Well You Needn’t und Proto-Indoeuropäer: Unterschied zwischen den Seiten
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'''Well You Needn’t''' ist eine der populärsten Komposition von [[Thelonious Monk]] aus dem Jahr 1944, die sich innerhalb weniger Jahre nach der Veröffentlichung 1947 zum [[Jazz-Standard]] entwickelte. |
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|3=Proto-Indoeuropäer |
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|2=Juli 2010|1=[[Benutzer:Ciciban|Ciciban]] 11:33, 20. Jul. 2010 (CEST)}} |
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==Struktur des Stücks== |
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Als '''Proto-Indoeuropäer''' werden die Sprecher weitgehend exakt rekonstruierbaren proto-[[Indogermanische Ursprache|indogermanischen Ursprache]] und Kultur bezeichnet. Dieses prähistorische Volk soll während der späteren [[Kupfersteinzeit]] bis zur frühen [[Bronzezeit]] existiert haben. |
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Die Komposition „ist [[prototyp]]ischer Monk“<ref name=HJS>Schaal ''Jazz-Standards'' S. 525f.</ref> und in der [[Liedform]] AABA gehalten. Die Melodie des A-Teils „entwickelt sich aus einer einzigen Figur (Takt 1 und 2): Dem gebrochenen F-Dur-Akkord (c-f,-a-c-a-f) folgen zwei markante Bebop-Intervalle, [[Septime|Sept]] und [[Quart]]“. Dieser „Vogelruf“ mit [[Call and Response]] wird weiter dann in Ges in einer weiteren Frage-Antwort-Runde variiert.<ref name=HJS/> Der B-Teil ist eine [[Sequenzierung]] des Themas und eine [[chromatisch]]e Verschiebung der Linie und der Akkorde – zunächst in dreischlägigen Figuren, dann zu einer langen Achtelnotenkette verdichtet. |
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Die litauische Archäologin [[Marija Gimbutas]] formulierte ihre Annahme zur Ausbreitung so: |
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[[Harmonik|Harmonisch]] besteht das Stück nur aus Septimenakkorden, die [[Ganzton|ganztönig]] und chromatisch verschoben werden. Während der A-Teil nur zwischen F-Dur und Ges-Dur pendelt, stehen die Akkorde im B-Teil in einem halbtaktigen Wechsel: G-As-A-B-H-B-A-As-G. Der Endakkord des B-Teils (C7) deutet, falls eine Festlegung möglich ist, auf die Ausgangs[[tonart]] F-Dur.<ref name=HJS/> |
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{{Zitat|Die Indoeuropäisierung war eine sprachliche, eventuell kulturelle und religiöse, aber ''keine physische'' Verschmelzung bzw. Umwandlung.}} |
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== Proto-Indoeuropäer oder Urindogermanen? == |
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==Wirkungsgeschichte== |
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Monk spielte das Stück erstmals Ende 1947 im Trio (für [[Blue Note Records]]) ein, wurde aber in seinen Auftritten erst in den 1960er Jahren zur „Paradenummer“.<ref name=HJS/> [[Miles Davis]] nahm die Komposition bereits 1953 auf; seine bekannteste Interpretation entstand 1956 im Quintett mit [[John Coltrane]], [[Red Garland]], [[Paul Chambers]] und [[Philly Joe Jones]] für [[Prestige Records]]. Nun nehmen auch [[Randy Weston]] und [[Jimmy Smith]] (beide 1956), [[Art Taylor]] (1957), [[Nat Adderley]] (1958), [[Kenny Burrell]] (1959), [[Cannonball Adderley]], [[Johnny Griffin]]/[[Eddie Lockjaw Davis]] (1961), [[Chet Baker]] (1962) und [[Klaus Doldinger]] (1963) das Stück auf. Das Stücke wurde von [[Franco Ambrosetti]] in den [[Bigband]]-Kontext und von [[Poncho Sanchez]] in die [[Salsa (Musik)|Salsa]]musik übertragen, aber auch als [[Fusion (Musik)|Fusion]]nummer (von den [[Lounge Lizards]] und später im [[Hardcore Punk]] von ''Cruel Frederick'') und als Streichquartett (vom [[Kronos Quartet]]) eingerichtet. Auch Avantgardisten wie [[Steve Lacy]], [[Don Pullen]] oder das [[Ethnic Heritage Ensemble]] beschäftigten sich regelmäßig mit der Komposition. |
