„ETCS in der Schweiz“ – Versionsunterschied
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Version vom 19. September 2015, 23:31 Uhr
Die Artikel beschreibt die Einführung (Migration) von European Train Control System (ETCS) bei den Schweizer Normalspurbahnen.
Die Funktion von ETCS ist im Artikel European Train Control System beschrieben.
Versuchs- und Neubaustrecken mit ETCS Level 2
Versuchsstrecke Zofingen–Sempach
1 Mattstetten–Rothrist mit Ausbaustre-
cke Solothurn–Wanzwil (Dez. 2004)
2 Lötschberg-Basistunnel (Dez. 2007)
Da die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf geplanten Neubaustrecken schneller als 160 km/h fahren wollten, musste ein System zur Führerstandssignalisierung eingeführt werden. Dabei haben die SBB im Jahr 2000 das noch in Entwicklung stehende ETCS in die Evaluation einbezogen.[1] Bevor 2001 die Entscheidung über die sicherungstechnische Ausrüstung der geplanten Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist fallen sollte, wollten die SBB hinreichende Erfahrungen mit dem neuen Zugsicherungssystem sammeln.[2] Im Juli 1998 wurde die Funkversorgung mit konventionellem GSM für den rund 40 km langen Pilotabschnitt Zofingen–Sempach mit European Train Control System Level 2 (ETCS L2) international ausgeschrieben und im Dezember 1998 vergeben.[3]
Die vorgesehenen Zeitpläne, die Versuche im Sommer 2000 vorsahen, konnten jedoch nicht eingehalten werden, da die Führerstandssoftware sich als noch nicht betriebstauglich erwiesen hatte. In der Nacht zum 17. April 2001 konnte, nachdem in rund 120 Versuchsfahrten zuvor etwa 450 Fehler aufgespürt worden waren, ein erster Großversuch mit gedrängtem Fahrplan absolviert werden.[4] In der Nacht zum 27. April 2002 ging auf diesem Abschnitt die erste kommerzielle Anwendung von ETCS Level 2 in den Regelbetrieb.[5] In den ersten Betriebsmonaten erwies sich das System zwar als sicher, die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit wurden jedoch als noch nicht zufriedenstellend bewertet.[6] Die Zahl der Störungen konnte in den Folgemonaten zurückgefahren werden.
In der Nacht zum 30. November 2003 wurde die ETCS-Ausrüstung außer Betrieb genommen. An Stelle von ETCS trat eine in den Vormonaten errichtete konventionelle Signalisierung.[7] Zu den Gründen der Abschaltung zählte auch, dass die Pilotanlage nicht auf spätere ETCS-Versionen aufrüstbar war.[8]
Neubaustrecken Mattstetten–Rothrist
Die für Dezember 2004 auf der Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist und der Ausbaustrecke Solothurn–Wanzwil geplante Inbetriebnahme von ETCS Level 2 im Regelbetrieb wurde vorerst als zu riskant eingestuft und für die zeitgerechte Inbetriebnahme eine provisorische konventionelle Signalisierung eingebaut. Am 2. Juli 2006 wurde ein nächtlicher Vorlaufbetrieb gestartet. Ab 21.30 Uhr verkehrten dabei die Züge mit bis zu 160 km/h mit ETCS. Im Zeitraum von Juli bis Oktober waren von 2300 Fahrten rund 250 nicht erfolgreich. Ein Viertel der Störungen hatte betriebliche Gründe wie Fehler bei der Fahrzeugdisposition. Ein weiteres Drittel wurde durch Verbindungsproblemen zwischen Fahrzeugrechner (European Vital Computer EVC) und Streckenzentrale (Radio Block Centre RBC) verursacht. Für weitere Verzögerungen sorgten Probleme mit der Wegmessung der Triebfahrzeuge. Die Anforderungen an die Odometrie sind hoch, weil bei ETCS Level 2 nur wenig Balisen zum Einsatz kommen. Die wegen Schlupf und Schleudern fehlerhafte Wegerfassung über Radumdrehungen wurde mit Radar- und Beschleunigungssensoren ergänzt.[9]
Am 18. März 2007 wurde die Strecke komplett auf ETCS Level 2 umgeschaltet. Seither verkehren erstmals überhaupt mit ETCS 240 Züge täglich mit minimalen Abständen von zwei Minuten im gemischten Verkehr (Güter- und Reisezüge). Es handelte sich dabei um den ersten Einsatz von ETCS Level 2 im normalen Betrieb. Auf den Fahrplanwechsel im Dezember 2007 ist die Geschwindigkeit von 160 km/h auf 200 km/h angehoben worden.[10]
