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Nabelschau und Völkermord in Ruanda: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:MURAN.gif|thumb|240px|Mumifizierte Leichen in der [[Murambi]] Technical School]]
Der Begriff '''Nabelschau''' ist eine [[Lehnübersetzung]] des [[Griechische Sprache|griechischen]] Ausdrucks ''omphaloskepsis'' und meint übertragen eine zu starke Konzentriertheit auf sich selbst.
Der '''Völkermord''' an den [[Tutsi]] und an gemäßigten [[Hutu]] in [[Ruanda]] begann in der Nacht vom [[6. April]] zum [[7. April]] [[1994]] und kostete innerhalb von nur 100 Tagen wahrscheinlich mindestens 800.000 Menschen das Leben. Anlass war der Konflikt zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung "[[Ruandische Patriotische Front]]".


== Hintergrund ==
Ab dem [[13. Jahrhundert]] entstand in den verbliebenen Restgebieten des [[Byzantinisches Reich|Oströmischen Reiches]] die [[Gebet]]s- und [[Meditation]]sbewegung des [[Hesychasmus]] in der Tradition des [[Simeon der Neue Theologe|Simeon des Neuen Theologen]]. Eine der Gebetsformen dieser Bewegung beinhaltete, den Blick auf den [[Bauchnabel]] zu richten, während man das [[Jesusgebet]] oder andere kontemplative Gebete sprach. Die Aussage der Hesychasten, während ihrer Meditation das [[Taborlicht]], eine Ungeschaffene Kraft Gottes die auch die [[Verklärung Christi]] begleitet hatte, zu sehen, löste heftige [[Theologie|theologische]] Kontroversen aus.
''Siehe auch: [[Geschichte Ruandas]]''


Der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi ist schon sehr alt und entlud sich nach dem Ende der Kolonialherrschaft Belgiens seit [[1960]] schon mehrmals in [[Vertreibung]]en und [[Massentötung]]en. Anfang der [[1990er]] Jahre formierte sich im [[Uganda|ugandischen]] Exil die mehrheitlich von den Tutsi unterstützte Ruandische Patriotische Front (RPF), die eine Rückkehr der Flüchtlinge und die Übernahme der Regierung anstrebte. Mehrere Invasionsversuche blieben zunächst erfolglos, bewiesen jedoch die zunehmende militärische Überlegenheit der Rebellen.
Nachdem [[Gregor Palamas]], einer der Köpfe der Bewegung, auf zwei [[Synode]]n [[1341]] und [[1351]] deren Anerkennung durch die [[Orthodoxe Kirche]] durchgesetzt hatte, trat Gregors Hauptgegner [[Barlaam von Kalabrien]] zur Römisch-Katholischen Kirche über und brachte so die negative Einstellung gegenüber der hier fast unbekannten Bewegung mit in den Westen. [[Thomas von Aquin]] und andere [[Scholastik]]er vertraten wie Barlaam die Ansicht, eine solche Behauptung sei [[Blasphemie]].


Vor diesem Hintergrund kam es zu einem Friedensvertrag, der jedoch von beiden Seiten ständig torpediert wurde. Die Rebellen, denen bereits eine Präsenz an mehreren Punkten des Landes, unter anderem in der Hauptstadt [[Kigali]], zugestanden worden war, rüsteten ihre Truppen weiter mit modernem Gerät aus, das sie von ihren Unterstützern, namentlich den [[USA]], erhielten. Die radikalen Hutu stimmten sich bereits auf den kommenden Völkermord ein. Auf Seiten der Regierung agitierten Kräfte innerhalb der Regierung, unterstützt von den Milizen der [[Interahamwe]] und der [[Impuzamugambi]] sowie Teilen der Presse und des Rundfunks, gegen die als Eindringlinge und "Parasiten" bezeichneten Tutsi. Der Sender [[Radio Television Libre des Mille Collines]] spielte später auch eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung des Völkermords.
Daher wird heute im [[Deutsche Sprache|Deutschen]] allgemein eine sinnlose [[Introspektion]] als "Nabelschau" bezeichnet; meist impliziert dies die Aufforderung, der so Bezichtigte möge aufhören, um sich selbst zu kreisen, und sich aktiv seiner [[Umwelt]] zuwenden.


