Landschellenberg und Andrzej Szczypiorski: Unterschied zwischen den Seiten
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'''Landschellenberg''' (bis 1911: ''Schellenberg Land'') ist seit 1969 ein Ortsteil der Gemeinde [[Marktschellenberg]] im [[Oberbayern|oberbayerischen]] [[Landkreis Berchtesgadener Land]]. |
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'''Andrzej Szczypiorski''' [{{IPA|'andʒɛɪ̯ ʃʧɨ'pʲɔrski}}] {{Audio|Pl-Andrzej_Szczypiorski.ogg|anhören}} (* [[3. Februar]] [[1928]] in [[Warschau]]; † [[16. Mai]] [[2000]] ebenda) war ein polnischer [[Schriftsteller]], der nicht nur durch sein literarisches, sondern auch durch sein politisches Engagement Bedeutung erlangte. |
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== Leben == |
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[[Datei:Andrzej Szczypiorski grave.JPG|miniatur|hochkant|Szczypiorskis Grab in Warschau]] |
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Szczypiorskis Werk erklärt sich aus seinem Lebensweg: Aufgewachsen in einer vom Bildungsbürgertum geprägten Familie, erlebte er als 15-Jähriger, wie [[Deutsche Besetzung Polens 1939–1945|Deutsche Polen besetzten]]. Während dieser Zeit studierte er an der Untergrunduniversität, die sein Vater Adam, ein sozialistischer Historiker und Mathematiker, mitorganisierte. 1944 nahm Andrzej Szczypiorski am [[Warschauer Aufstand]] teil, wurde gefangengenommen und im [[KZ Sachsenhausen]] interniert. |
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Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Journalist, 1955 begann er seine literarische Tätigkeit. Unter dem Pseudonym ''Maurice S. Andrews'' schrieb er einige [[Kriminalroman]]e. Ab 1977 veröffentlichte er zunehmend in Oppositionszeitungen, und war in dem oppositionellen [[Komitee zur Verteidigung der Arbeiter]] aktiv, was nach [[Kriegsrecht in Polen 1981–1983|Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981]] zu seiner zeitweiligen Internierung führte. |
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== Lage und Gliederung == |
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Nach der [[Wende (Polen)|politischen Wende in Polen]] 1989 bekleidete er als Vertreter der ''[[Unia Demokratyczna]]'' bis 1991 das Amt eines [[Senat]]ors in der [[Polnischer Senat|zweiten Kammer des polnischen Parlaments]]. 1989 wurde ihm der [[Nelly-Sachs-Preis]] und 1995 der [[Andreas-Gryphius-Preis]] verliehen. Bis zu seinem Tode im Jahr 2000 äußerte er sich immer wieder zur politischen und moralischen Entwicklung der [[Dritte Polnische Republik|Dritten Polnischen Republik]]. |
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Die vor 1969 eigenständige Gemeinde ''Landschellenberg'' umfasste die frühere „[[Gnotschaft|Urgnotschaft]]“ und ehemals ebenfalls eigenständige Gemeinde [[Ettenberg (Marktschellenberg)|Ettenberg]] mit den [[Gnotschaft]]sbezirken [[Vorderettenberg]] und [[Hinterettenberg (Marktschellenberg)|Hinterettenberg]] sowie die Gnotschaftsbezirke bzw. Ortsteile [[Götschen (Marktschellenberg)|Götschen]], [[Schaden (Marktschellenberg)|Schaden]], [[Schneefelden (Marktschellenberg)|Schneefelden]] und [[Unterstein (Marktschellenberg)|Unterstein]]. |
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Die neusten Forschungen des polnischen [[Institut für Nationales Gedenken|Institutes für Nationales Gedenken]] (IPN), das sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Herrschaft in Polen befasst, haben erbracht, dass Szczypiorski seit 1955 mit dem polnischen Staatssicherheitsdienst [[Służba Bezpieczeństwa]] zusammengearbeitet hat. Die Details dieser Zusammenarbeit wurden im Film von Grzegorz Braun ''Errata do biografii'' (''Korrektur zur Biographie'') aus dem Jahr 2007 vorgestellt. |
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== Geschichte == |