Nach sechs Jahren Betrieb zogen Mitte 2013 die SBB ein positives Fazit. Sie sind mit der Zuverlässigkeit von ETCS zufrieden, obwohl die Anforderungen an Kapazität und Sicherheit sehr hoch sind. Rund 650 Fahrzeuge verschiedener Eisenbahnverkehrsunternehmen verfügen inzwischen über Zugang zu den ETCS-Level-2-Strecken.[1]
Lötschberg-Basistunnel
Lötschberg-Basistunnel (34'577 m) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Mit der Bahnreform änderte sich ab 1. Januar 1999 die Zuständigkeit für die Festlegung der zu verwendenden Systeme. Das neu zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) sah aber keinen Anlass, vom eingeschlagenen Weg abzuweichen, den europäischen Standard ETCS auch in der Schweiz anzuwenden. Vielmehr verpflichtete es die BLS, im Lötschberg-Basistunnel ebenfalls den Level 2 anzuwenden und nicht wie ursprünglich vorgesehen Level 1.
Im Lötschberg-Basistunnel setzt die BLS AG ETCS Level 2 bereits seit der Eröffnung im Regelbetrieb ein. Für den Fall, dass ETCS Level 2 bei der Eröffnung nicht zur Verfügung gestanden wäre, wurde eine konventionelle „Notsignalisierung“ vorbereitet. Sie hätte jedoch eine geringe Leistungsfähigkeit von rund 40 Zügen pro Tag gehabt, die überdies nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h hätten verkehren können. Auf Grund der positiven Erfahrungen mit ETCS Level 2 konnte auf die Inbetriebnahme der Notsignalisierung verzichtet werden.[12]
ETCS Level 2 ermöglicht im Lötschberg-Basistunnel eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h. Obwohl im fahrplanmäßigen Verkehr diese Geschwindigkeit nicht ausgefahren wird,[13] ist die Betriebsführung anspruchsvoll, da zwei Drittel des Tunnels nur einspurig sind. Falls ein Zug wegen einer Entgleisung oder eines Brandes die Fahrtrichtung wechseln muss, steht der ETCS-Modus Reversing (RV) zur Verfügung. Er erlaubt, ohne dass der Triebfahrzeugführer den Führerstand wechseln muss, eine vom System überwachte Rückwärtsfahrt.[12]
Am 16. Oktober 2007 ereignete sich auf der neuen Lötschberg-Basisstrecke nahe Frutigen ein mit ETCS zusammenhängender Unfall, der glücklicherweise nur Sachschaden zur Folge hatte. Ursache für die Entgleisung waren Softwarefehler in der ETCS-Streckenzentrale (RBC). Ein während des Übergangs von der konventionellen Zugsicherung (Level 0) zu ETCS Level 2 von der Streckenzentrale gegebener Haltebefehl wurde nicht an die Lokomotive Re 465 übermittelt und das Ausbleiben der Bestätigung nicht erkannt. Das Ereignis hat in der Fachwelt vorübergehend große Besorgnis über die Betriebssicherheit des äußerst komplexen ETCS-Systems hervorgerufen.[14][15]
Migration
Entwicklung von ETCS Level 1 Limited Supervision
Damit ETCS auf dem gesamten Schweizer Normalspurnetz nach einheitlichen Grundsätzen eingeführt und betrieben wird, beauftragte das BAV im Jahre 2005 die SBB als größten Erfahrungsträger mit der sogenannten Systemführerschaft.[16] In dieser Funktion haben die Bundesbahnen 2011 bekanntgegeben, dass bis Ende 2017 die bestehenden Zugsicherungssysteme Integra-Signum und ZUB auf dem Schweizer Schienennetz durch ETCS Level 1 Limited Supervision (ETCS L1 LS) ergänzt werden.[17] Ursprünglich beabsichtigten die SBB, ihr ganzes Netz direkt von Integra-Signum auf ETCS Level 2 umzustellen, wovon sie aus Kostengründen abgekommen sind. Die Umrüstung auf ETCS Level 1 Full Supervision (ETCS L1 FS) kommt für stark belastete Strecken nicht in Frage, da ein großer Informationsumfang, aufwendige Verkettungen und großzügige Bremskurven die Streckenkapazität zu stark reduzieren würden.
