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„Feudalismus“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Bayeux Tapestry scene23 Harold sacramentum fecit Willelmo duci.jpg|mini|Beeidigung [[Harald II. (England)|Harald II von England]] als [[Vasall]] von [[Wilhelm I. (England)|Wilhelm I.]] (Teppich-Stickerei)]]
Der Ausdruck '''Feudalismus''' (v. lat. ''feudum'' Lehen) bezeichnet in den Sozialwissenschaften vor allem auf die Gesellschaftsform des europäischen [[Mittelalter|Mittelalters]]. Das Wort Feudalismus fand seine Verbreitung als Kampfbegriff in der Französischen Revolution [[1789]]. ''Féodalité'' kennzeichnete das gesamte Privilegienwesen über das Lehnswesen. Ich grueße die 9a aus Mb. BlauUndSchlau (ihr wisst schon)
[[Datei:Aufbau des Feudalismus.jpg|mini|Aufbau des Feudalismus]]
stimmt bestimmt*gg* grüße auch an die 9a von der miiiiiriiii


'''Feudalismus''' (wie „feudal“ zu {{laS|feudum/feodum|de=[[Lehnswesen|Lehen]]}}), auch Feudalsystem oder Feudalität genannt, bezeichnet in den [[Sozialwissenschaften|Sozial-]], [[Rechtswissenschaft|Rechts-]] und [[Geschichtswissenschaft]]en vor allem die [[Gesellschaftsordnung|Gesellschafts-]] und [[Wirtschaftsordnung|Wirtschaftsform]] des europäischen [[Mittelalter]]s.
==Merkmale==
Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden: Die Produktion war stark von der [[Naturalwirtschaft]] geprägt. Die Bauern stellten den überwiegenden Anteil an der Bevölkerung. Allerdings waren sie nicht Besitzer des von ihnen bestellen Landes. Das gehörte meistens den Grundherren. Die Bauern befanden sich im Zustand der [[Leibeigenschaft]], sie waren also persönlich unfrei.
Das bedeutete:
* Sie waren an die Scholle gebunden (glebae adscripti) und hatten also nicht das Recht, das von ihnen bestelle Land zu verlassen.
* Sie waren der Rechtsprechung ihres Herren unterworfen.
* Sie schuldeten den Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen ([[Fron]]) auf dem direkt vom Grundherren bewirtschaftenten Land (Salland), als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden musste, das sie selbst bewirtschafteten. Die [[Fron | Frondienste]] oder die Naturalabgaben konnten im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.
Das Eigentum des Grundherren war auch nur bedingt, denn er hatte es als [[Lehen]] von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er dafür Kriegsdienste schuldete. Er war also sein [[Vasall]].
Die Kette dieser abhängigen, mit Kriegsdienst verbundener Lehen reichte bis zum [[König]], dessen hoheitliche Domäne letzten Endes alles Land war. Die politische [[Souveränität]] war nach unten hin quasi parzelliert. Der König war in einem solchen System nur das Oberhaupt seiner Vasallen, an die er durch gegenseitige Bande der Lehenstreue gebunden war, aber er hatte keinen direkten Zugang zu seinen Untertanen. Diese Parzellierung der Souveränität war typisch für die gesamte feudale Epoche. Hieraus ergaben sich eine bestimmte Entwicklungsdynamik :
# Aus der [[Germanen | germanischen]] Zeit überlebte das dörfliche Gemeindeland oder die [[Allmende]]. Die Zersplitterung der Souveränität verhinderte die Aneignung dieses Landes durch die Feudalherren und stärkte die Stellung der Bauern.
# Die Parzellierung der Souveränität erlaubte die autonome Existenz und Entwicklung von [[stadt | Städten]]. Die Stadtbürger beschäftigten sich mit [[Handwerk]] und [[Handel]] und regierten sich selbst als autonome Kommunen.
# Die Zersplitterung der Souveränität kann zu anarchischen Zuständen führen und damit den Bestand des feudalen Staates gefährden. Deshalb waren die Könige bestrebt, ihre Rechte über die reinen Feudalbeziehungen hinaus auszuweiten und direkte Beziehungen zu ihren Untertanen zu etablieren, z.B. in Form des Rechtes der Steuererhebung. Dadurch gerieten sie in einen Gegensatz zum [[Adel]].
# Die [[Katholische_Kirche | Kirche]], im Altertum ein Bestandteil des Staatsapparates, wurde im [[Mittelalter]] eine selbständige Institution, die sich ebenfalls feudalisierte. Daraus resultieren häufige Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Herrschaften, die zu einem Riß in der feudalen Legitimität führen konnten. Ein Beispiel hierfür ist der [[Investiturstreit]].


== Begriffsgeschichte ==
==Entstehung==
Der Begriff wurde in [[Königreich Frankreich (987–1791)|Frankreich]] im frühen Zeitalter der [[Aufklärung]] geprägt, durch [[Charles de Secondat, Baron de Montesquieu|Montesquieu]] 1748 bekannt gemacht und insbesondere von [[Voltaire]] erläutert. In der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] 1789 spielte er als [[Politisches Schlagwort|Kampfbegriff]] zur Charakterisierung der früheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine große Rolle. Im deutschsprachigen Raum kam der Ausdruck Feudalismus Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Später klassifizierte [[Karl Marx]] den Feudalismus als notwendige Vorstufe des [[Kapitalismus]].
Die feudale Gesellschaft entstand im [[Frühmittelalter]] durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und den germanischen Gesellschaften. Nach der [[Völkerwanderung]] entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen [[römisches Reich | römischen Reiches]] mehrere germanische Königreiche. Die oben beschriebenen feudalen Institutionen entwickelten sich aber erst nach dem Jahr 800 im [[Frankenreich | Reich der Franken]], als eine vormals zum Teil freie Bauernschaft durch ständige Kriege und Invasionen der [[Wikinger]], [[Sarazenen]], [[Magyaren | Ungarn]] etc. ökonomisch ruiniert und so in die Abhängigkeit von den Feudalherren gezwungen wurde.


== Merkmale ==
Die '''Kernregion''' des europäischen Feudalismus war [[Frankreich | Nordfrankreich]], das dem idealtypischen Feudalsystem sehr viel mehr als jede andere Region entsprach. Hier existierte eine einzigartig dichte Lehenshierarchie mit vielfältige Ebenen der Subinfeudation.
Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden:


* Ein [[Landesherr]] überlässt seinen militärischen [[Gefolgsleute]]n zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes, einschließlich der darauf befindlichen Bewohner.
In '''Südeuropa''' ([[Spanien]], [[Languedoc]], [[Italien]]) waren die Überbleibsel der [[Antike]] stärker. So war verhältnismäßig mehr Land absolutes, nicht lehensgebundenes [[Eigentum]]. Zudem verschwanden die Städte nicht vollständig, wie in Nordeuropa und sie erlebten im [[Languedoc]] und in [[Italien]] ab dem 10. Jahrhundert eine neue Blütezeit.
* Das ''feodum'' ist ein zum [[Lehnswesen|Lehen]] (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes ''beneficium'', also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften.
* Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen, während sie gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken oder diese schwächen.


Streng genommen beinhaltet der Begriff Feudalismus daher zwei voneinander getrennte Dimensionen:
In '''Nordeuropa''' ([[Herzogtum_Sachsen | Sachsen]], [[England]], [[Skandinavien]]) mit stärkeren Überresten der [[Germanen | germanischen]] Gesellschaften dauerte es viel länger, bis es zur Etablierung der [[Leibeigenschaft]] kam. In [[Herzogtum_Sachsen | Sachsen]] und teilweiese auch in anderen Gebieten [[Deutschland | Deutschlands]] bis zum 12. Jahrhundert; in [[Schweden]] konnte sie sich nie vollständig durchsetzen. In [[England]] dagegen verschwand die autonome Volksgerichtsbarkeit nie vollständig. Aus ihr entwickelte sich das [[Common_Law | Common Law]].
# das Verhältnis des obersten Landesherrn zur Kriegerklasse und deren Gefolgschaftstreue sowie
# die Herrschaftsverhältnisse der mit Lehen ausgestatteten Klasse nach unten zu der nicht belehnten Bevölkerung.