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In der deutschsprachigen Wissenschaft wird traditionell der Begriff ''indogermanisch'' verwendet. Da die hier sogenannten "Indoeuropäer" zunächst ausschließlich aus sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen zu fordern waren, liegt zur Bezeichnung ein auch sprachwissenschaftlicher Klammerbegriff am nächsten. Also verband man die damals bekannten westlichsten ([[Germanische Sprachen]]) und östlichsten ([[Indoarische Sprachen]]) indogermanischen Sprachgruppen auch in der Benennung der neuen Sprachfamilie. |
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==Versionen mit Text== |
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Es blieb nicht aus, dass zu dem Instrumentaltitel auch Texte entstanden; der bekannteste von [[Mike Ferro]] wurde von [[Carmen McRae]] und von [[Judy Niemack]] gesungen. Auch [[Jamie Cullum]] hat den Song (auf ''Pointless Nostalgic'') interpretiert. |
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Unbestritten bleibt, dass die Begriffe ''indogermanisch'' und ''indoeuropäisch'' in ihrer Verwendung in allen Sprachen gleichbedeutend, d.h. ''[[Synonymie|synonym]]'' sind. |
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* [[Hans-Jürgen Schaal (Jazzautor)|Hans-Jürgen Schaal]] (Hrsg.) ''Jazz-Standards. Das Lexikon''; Bärenreiter, Kassel, 2004 (3. Auflage); ISBN 9783761814147 |
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== Ursprung == |
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Das Entstehungsgebiet der Proto-Indoeuropäer konnte - trotz unzähliger Ansätze - bis heute nicht gesichert nachgewiesen werden. |
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* [http://www.jazzstandards.com/compositions-3/wellyouneednt.htm Songporträt bei ''jazzstandards.com''] |
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Der prominenteste Ansatz ist wohl die u.a. im 20. Jahrhundert durch [[Marija Gimbutas]] vertretene [[Kurgan-Hypothese]], die den Ursprung im südlichen Russland sieht. |
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==Einzelnachweise== |
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<references /> |
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Einen anderen Ansatz verfolgt die [[Schwarzmeer-Überschwemmungs-Hypothese]]. Diese wurde 1996 von William Ryan and Walter Pitman, beides Geologen an der [[Columbia University]], in einem populären Artikel der [[New York Times]] vorgestellt. Laut dieser These lebten die Proto-Indoeuropäer in unmittelbarer Umgebung des prähistorischen Schwarzen Meers. Der Auslöser für die Völkerwanderung der Proto-Indoeuropäer soll eine gigantische Flutkatastrophe gewesen sein. |
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[[Kategorie:Jazz-Titel]] |
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An dieser Stelle muss noch darauf hingewiesen werden, dass es vor allem im frühen 20. Jahrhundert zu zahlreichen abstrusen Mutmaßungen gekommen ist. |
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[[en:Well, You Needn't]] |
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Selbst heute noch wird von nationalistischen Strömungen immer wieder „ihre“ Nation als die wahre [[Urheimat]] propagiert. Beispiele für diese Art der Verklärung findet man im [[Iran]]. So sollen sich die ursprünglichen Arier (im Sinne von Proto-Indoeuropäer) in dessen Hochebenen gebildet und von dort ausgebreitet haben. |
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== Kultur und Religion == |
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In kultureller sowie religiöser Hinsicht ist ebenfalls nur wenig bekannt. Anhand archäologischer Funde sowie der daraus abgeleiteten mutmaßlichen Gesellschaftsformen lässt sich somit lediglich ein grobes (hypothetisches) Bild skizzieren. |