Die SBB strebten eine vereinfachte Ausführung an, die im Wesentlichen die Funktionen von klassischen Zugbeeinflussungssystemen übernimmt. Nach längerem Widerstand auf europäischer Ebene zeichnete sich im Rahmen der sogenannten Baseline 3 mit Limited Supervision eine solche Lösung ab, die eine Ablösung von Integra-Signum innerhalb der Übergangszeit ermöglicht.[18] Dank der sogenannten Mini-LEU von Siemens, die die Signalbegriffe aus den Balisendaten an das Signal überträgt, ist eine sehr schlanke und kostengünstige Anbindung der Signale möglich.[19] An der Entwicklung von ETCS Level 1 Limited Supervision mitbeteiligt war die DB AG, die einen Teil des Güterverkehrskorridors 1 (Rotterdam–) Emmerich–Basel (–Genua) damit ausrüstet[veraltet].[18]
Mit ETCS L1 LS trägt – wie schon bisher mit Integra-Signum und ZUB – der Triebfahrzeugführer die Sicherheitsverantwortung. Er wird jedoch von der Zugbeeinflussung im Hintergrund überwacht.
Weil ETCS L1 LS erst mit der Baseline 3.00 eingeführt wurde, kann eine ETCS-Fahrzeugausrüstung auf der Basis der Baseline 2.x.x die ETCS L1 LS-Anwendung noch nicht unterstützen. Solche Fahrzeuge benötigen eine Integra-Signum- und ZUB Ausrüstung mit einem „Rucksack“ oder ZUB 262ct.[20]
Siehe auch: Abschnitt Modus Limited Supervision im Artikel European Train Control System
Migrationstrategie
Das BAV legte im Dezember 2000 die Strategie für die Migration zu ETCS fest, die folgende Ziele verfolgt:
- Mit einem flächendeckenden Ersatz der veralteten Integra-Signum- und ZUB-Zugsicherungen durch ETCS Level 1 Limited Supervision ist zukünftig[veraltet] fahrzeugseitig nur noch eine Zugbeeinflussungsausrüstung erforderlich statt wie bisher vier (Integra-Signum, ZUB, ETM und ETCS).
- Die Umstellung auf ETCS Level 2 soll längerfristig erfolgen, weil sie den Ersatz der noch weit verbreiteten Relaisstellwerke erfordert. Mit dem Einsatz von ETCS Level 1 Limited Supervision wird bei bestehenden und mit Außensignalen ausgestatteten Strecken – im Gegensatz zu ETCS Level 2 – ein vorzeitiger Ersatz der Stellwerke vermieden.[16] Dazu müssen aber bis 2025 genügend mit ETCS ausgerüstete Fahrzeuge zur Verfügung stehen.
- Gewährleistung der Interoperabilität des Normalspurnetzes mit denjenigen der Länder der Europäischen Union.[20]
- Die Risiken sollen durch den vermehrten Einsatz von Geschwindigkeitsüberwachungen gesenkt werden.[16]
Die Informations-Übertragungselemente der beiden bisherigen Zugsicherungssysteme Integra-Signum und ZUB werden[veraltet] durch Komponenten aus dem ETCS-Baukasten ersetzt. Die Eurobalisen strahlen im für nationale Anwendungen reservierten Anhang der Datentelegramme (Paket 44) die Integra-Signum- und ZUB-Informationen ab. Damit die angestrebte Migration technisch und betrieblich umgesetzt werden kann, erfolgt sie in mehreren Etappen:
- Bis 2005 wurden sämtliche Streckentriebfahrzeuge und Steuerwagen mit Eurobalise Transmission Module (ETM), umgangssprachlich auch „Rucksack“ genannt, ausgestattet. Für Rangierlokomotiven, Baudienstfahrzeuge und historische Lokomotiven steht ein vereinfachtes ETM-S zur Verfügung. Das ETM leitet die von den Eurobalisen empfangenen Informationen an die Integra-Signum- und ZUB-Fahrzeuggeräte weiter.
