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„Gegen die Wand“ – Versionsunterschied

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{{Infobox Film
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| Bild =
|
| Deutscher Titel =
{| border="1" cellpadding="3" cellspacing="1" bgcolor="#FFDEAD" align="right" width="100%" style="background:#dddddd; margin:0 0 0.5em 0.5em"
| Originaltitel = Gegen die Wand
! colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Filmdaten
| Produktionsland = Deutschland, Türkei
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Originalsprache = Deutsch, Türkisch, Englisch
| Originaltitel: || '''Gegen die Wand'''
| Erscheinungsjahr = 2004
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Länge = 121
| Produktionsland: || [[Deutschland]], [[Türkei]]
| FSK = 12{{FSK|0402|97164K}}
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| JMK = 14{{JMK|15855}}
| Erscheinungsjahr: || [[2004]]
| Regie = [[Fatih Akin]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Drehbuch = Fatih Akin
| Länge: || 121 Minuten
| Produzent = [[Stefan Schubert (Filmproduzent)|Stefan Schubert]]<br />[[Ralph Schwingel]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Musik = [[Alexander Hacke]]<br />[[Maceo Parker]]<br />[[Daniel Puente Encina]] (mit ''Niños Con Bombas'' und ''Polvorosa'')<ref name="IMDb_soundtrack">[https://www.imdb.com/title/tt0347048/soundtrack Soundtrack] laut [[Internet Movie Database]]</ref>
| Originalsprache: || [[Deutsche Sprache|Deutsch]], [[Türkische Sprache|Türkisch]], [[Englische Sprache|Englisch]]
| Kamera = [[Rainer Klausmann]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Schnitt = [[Andrew Bird (Filmeditor)|Andrew Bird]]
| Altersfreigabe: || [[Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft|FSK]] ab 12
| Besetzung = * [[Birol Ünel]]: Cahit Tomruk
|-----
* [[Sibel Kekilli]]: Sibel Güner
* [[Catrin Striebeck]]: Maren
* [[Güven Kıraç]]: Seref
* [[Stefan Gebelhoff]]: Nico
* [[Meltem Cumbul]]: Selma
* [[Hermann Lause]]: Psychotherapeut Dr. Schiller
* [[Demir Gökgöl]]: Vater Yunus Güner
* [[Cem Akin]]: Bruder Yilmaz Güner
* [[Aysel Iscan]]: Mutter Birsen Güner
* [[Mona Mur]]: Stammkundin Zoe Bar
* [[Adam Bousdoukos]]: Barmann – Hochzeitsnacht
* [[Mehmet Kurtuluş]]: Barmann – Istanbul
* [[Zarah McKenzie]]: Barfrau in der Fabrik
* [[Tim Seyfi]]: Bayerischer Taxifahrer
* [[Andreas Thiel (Filmschaffender)|Andreas Thiel]]: Standesbeamter
* [[Fanfare Ciocărlia]]: Musiker
| Synchronisation =
| Chronologie = ja
}}
'''Gegen die Wand''' ist ein mehrfach ausgezeichneter Spielfilm des [[Türkeistämmige in Deutschland|deutsch-türkischen]] Regisseurs [[Fatih Akin]]. Der Film schildert die Liebesgeschichte einer jungen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Türkin, die mit einem alkoholkranken und drogensüchtigen Landsmann eine Scheinehe eingeht, um den Moralvorstellungen ihrer Eltern zu entkommen.


Der Film ist der erste Teil der [[Trilogie]] ''Liebe, Tod und Teufel,'' die 2007 mit ''[[Auf der anderen Seite]]'' fortgesetzt und 2014 mit ''[[The Cut]]'' abgeschlossen wurde.
! colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Crew
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Regie]]: || [[Fatih Akın]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Drehbuch]]: || [[Fatih Akın]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Musik]]: || [[Diverse Komponisten]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Kamera]]: || [[Rainer Klausmann]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Schnitt (Film)|Schnitt]]: || [[Andrew Bird]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| [[Produktion]]: || [[Stefan Schubert]], [[Ralph Schwingel]]
|-----


== Handlung ==
! colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Darsteller
Cahit, ein 40-jähriger Deutschtürke aus [[Hamburg]], fährt alkoholisiert und ungebremst gegen eine Wand. Während der Zeit im Krankenhaus lernt er Sibel kennen, die ebenfalls wegen eines [[Suizid]]versuches dort ist. Sibel, eine junge Türkin, rebelliert gegen ihr traditionelles türkisches Elternhaus. Sie möchte ihr eigenes Leben leben, sagt: „Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken. Und nicht nur mit einem Typen.“ Um diese Unabhängigkeit von ihrem strengen Vater und ihrem dominanten Bruder zu erlangen, sieht sie nur noch die Möglichkeit, eine [[Scheinehe]] einzugehen. Cahit, der seine türkische Muttersprache „weggeworfen“ hat, auf jede Frage nach seiner mysteriösen Vergangenheit aggressiv reagiert und sein Taschengeld mit dem Aufsammeln von Flaschen im autonomen Kulturzentrum „[[Fabrik (Hamburg)|Fabrik]]“ verdient, willigt nach einem weiteren Suizidversuch von Sibel ein, sie zu heiraten. Als er bei deren Eltern um die Hand ihrer Tochter anhält, gibt er vor, der Geschäftsführer der Gaststätte zu sein, in der er arbeitet.
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Cahit Tomruk: || [[Birol Ünel]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Sibel Güner: || [[Sibel Kekilli]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Maren: || [[Catrin Striebeck]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Seref: || [[Güven Kiraç]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Selma: || [[Meltem Cumbul]]
|----- bgcolor="#FFFFFF"
| Dr. Schiller: || [[Hermann Lause]]
|}
|}


Nach der Hochzeit und Sibels Einzug bei ihm sieht er anfangs äußerlich unbeteiligt zu, wie sie ein unbeschwertes und zügelloses Leben führt. Doch nach und nach wird ihm klar, dass er für Sibel mehr empfindet, dass er sie liebt. Im [[Affekt]] tötet er einen früheren [[One-Night-Stand]] Sibels mit einem Aschenbecher, nachdem der ihn zuvor minutenlang gereizt und schließlich wie einen Zuhälter nach der Geldsumme für eine gewünschte Leistung von Sibel gefragt hatte. Cahit wird zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Sibels Bruder verfolgt sie, möglicherweise um sie bestrafen oder umzubringen. Sibel, die sich nun selbst in Cahit verliebt hat, wird von ihrer Familie verstoßen. Sie verspricht Cahit, auf ihn zu warten, und zieht nach [[Istanbul]], wo sie anfangs in einem Hotel arbeitet, in dem ihre Cousine Selma als Managerin angestellt ist.
'''Gegen die Wand''' ist der vierte [[Spielfilm]] des [[Deutschland|deutschen]] Regisseurs [[Fatih Akın]]. Der Film schildert die Liebesgeschichte einer jungen türkischstämmigen Deutschen, die eine Scheinehe mit einem älteren, alkoholkranken Landsmann eingeht, um den Moralvorstellungen ihrer Eltern zu entkommen.