Die Produktion des Feudalismus war stark von der [[Naturalwirtschaft]] geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Bauernfamilien. Sie waren aber nicht [[Eigentümer]] des von ihnen bestellten Landes. Dieses Land war Eigentum der wenigen [[Grundherrschaft|Grundherrn]]. Die Bauern befanden sich im Zustand der [[Hörigkeit (Rechtsgeschichte)|Hörigkeit]], sie waren also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfrei.
==siehe auch==


Das bedeutet:
*[[Fron]]
* Sie waren an die [[Scholle (Grund)|Scholle]] (das zu bestellende Land) gebunden ''(glebae adscripti)'' und hatten nicht das Recht, sie zu verlassen, weil sie als Bestandteil der Wirtschaftsgüter des Lehnsgutes galten.
*[[Leibeigenschaft]]
* Sie waren der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
*[[Vasall]]
* Sie schuldeten dem Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen ([[Fron]]) auf dem direkt vom [[Grundherrschaft|Grundherren]] bestellten Land (Salland) als auch in Form von [[Naturalabgabe]]n, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden mussten, das sie selbst bewirtschafteten ([[Zehnt]]). Die Frondienste oder die Naturalabgaben konnten im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.
*[[Lehnswesen]]
*[[Absolutismus]]


Allerdings konnten Teile dieser Rechte auch in verschiedenen Händen sein, beispielsweise als getrennte Gerichts- und Grundherrschaft. Der Grundherr war gegenüber den Hörigen auch nicht vollkommen souverän in der Erteilung und Entziehung des Rechtes auf Landnutzung. Wesentliche bekannte Formen sind ein erbliches Nutzungsrecht innerhalb der Familie des Hörigen, ein Nutzungsrecht auf Lebenszeit oder auf mehrere Jahre sowie als für die Hörigen unsicherste Form ein jederzeit widerrufbares Nutzungsrecht.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: ''Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands.'' Schöningh, 2003, S. 39.</ref>
==Literatur==
* Perry Anderson: Von der Antike zum Feudalismus, Frankfurt am Main 1978
* Jan Dhont: Das frühe Mittelalter (Fischer Weltgeschichte 10), Frankfurt am Main 1968


Das Eigentum des Grundherrn war auch nur bedingt, denn er hatte es als Lehen von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er dafür Kriegsdienste schuldete und dessen [[Vasall]] er war. Allerdings konnten auch Landesherren oder der König unmittelbar als Grundherren auftreten. Tendenziell waren Landes- und Grundherr im frühen Feudalwesen häufiger identisch. Im weiteren Zeitverlauf nahmen mittelbare Grundherrschaften zu, während die Domänen oder [[Kammergut|Kammergüter]] als Reste unmittelbarer landesherrlicher Grundherrschaft verblieben.
[[Kategorie:Staatsform]]
[[Kategorie:Gesellschaftsform]]


Zur Beurteilung des Feudalismus als [[Wirtschaftssystem]] gehört auch die Beobachtung, dass ein Teil der Einnahmen des Feudalherrn wieder verteilt wurde, als [[Patriarchat (Soziologie)|patriarchalisches]] Almosen, als Geschenk an „treue“ Vasallen o.&nbsp;ä. Es war nämlich Teil der Aufgabe des Feudalherrn, für einen Ausgleich zu sorgen (die allerdings in der Realität von den Feudalherren nur selten voll erfüllt wurde – außerdem wich das damalige Gerechtigkeitsideal zuweilen recht deutlich vom heute verstandenen ab). Das Interesse der Feudalherren an möglichst großen Überschüssen der bäuerlichen Haushalte führte zu einer allgemeinen Produktivitätssteigerung. Dies hatte gesamtgesellschaftlich auch die Folge eines größeren Potenzials für nicht-landwirtschaftlich produktive Menschen, insbesondere Handwerker an Herrensitzen und in Städten.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: ''Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands.'' Schöningh, 2003, S. 37 f.</ref>
[[af:Feodalisme]]

[[bg:Феодализъм]]
Die Kette dieser abhängigen, mit Kriegsdienst verbundenen Lehen reichte bis zum [[König]], dessen hoheitliche Domäne letzten Endes alles Land war. In der mittelalterlichen Vorstellung war er allerdings auch nur ein Vasall, er war Gott unterstellt. Die politische [[Souveränität]] war nach unten hin quasi parzelliert und das Feudalsystem damit der Träger von Machtausübung, öffentlicher Ordnung und Verwaltung bis hinab zur örtlichen Ebene. Der König war in diesem System nur das Oberhaupt seiner Vasallen, an die er durch gegenseitige Bande der Lehnstreue gebunden war, aber er hatte keinen direkten Zugang zu einem Großteil seiner Untertanen.
[[da:Feudalisme]]

[[en:Feudalism]]
Hieraus ergibt sich eine bestimmte Entwicklungsdynamik:
[[es:Feudalismo]]
# Aus der [[Germanen|germanischen]] Zeit überlebte lange Zeit das dörfliche Gemeindeland, die [[Allmende]]. Die Zersplitterung der Souveränität erschwerte die Aneignung dieses Landes durch die Feudalherren und stärkte die Stellung der Bauern.
[[fi:Feodalismi]]
# Die Parzellierung der Souveränität unterstützte die Existenz und Entwicklung von [[Stadt|Städten]]. Die Stadtbürger beschäftigten sich mit [[Handwerk]] und [[Handel]] und erkämpften mit der Zeit die [[Autonom]]ie (siehe auch unter [[Kommune (Mittelalter)|Kommunen]]).
[[fr:Féodalité]]
# Die Zersplitterung der Souveränität kann zu chaotischen Zuständen führen und damit den Bestand des feudalen Staates gefährden. Deshalb waren die Könige bestrebt, ihre Rechte über die reinen Feudalbeziehungen hinaus auszuweiten und direkte Beziehungen zu ihren Untertanen zu etablieren, zum Beispiel in Form des Rechtes der Steuererhebung. Dadurch gerieten sie in einen Gegensatz zum [[Adel]].
[[is:Lénsskipulag]]
# Die [[Römisch-katholische Kirche|Kirche]], im Altertum ein Bestandteil des Staatsapparates, wurde im [[Mittelalter]] eine selbstständige Institution, die sich ebenfalls feudalisierte. Daraus resultieren häufige Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Herrschaften, die zu einem Riss in der feudalen [[Legitimität]] führen konnten. Ein Beispiel hierfür ist der [[Investiturstreit]].
[[it:Feudalesimo]]

[[nl:Feodalisme]]
Einzelne Aspekte des Feudalismus konnten sich mancherorts für lange Zeit in Gesellschaften erhalten, die insgesamt nicht mehr feudal geprägt waren. So folgte das schottische Immobilienrecht noch bis 2002 einem als ''feudal tenure'' bezeichneten System, in dem etwa der Käufer eines Grundstücks formell Vasall eines Lehnsherrn wurde.<ref>Andy Wightman: [http://www.caledonia.org.uk/land/feudal2.htm ''The Abolition of Feudal Tenure etc. (Scotland) Act 2000. A Practical Guide for Community Groups.'']</ref>
[[no:Føydalisme]]

[[pl:Feudalizm]]
== Entstehung und Geschichte ==
[[pt:Feudalismo]]
Die feudale Gesellschaft entstand im [[Frühmittelalter]] durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und der keltischen und germanischen Gesellschaften. Dabei dürfte das römische [[Kolonat (Recht)|Kolonat]] mit seinen halbfreien Bauern, das vor allem außerhalb Italiens verbreitet war, eine wesentliche Quelle für das Feudalsystem gewesen sein. Möglicherweise war auch die [[Sklaverei im Römischen Reich|antike Sklaverei]] bereits zu diesem Zeitpunkt und später wiederholt durch die Rezeption römischer Überlieferungen ein Vorbild. Auch die heute nicht mehr klar fassbare keltische Vasallität mag sich fortgesetzt haben. Die persönliche [[Gefolge|Gefolgschaft]] dürfte dabei das wesentliche von den Germanen übernommene Element gewesen sein, auch wenn es mit dem [[Patronat (Römer)|Patronat]] auch ein ähnliches römisches System gab.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Schöningh, 2003. S. 43.</ref>
[[sl:Fevdalizem]]