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Die Proto-Indoeuropäer bildeten wahrscheinlich [[Patrilinearität|patrilineare]] Gemeinschaften, welche vorwiegend halbnomadisch lebten. Vermutlich hielten sie domestizierte Tiere wie Hausrind (vgl. im Folgenden Nom.Sg. *gʷṓw -s) und Schaf (Nom.Sg. *h₃éw -i -s). Als weitgehend erhärtet gilt, dass die Proto-Indoeuropäer auch die Domestizierung des Pferdes (*h₁ék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *h₁ek̑ 'schnell'; außerhalb des Anatolischen thematisiert zu *h₁ék̑-wo-) kannten. Eine zentrale Rolle innerhalb ihrer Mythologie, Religion aber auch des alltäglichen Lebens, spielten wohl Rinder (onomatopoetische Wurzel *gʷow als Nachahmung des Muh-Lauts; Nom.Sg. *gʷṓw -s, Akk.Sg. *gʷów -m̥, Gen.Abl.Sg. *gʷow- és). Der „Wert“ und die soziale Stellung eines Mannes wurden beispielsweise anhand der Anzahl seiner Tiere gemessen, was unter anderem in der [[Lateinische Sprache|Lateinischen Sprache]] ersichtlich wird, in der sich das Wort für Geld (lat. ''pecūnia'') aus dem Wort für Vieh (lat. ''pecū'') ableitet. Das lateinische Wort ''pecū'' ist mit nhd. ''Vieh'' ([[Althochdeutsch|ahd.]] noch ''fihu'', gotisch ''faíhu'', aus *pék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *pek̑ 'rupfen'; = noch in der "Geld"-Bedeutung ne. ''fee'' 'Gebühr') verwandt. Auf frühdatierten Goldmünzfunden der Antike sind noch Abbilder von Nutztieren zu sehen. |
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Des Weiteren praktizierten die Proto-Indoeuropäer eine [[Polytheismus|polytheistische]] Religion. In deren Mittelpunkt standen vermutlich [[Opfer (Religion)|Opfer-Riten]], welche durch eine Priester-Kaste vollzogen wurde. Die [[Kurgan-Hypothese]] erwägt Bestattungen vorwiegend in [[Hügelgrab|Hügelgräbern]], teilweise aber auch in Steingräbern. Einflussreiche Anführer wurden mit ihrem Eigentum, möglicherweise gar mit bestimmten Familienmitgliedern, wie ihren Frauen, beigesetzt ([[Sati]], [[Menschenopfer]]). |
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Außerdem gibt es Hinweise auf sakrale [[Königtum|Königtümer]], in welchen der Stammesführer gleichzeitig die Rolle eines hohen Priesters einnahm. Viele spätere, indoeuropäische Ethnien kannten eine Art „Dreiteilung“ ihrer Gemeinschaften, so gab es einen [[Klerus]], eine Kriegerklasse, sowie einfache Bauern. Diese Ansicht wurde in erster Linie vom renommierten französischen Religionswissenschaftler [[Georges Dumézil]] in dieser Weise vertreten. |
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Werkzeuge und Waffen wurden aus [[Bronze]] gefertigt, [[Silber]] und [[Gold]] waren bekannt. Schafe hielt man um Wolle zu gewinnen, welche der Fertigung von Bekleidungsstücken diente. Hergestellt wurden diese mittels Webtechniken. Das Rad wurde nachweislich bei einfachen [[Ochsenkarren]] eingesetzt. Spätere Generationen entwickelten diese zu [[Streitwagen]] weiter, welche zu jener Zeit wohl als große Neuerung in der Kriegsführung galten. |
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Die ursprüngliche Eigenbezeichnung der Proto-Indoeuropäer konnte bisher nicht rekonstruiert werden. Vermutet wird eine [[Etymologie|etymologische]] Verwandtschaft zu „aryo-“, inwiefern diese mit „[[Arier]]“ in Verbindung gebracht werden darf oder kann ist Gegenstand der Forschung. |
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== Zusammenfassung == |
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Die Proto-Indoeuropäer gelten als eine hypothetische Gruppe, welche vermutlich um ca. 4000 v. Chr. existiert hat. |
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Basierend auf der Rekonstruktion ihrer Sprache und archäologischen Funden können einige Merkmale ihrer Kultur teilweise festgestellt werden: |
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* Sie besaßen ein [[Patrilinearität|patrilineares]] Verwandtschaftsystem, das um die [[Vater]]linie herum organisiert war. |
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* Sie verehrten mindestens einen Gott, vermutlich ''*diwós ph<sub>2</sub>tḗr'' (lit. „Himmelsvater“), daneben existierten wahrscheinlich noch weitere Gottheiten. |
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* Sie glaubten, dass Geister sie heimsuchen kommen könnten. |
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* Sie verfassten möglicherweise bereits Lieder sowie [[Epos|Epen]], welche wohl hauptsächlich von „unsterblichem Ruhm“ handelten. |
