Saser und Hungersnot: Unterschied zwischen den Seiten
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Eine '''Hungersnot''' ist ein Phänomen, bei dem ein großer Prozentsatz der Bevölkerung einer Region oder eines Landes unterernährt ist und Tod durch Verhungern in großem Maße zunimmt. Hunger war in der alten Welt so weit verbreitet, dass er neben Krieg, Pest und Tod einer der [[Die Apokalyptischen Reiter|vier Apokalyptischen Reiter]] war. |
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Trotz der viel größeren technologischen und ökonomischen Möglichkeiten der modernen Welt kommen Hungersnöte noch in vielen Teilen der Welt vor, meistens in den sogn. [[Entwicklungsländer]]n. |
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Ursache von Hungersnöten sind [[Missernte]]n bei gleichzeitig fehlender Vorratshaltung durch natürliche Gründe wie [[Unwetter]], [[Schädling]]e, sonstige [[Naturkatastrophe]]n und künstliche Hungersnöte, hervorgerufen durch [[Krieg]], oder absichtlich mit [[Genozid|genozidaler]] Absicht ausgelöst. |
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Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts werden zunehmend nicht nur die natürlichen und ökonomischen Ursachen der Hungersnöte betrachtet, sondern auch die sozialen und politischen Gründe analysiert. Der Wirtschaftswissenschaftler [[Amartya Sen]] hat festgestellt, dass es in keiner funktionierenden [[Demokratie]] jemals zu einer Hungersnot gekommen ist. |
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Hunger hat eine starke Auswirkung auf die [[Demographie]]. Beispielsweise ist beobachtet worden, dass länger andauernde Hungerperioden zu einer Verringerung der Zahl der weiblichen Kinder führen können. Demographen und [[Historiker]] debattieren die Ursachen dieser Tendenz. Einige glauben, dass Eltern absichtlich männliche Kinder bevorzugen (indem sie weibliche Kinder verkaufen oder nach der Geburt töten, siehe [[Neonatizid]]). Andere glauben, dass biologische Prozesse die Ursache sein können. |
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Wie Amartya Sen beobachtet, ist Hunger normalerweise ein Problem der Nahrungsmittelverteilung und Armut, nicht ein absoluter Mangel an Nahrung. |
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In vielen Fällen wie dem [[Großer Sprung nach vorn|Großen Sprung nach vorn]], [[Nordkorea]] in der Mitte der 90er oder [[Zimbabwe]] seit dem Jahr 2000 kann Hunger als Resultat der Regierungspolitik angesehen werden. Im schlimmsten Fall wird Hunger zum Werkzeug einer repressiven Regierung als Mittel, eine unerwünschte Bevölkerungsgruppe zu beseitigen, wie im [[Holodomor]] in der [[Ukraine]] während der 1930er Jahre. |
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In anderen Fällen wie [[Somalia]] oder [[Sudan]] ist Hunger eine Konsequenz des Bürgerkrieges, da Nahrungsmittelverteilungssysteme unterbrochen werden. |
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Heute werden Stickstoff-Düngemittel, neue Schädlingsbekämpfungsmittel, Neulandgewinnung und andere landwirtschaftliche Technologien als Waffen gegen den Hunger verwendet. Sie erhöhen die Getreideernte um das Zwei-, Drei- oder Vielfache. Entwickelte Nationen teilen diese Technologien mit Entwicklungsländern, die ein Hungerproblem haben. Da jedoch Hunger in der heutigen Zeit normalerweise die Folge von Kriegen oder Verteilungsproblemen ist, ist es fraglich, wieviel Auswirkung neue landwirtschaftliche Technologien auf dieses Problem haben würden. |
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Obwohl eigentlich genügend [[Nahrungsmittel]] für die gesamte Weltbevölkerung vorhanden wären, gibt es auch im [[21. Jahrhundert]] vor allem in [[Afrika]] immer noch katastrophale Hungersnöte. |
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== Ursachen von Hungersnöten am Beispiel Sahelzone == |
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Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass neben den natürlichen Ursachen der ausbleibenden Niederschläge oder Niederschlägen zur falschen Zeit und Erosionsschäden vor allem der Mensch zu Hungersnöten beiträgt: |
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* durch unterlassene Hilferufe |
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* allgemeine Kriegswirren |
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* fehlende Anreize zur Überschussproduktion (zu tiefe staatl. Aufkaufpreise) |
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* Vermarktungsverbote |
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* Anbau von Exportprodukten (Baumwolle, Erdnüsse) anstelle von Grundnahrungsmitteln |
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* Verstaatlichung von Großbetrieben; niedrige Produktivität, unrationelle Arbeitsweise |
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* fehlende Infrastruktur |
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* hoher Bevölkerungsdruck |
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* durch kolonialzeitliche Grenzfestsetzungen in Vielvölkerstaaten |
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* politische Willkürmaßnahmen der Machthaber |
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== Hungersnöte in der Geschichte == |
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=== Europa === |
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====Westeuropa==== |
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In Westeuropa waren Hungersnöte bis ins 19. Jahrhundert verbreitet. |