- Bis 2017 werden[veraltet] sämtliche Integra-Signum-Magnete sowie die Gleiskoppelspulen und Linienleiter der ZUB durch Eurobalisen bzw. Euroloops ersetzt. Dieses System nennt sich Euro-Signum bzw. Euro-ZUB. Zum Empfang der Euro-Signum- und Euro-ZUB-Daten müssen [veraltet] sämtliche Triebfahrzeuge mit ETM oder mit ZUB 262ct ausgerüstet sein.
- Ebenfalls bis 2017 wird[veraltet] der Modus ETCS Level 1 Limited Supervision eingeführt. Die Balisen und Loops übertragen zusätzlich zu den nationalen Euro-Signum und Euro-ZUB-Signalbefehlen die entsprechenden ETCS-Informationen. Sobald dieser Schritt vollzogen ist, können[veraltet] reine ETCS-Fahrzeuge (ETCS only) das Schweizer Netz befahren[21]. Von diesem Zeitpunkt an[veraltet] kann bei neuen mit ETCS ausgerüsteten Triebfahrzeugen auf ETM bzw. ZUB 262ct verzichtet werden.[18]
Bereits seit 2003 müssen bei Streckenneu- und -umbauten an Stelle von ZUB-Koppelspulen und -Leiterschlaufen Komponenten aus dem ETCS-Baukasten (Euro-ZUB) installiert werden. Ab 2008 wurden auch anstelle von Integra-Signum-Gleismagneten Eurobalisen (Euro-Signum) eingebaut. Seit 1. Juli 2014 muss jedes neue Fahrzeug mit ETCS ausgerüstet werden oder auf eine spätere Ausrüstung vorbereitet sein.[20]
Einführung von ETCS Level 1 Limited Supervision
Die SBB bereiteten die Umstellung der Integra-Signum- und ZUB-Streckenausrüstungen durch ETCS Level 1 Limited Supervision vor. In einem Pilotversuch von September 2009 bis Februar 2010 in Burgdorf wurde der Nachweis erbracht, dass die Ansprüche der Bundesbahnen erfüllt werden. Dazu wurden 30 Signale mit ETCS L1 LS ausgerüstet und in einem Triebwagen RBe 540 behelfsmässig ein ETCS-Fahrzeuggerät installiert. Bei diesen Versuchen wurde zum ersten Mal weltweit mit dieser neuen Betriebsart gefahren.[18]
Die Verkehrsminister der Niederlande, Deutschlands, der Schweiz und Italiens haben 2009 in einer gemeinsamen Erklärung die Umsetzung von ETCS auf dem europäischen Güterverkehrskorridor 1 beschlossen.[18] Dabei wurde vereinbart, dass auf den Nord-Süd-Achsen durch die Schweiz zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015 ETCS in Betrieb genommen wird[veraltet]. Das restliche Normalspurnetz wird[veraltet] bis zum Fahrplanwechsel 2017 auf ETCS umgestellt.
Seit 2012 wird Tessin auf ETCS L1 LS sowie Euro-Signum und Euro-ZUB umgerüstet. Auf diesem ersten Streckenabschnitt wurden mit Schattenfahrten[22] letzte Nachweise erbracht, die für eine Betriebsbewilligung von ETCS L1 LS erforderlich waren.[20] Die BLS hat im Oktober 2012 bis Beginn 2013 die Dienststation Blausee-Mitholz und den Abschnitt Spiez–Frutigen mit ETCS L1 LS ausgestattet. Dort wurde u. a. mit Schattenfahrten in Steigungen von 27 ‰ die Zuverlässigkeit der Wegmessung überprüft.[12]
Einheitliche Fehleroffenbarung
Mit der Migration zu ETCS L1 LS sollen nun die technisch zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für eine automatische Fehleroffenbarung genutzt werden. Mit ETCS Level 1 Limited Supervision wird streckenseitig kein fehlersicheres System (SIL 4) verlangt. Eine Störung oder ein Ausfall der Streckenausrüstung muss daher nicht zur Bremsung eines Zuges führen. Eine Weiterfahrt ist zulässig, wenn Fehler der Zugbeeinflussung so rasch erkannt und behoben werden, dass trotzdem ein sicherer Eisenbahnbetrieb gewährleistet wird.