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* Sie züchteten Vieh. |
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* Sie bauten vermutlich [[Karre]]n mit massiven, aber nicht [[Speiche (Fahrrad)|gespeichten]] Rädern, wie diese bei späteren Streitwagen vorkamen. |
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* Sie hielten Sklaven, die sie ähnlich dem Vieh als Eigentum betrachteten. |
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* Sie lebten in einem Klimabereich, in dem auch Schnee vorkam, was auch einige Gegenden Afrikas nicht ausschließt. |
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Andere Feststellungen gelten als weniger sicher: |
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* Sie hatten vermutlich eine halbnomadische oder [[Nomade|nomadische]] Lebensweise. |
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* Sie ritten Pferde; dies ist umstritten, weil es kein gemein-indogermanisches Verb für „reiten“ gibt. |
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* Sie lebten am nördlichen oder nordöstlichen Ufer des [[Schwarzes Meer|Schwarzen Meeres]]. |
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* Sie waren mit großen Seen, jedoch nicht mit Ozeanen vertraut. |
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== Siehe auch == |
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* [[Indogermanische Ursprache]] / [[Indogermanische Wortwurzeln]] |
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* [[Indogermanische Religion]] |
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* [[Historische Linguistik]] |
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* [[Europäische Vor- und Frühgeschichte]] |
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* [[Urheimat]] |
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* [[Kurgan (Grabhügel)]] |
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* [[Arier]] |
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* David W. Anthony: ''The Horse, the Wheel and Language. How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World.'' Princeton University Press, Princeton NJ u. a. 2007, ISBN 978-0-691-05887-0. |
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* Quentin Atkinson, Geoff Nicholls, David Welch, Russell Gray: ''From Words to Dates: Water into wine, mathemagic or phylogenetic inference?'' In: ''Transactions of the Philological Society.'' Bd. 103, Nr. 2, 2005, {{ISSN|0079-1636}}, S. 193–219, {{doi|10.1111/j.1467-968X.2005.00151.x}}, [http://www.fos.auckland.ac.nz/~quentinatkinson/Quentin_Atkinsons_Website/Publications_files/Atkinsonetal2005.pdf online (PDF; 322 KB)]. |
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* [[Luigi Luca Cavalli-Sforza]]: ''Genes, Peoples, and Languages.'' In: ''[[Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America]].'' Bd. 94, Nr. 15, 1997, S. 7719–7724, [http://www.pnas.org/content/94/15/7719.full online]. |
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* Russell D. Gray, Quentin D. Atkinson: ''Language-tree divergence times support the Anatolian theory of Indo-European origin.'' In: ''[[Nature]].'' Bd. 426, Nr. 6965, 2003, S. 435–439, {{doi|10.1038/nature02029}}, [https://researchspace.auckland.ac.nz/bitstream/handle/2292/10655/nature02029.pdf%3Fsequence%3D3 online (PDF; 364 KB)]. |
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* Hans J. Holm: ''The new Arboretum of Indo-European „Trees“. Can new Algorithms Reveal the Phylogeny and even Prehistory of IE?'' In: ''Journal of Quantitative Linguistics.'' Bd. 14, Nr. 2/3, 2007, {{ISSN|0929-6174}}, S. 167–214, {{doi|10.1080/09296170701378916}}. |
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* James P. Mallory: ''In search of the Indo-Europeans. Language, archaeology and myth.'' Thames and Hudson, London 1989, ISBN 0-500-05052-X. |