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* 1315-17 Hungersnot in weiten Teilen Europas |
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* 1618-1648 Hungersnöte als Folge des [[Dreißigjähriger Krieg|Dreißigjährigen Krieges]] |
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* 1816-17 Hungersnot in weiten Teilen Europas, ausgelöst durch den Ausbruch des Vulkans [[Tambora]] in Indonesien |
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* 1845-49 Ausfall der Kartoffelernte durch [[Kartoffelfäule]], Lebensmittelknappheit; [[Große Hungersnot in Irland]] mit 1.500.000 Toten |
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====Russland und UdSSR==== |
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* 1924 Hungersnot in der [[Ukraine]] und Teilen Russlands |
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* 1933 Hungersnot in der Ukraine ([[Holodomor]]), ca. 7 Mio. Tote |
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* 1333-37 große Hungersnot mit 4.000.000 Toten. |
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* 1876-79 große Hungersnot in Nordchina mit 11.000.000 Toten. |
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* 1892-94 große Hungersnot mit 1.000.000 Toten. |
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* 1896-97 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten. |
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* 1920-21 große Hungersnot in Nordchina mit 500.000 Toten. |
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* 1928-29 große Hungersnot mit 10.000.000 Toten. |
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* Die größte Hungersnot in China, und vielleicht der ganzen Weltgeschichte, wurde von 1959-61 durch den [[Großer Sprung nach vorn|Großen Sprung nach vorn]] ausgelöst, einem sozialen Experiment, dem 30 - 43 Mio. Menschen zum Opfer fielen. |
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==== Indien ==== |
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* 1630-1631 gab es eine große Hungersnot in Indien. Aufzeichnungen zeigen, dass Kannibalismus so verbreitet war, dass menschliches Fleisch auf dem freien Markt verkauft wurde. |
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* 1770 erste bengalische Hungersnot mit 6.500.000 Toten. |
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* 1866 Hungersnot in Bengalen und Orissa mit 1.500.000 Toten. |
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* 1876-78 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten. |
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* 1896-1897 und 1899-1902 große Hungersnot; 100 Mio. Betroffene; Schätzungen über Tote variieren stark, bis zu 11 Mio. <!--Angaben aus Mike Davis, Die Geburt der Dritten Welt--> |
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* 1943-44 eine weitere Hungersnot in Bengalen. |
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* 1966 drohende Hungersnot in Bihar. Die USA teilten 900.000 Tonnen Korn zu, um den Hunger zu bekämpfen. |
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==== Andere asiatische Länder ==== |
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* 1876-78 Hungersnot in [[Java (Insel)|Java]] ([[Niederländisch-Ostindien]] bzw. [[Indonesien]]) |
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* Die japanische Besetzung während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] verursachte 1945 in [[Vietnam]] eine Hungersnot, die zwei Millionen Opfer kostete. |
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* Nach der Wiedervereinigung des Landes nach dem [[Vietnamkrieg]] kam es in den achtziger Jahren zu einer kurzen Hungernot, die viele Leute veranlasste, das Land zu verlassen. |
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* neunziger Jahre: Hungersnot in Nordkorea |
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==== Kleinasien ==== |
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* ca. 1200 v. Chr.: Hungersnot in [[Kleinasien]], bezeugt durch Erwähnung von Getreide-Hilflieferungen an das [[Hethiter]]reich in Schriftquellen aus [[Ägypten]] und [[Ugarit]] in [[Syrien]]. |
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=== Afrika === |
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Hunger ist auch im [[Afrika]] der modernen Zeit weit verbreitet. Viele Länder produzieren nicht genug Nahrungsmittel und sind auf Importe angewiesen. Klimaschwankungen, Dürren, Bodenunfruchtbarkeit, Erosion und Heuschreckenschwärme können zu Ernteausfällen führen. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind politische Instabilität, bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege, Korruption und Misswirtschaft, außerdem eine Handelspolitik, die die afrikanische Landwirtschaft schädigt. |
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Schließlich hat AIDS langfristige ökonomische Effekte auf die Landwirtschaft, indem es die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung dezimiert. |
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* 1968-74 Hungersnot in der [[Sahelzone]] |
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* 1973 Hungersnot in [[Äthiopien]] |
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* 1982-85 Hungersnot in Äthiopien |
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* 1990-er Jahre Hungersnot im [[Sudan]] infolge des Bürgerkriegs |
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* 2000 Hungersnot in [[Simbabwe]] |
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* 2005 Hungersnot in [[Niger]] |