Als Auslöser erwies sich letztlich der bis heute nicht aufgeklärte, mit Boden-Luft-Raketen durchgeführte Abschuss des Flugzeuges des gerade von den Friedensverhandlungen in [[Dar es Salaam]] zurückkehrenden Präsidenten von Ruanda [[Juvénal Habyarimana]] kurz vor der Landung in Kigali. Mit ihm starben auch der Präsident des benachbarten [[Burundi]], [[Cyprien Ntaryamira]], und weitere hochrangige Beamte. Dies war das Signal für den Beginn des Völkermords.
Als Nabelschau wird in Europa manchmal auch abwertend die sitzende Meditationsmethode des [[Zen-Buddhismus]] (genannt [[Zazen]]) bezeichnet, die gewisse Ähnlichkeiten zum Hesychasmus hat.


== Der Völkermord ==
[[Kategorie:Religionsphilosophie]]
[[Kategorie:Mystik]]
[[Kategorie:Philosophie (Sonstiges)]]


Den Akteuren des Völkermords wäre es nicht gelungen, innerhalb so kurzer Zeit soviele Menschen zu ermorden, wäre der Genozid nicht schon weit im Voraus geplant worden. Seit der belgischen Kolonialherrschaft war in den Pässen der Ruander vermerkt, welcher Volksgruppe sie angehören. Dabei definierten die Belgier alle Ruander als Tutsi, die mehr als zwölf Kühe besaßen. Die Identifizierung der Tutsi war daher sehr einfach.
[[nl:Navelstaren]]
Um den Ablauf des Völkermords besser planen zu können, wurden im Vorfeld Listen mit missliebigen Personen erstellt. Dabei handelte es sich vor allem um Tutsi, mit den Tutsi sympathisierende Hutu und moderate Politiker.

Begünstigt wurde der Völkermord zudem von der internationalen Gemeinschaft. Sie versagte der UNO Mission [[UNAMIR]] weitestgehend die Unterstützung. Die in Ruanda stationierte Truppe war unterversorgt und große Teile der Truppe schlecht ausgebildet. Bis auf Belgien stellten ausschließlich Entwicklungsländer Soldaten zur Verfügung. Im Falle von Bangladesh wurde vom Entsendeland zudem die Gefährdung der eigenen Soldaten untersagt. Sie weigerten sich Befehle auszuführen.

30 Minuten nach dem Flugzeugabsturz am [[6. April]] [[1994]] begann die Leibgarde des Präsidenten damit, systematisch moderate Politiker zu ermorden. Hervorzuheben ist dabei vor allem die Ermordung von Agathe Uwilingiyimana mitsamt ihrer Familie. Die Premierministerin der Interimsregierung wurde von zehn belgischen und fünf ghanaischen Soldaten von UNAMIR sowie mindestens fünf weiteren Leibwächtern geschützt. Da der UNO Mission nur sehr begrenzte Munitionsvorräte zur Verfügung standen, konnten die zum Schutz abgestellten Soldaten überwältigt und gefangen genommen werden. Während die fünf ghanaischen Soldaten am nächsten Tag freigelassen wurden, misshandelte und tötete man die belgischen Soldaten. Als Reaktion darauf zog Belgien sein UNO-Kontingent - das am besten ausgerüstete und ausgebildete von UNAMIR - aus Ruanda ab.

Zusammen mit der Präsidentengarde errichtete die Interahamwe-Miliz im ganzen Land Straßensperren. Die Sperren dienten einerseits dazu, unliebsame Personen an der Flucht zu hindern - sie wurden sofort ermordet. Andererseits behinderten sie sehr effektiv die Rettungsmissionen von UNAMIR. Die Straßensperren mussten erst zeitaufwendig umfahren werden, weshalb schutzbedürftige Personen oft zu spät erreicht wurden.

Die RPF, über die systematischen Morde im Bilde, setzte UNAMIR eine Frist bis zum Sonnenuntergang am 7. April. Sollte die Lage bis dahin nicht unter Kontrolle gebracht worden sein, würde die Rebellenarmee eine Offensive gegen die Regierungsarmee starten. Da UNAMIR dazu nicht in der Lage war, startete die RPF ihre Offensive.

Obwohl schnell klar war, dass ein Völkermord begangen werden würde, reagierte die internationale Öffentlichkeit mit Verharmlosung der Vorgänge und sprach lange von einem „[[Bürgerkrieg]]“ in Ruanda. Ein Völkermord hätte ein internationales Eingreifen unvermeidlich gemacht, weshalb man sich auch davor scheute, dieses Wort zu verwenden. Die im Land befindlichen Blauhelmsoldaten konnten deshalb dem mörderischen Treiben nur tatenlos zusehen oder wurden immer öfter selbst zum Ziel von Attacken.

