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„Jules Supervielle“ – Versionsunterschied

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'''Jules Supervielle''' (* [[16. Januar]] [[1884]] in [[Montevideo]]; † [[17. Mai]] [[1960]] in [[Paris]]) war ein [[Lyriker]], Verfasser von [[Bühnenwerk]]en und [[Kurzgeschichte]]n, der in [[Frankreich|französischer]] Sprache, gleichzeitig aber auch in [[Spanien|spanischer]] Tradition dichtete. Themen Supervielles sind die Sehnsucht nach glücklicher Kindheit, nach der räumlichen Weite seiner [[Südamerika|südamerikanischen]] Heimat sowie Fragen der tieferen Identität aller Lebewesen und unseres menschlichen Einklangs mit der Welt.<ref>{{cite web |url=https://brecha.com.uy/supervielle-en-el-punto-de-partida/ |title=Supervielle en el punto de partida |date=13. August 2015 |website=[[Brecha]] |last=Bajter |first=Ignacio |language=es}}</ref>

'''Jules Supervielle''' (* [[16. Januar]] [[1884]], [[Montevideo]]; † [[17. Mai]] [[1960]], [[Paris]]) war ein [[Lyriker]], Verfasser von [[Bühnenwerk]]en und [[Kurzgeschichte]]n, der in [[Frankreich|französischer]] Sprache - jedoch in [[Spanien|spanischer]] Tradition dichtete. Themen Supervielles sind die Sehnsucht nach glücklicher Kindheit, nach der räumlichen Weite seiner [[Südamerika|südamerikanischen]] Heimat und nach einem kosmischen Einklang des Menschen mit der Welt.


== Leben ==
== Leben ==
Supervielles [[Basken|baskisch]]e Eltern waren nach Uruguay ausgewandert, um dort eine Bank zu gründen. Acht Monate nach seiner Geburt sterben sie während eines Besuches im heimatlichen [[Béarn]] beide an einer Vergiftung. Der junge Jules wächst in [[Montevideo]] bis zum neunten Lebensjahr unwissentlich als Waise bei Onkel und Tante auf - beides jeweilige Geschwister seiner echten Eltern. Die Enthüllung des Todes seiner wahren Eltern bewegt ihn ein Leben lang. Dieses Erlebnis nimmt ihm das kindliche Weltvertrauen; hinzu kommt eine immer wieder lebensbedrohliche Herz- und Lungenschwäche des sehr großgewachsenen Menschen.
Supervielles [[Basken|baskische]] Eltern waren nach Uruguay ausgewandert, um dort eine Bank zu gründen. Acht Monate nach seiner Geburt sterben beide während eines Besuches im heimatlichen [[Béarn]] an einer Vergiftung. Der junge Jules wächst in [[Montevideo]] bis zum neunten Lebensjahr unwissentlich als Waise bei Onkel und Tante auf beides jeweilige Geschwister seiner echten Eltern. Mit zehn Jahren reist er zum Unterricht an französischen Schulen nach Paris. Die wenig später folgende Enthüllung des Todes seiner wahren Eltern prägt ein Leben lang seine Sicht der Wirklichkeit. Hinzu kommt eine immer wieder lebensbedrohliche Herz- und Lungenschwäche des sehr groß gewachsenen Mannes.
Obwohl frei von Geldsorgen, findet Supervielle spät (~1920) seinen eigenen Ton als Dichter "zwischen den Welten". Rasch avanciert er dank guter Freunde (darunter [[Jean Paulhan]], [[Henri Michaux]], der Literaturwissenschaftler René Étiemble) und infolge häufiger Aufenthalte in Uruguay zum Vermittler zwischen südamerikanischer und französischer Literatur. Wegen seiner Sprachfertigkeit während des Ersten Weltkriegs in der französischen Spionageabwehr eingesetzt, trägt Supervielle zur Enttarnung der Spionin [[Mata Hari]] bei: Auf einem Brief hinter den Worten ''"Aqui pongo un beso"'' (=Hierhin drücke ich einen Kuss) entziffert er eine Mitteilung in unsichtbarer Tinte.


