„Totalitarismus“ – Versionsunterschied
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'''Totalitarismus''' bezeichnet ein in der Forschung teilweise umstrittenes Konzept politischer [[Herrschaft]] mit einem uneingeschränkten Verfügungsanspruch über die Beherrschten, auch über die öffentlich-gesellschaftliche Sphäre hinaus in den persönlichen Bereich. Ihr Ziel ist die umfassende Durchsetzung ihres Wertesystems. Im Unterschied zu einer [[Autoritarismus|autoritären]] [[Diktatur]] strebt der Totalitarismus an, in alle sozialen Verhältnisse hineinzuwirken, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten [[Ideologie]] zu formen. Insbesondere werden der [[Italienischer Faschismus|italienische Faschismus]] (umstritten{{FN|a}}), der [[Nationalsozialismus]] und der [[Stalinismus#Stalinismus als Theorie|stalinistische]] [[Kommunismus]] als Prototypen totalitärer Regime eingeordnet.<ref>{{Literatur |Autor=[[Otto Stammer]] |Hrsg=[[Wilhelm Bernsdorf]] |Titel=Politische Soziologie – Zuverlässigkeit |Sammelwerk=Wörterbuch der Soziologie |Band=3 |Verlag=Fischer-Taschenbuch |Ort=Frankfurt (am Main) |Datum=1972 |ISBN=3-436-01438-9 |Kapitel=Totalitarismus |Seiten=862–864}}</ref> |
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'''Totalitarismus''' bezeichnet eine diktatorische Herrschaftsform. Im Unterschied zu autoritären Diktaturen erheben totalitäre Diktaturen den Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten [[Ideologie]] zu schaffen, und in alle soziale Verhältnisse hinein zu wirken. Während sich autoritäre Diktaturen damit begnügen, dass das Volk nicht gegen die Herrschenden aufbegehrt, fordern totalitäre Diktaturen die aktive Unterstützung der Beherrschten ein. Typisch ist die dauerhafte Mobilsierung in Massenorganisationen. |
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Die meisten Autoren beschreiben den Totalitarismus auf etwas andere Weise, jedoch herrscht Konsens, dass der Totalitarismus darauf abzielt, ganze Bevölkerungen zur Unterstützung einer offiziellen Parteiideologie zu mobilisieren, und dass er intolerant gegenüber Aktivitäten ist, die nicht auf die Ziele der Partei ausgerichtet sind, was Repressionen oder staatliche Kontrolle nach sich zieht. Gleichzeitig kritisierten viele Wissenschaftler mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund und ideologischen Positionen die Totalitarismustheorie.<ref name=":5" /><ref name=":6" /><ref name=":7" /><ref name=":8" /> |
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== Begriffsgeschichte == |
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Der Begriff wurde 1923 von dem italienischen [[Liberalismus|Liberalen]] [[Giovanni Amendola]], einem Gegner und Opfer des Faschismus, geprägt.<ref>In seinem Artikel ''Maggioranza e minoranza'' (Mehrheit und Minderheit), der am 12. Mai 1923 in der Tageszeitung Il Mondo erschienen ist, bezeichnete Giovanni Amendola den [[Italienischer Faschismus|Faschismus]] erstmals als ''sistema totalitario'', das „absolute und unkontrollierte Herrschaft“ anstrebe. Zitiert nach Jens Petersen: ''Die Geschichte des Totalitarismusbegriffs in Italien.'' In: [[Hans Maier (Politiker, 1931)|Hans Maier]] (Hrsg.): ''Totalitarismus und Politische Religionen''. Paderborn 1996, S. 15–35, hier S. 20.</ref><ref>{{Literatur |Autor=Richard Wolin |Titel=Ce qui rattache les fascismes et le communisme à la modernité. |Sammelwerk=Raisons politiques |Band=5 |Datum=2002-02 |Seiten=95 |Sprache=fr}}</ref> Er bezeichnete das von [[Benito Mussolini]], dem Diktator [[Königreich Italien (1861–1946)|Italiens]], geschaffene Herrschaftssystem des Faschismus als totalitäres System (''sistema totalitario''). Während die [[Antifaschismus|Antifaschisten]] damit zunächst vor einer absoluten und unkontrollierbaren Herrschaft warnen wollten, wurde der Begriff rasch von den Faschisten selbst übernommen und in ihrem Sinne positiv belegt. So beschrieb Benito Mussolini bereits 1925 in einer Rede im Mailänder [[Teatro alla Scala]] den Charakter des von ihm angestrebten totalen Staates wie folgt: ''Tutto nello Stato, niente al di fuori dello Stato, nulla contro lo Stato''<ref>{{Literatur |Autor=Benito Mussolini |Titel=Per la medaglia dei benemeriti del comune die Milano |Sammelwerk=Opera Omnia |Band=21 |Seiten=425}}</ref> („Alles im Staate, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat“). |
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Der deutsche Schriftsteller und Publizist [[Ernst Jünger]] verherrlicht 1930 im Artikel ''[[Die totale Mobilmachung]] im [[Krieg und Krieger]]'' die Umrisse des Totalitarismus. Er feiert den Krieg und die moderne Technik als Vorboten einer neuen Ordnung. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurden die menschlichen und materiellen Kräfte der modernen Industriewelt in ihrer „Totalität“ mobilisiert, um die Kriegsanstrengungen zu bewältigen.<ref>{{Literatur |Autor=Ernst Jünger |Titel=Die totale Mobilmachung, in: Krieg und Krieger. |Verlag=Junker und Dünnhaupt |Ort=Berlin |Datum=1930 |Seiten=9–30.}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Ernst Jünger |Titel=La mobilisation totale |Sammelwerk=Recherches |Nummer=32-33, |Datum=1978 |Sprache=fr}}</ref> |