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* 2006 drohende Hungersnot in Äthiopien, Somalia und im Norden [[Kenya|Kenyas]] |
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==Große Hungersnöte== |
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*[[Große Hungersnot in Irland]] (1845-1849) |
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*[[Hungersnot in Schweden]] (1867-1869) |
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*[[Hungersnot in der Ukraine]] (1932-1933) |
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*[[Hungersnot in Europa]] während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] (1939-1945) |
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*[[Hungersnot in China]] (1961-1962), verursacht durch den "[[Großer Sprung nach vorn|Großen Sprung nach vorn]]" |
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*[[Hungersnot in Äthiopien]] (1984) |
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*[[Hungersnot in Nordkorea]] (1995) |
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== Ausgewählte nicht von Menschen erzeugte Hungersnöte == |
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(Schätzungen nach ''Encyclopedia Britannica'' 1992) |
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== Künstliche, durch Menschen erzeugte Hungersnöte == |
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(Schätzungen nach ''Lexikon der Völkermorde'' 1998) |
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== Prävention == |
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Hungersnöte können verhindert werden durch folgende Maßnahmen: |
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* Vorratshaltung, sowohl staatlicherseits als auch von privater Seite |
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* Geburtenkontrolle |
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* Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion |
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* Schutz der natürlichen Ressourcen |
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* Beseitigung der Ursachen von Ernteschädlingen |
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* Unterstützung benachteiligter ländlicher Bevölkerungsgruppen (Kleinbauern, Landlose) |
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* Sicherung des Rechts auf Nahrung insbesondere für ärmere Bevölkerungsgruppen |
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==Literatur== |
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* [[Jean Ziegler]]: ''Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn'', Bertelsmann, München 2002, ISBN 3-570300595 |
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*''Gewalt.Macht.Hunger'', Josef Nussbaumer unter Mitarbeit von Guido Rüthemann ( http://www.studienverlag.at/titel.php3?TITNR=1558 ) |
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* Mike Davis: ''Die Geburt der Dritten Welt'', Verlag Assoziation, 2004, ISBN 3-935936117 |
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* [[Gunnar Heinsohn]]: ''Lexikon der Völkermorde'', Rowohlt, Hamburg 1998, ISBN 3-499-22338-4 |
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* [[Amartya Sen]]: ''Poverty and Famines: An Essay on Entitlement and Deprivation'', Oxford University Press; Reprint edition (February 1, 1984) |
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* William Easterly: ''The elusive quest for growth - Economist's adventures and misadventures in the tropics'', The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2001 |
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==Siehe auch== |
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*[[Hunger]], [[Welthunger]] |
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*[[Brot#Brot in Notzeiten]] |
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*[[Große Hungersnot in Irland]] |
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*[http://www.thehungersite.de/ Webseite über Hunger] |
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*[http://www.fian.de/ FIAN -Organisation für das Recht auf Nahrung] |
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[[Kategorie:Hungersnot|!]] |
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[[Kategorie:Armut]] |
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[[cs:Hladomor]] |
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[[da:Hungersnød]] |
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[[en:Famine]] |
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[[es:Hambruna]] |
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[[fi:Nälänhätä]] |
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[[fr:Famine]] |
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[[he:רעב המוני]] |
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[[ja:飢饉]] |
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[[nah:Mayanalo]] |
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[[ro:Foamete]] |
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[[sv:Hungersnöd]] |
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[[uk:Голод]] |
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[[zh:饑荒]] |
Version vom 27. Juni 2006, 08:34 Uhr
Eine Hungersnot ist ein Phänomen, bei dem ein großer Prozentsatz der Bevölkerung einer Region oder eines Landes unterernährt ist und Tod durch Verhungern in großem Maße zunimmt. Hunger war in der alten Welt so weit verbreitet, dass er neben Krieg, Pest und Tod einer der vier Apokalyptischen Reiter war.