[[sv:Feodalism]]
Nach der [[Völkerwanderung]] entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen [[Römisches Reich|Römischen Reiches]] mehrere germanische Königreiche. Die oben beschriebenen feudalen Institutionen entwickelten sich erst nach dem Jahr 800 im ''[[Fränkisches Reich|Reich der Franken]]'', als eine vormals zum Teil freie Bauernschaft durch ständige Kriege und Invasionen der [[Wikinger]], [[Sarazenen]], [[Magyaren]] usw. ökonomisch ruiniert und so in die Abhängigkeit von den Feudalherren gezwungen wurde. Der Eingang in die Vasallität bot auch eine Möglichkeit, die persönliche Teilnahme an kostspieligen Kriegszügen zu vermeiden. Andere Autoren sehen in der Schwächung der Ressourcen der Zentralgewalt durch die Invasionen und im Verlust ihrer Fähigkeit zur Durchsetzung allgemein anerkannter Rechte, also im Verlust ihres [[Gewaltmonopol]]s, eine Hauptursache des Aufstiegs lokaler Herrschaften, welche nur in befestigten Wohnsitzen ''(Castlelanny)'' ihre Besitzrechte sichern und gegebenenfalls gewaltsam durchsetzen konnten.<ref>[[Marc Bloch]]: ''Feudal Societies''. University of Chicago Press, Chicago 1989.</ref>
[[wa:Fî]]

[[zh:封建社会]]
Anfangs dürfte der rechtliche Status der Bauern sich nicht wesentlich von dem der Freien unterschieden haben, im Verlauf der Jahrhunderte wurde die persönliche Freiheit aber immer weiter eingeschränkt.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Schöningh, 2003. S. 43.</ref> Es gab aber auch gewaltsame Einverleibungen durch Feudalherren (beispielsweise im [[Stedingerkrieg]]).
* In heute zu [[Deutschland]] zählenden Gebieten liegen die Anfänge des Feudalismus im 9. Jahrhundert. Dieser erreichte im 12. Jahrhundert mit der vor allem von der [[Marxismus|marxistischen]] Literatur so bezeichneten Entstehung der [[Ersten Leibeigenschaft]] seine hochmittelalterliche Ausprägung. Im 16. Jahrhundert kommt es zu einer Neubewertung der Herrschaftsverhältnisse, welche in Deutschland östlich der Elbe zur sogenannten [[Zweiten Leibeigenschaft]] führen, während in anderen Teilen Deutschlands der [[Absolutismus]] die symbolische Aufladung des Landesherrn und Adels mit Macht demonstrativ vorantreibt, gleichzeitig aber eine Vereinheitlichung des Staates von oben herab initiiert wird. Die [[Deutsche Revolution 1848/1849|bürgerliche Revolution von 1848]] gilt in Deutschland als Ende feudaler Herrschaftsprinzipien (mit Ausnahme Mecklenburgs: dort 1918).
* Die ''Kernregion'' des europäischen Feudalismus war der Norden des heutigen [[Geschichte Frankreichs|Frankreich]], das dem idealtypischen Feudalsystem sehr viel mehr als jede andere Region entsprach. Hier existierte eine einzigartig dichte Lehnshierarchie mit vielfältigen Ebenen der [[Subinfeudation]].
* In ''Südeuropa'' ([[Geschichte Spaniens|Spanien]], [[Languedoc]], [[Geschichte Italiens|Italien]]) waren die Überbleibsel der [[Antike]] stärker. So war verhältnismäßig sehr viel mehr Land absolutes, nicht lehnsgebundenes [[Allod]] (Eigentum). Zudem verschwanden die Städte nicht so weitgehend wie in Nordeuropa, und sie erlebten im Languedoc und in Italien bereits ab dem 10. Jahrhundert eine neue Blütezeit.
* In ''Nordeuropa'' ([[Stammesherzogtum Sachsen|Sachsen]], [[Geschichte Englands|England]], [[Skandinavien#Geschichte|Skandinavien]]) mit stärkeren Überresten der [[Germanen|germanischen]] Gesellschaften dauerte es viel länger, bis es zur Etablierung der [[Leibeigenschaft]] kam, in Sachsen und teilweise auch in anderen Gebieten Deutschlands bis zum 12. Jahrhundert. Dort kam es nicht zu einer langsamen Entwicklung des Feudalsystems. Vielmehr wurde das in den fränkischen Kernlanden bereits etablierte System in Gänze „importiert“.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: ''Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands.'' Schöningh, 2003, S. 44.</ref> In [[Geschichte Schwedens|Schweden]] konnte sie sich nie vollständig durchsetzen, in Norwegen überhaupt nicht. In England wiederum verschwand die autonome Volksgerichtsbarkeit nie vollständig. Aus ihr entwickelte sich das [[Common Law]].

Im Verlauf des Mittelalters und der Neuzeit veränderte sich der Feudalismus nicht nur aufgrund der immer stärkeren Rechtsstellung der Feudalherren gegenüber den Hörigen, sondern auch wegen der Entwicklung des gesamten Wirtschaftssystems. Im Bereich des späteren Deutschland beschränkten sich die Wirtschaftsverhältnisse bis etwa 1150 weitgehend auf die Leistungserbringung innerhalb der [[Villikation]] oder allenfalls in regionalen Bezügen. Daran anschließend entstanden erste Handelsbeziehungen im Rahmen der sich entwickelnden Geldwirtschaft, meist auf regionale städtische Zentren bezogen. Von etwa 1470 an weitete sich der Handel mit Agrarprodukten hin zu europaweiten, später interkontinentalen Handelsströmen aus.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: ''Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands.'' Schöningh, 2003, S. 53.</ref> Mit zunehmendem Geldmangel der Zentralgewalten wurden diese zur Gewährung von Privilegien und Konzessionen im Austausch gegen Geld gezwungen, was ihre Stellung gegenüber den Feudalherren weiter schwächte.<ref>Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: ''Feudal America''. Pennsylvania State University, 2011, S. 42.</ref>

== Refeudalisierung ==
{{Hauptartikel|Refeudalisierung}}

Nach [[Günter Vogler]] gerieten Deutschland und Europa Ende des 15. Jahrhunderts in die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum [[Kapitalismus]], wodurch die konstituierenden Merkmale für den Typus [[Frühbürgerliche Revolution|frühbürgerliche Revolutionen]] erreicht wurden. Europa trat damit in die Epoche bürgerlicher Revolutionen ein, in denen sich das [[Bürgertum]] schrittweise die politische Macht erkämpfte.<ref>Martin Roy: ''Luther in der DDR: Zum Wandel des Lutherbildes in der DDR-Geschichtsschreibung''; mit einer dokumentarischen Reproduktion, Band 1 von Studien zur Wissenschaftsgeschichte, Dr. Dieter Winkler, 2000, S. 195.</ref> Während sich in den Niederlanden und England die bürgerliche Klasse allmählich etablieren konnte, behielt der Adelsstand im zentralen und östlichen Europa bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert seine Machtpositionen, und das Bürgertum wurde zurückgedrängt.

Refeudalisierung im engeren Sinne bedeutet die Wiederherstellung einer feudalen Ordnung, also die Rückkehr zu originären Formen feudaler Organisation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in [[Südeuropa|Süd-]] und [[Südosteuropa]] vorkam.