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1803 wurde die [[Fürstpropstei Berchtesgaden]] aufgelöst und das Berchtesgadener Land verlor damit seine politische Eigenständigkeit. Nach drei kurz hintereinander folgenden Herrschaftswechseln wurden 1810 dessen Gebiet und seine Ortschaften dem [[Königreich Bayern]] angegliedert und aus dem Hauptort ''Schellenberg Markt'' und den Gnotschaften ''[[Ettenberg (Marktschellenberg)|Ettenberg]]'' und ''Scheffau'' gingen die selbständigen politischen Gemeinden ''Schellenberg Markt'', ''Schellenberg Land'', ''Ettenberg'' und ''[[Scheffau (Marktschellenberg)|Scheffau]]'' hervor.<ref name="Sternfeld145">Joseph Ernst von Koch-Sternfeld: [http://books.google.com/books?id=inNBAAAAcAAJ&pg=PA20&dq=Otto+von+Tanner+propst+berchtesgaden&hl=de&ei=FDk1ToLXEYzLsgaSsJW5Ag&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=2&sqi=2&ved=0CDIQ6AEwAQ#v=onepage&q=zweyten%20h%C3%A4lfte&f=false ''Geschichte des Fürstenthums Berchtesgaden und seiner Salzwerke'']. Band 2, ab S. 145 f.</ref><br /> |
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→ ''Siehe zu diesem Absatz auch Abschnitte: [[Fürstpropstei Berchtesgaden#Geschichte|Geschichte]] in [[Fürstpropstei Berchtesgaden]]'' |
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== Werk == |
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Der ab 1818 neu entstandenen Gemeinde "Schellenberg Land" wurden zwei Gnotschaftsbezirke der ''Gemeinde Scheffau'' angegliedert, nämlich ''Götschen'' und ''Unterstein''.<ref name="Sternfeld145">Joseph Ernst von Koch-Sternfeld: [http://books.google.com/books?id=inNBAAAAcAAJ&pg=PA20&dq=Otto+von+Tanner+propst+berchtesgaden&hl=de&ei=FDk1ToLXEYzLsgaSsJW5Ag&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=2&sqi=2&ved=0CDIQ6AEwAQ#v=onepage&q=zweyten%20h%C3%A4lfte&f=false ''Geschichte des Fürstenthums Berchtesgaden und seiner Salzwerke'']. Band 2, ab S. 145 f.</ref> |
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Seine mit vielen Leiden verbundenen Erlebnisse während des Weltkrieges verarbeitete Andrzej Szczypiorski in seinen Werken, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf seine Heimatstadt [[Warschau]] legte. Das Warschau der Vorkriegszeit erscheint als die schöne – auch vom [[Judentum]] geprägte – Vergangenheit, die dann von der deutschen Besatzungsmacht zerstört wurde. Da [[Gott]] in dieser Zeit nicht eingegriffen habe, schloss er auf die grundsätzliche Abwesenheit Gottes in der Geschichte. Szczypiorski setzte sich schon früh für die deutsch-polnische Aussöhnung ein, da er – tief mit der [[Deutsche Literatur|deutschen Literatur]] verbunden – die Deutschen, die er als Unterdrücker und Mörder erlebt hatte, nicht nur verurteilte. 1990 wurde er mit dem [[Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken]] ausgezeichnet, 1995 erhielt er für seine Bemühungen um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen das [[Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland|Große Verdienstkreuz mit Stern]] der Bundesrepublik Deutschland. 1998 war er Dozent im Rahmen der [[Tübinger Poetik-Dozentur]]. |
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Andrzej Szczypiorskis bekanntestes Werk ist der 1986 erschienene Roman ''Początek'' (deutsch: ''Der Anfang''), der in Deutschland unter dem Titel ''[[Die schöne Frau Seidenman]]'' veröffentlicht wurde. Hier schildert Szczypiorski verschiedene Schicksale – von Opfern und Tätern – in den Jahren 1941–43 in Warschau in kleinen, unabhängig voneinander stattfindenden Episoden. Dabei wirkt er keineswegs moralisierend oder schuldzuweisend, auch versäumt er es nicht, Brücken in die Gegenwart zu schlagen und das Verhalten der Protagonisten in der Zukunft, im sozialistischen Polen zu hinterfragen. So wird die jüdische ''Heldin'', die den Krieg überlebt, 1968 selbst Opfer [[März-Unruhen 1968 in Polen|antisemitischer Politik polnischer Kommunisten]]. |
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1911 erfolgte die Umbenennung in ''Landschellenberg'', und am 1. März 1911 kamen noch von der Gemeinde [[Ettenberg (Marktschellenberg)|Ettenberg]] die Gnotschaftsbezirke ''Vorder-'' und ''Hinterettenberg'', ''Schaden'' und ''Schneefelden'' zur Gemeinde hinzu. |