Mit 23 Jahren heiratet er in Uruguay seine Frau Pilar Saavedra. Obwohl frei von Geldsorgen, findet Supervielle spät (~1920) seinen eigenen Ton als Dichter „zwischen den Welten“. Rasch avancierte er dennoch dank guter Freunde (darunter [[Jean Paulhan]], [[Henri Michaux]], der Literaturwissenschaftler René Étiemble) und infolge häufiger Aufenthalte in Uruguay zum Vermittler zwischen südamerikanischer und französischer Literatur.
Vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Supervielle 1939 in Uruguay überrascht; dort pflegt er Verbindungen mit französischen Exil-Schriftstellern. Als Staatsbürger beider Länder wird er 1946 zum uruguayanischen Kulturattaché in Paris ernannt. Das rettet ihn vor Mittellosigkeit, nachdem die Familienbank zusammengebrochen war. Der Vater von sechs Kindern ist am Ende seines Lebens Mitglied in zahlreichen literarischen Jurys, wird 1960 von Zeitgenossen zum "Prince des poètes" gewählt. Mit 76 Jahren erliegt er seiner lebenslangen Herz- und Lungenschwäche.

Kurz nach Veröffentlichung seines Gedichtbandes ''„Comme des voiliers“'' (1910) wird er in den Krieg eingezogen. Seine Lyrik wird sehr freundlich aufgenommen von [[André Gide]] und [[Paul Valéry]]. [[Jacques Rivière]] verhilft ihm zu Veröffentlichungen in der [[Nouvelle Revue Française]]. Er übersetzt [[García Lorca]] und [[Jorge Guillén]] ins Französische.

Wegen seiner Sprachfertigkeit während des Ersten Weltkriegs in der französischen Spionageabwehr eingesetzt, trägt Supervielle zur Enttarnung der Spionin [[Mata Hari]] bei: Auf einem Brief hinter den Worten ''„Aqui pongo un beso“'' (=Hierhin drücke ich einen Kuss) entzifferte er eine Mitteilung in unsichtbarer Tinte.

Vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Supervielle 1939 in Uruguay überrascht und wartet in Südamerika das Ende des Krieges ab; dort pflegt er Verbindungen mit französischen Exil-Schriftstellern. Als Staatsbürger beider Länder wird er 1946 zum uruguayischen Kulturattaché in Paris ernannt. Das rettet ihn vor überraschender Mittellosigkeit, nachdem die Familienbank zusammengebrochen war.

Der Vater von sechs Kindern ist am Ende seines Lebens Mitglied in zahlreichen literarischen Jurys, wird 1960 von Zeitgenossen zum „Prince des poètes“ gewählt. Seine Tochter Denise war mit dem Germanisten und Hölderlin-Übersetzer [[Pierre Bertaux]] verheiratet und berichtet von einem Besuch seines späteren Übersetzers [[Paul Celan]] im April 1960.

Mit 76 Jahren erlag Supervielle in Paris seiner lebenslangen Herz- und Lungenschwäche.


== Werk ==
== Werk ==
Als einzig nennenswerter deutscher Übersetzer hat sich [[Paul Celan]] mit 35 seiner Gedichte auseinandergesetzt. Obwohl ein ausführlicher Briefwechsel mit [[Rainer Maria Rilke]] vorliegt, und obwohl [[Pierre Bertaux]] ihn in Berlin mit den Brüdern Mann und anderen Schriftstellern bekannt machte, ist Supervielle im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Die eigene Bildersprache und die anspruchsvolle äußere Form in Supervielles Versen mögen eine Übersetzung erschweren.
Als einzig nennenswerter deutscher Übersetzer hat sich [[Paul Celan]] mit 36 seiner Gedichte auseinandergesetzt. Obwohl ein ausführlicher Briefwechsel mit [[Rainer Maria Rilke]] vorliegt, der ihn als „großen Brückenbauer des Geistes“ bezeichnet, und obwohl [[Pierre Bertaux]] ihn in Berlin mit den Brüdern Mann und anderen Schriftstellern bekannt machte, ist Supervielle im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Die eigene Bildersprache mit absichtlichen Vieldeutigkeiten und die anspruchsvolle äußere Form in Supervielles Versen mögen eine Übersetzung erschweren.