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In [[Deutsches Reich|Deutschland]] sprach der rechtskonservative [[Staatsrecht (Deutschland)|Staatsrechtler]] [[Carl Schmitt]] 1931 in seiner Schrift ''[[Hüter der Verfassung#Carl Schmitt|Der Hüter der Verfassung]]'' von einem „totalen Staat“, der die Vereinigung von Staat, Gesellschaft, Kultur und Religion bringen würde und dem die Zukunft gehöre<ref>{{Literatur |Autor=siehe bei Roman Parkhomenko |Titel=Cassirers politische Philosophie : Zwischen allgemeiner Kulturtheorie und Totalitarismus-Debatte |Verlag=KIT Scientific Publishing |Ort=Karlsruhe |Datum=2016 |ISBN=978-2-8218-7755-9 |Seiten=9 ff.}}</ref>, und sein Kollege [[Ernst Forsthoff]] veröffentlichte bald eine gleichnamige [[Monografie]].<ref>Ernst Forsthoff: ''Der totale Staat.'' Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1933.</ref> Unterdessen fand der Totalitarismusbegriff in Italien Eingang in die allgemeine innenpolitische Auseinandersetzung. So setzte etwa die [[Partito Popolare Italiano (1919)|katholische Volkspartei]] um [[Luigi Sturzo]] (1871–1959) unter Verwendung des Begriffs die Lager der [[Partito Nazionale Fascista|Faschisten]] und [[Kommunistische Partei Italiens|Kommunisten]] gleich, da beide die [[Repräsentative Demokratie#Parlamentarische Demokratie|parlamentarische Demokratie]] ablehnten. |
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Die [[Frankreich|französische]] [[Philosoph]]in [[Simone Weil]] schrieb 1934: |
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{{Zitat|Es erscheint ziemlich klar, dass die heutige Menschheit ein wenig überall zu einer totalitären Form der sozialen Organisation tendiert, um den Begriff zu verwenden, den die Nationalsozialisten in Mode gebracht haben, d. h. zu einem Regime, in dem die Staatsmacht in allen Bereichen souverän entscheidet, sogar und vor allem im Bereich des Denkens.|ref=<ref>{{Literatur |Hrsg=Gallimard, Folio Essais, |Titel=Réflexions sur les causes de la liberté et de l'oppression sociale |Datum=1955 |Seiten=138 |Sprache=fr |Kommentar=Il apparaît assez clairement que l'humanité contemporaine tend un peu partout à une forme totalitaire d'organisation sociale, pour employer le terme que les nationaux-socialistes ont mis à la mode, c'est-à-dire à un régime où le pouvoir d'État déciderait souverainement dans tous les domaines, même et surtout dans le domaine de la pensée.}}</ref>}} |
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Im November 1939 veranstaltete die [[American Philosophical Society]] ein erstes [[Wissenschaftliche Konferenz|Symposium]] zum ''Totalitarian State'', auf dem der US-amerikanische Historiker [[Carlton J. H. Hayes]] die historische Neuartigkeit des Totalitarismus gegenüber älteren Formen diktatorischer Herrschaft betonte. [[Franz Borkenau]] stellte 1940 in seinem Werk ''The Totalitarian Enemy'' eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und [[Bolschewismus]] vor. |
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Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] (1939–1945) wurde der Begriff ausschließlich mit negativer [[Konnotation]] verwandt. Unterschiedliche Publizisten verglichen [[Nationalsozialismus]] und [[Stalinismus]] und bezeichneten beide als totalitäre Regimes. Andere lehnten die Verwendung des Wortes Totalitarismus ohne tiefere Reflexion als Ausdruck des [[Kalter Krieg|Kalten Krieges]] ab. |
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Der [[österreich]]isch-[[Vereinigtes Königreich|britische]] Philosoph [[Karl Popper]] versuchte 1945 zu zeigen, dass die Ideen, die wir heute totalitär nennen, einer platonischen Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung sei wie unsere Zivilisation selbst.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Karl R. Popper |Titel=The Open Society and Its Enemies. Teil 1: The Spell of Plato. (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) |Verlag=Routledge |Ort=London |Datum=1945 |Sprache=en}}</ref> |
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Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus war der Schriftsteller [[George Orwell]], der schon im Jahre 1949 in seinem Roman ''[[1984 (Roman)|1984]]'' spätere Erkenntnisse anderer Publizisten auf fiktiver Ebene vorwegnahm. Laut [[Hannah Arendt]]s 1951 publiziertem Buch ''The Origins of Totalitarianism'' ist die Rolle des [[Terror]]s das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System. |
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Der israelische [[Historiker]] [[Jacob Talmon]] (1916–1980) betonte in seinem 1955 publiziertem Buch, dass sich auch ein [[demokratischer Rechtsstaat]] zu einer „totalitären Demokratie“ entwickeln kann.<ref>{{Literatur |Autor=Jacob Talmon |Titel=The Origins of Totalitarian Democracy |Verlag=Secker & Warburg |Ort=London |Datum=1955 |Sprache=en}}</ref> |
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In seinem 1968 publiziertem Buch hat der französische Soziologe [[Raymond Aron]] (1905–1983) fünf Kriterien für ein totalitäres Regime aufgestellt<ref>{{Literatur |Autor=Raymond Aron |Titel=Democracy and Totalitarianism. |Verlag=Littlehampton Book Services |Datum=1968 |ISBN=0-297-00252-X}}</ref>: |
