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„Verwahrlosung“ – Versionsunterschied

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Geschichte: "teilweise sterilisieren" ist gewiss nicht gemeint
 
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'''Verwahrlosung''' bezeichnet einen Zustand, in dem die Mindest[[Erwartung (Soziologie)|erwartungen]], die die [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] an eine [[Person]] stellt, nicht erfüllt sind. Der Begriff ist vor allem [[jugendhilferecht]]lich, [[Soziologie|soziologisch]], zunehmend aber auch [[Wirtschaftswissenschaft|ökonomisch]] definiert.
Eine [[Person]], ein [[Tier]] oder eine [[Sache]] gilt als '''verwahrlost''', wenn es die Erwartungen, die die [[Gesellschaft]] an ihn oder es stellt, nicht oder nicht mehr erfüllt.


== Gesellschaftliche Betrachtung ==
Die Auslegung ist dabei sehr subjektiv, kann aber auch sehr eng gefasst werden. Der Begriff ist [[Soziologie|soziologisch]], zunehmend auch [[Wirtschaftswissenschaft|ökonomisch]] determiniert.
In Bezug auf den einzelnen Menschen wird ''Verwahrlosung'' – insbesondere seitens der Psychologie – oft als Folge des Verhaltens gesehen:


:„Es ist das anhaltende und alle Bereiche des Lebens umfassende Abweichen einer Person von den Erwartungen seiner Umwelt. Sie verhalten sich in allen wesentlichen sozialen und gesellschaftlichen Gebieten außerhalb der Norm und stehen daher nicht selten außerhalb der Gesellschaft, was mit sozialen Diskriminierungen einhergeht. Oft stehen sie unbewusst in Opposition zur geltenden Norm. Verursachung zum Beispiel durch Familie oder kulturelle Bedingungen.“<ref>[http://www.lexikon-psychologie.de/Verwahrlosung/ Lexikon-Psychologie.de]</ref>
Verwahrloste Menschen verhalten sich nicht [[norm]]gerecht, wirken, als hätten sie keine Kontrolle mehr über sich, halten die [[Gesetz]]e nicht ein oder mißachten [[Staatsbürger]][[pflicht]]en. So gelten in einigen Ländern Nicht-Wähler schon als verwahrlost. In Deutschland galten bis in die [[1970er|70er]] Jahre Jugendliche mit langem Haarschnitt bereits als verwahrlost. Nach der derzeitigen Bundesstatistik gelten [[Obdachloser|Obdachlose]], [[Langzeitarbeitslosigkeit|Langzeitarbeitslose]], Personen ohne Ausbildung oder [[Bettler]] als verwahrlost, wenn mindestens eine zusätzliche Bedingung hinzutritt, wie [[Alkoholabhängigkeit]] oder Zugehörigkeit zu bestimmten [[Volksgruppe]]n oder [[Religion]]en oder Strafauffälligkeit. In einigen [[USA|US]]-Bundesstaaten, z.B. in [[Florida]], gelten [[Straftäter]] ohne zusätzliche Bedingung als verwahrlost und verlieren damit ihre Staatsbürgerrechte.


Von Verwahrlosung betroffen sind meist Menschen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse besonders abhängig sind: Dieses können alte Menschen sein<ref>http://www.diagnose-gewalt.eu/betroffene/gewalt-an-aeltere-menschen</ref> oder Kinder und Jugendliche<ref>http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/kinder-und-jugend,did=69320.html</ref>, aber auch Erwerbslose. In diesem Zusammenhang ist der Begriff [[Neue Unterschicht]] besonders umstritten. Es ist in Deutschland jedoch allgemein anerkannt, dass ''Verwahrlosung'' oft nicht selbstverschuldet ist.
== Urbanistik und Politologie ==