Trotz der viel größeren technologischen und ökonomischen Möglichkeiten der modernen Welt kommen Hungersnöte noch in vielen Teilen der Welt vor, meistens in den sogn. Entwicklungsländern.
Ursache von Hungersnöten sind Missernten bei gleichzeitig fehlender Vorratshaltung durch natürliche Gründe wie Unwetter, Schädlinge, sonstige Naturkatastrophen und künstliche Hungersnöte, hervorgerufen durch Krieg, oder absichtlich mit genozidaler Absicht ausgelöst.
Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts werden zunehmend nicht nur die natürlichen und ökonomischen Ursachen der Hungersnöte betrachtet, sondern auch die sozialen und politischen Gründe analysiert. Der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat festgestellt, dass es in keiner funktionierenden Demokratie jemals zu einer Hungersnot gekommen ist.
Hunger hat eine starke Auswirkung auf die Demographie. Beispielsweise ist beobachtet worden, dass länger andauernde Hungerperioden zu einer Verringerung der Zahl der weiblichen Kinder führen können. Demographen und Historiker debattieren die Ursachen dieser Tendenz. Einige glauben, dass Eltern absichtlich männliche Kinder bevorzugen (indem sie weibliche Kinder verkaufen oder nach der Geburt töten, siehe Neonatizid). Andere glauben, dass biologische Prozesse die Ursache sein können.
Wie Amartya Sen beobachtet, ist Hunger normalerweise ein Problem der Nahrungsmittelverteilung und Armut, nicht ein absoluter Mangel an Nahrung. In vielen Fällen wie dem Großen Sprung nach vorn, Nordkorea in der Mitte der 90er oder Zimbabwe seit dem Jahr 2000 kann Hunger als Resultat der Regierungspolitik angesehen werden. Im schlimmsten Fall wird Hunger zum Werkzeug einer repressiven Regierung als Mittel, eine unerwünschte Bevölkerungsgruppe zu beseitigen, wie im Holodomor in der Ukraine während der 1930er Jahre. In anderen Fällen wie Somalia oder Sudan ist Hunger eine Konsequenz des Bürgerkrieges, da Nahrungsmittelverteilungssysteme unterbrochen werden.
Heute werden Stickstoff-Düngemittel, neue Schädlingsbekämpfungsmittel, Neulandgewinnung und andere landwirtschaftliche Technologien als Waffen gegen den Hunger verwendet. Sie erhöhen die Getreideernte um das Zwei-, Drei- oder Vielfache. Entwickelte Nationen teilen diese Technologien mit Entwicklungsländern, die ein Hungerproblem haben. Da jedoch Hunger in der heutigen Zeit normalerweise die Folge von Kriegen oder Verteilungsproblemen ist, ist es fraglich, wieviel Auswirkung neue landwirtschaftliche Technologien auf dieses Problem haben würden.
Obwohl eigentlich genügend Nahrungsmittel für die gesamte Weltbevölkerung vorhanden wären, gibt es auch im 21. Jahrhundert vor allem in Afrika immer noch katastrophale Hungersnöte.