=== Versformen ===
* '''RHYTHMUS'''
Klassische Formen der französischen Poesie werden in vielen Gedichten erneuert. Streckenweise verwendet der Autor moderne, freie Versrhythmen im Stil [[Paul Claudel]]s und [[Walt Whitman]]s – aber auch den munter dahinspringenden „[[Vers commun]]“ und verschiedene Mischformen. Das enge Schema des französischen [[Alexandriner]]s erneuert Supervielle dadurch, dass er nach spanischem Muster zum Beispiel 14 Silben darin unterbringt oder tonlose Silben mitzählt. Die Zäsur in der Hälfte dieses Verses entfällt gelegentlich, sie wird durch Dreiteilung umspielt oder durch Position inmitten eines Wortes aufgelöst.


Dieses offene Spiel mit klassischen Formen gelingt auch beim [[Sonett]], das er sowohl nach [[Shakespeare]]s Muster in drei Quartette und eine doppelte Schlusszeile gliedert, als auch mit zwei Terzetten am Schluss gestaltet. Der Dichter orientiert sich außerdem an spanischen [[Stanze]]n und findet der [[Dezime (Verslehre)|Dezime]] ähnliche, neue Kurzformen. Wichtig in Supervielles Gedichten erscheinen nicht die perfekte Form, das abgeschlossene Ganze, sondern Anfänge, Übergänge, dahinter gelegte Dissonanzen und Zwischentöne.
Klassische Formen der französischen Poesie werden in vielen Gedichten erneuert: In der Sammlung "Débarcadères" (Landebrücken) verwendet der Autor freie '''Versrhythmen''' wie [[Paul Claudel]] und den munter dahinspringenden "[[Vers Commun]]". Das enge Schema des französischen [[Alexandriner]]s wird dadurch erneuert, dass Supervielle nach spanischem Vorbild auch 14 Silben darin unterbringt. Dessen Zäsur entfällt gelegentlich, wird durch Dreiteilung umspielt oder durch Position inmitten eines Wortes aufgelöst.


=== Reime ===
Dieses offene Spiel mit klassischen Formen gelingt auch beim [[Sonett]], das er sowohl nach [[Shakespeare]]s Muster in drei Quartette und eine doppelte Schlusszeile gliedert, als auch mit zwei Terzetten am Schluss gestaltet. Der Dichter orientiert sich außerdem an spanischen [[Stanze]]n und findet der [[Dezime]] ähnliche, neue Kurzformen. Wichtig in Supervielles Gedichten erscheinen nicht die perfekte Form, sondern darin ebenfalls sichtbare Dissonanzen und Zwischentöne.
Vor allem in seiner Reimtechnik übertritt Supervielle die klassischen Regeln mit Absicht: Meist unregelmäßig gereimten Zeilen mit männlicher oder weiblicher [[Kadenz (Verslehre)|Kadenz]] fügt der Dichter reimlose hinzu; außerdem liebt er [[Assonanz (Verslehre)|Assonanz]]en und [[Binnenreim]]e.


=== Bildersprache ===
* '''REIM'''
Die Bildersprache vieler Gedichte wirkt nur auf ersten Blick [[Hermetik|verschlüsselt]]. Gegenüber den französischen [[Surrealismus|Surrealisten]] unterscheidet sich Supervielle stets durch hohe Verständlichkeit, durch logisch zusammenhängende [[Metapher]]n und einen schlüssigen Satzbau. Viele Inhalte hängen mit der Welt des Reisens, des Wassers und des menschlichen Körpers zusammen. Auch die Geologie und Astronomie inspirieren ihn zu eindrucksvollen Bildern, die er zu kleinen [[Fabel]]n in Versform zusammensetzt:
{{Zitat|''La poésie, pour moi, c'est le concret. L'abstraction, à moins qu'elle ne soit singulièrement exaltée par le concret qui la précède et qui la suit, <br />l'abstraction glace la poésie et la fait fuir.''|Œuvres poétiques complètes, p. 1051}}
''(Für mich ist Poesie etwas Konkretes. Wenn eine Abstraktion nicht aus- oder abgelöst wird durch Konkretes, bringt sie doch nur Erstarrung und verscheucht die Poesie.)''


