„Willy Kressmann“ – Versionsunterschied
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'''Willy Kressmann''' (* [[6. Oktober]] [[1907]] in [[Berlin-Prenzlauer Berg]]; † [[5. März]] [[1986]] in [[Berlin-Kreuzberg]]) war ein [[deutsche]]r Politiker ([[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]]). Von 1949 bis 1962 war er [[Bezirksbürgermeister (Berlin)|Bezirksbürgermeister]] des [[Bezirk Kreuzberg|Bezirks Kreuzberg]]. |
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Als Schüler trat er der [[USPD]] bei, später der [[SPD]] und der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ). 1931 schloss ihn die SPD aus der Partei aus, weil er der Parteiführung Führungsschwäche und "versteinerte Funktionshierarchie" vorgeworfen hatte. 1933 erging Haftbefehl gegen ihn. Er hatte offen zum Widerstand die Regierung [[Schleicher]] aufgerufen, weil sie die NSDAP unterstützte. |
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Die Jahre 1933 bis 1947 verbrachte Kressmann im Exil in Prag, Polen, Skandinavien und Großbritannien. Im Frühsommer 1947 kehrte Kressmann nach Berlin zurück und übernahm bald eine führende Position in der Abteilung Wirtschaft des Magistrats Groß-Berlins |
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[[Datei:Gedenktafel Katzbachstr ggü 20 (Kreuz) Willy Kressmann.jpg|mini|hochkant|[[Gedenktafel]] am [[Willy-Kressmann-Stadion]], in [[Berlin-Kreuzberg]]]] |
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Während der [[Berliner Blockade]] wurde er 1949 zum Bezirksbürgermeister gewählt und zweimal wieder gewählt. |
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Willy Kressmann wurde als Sohn eines [[Werkzeugmacher]]s geboren und absolvierte nach der Volksschule eine [[Schriftsetzer]]lehre. Als Schüler trat er der [[Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands|USPD]] bei, 1922 der SPD und der [[Sozialistische Arbeiterjugend|Sozialistischen Arbeiterjugend]] (SAJ). Seit 1930 war Kressmann Mitglied von [[Erwin Piscator]]s oppositionellen Sonderabteilungen an der [[Volksbühne Berlin]].<ref>Erwin Piscator: ''Briefe. Band 3.1: Bundesrepublik Deutschland, 1951–1954''. Hrsg. von Peter Diezel. B&S Siebenhaar, Berlin 2011. S. 368, 588.</ref> Die 7. Reichskonferenz der [[Jusos|Jungsozialisten]] (5.–6. April 1931 in Leipzig) wählte ihn in die Reichsleitung. Noch im selben Jahr, 1931, schloss ihn die SPD aus der Partei aus, weil er der Parteiführung Führungsschwäche und „versteinerte Funktionshierarchie“ vorgeworfen hatte. Kressmann schloss sich nun der SPD-Linksabspaltung [[Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (1931)|SAPD]] an. Er war Mitglied der Reichsleitung des SAPD-Jugendverbandes [[Sozialistischer Jugend-Verband Deutschlands|SJVD]] und fungierte als Herausgeber des Organs des Jugendverbandes ''Der Jungprolet''.<ref>Hanno Drechsler: ''Die SAPD. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der [[Weimarer Republik]].'' Erlangen 1971, S. 74, 103, 164, 167.</ref> |
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In der Zeit des [[Kalter Krieg|Kalten Krieges]] vertrat er eine starke Fronstadtmentalität, die sich auch durch seine Ideen widerspiegelten, wie zum Beispiel Straßenbenutzungsgebühren für Fahrzeuge aus dem Osten der Stadt. |
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1962 wurde er von seiner eigenen Partei, der SPD, abgewählt. 1963 trat er aus der SPD aus. |
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Im Jahr 1933 erging Haftbefehl gegen ihn. Kressmann hatte offen zum [[Widerstand gegen den Nationalsozialismus|Widerstand]] gegen die [[Kabinett von Schleicher|Regierung Schleicher]] aufgerufen, weil sie die [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] unterstütze. Zunächst die illegale Jugendarbeit der SAPD leitend, musste Kressmann im Oktober 1933 nach mehreren kurzen Verhaftungen emigrieren. Die Jahre 1933 bis 1947 verbrachte er im [[Exil]] in [[Prag]], [[Österreich]], der [[Schweiz]], [[Spanien]], [[Italien]], [[Polen]], [[Skandinavien]] und [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] (dort 1940–1941 interniert). Dort nutzte Kressmann mitunter den Decknamen Erich Wendland.<ref>Dennis Egginger-Gonzalez: Der Rote Stoßtrupp. Eine frühe linkssozialistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-86732-274-4, Kurzbiografie auf S. 444 f.</ref> |
