„Mendelsche Regeln“ – Versionsunterschied
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Die '''Mendelschen Gesetze''' oder '''Mendelschen Regeln''' beschreiben, wie die [[Vererbung (Biologie)|Vererbung]] von [[Merkmal]]en abläuft. |
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Die '''Mendelschen Regeln''' beschreiben den [[Vererbung (Biologie)|Vererbungsvorgang]] bei [[Merkmal#Biologie|Merkmalen]], deren Ausprägung von jeweils nur einem [[Gen]] bestimmt wird ([[Monogenie|monogener]] [[Erbgang (Biologie)|Erbgang]]). Sie sind nach ihrem Entdecker [[Gregor Mendel]] benannt, der sie 1865/1866 publizierte, die aber zunächst kaum zur Kenntnis genommen und erst 1900, lange nach seinem Tod, „wiederentdeckt“ wurden. |
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Die Mendelschen Regeln gelten nur für Lebewesen, bei denen sich im Zuge der [[Geschlechtliche Fortpflanzung|sexuellen Fortpflanzung]] [[Diploidie|diploide]] und [[Haploidie|haploide]] Stadien (mit zwei bzw. einem [[Chromosom]]ensatz im [[Zellkern]]) abwechseln (siehe [[Kernphasenwechsel]]). Für Organismen mit höherem [[Ploidiegrad]] ([[Polyploidie]]) lassen sich entsprechende Regeln ableiten. Viele Merkmale werden allerdings [[Polygenie|polygen]] vererbt durch das Zusammenwirken mehrerer Gene. |
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Die Mendelschen [[Gesetz]]e wurden in den [[1860er|60er]] Jahren des [[19. Jahrhundert|19. Jahrhunderts]] von dem [[naturwissenschaft]]lich interessierten Augustinermönch [[Gregor Mendel]] durch [[Kreuzung (Genetik)|Kreuzungsversuche]] an Erbsenpflanzen ermittelt und in einer zunächst wenig beachteten Publikation formuliert. Erst um 1900 wurden diese bahnbrechenden Erkenntnisse bestätigt, mit der [[Chromosom]]entheorie der Vererbung in Verbindung gebracht und zum Gemeingut der klassisch-[[Genetik|genetisch]]en [[Wissenschaft]]. |
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Die alternativen Bezeichnungen '''Vererbungsgesetze'''<ref>Vgl. etwa [[Paul Diepgen]], [[Heinz Goerke]]: ''[[Ludwig Aschoff|Aschoff]]/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin.'' 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 41.</ref> und '''Mendelsche Gesetze''' sind ungebräuchlich geworden, da schon bald genetische Phänomene entdeckt wurden, bei denen ein Erbgang von den „Regeln“ abweichen kann. Beispiele für eine nicht-mendelsche Vererbung sind die [[Genkopplung]], die [[extrachromosomale Vererbung]], die [[nicht-zufällige Segregation von Chromosomen]] und der [[Meiotic Drive]]. |
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==Die Mendelschen Gesetze oder Regeln == |
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Die Entdeckungen Mendels beruhen auf ''[[Statistik|statistischen]]'' Werten. Demzufolge werden sie häufig auch als ''Regeln'' bezeichnet, mit der Begründung, dass ''Gesetze'' – anders als Regeln – ''uneingeschränkt'' gelten würden. |
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== Forschungsgeschichte == |
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=== 1. Mendelsches Gesetz (Uniformitätsgesetz bzw. Reziprozität) === |
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Die Mendelschen [[Regel (Richtlinie)|Regeln]] wurden Anfang der 1860er-Jahre von dem [[Augustinerorden|Augustinermönch]] und Hilfslehrer [[Gregor Mendel]] erkannt und durch [[Kreuzung (Genetik)|Kreuzungsversuche]] an Erbsenpflanzen bestätigt. 1865 berichtete er darüber in zwei Vorträgen im Naturforschenden Verein in [[Brno|Brünn]] (''[Ü]ber Hybriden im Pflanzenreiche'' am 8. Februar bzw. im März 1865).<ref>{{ANNO|mcb|07|02|1865|3|Vom naturforschenden Vereine}}</ref><ref>{{ANNO|mcb|10|03|1865|4|Monatsversammlung des naturforschenden Vereines}}</ref><ref>Uwe Hoßfeld, Michael V. Simunek: ''150 Jahre Mendels Vortrag „Versuche über Pflanzen-Hybriden“.'' 2015, S. 238.</ref> 1866 folgte eine lange Zeit wenig beachtete gedruckte Publikation.<ref>Gregor Mendel: ''[http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=lit26745 Versuche über Pflanzenhybriden].'' Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn. Bd. IV. 1866. S. 3–47.</ref> |
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Wenn zwei [[Individuum|Individuen]] einer [[Rasse]] ("[[Elter]]n" oder Parentalgeneration P genannt) miteinander gekreuzt werden, die sich in einem Merkmal, für das sie [[reinerbig]] sind, unterscheiden, so sind die Nachkommen der ersten [[Generation]] ("Kinder" oder erste Filialgeneration F1 genannt) uniform, d.h. sowohl [[genotypisch]] als auch bezogen auf den [[Phänotyp]] gleich. |
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Dabei ist es irrelevant, welches der beiden Individuen Mutter oder Vater darstellt. |
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(Ausnahme: Das Merkmal befindet sich auf dem x-Chromosom. Dann kann es sein, dass die F1 nicht wirklich uniform ist.)Die Mendelschen Regeln sind schwer verständlich und daher relativ unnütz |
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Mendel entdeckte Gesetzmäßigkeiten, die Anderen zuvor und noch Jahrzehnte danach verborgen blieben. Der Erfolg seiner Untersuchungen an Erbsenpflanzen lässt sich im Nachhinein mit folgenden Faktoren begründen:<ref>''Abiturwissen Biologie.'' Bibliographische Informationen der Deutschen Bibliothek, 2004, ISBN 3-411-00222-0.</ref> |
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=== 2. Mendelsches Gesetz (Spaltungsgesetz) === |
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# die Beschränkung auf wenige, klar unterscheidbare Merkmale, |
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Wenn die erste Nachkommengeneration untereinander gekreuzt wird, so sind die Individuen der zweiten Generation ("[[Enkel]]" oder zweite Filialgeneration, F2) nicht mehr alle gleich, sondern weisen wieder die Merkmale der Elterngeneration in bestimmten Zahlenverhältnissen auf. |
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# die Auswahl [[Homozygotie|reinerbiger]] Stämme, |
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*Handelt es sich dabei um [[Vererbung (Biologie)|dominant-rezessive Vererbung]], so bilden drei Viertel die dominante und ein Viertel die rezessive Variante aus (Verhältnis von 3:1). |