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* Ein [[Einparteiensystem|Einparteienstaat]], in dem eine Partei das Monopol auf alle politischen Aktivitäten hat. |
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* Eine von der herrschenden Partei vertretene Staatsideologie, die als einzige Autorität anerkannt wird. |
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* Ein staatliches Informationsmonopol, das die Massenmedien zur Verbreitung der offiziellen Wahrheit kontrolliert. |
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* Staatlich kontrollierte Wirtschaft mit großen Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle. |
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* Ideologischer Terror, der wirtschaftliche oder berufliche Handlungen zu Verbrechen macht. Wer dagegen verstößt, muss mit strafrechtlicher Verfolgung und ideologischer Verfolgung rechnen. |
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2003 prägte der Politikwissenschaftler [[Sheldon Wolin]] in einem Zeitungsartikel den Begriff ''Inverted Totalitarianism'' (deutsch: ''Umgekehrter Totalitarismus''). In seiner Monografie ''Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism'' systematisierte er 2008 seine Darstellung.<ref name=":4" /> Demnach ist mit dem Streben nach ''Superpower'' und dem ''Management von Demokratie'' in den USA eine [[Postdemokratie|postdemokratische]] Regierungstechnik entstanden sei, die Elemente der [[Liberale Demokratie|liberalen Demokratie]], mit denen totalitärer politischer Systeme verbindet.<ref>Darstellung nach Claudia Ritzi: ''Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit : Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven''. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 85 ff.</ref> |
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Der deutsche Politikwissenschaftler [[Christoph Butterwegge]] sagte 2007, der Machtanspruch des [[Neoliberalismus]] als dominante [[Ideologie]] des [[Kapitalismus]] sei total und universell. Aus dem [[Homo Sapiens|homo sapiens]] werde ein [[homo oeconomicus]].<ref name=":1" /> |
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Wissenschaftler wie der syrisch-deutsche Politikwissenschaftler [[Bassam Tibi]] (* 1944), vertreten seit Anfang der 2000er Jahre die These, dass [[Islamismus|islamistische]] Systeme und Bewegungen eine gegenwärtige Erscheinungsform totalitärer Herrschaftsansprüche darstellen.<ref>Bassam Tibi: ''Der neue Totalitarismus. ‚Heiliger Krieg’ und westliche Sicherheit''. Primus Verlag, Darmstadt 2004.</ref><ref>[[Wahied Wahdat-Hagh]]: ''Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus''. Lit-Verlag, Münster/Hamburg/Berlin 2003.</ref><ref>Johannes Urban: ''Die Bekämpfung des Internationalen Islamistischen Terrorismus''. VS Verlag, Wiesbaden 2006, insbesondere S. 24 ff.</ref><ref>Thomas Vollmer: ''Der militante Islamismus als neuer Totalitarismus. Dschihadistischer Terrorismus und westliche Sicherheitsarchitektur.'' VDM Verlag, Saarbrücken 2007.</ref> |
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Der [[Deutschland|deutsche]] Politikwissenschaftler und [[Extremismus]]forscher [[Eckhard Jesse]] grenzte in seinem 2008 publiziertem Buch den Totalitarismus einerseits vom [[Demokratie|demokratischen]] [[Verfassungsstaat]] ab, dessen Gegenteil er sei, andererseits von der [[Autoritarismus|autoritären]] [[Diktatur]] und allen älteren Formen des Autoritarismus.<ref>Eckhard Jesse: ''Diktaturen in Deutschland. Diagnosen und Analysen.'' Nomos, Baden-Baden 2008, ISBN 978-3-8329-3679-2, S. 11.</ref> |
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== Begriff == |
== Begriff == |
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Zu den bekanntesten Kommentatoren des Totalitarismus gehören:<div style="column-count:3;"> |
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Der totalitäre Staat versucht, durch [[Propaganda]] und [[Erziehung]] die unter seiner Herrschaft lebenden Menschen einer ständigen [[Indoktrination]] dieser herrschenden Ideologie auszusetzen. Dies soll bewirken, dass nicht nur ''äußerlich'' der formale Gehorsam dem Staat gegenüber sichergestellt ist, sondern auch ''innerlich'' die herrschende Ideologie enthusiastisch akzeptiert wird, was eine Politisierung der privaten Lebensbereiche mit sich bringt: Die Gedanken und Gefühle eines jeden Menschen sollen faktisch „von der Wiege bis zur Bahre“ manipuliert werden, um diese innere Bejahung der herrschenden Ideologie zu erzeugen. |
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* [[Hannah Arendt]]<ref name="KapfererHWPH">{{Literatur |Autor=[[Norbert Kapferer]] |Hrsg=Joachim Ritter, Karlfried Gründer |Titel=St–T |Sammelwerk=[[Historisches Wörterbuch der Philosophie]] (HWPH) |Band=10 |Verlag=Schwabe |Ort=Basel |Datum=1999 |ISBN=3-7965-0115-X |Kapitel=Totalitarismus |Spalten=1298}}</ref> |
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* [[Raymond Aron]] |
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* [[Lawrence Aronsen]] |
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* [[Uwe Backes]] |
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* [[Franz Borkenau]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Karl Dietrich Bracher]] |