Nach Aufkündigung dieser Tätigkeit verfällt sie Drogenexzessen und verkommt in ihrer Trauer. Eines Nachts wird sie unter Drogen vergewaltigt und von drei Männern, die sie zuvor provoziert hat, beinahe getötet. Ein Taxifahrer findet sie. Als Cahit sie jedoch nach seiner Haftentlassung aufsucht, hat sie ihr Leben geordnet und eine neue Beziehung begonnen. Es ist unklar, ob ihre Tochter aus dieser Beziehung hervorging oder eine Folge der Vergewaltigung ist. Nach zwei gemeinsamen Tagen schlägt Cahit eine Verabredung der beiden am Busbahnhof vor, um von dort aus zusammen mit Sibels kleiner Tochter in seinen Geburtsort [[Mersin]] zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen. Als Sibel zur vereinbarten Zeit nicht erschienen ist, fährt Cahit allein nach Mersin ab.
== Handlung ==


== Hintergrund ==
Der Film spielt zunächst in [[Hamburg]]. Cahit, ein 40jähriger Deutsch-Türke, fährt zu Beginn des Filmes alkoholisiert gegen eine Wand. Während der Zeit im Krankenhaus lernt er Sibel kennen, die ebenfalls wegen eines [[Suizid]]versuches dort ist. Sibel, eine junge Türkin, rebelliert gegen ihr traditionelles türkisches Elternhaus. Sie möchte ihr eigenes Leben leben, sagt ''"Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken. Und nicht nur mit einem Typen."'' Um diese Unabhängigkeit von ihrem strengen Vater und ihrem dominanten Bruder zu erlangen, sieht sie nur noch die Möglichkeit, eine [[Scheinehe]] einzugehen. Cahit, der seine türkische Muttersprache "weggeworfen" hat, auf jede Frage nach seiner mysteriösen Vergangenheit sensibel reagiert und sein Taschengeld mit dem Aufsammeln von Flaschen in einem alternativen Club verdient, willigt nach einigem Zögern ein. Zunächst sieht er unbeteiligt zu, wie Sibel nach der Hochzeit und dem Einzug bei ihm ein unbeschwertes und zügelloses Leben führt. Doch nach und nach wird ihm klar, dass er für Sibel mehr empfindet, dass er sie liebt. Seine Zuneigung geht so weit, dass er einen früheren [[One-Night-Stand]] Sibels, der über sie herzieht, im Affekt tötet. In der Folge wird Sibel, die sich nun selbst in Cahit verliebt hat, von ihrer Familie verstoßen. Sie verspricht Cahit, auf ihn "zu warten" und zieht zu ihrer Cousine nach [[Istanbul]]. Dort stürzt sie indes zunächst vollkommen ab und geht in ihrer Trauer unter. Als Cahit sie jedoch nach seiner Haftentlassung aufsuchen will hat sie ihr Leben geordnet, eine neue Beziehung und eine Tochter. Nach zwei gemeinsamen Tagen trennen sich die Wege von Sibel und Cahit, da Sibel Cahit nicht in seinen Heimatort Mersin folgen kann (oder will).
Der Film wurde in der „[[Fabrik (Hamburg)|Fabrik]]“ in [[Hamburg-Altona]] sowie auf dem [[Heiligengeistfeld]] im [[Hamburg]]er Stadtteil [[Hamburg-St. Pauli|St.&nbsp;Pauli]] gedreht.<ref name="IMDb_locations">[http://www.imdb.de/title/tt0347048/locations Drehorte] laut [[Internet Movie Database]]</ref> Die Aufnahmen im Krankenhaus entstanden in der [[Asklepios Klinik Nord#Ochsenzoll|Asklepios Klinik Nord]] im Stadtteil [[Hamburg-Langenhorn|Langenhorn]].<ref name="IMDb_locations" /> Außerdem wurde in [[Istanbul]] gedreht.<ref name="IMDb_locations" /> Die Szenen in der Bar (u.&nbsp;a. wo Cahit Sibels früheren One-Night-Stand tötet) wurden in der „Zoe Bar“ gedreht (Clemens-Schultz-Str., heute befindet sich dort die Bar „Möwe Sturzflug“).<ref>{{Internetquelle |url=http://filmap.tumblr.com/post/134128161006/gegen-die-wand-head-on-fatih-akin-2004-zo%C3%AB-bar |titel=Filmap |abruf=2017-07-24}}</ref>


Am 12.&nbsp;Februar 2004 feierte der Film bei den [[Internationale Filmfestspiele Berlin|Internationalen Filmfestspielen Berlin]] Premiere, am 11.&nbsp;März lief er in den deutschen Kinos an.<ref name="IMDb_releaseinfo">[http://www.imdb.de/title/tt0347048/releaseinfo Starttermine] laut [[Internet Movie Database]]</ref> In Österreich war er ab dem 2.&nbsp;April und in der Schweiz ab dem 6.&nbsp;Mai 2004 zu sehen.<ref name="IMDb_releaseinfo" />
== Kritiken ==


Am zweiten Wochenende nach dem Kinostart spielte er fast eine halbe Million Euro an den deutschen Kinokassen ein.<ref name="IMDb_business">[http://www.imdb.de/title/tt0347048/business Budget und Einspielergebnisse] laut [[Internet Movie Database]]</ref> Bis zum Ende des Jahres 2004 wurden dort über 760.000 Besucher gezählt.<ref name="IMDb_business" />
Der Film verarbeitet zwei große Themen brillant: Da ist zunächst die Frage nach der Identität des türkischstämmigen Einwanderers Cahit, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt und der jungen türkischen Frau, die in Deutschland geboren und umgeben von einer weltoffenen deutschen Gesellschaft traditionell türkisch erzogen wurde. ''"Selten spürte man im Kino einen derartigen Lebenshunger: In seinem preisgekrönten Film ‚Gegen die Wand‘ entwirft der Hamburger Regisseur Fatih Akın virtuos und kompromisslos das hochemotionale Drama zweier Deutschtürken auf der Suche nach Identität."'' (Oliver Hüttmann in [http://www.spiegel.de/ Spiegel Online].)