== Geschichte ==
Wissenschaftlich beschäftigen sich hauptsächlich die [[Urbanistik]] und die [[Politologie]] mit dem Phänomen. Danach gelten [[Stadt|Städte]] oder Teile von Städten als verwahrlost, wenn sie chaotisch werden, d. h. sich den entropischen Gesetzen entsprechend entwickelt haben und von der Umgebung nicht mehr geordnet werden können. Die sich zwangsläufig daraus entwickelnden neuen Strukturen sind Individualisierung und Abgrenzung und daraus abgeleitete Anonymität, die in den Großstädten als sog. Brennpunkte der Verwahrlosung bezeichnet werden. Die Bekämpfung der Verwahrlosung durch Ordnungsmittel gelingt nicht, bzw. führte bisher nur zu umso schnellerer Verwahrlosung, die die Ordnungsmittel sogar selbst mit einschlossen Beispiel: [[Sizilien]].
{{Überarbeiten|grund=Der erste Satz ist unterm Strich aus heutiger Sicht (!) wohl zutreffend (sieht man von dem Geschwurbel über „Regime“ ab; nicht Politiker, sondern Psychiater und Juristen haben den Begriff geprägt). Jedoch wäre es an dieser Stelle sachdienlicher, anstatt pauschal über „die Vergangenheit“ (Trademark) zu schreiben, etwas mehr ins Detail zu gehen. Welche Autoren haben das theoretische Konzept „Verwahrlosung“ geprägt und was haben sie sich dabei gedacht? Auch dass der Begriff stets „schwammig“ verwendet worden sei, ist hier erst einmal nur eine unbelegte Behauptung. Autoren wie z.B. Walther Cimbal sind in der Zeit etwa der Weimarer Republik durch recht sorgfältige Definitionen hervorgetreten.}}
In zahlreichen Regimen der Vergangenheit wurde der schwammige Begriff der „Verwahrlosung“ eingesetzt, um ungeliebte Personen und Regimegegner unter Vorwänden aus dem Weg zu räumen.<ref>https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/edelweisspiraten.html</ref>
Einen letzten Höhepunkt in Europa fand dies in der [[Schweiz]]. Dort wurden sogenannte „verwahrloste“ Menschen noch bis in die 1980er-Jahre kriminalisiert, zwangsweise hospitalisiert und in einigen Fällen sogar [[sterilisiert]].<ref>{{Internetquelle |autor=Pascal Lechler |url=https://www.deutschlandfunk.de/dunkles-kapitel-der-schweizer-geschichte-100.html |titel=Dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte |werk=[[Deutschlandfunk|deutschlandfunk.de]] |datum=2012-12-20 |abruf=2024-02-17}}</ref><ref>https://www.beobachter.ch/administrativ-versorgte/administrativ-versorgte-ein-dunkles-kapitel</ref>


== Wirtschaftliche Betrachtung ==
== Psychologie und Psychiatrie ==
Im [[Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung|Armutsbericht der deutschen Bundesregierung]] wird der Begriff ''Verwahrlosung'' im Zusammenhang mit [[Arbeitslosigkeit]], [[Armut]] und [[Hilfsbedürftigkeit]] genannt.<ref>http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/059/1405990.pdf</ref> Dabei werden auch die Wohnverhältnisse und das soziale Umfeld betrachtet.


== Kindeswohl ==
In der [[Psychologie]] und [[Psychiatrie]] wird der Verwahrlosungs-Begriff enger gefaßt. Verwahrlosung ist dort nicht jede, sondern nur generalisierte und persistente Dissozialität (allgemeines, fortgesetztes Sozialversagen) (vgl. z. B. Klaus Hartmann, 1977). Nach einschlägigen empirischen Untersuchungen kommen als Ursachen besonders [[Vernachlässigung]] und [[Misshandlung]] in der frühen Kindheit in Betracht. Neueste neuropsychologische Forschungsergebnisse lassen psychotraumatisch erzeugte hirnorganische Schädigungen vermuten (vgl. www.agsp.de). Diese Form der Dissozialität erweist sich als ziemlich therapieresistent. Deshalb werden (sekundär-)präventive Maßnahmen empfohlen (z. B. bei nicht beratungsfähigen Eltern rechtzeitige Vermittlung in heilpädagogische Pflegefamilien).
{{Hauptartikel|Kindeswohl}}
Das [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland]] verwendet den Begriff der Verwahrlosung in den Artikeln 6 und 11. In Artikel 6 (3) nennt es die drohende Verwahrlosung von Kindern als einen Grund, weswegen – aber nur auf Grund eines Gesetzes – Kinder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie getrennt werden dürfen; in Artikel 11 (2) nennt es den Schutz der Jugend vor Verwahrlosung als einen Grund, weswegen – aber nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes – die Freizügigkeit aller Deutschen im ganzen Bundesgebiet eingeschränkt werden darf.