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* [[Zbigniew Brzeziński]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Robert Conquest]] |
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* [[Carl Joachim Friedrich]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Leopold Labedz]] |
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* [[Walter Laqueur]] |
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* [[Claude Lefort]] |
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* [[Juan Linz]] |
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* [[Richard Löwenthal]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Sigmund Neumann]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Ernst Nolte]] |
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* [[Karl Popper]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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* [[Richard Pipes]] |
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* [[Leonard Schapiro]] |
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* [[Adam Ulam]] |
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* [[Eric Voegelin]]<ref name="KapfererHWPH" /> |
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Jeder von ihnen beschrieb den Totalitarismus auf etwas andere Weise, aber sie waren sich alle einig, dass der Totalitarismus darauf abzielt, ganze Bevölkerungen zur Unterstützung einer offiziellen Parteiideologie zu mobilisieren, und dass er intolerant gegenüber Aktivitäten ist, die nicht auf die Ziele der Partei ausgerichtet sind, was Repressionen oder staatliche Kontrolle der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der gemeinnützigen Organisationen, der religiösen Organisationen und der kleineren politischen Parteien nach sich zieht. Gleichzeitig kritisierten viele Wissenschaftler mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund und ideologischen Positionen die Totalitarismustheoretiker. Zu den bekanntesten gehörten [[Louis Althusser]], [[Benjamin R. Barber|Benjamin Barber]], [[Maurice Merleau-Ponty]] und [[Jean-Paul Sartre]]. Sie vertraten die Auffassung, dass der Totalitarismus mit westlichen Ideologien zusammenhängt und eher mit Bewertung als mit Analyse verbunden ist. Das Konzept wurde im [[Antikommunismus|antikommunistischen]] politischen Diskurs der westlichen Welt während der Zeit des Kalten Krieges zu einem wichtigen Instrument, um den Antifaschismus der Vorkriegszeit in einen Antikommunismus der Nachkriegszeit umzuwandeln.<ref name=":5">{{Literatur |Autor=Nicholas Guilhot |Titel=The Democracy Makers: Human Rights and International Order (hardcover ed.) |Verlag=Columbia University Press (New York) |Ort=New York City |Datum=2005 |Sprache=en |ISBN=0-231-13124-0 |Seiten=33 |Kommentar=Texturfassung en-WP 01.2023}}</ref><ref name=":6">{{Literatur |Autor=George Reisch |Titel=A.How the Cold War Transformed Philosophy of Science: To the Icy Slopes of Logic. |Verlag=Cambridge University Press. |Ort=New York City |Datum=2005 |Sprache=en |ISBN=0-521-54689-3 |Seiten=153–154. |Kommentar=Texturfassung en-WP 01.2023}}</ref><ref name=":7">{{Literatur |Autor=David Caute |Titel=Politics and the Novel during the Cold War |Verlag=Transaction Publishers |Datum=2010 |Sprache=en |ISBN=978-1-4128-3136-9 |Seiten=95–99 |Kommentar=Texturfassung en-WP 01.2023}}</ref><ref name=":8">{{Internetquelle |autor=David Caute |url=https://books.google.de/books?id=ttmCWwuxX8cC&pg=PA95&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false |titel=Politics and the Novel during the Cold War. |werk=books.google.de |hrsg=Transaction Publishers. |datum=2010 |sprache=en |abruf=2022-08-02 |kommentar=ISBN 978-1-4128-3136-9. Kommentar von Seite 95–99.}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Achim Siegel |Titel=The Totalitarian Paradigm After the End of Communism: Towards a Theoretical Reassessment (hardback ed.). |Verlag=Rodopi |Ort=Amsterdam: |Datum=1998 |Sprache=en |ISBN=90-420-0552-1 |Seiten=200 |Kommentar=Texturfassung en-WP 01.2023}}</ref> |
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Die meistrezipierten Theoretiker des Totalitarismus sind Hannah Arendt, Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzeziński.<ref name="KapfererHWPH" /> |
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Um jedes von der herrschenden Ideologie abweichende Denken schon im Keime zu ersticken, sind die Bürger des totalitären Staates einer ständigen Kontrolle durch [[Spitzel]] und [[Geheimdienst]]e und auch oft willkürlichen [[Repression]]en wie etwa spontaner [[Verhaftung]] ausgesetzt. |
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[[Datei:Reichsparteitag 1935 Großer Appell 28-1121M original.jpg|mini|hochkant|Aufmarsch beim Reichsparteitag der NSDAP 1935]] |
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[[Giovanni Amendola]] bezeichnete am [[12. Mai]] [[1923]] den [[Faschismus]] erstmals als totalitäres System. Der Begriff ''Totalitarismus'' wurde in den [[1920er|Zwanziger Jahren]] von dem damaligen Diktator [[Italien]]s [[Benito Mussolini]] für das von ihm geschaffene Herrschaftssystem des [[Faschismus]] verwendet (''stato totalitario'') und durchaus positiv verstanden. Der national-konservative [[Staatsrecht]]ler [[Carl Schmitt]] führte diesen Begriff in Deutschland ein. |