''Gegen die Wand'' war der erste deutsche Film seit 17 Jahren, der bei der Berlinale einen Goldenen Bären gewinnen konnte.<ref name="IMDb_trivia">[http://www.imdb.com/title/tt0347048/trivia Hintergrundinformationen] laut [[Internet Movie Database]]</ref>
Das zweite Thema ist die Liebesgeschichte zwischen Cahit und Sibel, die reich an Gefühlen und Wirrungen, an Missverständnissen und falschen Vorstellungen ist. Fritz Göttler schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung vom [[10. April]] [[2004]] und auf [http://www.sueddeutsche.de/ sueddeutsche.de]:
''"Wahnsinnige Liebe ist das Thema dieses Films. Und Selbstzerstörung. Und: Liebe = Selbstzerstörung. Fatih Akın denkt an Kurt Cobain und Jim Morrison, die Meister der poetischen Selbstzerstörung. Die Gleichung funktioniert, so wird uns suggeriert, nur noch bei den anderen, den Fremden, den Türken. Also nimmt der Film uns mit auf einen Trip in diese Welt, dort ist archaisches Leben&nbsp;– Blut, Schweiß, Tränen&nbsp;–, dort endet eine Szene gern im Exzess."''


Für die Rolle der Sibel Güner wurden von [[Fatih Akin]] mehr als 350 Darstellerinnen zu einem sich über ein Jahr hinziehenden<ref>{{Internetquelle |autor=Jonas Reinartz |url=http://www.filmzentrale.com/rezis/gegendiewandjr.htm |titel=Gegen die Wand |werk=www.filmzentrale.com |abruf=2022-12-24}}</ref> [[Casting (Auswahlverfahren)|Casting]] geladen.<ref name="IMDb_trivia" /> Die Rolle wurde schließlich an [[Sibel Kekilli]] vergeben, die in einem [[Köln]]er Einkaufszentrum entdeckt wurde.<ref name="IMDb_trivia" /> Drei der Frauen, die ebenfalls für diese Rolle vorgesprochen haben, sind in einer Szene zu sehen, in der sie sich auf einer Couch sitzend über ihre Ehemänner unterhalten.<ref name="IMDb_trivia" /> Die Rolle von Sibels Bruder Yilmaz besetzte Fatih Akin mit seinem Bruder [[Cem Akin]].<ref name="IMDb_trivia" />
Und in der Tat ist Selbstzerstörung das, was beide Themen verbindet. Selbstzerstörung durch maßlosen Alkoholismus, durch die Amokfahrt gegen eine Wand, durch Suizidversuche (''"Längs schneiden, nicht quer."'') und durch Gewalt gegen andere. Selbstzerstörung als Rebellion gegen und zum Ausbruch aus der vorgegebenen Identität, Selbstzerstörung aus Liebe.


[[Birol Ünel]] hatte keinen Wehrdienst in der Türkei geleistet und konnte daher nicht in sein Heimatland reisen, ohne zu riskieren, verhaftet zu werden. Erst in letzter Minute entschied sich das türkische Parlament dazu, die Einreise ohne drohende Sanktionen zu erlauben, um den Film fertigstellen zu lassen.<ref name="IMDb_trivia" />
Die Lösung, die der Film anbietet: Die Rückkehr in die [[Türkei]]. Cahit verändert sich durch die Liebe zu Sibel zusehends und diese Liebe lässt ihn die Zeit im [[Gefängnis]] überstehen und abstinent werden. Und Sibel? Sie erlebt in Istanbul den Höhepunkt ihrer Selbstzerstörung bevor sie ihr Leben ordnet. Warum sie ihr Leben ordnet, bleibt der Film schuldig. Ob die Rückkehr in die Türkei eine akzeptable Lösung für Sibel und Cahit ist, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden. Der Film schweigt sich dazu aus. Aber es ist die Lösung, für die beide Charaktere die nötige Kraft haben.


Nach dem ersten Schnitt hatte der Film eine Spielzeit von vier Stunden, schließlich wurde er auf 121 Minuten gekürzt.<ref name="IMDb_trivia" />
Akin gelingt es, die Geschichte durch eine intensive Bildsprache sehr realistisch zu erzählen. Sie wird von einem [[Soundtrack]] begleitet, der ihren Kontrast voll aufnimmt: [[Depeche Mode]] gegen türkisches Volkslied.


Um die Produktionskosten zu reduzieren und zugleich natürlicher zu wirken, brachten die meisten Schauspieler ihre eigene Kleidung zum Set mit.<ref name="IMDb_trivia" />
Nach der Verleihung des [[Goldener Bär|Goldenen Bären]] und dem Bekanntwerden der Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli konzentrierte sich die Diskussion in den Boulevardblättern zunächst darauf, sie moralisch für ihre Beteiligung an Pornofilmen niederzumachen.


Nach dem Vorbild klassischer [[Tragödie]]n wurde der Film in Musikakte unterteilt. [[Selim Sesler]] ist mit einem Orchester am [[Bosporus]]ufer zu sehen. Bei der Sängerin, welche die beiden bekannten Volkslieder ''Saniye’m'' und ''Şu Karşıki Dağda Bir Fener Yanar'' singt, handelt es sich um die Schauspielerin [[Idil Üner]].
Die Tatsache, dass '''Gegen die Wand''' der erste erfolgreiche deutsche Film im Rennen um den Goldenen Bären seit Jahren war, wurde weitgehend ausgeblendet. [[Michael Althen]] schreibt dazu auf [http://www.faz.net/ faz.net]: ''"Ein Goldener Bär, eine schmähliche Kampagne, jetzt wird man sehen, was das alles bringt, und kann womöglich erleben, wie der Film all die Erwartungen spielend unterläuft. Denn die kuriose Liebesgeschichte zweier gescheiterter Selbstmörder besitzt nicht nur eine verstörende Kraft durch die Unbedingtheit, mit der sie erzählt wird, sondern auch eine überraschende Zärtlichkeit für ihre beiden Figuren, denen der Sinn eigentlich nach ganz anderen, viel direkteren Gefühlen steht."''