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# die künstliche [[Bestäubung]] unter Schutz vor natürlicher Fremdbestäubung und Selbstbestäubung<ref>[[Neil A. Campbell]], [[Jane B. Reece]]: ''Biologie.'' Spektrum-Verlag 2003, Seite 294, ISBN 3-8274-1352-4.</ref> |
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*Bei [[Vererbung (Biologie)|intermediärer Vererbung]] haben je ein Viertel der Nachkommen eine der beiden reinerbigen Varianten und die Hälfte der Individuen weist die Mischform der 1. Generation auf (Verhältnis von 1:2:1). |
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# die großangelegten Versuchsreihen sowie |
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# die statistische Auswertung. |
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Insbesondere die Beschränkung auf einzelne Merkmale stand im Gegensatz zu damals herrschenden Vorstellungen, wonach der ganze elterliche Organismus auf die Eigenschaften der Nachkommen Einfluss nimmt und dies durch eine Flüssigkeit (beim Menschen das Blut) vermittelt wird. Entsprechend wurden die Nachkommen als Mischlinge oder Bastarde betrachtet und als solche kategorisiert.<ref>[[Ilse Jahn]], Rolf Löther, Konrad Senglaub (Hrsg.): ''Geschichte der Biologie.'' 2., durchgesehene Auflage. VEB Fischer, Jena 1985, S. 554–555.</ref> |
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=== 3. Mendelsches Gesetz (Unabhängigkeitsgesetz / Neukombinationsgesetz) === |
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Zwei Merkmale werden getrennt voneinander vererbt, wobei ab der 2. Generation ("Enkel") neue, reinerbige Kombinationen auftreten können. Dieses Gesetz gilt allerdings nur dann, wenn die für die Merkmale verantwortlichen [[Gen]]e auf verschiedenen [[Chromosom]]en sitzen (dihybride Erbgänge). |
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Mendel wählte sieben Merkmale aus und [[Kreuzung (Genetik)|kreuzte]] jeweils reinerbige Pflanzen, die sich in einem dieser Merkmale, z. B. der Blütenfarbe, unterschieden. Er stellte fest, dass alle Nachkommen der ersten Generation nur eine Ausprägung des jeweiligen Merkmals aufwiesen, z. B. violette Blüten. Kreuzte er nun Pflanzen dieser Generation erneut miteinander, so trat in der zweiten Tochtergeneration das verschwundene Merkmal (weiße Blüten) wieder auf, und zwar bei einem Viertel der Nachkommen. Dieses 3:1–Verhältnis fand Mendel in allen sieben untersuchten Fällen, und er konnte es durch eine große Zahl von Versuchen statistisch absichern. Zur Erklärung führte er die Begriffe [[Dominanz (Genetik)|Dominanz]] und [[Rezessiv]]ität ein: Die dominante violette Farbe verdeckte in der ersten Generation die rezessive weiße, diese trat aber in der zweiten Generation wieder auf. Aus diesen Beobachtungen schloss Mendel, dass jede Pflanze den „Erbfaktor“ für die Blütenfarbe oder ein anderes Merkmal in zweifacher Ausfertigung besitzt. Eine Bestätigung dieser Annahme lieferten [[Rückkreuzung]]sversuche mit weißblütigen Pflanzen, bei denen entweder nur violettblühende Tochterpflanzen auftraten oder beide Blütenfarben zu gleichen Teilen, womit sich die violettblühende Mutterpflanze als reinerbig bzw. mischerbig erwies.<ref>Jane B. Reece & al.: ''Campbell Biologie'', 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016, S. 347–352.</ref> |
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== Hintergrund == |
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Die Regeln ergeben sich direkt aus dem Umstand, dass bei der geschlechtlichen Vermehrung von jedem Gen immer zwei Kopien weitergegeben werden, eine von der Mutter, eine vom Vater. Dies wird dadurch erreicht, dass Fortpflanzungszellen beim Menschen von den 23 Chromosomen immer nur je eine Hälfte (23 [[Chromatid]]en) enthalten, und erst bei der Befruchtung die kompletten Chromosomen aus jeweils einem Chromatid je Elternteil wiederhergestellt werden. Das sind vier mögliche Kombinationen bei den Nachkommen, je Chromosom. |
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Der niederländische Botaniker [[Hugo de Vries]] kam in den 1880er Jahren bei Kreuzungsexperimenten zu der Überzeugung, dass der bisherige ganzheitliche Erklärungsansatz falsch sei und man stattdessen die Vererbung einzelner Merkmale untersuchen müsse. In zahlreichen Versuchsreihen mit vielen verschiedenen Pflanzenarten, die er quantitativ auswertete, fand er durchweg wie Mendel eine Aufspaltung im Verhältnis 3:1. In einer Publikation mit dem Titel ''Das Spaltungsgesetz der Bastarde'' forderte er 1900 „eine vollständige Umwandlung der Ansichten“ und griff dabei Mendels Arbeit über Erbsen auf, deren Ergebnisse er als allgemein gültig bezeichnete. Parallel begann der deutsche Botaniker [[Carl Correns]] 1894 mit entsprechenden Versuchen, deren Ergebnisse er ebenfalls 1900 unter Bezug auf Mendel veröffentlichte. Als dritter „Wiederentdecker“ Mendels im selben Jahr galt lange Zeit der österreichische [[Pflanzenzucht|Pflanzenzüchter]] [[Erich Tschermak-Seysenegg|Erich Tschermak]]; bei ihm bestehen jedoch Zweifel, ob er Mendels Ergebnisse zu diesem Zeitpunkt korrekt verstanden hatte.<ref>[[Ilse Jahn]] (Hrsg.): ''Geschichte der Biologie.'' 3. Auflage. Sonderausgabe Nikol, Hamburg 2004, S. 415–418.</ref><ref>[[Ernst Mayr]]: ''The Growth of Biological Thought'', Belknap Press, S. 730 (1982)</ref><ref>Floyd Monaghan, Alain Corcos: ''Tschermak: A non-discoverer of Mendelism'', Journal of Heredity 77: 468f (1986) und 78: 208-210 (1987) ([http://jhered.oxfordjournals.org/cgi/content/abstract/78/3/208 Abstract])</ref> Im Jahr 1902 hatte [[Archibald E. Garrod]] an einer Familie mit [[Alkaptonurie]] die Gültigkeit der Mendelschen Regeln nachgewiesen.<ref>[[Paul Diepgen]], [[Heinz Goerke]]: ''[[Ludwig Aschoff|Aschoff]]/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin.'' 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 56.</ref> Zwischenzeitlich waren die [[Chromosom]]en und ihre Verteilung an die Nachkommen beschrieben worden, so dass die mendelschen Regeln jetzt mit diesen Beobachtungen zur [[Chromosomentheorie der Vererbung]] vereinigt werden konnten. |