== Neo-Feudalismus ==
{{Hauptartikel|Neo-Feudalismus}}

Neo-Feudalismus bedeutet die teilweise oder umfassende spontane Entstehung oder planmäßige Einführung feudalismus-analoger Organisationsformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft während der Hochphase der kapitalistischen Entwicklung. Zu Vertretern dieser These im Hinblick auf die [[Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten]] gehören [[Emmanuel Todd]], [[Joel Kotkin]]<ref>Joel Kotkin: ''The Coming of Neo-Feudalism''. 2020.</ref> und [[Vladimir Shlapentokh]], der diese Tendenz auch für Russland nach 1991 sowie auch für die Vereinigten Staaten konstatiert. Die Sicherung von Monopol[[Rente (Wirtschaft)|renten]] für Unternehmen in Form von Privilegien, Lizenzen, Konzessionen, Subventionen oder der Bereitstellung öffentlicher Güter im Austausch gegen die Förderung von Politikern z.&nbsp;B. durch die Finanzierung von Parteien und Wahlkämpfen sei ein feudales Merkmal moderner politischer Systeme; Unternehmen fördern Politiker, die ihnen Monopol- oder Zusatzrenten versprechen, denen keine adäquaten Leistungen gegenüberstehen.<ref>Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: ''Feudal America''. Pennsylvania State University, 2011, S. 43.</ref>

=== Nationalsozialistische Herrschaft ===
Der amerikanische Historiker [[Robert Lewis Koehl]] prägte&nbsp;– orientiert am Feudalismuskonzept&nbsp;– den Begriff „[[Neo-Feudalismus|Neofeudalismus]]“ zur Charakterisierung der [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Herrschaft insbesondere im von Deutschland deutsch besetzten Osteuropa, wo die deutsche Herrschaft personalisiert war und örtliche Befehlshaber eine absolute Machtfülle besaßen. Hinweisend auf Gemeinsamkeiten zwischen den charismatischen Elementen mittelalterlicher und nationalsozialistischer Herrschaft versuchte er damit, die irrationalen Aspekte des Nationalsozialismus zu verdeutlichen. Koehls Annahme, diese feudalistischen Machtbeziehungen wären der [[Atavismus (Soziologie)|atavistischen]] Ideologie des Nationalsozialismus entsprungen, folgt die neuere Forschung jedoch nicht.<ref>Robert Koehl: ''Feudal Aspects of National Socialism'' (1960). In: Neil Gregor (Hrsg.): ''Nazism''. Oxford UP, Oxford 2000, S. 183.</ref>

=== Funktionsverlust der Öffentlichkeit und des Staates ===
Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen Sozialwissenschaftler wie [[Jürgen Habermas]] heute von einer „Refeudalisierung“ der Gesellschaft, indem „mit der Verschränkung und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen“.<ref>Jürgen Habermas: ''[[Strukturwandel der Öffentlichkeit]], Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft.'' Frankfurt am Main 1990, S. 336f.</ref><ref>[[Sighard Neckel]]: ''Refeudalisierung der Ökonomie.'' Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG Working Paper 10/6, Köln 2010. {{Webarchiv |url=http://www.mpifg.de/pu/workpap/wp10-6.pdf |text=Archivierte Kopie |wayback=20200809214439 }}</ref>

Charakteristika seien unter anderem die zunehmende Ungleichheit der [[Vermögensverteilung]], die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von [[Partikularismus|Partikularinteressen]] von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der [[Öffentlichkeit]] bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.<ref>[[Jürgen Habermas]]: [[Strukturwandel der Öffentlichkeit]], 1990.</ref><ref>Sighart Neckel: ''Refeudalisierung der Ökonomie''. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2010.</ref><ref>Rainer Forst: ''Die erste Frage der Gerechtigkeit''. 2005.</ref>

=== Statusvererbung ===
Die allgemeine Fokussierung auf Geldvermögen und Status als äußerlichen Messgrößen des Erfolgs (statt auf Leistung) und deren zunehmende Vererbung ist ein weiterer Aspekt einer Refeudalisierung der Gesellschaft,
{{Zitat
|Text=in der Reichtum ebenso wie Armut innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen ‚vererbt‘ werden, und zwar nicht nur durch die Weitergabe bzw. das Fehlen von materiellen Gütern, sondern&nbsp;– sozialisatorisch weit früher und tiefgreifender&nbsp;– insbesondere durch die soziale Determination von Bildungs- und Aufstiegschancen. So sind heute die Chancen eines Kindes aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status mehr als siebenmal größer, ein Studium aufzunehmen, als die eines Arbeiterkindes. Einem ‚Adel der Chancen‘ am einen, stehen am anderen Ende die Gruppen der Besitz- und Ressourcenlosen ohne Perspektiven gegenüber.
|ref=<ref>[[Rainer Forst]]: ''Die erste Frage der Gerechtigkeit.'' 2005 S. 24.</ref>}}

=== Selbstrekrutierung der Managerklasse, Entkopplung von Privilegien und Leistung ===
Im [[Finanzmarkt-Kapitalismus|Finanzmarktkapitalismus]] werden nach Auffassung des Hamburger Soziologen [[Sighard Neckel]] Einkommen und Macht nach vormodernen Mustern verteilt. „Während auf der einen Seite die Zahl derjenigen beständig wächst, die unter Bedingungen arbeiten, die eher an Leibeigenschaft und Sklaverei erinnern als an bürgerlich-kapitalistische Vertragsverhältnisse, werden in der [[Beletage]] die Privilegien nach ebenso vormodernen Methoden verteilt: Reichtum wird vor allem vererbt, eine ständisch organisierte Managerklasse schanzt sich exorbitante Gehälter zu.“<ref>Sighard Neckel: ''Refeudalisierung der Ökonomie.'' Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG Working Paper 10/6, Köln 2010. [{{Webarchiv |url=http://www.mpifg.de/pu/workpap/wp10-6.pdf |text=Archivierte Kopie |wayback=20200809214439 }} <nowiki>[1]</nowiki>]</ref><ref>{{Literatur |Titel=Neofeudalismus – Die Wiederkehr der Ständegesellschaft {{!}} Heinrich-Böll-Stiftung |Sammelwerk=Heinrich-Böll-Stiftung |Datum=2016-06-14 |Online=https://www.boell.de/de/2016/06/14/neofeudalismus-die-wiederkehr-der-staendegesellschaft |Abruf=2017-11-18}}</ref> In die gleiche Richtung argumentiert der Historiker Olaf Kaltmeier für Lateinamerika, der hier im frühen 21. Jahrhundert eine Tendenz zur [[Refeudalisierung]] ausmacht. Eine solche vom großen Kapital getriebene Tendenz sieht auch [[Vladimir Shlapentokh]] für die Vereinigten Staaten und das [[Postkommunismus|postkommunistische]] Russland.<ref>Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: ''Feudal America: Elements of the Middle Ages in Contemporary Society.'' Penn Stats University, 2011.</ref>

=== Technofeudalismus ===
Ökonomen wie [[Cédric Durand]] und [[Yanis Varoufakis]] beschreiben die zunehmende Verflechtung von [[Big Tech]] und westlichen Staaten, die resultierende politische Beeinflussung sowie die vermeintliche Unabdingbarkeit ihrer Technologien als ''Technofeudalismus''.<ref>{{Literatur |Autor=Cédric Durand |Titel=How Silicon Valley unleashed techno-feudalism: the making of the digital economy |Verlag=Verso |Ort=London New York |Datum=2024 |ISBN=978-1-80429-438-3}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Yannis Varoufakis |Titel=Technofeudalismus: Was den Kapitalismus tötete |Verlag=Verlag Antje Kunstmann |Ort=München |Datum=2024 |ISBN=978-3-95614-604-6}}</ref>

=== Neoreaktionäre Bewegung ===
Die [[neoreaktionäre Bewegung]] strebt die Umwandlung von Staaten in neofeudale Aktiengesellschaften an, welche von Anteilseignern und einem Geschäftsführer beherrscht werden sollen.<ref>Andrew Woods: ''Cultural Marxism and the Cathedral: Two Alt-Right Perspectives on Critical Theory'', in: Christine M. Battista u. Melissa R. Sande (Hrsg.): ''Critical Theory and the Humanities in the Age of the Alt-Right'', Basel 2019, S. 40.</ref>