Charakteristisch für den Völkermord in Ruanda ist, dass weite Teile der Bevölkerung zur "Mitarbeit" bei den Tötungsaktionen gezwungen oder zumindest ermutigt wurden. Aufgrund der schieren Menge der Mitschuldigen - der ruandischen Justiz sind derzeit 556.000 Mittäter bekannt - ist die Bestrafung aller Verantwortlichen erschwert, wenn nicht ganz unmöglich.

Zwei Drittel der Opfer wurden mit Macheten oder Keulen erschlagen, zu Tode geprügelt oder ertränkt. Da diese Tötungsarten körperlich sehr anstrengend sind, musste in Schichten gearbeitet werden. Oft wurden die Opfer erst verstümmelt, bevor sie getötet wurden. So war es nicht selten, dass vor den Augen der Eltern den Kindern die Gliedmaßen abgehackt wurden. Anschließend schnitt man ihnen die Kehle durch und die Geschlechtsteile ab. Bei den Eltern wurde anschließend ähnlich verfahren. Vorhergehende Vergewaltigungen kamen offenbar in großer Zahl vor. Nach einer Schätzung von [[UNICEF]] wurden während des Völkermords in Ruanda insgesamt zwischen 250.000 und 500.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt.

In mehreren Fällen suchten flüchtende Verfolgte Schutz in Kirchen und Schulen und wurden anschließend von katholischen Priestern und Lehrern den Milizen übergeben. Auch Hutus, die sich an den Morden nicht beteiligen wollten, wurden getötet. In diesem Zusammenhang erlangte das [[Massaker von Nyarubuye]] traurige Berühmtheit.

Berühmt wurde ebenfalls das [[Hôtel des Mille Collines]] in Kigali, das vielen Tutsi Unterschlupf und damit die Rettung vor dem sicheren Tode bot. Siehe dazu auch den Film [[Hotel Ruanda]].

Beendet wurde das Töten letztendlich durch die militärischen Erfolge der RPF. Reste der geschlagenen Armee Ruandas, darunter auch der Interahamwe-Milizen und einer großen Zahl weiterhin regierungstreuer Hutus, flüchteten in den benachbarten Kongo. Viele der Flüchtenden waren dazu gezwungen worden, um es so den Verantwortlichen leichter zu machen, in der Masse unterzutauchen.

== Folgen und Aufarbeitung ==
Die Zahl der Flüchtlinge in die Nachbarländer belief sich auf etwa zwei Millionen, die zumeist in den [[Kongo]] flohen. Die provisorischen Auffanglager wurden von Seuchen heimgesucht, allein an der Cholera starben weitere 40.000 Menschen. Die Lager dienten auch der ehemaligen Regierung als Rekrutierungslager für einen erneuten Umsturz.<!--Repatriierung?--> Die Machtverschiebung in Ruanda war zugleich mitverantwortlich für die Bürgerkriege in [[Burundi]] und dem [[Kongo]].

Auf Beschluss des [[Sicherheitsrat der Vereinten Nationen|UN-Sicherheitsrats]] wurde mit dem [[Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda|Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda]] (ICTR) ein [[Ad-hoc -Strafgerichtshof]] eingerichtet, der diesen Völkermord auf oberster politischer Ebene seit [[1995]] von [[Arusha]], [[Tansania]], aus untersucht und bereits mehrere Beschuldigte verurteilt hat. Doch dieses Tribunal hatte nur die Aufgabe, die Planer des Genozids zu verurteilen. Für die Prozesse gegen die Hundertausenden von Normalbürgern besann sich Ruanda [[1999]] einer traditionellen Dorfgerichtsbarkeit, den so genannten [[Gacaca]]-Gerichten.