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Schematische Darstellung: |
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== Die drei Regeln == |
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[[Bild:Mendel-3.png|250px|Mendel]] |
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=== Gültigkeit === |
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Die Mendelschen Regeln beziehen sich auf Merkmale, die von einem einzigen [[Gen]] festgelegt werden. Jedes Gen liegt in der diploiden Kernphase in zwei Kopien („[[Allel]]en“) vor, von denen je eines von jedem Elternteil stammt. Die diploide Phase umfasst bei den Metazoa ([[Vielzellige Tiere]] einschließlich des Menschen) alle Zellen mit Ausnahme der [[Gamet]]en ([[Eizelle]] und [[Spermium]]). [[Pflanze]]n weisen dagegen einen Wechsel von diploiden und haploiden Generationen auf, wobei bei „höheren“ Pflanzen die diploide Generation in den Vordergrund tritt und die haploide Phase bei den [[Samenpflanzen]] stark reduziert ist ([[Embryosack]] und [[Pollen]]korn). Mendel und seine „Wiederentdecker“ befassten sich mit den Merkmalen diploider Pflanzen. |
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=== Regel 1: Uniformität === |
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Bei großer Homogenität der Gene der jeweiligen Eltern: |
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[[Datei:Uniformitätsregel - dominant-rezessive Vererbung.png|mini|Dominant-rezessiver Erbgang: P = Elterngeneration, F1 = erste Tochtergeneration: Alle Pflanzen haben den gleichen Genotyp und im Phänotyp die dominante Blütenfarbe.]] |
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[[Datei:Uniformitätsregel - intermediäre Vererbung.png|mini|Intermediärer Erbgang: P = Elterngeneration, F1 = erste Tochtergeneration: Alle Pflanzen haben den gleichen Genotyp und im Phänotyp eine schwächere Blütenfarbe.]] |
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Werden zwei Individuen miteinander gekreuzt, die sich in einem Merkmal unterscheiden, für das sie beide jeweils [[homozygot]] (reinerbig) sind, dann sind die Nachkommen der ersten Generation (Tochtergeneration F<sub>1</sub>) ''uniform,'' d. h. gleich bezogen auf das untersuchte Merkmal. Diese ''Uniformitätsregel'' oder ''Reziprozitätsregel'' gilt sowohl für den [[Phänotyp]] als auch für den [[Genotyp]], welcher bei allen Individuen der F<sub>1</sub>-Generation [[heterozygot]] (mischerbig) ist. |
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Für die Ausprägung des Merkmals tritt je nach dessen [[Erbgang (Biologie)|Erbgang]] eine von drei Möglichkeiten ein: |
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[[Bild:Mendel-1.png|250px|Mendel]] |
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* Beim [[Vererbung (Biologie)#Dominant-rezessive Vererbung|dominant-rezessiven]] Erbgang haben alle Mitglieder der F<sub>1</sub>-Generation denselben Phänotyp wie ein Elternteil. Beispiel: Bei Erbsen ist die rote Blütenfarbe dominant gegenüber der weißen, die Anlage für weiße Blüten wird daher als [[rezessiv]] bezeichnet. Wenn reinerbige rotblühende und reinerbige weißblühende Individuen gekreuzt werden, haben alle Mitglieder der F<sub>1</sub>-Generation ein Allel für weiß und ein Allel für rot vererbt bekommen, sie sind heterozygot. Trotzdem sind sie alle rotblühend, weil rot gegenüber weiß dominant ist. |
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[[Bild:Mendel-2.png|250px|Mendel]] |
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* Beim [[Intermediär (Genetik)|intermediären]] Erbgang haben alle Mitglieder der F<sub>1</sub>-Generation eine Mischform der elterlichen Merkmale, man spricht auch von unvollständiger Dominanz. Ein Beispiel ist die Blütenfarbe der [[Wunderblume]] ''Mirabilis jalapa'': Wenn rot- und weißblütige Exemplare gekreuzt werden, so haben alle Nachkommen rosafarbene Blüten. Die vollständige Dominanz ist allerdings ein idealer Grenzfall; es gibt alle Abstufungen bis hin zum perfekten intermediären Erbgang.<ref>Jane B. Reece & al.: ''Campbell Biologie''. 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016. S. 358.</ref><ref>C. Bresch, R. Hausmann: ''Klassische und molekulare Genetik''. 3. Aufl., Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1972. S. 41.</ref> |
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* Beim [[Kodominanz|kodominanten]] Erbgang bilden alle Mitglieder der F<sub>1</sub>-Generation beide Merkmale der Eltern separat aus. Ein Beispiel dafür sind die Allele A und B im [[AB0-System#Vererbung|AB0-System]] der menschlichen Blutgruppen. |
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Ausnahmen von der 1. Regel können auftreten, wenn sich das Gen für ein untersuchtes Merkmal auf einem Geschlechtschromosom ([[Gonosom]]) befindet. Dann kann es sein, dass die F<sub>1</sub>-Generation nicht uniform ist. |
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Wenn A dominant ist, hat jede Kombination, die mindestens ein A enthält, die entsprechenden Eigenschaft des Elternteils AA. Wenn AA beispielsweise für rote Blüten steht, und BB für blaue Blüten, und das Gen für rote Blüten dominant ist, haben alle "Kinder" von AA und BB rote Blüten, aber ein Viertel der "Enkel" wieder blaue Blüten. Falls keines der Gene dominiert, entstehen auch Mischungen - in diesem Fall möglicherweise lila Blüten bei der Kombination AB. |
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=== Regel 2: Spaltung === |
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Wenn mehrere Gene auf verschiedenen Chromosomen zusammen eine Eigenschaft ergeben, können auch ganz neue Ergebnisse entstehen - z. B. gelbe Blüten. Dasselbe gilt für Mutationen. |
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Die ''Spaltungsregel'' oder ''Segregationsregel'' gilt, wenn zwei Individuen gekreuzt werden, die beide gleichartig heterozygot sind, also z. B. zwei Pflanzen, die für die Blütenfarbe "Weiß" und "Rot" Erbanlagen haben. Das kann etwa die F<sub>1</sub>-Generation des vorherigen Abschnitts sein. In Beschreibungen der mendelschen Regeln werden die Nachkommen einer solchen Heterozygoten-Kreuzung daher als Enkel- oder zweite Filialgeneration (F<sub>2</sub>) bezeichnet. Die Nachkommen aus dieser Paarung sind untereinander nicht mehr uniform, sondern spalten sich sowohl im Genotyp als auch im Phänotyp auf. |