Ursachen von Hungersnöten am Beispiel Sahelzone
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass neben den natürlichen Ursachen der ausbleibenden Niederschläge oder Niederschlägen zur falschen Zeit und Erosionsschäden vor allem der Mensch zu Hungersnöten beiträgt:
- durch unterlassene Hilferufe
- allgemeine Kriegswirren
- fehlende Anreize zur Überschussproduktion (zu tiefe staatl. Aufkaufpreise)
- Vermarktungsverbote
- Anbau von Exportprodukten (Baumwolle, Erdnüsse) anstelle von Grundnahrungsmitteln
- Verstaatlichung von Großbetrieben; niedrige Produktivität, unrationelle Arbeitsweise
- fehlende Infrastruktur
- hoher Bevölkerungsdruck
- durch kolonialzeitliche Grenzfestsetzungen in Vielvölkerstaaten
- politische Willkürmaßnahmen der Machthaber
Hungersnöte in der Geschichte
Europa
Westeuropa
In Westeuropa waren Hungersnöte bis ins 19. Jahrhundert verbreitet.
- 1315-17 Hungersnot in weiten Teilen Europas
- 1618-1648 Hungersnöte als Folge des Dreißigjährigen Krieges
- 1816-17 Hungersnot in weiten Teilen Europas, ausgelöst durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien
- 1845-49 Ausfall der Kartoffelernte durch Kartoffelfäule, Lebensmittelknappheit; Große Hungersnot in Irland mit 1.500.000 Toten
Russland und UdSSR
- 1924 Hungersnot in der Ukraine und Teilen Russlands
- 1933 Hungersnot in der Ukraine (Holodomor), ca. 7 Mio. Tote
Asien
China
- 1333-37 große Hungersnot mit 4.000.000 Toten.
- 1876-79 große Hungersnot in Nordchina mit 11.000.000 Toten.
- 1892-94 große Hungersnot mit 1.000.000 Toten.
- 1896-97 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten.
- 1920-21 große Hungersnot in Nordchina mit 500.000 Toten.
- 1928-29 große Hungersnot mit 10.000.000 Toten.
- Die größte Hungersnot in China, und vielleicht der ganzen Weltgeschichte, wurde von 1959-61 durch den Großen Sprung nach vorn ausgelöst, einem sozialen Experiment, dem 30 - 43 Mio. Menschen zum Opfer fielen.
Indien
- 1630-1631 gab es eine große Hungersnot in Indien. Aufzeichnungen zeigen, dass Kannibalismus so verbreitet war, dass menschliches Fleisch auf dem freien Markt verkauft wurde.
- 1770 erste bengalische Hungersnot mit 6.500.000 Toten.
- 1866 Hungersnot in Bengalen und Orissa mit 1.500.000 Toten.
- 1876-78 große Hungersnot mit 5.000.000 Toten.
- 1896-1897 und 1899-1902 große Hungersnot; 100 Mio. Betroffene; Schätzungen über Tote variieren stark, bis zu 11 Mio.
- 1943-44 eine weitere Hungersnot in Bengalen.
- 1966 drohende Hungersnot in Bihar. Die USA teilten 900.000 Tonnen Korn zu, um den Hunger zu bekämpfen.
Andere asiatische Länder
- 1876-78 Hungersnot in Java (Niederländisch-Ostindien bzw. Indonesien)
- Die japanische Besetzung während des Zweiten Weltkrieges verursachte 1945 in Vietnam eine Hungersnot, die zwei Millionen Opfer kostete.
- Nach der Wiedervereinigung des Landes nach dem Vietnamkrieg kam es in den achtziger Jahren zu einer kurzen Hungernot, die viele Leute veranlasste, das Land zu verlassen.
- neunziger Jahre: Hungersnot in Nordkorea
Kleinasien
- ca. 1200 v. Chr.: Hungersnot in Kleinasien, bezeugt durch Erwähnung von Getreide-Hilflieferungen an das Hethiterreich in Schriftquellen aus Ägypten und Ugarit in Syrien.