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* Alberto Piazza, Luigi Cavalli Sforza: ''Diffusion of genes and languages in human evolution.'' In: Angelo Cangelosi, Andrew D.M. Smith, Kenny Smith (Hrsg.): ''The Evolution of Language. Proceedings of the 6th International Conference (EVOLANG6), Rome, Italy, 12 – 15 April 2006.'' World Scientific, Hackensack NJ u. a. 2006, ISBN 981-256-656-2, S. 255–266, [http://groups.lis.illinois.edu/amag/langev/paper/piazza06evolang.html online], abgerufen am 21. November 2013. |
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* [[Colin Renfrew]]: ''Archaeology and Language. The Puzzle of the Indo-European Origins.'' Jonathan Cape, London 1987, ISBN 0-224-02495-7. |
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* [[Bryan Sykes]]: ''The seven daughters of Eve.'' Bantam Press, London u. a. 2001, ISBN 0-593-04757-5. |
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* Calvert Watkins: ''How to Kill a Dragon. Aspects of Indo-European Poetics.'' Oxford University Press, New York NY u. a. 1995, ISBN 0-19-508595-7. |
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* Spencer Wells: ''The Journey of Man. A Genetic Odyssey.'' Princeton University Press, Princeton NJ 2002, ISBN 0-691-11532-X. |
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== Weblinks == |
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* [http://www.iras.ucalgary.ca/~volk/sylvia/Kurgans.htm Kurgan culture] (englisch) |
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[[Kategorie:Archäologische Kultur (Kupfersteinzeit)]] |
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[[Kategorie:Archäologische Kultur (Bronzezeit)]] |
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[[Kategorie:Archäologische Kultur (Europa)]] |
Version vom 22. Juli 2014, 00:12 Uhr
Als Proto-Indoeuropäer werden die Sprecher weitgehend exakt rekonstruierbaren proto-indogermanischen Ursprache und Kultur bezeichnet. Dieses prähistorische Volk soll während der späteren Kupfersteinzeit bis zur frühen Bronzezeit existiert haben.
Die litauische Archäologin Marija Gimbutas formulierte ihre Annahme zur Ausbreitung so:
„Die Indoeuropäisierung war eine sprachliche, eventuell kulturelle und religiöse, aber keine physische Verschmelzung bzw. Umwandlung.“
Proto-Indoeuropäer oder Urindogermanen?
In der deutschsprachigen Wissenschaft wird traditionell der Begriff indogermanisch verwendet. Da die hier sogenannten "Indoeuropäer" zunächst ausschließlich aus sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen zu fordern waren, liegt zur Bezeichnung ein auch sprachwissenschaftlicher Klammerbegriff am nächsten. Also verband man die damals bekannten westlichsten (Germanische Sprachen) und östlichsten (Indoarische Sprachen) indogermanischen Sprachgruppen auch in der Benennung der neuen Sprachfamilie.
Unbestritten bleibt, dass die Begriffe indogermanisch und indoeuropäisch in ihrer Verwendung in allen Sprachen gleichbedeutend, d.h. synonym sind.
Ursprung
Das Entstehungsgebiet der Proto-Indoeuropäer konnte - trotz unzähliger Ansätze - bis heute nicht gesichert nachgewiesen werden.
Der prominenteste Ansatz ist wohl die u.a. im 20. Jahrhundert durch Marija Gimbutas vertretene Kurgan-Hypothese, die den Ursprung im südlichen Russland sieht.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Schwarzmeer-Überschwemmungs-Hypothese. Diese wurde 1996 von William Ryan and Walter Pitman, beides Geologen an der Columbia University, in einem populären Artikel der New York Times vorgestellt. Laut dieser These lebten die Proto-Indoeuropäer in unmittelbarer Umgebung des prähistorischen Schwarzen Meers. Der Auslöser für die Völkerwanderung der Proto-Indoeuropäer soll eine gigantische Flutkatastrophe gewesen sein.
An dieser Stelle muss noch darauf hingewiesen werden, dass es vor allem im frühen 20. Jahrhundert zu zahlreichen abstrusen Mutmaßungen gekommen ist.
Selbst heute noch wird von nationalistischen Strömungen immer wieder „ihre“ Nation als die wahre Urheimat propagiert. Beispiele für diese Art der Verklärung findet man im Iran. So sollen sich die ursprünglichen Arier (im Sinne von Proto-Indoeuropäer) in dessen Hochebenen gebildet und von dort ausgebreitet haben.