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== {{Anker|Theorie}} Totalitarismus-Modelle == |
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Schon zwischen den [[Weltkrieg]]en gab es Kritiker, die das Wort ''Totalitarismus'' in seiner heute üblichen negativen Bedeutung gebrauchten. Nach dem [[2. Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]], als im Zuge des kalten Krieges immer mehr die Wesensähnlichkeit der Regierungssysteme des gerade besiegten [[Nationalsozialismus]] und des [[Kommunismus]], besonders [[Stalin]]'scher Prägung, herausgestellt wurde, wird von Totalitarismus nur noch in negativer [[Konnotation]] gesprochen. |
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Es gibt verschiedene Versuche, totalitäre Systeme durch die Festlegung von Merkmalen zu bestimmen. Gemein ist diesen Totalitarismus-Modellen, dass sie totalitäre Systeme in Hinblick auf ihre ''Herrschaftsstrukturen'' definieren und analysieren. Im Fokus stehen also nicht die Ziele oder die Anzahl der Opfer totalitärer Diktaturen, sondern die Mechanismen der Herrschaft solcher Systeme. Die wichtigsten dieser Totalitarismus-Modelle werden im Folgenden dargestellt. |
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=== Totalitarismus-Modell von Friedrich/Brzeziński === |
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Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus ist der Schriftsteller [[George Orwell]], der ihn in seinem Roman ''[[1984 (Roman)|1984]]'' schon im Jahre [[1948]] beschreibt und darin spätere Erkenntisse anderer Kritiker auf fiktiver Ebene vorwegnimmt. [[Franz Borkenau]] stellte [[1940]] in seinem Werk ''The Totalitarian Enemy'' eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und [[Bolschewismus]] vor. |
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[[Datei:MSC 2014 Brzezinski Kleinschmidt MSC2014.jpg|mini|50. Münchner Sicherheitskonferenz 2014: [[Zbigniew Brzeziński]] ]] |
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Die Politikwissenschaftler [[Carl Joachim Friedrich]] und [[Zbigniew Brzeziński]] sahen in totalitären Regimen etwas grundsätzlich Neues. Die verschiedenen totalitären Systeme seien jedoch grundsätzlich gleichartig und untereinander vergleichbar. Das Wesen der totalitären Regime sei ihre Organisation und ihre Methoden zur Erreichung der totalen Kontrolle, nicht ihr Streben nach totaler Kontrolle. Dennoch habe man sich totalitäre Systeme nicht als statische Gebilde vorzustellen, da sie einer Evolution unterlägen. In ihrem 1956 erschienenen Werk ''Totalitarian Dictatorship and Autocracy'' definierten Friedrich und Brzeziński sechs konstitutive Merkmale totalitärer Systeme: |
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# eine offizielle Ideologie,<ref name="Sartori197" /> alle wichtigen Lebensbereiche umfassend, allgemeinverbindlich, auf Schaffung einer neuen Gesellschaft ausgerichtet, mit Wahrheitsanspruch und stark [[Utopie|utopischen]], z. T. religionsähnlichen Elementen. |
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Die meistrezipierten Theoretiker des Totalitarismus sind [[Hannah Arendt]], die im Jahr [[1952]] ihr Buch ''Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft'' schrieb, sowie [[Carl J. Friedrich]] und [[Zbigniew Brzezinski]], die [[1956]] das Werk ''Totalitarian Dictatorship and Autocracy'' veröffentlichten. Die Kernelemente der Totalitarismustheorie von Friedrich, Brzezinski und Arendt werden noch heute als Grundlagen der Totalitarismusforschung angenommen und verwendet. |
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# eine einzige, die gesamte formelle Macht innehabende, hierarchisch und oligarchisch organisierte ''[[Massenpartei]]'' (neuen Typs),<ref name="Sartori197" /> die in der Regel von einem Mann (dem Diktator) angeführt wird und die der staatlichen [[Bürokratie]] entweder übergeordnet oder mit ihr völlig verflochten ist. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung (bis 10 %) gehört der Partei aktiv an und eine aktive Minderheit innerhalb der Partei ist fanatisch der zugrunde liegenden Ideologie ergeben. |
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# ein physisches und/oder psychisches ''[[Terror]]system'': Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung, aber auch der Partei selbst, durch eine (Geheim-)Polizei.<ref name="Sartori197" /> Diese bekämpft nicht nur tatsächliche, sondern auch potenzielle Feinde. |
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# das nahezu vollständige ''[[Monopol]] der Massenkommunikationsmittel'' beim Staat.<ref name="Sartori197" /> |
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# das nahezu vollständige ''Monopol der Anwendung der Kampfwaffen'' beim Staat.<ref name="Sartori197" /> |
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# eine zentrale, bürokratisch koordinierte ''Überwachung und Lenkung der Wirtschaft.''<ref name="Sartori197">{{Literatur |Autor=[[Giovanni Sartori (Politikwissenschaftler)|Giovanni Sartori]] |Titel=Demokratietheorie |Verlag=Wissenschaftliche Buchgesellschaft |Ort=Darmstadt |Datum=1992 |ISBN=3-534-11493-0 |Kapitel=7.4 Totalitarismus |Seiten=197 |Kommentar=Sartori bei den ersten fünf Punkten nach Friedrich: ''Totalitarism'' 1954, beim sechsten Punkt nach Friedrich und Brzezinski: ''Totalitarian Dictatorship and Autocracy'' 1956}}</ref> |