== Hauptwerke ==
Vor allem in seiner '''Reimtechnik''' verstösst Supervielle bewusst gegen klassische Regeln: Meist sehr unregelmäßig gereimten Zeilen mit männlicher oder weiblicher [[Reim|Endung]] fügt der Dichter reimlose hinzu; außerdem liebt er [[Assonanz]]en und [[Binnenreim]]e.
=== Gedichte ===
* Les poèmes de l'humour triste (1919)
* Débarcadères (1922)
* Gravitations (1925)
* Oublieuse mémoire (1949)
* L'escalier (1956)
* Le corps tragique (1959)


=== Romane und Erzählungen ===
* '''INHALT'''
* L'homme de la pampa (1923)
* Le voleur d'enfants, Roman (1926)
* Le Survivant, Roman (1928)
* L'enfant de la haute mer, Erzählungen (1931)
* L'arche de Noé (1938)
* Premier pas de l'univers (1950)


=== Theater ===
Die '''Bildersprache''' vieler Gedichte ist nur auf ersten Blick [[hermetisch]]. Gegenüber den französischen [[Surrealismus|Surrealisten]] unterscheidet sich Supervielle stets durch hohe Verständlichkeit, durch logisch zusammenhängende [[Metapher]]n und einen schlüssigen Satzbau. Viele Inhalte hängen mit der Welt des Reisens, des Wassers und des menschlichen Körpers zusammen. Auch die Geologie und Astronomie inspirieren ihn zu eindrucksvollen Bildern, die er zu kleinen [[Fabeln]] in Versform zusammensetzt.
* La belle au bois, Komödie (1932; dt. Ritter Blaubarts letzte Liebe, 1951)
* Libretto zu ''Bolívar''. Oper (zusammen mit [[Madeleine Milhaud]]). Musik (1943): [[Darius Milhaud]]. UA 1950.
* [[Shéhérazade (Supervielle)|Shéhérazade]] (1949)


== Literatur ==
=== Übersetzungen ===
* Der Ochs und der Esel im Stall zu Bethlehem (1951; neueste Ausgabe 1998, ISBN 3-85717-116-2)
* Das Kind vom hohen Meer und andere Erzählungen (1980)
* Gedichte und Legenden (1961)
* Gedichte (deutsche Auswahl, übersetzt von [[Paul Celan]]; [[Insel-Bücherei]] 932, 1968)
* Die Arche Noah. Erzählungen (1951)
* Der Kinderdieb. Roman (1949; 1961)

== Sekundärliteratur ==
* Lotte Specker: ''Jules Supervielle. Eine Stilstudie''. Emil Ruegg, Zürich 1942 (Zugl. Diss. phil. [[Universität Zürich]])
* [[Claude Roy (Autor)|Claude Roy]]: ''Supervielle''. Poésies P., [[Nouvelle Revue Française|NRF]], Paris 1970
* Sabine Dewulf: ''Jules Supervielle ou la connaissance poétique – Sous le soleil d’oubli'', coll. Critiques Littéraires. 2 Bde., L’Harmattan, Paris 2001
* Tatiana W. Greene: ''Supervielle''. Droz, Genf und Minard, Paris, beide 1958
* James A. Hiddleston: ''L'Univers de Jules Supervielle''. José Corti, 1965 (Zugl. Diss. phil. [[University of Edinburgh]])
* Ricardo Paseyro: ''Jules Supervielle – Le forçat volontaire''. Mesnil-sur-l'Estrée 2002
* [[Henri Michaux]]: ''Jules Supervielle.'' Übers. Kristian Wachinger, in Verena von der Heyden-Rynsch Hg.: ''Vive la littérature! Französische Literatur der Gegenwart.'' Hanser, München 1989, S 181f. (mit Foto) (zuerst NRF, August 1954)
* Ausführliche Lit.-Angaben, darunter weitere Dissertationen, im entspr. Lemma in Richard A. Brooks & Douglas W. Alden Hgg.: ''A critical Bibliography of French literature.'' Band 6, Teil 3. ''Das 20. Jh.'' [[Syracuse University]] Press, 1980, ISBN 0-8156-2207-4