Für die Choreographie der Kämpfe im Film arbeitete Akin wie auch bei einigen seiner früheren Filme mit dem Kampfsportler [[Emanuel Bettencourt]] zusammen.<ref name="JMH">[http://jungemedienhamburg.wordpress.com/2009/06/05/emanuel-bettencourt-mark-und-ich-haben-damals-im-kino-auf-der-reeperbahn-immer-die-jackie-chan-filme-geguckt-interview/ Emanuel Bettencourt: „Mark und ich haben damals im Kino auf der Reeperbahn immer die Jackie Chan Filme geguckt“ – Interview] bei jungemedienhamburg.wordpress.com, abgerufen am 29.&nbsp;August 2010</ref>
== Auszeichnungen ==


Die deutsche Free-TV-Premiere des Films war am 23. Oktober 2006 um 20.40 Uhr auf [[Arte]].

== Kritik und Stimmen ==
Der Film verarbeitet zwei große Themen:

Da ist zunächst die Frage nach der Identität des türkischstämmigen Einwanderers Cahit, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, und der jungen türkischen Frau Sibel, die in Deutschland geboren und, umgeben von einer weltoffenen deutschen Gesellschaft, traditionell türkisch erzogen wurde. „Selten spürte man im Kino einen derartigen Lebenshunger: In seinem preisgekrönten Film ,Gegen die Wand‘ entwirft der Hamburger Regisseur Fatih Akin virtuos und kompromisslos das hochemotionale Drama zweier Deutschtürken auf der Suche nach Identität.“ schreibt Oliver Hüttmann in ''[[Spiegel Online]].''<ref>Oliver Hüttmann: [http://www.spiegel.de/kultur/kino/fatih-akins-gegen-die-wand-atemloses-ohnmachtsdrama-a-290229.html ''Atemloses Ohnmachtsdrama.''] In: ''[[Spiegel Online]]'', 12. März 2004.</ref>

Das zweite Thema ist die Liebesgeschichte zwischen Cahit und Sibel, die reich an Gefühlen und Wirrungen, an Missverständnissen und falschen Vorstellungen ist. Fritz Göttler schrieb dazu in der ''[[Süddeutsche Zeitung|Süddeutschen Zeitung]]'': „Wahnsinnige Liebe ist das Thema dieses Films. Und Selbstzerstörung. Und: Liebe = Selbstzerstörung. Fatih Akin denkt an [[Kurt Cobain]] und [[Jim Morrison]], die Meister der poetischen Selbstzerstörung. Die Gleichung funktioniert, so wird uns suggeriert, nur noch bei den anderen, den Fremden, den Türken. Also nimmt der Film uns mit auf einen Trip in diese Welt, dort ist archaisches Leben&nbsp;– Blut, Schweiß, Tränen&nbsp;–, dort endet eine Szene gern im Exzess.“<ref name="Sueddeutsche_Zeitung">Fritz Göttler: [http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-kino-der-berlinale-gewinner-gegen-die-wand-lust-auf-leben-1.422906 ''Lust auf Leben.''] In: ''[[Süddeutsche Zeitung]]'', 10. Mai 2010.</ref>

Was beide Themen verbindet ist die Selbstzerstörung: durch maßlosen Alkoholismus, durch die Amokfahrt gegen eine Wand, durch Suizidversuche und durch Gewalt gegen andere. Selbstzerstörung als Rebellion gegen und zum Ausbruch aus der vorgegebenen Identität, Selbstzerstörung aus Liebe.<ref name="Sueddeutsche_Zeitung" />

Die Lösung, die der Film anbietet, ist die Rückkehr in die [[Türkei]]. Cahit verändert sich durch die Liebe zu Sibel zusehends und sie lässt ihn die Zeit im Gefängnis überstehen und abstinent werden. Sibel erlebt in Istanbul den Höhepunkt ihrer Selbstzerstörung, bevor sie ihr Leben ordnet. Die Antwort auf die Frage, warum sie dies tut, bleibt der Film schuldig. Ob die Rückkehr in die Türkei eine akzeptable Lösung für Sibel und Cahit ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden. Aber es ist die Lösung, für die beide Charaktere die nötige Kraft haben.<ref>Klaus Müller-Richter: ''Phantasmagorien der Rückkehr. Ursprungsphantasmen der zweiten und dritten Generation türkischer MigrantInnen in Deutschland (am Beispiel der Filme Fatih Akins).'' [[Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften]], 2006</ref>

Akin gelingt es, die Geschichte durch eine intensive Bildsprache sehr realistisch zu erzählen. Sie wird von einem [[Soundtrack]] begleitet, der ihren Kontrast voll aufnimmt: [[Depeche Mode]] gegen türkisches Volkslied.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.angelaufen.de/filme/filme_a_z/g/gegen_die_wand |text=Filmkritik |wayback=20080922161607}}, angelaufen.de – Der Film-Pressespiegel</ref>

Nach der Verleihung des [[Goldener Bär|Goldenen Bären]] und dem Bekanntwerden der Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli konzentrierte sich die Diskussion in den deutschen Medien, insbesondere den [[Boulevardzeitung|Boulevardblättern]], zunächst auf ihre Mitwirkung als Darstellerin in [[Pornofilm]]en. Die Tatsache, dass ''Gegen die Wand'' der erste erfolgreiche deutsche Film im Rennen um den Goldenen Bären seit Jahren war, wurde weitgehend ausgeblendet. [[Michael Althen]] kommentierte: „Ein Goldener Bär, eine schmähliche [[Hetzkampagne|Kampagne]], jetzt wird man sehen, was das alles bringt, und kann womöglich erleben, wie der Film all die Erwartungen spielend unterläuft. Denn die kuriose Liebesgeschichte zweier gescheiterter Selbstmörder besitzt nicht nur eine verstörende Kraft durch die Unbedingtheit, mit der sie erzählt wird, sondern auch eine überraschende Zärtlichkeit für ihre beiden Figuren, denen der Sinn eigentlich nach ganz anderen, viel direkteren Gefühlen steht.“<ref>[[Michael Althen]]: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/kino-gegen-die-wand-der-berlinale-sieger-laeuft-nun-im-kino-1144802.html ''„Gegen die Wand“: Der Berlinale-Sieger läuft nun im Kino.''] In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung]]'', 9. März 2004.</ref>