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Die „[[Heilige Messe|Messe]] für die Stadt [[Arras]]“ - erschienen 1971 - wird von dem [[Gent]]er [[Fürstbischof]] David zelebriert, an sie schließt sich ein großes Volksfest des Vergessens und Verdrängens an. Mit der Messe verbunden ist einerseits die Annullierung aller gegen Hexen und Ketzer gefällten Todesurteile und andererseits die pragmatische Begnadigung ihrer Verfolger, die unter der Führung des Stadtoberhauptes von Arras, des christlichen Fanatikers Pater Albert, gewütet hatten. |
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Noch vor der allgemeinen [[Gebietsreform in Bayern]] wurde die Gemeinde ''Landschellenberg'' zusammen mit ''Marktschellenberg'' und ''Scheffau'' am 1. Oktober 1969 zur neuen Gemeinde „Marktschellenberg“ zusammengeschlossen. |
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Vorausgegangen war eine Pestepidemie in der Stadt, in deren Folge die Bürger in religiösen Wahn verbunden mit Hexenverfolgung, Menschenverbrennung, Kannibalismus und [[Judenpogrom]]en verfielen. Jean, der in der Stadt als Helfer Pater Alberts diese Geschehnisse teils fördert, teils kühl registriert, wendet sich zum Schluss von Arras und David ab und sucht in [[Brügge]] eine neue „beste aller Welten“, in der Rückschau dem Rat der Stadt und dem Leser von seinen Zweifeln berichtend: „Also, diese ganze ungeheuerliche gemeine Sünde soll sich nun als ein Nichts herausstellen und diese ganze Grausamkeit als Bagatelle?“ |
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== Wirkung == |
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Seit 2000 wird von der ''Polska Fundacja Dzieci i Młodzieży'', deren Präsident er war, im Gedenken an ihn der ''Andrzej-Szczypiorski-Preis'' (pl.: ''nagroda im. Andrzeja Szczypiorskiego'') vergeben. Er wird an Menschen vergeben, die den ''größten positiven Einfluss auf ihre soziale Umgebung'' hatten. Der erste Preis ging 2000 an [[Marzena Łotys]], die Präsidentin von ''Stowarzyszenie „Edukacja Inaczej“''. |
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Im Oktober 2006 wurde mit dem [[Haus Szczypiorski]] in unmittelbarer Nähe zum [[KZ Sachsenhausen]] eine internationale Jugendbegegnungsstätte eröffnet, die sich die Begegnung und Verständigung mit Polen zum Hauptziel gesetzt hat. Das Haus Szczypiorski befindet sich in der ehemaligen Dienstvilla von [[Schutzstaffel|SS-Offizier]] [[Theodor Eicke]], der verschiedene leitende Positionen in [[Konzentrationslager]]n ausübte.<ref>[http://www.lr-online.de/regionen/brandenburg/art25,1416080.html?fCMS=2d08c7604c7fe80e581ea79b58205c4e ''Für ein tolerantes Miteinander'']. In: ''[[Lausitzer Rundschau]]'', 20. Oktober 2006.</ref> |
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== Bibliographie == |
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Die deutschsprachigen Ausgaben wurden alle im [[Diogenes Verlag]], Zürich, publiziert. Unten sind die aktuellen [[ISBN]] angeführt. |
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* ''Die schöne Frau Seidenman'', Zürich 1988, ISBN 978-3-257-21945-6 |
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* ''Amerikanischer Whiskey'', Zürich 1989, ISBN 978-3-257-22415-3 |
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* ''Notizen zum Stand der Dinge'', Zürich 1990, ISBN 978-3-257-22565-5 |
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* ''Nacht, Tag und Nacht'', Zürich 1991, ISBN 978-3-257-22635-5 |
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* ''Der Teufel im Graben'', Zürich 1993, ISBN 978-3-257-22739-0 |
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* ''Selbstporträt mit Frau'', Zürich 1994, ISBN 978-3-257-22871-7 |
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* ''Den Schatten fangen'', Zürich 1995, ISBN 978-3-257-22789-5 |
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* ''Europa ist unterwegs''. Essays und Reden, Zürich 1996, ISBN 978-3-257-06123-9 |