== Einzelnachweise ==
<references />


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikiquote1|Jules Supervielle}}
* [Eintrag im französischen Wikipédia: http://fr.wikipedia.org/wiki/Jules_Supervielle]
* [Leseproben auf einem deutsch-rumänischen Portal: http://deutsch.agonia.net/index.php/author/0007704/]
* [Leseproben auf einem französischen Website: http://supervielle.univers.free.fr]


* {{DNB-Portal|118757865}}
{{stub}}
* [http://deutsch.agonia.net/index.php/author/0007704/ Leseproben auf einem deutsch-rumänischen Portal]
* [http://supervielle.univers.free.fr/supervielle/supervielle.htm Biographisches und Leseproben auf einer französischen Website]
* [http://gedicht.canandanann.nl/poetry/supervieille.htm Leseproben auf einer niederländischen Website]
* [http://www.maulpoix.net/supervielle.html Literaturkritische Einführung (französisch)]
* [http://supervielle.univers.free.fr/association/association_poesie_supervielle.htm Vereinigung der „Freunde von Jules Supervielle“ (französische Assoziation, die aber für alle Nationalitäten offen ist)]

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{{SORTIERUNG:Supervielle, Jules}}
[[Kategorie:Autor]]
[[Kategorie:Literatur (Französisch)]]
[[Kategorie:Literatur (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Lyrik]]
[[Kategorie:Erzählung]]
[[Kategorie:Drama]]
[[Kategorie:Librettist]]
[[Kategorie:Kulturattaché]]
[[Kategorie:Mitglied der Ehrenlegion (Offizier)]]
[[Kategorie:Franzose]]
[[Kategorie:Uruguayer]]
[[Kategorie:Geboren 1884]]
[[Kategorie:Gestorben 1960]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Personendaten
[[fr:Jules Supervielle]]
|NAME=Supervielle, Jules
[[Kategorie:Mann]][[Kategorie:Franzose]]
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG=französisch-uruguayischer Schriftsteller
|GEBURTSDATUM=16. Januar 1884
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|STERBEORT=[[Paris]]
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Aktuelle Version vom 17. Mai 2025, 16:54 Uhr

Jules Supervielle, 1940

Jules Supervielle (* 16. Januar 1884 in Montevideo; † 17. Mai 1960 in Paris) war ein Lyriker, Verfasser von Bühnenwerken und Kurzgeschichten, der in französischer Sprache, gleichzeitig aber auch in spanischer Tradition dichtete. Themen Supervielles sind die Sehnsucht nach glücklicher Kindheit, nach der räumlichen Weite seiner südamerikanischen Heimat sowie Fragen der tieferen Identität aller Lebewesen und unseres menschlichen Einklangs mit der Welt.[1]

Supervielles baskische Eltern waren nach Uruguay ausgewandert, um dort eine Bank zu gründen. Acht Monate nach seiner Geburt sterben beide während eines Besuches im heimatlichen Béarn an einer Vergiftung. Der junge Jules wächst in Montevideo bis zum neunten Lebensjahr unwissentlich als Waise bei Onkel und Tante auf – beides jeweilige Geschwister seiner echten Eltern. Mit zehn Jahren reist er zum Unterricht an französischen Schulen nach Paris. Die wenig später folgende Enthüllung des Todes seiner wahren Eltern prägt ein Leben lang seine Sicht der Wirklichkeit. Hinzu kommt eine immer wieder lebensbedrohliche Herz- und Lungenschwäche des sehr groß gewachsenen Mannes.