== Feudalismus als universelle Form sozialer Interaktion ==
In Anlehnung an die formale Soziologie [[Georg Simmel]]s sieht Vladimir Shlapentokh den Feudalismus nicht nur als spezifische Gesellschaftsformation, sondern als eine besondere Interaktionsform an, die über alle Epochen und Gesellschaftsformationen verbreitet war und auch in der Moderne nie ganz verschwand. Sie ergibt sich aus dem Bedürfnis nach Schutz und der Bereitschaft der Menschen, für diesen Schutz mit militärischer Gefolgschaft, Naturalien, Arbeitsleistung oder Geld zu zahlen. In dieser Perspektive können mittelalterliche Gefolgschaften, Systeme der politischen [[Patronage]] und Begünstigung im Tausch gegen Wohlverhalten, Abhängigkeitsstrukturen in der Netzwerkökonomie oder Schattenwirtschaft, Oligarchenherrschaften mit ihrem [[Klientelismus]], aber auch hierarchisch organisierte Mafiabanden als feudale Interaktionsformen angesehen werden.<ref>Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: ''Feudal America''. Pennsylvania State University, 2011, S. 4 f.</ref> Ähnlich argumentiert der Politikwissenschaftler und Anthropologe [[Aaron B. Wildavsky]], der die Existenz feudaler Strukturen auch im Reich der [[Kassiten]], im [[Mittleres Reich|Mittleren Reich Ägyptens]] und in Japan (bis zum 18. Jahrhundert) feststellt.<ref>Aaron B. Wildavsky: ''Searching for safety''. Transaction Books, New Brunswick 1988.</ref> Shlapentokh und der Soziologe Joshua Woods<ref>Joshua Woods: ''Medieval Security in the Modern State''. In: ''Space and Polity'' vol. 14 (2010), S. 251–269. [[DOI:10.1080/13562576.2010.532953]]</ref> postulieren, dass heutige gesellschaftliche Strukturen, die vom Idealtypus des mittelalterlichen europäischen Feudalismus abweichen, nicht als dessen Varianten, sondern als Mischformen verschiedener Gesellschaftssegmente einschließlich verschiedener Wirtschafts- und politischer Herrschaftsformen ([[Liberalismus|liberal]]-[[Kapitalismus|kapitalistisch]], [[Oligarchie|oligarchisch]], [[Tribalismus|tribalistisch]], [[Klientelismus|klientelistisch]], [[autoritär]] usw.) betrachtet werden sollten, wie sie z.&nbsp;B. in den USA und in Russland nebeneinander existieren können. Die Fortexistenz und Neuentstehung feudaler Interaktionsmuster und Strukturen wie die Herausbildung von Politikerdynastien, Privatarmeen oder [[Gated Community|bewachte Wohnanlagen]] sei von Soziologen in der Tradition [[Max Weber]]s oder [[Anthony Giddens]], die sich einem Modernisierungs- oder Rationalisierungsansatz verschrieben haben, zu lange nicht beachtet worden. Der von Shlapentokh vertretene „segmentäre“ Ansatz widerspricht allen systemisch-holistischen und integrativen Gesellschaftsmodellen wie etwa dem von [[Talcott Parsons]], der von der Verdrängung partikularer durch universelle Werte ausgeht, oder der [[Systemtheorie]] [[Niklas Luhmann]]. Hingegen erscheint die Annahme „hybrider“ Gesellschaften bzw. Ökonomien mit dem marxistischen Gesellschaftsmodell (etwa mit den Theorien [[Erik Olin Wright]]s über die Klassenspaltung) teilweise vereinbar, sofern dieses nicht von die gesamte Gesellschaft durchdringenden einheitlichen Produktionsverhältnissen ausgeht.<ref>Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: ''Feudal America''. Pennsylvania State University, 2011, S. 5 f., 16.</ref>

== Siehe auch ==
* [[Bauernbefreiung]]
* [[Bauernrechtsliteratur]]
* [[Grundherrschaft]]
* [[Personenverbandsstaat]]
* [[Mehrfachvasallität]]

== Literatur ==
* [[Perry Anderson (Historiker)|Perry Anderson]]: ''Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft'' (Originaltitel: ''{{lang|en|Passages from antiquity to feudalism}}''). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-10922-7.
* [[Harold J. Berman]]: ''Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition''. 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-28803-0.
* [[Marc Bloch]]: ''Die Feudalgesellschaft'' (Originaltitel: ''{{lang|fr|La societé féodale}}''). Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91234-7.
* [[Elizabeth A. R. Brown|Elizabeth A.R. Brown]]: ''[https://www.britannica.com/money/topic/feudalism Feudalism, social system]'', Encyclopaedia Britannica, London 2023.
* [[Otto Brunner (Historiker)|Otto Brunner]]: ''„Feudalismus“. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte'' (= ''Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz.'' Jahrgang 1958, Nr. 10).
* {{Fischer Weltgeschichte|Band=10}}
* [[Georges Duby]]: ''Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus'' (Originaltitel: ''Les trois ordres ou l’imaginaire du féodalisme''). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-28196-8.
* [[Natalie Fryde]] (Hrsg.): ''Die Gegenwart des Feudalismus'' (Originaltitel: ''The presence of feudalism''). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-35391-X.
* [[Alain Guerreau]]: ''{{lang|fr|L’avenir d’un passé incertain. Quelle histoire du moyen age au {{Römische Zahl|21}} siècle}}''. Édition Le Seuil, Paris 2001, ISBN 2-02-049697-6.
* Alain Guerreau: ''{{lang|fr|Fief, féodalité, féodalisme. Enjeux sociaux et réflexion historienne}}''. In: ''Annales. Economies, sociétés, civilisations''. Bd. 45 (1990), S. 137–166.
* [[Friedrich-Wilhelm Henning]]: ''Deutsche Agrargeschichte des Mittelalters. 9. bis 15. Jahrhundert''. Ulmer, Stuttgart 1994, ISBN 3-8001-3092-0.
* [[Hans Kammler (Politikwissenschaftler)|Hans Kammler]]: ''Die Feudalmonarchien. Politische und wirtschaftlich-soziale Faktoren ihrer Entwicklung und Funktionsweise'', Böhlau, Köln 1974, ISBN 3-412-02474-0.
* [[Ludolf Kuchenbuch]]: ''Marx, feudal. Beiträge zur Gegenwart des Feudalismus in der Geschichtswissenschaft, 1975–2021.'' Dietz Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-320-02390-4.
* [[Max Weber]]: ''Agrarverhältnisse im Altertum'' (3. Fassung). In: ''[[Handwörterbuch der Staatswissenschaften]]''. Band 1, 3. Auflage. Jena 1909, S. 52–188.

== Weblinks ==
{{Commonscat|Feudalism|Feudalismus|audio=1|video=1}}
{{Wiktionary}}
{{Wiktionary|feudal}}
* {{DNB-Portal|4131524-8}}
* [http://www.feudalismus.eu/ Archiv für Feudalismus in Sachsen]
* [[Sighard Neckel]]: [https://www.fb03.uni-frankfurt.de/45949543/Neckel_Refeudalisierung_Leviathan_1_2013.pdf ''»Refeudalisierung« – Systematik und Aktualität eines Begriffs der Habermas'schen Gesellschaftsanalyse.''] In: [[Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft]] 1/2013, S. 39 bis 66

== Einzelnachweise ==
<references />

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Aktuelle Version vom 24. Juni 2025, 23:46 Uhr

Beeidigung Harald II von England als Vasall von Wilhelm I. (Teppich-Stickerei)
Aufbau des Feudalismus

Feudalismus (wie „feudal“ zu lateinisch feudum/feodum Lehen), auch Feudalsystem oder Feudalität genannt, bezeichnet in den Sozial-, Rechts- und Geschichtswissenschaften vor allem die Gesellschafts- und Wirtschaftsform des europäischen Mittelalters.