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* ''Feuerspiele'', Zürich 2000, ISBN 978-3-257-23327-8 |
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* ''Eine Messe für die Stadt Arras'', Zürich 2000, ISBN 978-3-257-22414-6 |
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Anderen Ortes veröffentlicht: |
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* ''Festreden zu den Europäischen Wochen 1995/1996. Europas Geist'' (zus. mit [[Pavel Kohout]]), Passau 1996, ISBN 978-3-9805575-0-4 |
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* ''Pistole und Würde. Texte zum 6. Würth-Literaturpreis'', Konkursbuch, Tübingen 1999, ISBN 978-3-88769-143-1 |
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Beiträge erschienen in: |
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* ''Über die Grenzen hinaus''. Vierte Vortragsreihe der Handwerkskammer Koblenz, Koblenz 1992, ISBN 978-3-924871-14-7 |
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* ''Die Verführungskraft des Totalitären''. [[Saul Friedländer]], [[Hans Maier (Politiker)|Hans Maier]], [[Jens Reich]] und Andrzej Szczypiorski auf dem Hannah-Arendt-Forum 1997 in Dresden, ISBN 978-3-931648-11-4 |
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* ''Die Geschichte ist nicht zuende! Gespräche über die Zukunft des Menschen und Europas'', hg. v. Hans-Jürgen Heinrichs, [[Passagen Verlag]], Wien 1999, ISBN 978-3-85165-387-8 |
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* ''Über Tugend und Werte''. Beiträge von Andrzej Szczypiorski, Bozena Choluj und Heinrich Olschowsky, Lang, Frankfurt am Main 2002, ISBN 978-3-631-39541-7 |
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== Literatur == |
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* [[Marta Kijowska]]: ''Der letzte Gerechte. Andrzej Szczypiorski'', Aufbau-Verlag, Berlin 2003. |
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** Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel: ''Andrzej Szczypiorski. Eine Biographie'', Diogenes, Zürich 2006, ISBN 978-3-257-23563-0. |
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== Weblinks == |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie:Ort im Landkreis Berchtesgadener Land]] |
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|NAME=Szczypiorski, Andrzej |
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[[Kategorie:Ehemalige Gemeinde (Landkreis Berchtesgadener Land)]] |
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|KURZBESCHREIBUNG=polnischer Schriftsteller |
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|GEBURTSDATUM=3. Februar 1928 |
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|GEBURTSORT=[[Warschau]] |
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|STERBEDATUM=16. Mai 2000 |
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|STERBEORT=[[Warschau]] |
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Version vom 21. Juli 2014, 19:36 Uhr
Andrzej Szczypiorski [3. Februar 1928 in Warschau; † 16. Mai 2000 ebenda) war ein polnischer Schriftsteller, der nicht nur durch sein literarisches, sondern auch durch sein politisches Engagement Bedeutung erlangte.
] (*Leben
Szczypiorskis Werk erklärt sich aus seinem Lebensweg: Aufgewachsen in einer vom Bildungsbürgertum geprägten Familie, erlebte er als 15-Jähriger, wie Deutsche Polen besetzten. Während dieser Zeit studierte er an der Untergrunduniversität, die sein Vater Adam, ein sozialistischer Historiker und Mathematiker, mitorganisierte. 1944 nahm Andrzej Szczypiorski am Warschauer Aufstand teil, wurde gefangengenommen und im KZ Sachsenhausen interniert.
Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Journalist, 1955 begann er seine literarische Tätigkeit. Unter dem Pseudonym Maurice S. Andrews schrieb er einige Kriminalromane. Ab 1977 veröffentlichte er zunehmend in Oppositionszeitungen, und war in dem oppositionellen Komitee zur Verteidigung der Arbeiter aktiv, was nach Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 zu seiner zeitweiligen Internierung führte.