Das BAV strebt an, dass alle durch die Fahrzeugausrüstung erkennbaren streckenseitigen Fehler automatisch an ein zentrales System zur Störungsverwaltung übertragen und von diesem an die betroffene Infrastrukturbetreiberin weitergeleitet werden. Unabhängig, ob auf einem Fahrzeug Euro-Signum, Euro-ZUB oder ETCS zu Einsatz kommt, soll das Verhalten des Fehleroffenbarungssystems möglichst identisch sein.
Erkennt die Zugbeeinflussung einen Fehler, sendet sie über den GSM-R-Zugfunk eine SMS an ein zentrales System zur Störungsverwaltung. Dieses verarbeitet eingehende Fehlermeldungen und informiert automatisch den betroffenen Infrastrukturbetreiber oder das Eisenbahnverkehrsunternehmen.
Für Fahrzeugausrüstungen ETCS only bestand 2012 noch keine Lösung der Übertragung von Störungsmeldungen. 2014 wurden in den Ausführungsbestimmungen zur Eisenbahnverordnung (AB-EBV) [23] die gesetzliche Voraussetzungen für eine automatische Übermittlung von Fehlern geschaffen.[20]
Erhöhung des Sicherheitsstandards
Ein wesentlicher Teil der Signale war 2012 einzig mit Integra-Signum gesichert. Bei ungenügender Bremsung nach einem geschlossenen Vorsignal oder bei Wiederanfahrt gegen ein Halt zeigendes Hauptsignal kann[veraltet] eine Zugskollision durch Integra-Signum oder Euro-Signum nicht zwingend verhindert werden. Es gab aber 2012 auch noch Haupt- und Vorsignale ohne jegliche Zugbeeinflussungsausrüstung.[20] Sie befanden sich in Rangierbahnhöfen und an Stellen mit Geschwindigkeiten von weniger als 40 km/h.[18]
Gefahrenabschätzung und Wirkungen verschiedener Zugbeeinflussungssysteme
Gefahr | Eintretenswahrscheinlichkeit | Risiko | Euro-Signum | Euro-ZUB | ETCS L1 LS mit Halt/Warnung-Funktion | ETCS L1 mit Geschwindigkeitsüberwachung |
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Nichteinhalten einer Geschwindigkeitseinschränkung | mittel | hoch | teilweise[24] | ja | teilweise[24] | ja |
Nichteinhalten eines Halteortes | klein bis mittel | hoch | teilweise[25] | ja | teilweise[25] | ja |
Überschreiten der Streckengeschwindigkeit | klein | mittel | nein.[26] | teilweise[27] | nein | ausgenommen Spezialfälle[28] |
Frühzeitiges Beschleunigen nach Geschwindkeitseinschränkung | mittel | mittel | nein | teilweise | nein | ausgenommen Spezialfälle[28] |
Vorzeitiges Abfahren bei Halt zeigendem Signal | gross | sehr hoch | nein | teilweise[29] | nein | ja[29] |
Die obenstehende Tabelle[19] zeigt, dass eine praktisch vollständige Überwachung von Zugfahrten nur mit ETCS Level 1 Limited Supervision (ETCS L1 LS) inklusive Geschwindigkeitsüberwachung möglich ist. Gegen hohe und sehr hohe Gefahren bietet auch ZUB einen guten Schutz. Die Umstellung von Integra-Signum auf ETCS Level 1 LS nur mit Halt-/Warnung-Auswertung bringt – mit Ausnahme der besseren Fehleroffenbarung – keinen Sicherheitsgewinn.[19]
Erhöhung der Sicherheit bei den SBB
2011 haben die SBB beschlossen, mit der Migration zu ETCS zusätzlich zu den bereits ausgerüsteten 3200 Signalen weitere 1700 mit einer Geschwindigkeitsüberwachung (Euro-ZUB) nachzurüsten.[1] Mit einer Risikobewertung wurde entschieden, welche Signalstandorte mit Euro-ZUB statt Euro-Signum ausgerüstet werden[veraltet].[12]
Sicherheitskonzepte der BLS und SOB