Mit 23 Jahren heiratet er in Uruguay seine Frau Pilar Saavedra. Obwohl frei von Geldsorgen, findet Supervielle spät (~1920) seinen eigenen Ton als Dichter „zwischen den Welten“. Rasch avancierte er dennoch dank guter Freunde (darunter Jean Paulhan, Henri Michaux, der Literaturwissenschaftler René Étiemble) und infolge häufiger Aufenthalte in Uruguay zum Vermittler zwischen südamerikanischer und französischer Literatur.

Kurz nach Veröffentlichung seines Gedichtbandes „Comme des voiliers“ (1910) wird er in den Krieg eingezogen. Seine Lyrik wird sehr freundlich aufgenommen von André Gide und Paul Valéry. Jacques Rivière verhilft ihm zu Veröffentlichungen in der Nouvelle Revue Française. Er übersetzt García Lorca und Jorge Guillén ins Französische.

Wegen seiner Sprachfertigkeit während des Ersten Weltkriegs in der französischen Spionageabwehr eingesetzt, trägt Supervielle zur Enttarnung der Spionin Mata Hari bei: Auf einem Brief hinter den Worten „Aqui pongo un beso“ (=Hierhin drücke ich einen Kuss) entzifferte er eine Mitteilung in unsichtbarer Tinte.

Vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Supervielle 1939 in Uruguay überrascht und wartet in Südamerika das Ende des Krieges ab; dort pflegt er Verbindungen mit französischen Exil-Schriftstellern. Als Staatsbürger beider Länder wird er 1946 zum uruguayischen Kulturattaché in Paris ernannt. Das rettet ihn vor überraschender Mittellosigkeit, nachdem die Familienbank zusammengebrochen war.

Der Vater von sechs Kindern ist am Ende seines Lebens Mitglied in zahlreichen literarischen Jurys, wird 1960 von Zeitgenossen zum „Prince des poètes“ gewählt. Seine Tochter Denise war mit dem Germanisten und Hölderlin-Übersetzer Pierre Bertaux verheiratet und berichtet von einem Besuch seines späteren Übersetzers Paul Celan im April 1960.

Mit 76 Jahren erlag Supervielle in Paris seiner lebenslangen Herz- und Lungenschwäche.

Als einzig nennenswerter deutscher Übersetzer hat sich Paul Celan mit 36 seiner Gedichte auseinandergesetzt. Obwohl ein ausführlicher Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke vorliegt, der ihn als „großen Brückenbauer des Geistes“ bezeichnet, und obwohl Pierre Bertaux ihn in Berlin mit den Brüdern Mann und anderen Schriftstellern bekannt machte, ist Supervielle im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Die eigene Bildersprache mit absichtlichen Vieldeutigkeiten und die anspruchsvolle äußere Form in Supervielles Versen mögen eine Übersetzung erschweren.

Klassische Formen der französischen Poesie werden in vielen Gedichten erneuert. Streckenweise verwendet der Autor moderne, freie Versrhythmen im Stil Paul Claudels und Walt Whitmans – aber auch den munter dahinspringenden „Vers commun“ und verschiedene Mischformen. Das enge Schema des französischen Alexandriners erneuert Supervielle dadurch, dass er nach spanischem Muster zum Beispiel 14 Silben darin unterbringt oder tonlose Silben mitzählt. Die Zäsur in der Hälfte dieses Verses entfällt gelegentlich, sie wird durch Dreiteilung umspielt oder durch Position inmitten eines Wortes aufgelöst.

Dieses offene Spiel mit klassischen Formen gelingt auch beim Sonett, das er sowohl nach Shakespeares Muster in drei Quartette und eine doppelte Schlusszeile gliedert, als auch mit zwei Terzetten am Schluss gestaltet. Der Dichter orientiert sich außerdem an spanischen Stanzen und findet der Dezime ähnliche, neue Kurzformen. Wichtig in Supervielles Gedichten erscheinen nicht die perfekte Form, das abgeschlossene Ganze, sondern Anfänge, Übergänge, dahinter gelegte Dissonanzen und Zwischentöne.