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Im Frühsommer 1947 kehrte Kressmann, der sich zwischenzeitlich wieder der SPD angeschlossen hatte, nach Berlin zurück und wurde Magistratsdirektor in der Abteilung Wirtschaft des [[Magistrat von Berlin |Magistrats]] von [[Groß-Berlin]]. |
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Im Februar 1949 wurde er zum Bezirksbürgermeister und Wirtschaftsstadtrat von Kreuzberg gewählt. Im gleichen Jahr machte er auf sich aufmerksam, als er sich an der Räumung von Straßensperren an der Grenze zwischen der [[Sowjetische Besatzungszone|Sowjetischen Besatzungszone]] und [[West-Berlin]] beteiligte. Frühzeitig bemühte er sich, den [[Kalter Krieg|Kalten Krieg]] zu entschärfen. Im Juni 1955 plädierte er für direkte Gespräche zwischen den westlichen und den [[Ost-Berlin|östlichen]] Bezirksbürgermeistern Berlins. Im September verlangte er, Bundeskanzler [[Konrad Adenauer]] solle mit [[DDR]]-Ministerpräsident [[Otto Grotewohl]] Verhandlungen über die innerdeutschen Beziehungen aufnehmen. Kressmann sah Berlin als eine „Brücke zwischen Ost und West“, wollte „Fäden nicht reißen lassen, die sich trotz aller Schwierigkeiten noch von hüben nach drüben ziehen“. |
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Kressmann engagierte sich mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegen die [[organisierte Kriminalität]] im Bezirk und drängte die Polizei zu deren entschiedener Bekämpfung, was auch gelang<ref name="spiegel" />. |
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Er ist bis heute der einzige Berliner Bezirksbürgermeister, dessen Konterfei den Titel einer Spiegel-Ausgabe zierte und über den die New York Times auf der Titelseite berichtete. Damals entstand das Wort »Freie Republik Kreuzberg«, und Kreuzberg hieß im Volksmund »Kressmannsdorf«. |
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Mit den Stimmen der SPD wurde er 1962 als Kreuzberger Bezirksbürgermeister abgewählt, nachdem er auf einer [[Pressekonferenz]] in [[New York City|New York]] die [[Berliner Mauer]] als „Ergebnis der Politik des Ostens und des Westens“ bezeichnet hatte und den „Waffengebrauch von der einen wie von der anderen Seite“ in Frage gestellt hatte. Wegen der Äußerungen wurde zugleich ein [[Parteiordnungsverfahren]] gegen ihn eingeleitet. Berlins [[Regierender Bürgermeister von Berlin|Regierender Bürgermeister]] [[Willy Brandt]] (SPD) erklärte vor dem [[Abgeordnetenhaus von Berlin|Berliner Abgeordnetenhaus]], Kressmanns Äußerungen stünden „nicht im Einklang mit unserer Politik“. |
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* [http://www.berlin.spd.de/servlet/PB/menu/1015534/index.html Die SPD über Willy Kressmann] |
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Verbittert trat Kressmann 1963 aus der SPD aus. Er zog nach [[Weißach (Rottach-Egern)|Weißach]] bei [[Rottach-Egern]] am [[Tegernsee]] in [[Bayern]] und nahm erst kurz vor seinem Tod wieder einen Wohnsitz in Berlin-Kreuzberg. Er erhielt ein [[Liste der Ehrengräber in Berlin|Ehrengrab der Stadt Berlin]] auf dem [[Waldfriedhof Zehlendorf]] in [[Berlin-Nikolassee]]. |
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⚫ | Um Kressmann ranken sich Legenden und wahre Geschichten. Er erhielt den [[Spitzname]]n ''Texas-Willy'', weil er 1958 [[Ehrenbürger]] von [[San Antonio (Texas)|San Antonio]] im US-Bundesstaat [[Texas]] wurde. Er war als erster deutscher Politiker nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] auf offizielle Einladung in die USA gereist, brachte von dort einen weißen [[Stetson]] mit und trug ihn auch öffentlich. |