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Friedrich und Brzeziński weisen weiterhin auf die zentrale Rolle des [[Technischer Fortschritt|technischen Fortschritts]] hin, der die Merkmale 3–6 erst ermögliche. |
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Laut Friedrich und Brzezinski zeichnen sich totalitäre Diktaturen durch sechs konstitutive Merkmale aus: 1) eine offizielle Ideologie mit Heilsanspruch, 2) eine einzige Massenpartei, 3) das Waffenmonopol, 4) das Monopol der Massenkommunikationsmittel, 5) ein System terroristischer Polizeikontrolle und 6) eine zentral gelenkte Wirtschaft. |
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=== Totalitarismus-Modell von Peter Graf Kielmansegg === |
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Aktuelle Varianten totalitarismustheoretischer Argumentationen nennen [[Nationalsozialismus|Nazis]], Stalinisten und den fundamentalistischen [[Islamismus]] in einem Bedeutungszusammenhang (so z. B. [[Henry Beni Lévy]] in seiner [[Biografie]] über [[Jean Paul Sartre]]). |
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[[Datei:Peter Graf von Kielmansegg-A.jpg|mini|[[Peter Graf von Kielmansegg]]]] |
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Der Politikwissenschaftler [[Peter Graf Kielmansegg]] kritisierte das Modell von Friedrich/Brzeziński, das seiner Meinung nach die Dynamik des sozialen Wandels innerhalb des Systems nicht erklären könne. Nach Kielmannsegg sind die entscheidenden Merkmale totalitärer Systeme: |
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* monopolistische Konzentration der Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse in einem Führungszentrum: Entscheidend sei hierbei nicht, dass die Führung wirklich alles selbst regelt, sondern dass sie prinzipiell die Möglichkeit hat, jede Entscheidung an sich zu ziehen, sowie die Entscheidungen, die außerhalb der Führung getroffen wurden, zu revidieren. Maßgeblich sei auch, dass die totalitäre Führung keiner Kontrollinstanz unterworfen ist. |
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Allgemein ist es akzeptiert, dass folgende Staaten totalitär sind oder waren: |
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* prinzipiell unbegrenzte Reichweite der Entscheidungen des politischen Systems: Hiermit ist die Eingriffskompetenz des politischen Systems in prinzipiell alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gemeint. |
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* Deutschland zur [[Zeit des Nationalsozialismus]] |
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* prinzipiell unbeschränkte Freiheit, [[Sanktionen]] zu verhängen: Entscheidend sei das zur Verfügung stehende Sanktionsinstrumentarium und die Verfügungsfreiheit über diese Instrumente. Terror sei nur eines der möglichen Instrumente. Als weitere werden beispielsweise die Bestimmung über Bildungs-, Berufs- und Kommunikationschancen sowie über die Chancen materieller Befriedigung genannt. |
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* die [[Sowjetunion]] zur Zeit des [[Stalinismus]] |
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* die Demokratische Volksrepublik Korea ([[Nordkorea]]) |
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* (weitgehend akzeptiert) manche islamischen Länder wie [[Afghanistan]] unter den [[Taliban]] oder der [[Iran]], der italienische [[Faschismus]]. |
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Nach Kielmansegg zieht die Inanspruchnahme von Entscheidungsgewalt unbegrenzter Reichweite (2) die obige Struktur nach sich. Dieser Punkt sei also als Beginn der Entstehung totalitärer Systeme zu sehen. Sobald das Herrschaftsmonopol erst einmal etabliert sei, werde die Sicherung des Monopols (Machterhalt) zum Selbstzweck des Monopols. Nach Kielmansegg besteht also in totalitären Systemen ein Vorrang der Sicherung des Entscheidungsmonopols vor allen ideologischen Herrschaftszielen. Ideologie und Massenpartei hätten lediglich die Aufgabe, zu motivieren, zu kontrollieren und Legitimation zu verschaffen. |
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Umstritten ist dagegen in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die DDR angewendet werden kann. |
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=== Totalitarismus-Modell von Hannah Arendt === |
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[[Datei:Hannah Arendt auf dem 1. Kulturkritikerkongress, Barbara Niggl Radloff, FM-2019-1-5-9-16.jpg|mini|[[Hannah Arendt]]]] |
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Laut Hannah Arendt ist die Rolle des Terrors das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System. In ihrer 1951 zunächst in englischer Sprache erschienenen umfangreichen Untersuchung ''The Origins of Totalitarianism'', die 1955 in Frankfurt am Main als ''[[Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft]]'' herausgebracht wurde, heißt es: |
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{{Zitat|Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.|ref=<ref>Hannah Arendt: ''Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft''. 1986, S. 958.</ref>}} |