Kultur und Religion
In kultureller sowie religiöser Hinsicht ist ebenfalls nur wenig bekannt. Anhand archäologischer Funde sowie der daraus abgeleiteten mutmaßlichen Gesellschaftsformen lässt sich somit lediglich ein grobes (hypothetisches) Bild skizzieren.
Die Proto-Indoeuropäer bildeten wahrscheinlich patrilineare Gemeinschaften, welche vorwiegend halbnomadisch lebten. Vermutlich hielten sie domestizierte Tiere wie Hausrind (vgl. im Folgenden Nom.Sg. *gʷṓw -s) und Schaf (Nom.Sg. *h₃éw -i -s). Als weitgehend erhärtet gilt, dass die Proto-Indoeuropäer auch die Domestizierung des Pferdes (*h₁ék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *h₁ek̑ 'schnell'; außerhalb des Anatolischen thematisiert zu *h₁ék̑-wo-) kannten. Eine zentrale Rolle innerhalb ihrer Mythologie, Religion aber auch des alltäglichen Lebens, spielten wohl Rinder (onomatopoetische Wurzel *gʷow als Nachahmung des Muh-Lauts; Nom.Sg. *gʷṓw -s, Akk.Sg. *gʷów -m̥, Gen.Abl.Sg. *gʷow- és). Der „Wert“ und die soziale Stellung eines Mannes wurden beispielsweise anhand der Anzahl seiner Tiere gemessen, was unter anderem in der Lateinischen Sprache ersichtlich wird, in der sich das Wort für Geld (lat. pecūnia) aus dem Wort für Vieh (lat. pecū) ableitet. Das lateinische Wort pecū ist mit nhd. Vieh (ahd. noch fihu, gotisch faíhu, aus *pék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *pek̑ 'rupfen'; = noch in der "Geld"-Bedeutung ne. fee 'Gebühr') verwandt. Auf frühdatierten Goldmünzfunden der Antike sind noch Abbilder von Nutztieren zu sehen.
Des Weiteren praktizierten die Proto-Indoeuropäer eine polytheistische Religion. In deren Mittelpunkt standen vermutlich Opfer-Riten, welche durch eine Priester-Kaste vollzogen wurde. Die Kurgan-Hypothese erwägt Bestattungen vorwiegend in Hügelgräbern, teilweise aber auch in Steingräbern. Einflussreiche Anführer wurden mit ihrem Eigentum, möglicherweise gar mit bestimmten Familienmitgliedern, wie ihren Frauen, beigesetzt (Sati, Menschenopfer).
Außerdem gibt es Hinweise auf sakrale Königtümer, in welchen der Stammesführer gleichzeitig die Rolle eines hohen Priesters einnahm. Viele spätere, indoeuropäische Ethnien kannten eine Art „Dreiteilung“ ihrer Gemeinschaften, so gab es einen Klerus, eine Kriegerklasse, sowie einfache Bauern. Diese Ansicht wurde in erster Linie vom renommierten französischen Religionswissenschaftler Georges Dumézil in dieser Weise vertreten.
Werkzeuge und Waffen wurden aus Bronze gefertigt, Silber und Gold waren bekannt. Schafe hielt man um Wolle zu gewinnen, welche der Fertigung von Bekleidungsstücken diente. Hergestellt wurden diese mittels Webtechniken. Das Rad wurde nachweislich bei einfachen Ochsenkarren eingesetzt. Spätere Generationen entwickelten diese zu Streitwagen weiter, welche zu jener Zeit wohl als große Neuerung in der Kriegsführung galten.
Die ursprüngliche Eigenbezeichnung der Proto-Indoeuropäer konnte bisher nicht rekonstruiert werden. Vermutet wird eine etymologische Verwandtschaft zu „aryo-“, inwiefern diese mit „Arier“ in Verbindung gebracht werden darf oder kann ist Gegenstand der Forschung.
Zusammenfassung
Die Proto-Indoeuropäer gelten als eine hypothetische Gruppe, welche vermutlich um ca. 4000 v. Chr. existiert hat.
Basierend auf der Rekonstruktion ihrer Sprache und archäologischen Funden können einige Merkmale ihrer Kultur teilweise festgestellt werden:
- Sie besaßen ein patrilineares Verwandtschaftsystem, das um die Vaterlinie herum organisiert war.