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⚫ | Als in den 1950er Jahren der [[Grundstein]] für das heutige [[Rathaus Kreuzberg|Rathaus]] gelegt wurde, begrüßte Bürgermeister Kressmann dazu den Regierenden Bürgermeister [[Ernst Reuter]] (SPD). Es gibt Fotos, auf denen sich beide die Hand schütteln. In den Nachrichten hieß es: „Reuter sagte die Finanzierung des Rathaus-Neubaus zu.“ Dies hatte Reuter allerdings nie getan. Aber weil er seinen Genossen nicht bloßstellen wollte, musste er einen Teil der Baukosten zuschießen. |
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Kressmann ist bis heute der einzige Berliner Bezirksbürgermeister, dessen Konterfei den Titel einer ''[[Der Spiegel|Spiegel]]''-Ausgabe zierte<ref name="spiegel">{{Der Spiegel |ID=31970650 |Titel=Berlin – Kressmann: Briefe kamen nie an |Jahr=1955 |Nr=28 |Datum=1955-07-06 |Seiten=Titel, 12–19 |Kommentar=Titelgeschichte unter anderem über Kressmanns Einladungen an Ost-Berliner Bezirksbürgermeister in das [[Rathaus Kreuzberg]] zu Gesprächen über die Wiederherstellung der Infrastruktur zwischen den Bezirksgrenzen Ost- und West-Berlins}}</ref> und über den die ''[[New York Times]]'' auf der Titelseite berichtete. Damals entstand das Wort „Freie Republik Kreuzberg“, und Kreuzberg hieß im [[Berolinismus|Berliner Volksmund]] „Kressmannsdorf“. |
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Im Sommer 1951 besuchte Kressmann [[Freie Deutsche Jugend|FDJ]]-Mitglieder, die im Rahmen von Straßenschlachten rund um die [[Weltfestspiele der Jugend und Studenten]] in Kreuzberg festgenommen und bis zu zwei Wochen festgehalten worden waren. Eine der Verhafteten berichtete später im zur Aufklärung der Vorfälle eingerichteten ''[[Anneliese Groscurth#Groscurth-Ausschuss|Groscurth-Ausschuss]]'', von Kressmann als Faschistin beschimpft und geohrfeigt worden zu sein. Kressmann habe ihr gegenüber außerdem die These aufgestellt, der [[Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt|Hitler-Stalin-Pakt]] habe den beiden nur dazu gedient, dass Deutschland die [[Sowjetunion]] „nur provisorisch“ angriff, „um [[Josef Stalin|Stalin]] den Weg freizumachen, bis [[Frankreich]] vorzustoßen“. Die Aussage der jungen Frau sorgte in dem Ausschuss für großes Gelächter.<ref>BStU: Tonband aus Stasi-Beständen HA IX Tb 3230 gelb.</ref> |
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⚫ | Die Frauenzeitschrift ''Sie'' veröffentlichte 1952 in Berlin eine Umfrage nach dem beliebtesten Politiker: Kressmann rangierte nach [[Ernst Reuter]], [[Konrad Adenauer]], [[Theodor Heuss]], [[Louise Schroeder]], [[Kurt Schumacher]] und [[Carlo Schmid]], und noch vor [[Franz Neumann (Politiker)|Franz Neumann]], [[Ludwig Erhard]], [[Otto Suhr]], [[Paul Löbe]], [[Franz Josef Strauß]] oder [[Herbert Wehner]] auf dem 7. Platz. |
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Kressmann war [[Freimaurer]] und gehörte einer Loge der [[Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ |Großen National-Mutterloge ''Zu den drei Weltkugeln'']] an. Er war viermal verheiratet, in dritter Ehe mit der Architektin und Bauunternehmerin [[Sigrid Kressmann-Zschach]] und bis zum Lebensende in vierter Ehe mit Brigitte Succar-Landsberg, geb. Landsberg, Tochter des Berliner Politikers [[Kurt Landsberg]]. |
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Das ehemalige [[Katzbachstadion]] an der südlichen Seite des Kreuzberger [[Viktoriapark]]s trägt seit 2010 seinen Namen.<ref>Ulli Kulke: ''Der König von Kreuzberg / Willy Kressmann, von 1949 bis 1962 Bürgermeister des Bezirks, betrieb große Deutschlandpolitik in seinem Kiez. „Texas-Willy“ legte sich mit Machthabern aus Ost und West an, betrieb private Kriminalpolitik – und führte eine aufregende Kurzehe.'' In: ''[[Berliner Morgenpost]]'' 19. Oktober 2024, S. 44, ([https://www.morgenpost.de/kultur/article407493607/wie-ein-kommunalpolitiker-zum-koenig-von-kreuzberg-wurde.html Online, Bezahlinhalt])</ref> |