Auf internationaler Ebene wird insbesondere das Nichteingreifen der damals vor Ort stationierten UNO-Schutztruppe [[UNAMIR]] und das Schweigen des damals für Ruanda verantwortlichen [[UN-Generalsekretär]]s [[Boutros Boutros-Ghali]] hinterfragt. Umstritten ist daneben auch die Rolle seines damals für Afrika und Ruanda verantwortlich zuständigen späteren Nachfolgers [[Kofi Annan]] bei dem Völkermord. Kritiker werfen ihm vor, daß er aus eigenem Antrieb oder auf Wunsch der nach dem [[Somalia]]-Debakel (siehe [[Schlacht von Mogadischu]]) interventionsunwilligen US-Regierung unter Präsident [[Bill Clinton]] Nachrichten aus Ruanda, wie etwa die Berichte und Hilfsgesuche des kanadischen Kommandanten des UN-Militärkontingents in Ruanda, General [[Roméo Dallaire]], zurückgehalten und abgemildert haben soll. Durch dieses Verhalten sollte offenbar die Nennung des Wortes [[Genozid]]/[[Völkermord]] vermieden werden, was den Sicherheitsrat oder die US-Regierung zum Eingreifen gezwungen hätte.

Der zur Zeit des Völkermordes amtierende US-Präsident [[Bill Clinton]] äußerte sich 2005 rückblickend zu seiner Amtszeit: ''„Was habe ich falsch gemacht? Dass wir nicht in Ruanda einmarschiert sind. Das ist damals innerhalb von 90 Tagen geschehen, dieser Völkermord. Ich weiß, dass ich nur ganz schwer die Zustimmung des Kongresses erhalten hätte. Aber ich hätte es versuchen sollen. Ich hätte Leben retten können. Das war ganz sicher das schwerste Versäumnis meines Lebens. Ich muss damit leben.“''

Dieses Versäumnis kostete über 800.000 Menschen das Leben.
:''siehe auch:'' [[:en:International Criminal Tribunal for Rwanda|International Criminal Tribunal for Rwanda]] <small>(Artikel der englischsprachigen Wikipedia zum ICTR)</small>

== Literatur ==
* Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition 2002. ISBN 3-930908-80-8
* Philip Gourevitch: Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden. Berichte aus Rwanda. Berlin Verlag, Berlin 1999. ISBN 3827003512
* Romeo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 2005. ISBN 3861507242
* Alain Destexhe: Rwanda and Genocide in the Twentieth Century. London/East Haven 1995.
* Linda Melvern: Ruanda. Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt. Diederichs Verlag, Kreuzingen 2004. ISBN 3720524868
* Mujawajo Esther, Belhaddad Souâd: Ein Leben mehr, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2005
* Schürings, Hildegard: (Ed): Ein Volk verläßt sein Land - Krieg und Völkermord in Ruanda. Köln 1994
* Gerard Prunier: The Rwanda Crisis: History of a Genocide. London 1998. ISBN 1850653720
* Gil Courtemanche: Ein Sonntag am Pool von Kigali. Kiepenhauer & Witsch, Köln 2004. ISBN 3-462-03368-9

== Filme ==

* [[2005]] - [[Shooting Dogs]] - Regie: [[Michael Caton-Jones]]
* [[2005]] - [[Sometimes in April]] - Regie: [[Raoul Peck]]
* [[2004]] - [[Hotel Ruanda]] - Regie: [[Terry George]] - mit [[Don Cheadle]], [[Sophie Okonedo]] und [[Nick Nolte]]
* [[1994]] - Requiem für Ruanda - Regie: Ulrich Harbecke ''(WDR-Dokumentation aus der Sendereihe Gott und die Welt)''

== Weblinks ==
* [http://www.amnesty.org/ailib/intcam/rwanda/main.htm/ "Rwanda - The hidden violence"] - Bericht von Amnesty International
* [http://www.hrw.org/reports/1999/rwanda/ "Leave None to Tell the Story"] - Report über den Völkermord von Human Rights Watch
* [http://www.yale.edu/gsp/rwanda/ Rwandan Genocide Project] - Projekt der Yale University
* [http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/kriege/283ak_ruanda.htm Ruanda-Konflikt] - Konfliktarchiv des FB Sozialwissenschaften der Universität Hamburg
* [http://www.preventgenocide.org/de/ Völkermord Verhütung International]
* http://www.imbuto.net

[[Kategorie:1994]]
[[Kategorie:Geschichte Ruandas]]
[[Kategorie:Geschichte (Afrika)]]
[[Kategorie:Völkerrecht]]
[[Kategorie:Menschenrechte]]
[[Kategorie:Krieg (Afrika)]]
[[Kategorie:Kriegsverbrechen|Ruanda]]
[[Kategorie:Massaker|Ruanda]]