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* Handelt es sich um eine dominant-rezessive Vererbung, so sind durchschnittlich ein Viertel der F<sub>2</sub>-Individuen [[homozygot|reinerbig]] mit zwei [[rezessiv]]en [[Allel]]en und zeigen eine entsprechende Merkmalsausprägung (z. B. weiße Erbsenblüten). Die anderen drei Viertel zeigen im [[Phänotyp]] die dominante Erbanlage. Diese drei Viertel setzen sich zusammen aus einem Viertel [[homozygot|reinerbige]] und zwei Vierteln [[heterozygot|mischerbige]] Individuen. Insgesamt besteht also im Phänotyp ein Verhältnis von 3:1, im Genotyp ein Verhältnis von 1:2:1. Bei dominant-rezessiver Vererbung sind also in der zweiten Nachkommengeneration, der F2-Generation, 25 Prozent der Individuen homozygote Träger des dominanten Merkmals und 50 Prozent heterozygote Träger des dominanten Merkmals. Das fand Gregor Mendel durch [[Rückkreuzung]]en heraus. Die mischerbigen Individuen, die das dominante Merkmal ausprägen, aber auch die rezessive Erbanlage vererben können, nennt man [[Konduktor]]en. |
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[[Datei:Dominant-rezessive Vererbung P - F1 - F2.png|mini|zentriert|500px|'''1. + 2. Regel im dominant-rezessiven Erbgang,''' wie er z. B. bei der [[Blüte]]nfarbe der Erbsenpflanze auftritt.<br />Elterngeneration P mit jeweils reinerbigen Anlagen für weiß (w/w) bzw. rot (R/R).<br /> F<sub>1</sub>-Generation: Alle Individuen sehen gleich aus. Auch bei den [[heterozygot|mischerbigen]] Exemplaren reicht die dominante Erbanlage für die Bildung des roten Blütenpigments auf nur einem Allel aus, um eine volle Ausprägung des Merkmals rotblütig zu erreichen, obwohl das andere Allel die Erbanlage weiß, also das Fehlen des Blütenpigments beinhaltet.<br /> F<sub>2</sub>-Generation: Dominante (<span style="color:#990000;">rot</span>) und rezessive (weiße) Erscheinungsformen zeigen ein Verhältnis von 3:1.<br /><small>Der erste Vererbungsschritt von der P-Generation zur F<sub>1</sub>-Generation wird hier in einem anderen Erbschema dargestellt als die darauf folgende Vererbung von der F<sub>1</sub>- zur F<sub>2</sub>-Generation. Das untere ist ein [[Punnett-Quadrat]].</small>]] |
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* Bei intermediärer Vererbung weisen jeweils durchschnittlich 25 % der Nachkommen das Merkmal eines der beiden reinerbigen Individuen auf, etwa 50 % der Nachkommen bilden eine Mischform der beiden Merkmale aus (unvollständige Dominanz). Das Mengenverhältnis ist beim Phänotyp und beim Genotyp jeweils 1:2:1. Der Genotyp ist in diesem Falle am Phänotyp erkennbar. |
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Der Nutzen dieser Rekombination - also der sexuellen Vermehrung - liegt darin, dass mehr verschiedene Genkombinationen zur [[Evolution]] beitragen. Ohne sexuelle Vermehrung gäbe es von jedem Lebewesen nur weitgehend identische Kopien. Mit sexueller Vermehrung gibt es eine hohe Bandbreite an Nachkommen, und damit an Überlebensstrategien und -möglichkeiten. Dazu kommt, dass Fehler oder Schwächen im Erbgut bei sexueller Vermehrung sehr ungleichmäßig auf die Nachkommen verteilt sind - sodaß einige Nachkommen deutlich weniger Probleme haben, als ihre Eltern, und damit ein Ausgleich für Fehler beim Kopieren der Erbinformationen geschaffen wird. Schlussendlich ermöglicht die sexuelle Vermehrung die Übernahme der besten Eigenschaften zweier zeitweise getrennter Populationen in eine gemeinsame Population, und damit auch eine schnellere Aneignung von Fähigkeiten, die woanders vorher schon entstanden sind. |
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[[Datei:Intermediäre Vererbung P - F1 - F2.png|mini|zentriert|500px|'''1. + 2. Regel im intermediären Erbgang,''' wie er z. B. bei der Blütenfarbe der [[Wunderblume]] (''Mirabilis jalapa'') auftritt.<br /> Elterngeneration P mit jeweils [[homozygot|reinerbigen]] Anlagen für weiß (w/w) bzw. pinkrot (r/r). <br /> F<sub>1</sub>-Generation: Alle Individuen sehen gleich aus. Die „<span style="color:#990000;">roten</span>“ und „weißen“ Erbanlagen der [[heterozygot|mischerbigen]] Pflanzen ergeben eine <span style="color:#FF00FF;">rosa</span> Blütenfarbe. <br /> F<sub>2</sub>-Generation. <span style="color:#990000;">Rote</span>, <span style="color:#FF00FF;">rosa</span> und weiße Blütenfarben treten mit einem 1:2:1 Verhältnis auf.]] |
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== Anwendung == |
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Die Mendelschen Gesetze werden insbesondere in der Tier- und Pflanzenzucht angewendet, z.B. bei der Zucht von [[Hybride]]n. Sie können auch für die [[Vaterschaftstest|Vaterschaftsanalyse]] verwendet werden, z.B. um nachzuweisen, dass bestimmte Menschen nicht als Vater eines bestimmten Kindes in Frage kommen. |
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* Bei kodominanter Vererbung gilt die Aufspaltung im Verhältnis 1:2:1 analog. |
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Zu Abweichungen von der Spaltungsregel siehe jedoch: [[Nicht-zufällige Segregation von Chromosomen]]. |
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==Literatur== |
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*H. Frederik Nijhout: ''Der Kontext macht's''! Spektrum der Wissenschaft, April 2005, S. 70 - 77 (2005), ISSN 170-2971 |
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=== Regel 3: Unabhängigkeit === |
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[[Datei:Dihybrider Erbgang - Länge des Fells und Scheckung - Katzen.png|mini|Dihybrider Erbgang bei Hauskatzen: Länge des Fells und Weißscheckung]] |
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Die ''Unabhängigkeitsregel'' oder ''Neukombinationsregel'' beschreibt die Vererbung von zwei Merkmalen ([[dihybrider Erbgang]]), die gleichzeitig vorhanden sind, bei der Kreuzung reinerbiger Individuen und deren Nachkommen. Beide Merkmale werden '''unabhängig''' voneinander vererbt (daher der Name der Regel), |
