vom Hades gelingen Hans Castorp im Halbschlaf tiefgreifende Schlussfolgerungen.

Leben und Tod werden als zusammengehörig erkannt. „Wer aber den Körper, das Leben erkennt, erkennt den Tod.“ Und umgekehrt: „Denn alles Interesse für Tod und Krankheit ist Ausdruck des Interesses am Leben“.

„Mir träumte“, so Hans Castorp „vom Stande des Menschen in seiner höflich-verständigen und ehrerbietigen Gemeinschaft, hinter der im Tempel das grässliche Blutmahl sich abspielte. Waren sie so höflich und reizend zueinander, die Sonnenleute, im stillen Hinblick auf eben dies Grässliche? Das wäre eine feine und recht galante Schlussfolgerung, die sie da zögen“. Was hier so leichthin geäußert wird, ist Thomas Manns Ansicht über die Wurzeln menschlicher Gesittung. „Form und Gesittung verständig-freundlicher Gemeinschaft und schönen Menschenstaats – im stillen Hinblick auf das Blutmahl“ heißt es dann später im Gedankentraum.

Thomas Manns Antinomie von Natur und Geist: Sie wird zurückgenommen, aber eben nur hier. Hans Castorp fragt sich: „Geist und Natur, sind das wohl Widersprüche? Ich frage: Sind das Fragen? Nein, es sind keine Fragen[…].“

Verworfen wird auch die poetische Verbindung von Liebe und Tod (das zentrale Thema der Wagneroper „Tristan und Isolde“, ohne dass diese Liebestragödie hier erwähnt wird). „Tod und Liebe, das ist ein schlechter Reim, ein abgeschmackter, ein falscher Reim!“ Doch in dem Kapitel „Fülle des Wohllauts“, gegen Ende des Romans, stellt Thomas Mann Hans Castorps Lieblingsschallplatten vor. Von dem Schlussduett in „Aida“ - in dem Aida und Radames in Liebe und Tod vereint sind - ist Hans Castorp zutiefst gerührt und weit entfernt, hier einen „schlechten Reim“ zu erkennen.

Die persönlichen Expektorationen im Gedankentraum sind zwar verschlüsselt, bleiben aber trotzdem Mitteilungen. Zum Beispiel Thomas Manns Standortbestimmung als Künstler. „Der Mensch ist der Herr der Gegensätze“, meint Hans Castorp. Der Künstler ist der Herr der Gegensätze! Zu Thomas Manns Kunstauffassung gehörte, dass die Kunst aus der Bipolarität der Wirklichkeit, dem ´Entweder/Oder´ ein ´Sowohl als Auch´ macht. Dass die Kunst widersprüchliche Aussagen gelten lässt und sie durch ästhetische Gestaltung glaubwürdig versöhnt. „Künstlerische Paradoxie“ hat er die Simultanität von gegensätzlichen Affekten oder inhaltlichen Aussagen genannt.

Im Dichter sieht Thomas Mann den "Homo Dei". Sein Stand ist "zwischen Durchgängerei und Vernunft - wie auch sein Staat ist zwischen mystischer Gemeinschaft und windigem Einzeltum". In der Hochschätzung des Dichters als "Homo Dei" folgt Thomas Mann Goethe. Im "Prolog im Himmel" (Faust I) legitimiert "Der Herr" die Dichter als die "echten Göttersöhne". Sie sollen ,"was in schwankender Erscheinung schwebt", befestigen "mit dauernden Gedanken".

Hans Castorp erkennt: „Der Tod ist Freiheit, Durchgängerei, Unform und Lust.“ Freiheit, Durchgängerei, Unform und der Lustgewinn, den das Sich gehen lassen bringt, ist Thomas Manns Definition von ´Schande´. Sie findet sich einige hundert Seiten zuvor in dem Unterkapitel „Herr Albin“. Hans Castorp urteilt: Selbsttötung ist schändlich.

Der Mensch ist „vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen - das ist die Freiheit seines Kopfes. Vornehmer als das Leben, das ist die Frömmigkeit in seinem Herzen.“ Das gibt nur Sinn, wenn man für „Mensch“ ´der Künstler´ setzt und für „Tod“ ´Freitod´. Der Künstler ist „vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen – das ist die Freiheit seines Kopfes“, denn er weiß, dass ihn sein Werk unsterblich macht. Thomas Mann verbannt die Alternative Tod um des Werkes willen, des noch nicht vollendeten Lebenswerkes. - Der Mensch ist „vornehmer als das Leben“ sagt: Ich, Künstler und Sohn eines Lübecker Senators, meinem ganzen Wesen nach auf Repräsentation bedacht, halte Keuschheit („Frömmigkeit“ in meinem Herzen) für „vornehmer“, als das Ausleben meiner homoerotischen Neigungen.

Am Ende des Gedankentraums beschließt Hans Castorp die schon zitierte Vorsatzbildung und fügt hinzu: „Und damit wach´ ich auf, denn damit hab´ ich zu Ende geträumt“. Der Schneesturm hat inzwischen aufgehört. Hans Castorp fährt zurück ins Tal, in sein Sanatorium. Und bereits während der Abendmahlzeit beginnen seine Traumgedanken zu verblassen. „Was er gedacht, verstand er schon diesen Abend nicht mehr so ganz“.