[[bg:Геноцид_в_Руанда]]
[[cs:Rwandská genocida]]
[[en:Rwandan Genocide]]
[[es:Genocidio de Ruanda]]
[[fi:Ruandan kansanmurha]]
[[fr:Génocide au Rwanda]]
[[he:רצח העם ברואנדה]]
[[hu:Ruandai népirtás]]
[[id:Pembantaian Rwanda]]
[[it:Genocidio ruandese]]
[[ja:ルワンダ紛争]]
[[no:Folkemordet i Rwanda]]
[[pt:Genocídio de Ruanda]]
[[ru:Геноцид в Руанде]]
[[sv:Folkmordet i Rwanda]]
[[zh:卢旺达大屠杀]]

Version vom 23. April 2006, 13:51 Uhr

Mumifizierte Leichen in der Murambi Technical School

Der Völkermord an den Tutsi und an gemäßigten Hutu in Ruanda begann in der Nacht vom 6. April zum 7. April 1994 und kostete innerhalb von nur 100 Tagen wahrscheinlich mindestens 800.000 Menschen das Leben. Anlass war der Konflikt zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung "Ruandische Patriotische Front".

Hintergrund

Siehe auch: Geschichte Ruandas

Der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi ist schon sehr alt und entlud sich nach dem Ende der Kolonialherrschaft Belgiens seit 1960 schon mehrmals in Vertreibungen und Massentötungen. Anfang der 1990er Jahre formierte sich im ugandischen Exil die mehrheitlich von den Tutsi unterstützte Ruandische Patriotische Front (RPF), die eine Rückkehr der Flüchtlinge und die Übernahme der Regierung anstrebte. Mehrere Invasionsversuche blieben zunächst erfolglos, bewiesen jedoch die zunehmende militärische Überlegenheit der Rebellen.

Vor diesem Hintergrund kam es zu einem Friedensvertrag, der jedoch von beiden Seiten ständig torpediert wurde. Die Rebellen, denen bereits eine Präsenz an mehreren Punkten des Landes, unter anderem in der Hauptstadt Kigali, zugestanden worden war, rüsteten ihre Truppen weiter mit modernem Gerät aus, das sie von ihren Unterstützern, namentlich den USA, erhielten. Die radikalen Hutu stimmten sich bereits auf den kommenden Völkermord ein. Auf Seiten der Regierung agitierten Kräfte innerhalb der Regierung, unterstützt von den Milizen der Interahamwe und der Impuzamugambi sowie Teilen der Presse und des Rundfunks, gegen die als Eindringlinge und "Parasiten" bezeichneten Tutsi. Der Sender Radio Television Libre des Mille Collines spielte später auch eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung des Völkermords.

Als Auslöser erwies sich letztlich der bis heute nicht aufgeklärte, mit Boden-Luft-Raketen durchgeführte Abschuss des Flugzeuges des gerade von den Friedensverhandlungen in Dar es Salaam zurückkehrenden Präsidenten von Ruanda Juvénal Habyarimana kurz vor der Landung in Kigali. Mit ihm starben auch der Präsident des benachbarten Burundi, Cyprien Ntaryamira, und weitere hochrangige Beamte. Dies war das Signal für den Beginn des Völkermords.

Der Völkermord

Den Akteuren des Völkermords wäre es nicht gelungen, innerhalb so kurzer Zeit soviele Menschen zu ermorden, wäre der Genozid nicht schon weit im Voraus geplant worden. Seit der belgischen Kolonialherrschaft war in den Pässen der Ruander vermerkt, welcher Volksgruppe sie angehören. Dabei definierten die Belgier alle Ruander als Tutsi, die mehr als zwölf Kühe besaßen. Die Identifizierung der Tutsi war daher sehr einfach. Um den Ablauf des Völkermords besser planen zu können, wurden im Vorfeld Listen mit missliebigen Personen erstellt. Dabei handelte es sich vor allem um Tutsi, mit den Tutsi sympathisierende Hutu und moderate Politiker.

Begünstigt wurde der Völkermord zudem von der internationalen Gemeinschaft. Sie versagte der UNO Mission UNAMIR weitestgehend die Unterstützung. Die in Ruanda stationierte Truppe war unterversorgt und große Teile der Truppe schlecht ausgebildet. Bis auf Belgien stellten ausschließlich Entwicklungsländer Soldaten zur Verfügung. Im Falle von Bangladesh wurde vom Entsendeland zudem die Gefährdung der eigenen Soldaten untersagt. Sie weigerten sich Befehle auszuführen.