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sodass ab der F<sub>2</sub>-Generation neue, reinerbige Kombinationen auftreten. Erst [[Zytogenetik]]er zeigten, dass die [[Gen]]e unabhängiger Merkmale auf verschiedenen [[Chromosom]]en liegen. |
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Beispiel im nebenstehenden Erbschema: P-Generation: Jedes Elterntier besitzt je ein dominantes und ein rezessives Merkmal jeweils reinerbig ([[homozygot]]). F<sub>1</sub>: Nach der Uniformitätsregel sind alle Individuen in Genotyp und Phänotyp gleich und mischerbig ([[heterozygot]]). Sie prägen die dominanten Merkmale im Phänotyp aus. F<sub>2</sub>: Nun sind alle Allelkombinationen möglich. Die Merkmale werden unabhängig voneinander vererbt, so dass neue Kombinationen auftreten können. Durchschnittliches Zahlenverhältnis der Phänotypen 9:3:3:1<ref> Spektrum Lexikon Biologie ''[http://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/mendel-regeln/7470 Mendel-Regeln]''</ref> Bei diesem Beispiel in der F<sub>2</sub>-Generation: 9 voll pigmentierte mit kurzem, 3 voll pigmentierte Katzen mit langem Fell und 3 weiß gescheckte mit kurzem Fell, sowie eine weiß gescheckte Katze mit langem Fell entstanden durch Neukombination der beiden rezessiven Merkmale. Die Spaltungsregel und die Unabhängigkeitsregel stehen in Einklang mit der Chromosomentheorie der Vererbung. |
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[[Datei:Molekularbiologische Übertragbarkeit der Mendelsche Regeln.svg|miniatur|hochkant=1.0|]] |
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Die Unabhängigkeitsregel gilt allerdings nur dann, wenn sich die für die Merkmale verantwortlichen [[Gen]]e auf verschiedenen [[Chromosom]]en befinden, die durch die [[Meiose]] voneinander getrennt werden, oder wenn sie auf dem gleichen Chromosom so weit voneinander entfernt liegen, dass sie während der Meiose durch [[Crossing-over]] regelmäßig getrennt voneinander vererbt werden. Befinden sich Gene auf dem gleichen Chromosom nahe beieinander, so werden sie in [[Kopplungsgruppe]]n vererbt. |
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Bei den beiden hier beispielhaft dargestellten Merkmalen handelt es sich um dominant-rezessive Erbgänge. Werden jedoch ein oder beide Merkmale intermediär vererbt, so werden die Phänotypen nicht im Zahlenverhältnis 9:3:3:1 ausgebildet. Im Genotyp bleiben die Zahlenverhältnisse bei allen Erbformen gleich. Alle Verhältnisse lassen sich durch Ausrechnen der obigen Matrix ([[Punnett-Quadrat]]) leicht ermitteln. |
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[[Datei:Mendel-flowers.jpg|miniatur|F2 am Beispiel von [[Vergissmeinnicht]]]] |
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== Literatur == |
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* Uwe Hoßfeld, Michael V. Simunek: ''150 Jahre Mendels Vortrag „Versuche über Pflanzen-Hybriden“.'' In: ''BIOspektrum.'' Band 21, Nr. 2, 2015, S. 238 f. (Biospektrum: [http://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=1339229 Online-Version]). |
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* Floyd V. Monaghan und Alain F. Corcos: ''Reexamination of the fate of Mendel's paper.'' In: ''The Journal of Heredity.'' Band 78, Nr. 2, 1987, S. 116–118. |
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* Jane B. Reece & al.: ''Campbell Biologie''. 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016. Kap. 14: ''Mendel und das Genkonzept'', S. 345–373. |
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* Ulrike Roll: ''Mendelsche Gesetze.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 968 f. |
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== Weblinks == |
== Weblinks == |
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* [http://www.mendelweb.org/MWGerText.html ''Versuche über Pflanzen-Hybriden'' (1865): Mendels Original-Veröffentlichung] (vorgelegt in den Sitzungen vom 8. Februar und 8. März 1865) bei ''mendelweb.org,'' Roger B. Blumberg |
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*[http://www.abi-bayern.de/start.htm Abiturvorbereitung für den Grundkurs Biologie] |
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* [http://www.merian.fr.bw.schule.de/Beck/skripten/13/bs13-12.htm Klassische Genetik und Humangenetik: Mendelsche Regeln] |
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* [http://www.mendelweb.org/MWGerText.html Versuche über Pflanzen-Hybriden (1865) von Gregor Mendel] |
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*[http://www.gmg-amberg.de/unterr/faecher/physikhm/gregormendel/gregormendel.php Computersimulation zu den Mendelschen Gesetzen] |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie:Genetik]] |
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<references/> |
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{{Normdaten|TYP=s|GND=4169414-4}} |
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test |
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[[Kategorie:Genetik]] |
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[[Kategorie:Biologiegeschichte]] |
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[[Kategorie:Gregor Mendel]] |
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[[ |
[[it:Gregor Mendel#Le leggi di Mendel]] |
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[[en:Mendelian inheritance]] |
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[[id:Hukum Pewarisan Mendel]] |
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[[it:Leggi di Mendel]] |
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[[ja:メンデルの法則]] |
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[[ko:멘델의 유전법칙]] |
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[[nl:Wetten van Mendel]] |
Aktuelle Version vom 3. Juni 2025, 10:45 Uhr

Die Mendelschen Regeln beschreiben den Vererbungsvorgang bei Merkmalen, deren Ausprägung von jeweils nur einem Gen bestimmt wird (monogener Erbgang). Sie sind nach ihrem Entdecker Gregor Mendel benannt, der sie 1865/1866 publizierte, die aber zunächst kaum zur Kenntnis genommen und erst 1900, lange nach seinem Tod, „wiederentdeckt“ wurden.