Bei der BLS und der Schweizerischen Südostbahn (SOB) war 2014 die Umstellung auf ETCS Level 1 LS mit Geschwindigkeitsüberwachung bereits weit fortgeschritten. Aus Sicht der beiden Privatbahnen hat eine risikoorientierte Ausrüstung den Nachteil, dass sich bei einer betrieblichen Änderung die Risiken schlagartig ändern. Auf Einspurstrecken, wie sie bei BLS und SOB häufig vorkommen, kann bei einer Zugverspätung ein unbedeutender Bahnhof zu einer wichtigen Kreuzungsstelle werden. Zudem erfolgt die Anpassung der Zugbeeinflussung bei Fahrplanänderungen meistens zu spät.[19]
BLS und SOB haben sich entschlossen, sämtliche Zugfahrsignale mit Geschwindigkeitsüberwachung auszurüsten.[19] Bei der BLS handelt es sich um rund 1300 Signale.[1] Wo es als notwendig erscheint, wird die Geschwindigkeitsüberwachung mit einer Abfahrverhinderung ergänzt. Sie gewährleistet, dass vor einem Halt zeigendem Signal der Zug aus dem Stillstand nicht beschleunigen kann. Die Geschwindigkeitsüberwachung umfasst auch Geschwindigkeitsänderungen und Langsamfahrstellen auf offener Strecke.[19]
Netzweiter Einsatz von ETCS Level 2
1 Mattstetten–Rothrist und Solothurn–
Wanzwil (Dezember 2004)
2 Lötschberg-Basistunnel (Dez. 2007)
3 Gotthard-Basistunnel (Dez. 2016)
4 Ceneri-Basistunnel (Dez. 2019)
5 Brunnen (exkl.)–Altdorf–Rynächt
(August 2015)
6 Pollegio Nord–Castione Nord
(Oktober 2015)
7 Pully–Villeneuve (201x)
8 Sion–Sierre (201x)
9 Giubiasco–S.Antonino (Mitte 2018)
10 Roche VD–Vernayaz (2018–2020)
11 Visp–Simplon (2020)
ECTS Level 2 wird im Gotthard-Basistunnel zum Einsatz kommen. Die Zulaufstrecken Brunnen–Altdorf–Rynächt und Pollegio Nord–Castione Nord werden[veraltet] bereits 2015 auf ETCS Level 2 umgerüstet. Der Ceneri-Basistunnel wird[veraltet] ebenfalls mit ETCS Level 2 ausgerüstet.[16]
Weil ab[veraltet] 2018 die Fahrzeuge nur noch mit ETCS ausgerüstet werden, wird[veraltet] sich die Zahl der Fahrzeuge mit ETCS ab diesem Zeitpunkt stetig erhöhen. Das BAV hat im August 2011 entschieden, dass ab 2025 beim Ersatz von Stellwerken nur noch ETCS Level 2 eingesetzt werden soll. Damit erhöht sich die Sicherheit, weil ETCS Level 2 die Geschwindigkeit der Züge permanent überwacht. Auf Strecken mit Güter- und Personenverkehr kann die Kapazität bis 15 Prozent gesteigert werden.[1] Weil ein Außensignal mindestens 6 Sekunden vom Triebfahrzeugführer gesehen werden muss, können auf kurvenreichen Strecken Signale oft erst nach größerer kurvenfreier Distanz installiert werden, was die Streckenkapazität vermindert. Mit ETCS Level 2 fällt dieser Nachteil weg, weil alle Informationen ohne Zeitverzug am Bildschirm angezeigt werden.[12]
Während bisher ETCS Level 2 ausschließlich auf Neubaustrecken eingesetzt wurde, kommt ETCS Level 2 ab 2015 im Zusammenhang mit der Erneuerung von Stellwerken auf verschiedenen Abschnitten der Gotthardstrecke zum Einsatz, womit erstmals weltweit ETCS Level 2 in mittelgrossen Bahnhöfen angewendet wird. Als Vorbereitung auf den netzweiten Einsatz von ETCS Level 2 werden[veraltet] verschiedene Anwendungsfälle auf ihre Betriebtauglichkeit überprüft.
Auf dem Abschnitt Sion–Sierre wird in naher Zukunft erstmals in der Schweiz eine ETCS Level 2-Lösung von Siemens in Betrieb genommen, wozu der Lieferant die Funktion seines elektronischen Stellwerks erweitert.