Begriffsgeschichte

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Der Begriff wurde in Frankreich im frühen Zeitalter der Aufklärung geprägt, durch Montesquieu 1748 bekannt gemacht und insbesondere von Voltaire erläutert. In der Französischen Revolution 1789 spielte er als Kampfbegriff zur Charakterisierung der früheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine große Rolle. Im deutschsprachigen Raum kam der Ausdruck Feudalismus Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Später klassifizierte Karl Marx den Feudalismus als notwendige Vorstufe des Kapitalismus.

Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden:

  • Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes, einschließlich der darauf befindlichen Bewohner.
  • Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften.
  • Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen, während sie gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken oder diese schwächen.

Streng genommen beinhaltet der Begriff Feudalismus daher zwei voneinander getrennte Dimensionen:

  1. das Verhältnis des obersten Landesherrn zur Kriegerklasse und deren Gefolgschaftstreue sowie
  2. die Herrschaftsverhältnisse der mit Lehen ausgestatteten Klasse nach unten zu der nicht belehnten Bevölkerung.

Die Produktion des Feudalismus war stark von der Naturalwirtschaft geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Bauernfamilien. Sie waren aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes. Dieses Land war Eigentum der wenigen Grundherrn. Die Bauern befanden sich im Zustand der Hörigkeit, sie waren also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfrei.

Das bedeutet:

  • Sie waren an die Scholle (das zu bestellende Land) gebunden (glebae adscripti) und hatten nicht das Recht, sie zu verlassen, weil sie als Bestandteil der Wirtschaftsgüter des Lehnsgutes galten.
  • Sie waren der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
  • Sie schuldeten dem Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen (Fron) auf dem direkt vom Grundherren bestellten Land (Salland) als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden mussten, das sie selbst bewirtschafteten (Zehnt). Die Frondienste oder die Naturalabgaben konnten im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.

Allerdings konnten Teile dieser Rechte auch in verschiedenen Händen sein, beispielsweise als getrennte Gerichts- und Grundherrschaft. Der Grundherr war gegenüber den Hörigen auch nicht vollkommen souverän in der Erteilung und Entziehung des Rechtes auf Landnutzung. Wesentliche bekannte Formen sind ein erbliches Nutzungsrecht innerhalb der Familie des Hörigen, ein Nutzungsrecht auf Lebenszeit oder auf mehrere Jahre sowie als für die Hörigen unsicherste Form ein jederzeit widerrufbares Nutzungsrecht.[1]

Das Eigentum des Grundherrn war auch nur bedingt, denn er hatte es als Lehen von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er dafür Kriegsdienste schuldete und dessen Vasall er war. Allerdings konnten auch Landesherren oder der König unmittelbar als Grundherren auftreten. Tendenziell waren Landes- und Grundherr im frühen Feudalwesen häufiger identisch. Im weiteren Zeitverlauf nahmen mittelbare Grundherrschaften zu, während die Domänen oder Kammergüter als Reste unmittelbarer landesherrlicher Grundherrschaft verblieben.

Zur Beurteilung des Feudalismus als Wirtschaftssystem gehört auch die Beobachtung, dass ein Teil der Einnahmen des Feudalherrn wieder verteilt wurde, als patriarchalisches Almosen, als Geschenk an „treue“ Vasallen o. ä. Es war nämlich Teil der Aufgabe des Feudalherrn, für einen Ausgleich zu sorgen (die allerdings in der Realität von den Feudalherren nur selten voll erfüllt wurde – außerdem wich das damalige Gerechtigkeitsideal zuweilen recht deutlich vom heute verstandenen ab). Das Interesse der Feudalherren an möglichst großen Überschüssen der bäuerlichen Haushalte führte zu einer allgemeinen Produktivitätssteigerung. Dies hatte gesamtgesellschaftlich auch die Folge eines größeren Potenzials für nicht-landwirtschaftlich produktive Menschen, insbesondere Handwerker an Herrensitzen und in Städten.[2]

Die Kette dieser abhängigen, mit Kriegsdienst verbundenen Lehen reichte bis zum König, dessen hoheitliche Domäne letzten Endes alles Land war. In der mittelalterlichen Vorstellung war er allerdings auch nur ein Vasall, er war Gott unterstellt. Die politische Souveränität war nach unten hin quasi parzelliert und das Feudalsystem damit der Träger von Machtausübung, öffentlicher Ordnung und Verwaltung bis hinab zur örtlichen Ebene. Der König war in diesem System nur das Oberhaupt seiner Vasallen, an die er durch gegenseitige Bande der Lehnstreue gebunden war, aber er hatte keinen direkten Zugang zu einem Großteil seiner Untertanen.

Hieraus ergibt sich eine bestimmte Entwicklungsdynamik:

  1. Aus der germanischen Zeit überlebte lange Zeit das dörfliche Gemeindeland, die Allmende. Die Zersplitterung der Souveränität erschwerte die Aneignung dieses Landes durch die Feudalherren und stärkte die Stellung der Bauern.
  2. Die Parzellierung der Souveränität unterstützte die Existenz und Entwicklung von Städten. Die Stadtbürger beschäftigten sich mit Handwerk und Handel und erkämpften mit der Zeit die Autonomie (siehe auch unter Kommunen).
  3. Die Zersplitterung der Souveränität kann zu chaotischen Zuständen führen und damit den Bestand des feudalen Staates gefährden. Deshalb waren die Könige bestrebt, ihre Rechte über die reinen Feudalbeziehungen hinaus auszuweiten und direkte Beziehungen zu ihren Untertanen zu etablieren, zum Beispiel in Form des Rechtes der Steuererhebung. Dadurch gerieten sie in einen Gegensatz zum Adel.
  4. Die Kirche, im Altertum ein Bestandteil des Staatsapparates, wurde im Mittelalter eine selbstständige Institution, die sich ebenfalls feudalisierte. Daraus resultieren häufige Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Herrschaften, die zu einem Riss in der feudalen Legitimität führen konnten. Ein Beispiel hierfür ist der Investiturstreit.

Einzelne Aspekte des Feudalismus konnten sich mancherorts für lange Zeit in Gesellschaften erhalten, die insgesamt nicht mehr feudal geprägt waren. So folgte das schottische Immobilienrecht noch bis 2002 einem als feudal tenure bezeichneten System, in dem etwa der Käufer eines Grundstücks formell Vasall eines Lehnsherrn wurde.[3]

Entstehung und Geschichte

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Die feudale Gesellschaft entstand im Frühmittelalter durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und der keltischen und germanischen Gesellschaften. Dabei dürfte das römische Kolonat mit seinen halbfreien Bauern, das vor allem außerhalb Italiens verbreitet war, eine wesentliche Quelle für das Feudalsystem gewesen sein. Möglicherweise war auch die antike Sklaverei bereits zu diesem Zeitpunkt und später wiederholt durch die Rezeption römischer Überlieferungen ein Vorbild. Auch die heute nicht mehr klar fassbare keltische Vasallität mag sich fortgesetzt haben. Die persönliche Gefolgschaft dürfte dabei das wesentliche von den Germanen übernommene Element gewesen sein, auch wenn es mit dem Patronat auch ein ähnliches römisches System gab.[4]

Nach der Völkerwanderung entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reiches mehrere germanische Königreiche. Die oben beschriebenen feudalen Institutionen entwickelten sich erst nach dem Jahr 800 im Reich der Franken, als eine vormals zum Teil freie Bauernschaft durch ständige Kriege und Invasionen der Wikinger, Sarazenen, Magyaren usw. ökonomisch ruiniert und so in die Abhängigkeit von den Feudalherren gezwungen wurde. Der Eingang in die Vasallität bot auch eine Möglichkeit, die persönliche Teilnahme an kostspieligen Kriegszügen zu vermeiden. Andere Autoren sehen in der Schwächung der Ressourcen der Zentralgewalt durch die Invasionen und im Verlust ihrer Fähigkeit zur Durchsetzung allgemein anerkannter Rechte, also im Verlust ihres Gewaltmonopols, eine Hauptursache des Aufstiegs lokaler Herrschaften, welche nur in befestigten Wohnsitzen (Castlelanny) ihre Besitzrechte sichern und gegebenenfalls gewaltsam durchsetzen konnten.[5]

Anfangs dürfte der rechtliche Status der Bauern sich nicht wesentlich von dem der Freien unterschieden haben, im Verlauf der Jahrhunderte wurde die persönliche Freiheit aber immer weiter eingeschränkt.[6] Es gab aber auch gewaltsame Einverleibungen durch Feudalherren (beispielsweise im Stedingerkrieg).