Akin verband bei den Dreharbeiten mit Birol Ünel eine Art [[Ambivalenz#Bedeutung|Hassliebe]]:
{{Zitat
|Text=Cahits Charakterisierung als ‚verlorene Seele‘ war auf Birol zugeschnitten – auch wenn in dieser Rolle viele meiner Sehnsüchte und Bedürfnisse, Normen zu durchbrechen, enthalten sind. Wie Kurt Cobain und Jim Morrison huldigt er einer poetischen Selbstzerstörung.
|Autor=Fatih Akin
|ref=<ref>Andrew Bailey: ''Cinema Now.'' Taschen 2007 S. 28</ref>}}

== Auszeichnungen ==
Der Film ''Gegen die Wand'' erhielt folgende Ehrungen:
Der Film ''Gegen die Wand'' erhielt folgende Ehrungen:
*''Goldener Bär'' der [[Berlinale]] 2004
* [[Goldener Bär]] auf der [[Internationale Filmfestspiele Berlin 2004|Berlinale 2004]]
* [[FIPRESCI-Preis|Preis]] des Internationalen Verbands der Filmkritik (FIPRESCI) auf der Berlinale 2004
* 5 ''Lolas in Gold'' des ''[[Deutscher Filmpreis|Deutschen Filmpreises]]'' für
* [[New Faces Award]] für [[Sibel Kekilli]] als beste Nachwuchsdarstellerin 2004
** Bester Film
* Fünf ''Lolas'' in Gold beim [[Deutscher Filmpreis|Deutschen Filmpreis]] 2004:
** Beste Regie
** [[Deutscher Filmpreis/Bester Spielfilm|Bester Film]]
** Beste Hauptdarstellerin: [[Sibel Kekilli]]
** [[Deutscher Filmpreis/Beste Regie|Beste Regie]]
** Bester Hauptdarsteller: Birol Ünel
** [[Deutscher Filmpreis/Beste weibliche Hauptrolle|Beste Hauptdarstellerin]]: Sibel Kekilli
** Beste Kamera: Rainer Klausmann
** [[Deutscher Filmpreis/Beste männliche Hauptrolle|Bester Hauptdarsteller]]: [[Birol Ünel]]
*den ''Gilde-Filmpreis'' im Rahmen der Filmmesse Leipzig 2004
** [[Deutscher Filmpreis/Beste Kamera|Beste Kamera]]: [[Rainer Klausmann]]
*im Rahmen des Filmfestivals in Oslo den ''Silver Mirror Award'' als bester Film ''from the south''.
* Zwei Auszeichnungen beim [[Europäischer Filmpreis|Europäischen Filmpreis]] für
* [[Europäischer Filmpreis 2004]]:
**''Bester Film 2004''
** [[Europäischer Filmpreis/Bester Film|Bester Film]]
** Publikumspreis für die beste Regie
** [[Europäischer Filmpreis/Jameson-Publikumspreis – Beste Regie|Publikumspreis für die beste Regie]]
* [[Gilde-Filmpreis]] 2004 in Gold im Rahmen der Filmmesse Leipzig
*die Auszeichnung als bester Film auf dem ''Ourense Film Festival'' in Spanien
* Silver Mirror Award 2004 beim Festival ''Films from the South (Film fra sør)'' in Oslo
*den Publikumspreis auf dem ''Festival de Cine'' in Sevilla in der Sektion ''Europa, Europa''.
* Bester Film auf dem Ourense Film Festival in Spanien
*den spanischen Filmpreis ''[[Goya (Filmpreis)|Goya]]'' als [[Goya 2005|bester europäischer Film (2005)]]
* Publikumspreis auf dem Festival de Cine in Sevilla in der Sektion ''Europa, Europa''
* Spanischer Filmpreis [[Goya (Filmpreis)|Goya]] als [[Goya 2005|bester europäischer Film 2005]]
* [[Deutscher Kamerapreis]] in der Kategorie ''Kamera Kinospielfilm'' an Rainer Klausmann
* Golden Camera 300 auf dem [[Manaki Brothers Film Festival]] in [[Bitola]] an Rainer Klausmann
* [[National Society of Film Critics Award/Bester fremdsprachiger Film|Bester fremdsprachiger Film]] 2006 der [[National Society of Film Critics Award]]

== Adaptionen ==
Das Drehbuch wurde von [[Ludger Vollmer]] als [[Gegen die Wand (Oper)|Oper]] in deutscher und türkischer Sprache adaptiert, die Uraufführung war am 28.&nbsp;November 2008 am [[Theater Bremen]].<ref>{{Webarchiv|url=http://www.theaterbremen.de/spielplan/detailansicht.php?id_event_date=185536&id_event_cluster=66220&id_language=1&bereich=vorschau&aktiv=oper |wayback=20081205044744 |text=Vorankündigung der Oper |archiv-bot=2025-03-22 13:09:13 InternetArchiveBot }} durch das [[Theater Bremen]] (abgerufen am 12.&nbsp;März 2008)</ref><ref>Benno Schirrmeister: [https://taz.de/Gegen-die-Wand-als-Oper/!5171890/ ''Diese Musik befreit.''] In: ''[[die tageszeitung]]'', 30. November 2008.</ref>

Bereits seit 2007 führt unter anderem die Studiobühne des [[Maxim-Gorki-Theater]]s in [[Berlin]] eine von [[Mathias Huhn]] inszenierte [[Gegen die Wand (Schauspiel)|Sprechtheaterfassung des Filmes]] auf. Diese stammt von [[Armin Petras]].

Das [[Junges Theater Göttingen|Junge Theater Göttingen]] führte im September 2011 unter der Regie von Andreas Döring eine komprimierte Fassung von ''Gegen die Wand'' auf.