Auf ETCS Level 2 umgebauten Strecken können nur noch Fahrzeuge mit ETCS-Vollausrüstung verkehren. Seit 2015 können Züge ohne ETCS nicht mehr auf die Gotthard-Bergstrecke gelangen. Deshalb gibt es für auf umgestellten Strecken eingesetzte Fahrzeuge bis Ende 2024 unter bestimmten Bedingungen für die ETCS-Nachrüstung einen günstigeren Trassenpreis.[30] Die ETCS-Vollausrüstung eines Triebfahrzeugs oder Steuerwagens kostet mehrere hunderttausend Franken. Für die Planung und Projektierung kommt pro Fahrzeugtyp ein Betrag in gleicher Größenordnung dazu.[31]
Kritik
Zwischen 2002 und 2007 wurden 610 Millionen Franken in die Beschaffung und Erprobung des Systems investiert. Um das Schweizer Netz der Interoperabilität zu öffnen, werden weitere 300 Millionen Franken für die Ausrüstung des Netzes mit ETCS Level 1 Limited Supervision eingesetzt.[10] Immerhin nähern sich die Preise für eine ETCS-Fahrzeugausrüstung den bisherigen Preisen von ZUB und Integra-Signum an.[1] Einen nennenswerten Sicherheitsgewinn bringt die Umrüstung von Integra-Signum und ZUB auf ETCS L1 LS nicht. Für eine weitere Nachrüstung von 1700 Signalen mit den Funktionen Geschwindigkeitsüberwachung zwischen Vor- und Hauptsignal und Abfahrverhinderung stehen nur 50 Millionen Franken zu Verfügung.[31] Bei den SBB bleiben von rund 11'000 Signalpunkten etwa 6000 ohne Geschwindigkeitsüberwachung.[17][12]
Mit der Umstellung konventioneller Strecken auf ETCS Level 2 wird[veraltet] ab 2015 der Netzzugang für Fahrzeuge ohne ETCS wieder eingeschränkt. Die hohen Kosten einer ETCS-Fahrzeugausrüstung benachteiligen Güterverkehrsunternehmen, die im Wettbewerb mit der Straße stehen. Auch historische Züge können diese Streckenabschnitte nicht mehr befahren.
Obwohl beim Rangieren heute am meisten Unfälle geschehen, wird dieser Bereich von keiner Zugbeeinflussung überwacht. Die Folgen können schwerwiegend sein, wie die Kollision in Thun zwischen einem ICE 1 und zwei BLS Re 465 zeigte. Nur bei der von wenigen Schmalspurbahnen eingesetzten ZSL 90 werden Rangierbewegungen überwacht.[31]
Siehe auch
Einzelnachweise, Anmerkungen
- ↑ a b c d e f Stefan Sommer: ETCS in der Schweiz – Schritt für Schritt zum Ziel. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 7/2013, ISSN 1421-2811, S. 351–353
- ↑ Urs Dolder: Die Einführung der Führerstandssignalisierung bei den SBB. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 8-9/2000, ISSN 1421-2811, S. 354–358
- ↑ Paul Messmer, Christopher Nicca: Die Funkversorgung mit GSM-R für die ETCS-Pilotstrecke Zofingen – Sempach der SBB. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 7/2000, ISSN 1421-2811, S. 310–313
- ↑ Walter von Andrian: Nächtliche Versuchsfahrten mit Führerstandssignalisierung bei den SBB. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 6/2001, ISSN 1421-2811, S. 253 f
- ↑ Walter von Andrian: Führerstandssignalisierung Zofingen–Sempach in Betrieb. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 6/2002, ISSN 1421-2811, S. 276–277
- ↑ Walter von Andrian: Anhaltende Störungen beim FSS-Versuchsbetrieb. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 8-9/2002, ISSN 1421-2811, S. 379
- ↑ Walter von Andrian: Versuchsstrecke für ETCS Level 2 abgeschaltet. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 1/2004, ISSN 1421-2811, S. 36
- ↑ Walter von Andrian: Interoperabilität und ETCS. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 4/2005, ISSN 1421-2811, S. 172–174
- ↑ Walter von Andrian: Neue Verzögerung bei ETCS auf der NBS Mattstetten - Rothrist.. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 1/2007, ISSN 1421-2811, S. 13–14
- ↑ a b Gesamtkosten von 910 Millionen Franken in Tages-Anzeiger Online vom 26. April 2007
- ↑ Hans G. Wägli: Schienennetz Schweiz und Bahnprofil Schweiz CH+, AS Verlag, Zürich, 2010, ISBN 978-3-909111-74-9
- ↑ a b c d e f Bundesamt für Verkehr (BAV): European Train Control System ETCS. Standbericht 2012. Bern, 2012
- ↑ Erhöhung der Tempolimite im Lötschberg-Basistunnel in NZZ Online vom 31. Dezember 2008
- ↑ Walter von Andrian:ETCS-Unfall auf der Lötschberg-Basislinie in Eisenbahn-Revue International, Heft 12/2007, ISSN 1421-2811, S. 584–585
- ↑ Jean Gross: Schlussbericht über die Entgleisung von Güterzug 43647 der BLS AG auf der Weiche 34 (Einfahrt Lötschberg-Basisstrecke). (PDF; 2,3 MB) Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe (UUS), 23. Juni 2008, abgerufen am 20. Juli 2013.