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Als weitere Kriterien der totalitären Herrschaft nennt sie: den Willen zur [[Weltherrschaft]], fanatisierte [[Massenbewegung (Soziologie)|Massenbewegungen]] auf der Grundlage des [[Führerprinzip]]s, millionenfache Morde im Namen einer „neuen“ gesetzmäßigen Ordnung, das heißt die Umdeutung und Manipulation der Moral, sowie die Verknüpfung mit einer Ideologie und die totalitäre Propaganda. |
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== Kritik am Begriff == |
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Der Begriff ''Totalitarismus'' wird innerhalb der Geschichts- und [[Politikwissenschaft]] kontrovers diskutiert. |
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Arendt bezeichnete lediglich den Nationalsozialismus und den Stalinismus als totalitäre Herrschaftssysteme. Andere Ausprägungen politischer Unterdrückung, beispielsweise in Kriegszeiten, betrachtete sie seit der Antike als [[Diktatur]]en bzw. als Systeme der ''[[Tyrannis]]''. Hierfür liefert sie eine Fülle von Beispielen. Unter anderem kennzeichnete sie den Faschismus Benito Mussolinis und die Sowjetunion nach Stalins Tod sowie ihre „Satellitenstaaten“ als nicht totalitäre Diktaturen. Sie äußerte die Sorge, dass in Zukunft wiederum mit totalitären Gesellschaftsformen zu rechnen sei. |
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Kritiker der Theorie des Totalitarismus werfen ihr vor, als rein politikwissenschaftlicher Begriff die mit einer Gesellschaft untrennbar verbundene, jeweils unterschiedliche historische Genese, sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur der als totalitär bezeichneten Staaten nicht zu berücksichtigen. Eine Reihe von makropolitischen Merkmalen, wie z. B. Einheitspartei, allzuständiger Machtapparat, Kommunikationsmonopol und Führerkult reichten ihnen in wissenschaftlicher Hinsicht nicht aus, um zu erklären, was eine totalitär regierte Gesellschaft sei. Den normativen Ausgangspunkt der Betrachtung stelle der demokratisch-pluralistische Verfassungsstaat westlicher Prägung dar. Dieser würde aber weder empirisch-analytisch an seinen eigenen Maßstäben gemessen, noch zum Vergleich mit den als totalitär geltenden Staaten herangezogen, sondern als ein Positiv außerhalb der gesamten Untersuchung gestellt. Die Theorie vom Totalitarismus sei deshalb eine bipolare Schwarz-Weiß-Typologie, deren erkenntnistheoretischer Gehalt stark gegen Null gehe. Die Rede von totalitären Staaten sei als „reine Herrschaftsideologie“ (K. H. Roth) zu betrachten, und könne von demokratisch-pluralistischen Staaten gegen alle anders organisierten Staatsgebilde argumentativ aufgefahren werden. |
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=== Totalitarismus-Modell von Karl Popper === |
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Vor allem von [[Sozialismus|sozialistischer]] Seite wird die Totalitarismusthese als „Totalitarismusdoktrin“ bezeichnet. Diese sei ein [[Ideologie|ideologisches]] Konstrukt des [[Kalter Krieg|Kalten Krieges]], das die Länder des [[Real existierender Sozialismus|real existierenden Sozialismus]] [[Diffamierung|diffamieren]] sollte. Gemäß sozialistischer Theorien ist der Faschismus vielmehr eine [[Reaktion (Politik)|reaktionäre]] Form des [[Kapitalismus]] und damit mit Sozialismus oder Kommunismus überhaupt nicht zu vergleichen. Heute würde sie von „Rechtsintellektuellen“ etwa aus dem [[Veldensteiner Kreis]] neu belebt. |
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[[Datei:Karl Popper.jpg|mini|220x220px|[[Karl Popper]] (1985)]] |
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Der [[österreich]]isch-[[Vereinigtes Königreich|britische]] Philosoph [[Karl Popper]] (1902–1994) versuchte zu zeigen, dass sich die menschliche Zivilisation noch immer nicht von ihrem Geburtstrauma erholt hat – vom Trauma (seelische Verletzung) des Übergangs aus der Stammes- oder „geschlossenen“ Gesellschaftsordnung, die magischen Kräften unterworfen ist, zur [[Offene Gesellschaft|'offenen' Gesellschaftsordnung]]<ref>{{Literatur |Autor=Karl R. Popper |Titel=The Open Society and Its Enemies. Teil 1: The Spell of Plato. (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) |Verlag=Routledge |Ort=London |Datum=1945 |Sprache=en |Kommentar=Texturfassung en-WP 01.2023}}</ref>, die die kritischen Fähigkeiten des Menschen in Freiheit setze. Der Schock dieses Übergangs sei einer der Faktoren, die den Aufstieg jener reaktionären Bewegungen ermöglichten, die auf den Sturz der Zivilisation und auf die Rückkehr zur Stammesgebundenheit hingearbeitet haben und noch hinarbeiten. Damit sei angedeutet, dass die Ideen, die wir heute totalitär nennen, einer Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung sei wie unsere Zivilisation selbst. |
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=== Totalitarismus-Modell von Wolfgang Merkel === |
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Der deutsche Politikwissenschaftler [[Wolfgang Merkel]] definiert in seinem Buch [[Systemtransformation]]<ref>[[Wolfgang Merkel]] ''Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung''. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17201-9, S. 52–55.</ref> folgende Typen totalitärer Regime: |