2012 wurde am [[Theater Konstanz]] eine weitere Theaterinszenierung aufgeführt, bei diesem [[Bühnenstück]] führte der [[Kabarett]]ist [[Serdar Somuncu]] Regie.<ref>[http://www.theaterkonstanz.de/tkn/veranstaltung/04943/ Gegen die Wand] auf Werkstattbühne des Theater Konstanz, abgerufen am 30. November 2013.</ref>

== Literatur ==
* Jochen Neubauer: ''Türkische Deutsche, Kanakster und Deutschländer. Identität und Fremdwahrnehmung in Film und Literatur: Fatih Akin, Thomas Arslan, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenocak und Feridun Zaimoğlu.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, S. 224–274
* Daniela Berghahn: ''Head-On (Gegen die Wand).'' Palgrave MacMillan (BFI Film Classic series), Basingstoke 2015, ISBN 978-1-84457-674-6
* Mine Eren: ''Cosmopolitan Filmmaking: Fatih Akin’s ‘In July’ and ‘Head-On’.'' In: Sabine Hake, Barbara Mennel (Hrsg.): ''Turkish German Cinema in the New Millennium: Sites, Sounds, and Screens.'' Berghahn Books, New York 2012, S. 175–185
* Stephen Brockmann: ''Gegen die Wand (2004) or Germany Goes Multicultural.'' In: ''A Critical History of German Film.'' Boydell and Brewer, Woodbridge 2010. S. 479–487


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikiquote}}
{{Wikiquote1|Gegen die Wand}}
* [http://www.bpb.de/publikationen/VELU7H,,0,Gegen_die_Wand.html Filmheft] der [[Bundeszentrale für politische Bildung]]
*{{IMDb Titel|tt0347048|Gegen die Wand}}
* {{Filmportal|060306a55a8c405488a066bb947509ba}} Kritiken und Fotos
* [http://www.gegendiewand.de/ Homepage zum Film]
* [http://newlinearperspectives.wordpress.com/film/gegen-die-wand-a-search-for-identity-via-death-anarchy-and-love/ Essay von Katy Karpfinger für New Linear Perspectives (eng.)]
* [http://www.film-zeit.de/home.php?action=result&sub=film&info=cinema&film_id=12060 Presseschau zum Film auf film-zeit.de]
* Anna Clara Måseide: [http://munin.uit.no/munin/bitstream/handle/10037/1211/thesis.pdf?sequence=5 ''Deutsch-Türkische Odyssee oder ‚ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken.‘'' Eine Analyse des Films „Gegen die Wand“ unter dem Gesichtspunkt des kollektiven Gedächtnisses.] Universität Tromsø, 2007
* [http://www.bpb.de/publikationen/VELU7H,,0,Gegen_die_Wand.html Filmheft der Bundeszentrale für politische Bildung]
* [http://www.polvorosa.com/ Polvorosa Webseite], Song „Not Here“, Soundtrack
*[http://www.filmportal.de/df/d5/Uebersicht,,,,,,,,060306A55A8C405488A066BB947509BA,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html filmportal.de mit Kritiken und Fotos]
* {{IMDb|tt0347048}}
[[Kategorie:Filmtitel]]
* {{Prisma}}
[[Kategorie:Deutscher Film]]
* {{Rotten Tomatoes}}


== Einzelnachweise ==
[[en:Head-On]]
<references />

{{NaviBlock
|Navigationsleiste Filme von Fatih Akin
|Navigationsleiste Trilogie: Liebe, Tod und Teufel
}}

{{Normdaten|TYP=w|GND=7559896-6|LCCN=n2004024754|VIAF=316752285}}

[[Kategorie:Filmtitel 2004]]
[[Kategorie:Türkischer Film]]
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Aktuelle Version vom 10. April 2025, 21:24 Uhr

Film
Titel Gegen die Wand
Produktionsland Deutschland, Türkei
Originalsprache Deutsch, Türkisch, Englisch
Erscheinungsjahr 2004
Länge 121 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Fatih Akin
Drehbuch Fatih Akin
Produktion Stefan Schubert
Ralph Schwingel
Musik Alexander Hacke
Maceo Parker
Daniel Puente Encina (mit Niños Con Bombas und Polvorosa)[3]
Kamera Rainer Klausmann
Schnitt Andrew Bird
Besetzung
Chronologie

Gegen die Wand ist ein mehrfach ausgezeichneter Spielfilm des deutsch-türkischen Regisseurs Fatih Akin. Der Film schildert die Liebesgeschichte einer jungen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Türkin, die mit einem alkoholkranken und drogensüchtigen Landsmann eine Scheinehe eingeht, um den Moralvorstellungen ihrer Eltern zu entkommen.

Der Film ist der erste Teil der Trilogie Liebe, Tod und Teufel, die 2007 mit Auf der anderen Seite fortgesetzt und 2014 mit The Cut abgeschlossen wurde.

Cahit, ein 40-jähriger Deutschtürke aus Hamburg, fährt alkoholisiert und ungebremst gegen eine Wand. Während der Zeit im Krankenhaus lernt er Sibel kennen, die ebenfalls wegen eines Suizidversuches dort ist. Sibel, eine junge Türkin, rebelliert gegen ihr traditionelles türkisches Elternhaus. Sie möchte ihr eigenes Leben leben, sagt: „Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken. Und nicht nur mit einem Typen.“ Um diese Unabhängigkeit von ihrem strengen Vater und ihrem dominanten Bruder zu erlangen, sieht sie nur noch die Möglichkeit, eine Scheinehe einzugehen. Cahit, der seine türkische Muttersprache „weggeworfen“ hat, auf jede Frage nach seiner mysteriösen Vergangenheit aggressiv reagiert und sein Taschengeld mit dem Aufsammeln von Flaschen im autonomen Kulturzentrum „Fabrik“ verdient, willigt nach einem weiteren Suizidversuch von Sibel ein, sie zu heiraten. Als er bei deren Eltern um die Hand ihrer Tochter anhält, gibt er vor, der Geschäftsführer der Gaststätte zu sein, in der er arbeitet.

Nach der Hochzeit und Sibels Einzug bei ihm sieht er anfangs äußerlich unbeteiligt zu, wie sie ein unbeschwertes und zügelloses Leben führt. Doch nach und nach wird ihm klar, dass er für Sibel mehr empfindet, dass er sie liebt. Im Affekt tötet er einen früheren One-Night-Stand Sibels mit einem Aschenbecher, nachdem der ihn zuvor minutenlang gereizt und schließlich wie einen Zuhälter nach der Geldsumme für eine gewünschte Leistung von Sibel gefragt hatte. Cahit wird zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Sibels Bruder verfolgt sie, möglicherweise um sie bestrafen oder umzubringen. Sibel, die sich nun selbst in Cahit verliebt hat, wird von ihrer Familie verstoßen. Sie verspricht Cahit, auf ihn zu warten, und zieht nach Istanbul, wo sie anfangs in einem Hotel arbeitet, in dem ihre Cousine Selma als Managerin angestellt ist.