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== Schriften == |
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* ''Gedanken zur Wiedervereinigung aus der Sicht eines Berliners.'' In: ''[[Gewerkschaftliche Monatshefte]]'', 01/1960, S. 5–8. |
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* ''Kreuzberger festliche Tage [5.8.–20.8.] 1961.'' Haupt & Puttkammer, Berlin 1961, {{DNB|454986483}} |
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== Literatur == |
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* {{BibISBN|9783980330343|Seite=154}} |
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* [[Siegfried Mielke]] (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers, [[Stefan Heinz]], Matthias Oden, Sebastian Bödecker: ''Einzigartig – Dozenten, Studierende und Repräsentanten der Deutschen Hochschule für Politik (1920–1933) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.'' Lukas-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86732-032-0, S. 242–247 (Kurzbiografie). |
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* ''Kressmann, Willy'', in: Werner Röder, [[Herbert A. Strauss]] (Hrsg.): ''Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben''. München: Saur 1980, S. 395 f. |
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== Weblinks == |
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* [http://archiv.spd-berlin.de/geschichte/personen/a-k/kressmann-willy/ SPD Berlin – Biografie] auf archiv.spd-berlin.de |
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* [https://www.deutschlandfunkkultur.de/bezirksbuergermeister-kressmanns-neue-ostpolitik-willy.976.de.html?dram:article_id=459641 ''Willy Brandt hat ihn gehasst''.] Feature auf ''[[Deutschlandfunk Kultur]]'', 25. September 2019. |
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== Einzelnachweise == |
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Aktuelle Version vom 11. Dezember 2024, 20:12 Uhr

Willy Kressmann (* 6. Oktober 1907 in Berlin-Prenzlauer Berg; † 5. März 1986 in Berlin-Kreuzberg) war ein deutscher Politiker (SPD). Von 1949 bis 1962 war er Bezirksbürgermeister des Bezirks Kreuzberg.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jugend
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Willy Kressmann wurde als Sohn eines Werkzeugmachers geboren und absolvierte nach der Volksschule eine Schriftsetzerlehre. Als Schüler trat er der USPD bei, 1922 der SPD und der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Seit 1930 war Kressmann Mitglied von Erwin Piscators oppositionellen Sonderabteilungen an der Volksbühne Berlin.[1] Die 7. Reichskonferenz der Jungsozialisten (5.–6. April 1931 in Leipzig) wählte ihn in die Reichsleitung. Noch im selben Jahr, 1931, schloss ihn die SPD aus der Partei aus, weil er der Parteiführung Führungsschwäche und „versteinerte Funktionshierarchie“ vorgeworfen hatte. Kressmann schloss sich nun der SPD-Linksabspaltung SAPD an. Er war Mitglied der Reichsleitung des SAPD-Jugendverbandes SJVD und fungierte als Herausgeber des Organs des Jugendverbandes Der Jungprolet.[2]
Exil
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 1933 erging Haftbefehl gegen ihn. Kressmann hatte offen zum Widerstand gegen die Regierung Schleicher aufgerufen, weil sie die NSDAP unterstütze. Zunächst die illegale Jugendarbeit der SAPD leitend, musste Kressmann im Oktober 1933 nach mehreren kurzen Verhaftungen emigrieren. Die Jahre 1933 bis 1947 verbrachte er im Exil in Prag, Österreich, der Schweiz, Spanien, Italien, Polen, Skandinavien und Großbritannien (dort 1940–1941 interniert). Dort nutzte Kressmann mitunter den Decknamen Erich Wendland.[3]
Berliner Politiker
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Frühsommer 1947 kehrte Kressmann, der sich zwischenzeitlich wieder der SPD angeschlossen hatte, nach Berlin zurück und wurde Magistratsdirektor in der Abteilung Wirtschaft des Magistrats von Groß-Berlin.