  • In heute zu Deutschland zählenden Gebieten liegen die Anfänge des Feudalismus im 9. Jahrhundert. Dieser erreichte im 12. Jahrhundert mit der vor allem von der marxistischen Literatur so bezeichneten Entstehung der Ersten Leibeigenschaft seine hochmittelalterliche Ausprägung. Im 16. Jahrhundert kommt es zu einer Neubewertung der Herrschaftsverhältnisse, welche in Deutschland östlich der Elbe zur sogenannten Zweiten Leibeigenschaft führen, während in anderen Teilen Deutschlands der Absolutismus die symbolische Aufladung des Landesherrn und Adels mit Macht demonstrativ vorantreibt, gleichzeitig aber eine Vereinheitlichung des Staates von oben herab initiiert wird. Die bürgerliche Revolution von 1848 gilt in Deutschland als Ende feudaler Herrschaftsprinzipien (mit Ausnahme Mecklenburgs: dort 1918).
  • Die Kernregion des europäischen Feudalismus war der Norden des heutigen Frankreich, das dem idealtypischen Feudalsystem sehr viel mehr als jede andere Region entsprach. Hier existierte eine einzigartig dichte Lehnshierarchie mit vielfältigen Ebenen der Subinfeudation.
  • In Südeuropa (Spanien, Languedoc, Italien) waren die Überbleibsel der Antike stärker. So war verhältnismäßig sehr viel mehr Land absolutes, nicht lehnsgebundenes Allod (Eigentum). Zudem verschwanden die Städte nicht so weitgehend wie in Nordeuropa, und sie erlebten im Languedoc und in Italien bereits ab dem 10. Jahrhundert eine neue Blütezeit.
  • In Nordeuropa (Sachsen, England, Skandinavien) mit stärkeren Überresten der germanischen Gesellschaften dauerte es viel länger, bis es zur Etablierung der Leibeigenschaft kam, in Sachsen und teilweise auch in anderen Gebieten Deutschlands bis zum 12. Jahrhundert. Dort kam es nicht zu einer langsamen Entwicklung des Feudalsystems. Vielmehr wurde das in den fränkischen Kernlanden bereits etablierte System in Gänze „importiert“.[7] In Schweden konnte sie sich nie vollständig durchsetzen, in Norwegen überhaupt nicht. In England wiederum verschwand die autonome Volksgerichtsbarkeit nie vollständig. Aus ihr entwickelte sich das Common Law.

Im Verlauf des Mittelalters und der Neuzeit veränderte sich der Feudalismus nicht nur aufgrund der immer stärkeren Rechtsstellung der Feudalherren gegenüber den Hörigen, sondern auch wegen der Entwicklung des gesamten Wirtschaftssystems. Im Bereich des späteren Deutschland beschränkten sich die Wirtschaftsverhältnisse bis etwa 1150 weitgehend auf die Leistungserbringung innerhalb der Villikation oder allenfalls in regionalen Bezügen. Daran anschließend entstanden erste Handelsbeziehungen im Rahmen der sich entwickelnden Geldwirtschaft, meist auf regionale städtische Zentren bezogen. Von etwa 1470 an weitete sich der Handel mit Agrarprodukten hin zu europaweiten, später interkontinentalen Handelsströmen aus.[8] Mit zunehmendem Geldmangel der Zentralgewalten wurden diese zur Gewährung von Privilegien und Konzessionen im Austausch gegen Geld gezwungen, was ihre Stellung gegenüber den Feudalherren weiter schwächte.[9]

Refeudalisierung

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Nach Günter Vogler gerieten Deutschland und Europa Ende des 15. Jahrhunderts in die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, wodurch die konstituierenden Merkmale für den Typus frühbürgerliche Revolutionen erreicht wurden. Europa trat damit in die Epoche bürgerlicher Revolutionen ein, in denen sich das Bürgertum schrittweise die politische Macht erkämpfte.[10] Während sich in den Niederlanden und England die bürgerliche Klasse allmählich etablieren konnte, behielt der Adelsstand im zentralen und östlichen Europa bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert seine Machtpositionen, und das Bürgertum wurde zurückgedrängt.

Refeudalisierung im engeren Sinne bedeutet die Wiederherstellung einer feudalen Ordnung, also die Rückkehr zu originären Formen feudaler Organisation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in Süd- und Südosteuropa vorkam.

Neo-Feudalismus

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Neo-Feudalismus bedeutet die teilweise oder umfassende spontane Entstehung oder planmäßige Einführung feudalismus-analoger Organisationsformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft während der Hochphase der kapitalistischen Entwicklung. Zu Vertretern dieser These im Hinblick auf die Vereinigten Staaten gehören Emmanuel Todd, Joel Kotkin[11] und Vladimir Shlapentokh, der diese Tendenz auch für Russland nach 1991 sowie auch für die Vereinigten Staaten konstatiert. Die Sicherung von Monopolrenten für Unternehmen in Form von Privilegien, Lizenzen, Konzessionen, Subventionen oder der Bereitstellung öffentlicher Güter im Austausch gegen die Förderung von Politikern z. B. durch die Finanzierung von Parteien und Wahlkämpfen sei ein feudales Merkmal moderner politischer Systeme; Unternehmen fördern Politiker, die ihnen Monopol- oder Zusatzrenten versprechen, denen keine adäquaten Leistungen gegenüberstehen.[12]

Nationalsozialistische Herrschaft

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Der amerikanische Historiker Robert Lewis Koehl prägte – orientiert am Feudalismuskonzept – den Begriff „Neofeudalismus“ zur Charakterisierung der nationalsozialistischen Herrschaft insbesondere im von Deutschland deutsch besetzten Osteuropa, wo die deutsche Herrschaft personalisiert war und örtliche Befehlshaber eine absolute Machtfülle besaßen. Hinweisend auf Gemeinsamkeiten zwischen den charismatischen Elementen mittelalterlicher und nationalsozialistischer Herrschaft versuchte er damit, die irrationalen Aspekte des Nationalsozialismus zu verdeutlichen. Koehls Annahme, diese feudalistischen Machtbeziehungen wären der atavistischen Ideologie des Nationalsozialismus entsprungen, folgt die neuere Forschung jedoch nicht.[13]

Funktionsverlust der Öffentlichkeit und des Staates

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Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas heute von einer „Refeudalisierung“ der Gesellschaft, indem „mit der Verschränkung und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen“.[14][15]

Charakteristika seien unter anderem die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung, die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von Partikularinteressen von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.[16][17][18]

Statusvererbung

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Die allgemeine Fokussierung auf Geldvermögen und Status als äußerlichen Messgrößen des Erfolgs (statt auf Leistung) und deren zunehmende Vererbung ist ein weiterer Aspekt einer Refeudalisierung der Gesellschaft,

„in der Reichtum ebenso wie Armut innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen ‚vererbt‘ werden, und zwar nicht nur durch die Weitergabe bzw. das Fehlen von materiellen Gütern, sondern – sozialisatorisch weit früher und tiefgreifender – insbesondere durch die soziale Determination von Bildungs- und Aufstiegschancen. So sind heute die Chancen eines Kindes aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status mehr als siebenmal größer, ein Studium aufzunehmen, als die eines Arbeiterkindes. Einem ‚Adel der Chancen‘ am einen, stehen am anderen Ende die Gruppen der Besitz- und Ressourcenlosen ohne Perspektiven gegenüber.“[19]