30 Minuten nach dem Flugzeugabsturz am 6. April 1994 begann die Leibgarde des Präsidenten damit, systematisch moderate Politiker zu ermorden. Hervorzuheben ist dabei vor allem die Ermordung von Agathe Uwilingiyimana mitsamt ihrer Familie. Die Premierministerin der Interimsregierung wurde von zehn belgischen und fünf ghanaischen Soldaten von UNAMIR sowie mindestens fünf weiteren Leibwächtern geschützt. Da der UNO Mission nur sehr begrenzte Munitionsvorräte zur Verfügung standen, konnten die zum Schutz abgestellten Soldaten überwältigt und gefangen genommen werden. Während die fünf ghanaischen Soldaten am nächsten Tag freigelassen wurden, misshandelte und tötete man die belgischen Soldaten. Als Reaktion darauf zog Belgien sein UNO-Kontingent - das am besten ausgerüstete und ausgebildete von UNAMIR - aus Ruanda ab.

Zusammen mit der Präsidentengarde errichtete die Interahamwe-Miliz im ganzen Land Straßensperren. Die Sperren dienten einerseits dazu, unliebsame Personen an der Flucht zu hindern - sie wurden sofort ermordet. Andererseits behinderten sie sehr effektiv die Rettungsmissionen von UNAMIR. Die Straßensperren mussten erst zeitaufwendig umfahren werden, weshalb schutzbedürftige Personen oft zu spät erreicht wurden.

Die RPF, über die systematischen Morde im Bilde, setzte UNAMIR eine Frist bis zum Sonnenuntergang am 7. April. Sollte die Lage bis dahin nicht unter Kontrolle gebracht worden sein, würde die Rebellenarmee eine Offensive gegen die Regierungsarmee starten. Da UNAMIR dazu nicht in der Lage war, startete die RPF ihre Offensive.

Obwohl schnell klar war, dass ein Völkermord begangen werden würde, reagierte die internationale Öffentlichkeit mit Verharmlosung der Vorgänge und sprach lange von einem „Bürgerkrieg“ in Ruanda. Ein Völkermord hätte ein internationales Eingreifen unvermeidlich gemacht, weshalb man sich auch davor scheute, dieses Wort zu verwenden. Die im Land befindlichen Blauhelmsoldaten konnten deshalb dem mörderischen Treiben nur tatenlos zusehen oder wurden immer öfter selbst zum Ziel von Attacken.

Charakteristisch für den Völkermord in Ruanda ist, dass weite Teile der Bevölkerung zur "Mitarbeit" bei den Tötungsaktionen gezwungen oder zumindest ermutigt wurden. Aufgrund der schieren Menge der Mitschuldigen - der ruandischen Justiz sind derzeit 556.000 Mittäter bekannt - ist die Bestrafung aller Verantwortlichen erschwert, wenn nicht ganz unmöglich.

Zwei Drittel der Opfer wurden mit Macheten oder Keulen erschlagen, zu Tode geprügelt oder ertränkt. Da diese Tötungsarten körperlich sehr anstrengend sind, musste in Schichten gearbeitet werden. Oft wurden die Opfer erst verstümmelt, bevor sie getötet wurden. So war es nicht selten, dass vor den Augen der Eltern den Kindern die Gliedmaßen abgehackt wurden. Anschließend schnitt man ihnen die Kehle durch und die Geschlechtsteile ab. Bei den Eltern wurde anschließend ähnlich verfahren. Vorhergehende Vergewaltigungen kamen offenbar in großer Zahl vor. Nach einer Schätzung von UNICEF wurden während des Völkermords in Ruanda insgesamt zwischen 250.000 und 500.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt.

In mehreren Fällen suchten flüchtende Verfolgte Schutz in Kirchen und Schulen und wurden anschließend von katholischen Priestern und Lehrern den Milizen übergeben. Auch Hutus, die sich an den Morden nicht beteiligen wollten, wurden getötet. In diesem Zusammenhang erlangte das Massaker von Nyarubuye traurige Berühmtheit.

Berühmt wurde ebenfalls das Hôtel des Mille Collines in Kigali, das vielen Tutsi Unterschlupf und damit die Rettung vor dem sicheren Tode bot. Siehe dazu auch den Film Hotel Ruanda.