Im Februar 1949 wurde er zum Bezirksbürgermeister und Wirtschaftsstadtrat von Kreuzberg gewählt. Im gleichen Jahr machte er auf sich aufmerksam, als er sich an der Räumung von Straßensperren an der Grenze zwischen der Sowjetischen Besatzungszone und West-Berlin beteiligte. Frühzeitig bemühte er sich, den Kalten Krieg zu entschärfen. Im Juni 1955 plädierte er für direkte Gespräche zwischen den westlichen und den östlichen Bezirksbürgermeistern Berlins. Im September verlangte er, Bundeskanzler Konrad Adenauer solle mit DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl Verhandlungen über die innerdeutschen Beziehungen aufnehmen. Kressmann sah Berlin als eine „Brücke zwischen Ost und West“, wollte „Fäden nicht reißen lassen, die sich trotz aller Schwierigkeiten noch von hüben nach drüben ziehen“.
Kressmann engagierte sich mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegen die organisierte Kriminalität im Bezirk und drängte die Polizei zu deren entschiedener Bekämpfung, was auch gelang[4].
Mit den Stimmen der SPD wurde er 1962 als Kreuzberger Bezirksbürgermeister abgewählt, nachdem er auf einer Pressekonferenz in New York die Berliner Mauer als „Ergebnis der Politik des Ostens und des Westens“ bezeichnet hatte und den „Waffengebrauch von der einen wie von der anderen Seite“ in Frage gestellt hatte. Wegen der Äußerungen wurde zugleich ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt (SPD) erklärte vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, Kressmanns Äußerungen stünden „nicht im Einklang mit unserer Politik“.

Verbittert trat Kressmann 1963 aus der SPD aus. Er zog nach Weißach bei Rottach-Egern am Tegernsee in Bayern und nahm erst kurz vor seinem Tod wieder einen Wohnsitz in Berlin-Kreuzberg. Er erhielt ein Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Waldfriedhof Zehlendorf in Berlin-Nikolassee.
Legenden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Um Kressmann ranken sich Legenden und wahre Geschichten. Er erhielt den Spitznamen Texas-Willy, weil er 1958 Ehrenbürger von San Antonio im US-Bundesstaat Texas wurde. Er war als erster deutscher Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg auf offizielle Einladung in die USA gereist, brachte von dort einen weißen Stetson mit und trug ihn auch öffentlich.
Als in den 1950er Jahren der Grundstein für das heutige Rathaus gelegt wurde, begrüßte Bürgermeister Kressmann dazu den Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter (SPD). Es gibt Fotos, auf denen sich beide die Hand schütteln. In den Nachrichten hieß es: „Reuter sagte die Finanzierung des Rathaus-Neubaus zu.“ Dies hatte Reuter allerdings nie getan. Aber weil er seinen Genossen nicht bloßstellen wollte, musste er einen Teil der Baukosten zuschießen.
Kressmann ist bis heute der einzige Berliner Bezirksbürgermeister, dessen Konterfei den Titel einer Spiegel-Ausgabe zierte[4] und über den die New York Times auf der Titelseite berichtete. Damals entstand das Wort „Freie Republik Kreuzberg“, und Kreuzberg hieß im Berliner Volksmund „Kressmannsdorf“.
Im Sommer 1951 besuchte Kressmann FDJ-Mitglieder, die im Rahmen von Straßenschlachten rund um die Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Kreuzberg festgenommen und bis zu zwei Wochen festgehalten worden waren. Eine der Verhafteten berichtete später im zur Aufklärung der Vorfälle eingerichteten Groscurth-Ausschuss, von Kressmann als Faschistin beschimpft und geohrfeigt worden zu sein. Kressmann habe ihr gegenüber außerdem die These aufgestellt, der Hitler-Stalin-Pakt habe den beiden nur dazu gedient, dass Deutschland die Sowjetunion „nur provisorisch“ angriff, „um Stalin den Weg freizumachen, bis Frankreich vorzustoßen“. Die Aussage der jungen Frau sorgte in dem Ausschuss für großes Gelächter.[5]
Die Frauenzeitschrift Sie veröffentlichte 1952 in Berlin eine Umfrage nach dem beliebtesten Politiker: Kressmann rangierte nach Ernst Reuter, Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Louise Schroeder, Kurt Schumacher und Carlo Schmid, und noch vor Franz Neumann, Ludwig Erhard, Otto Suhr, Paul Löbe, Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner auf dem 7. Platz.