Die Mendelschen Regeln gelten nur für Lebewesen, bei denen sich im Zuge der sexuellen Fortpflanzung diploide und haploide Stadien (mit zwei bzw. einem Chromosomensatz im Zellkern) abwechseln (siehe Kernphasenwechsel). Für Organismen mit höherem Ploidiegrad (Polyploidie) lassen sich entsprechende Regeln ableiten. Viele Merkmale werden allerdings polygen vererbt durch das Zusammenwirken mehrerer Gene.
Die alternativen Bezeichnungen Vererbungsgesetze[1] und Mendelsche Gesetze sind ungebräuchlich geworden, da schon bald genetische Phänomene entdeckt wurden, bei denen ein Erbgang von den „Regeln“ abweichen kann. Beispiele für eine nicht-mendelsche Vererbung sind die Genkopplung, die extrachromosomale Vererbung, die nicht-zufällige Segregation von Chromosomen und der Meiotic Drive.
Forschungsgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Mendelschen Regeln wurden Anfang der 1860er-Jahre von dem Augustinermönch und Hilfslehrer Gregor Mendel erkannt und durch Kreuzungsversuche an Erbsenpflanzen bestätigt. 1865 berichtete er darüber in zwei Vorträgen im Naturforschenden Verein in Brünn ([Ü]ber Hybriden im Pflanzenreiche am 8. Februar bzw. im März 1865).[2][3][4] 1866 folgte eine lange Zeit wenig beachtete gedruckte Publikation.[5]
Mendel entdeckte Gesetzmäßigkeiten, die Anderen zuvor und noch Jahrzehnte danach verborgen blieben. Der Erfolg seiner Untersuchungen an Erbsenpflanzen lässt sich im Nachhinein mit folgenden Faktoren begründen:[6]
- die Beschränkung auf wenige, klar unterscheidbare Merkmale,
- die Auswahl reinerbiger Stämme,
- die künstliche Bestäubung unter Schutz vor natürlicher Fremdbestäubung und Selbstbestäubung[7]
- die großangelegten Versuchsreihen sowie
- die statistische Auswertung.
Insbesondere die Beschränkung auf einzelne Merkmale stand im Gegensatz zu damals herrschenden Vorstellungen, wonach der ganze elterliche Organismus auf die Eigenschaften der Nachkommen Einfluss nimmt und dies durch eine Flüssigkeit (beim Menschen das Blut) vermittelt wird. Entsprechend wurden die Nachkommen als Mischlinge oder Bastarde betrachtet und als solche kategorisiert.[8]
Mendel wählte sieben Merkmale aus und kreuzte jeweils reinerbige Pflanzen, die sich in einem dieser Merkmale, z. B. der Blütenfarbe, unterschieden. Er stellte fest, dass alle Nachkommen der ersten Generation nur eine Ausprägung des jeweiligen Merkmals aufwiesen, z. B. violette Blüten. Kreuzte er nun Pflanzen dieser Generation erneut miteinander, so trat in der zweiten Tochtergeneration das verschwundene Merkmal (weiße Blüten) wieder auf, und zwar bei einem Viertel der Nachkommen. Dieses 3:1–Verhältnis fand Mendel in allen sieben untersuchten Fällen, und er konnte es durch eine große Zahl von Versuchen statistisch absichern. Zur Erklärung führte er die Begriffe Dominanz und Rezessivität ein: Die dominante violette Farbe verdeckte in der ersten Generation die rezessive weiße, diese trat aber in der zweiten Generation wieder auf. Aus diesen Beobachtungen schloss Mendel, dass jede Pflanze den „Erbfaktor“ für die Blütenfarbe oder ein anderes Merkmal in zweifacher Ausfertigung besitzt. Eine Bestätigung dieser Annahme lieferten Rückkreuzungsversuche mit weißblütigen Pflanzen, bei denen entweder nur violettblühende Tochterpflanzen auftraten oder beide Blütenfarben zu gleichen Teilen, womit sich die violettblühende Mutterpflanze als reinerbig bzw. mischerbig erwies.[9]
Der niederländische Botaniker Hugo de Vries kam in den 1880er Jahren bei Kreuzungsexperimenten zu der Überzeugung, dass der bisherige ganzheitliche Erklärungsansatz falsch sei und man stattdessen die Vererbung einzelner Merkmale untersuchen müsse. In zahlreichen Versuchsreihen mit vielen verschiedenen Pflanzenarten, die er quantitativ auswertete, fand er durchweg wie Mendel eine Aufspaltung im Verhältnis 3:1. In einer Publikation mit dem Titel Das Spaltungsgesetz der Bastarde forderte er 1900 „eine vollständige Umwandlung der Ansichten“ und griff dabei Mendels Arbeit über Erbsen auf, deren Ergebnisse er als allgemein gültig bezeichnete. Parallel begann der deutsche Botaniker Carl Correns 1894 mit entsprechenden Versuchen, deren Ergebnisse er ebenfalls 1900 unter Bezug auf Mendel veröffentlichte. Als dritter „Wiederentdecker“ Mendels im selben Jahr galt lange Zeit der österreichische Pflanzenzüchter Erich Tschermak; bei ihm bestehen jedoch Zweifel, ob er Mendels Ergebnisse zu diesem Zeitpunkt korrekt verstanden hatte.[10][11][12] Im Jahr 1902 hatte Archibald E. Garrod an einer Familie mit Alkaptonurie die Gültigkeit der Mendelschen Regeln nachgewiesen.[13] Zwischenzeitlich waren die Chromosomen und ihre Verteilung an die Nachkommen beschrieben worden, so dass die mendelschen Regeln jetzt mit diesen Beobachtungen zur Chromosomentheorie der Vererbung vereinigt werden konnten.