Nach Aufkündigung dieser Tätigkeit verfällt sie Drogenexzessen und verkommt in ihrer Trauer. Eines Nachts wird sie unter Drogen vergewaltigt und von drei Männern, die sie zuvor provoziert hat, beinahe getötet. Ein Taxifahrer findet sie. Als Cahit sie jedoch nach seiner Haftentlassung aufsucht, hat sie ihr Leben geordnet und eine neue Beziehung begonnen. Es ist unklar, ob ihre Tochter aus dieser Beziehung hervorging oder eine Folge der Vergewaltigung ist. Nach zwei gemeinsamen Tagen schlägt Cahit eine Verabredung der beiden am Busbahnhof vor, um von dort aus zusammen mit Sibels kleiner Tochter in seinen Geburtsort Mersin zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen. Als Sibel zur vereinbarten Zeit nicht erschienen ist, fährt Cahit allein nach Mersin ab.

Der Film wurde in der „Fabrik“ in Hamburg-Altona sowie auf dem Heiligengeistfeld im Hamburger Stadtteil St. Pauli gedreht.[4] Die Aufnahmen im Krankenhaus entstanden in der Asklepios Klinik Nord im Stadtteil Langenhorn.[4] Außerdem wurde in Istanbul gedreht.[4] Die Szenen in der Bar (u. a. wo Cahit Sibels früheren One-Night-Stand tötet) wurden in der „Zoe Bar“ gedreht (Clemens-Schultz-Str., heute befindet sich dort die Bar „Möwe Sturzflug“).[5]

Am 12. Februar 2004 feierte der Film bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin Premiere, am 11. März lief er in den deutschen Kinos an.[6] In Österreich war er ab dem 2. April und in der Schweiz ab dem 6. Mai 2004 zu sehen.[6]

Am zweiten Wochenende nach dem Kinostart spielte er fast eine halbe Million Euro an den deutschen Kinokassen ein.[7] Bis zum Ende des Jahres 2004 wurden dort über 760.000 Besucher gezählt.[7]

Gegen die Wand war der erste deutsche Film seit 17 Jahren, der bei der Berlinale einen Goldenen Bären gewinnen konnte.[8]

Für die Rolle der Sibel Güner wurden von Fatih Akin mehr als 350 Darstellerinnen zu einem sich über ein Jahr hinziehenden[9] Casting geladen.[8] Die Rolle wurde schließlich an Sibel Kekilli vergeben, die in einem Kölner Einkaufszentrum entdeckt wurde.[8] Drei der Frauen, die ebenfalls für diese Rolle vorgesprochen haben, sind in einer Szene zu sehen, in der sie sich auf einer Couch sitzend über ihre Ehemänner unterhalten.[8] Die Rolle von Sibels Bruder Yilmaz besetzte Fatih Akin mit seinem Bruder Cem Akin.[8]

Birol Ünel hatte keinen Wehrdienst in der Türkei geleistet und konnte daher nicht in sein Heimatland reisen, ohne zu riskieren, verhaftet zu werden. Erst in letzter Minute entschied sich das türkische Parlament dazu, die Einreise ohne drohende Sanktionen zu erlauben, um den Film fertigstellen zu lassen.[8]

Nach dem ersten Schnitt hatte der Film eine Spielzeit von vier Stunden, schließlich wurde er auf 121 Minuten gekürzt.[8]

Um die Produktionskosten zu reduzieren und zugleich natürlicher zu wirken, brachten die meisten Schauspieler ihre eigene Kleidung zum Set mit.[8]

Nach dem Vorbild klassischer Tragödien wurde der Film in Musikakte unterteilt. Selim Sesler ist mit einem Orchester am Bosporusufer zu sehen. Bei der Sängerin, welche die beiden bekannten Volkslieder Saniye’m und Şu Karşıki Dağda Bir Fener Yanar singt, handelt es sich um die Schauspielerin Idil Üner.

Für die Choreographie der Kämpfe im Film arbeitete Akin wie auch bei einigen seiner früheren Filme mit dem Kampfsportler Emanuel Bettencourt zusammen.[10]

Die deutsche Free-TV-Premiere des Films war am 23. Oktober 2006 um 20.40 Uhr auf Arte.

Kritik und Stimmen

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Der Film verarbeitet zwei große Themen:

Da ist zunächst die Frage nach der Identität des türkischstämmigen Einwanderers Cahit, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, und der jungen türkischen Frau Sibel, die in Deutschland geboren und, umgeben von einer weltoffenen deutschen Gesellschaft, traditionell türkisch erzogen wurde. „Selten spürte man im Kino einen derartigen Lebenshunger: In seinem preisgekrönten Film ,Gegen die Wand‘ entwirft der Hamburger Regisseur Fatih Akin virtuos und kompromisslos das hochemotionale Drama zweier Deutschtürken auf der Suche nach Identität.“ schreibt Oliver Hüttmann in Spiegel Online.[11]

Das zweite Thema ist die Liebesgeschichte zwischen Cahit und Sibel, die reich an Gefühlen und Wirrungen, an Missverständnissen und falschen Vorstellungen ist. Fritz Göttler schrieb dazu in der Süddeutschen Zeitung: „Wahnsinnige Liebe ist das Thema dieses Films. Und Selbstzerstörung. Und: Liebe = Selbstzerstörung. Fatih Akin denkt an Kurt Cobain und Jim Morrison, die Meister der poetischen Selbstzerstörung. Die Gleichung funktioniert, so wird uns suggeriert, nur noch bei den anderen, den Fremden, den Türken. Also nimmt der Film uns mit auf einen Trip in diese Welt, dort ist archaisches Leben – Blut, Schweiß, Tränen –, dort endet eine Szene gern im Exzess.“[12]

Was beide Themen verbindet ist die Selbstzerstörung: durch maßlosen Alkoholismus, durch die Amokfahrt gegen eine Wand, durch Suizidversuche und durch Gewalt gegen andere. Selbstzerstörung als Rebellion gegen und zum Ausbruch aus der vorgegebenen Identität, Selbstzerstörung aus Liebe.[12]