Afrika
Hunger ist auch im Afrika der modernen Zeit weit verbreitet. Viele Länder produzieren nicht genug Nahrungsmittel und sind auf Importe angewiesen. Klimaschwankungen, Dürren, Bodenunfruchtbarkeit, Erosion und Heuschreckenschwärme können zu Ernteausfällen führen. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind politische Instabilität, bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege, Korruption und Misswirtschaft, außerdem eine Handelspolitik, die die afrikanische Landwirtschaft schädigt. Schließlich hat AIDS langfristige ökonomische Effekte auf die Landwirtschaft, indem es die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung dezimiert.
- 1968-74 Hungersnot in der Sahelzone
- 1973 Hungersnot in Äthiopien
- 1982-85 Hungersnot in Äthiopien
- 1990-er Jahre Hungersnot im Sudan infolge des Bürgerkriegs
- 2000 Hungersnot in Simbabwe
- 2005 Hungersnot in Niger
- 2006 drohende Hungersnot in Äthiopien, Somalia und im Norden Kenyas
Ausgewählte nicht von Menschen erzeugte Hungersnöte
(Schätzungen nach Encyclopedia Britannica 1992)
Fall | Zeitraum | Opfer |
---|---|---|
London | 1235 | 20.000 |
Europa | 1315-17 | 5.000.000 |
China | 1333-37 | 4.000.000 |
Russland | 1600 | 500.000 |
Indien | 1769-70 | 6.500.000 |
Osteuropa | 1770 | 190.000 |
Nordwestindien | 1837-38 | 800.000 |
Irland | 1845-49 | 1.000.000 |
Bengalen und Orissa (Indien) | 1866 | 1.500.000 |
Kleinasien | 1874-75 | 150.000 |
Indien | 1876-78 | 5.000.000 |
Nordchina | 1876-79 | 11.000.000 |
China | 1892-94 | 1.000.000 |
China | 1896-97 | 5.000.000 |
Indien | 1899-1900 | 1.250.000 |
Nordchina | 1920-21 | 500.000 |
China | 1928-29 | 10.000.000 |
Ruanda-Urundi | 1943 | 45.000 |
Bengalen (Indien) | 1943-44 | 500.000 |
Sahelzone/Afrika | 1968-74 | 500.000 |
Künstliche, durch Menschen erzeugte Hungersnöte
(Schätzungen nach Lexikon der Völkermorde 1998)
Fall | Zeitraum | Opfer |
---|---|---|
Südrussland | 1921-22 | 5.000.000 |
Ukraine | 1932-33 | 6-7.000.000 |
China | 1959-61 | 30-43.000.000 |
Äthiopien | 1982-85 | 2-3.000.000 |
Nordkorea | 1994-97 | 500.000-2.000.000 |
Simbabwe | 2000-05 | ??? |
Prävention
Hungersnöte können verhindert werden durch folgende Maßnahmen:
- Vorratshaltung, sowohl staatlicherseits als auch von privater Seite
- Geburtenkontrolle
- Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion
- Schutz der natürlichen Ressourcen
- Beseitigung der Ursachen von Ernteschädlingen
- Unterstützung benachteiligter ländlicher Bevölkerungsgruppen (Kleinbauern, Landlose)
- Sicherung des Rechts auf Nahrung insbesondere für ärmere Bevölkerungsgruppen
Literatur
- Jean Ziegler: Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn, Bertelsmann, München 2002, ISBN 3-570300595
- Gewalt.Macht.Hunger, Josef Nussbaumer unter Mitarbeit von Guido Rüthemann ( http://www.studienverlag.at/titel.php3?TITNR=1558 )
- Mike Davis: Die Geburt der Dritten Welt, Verlag Assoziation, 2004, ISBN 3-935936117
- Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde, Rowohlt, Hamburg 1998, ISBN 3-499-22338-4
- Amartya Sen: Poverty and Famines: An Essay on Entitlement and Deprivation, Oxford University Press; Reprint edition (February 1, 1984)
- William Easterly: The elusive quest for growth - Economist's adventures and misadventures in the tropics, The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2001