Die drei Regeln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gültigkeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Mendelschen Regeln beziehen sich auf Merkmale, die von einem einzigen Gen festgelegt werden. Jedes Gen liegt in der diploiden Kernphase in zwei Kopien („Allelen“) vor, von denen je eines von jedem Elternteil stammt. Die diploide Phase umfasst bei den Metazoa (Vielzellige Tiere einschließlich des Menschen) alle Zellen mit Ausnahme der Gameten (Eizelle und Spermium). Pflanzen weisen dagegen einen Wechsel von diploiden und haploiden Generationen auf, wobei bei „höheren“ Pflanzen die diploide Generation in den Vordergrund tritt und die haploide Phase bei den Samenpflanzen stark reduziert ist (Embryosack und Pollenkorn). Mendel und seine „Wiederentdecker“ befassten sich mit den Merkmalen diploider Pflanzen.
Regel 1: Uniformität
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Werden zwei Individuen miteinander gekreuzt, die sich in einem Merkmal unterscheiden, für das sie beide jeweils homozygot (reinerbig) sind, dann sind die Nachkommen der ersten Generation (Tochtergeneration F1) uniform, d. h. gleich bezogen auf das untersuchte Merkmal. Diese Uniformitätsregel oder Reziprozitätsregel gilt sowohl für den Phänotyp als auch für den Genotyp, welcher bei allen Individuen der F1-Generation heterozygot (mischerbig) ist.
Für die Ausprägung des Merkmals tritt je nach dessen Erbgang eine von drei Möglichkeiten ein:
- Beim dominant-rezessiven Erbgang haben alle Mitglieder der F1-Generation denselben Phänotyp wie ein Elternteil. Beispiel: Bei Erbsen ist die rote Blütenfarbe dominant gegenüber der weißen, die Anlage für weiße Blüten wird daher als rezessiv bezeichnet. Wenn reinerbige rotblühende und reinerbige weißblühende Individuen gekreuzt werden, haben alle Mitglieder der F1-Generation ein Allel für weiß und ein Allel für rot vererbt bekommen, sie sind heterozygot. Trotzdem sind sie alle rotblühend, weil rot gegenüber weiß dominant ist.
- Beim intermediären Erbgang haben alle Mitglieder der F1-Generation eine Mischform der elterlichen Merkmale, man spricht auch von unvollständiger Dominanz. Ein Beispiel ist die Blütenfarbe der Wunderblume Mirabilis jalapa: Wenn rot- und weißblütige Exemplare gekreuzt werden, so haben alle Nachkommen rosafarbene Blüten. Die vollständige Dominanz ist allerdings ein idealer Grenzfall; es gibt alle Abstufungen bis hin zum perfekten intermediären Erbgang.[14][15]
- Beim kodominanten Erbgang bilden alle Mitglieder der F1-Generation beide Merkmale der Eltern separat aus. Ein Beispiel dafür sind die Allele A und B im AB0-System der menschlichen Blutgruppen.
Ausnahmen von der 1. Regel können auftreten, wenn sich das Gen für ein untersuchtes Merkmal auf einem Geschlechtschromosom (Gonosom) befindet. Dann kann es sein, dass die F1-Generation nicht uniform ist.
Regel 2: Spaltung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Spaltungsregel oder Segregationsregel gilt, wenn zwei Individuen gekreuzt werden, die beide gleichartig heterozygot sind, also z. B. zwei Pflanzen, die für die Blütenfarbe "Weiß" und "Rot" Erbanlagen haben. Das kann etwa die F1-Generation des vorherigen Abschnitts sein. In Beschreibungen der mendelschen Regeln werden die Nachkommen einer solchen Heterozygoten-Kreuzung daher als Enkel- oder zweite Filialgeneration (F2) bezeichnet. Die Nachkommen aus dieser Paarung sind untereinander nicht mehr uniform, sondern spalten sich sowohl im Genotyp als auch im Phänotyp auf.
- Handelt es sich um eine dominant-rezessive Vererbung, so sind durchschnittlich ein Viertel der F2-Individuen reinerbig mit zwei rezessiven Allelen und zeigen eine entsprechende Merkmalsausprägung (z. B. weiße Erbsenblüten). Die anderen drei Viertel zeigen im Phänotyp die dominante Erbanlage. Diese drei Viertel setzen sich zusammen aus einem Viertel reinerbige und zwei Vierteln mischerbige Individuen. Insgesamt besteht also im Phänotyp ein Verhältnis von 3:1, im Genotyp ein Verhältnis von 1:2:1. Bei dominant-rezessiver Vererbung sind also in der zweiten Nachkommengeneration, der F2-Generation, 25 Prozent der Individuen homozygote Träger des dominanten Merkmals und 50 Prozent heterozygote Träger des dominanten Merkmals. Das fand Gregor Mendel durch Rückkreuzungen heraus. Die mischerbigen Individuen, die das dominante Merkmal ausprägen, aber auch die rezessive Erbanlage vererben können, nennt man Konduktoren.

Elterngeneration P mit jeweils reinerbigen Anlagen für weiß (w/w) bzw. rot (R/R).
F1-Generation: Alle Individuen sehen gleich aus. Auch bei den mischerbigen Exemplaren reicht die dominante Erbanlage für die Bildung des roten Blütenpigments auf nur einem Allel aus, um eine volle Ausprägung des Merkmals rotblütig zu erreichen, obwohl das andere Allel die Erbanlage weiß, also das Fehlen des Blütenpigments beinhaltet.
F2-Generation: Dominante (rot) und rezessive (weiße) Erscheinungsformen zeigen ein Verhältnis von 3:1.
Der erste Vererbungsschritt von der P-Generation zur F1-Generation wird hier in einem anderen Erbschema dargestellt als die darauf folgende Vererbung von der F1- zur F2-Generation. Das untere ist ein Punnett-Quadrat.
- Bei intermediärer Vererbung weisen jeweils durchschnittlich 25 % der Nachkommen das Merkmal eines der beiden reinerbigen Individuen auf, etwa 50 % der Nachkommen bilden eine Mischform der beiden Merkmale aus (unvollständige Dominanz). Das Mengenverhältnis ist beim Phänotyp und beim Genotyp jeweils 1:2:1. Der Genotyp ist in diesem Falle am Phänotyp erkennbar.