Vor allem in seiner Reimtechnik übertritt Supervielle die klassischen Regeln mit Absicht: Meist unregelmäßig gereimten Zeilen mit männlicher oder weiblicher Kadenz fügt der Dichter reimlose hinzu; außerdem liebt er Assonanzen und Binnenreime.

Die Bildersprache vieler Gedichte wirkt nur auf ersten Blick verschlüsselt. Gegenüber den französischen Surrealisten unterscheidet sich Supervielle stets durch hohe Verständlichkeit, durch logisch zusammenhängende Metaphern und einen schlüssigen Satzbau. Viele Inhalte hängen mit der Welt des Reisens, des Wassers und des menschlichen Körpers zusammen. Auch die Geologie und Astronomie inspirieren ihn zu eindrucksvollen Bildern, die er zu kleinen Fabeln in Versform zusammensetzt:

La poésie, pour moi, c'est le concret. L'abstraction, à moins qu'elle ne soit singulièrement exaltée par le concret qui la précède et qui la suit,
l'abstraction glace la poésie et la fait fuir.

Œuvres poétiques complètes, p. 1051

(Für mich ist Poesie etwas Konkretes. Wenn eine Abstraktion nicht aus- oder abgelöst wird durch Konkretes, bringt sie doch nur Erstarrung und verscheucht die Poesie.)

  • Les poèmes de l'humour triste (1919)
  • Débarcadères (1922)
  • Gravitations (1925)
  • Oublieuse mémoire (1949)
  • L'escalier (1956)
  • Le corps tragique (1959)

Romane und Erzählungen

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  • L'homme de la pampa (1923)
  • Le voleur d'enfants, Roman (1926)
  • Le Survivant, Roman (1928)
  • L'enfant de la haute mer, Erzählungen (1931)
  • L'arche de Noé (1938)
  • Premier pas de l'univers (1950)
  • Der Ochs und der Esel im Stall zu Bethlehem (1951; neueste Ausgabe 1998, ISBN 3-85717-116-2)
  • Das Kind vom hohen Meer und andere Erzählungen (1980)
  • Gedichte und Legenden (1961)
  • Gedichte (deutsche Auswahl, übersetzt von Paul Celan; Insel-Bücherei 932, 1968)
  • Die Arche Noah. Erzählungen (1951)
  • Der Kinderdieb. Roman (1949; 1961)

Sekundärliteratur

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  • Lotte Specker: Jules Supervielle. Eine Stilstudie. Emil Ruegg, Zürich 1942 (Zugl. Diss. phil. Universität Zürich)
  • Claude Roy: Supervielle. Poésies P., NRF, Paris 1970
  • Sabine Dewulf: Jules Supervielle ou la connaissance poétique – Sous le soleil d’oubli, coll. Critiques Littéraires. 2 Bde., L’Harmattan, Paris 2001
  • Tatiana W. Greene: Supervielle. Droz, Genf und Minard, Paris, beide 1958
  • James A. Hiddleston: L'Univers de Jules Supervielle. José Corti, 1965 (Zugl. Diss. phil. University of Edinburgh)
  • Ricardo Paseyro: Jules Supervielle – Le forçat volontaire. Mesnil-sur-l'Estrée 2002
  • Henri Michaux: Jules Supervielle. Übers. Kristian Wachinger, in Verena von der Heyden-Rynsch Hg.: Vive la littérature! Französische Literatur der Gegenwart. Hanser, München 1989, S 181f. (mit Foto) (zuerst NRF, August 1954)
  • Ausführliche Lit.-Angaben, darunter weitere Dissertationen, im entspr. Lemma in Richard A. Brooks & Douglas W. Alden Hgg.: A critical Bibliography of French literature. Band 6, Teil 3. Das 20. Jh. Syracuse University Press, 1980, ISBN 0-8156-2207-4

Einzelnachweise

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  1. Ignacio Bajter: Supervielle en el punto de partida. In: Brecha. 13. August 2015; (spanisch).