Beendet wurde das Töten letztendlich durch die militärischen Erfolge der RPF. Reste der geschlagenen Armee Ruandas, darunter auch der Interahamwe-Milizen und einer großen Zahl weiterhin regierungstreuer Hutus, flüchteten in den benachbarten Kongo. Viele der Flüchtenden waren dazu gezwungen worden, um es so den Verantwortlichen leichter zu machen, in der Masse unterzutauchen.

Folgen und Aufarbeitung

Die Zahl der Flüchtlinge in die Nachbarländer belief sich auf etwa zwei Millionen, die zumeist in den Kongo flohen. Die provisorischen Auffanglager wurden von Seuchen heimgesucht, allein an der Cholera starben weitere 40.000 Menschen. Die Lager dienten auch der ehemaligen Regierung als Rekrutierungslager für einen erneuten Umsturz. Die Machtverschiebung in Ruanda war zugleich mitverantwortlich für die Bürgerkriege in Burundi und dem Kongo.

Auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats wurde mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) ein Ad-hoc -Strafgerichtshof eingerichtet, der diesen Völkermord auf oberster politischer Ebene seit 1995 von Arusha, Tansania, aus untersucht und bereits mehrere Beschuldigte verurteilt hat. Doch dieses Tribunal hatte nur die Aufgabe, die Planer des Genozids zu verurteilen. Für die Prozesse gegen die Hundertausenden von Normalbürgern besann sich Ruanda 1999 einer traditionellen Dorfgerichtsbarkeit, den so genannten Gacaca-Gerichten.

Auf internationaler Ebene wird insbesondere das Nichteingreifen der damals vor Ort stationierten UNO-Schutztruppe UNAMIR und das Schweigen des damals für Ruanda verantwortlichen UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali hinterfragt. Umstritten ist daneben auch die Rolle seines damals für Afrika und Ruanda verantwortlich zuständigen späteren Nachfolgers Kofi Annan bei dem Völkermord. Kritiker werfen ihm vor, daß er aus eigenem Antrieb oder auf Wunsch der nach dem Somalia-Debakel (siehe Schlacht von Mogadischu) interventionsunwilligen US-Regierung unter Präsident Bill Clinton Nachrichten aus Ruanda, wie etwa die Berichte und Hilfsgesuche des kanadischen Kommandanten des UN-Militärkontingents in Ruanda, General Roméo Dallaire, zurückgehalten und abgemildert haben soll. Durch dieses Verhalten sollte offenbar die Nennung des Wortes Genozid/Völkermord vermieden werden, was den Sicherheitsrat oder die US-Regierung zum Eingreifen gezwungen hätte.

Der zur Zeit des Völkermordes amtierende US-Präsident Bill Clinton äußerte sich 2005 rückblickend zu seiner Amtszeit: „Was habe ich falsch gemacht? Dass wir nicht in Ruanda einmarschiert sind. Das ist damals innerhalb von 90 Tagen geschehen, dieser Völkermord. Ich weiß, dass ich nur ganz schwer die Zustimmung des Kongresses erhalten hätte. Aber ich hätte es versuchen sollen. Ich hätte Leben retten können. Das war ganz sicher das schwerste Versäumnis meines Lebens. Ich muss damit leben.“

Dieses Versäumnis kostete über 800.000 Menschen das Leben.

siehe auch: International Criminal Tribunal for Rwanda (Artikel der englischsprachigen Wikipedia zum ICTR)

Literatur

  • Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition 2002. ISBN 3-930908-80-8
  • Philip Gourevitch: Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden. Berichte aus Rwanda. Berlin Verlag, Berlin 1999. ISBN 3827003512
  • Romeo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 2005. ISBN 3861507242
  • Alain Destexhe: Rwanda and Genocide in the Twentieth Century. London/East Haven 1995.
  • Linda Melvern: Ruanda. Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt. Diederichs Verlag, Kreuzingen 2004. ISBN 3720524868
  • Mujawajo Esther, Belhaddad Souâd: Ein Leben mehr, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2005
  • Schürings, Hildegard: (Ed): Ein Volk verläßt sein Land - Krieg und Völkermord in Ruanda. Köln 1994
  • Gerard Prunier: The Rwanda Crisis: History of a Genocide. London 1998. ISBN 1850653720
  • Gil Courtemanche: Ein Sonntag am Pool von Kigali. Kiepenhauer & Witsch, Köln 2004. ISBN 3-462-03368-9

Filme