Kressmann war Freimaurer und gehörte einer Loge der Großen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln an. Er war viermal verheiratet, in dritter Ehe mit der Architektin und Bauunternehmerin Sigrid Kressmann-Zschach und bis zum Lebensende in vierter Ehe mit Brigitte Succar-Landsberg, geb. Landsberg, Tochter des Berliner Politikers Kurt Landsberg.
Das ehemalige Katzbachstadion an der südlichen Seite des Kreuzberger Viktoriaparks trägt seit 2010 seinen Namen.[6]
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gedanken zur Wiedervereinigung aus der Sicht eines Berliners. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, 01/1960, S. 5–8.
- Kreuzberger festliche Tage [5.8.–20.8.] 1961. Haupt & Puttkammer, Berlin 1961, DNB 454986483
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Werner Breunig, Siegfried Heimann, Andreas Herbst: Biografisches Handbuch der Berliner Stadtverordneten und Abgeordneten 1946–1963 (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 14). Landesarchiv Berlin, Berlin 2011, ISBN 978-3-9803303-4-3, S. 154.
- Siegfried Mielke (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers, Stefan Heinz, Matthias Oden, Sebastian Bödecker: Einzigartig – Dozenten, Studierende und Repräsentanten der Deutschen Hochschule für Politik (1920–1933) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Lukas-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86732-032-0, S. 242–247 (Kurzbiografie).
- Kressmann, Willy, in: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München: Saur 1980, S. 395 f.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- SPD Berlin – Biografie auf archiv.spd-berlin.de
- Lebenslauf Kressmanns (PDF; 51 KB) ( vom 29. September 2007 im Internet Archive) auf berlin.de
- Willy Brandt hat ihn gehasst. Feature auf Deutschlandfunk Kultur, 25. September 2019.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Erwin Piscator: Briefe. Band 3.1: Bundesrepublik Deutschland, 1951–1954. Hrsg. von Peter Diezel. B&S Siebenhaar, Berlin 2011. S. 368, 588.
- ↑ Hanno Drechsler: Die SAPD. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik. Erlangen 1971, S. 74, 103, 164, 167.
- ↑ Dennis Egginger-Gonzalez: Der Rote Stoßtrupp. Eine frühe linkssozialistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-86732-274-4, Kurzbiografie auf S. 444 f.
- ↑ a b Berlin – Kressmann: Briefe kamen nie an. In: Der Spiegel. Nr. 28, 1955, S. Titel, 12–19 (online – 6. Juli 1955, Titelgeschichte unter anderem über Kressmanns Einladungen an Ost-Berliner Bezirksbürgermeister in das Rathaus Kreuzberg zu Gesprächen über die Wiederherstellung der Infrastruktur zwischen den Bezirksgrenzen Ost- und West-Berlins).
- ↑ BStU: Tonband aus Stasi-Beständen HA IX Tb 3230 gelb.
- ↑ Ulli Kulke: Der König von Kreuzberg / Willy Kressmann, von 1949 bis 1962 Bürgermeister des Bezirks, betrieb große Deutschlandpolitik in seinem Kiez. „Texas-Willy“ legte sich mit Machthabern aus Ost und West an, betrieb private Kriminalpolitik – und führte eine aufregende Kurzehe. In: Berliner Morgenpost 19. Oktober 2024, S. 44, (Online, Bezahlinhalt)
Personendaten | |
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NAME | Kressmann, Willy |
ALTERNATIVNAMEN | Texas-Willy (Spitzname); Kressmann, Willy Karl Erich (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (SPD), MdA |
GEBURTSDATUM | 6. Oktober 1907 |
GEBURTSORT | Berlin-Prenzlauer Berg |
STERBEDATUM | 5. März 1986 |
STERBEORT | Berlin-Kreuzberg |
- Bezirksbürgermeister des Bezirks Kreuzberg
- Person (Widerstand gegen den Nationalsozialismus)
- Emigrant aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus
- USPD-Mitglied
- SPD-Mitglied
- SAPD-Mitglied
- Freimaurer (20. Jahrhundert)
- Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
- Freimaurer (Deutschland)
- Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse
- Bestattet in einem Ehrengrab des Landes Berlin
- Deutscher
- Geboren 1907
- Gestorben 1986
- Mann