Die Lösung, die der Film anbietet, ist die Rückkehr in die Türkei. Cahit verändert sich durch die Liebe zu Sibel zusehends und sie lässt ihn die Zeit im Gefängnis überstehen und abstinent werden. Sibel erlebt in Istanbul den Höhepunkt ihrer Selbstzerstörung, bevor sie ihr Leben ordnet. Die Antwort auf die Frage, warum sie dies tut, bleibt der Film schuldig. Ob die Rückkehr in die Türkei eine akzeptable Lösung für Sibel und Cahit ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden. Aber es ist die Lösung, für die beide Charaktere die nötige Kraft haben.[13]

Akin gelingt es, die Geschichte durch eine intensive Bildsprache sehr realistisch zu erzählen. Sie wird von einem Soundtrack begleitet, der ihren Kontrast voll aufnimmt: Depeche Mode gegen türkisches Volkslied.[14]

Nach der Verleihung des Goldenen Bären und dem Bekanntwerden der Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli konzentrierte sich die Diskussion in den deutschen Medien, insbesondere den Boulevardblättern, zunächst auf ihre Mitwirkung als Darstellerin in Pornofilmen. Die Tatsache, dass Gegen die Wand der erste erfolgreiche deutsche Film im Rennen um den Goldenen Bären seit Jahren war, wurde weitgehend ausgeblendet. Michael Althen kommentierte: „Ein Goldener Bär, eine schmähliche Kampagne, jetzt wird man sehen, was das alles bringt, und kann womöglich erleben, wie der Film all die Erwartungen spielend unterläuft. Denn die kuriose Liebesgeschichte zweier gescheiterter Selbstmörder besitzt nicht nur eine verstörende Kraft durch die Unbedingtheit, mit der sie erzählt wird, sondern auch eine überraschende Zärtlichkeit für ihre beiden Figuren, denen der Sinn eigentlich nach ganz anderen, viel direkteren Gefühlen steht.“[15]

Akin verband bei den Dreharbeiten mit Birol Ünel eine Art Hassliebe:

„Cahits Charakterisierung als ‚verlorene Seele‘ war auf Birol zugeschnitten – auch wenn in dieser Rolle viele meiner Sehnsüchte und Bedürfnisse, Normen zu durchbrechen, enthalten sind. Wie Kurt Cobain und Jim Morrison huldigt er einer poetischen Selbstzerstörung.“

Fatih Akin[16]

Der Film Gegen die Wand erhielt folgende Ehrungen:

Das Drehbuch wurde von Ludger Vollmer als Oper in deutscher und türkischer Sprache adaptiert, die Uraufführung war am 28. November 2008 am Theater Bremen.[17][18]

Bereits seit 2007 führt unter anderem die Studiobühne des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin eine von Mathias Huhn inszenierte Sprechtheaterfassung des Filmes auf. Diese stammt von Armin Petras.

Das Junge Theater Göttingen führte im September 2011 unter der Regie von Andreas Döring eine komprimierte Fassung von Gegen die Wand auf.

2012 wurde am Theater Konstanz eine weitere Theaterinszenierung aufgeführt, bei diesem Bühnenstück führte der Kabarettist Serdar Somuncu Regie.[19]

  • Jochen Neubauer: Türkische Deutsche, Kanakster und Deutschländer. Identität und Fremdwahrnehmung in Film und Literatur: Fatih Akin, Thomas Arslan, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenocak und Feridun Zaimoğlu. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, S. 224–274
  • Daniela Berghahn: Head-On (Gegen die Wand). Palgrave MacMillan (BFI Film Classic series), Basingstoke 2015, ISBN 978-1-84457-674-6
  • Mine Eren: Cosmopolitan Filmmaking: Fatih Akin’s ‘In July’ and ‘Head-On’. In: Sabine Hake, Barbara Mennel (Hrsg.): Turkish German Cinema in the New Millennium: Sites, Sounds, and Screens. Berghahn Books, New York 2012, S. 175–185
  • Stephen Brockmann: Gegen die Wand (2004) or Germany Goes Multicultural. In: A Critical History of German Film. Boydell and Brewer, Woodbridge 2010. S. 479–487

Einzelnachweise

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  1. Freigabebescheinigung für Gegen die Wand. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Februar 2004 (PDF; Prüf­nummer: 97 164 K).
  2. Alterskennzeichnung für Gegen die Wand. Jugendmedien­kommission.
  3. Soundtrack laut Internet Movie Database
  4. a b c Drehorte laut Internet Movie Database
  5. Filmap. Abgerufen am 24. Juli 2017.
  6. a b Starttermine laut Internet Movie Database
  7. a b Budget und Einspielergebnisse laut Internet Movie Database
  8. a b c d e f g h Hintergrundinformationen laut Internet Movie Database
  9. Jonas Reinartz: Gegen die Wand. In: www.filmzentrale.com. Abgerufen am 24. Dezember 2022.
  10. Emanuel Bettencourt: „Mark und ich haben damals im Kino auf der Reeperbahn immer die Jackie Chan Filme geguckt“ – Interview bei jungemedienhamburg.wordpress.com, abgerufen am 29. August 2010
  11. Oliver Hüttmann: Atemloses Ohnmachtsdrama. In: Spiegel Online, 12. März 2004.
  12. a b Fritz Göttler: Lust auf Leben. In: Süddeutsche Zeitung, 10. Mai 2010.
  13. Klaus Müller-Richter: Phantasmagorien der Rückkehr. Ursprungsphantasmen der zweiten und dritten Generation türkischer MigrantInnen in Deutschland (am Beispiel der Filme Fatih Akins). Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, 2006
  14. Filmkritik (Memento vom 22. September 2008 im Internet Archive), angelaufen.de – Der Film-Pressespiegel
  15. Michael Althen: „Gegen die Wand“: Der Berlinale-Sieger läuft nun im Kino. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. März 2004.
  16. Andrew Bailey: Cinema Now. Taschen 2007 S. 28
  17. Vorankündigung der Oper (Memento des Originals vom 5. Dezember 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.theaterbremen.de durch das Theater Bremen (abgerufen am 12. März 2008)
  18. Benno Schirrmeister: Diese Musik befreit. In: die tageszeitung, 30. November 2008.
  19. Gegen die Wand auf Werkstattbühne des Theater Konstanz, abgerufen am 30. November 2013.