== Weblinks ==
Daneben gibt es den Begriff der '''Wohlstandsverwahrlosung''' (auch: '''Luxusverwahrlosung'''). Dieser Begriff beschreibt Kinder und Jugendliche, denen es an persönlicher Zuneigung und Zuwendung der Eltern fehlt. Die Eltern versuchen die fehlende Zeit für die Erziehung der Kinder oft durch vermehrte materielle Zuwendungen auszugleichen. Die Kinder leiden unter zunehmender Vereinsamung, sind oft nur auf sich selbst gestellt, verlieren jedes Gemeinschaftsgefühl.
{{Wiktionary|Verwahrlosung}}


== Einzelnachweise ==
Eine besondere Form der Verwahrlosung ist die '''Anstaltsverwahrlosung''', das heißt die Vernachlässigung und Vereinsamung von Kindern, Alten, Behinderten, Kranken und Schwachen in Institutionen ([[Frühverwahrlosung]], [[Hospitalismus]], [[Deprivation]], [[anaklitische Depression]]). Der Mangel an ausgebildetem Personal und der Zeitmangel bei der Betreuung in Heimen, Krankenhäusern und Anstalten führt regelmäßig zu Deprivations- und Frustrationserscheinungen bei den Patienten.
<references />


[[Kategorie:Soziale Arbeit]]
Wissenschaftliche Untersuchungen betrachten die Verwahrlosung als eines der größten Probleme der Zukunft.
[[Kategorie:Kinder- und Jugendhilfe]]

[[Kategorie:Obdachlosigkeit]]
''siehe auch'': [[Verwöhn-Verwahrlosung]]
[[Kategorie:Sozialstruktur]]

[[Kategorie:Klinische Psychologie]]
[[Kategorie:Milieu der Armut]]
[[Kategorie:Psychopathologisches Symptom]]

Aktuelle Version vom 20. Februar 2024, 05:22 Uhr

Verwahrlosung bezeichnet einen Zustand, in dem die Mindesterwartungen, die die Gesellschaft an eine Person stellt, nicht erfüllt sind. Der Begriff ist vor allem jugendhilferechtlich, soziologisch, zunehmend aber auch ökonomisch definiert.

Gesellschaftliche Betrachtung

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In Bezug auf den einzelnen Menschen wird Verwahrlosung – insbesondere seitens der Psychologie – oft als Folge des Verhaltens gesehen:

„Es ist das anhaltende und alle Bereiche des Lebens umfassende Abweichen einer Person von den Erwartungen seiner Umwelt. Sie verhalten sich in allen wesentlichen sozialen und gesellschaftlichen Gebieten außerhalb der Norm und stehen daher nicht selten außerhalb der Gesellschaft, was mit sozialen Diskriminierungen einhergeht. Oft stehen sie unbewusst in Opposition zur geltenden Norm. Verursachung zum Beispiel durch Familie oder kulturelle Bedingungen.“[1]

Von Verwahrlosung betroffen sind meist Menschen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse besonders abhängig sind: Dieses können alte Menschen sein[2] oder Kinder und Jugendliche[3], aber auch Erwerbslose. In diesem Zusammenhang ist der Begriff Neue Unterschicht besonders umstritten. Es ist in Deutschland jedoch allgemein anerkannt, dass Verwahrlosung oft nicht selbstverschuldet ist.

In zahlreichen Regimen der Vergangenheit wurde der schwammige Begriff der „Verwahrlosung“ eingesetzt, um ungeliebte Personen und Regimegegner unter Vorwänden aus dem Weg zu räumen.[4] Einen letzten Höhepunkt in Europa fand dies in der Schweiz. Dort wurden sogenannte „verwahrloste“ Menschen noch bis in die 1980er-Jahre kriminalisiert, zwangsweise hospitalisiert und in einigen Fällen sogar sterilisiert.[5][6]

Wirtschaftliche Betrachtung

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Im Armutsbericht der deutschen Bundesregierung wird der Begriff Verwahrlosung im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, Armut und Hilfsbedürftigkeit genannt.[7] Dabei werden auch die Wohnverhältnisse und das soziale Umfeld betrachtet.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verwendet den Begriff der Verwahrlosung in den Artikeln 6 und 11. In Artikel 6 (3) nennt es die drohende Verwahrlosung von Kindern als einen Grund, weswegen – aber nur auf Grund eines Gesetzes – Kinder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie getrennt werden dürfen; in Artikel 11 (2) nennt es den Schutz der Jugend vor Verwahrlosung als einen Grund, weswegen – aber nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes – die Freizügigkeit aller Deutschen im ganzen Bundesgebiet eingeschränkt werden darf.

Wiktionary: Verwahrlosung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Lexikon-Psychologie.de
  2. http://www.diagnose-gewalt.eu/betroffene/gewalt-an-aeltere-menschen
  3. http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/kinder-und-jugend,did=69320.html
  4. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/edelweisspiraten.html
  5. Pascal Lechler: Dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte. In: deutschlandfunk.de. 20. Dezember 2012, abgerufen am 17. Februar 2024.
  6. https://www.beobachter.ch/administrativ-versorgte/administrativ-versorgte-ein-dunkles-kapitel
  7. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/059/1405990.pdf