Nach der politischen Wende in Polen 1989 bekleidete er als Vertreter der Unia Demokratyczna bis 1991 das Amt eines Senators in der zweiten Kammer des polnischen Parlaments. 1989 wurde ihm der Nelly-Sachs-Preis und 1995 der Andreas-Gryphius-Preis verliehen. Bis zu seinem Tode im Jahr 2000 äußerte er sich immer wieder zur politischen und moralischen Entwicklung der Dritten Polnischen Republik.
Die neusten Forschungen des polnischen Institutes für Nationales Gedenken (IPN), das sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Herrschaft in Polen befasst, haben erbracht, dass Szczypiorski seit 1955 mit dem polnischen Staatssicherheitsdienst Służba Bezpieczeństwa zusammengearbeitet hat. Die Details dieser Zusammenarbeit wurden im Film von Grzegorz Braun Errata do biografii (Korrektur zur Biographie) aus dem Jahr 2007 vorgestellt.
Werk
Seine mit vielen Leiden verbundenen Erlebnisse während des Weltkrieges verarbeitete Andrzej Szczypiorski in seinen Werken, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf seine Heimatstadt Warschau legte. Das Warschau der Vorkriegszeit erscheint als die schöne – auch vom Judentum geprägte – Vergangenheit, die dann von der deutschen Besatzungsmacht zerstört wurde. Da Gott in dieser Zeit nicht eingegriffen habe, schloss er auf die grundsätzliche Abwesenheit Gottes in der Geschichte. Szczypiorski setzte sich schon früh für die deutsch-polnische Aussöhnung ein, da er – tief mit der deutschen Literatur verbunden – die Deutschen, die er als Unterdrücker und Mörder erlebt hatte, nicht nur verurteilte. 1990 wurde er mit dem Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken ausgezeichnet, 1995 erhielt er für seine Bemühungen um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland. 1998 war er Dozent im Rahmen der Tübinger Poetik-Dozentur.
Andrzej Szczypiorskis bekanntestes Werk ist der 1986 erschienene Roman Początek (deutsch: Der Anfang), der in Deutschland unter dem Titel Die schöne Frau Seidenman veröffentlicht wurde. Hier schildert Szczypiorski verschiedene Schicksale – von Opfern und Tätern – in den Jahren 1941–43 in Warschau in kleinen, unabhängig voneinander stattfindenden Episoden. Dabei wirkt er keineswegs moralisierend oder schuldzuweisend, auch versäumt er es nicht, Brücken in die Gegenwart zu schlagen und das Verhalten der Protagonisten in der Zukunft, im sozialistischen Polen zu hinterfragen. So wird die jüdische Heldin, die den Krieg überlebt, 1968 selbst Opfer antisemitischer Politik polnischer Kommunisten.
Die „Messe für die Stadt Arras“ - erschienen 1971 - wird von dem Genter Fürstbischof David zelebriert, an sie schließt sich ein großes Volksfest des Vergessens und Verdrängens an. Mit der Messe verbunden ist einerseits die Annullierung aller gegen Hexen und Ketzer gefällten Todesurteile und andererseits die pragmatische Begnadigung ihrer Verfolger, die unter der Führung des Stadtoberhauptes von Arras, des christlichen Fanatikers Pater Albert, gewütet hatten. Vorausgegangen war eine Pestepidemie in der Stadt, in deren Folge die Bürger in religiösen Wahn verbunden mit Hexenverfolgung, Menschenverbrennung, Kannibalismus und Judenpogromen verfielen. Jean, der in der Stadt als Helfer Pater Alberts diese Geschehnisse teils fördert, teils kühl registriert, wendet sich zum Schluss von Arras und David ab und sucht in Brügge eine neue „beste aller Welten“, in der Rückschau dem Rat der Stadt und dem Leser von seinen Zweifeln berichtend: „Also, diese ganze ungeheuerliche gemeine Sünde soll sich nun als ein Nichts herausstellen und diese ganze Grausamkeit als Bagatelle?“
Wirkung
Seit 2000 wird von der Polska Fundacja Dzieci i Młodzieży, deren Präsident er war, im Gedenken an ihn der Andrzej-Szczypiorski-Preis (pl.: nagroda im. Andrzeja Szczypiorskiego) vergeben. Er wird an Menschen vergeben, die den größten positiven Einfluss auf ihre soziale Umgebung hatten. Der erste Preis ging 2000 an Marzena Łotys, die Präsidentin von Stowarzyszenie „Edukacja Inaczej“.