Elterngeneration P mit jeweils reinerbigen Anlagen für weiß (w/w) bzw. pinkrot (r/r).
F1-Generation: Alle Individuen sehen gleich aus. Die „roten“ und „weißen“ Erbanlagen der mischerbigen Pflanzen ergeben eine rosa Blütenfarbe.
F2-Generation. Rote, rosa und weiße Blütenfarben treten mit einem 1:2:1 Verhältnis auf.
- Bei kodominanter Vererbung gilt die Aufspaltung im Verhältnis 1:2:1 analog.
Zu Abweichungen von der Spaltungsregel siehe jedoch: Nicht-zufällige Segregation von Chromosomen.
Regel 3: Unabhängigkeit
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Die Unabhängigkeitsregel oder Neukombinationsregel beschreibt die Vererbung von zwei Merkmalen (dihybrider Erbgang), die gleichzeitig vorhanden sind, bei der Kreuzung reinerbiger Individuen und deren Nachkommen. Beide Merkmale werden unabhängig voneinander vererbt (daher der Name der Regel), sodass ab der F2-Generation neue, reinerbige Kombinationen auftreten. Erst Zytogenetiker zeigten, dass die Gene unabhängiger Merkmale auf verschiedenen Chromosomen liegen.
Beispiel im nebenstehenden Erbschema: P-Generation: Jedes Elterntier besitzt je ein dominantes und ein rezessives Merkmal jeweils reinerbig (homozygot). F1: Nach der Uniformitätsregel sind alle Individuen in Genotyp und Phänotyp gleich und mischerbig (heterozygot). Sie prägen die dominanten Merkmale im Phänotyp aus. F2: Nun sind alle Allelkombinationen möglich. Die Merkmale werden unabhängig voneinander vererbt, so dass neue Kombinationen auftreten können. Durchschnittliches Zahlenverhältnis der Phänotypen 9:3:3:1[16] Bei diesem Beispiel in der F2-Generation: 9 voll pigmentierte mit kurzem, 3 voll pigmentierte Katzen mit langem Fell und 3 weiß gescheckte mit kurzem Fell, sowie eine weiß gescheckte Katze mit langem Fell entstanden durch Neukombination der beiden rezessiven Merkmale. Die Spaltungsregel und die Unabhängigkeitsregel stehen in Einklang mit der Chromosomentheorie der Vererbung.

Die Unabhängigkeitsregel gilt allerdings nur dann, wenn sich die für die Merkmale verantwortlichen Gene auf verschiedenen Chromosomen befinden, die durch die Meiose voneinander getrennt werden, oder wenn sie auf dem gleichen Chromosom so weit voneinander entfernt liegen, dass sie während der Meiose durch Crossing-over regelmäßig getrennt voneinander vererbt werden. Befinden sich Gene auf dem gleichen Chromosom nahe beieinander, so werden sie in Kopplungsgruppen vererbt.
Bei den beiden hier beispielhaft dargestellten Merkmalen handelt es sich um dominant-rezessive Erbgänge. Werden jedoch ein oder beide Merkmale intermediär vererbt, so werden die Phänotypen nicht im Zahlenverhältnis 9:3:3:1 ausgebildet. Im Genotyp bleiben die Zahlenverhältnisse bei allen Erbformen gleich. Alle Verhältnisse lassen sich durch Ausrechnen der obigen Matrix (Punnett-Quadrat) leicht ermitteln.

Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Uwe Hoßfeld, Michael V. Simunek: 150 Jahre Mendels Vortrag „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. In: BIOspektrum. Band 21, Nr. 2, 2015, S. 238 f. (Biospektrum: Online-Version).
- Floyd V. Monaghan und Alain F. Corcos: Reexamination of the fate of Mendel's paper. In: The Journal of Heredity. Band 78, Nr. 2, 1987, S. 116–118.
- Jane B. Reece & al.: Campbell Biologie. 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016. Kap. 14: Mendel und das Genkonzept, S. 345–373.
- Ulrike Roll: Mendelsche Gesetze. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 968 f.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Versuche über Pflanzen-Hybriden (1865): Mendels Original-Veröffentlichung (vorgelegt in den Sitzungen vom 8. Februar und 8. März 1865) bei mendelweb.org, Roger B. Blumberg
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Vgl. etwa Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 41.
- ↑ Vom naturforschenden Vereine. In: Mährischer Correspondent, 7. Februar 1865, S. 3 (online bei ANNO).
- ↑ Monatsversammlung des naturforschenden Vereines. In: Mährischer Correspondent, 10. März 1865, S. 4 (online bei ANNO).
- ↑ Uwe Hoßfeld, Michael V. Simunek: 150 Jahre Mendels Vortrag „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. 2015, S. 238.
- ↑ Gregor Mendel: Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn. Bd. IV. 1866. S. 3–47.
- ↑ Abiturwissen Biologie. Bibliographische Informationen der Deutschen Bibliothek, 2004, ISBN 3-411-00222-0.
- ↑ Neil A. Campbell, Jane B. Reece: Biologie. Spektrum-Verlag 2003, Seite 294, ISBN 3-8274-1352-4.
- ↑ Ilse Jahn, Rolf Löther, Konrad Senglaub (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 2., durchgesehene Auflage. VEB Fischer, Jena 1985, S. 554–555.
- ↑ Jane B. Reece & al.: Campbell Biologie, 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016, S. 347–352.
- ↑ Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 3. Auflage. Sonderausgabe Nikol, Hamburg 2004, S. 415–418.
- ↑ Ernst Mayr: The Growth of Biological Thought, Belknap Press, S. 730 (1982)
- ↑ Floyd Monaghan, Alain Corcos: Tschermak: A non-discoverer of Mendelism, Journal of Heredity 77: 468f (1986) und 78: 208-210 (1987) (Abstract)
- ↑ Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 56.
- ↑ Jane B. Reece & al.: Campbell Biologie. 10. Aufl., Pearson Deutschland, Hallbergmoos 2016. S. 358.
- ↑ C. Bresch, R. Hausmann: Klassische und molekulare Genetik. 3. Aufl., Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1972. S. 41.
- ↑ Spektrum Lexikon Biologie Mendel-Regeln