Selbstrekrutierung der Managerklasse, Entkopplung von Privilegien und Leistung

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Im Finanzmarktkapitalismus werden nach Auffassung des Hamburger Soziologen Sighard Neckel Einkommen und Macht nach vormodernen Mustern verteilt. „Während auf der einen Seite die Zahl derjenigen beständig wächst, die unter Bedingungen arbeiten, die eher an Leibeigenschaft und Sklaverei erinnern als an bürgerlich-kapitalistische Vertragsverhältnisse, werden in der Beletage die Privilegien nach ebenso vormodernen Methoden verteilt: Reichtum wird vor allem vererbt, eine ständisch organisierte Managerklasse schanzt sich exorbitante Gehälter zu.“[20][21] In die gleiche Richtung argumentiert der Historiker Olaf Kaltmeier für Lateinamerika, der hier im frühen 21. Jahrhundert eine Tendenz zur Refeudalisierung ausmacht. Eine solche vom großen Kapital getriebene Tendenz sieht auch Vladimir Shlapentokh für die Vereinigten Staaten und das postkommunistische Russland.[22]

Technofeudalismus

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Ökonomen wie Cédric Durand und Yanis Varoufakis beschreiben die zunehmende Verflechtung von Big Tech und westlichen Staaten, die resultierende politische Beeinflussung sowie die vermeintliche Unabdingbarkeit ihrer Technologien als Technofeudalismus.[23][24]

Neoreaktionäre Bewegung

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Die neoreaktionäre Bewegung strebt die Umwandlung von Staaten in neofeudale Aktiengesellschaften an, welche von Anteilseignern und einem Geschäftsführer beherrscht werden sollen.[25]

Feudalismus als universelle Form sozialer Interaktion

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In Anlehnung an die formale Soziologie Georg Simmels sieht Vladimir Shlapentokh den Feudalismus nicht nur als spezifische Gesellschaftsformation, sondern als eine besondere Interaktionsform an, die über alle Epochen und Gesellschaftsformationen verbreitet war und auch in der Moderne nie ganz verschwand. Sie ergibt sich aus dem Bedürfnis nach Schutz und der Bereitschaft der Menschen, für diesen Schutz mit militärischer Gefolgschaft, Naturalien, Arbeitsleistung oder Geld zu zahlen. In dieser Perspektive können mittelalterliche Gefolgschaften, Systeme der politischen Patronage und Begünstigung im Tausch gegen Wohlverhalten, Abhängigkeitsstrukturen in der Netzwerkökonomie oder Schattenwirtschaft, Oligarchenherrschaften mit ihrem Klientelismus, aber auch hierarchisch organisierte Mafiabanden als feudale Interaktionsformen angesehen werden.[26] Ähnlich argumentiert der Politikwissenschaftler und Anthropologe Aaron B. Wildavsky, der die Existenz feudaler Strukturen auch im Reich der Kassiten, im Mittleren Reich Ägyptens und in Japan (bis zum 18. Jahrhundert) feststellt.[27] Shlapentokh und der Soziologe Joshua Woods[28] postulieren, dass heutige gesellschaftliche Strukturen, die vom Idealtypus des mittelalterlichen europäischen Feudalismus abweichen, nicht als dessen Varianten, sondern als Mischformen verschiedener Gesellschaftssegmente einschließlich verschiedener Wirtschafts- und politischer Herrschaftsformen (liberal-kapitalistisch, oligarchisch, tribalistisch, klientelistisch, autoritär usw.) betrachtet werden sollten, wie sie z. B. in den USA und in Russland nebeneinander existieren können. Die Fortexistenz und Neuentstehung feudaler Interaktionsmuster und Strukturen wie die Herausbildung von Politikerdynastien, Privatarmeen oder bewachte Wohnanlagen sei von Soziologen in der Tradition Max Webers oder Anthony Giddens, die sich einem Modernisierungs- oder Rationalisierungsansatz verschrieben haben, zu lange nicht beachtet worden. Der von Shlapentokh vertretene „segmentäre“ Ansatz widerspricht allen systemisch-holistischen und integrativen Gesellschaftsmodellen wie etwa dem von Talcott Parsons, der von der Verdrängung partikularer durch universelle Werte ausgeht, oder der Systemtheorie Niklas Luhmann. Hingegen erscheint die Annahme „hybrider“ Gesellschaften bzw. Ökonomien mit dem marxistischen Gesellschaftsmodell (etwa mit den Theorien Erik Olin Wrights über die Klassenspaltung) teilweise vereinbar, sofern dieses nicht von die gesamte Gesellschaft durchdringenden einheitlichen Produktionsverhältnissen ausgeht.[29]

Commons: Feudalismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Feudalismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: feudal – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Schöningh, 2003, S. 39.
  2. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Schöningh, 2003, S. 37 f.
  3. Andy Wightman: The Abolition of Feudal Tenure etc. (Scotland) Act 2000. A Practical Guide for Community Groups.
  4. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Schöningh, 2003. S. 43.
  5. Marc Bloch: Feudal Societies. University of Chicago Press, Chicago 1989.
  6. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Schöningh, 2003. S. 43.
  7. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Schöningh, 2003, S. 44.
  8. Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Schöningh, 2003, S. 53.
  9. Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: Feudal America. Pennsylvania State University, 2011, S. 42.
  10. Martin Roy: Luther in der DDR: Zum Wandel des Lutherbildes in der DDR-Geschichtsschreibung; mit einer dokumentarischen Reproduktion, Band 1 von Studien zur Wissenschaftsgeschichte, Dr. Dieter Winkler, 2000, S. 195.
  11. Joel Kotkin: The Coming of Neo-Feudalism. 2020.
  12. Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: Feudal America. Pennsylvania State University, 2011, S. 43.
  13. Robert Koehl: Feudal Aspects of National Socialism (1960). In: Neil Gregor (Hrsg.): Nazism. Oxford UP, Oxford 2000, S. 183.
  14. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt am Main 1990, S. 336f.
  15. Sighard Neckel: Refeudalisierung der Ökonomie. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG Working Paper 10/6, Köln 2010. Archivierte Kopie (Memento vom 9. August 2020 im Internet Archive)
  16. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990.
  17. Sighart Neckel: Refeudalisierung der Ökonomie. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2010.
  18. Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit. 2005.
  19. Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit. 2005 S. 24.
  20. Sighard Neckel: Refeudalisierung der Ökonomie. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG Working Paper 10/6, Köln 2010. [Archivierte Kopie (Memento vom 9. August 2020 im Internet Archive) [1]]
  21. Neofeudalismus – Die Wiederkehr der Ständegesellschaft | Heinrich-Böll-Stiftung. In: Heinrich-Böll-Stiftung. 14. Juni 2016 (boell.de [abgerufen am 18. November 2017]).
  22. Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: Feudal America: Elements of the Middle Ages in Contemporary Society. Penn Stats University, 2011.
  23. Cédric Durand: How Silicon Valley unleashed techno-feudalism: the making of the digital economy. Verso, London New York 2024, ISBN 978-1-80429-438-3.
  24. Yannis Varoufakis: Technofeudalismus: Was den Kapitalismus tötete. Verlag Antje Kunstmann, München 2024, ISBN 978-3-95614-604-6.
  25. Andrew Woods: Cultural Marxism and the Cathedral: Two Alt-Right Perspectives on Critical Theory, in: Christine M. Battista u. Melissa R. Sande (Hrsg.): Critical Theory and the Humanities in the Age of the Alt-Right, Basel 2019, S. 40.
  26. Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: Feudal America. Pennsylvania State University, 2011, S. 4 f.
  27. Aaron B. Wildavsky: Searching for safety. Transaction Books, New Brunswick 1988.
  28. Joshua Woods: Medieval Security in the Modern State. In: Space and Polity vol. 14 (2010), S. 251–269. DOI:10.1080/13562576.2010.532953
  29. Vladimir Shlapentokh, Joshua Woods: Feudal America. Pennsylvania State University, 2011, S. 5 f., 16.