Im Oktober 2006 wurde mit dem Haus Szczypiorski in unmittelbarer Nähe zum KZ Sachsenhausen eine internationale Jugendbegegnungsstätte eröffnet, die sich die Begegnung und Verständigung mit Polen zum Hauptziel gesetzt hat. Das Haus Szczypiorski befindet sich in der ehemaligen Dienstvilla von SS-Offizier Theodor Eicke, der verschiedene leitende Positionen in Konzentrationslagern ausübte.[1]
Bibliographie
Die deutschsprachigen Ausgaben wurden alle im Diogenes Verlag, Zürich, publiziert. Unten sind die aktuellen ISBN angeführt.
- Die schöne Frau Seidenman, Zürich 1988, ISBN 978-3-257-21945-6
- Amerikanischer Whiskey, Zürich 1989, ISBN 978-3-257-22415-3
- Notizen zum Stand der Dinge, Zürich 1990, ISBN 978-3-257-22565-5
- Nacht, Tag und Nacht, Zürich 1991, ISBN 978-3-257-22635-5
- Der Teufel im Graben, Zürich 1993, ISBN 978-3-257-22739-0
- Selbstporträt mit Frau, Zürich 1994, ISBN 978-3-257-22871-7
- Den Schatten fangen, Zürich 1995, ISBN 978-3-257-22789-5
- Europa ist unterwegs. Essays und Reden, Zürich 1996, ISBN 978-3-257-06123-9
- Feuerspiele, Zürich 2000, ISBN 978-3-257-23327-8
- Eine Messe für die Stadt Arras, Zürich 2000, ISBN 978-3-257-22414-6
Anderen Ortes veröffentlicht:
- Festreden zu den Europäischen Wochen 1995/1996. Europas Geist (zus. mit Pavel Kohout), Passau 1996, ISBN 978-3-9805575-0-4
- Pistole und Würde. Texte zum 6. Würth-Literaturpreis, Konkursbuch, Tübingen 1999, ISBN 978-3-88769-143-1
Beiträge erschienen in:
- Über die Grenzen hinaus. Vierte Vortragsreihe der Handwerkskammer Koblenz, Koblenz 1992, ISBN 978-3-924871-14-7
- Die Verführungskraft des Totalitären. Saul Friedländer, Hans Maier, Jens Reich und Andrzej Szczypiorski auf dem Hannah-Arendt-Forum 1997 in Dresden, ISBN 978-3-931648-11-4
- Die Geschichte ist nicht zuende! Gespräche über die Zukunft des Menschen und Europas, hg. v. Hans-Jürgen Heinrichs, Passagen Verlag, Wien 1999, ISBN 978-3-85165-387-8
- Über Tugend und Werte. Beiträge von Andrzej Szczypiorski, Bozena Choluj und Heinrich Olschowsky, Lang, Frankfurt am Main 2002, ISBN 978-3-631-39541-7
Literatur
- Marta Kijowska: Der letzte Gerechte. Andrzej Szczypiorski, Aufbau-Verlag, Berlin 2003.
- Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel: Andrzej Szczypiorski. Eine Biographie, Diogenes, Zürich 2006, ISBN 978-3-257-23563-0.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Für ein tolerantes Miteinander. In: Lausitzer Rundschau, 20. Oktober 2006.
Personendaten | |
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NAME | Szczypiorski, Andrzej |
KURZBESCHREIBUNG | polnischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 3. Februar 1928 |
GEBURTSORT | Warschau |
STERBEDATUM | 16. Mai 2000 |
STERBEORT | Warschau |
- Autor
- Schriftsteller (Warschau)
- Literatur (20. Jahrhundert)
- Literatur (Polnisch)
- Kriminalliteratur
- Polnischer Künstler
- Politiker (Polen)
- Häftling im KZ Sachsenhausen
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern
- Träger des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur
- Träger des Pour le Mérite (Friedensklasse)
- Person im Warschauer Aufstand (Polen)
- Person (Warschau)
- Pole
- Geboren 1928
- Gestorben 2000
- Mann