- Sie verehrten mindestens einen Gott, vermutlich *diwós ph2tḗr (lit. „Himmelsvater“), daneben existierten wahrscheinlich noch weitere Gottheiten.
- Sie glaubten, dass Geister sie heimsuchen kommen könnten.
- Sie verfassten möglicherweise bereits Lieder sowie Epen, welche wohl hauptsächlich von „unsterblichem Ruhm“ handelten.
- Sie züchteten Vieh.
- Sie bauten vermutlich Karren mit massiven, aber nicht gespeichten Rädern, wie diese bei späteren Streitwagen vorkamen.
- Sie hielten Sklaven, die sie ähnlich dem Vieh als Eigentum betrachteten.
- Sie lebten in einem Klimabereich, in dem auch Schnee vorkam, was auch einige Gegenden Afrikas nicht ausschließt.
Andere Feststellungen gelten als weniger sicher:
- Sie hatten vermutlich eine halbnomadische oder nomadische Lebensweise.
- Sie ritten Pferde; dies ist umstritten, weil es kein gemein-indogermanisches Verb für „reiten“ gibt.
- Sie lebten am nördlichen oder nordöstlichen Ufer des Schwarzen Meeres.
- Sie waren mit großen Seen, jedoch nicht mit Ozeanen vertraut.
Siehe auch
- Indogermanische Ursprache / Indogermanische Wortwurzeln
- Indogermanische Religion
- Historische Linguistik
- Europäische Vor- und Frühgeschichte
- Urheimat
- Kurgan (Grabhügel)
- Arier
Literatur
- David W. Anthony: The Horse, the Wheel and Language. How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton NJ u. a. 2007, ISBN 978-0-691-05887-0.
- Quentin Atkinson, Geoff Nicholls, David Welch, Russell Gray: From Words to Dates: Water into wine, mathemagic or phylogenetic inference? In: Transactions of the Philological Society. Bd. 103, Nr. 2, 2005, ISSN 0079-1636, S. 193–219, doi:10.1111/j.1467-968X.2005.00151.x, online (PDF; 322 KB).
- Luigi Luca Cavalli-Sforza: Genes, Peoples, and Languages. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Bd. 94, Nr. 15, 1997, S. 7719–7724, online.
- Russell D. Gray, Quentin D. Atkinson: Language-tree divergence times support the Anatolian theory of Indo-European origin. In: Nature. Bd. 426, Nr. 6965, 2003, S. 435–439, doi:10.1038/nature02029, online (PDF; 364 KB).
- Hans J. Holm: The new Arboretum of Indo-European „Trees“. Can new Algorithms Reveal the Phylogeny and even Prehistory of IE? In: Journal of Quantitative Linguistics. Bd. 14, Nr. 2/3, 2007, ISSN 0929-6174, S. 167–214, doi:10.1080/09296170701378916.
- James P. Mallory: In search of the Indo-Europeans. Language, archaeology and myth. Thames and Hudson, London 1989, ISBN 0-500-05052-X.
- Alberto Piazza, Luigi Cavalli Sforza: Diffusion of genes and languages in human evolution. In: Angelo Cangelosi, Andrew D.M. Smith, Kenny Smith (Hrsg.): The Evolution of Language. Proceedings of the 6th International Conference (EVOLANG6), Rome, Italy, 12 – 15 April 2006. World Scientific, Hackensack NJ u. a. 2006, ISBN 981-256-656-2, S. 255–266, online, abgerufen am 21. November 2013.
- Colin Renfrew: Archaeology and Language. The Puzzle of the Indo-European Origins. Jonathan Cape, London 1987, ISBN 0-224-02495-7.
- Bryan Sykes: The seven daughters of Eve. Bantam Press, London u. a. 2001, ISBN 0-593-04757-5.
- Calvert Watkins: How to Kill a Dragon. Aspects of Indo-European Poetics. Oxford University Press, New York NY u. a. 1995, ISBN 0-19-508595-7.
- Spencer Wells: The Journey of Man. A Genetic Odyssey. Princeton University Press, Princeton NJ 2002, ISBN 0-691-11532-X.
Weblinks
- Kurgan culture (englisch)