- ↑ a b c d Bundesamt für Verkehr (BAV): ERTMS. Umsetzung im normalspurigen Eisenbahnnetz der Schweiz. Bern, Dezember 2012
- ↑ a b SBB, Walter von Andrian: ETCS L1 LS und Geschwindigkeitsüberwachung bei den SBB. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 11/2011, ISSN 1421-2811, S. 543
- ↑ a b c d e f Walter von Andrian: Von Signum und ZUB zu ETCS Level 1 Limited Supervision. In: Schweizer Eisenbahn-Revue, Heft 4/2010, ISSN 1022-7113, S. 198–199
- ↑ a b c d e f André Schweizer, Christian Schlatter, Urs Guggisberg, Ruedi Hösli: Zugbeeinflussungskonzept sowie Umsetzung der Migration zu ETCS L1 LS bei den normalspurigen Privatbahnen BLS und SOB. In: Schweizer Eisenbahn-Revue. Nr. 3. Minirex, 2015, ISSN 1022-7113, S. 146–149.
- ↑ a b c d e f Bundesamt für Verkehr (BAV): Richtlinie. Zugbeeinflussung im schweizerischen Normalspur-Eisenbahnnetz. Migration von Signum/ZUB. Bern, 2012
- ↑ Folgende Normalspurbahnen und -strecken weisen (gemäß BAV: Richtlinie. Zugbeeinflussung…) keinen oder nur einen beschränkten Netzzugang auf: Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland, Deisswil–Worblaufen und Worblaufen–Oberzollikofen (Dreischienengleise des RBS), Niederbipp–Oberbipp (Dreischienengleis der ASm), Rigi-Bahnen (Zahnradbahn), Rorschach–Heiden (Zahnradstrecke der AB), Stadtbahn Lausanne, Stiftung Museumsbahn Stein am Rhein–Etzwilen–Hemishofen–Ramsen & Rielasingen–Singen, Wohlen–Bremgarten West (Dreischienengleis des BDWM, Abbau geplant)
- ↑ Bei Schattenfahrten läuft bei kommerziell eingesetzten Personen- oder Güterzügen ETCS L1 LS im Hintergrund ohne aktive Eingriffe mit. (BAV: European Train Control System ETCS. Standbericht 2012)
- ↑ Im Internet auf der Webseite des BAV
- ↑ a b Warnung muss nur quittiert werden, die Bremskurve wird nicht überwacht.
- ↑ a b Die Schnellbremsung erfolgt erst beim Signal, der Durchrutschweg reicht nicht aus.
- ↑ Eine punktuelle Geschwindigkeitsüberwachung ist möglich, aber sehr aufwendig. Sie erfolgt nur in Einzelfällen, z. B. bei Kurven nach Tunnelausfahrten.
- ↑ Die Anzahl der Überwachungsbereiche ist begrenzt. Nachher kann nur noch die Höchstgeschwindigkeit des Zuges überwacht werden.
- ↑ a b Kleine Kompromisse bei fehlenden Fahrweginformationen, z. B. bei Gleisharfen.
- ↑ a b Nur mit Schleife oder zusätzlichen Infillbalisen; Die Schleife ist zudem nur für durchfahrende Züge aktiv, da sie über eine Balise aktiviert werden muss
- ↑ Eisenbahn-Netzzugangsverordnung (NZV) Art. 19c
- ↑ a b c Walter von Andrian: Fehlentwicklung bei der Zugsicherung. In: Schweizer Eisenbahn-Revue, Heft 6/2013, ISSN 1022-7113, S. 274