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==== Kommunistisch-totalitäre Regime ==== |
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[[Datei:G-Antitota.jpg|mini|Anti-totalitäre [[Streetart]] auf einer Mauer in [[Bukarest]] (2013).]] |
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Merkmale: |
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* Herrschaftszugang völlig ausgeschlossen |
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* [[Kommunistische Partei]] (KP) hat per Verfassung die ausschließlich führende Rolle |
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* [[Monismus|monistische]] Herrschaftsstruktur, kein [[Pluralismus (Politik)|Pluralismus]], auch nicht in Ansätzen |
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* jegliche Opposition und Abweichung wird mit Repression und Terror bis hin zur physischen Vernichtung bekämpft |
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* eigentlich eine [[Führerdiktatur]], die mithilfe der KP und der Ideologie des [[Marxismus-Leninismus]] den totalen Herrschaftsanspruch in der Realität umsetzt |
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* ein [[Generalsekretär#Kommunistische Parteien im Sowjetsystem|KP-Generalsekretär]] konzentriert die gesamte Staats- und Parteimacht in seinen Händen |
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* kann in bestimmten Phasen [[sultanistisch]]-totalitäre Züge annehmen |
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Beispiele: |
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* Sowjetunion unter Stalin (1929–1953) |
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* [[VR China]] unter [[Mao Zedong]] (1949–1976) |
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* [[Kambodscha]] unter [[Pol Pot]] (1975–1979) |
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* [[Nordkorea]] (1948 bis heute) |
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* [[Albanien]] unter [[Enver Hoxha]] (1946–1985) |
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* [[Rumänien]] unter [[Nicolae Ceaușescu]] (1974–1990) |
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==== Faschistisch-totalitäre Regime ==== |
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Merkmale: |
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* Herrschaftszugang völlig ausgeschlossen |
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* monistische Herrschaftsstruktur |
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* Terror zur Durchsetzung des totalen Herrschaftsanspruches |
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Beispiele: |
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* einziges Beispiel ist der [[Nationalsozialismus]] in Deutschland (1938–1945) |
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==== Theokratisch-totalitäre Regime ==== |
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Merkmale: |
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* Kontrolle und Reglementierung bis in die Intimsphäre der Bürger |
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* Instrumentalisierung einer Religion als allumfassende, politische Legitimationsideologie |
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* kapillares Organisationssystem |
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* kapitalistisches [[Wirtschaftssystem]] bleibt unangetastet |
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Beispiele: |
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* in der Realität noch niemals vollständig verwirklicht worden |
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== Beispiele totalitärer Regime == |
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=== Gegenwart === |
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Je nach Totalitarismus-Modell werden unterschiedliche Staaten als totalitär bezeichnet. Beispiele für häufig genannte aktuelle Regime sind: |
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* [[Nordkorea]], seit 1948 |
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* [[Iran]], seit 1979<ref>Wahied Wahdat-Hagh: ''Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus''</ref> |
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* [[Turkmenistan]], seit 1991 |
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* [[Eritrea]], seit 1997 |
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* [[Volksrepublik China|China]], seit ~2016<ref>{{cite news |url=https://www.economist.com/briefing/2016/12/17/china-invents-the-digital-totalitarian-state |title=China invents the digital totalitarian state |language=en |newspaper=The Economist |date=17. Dezember 2017 |access-date=14. September 2018 |archive-date=14. September 2018 |archive-url=https://web.archive.org/web/20180914200819/https://www.economist.com/briefing/2016/12/17/china-invents-the-digital-totalitarian-state |url-status=live}}</ref> (China wurde in der Vergangenheit schon einmal totalitär regiert, siehe Text unten.) |
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* [[Islamisches Emirat Afghanistan|Afghanistan]], seit 2021<ref>{{Internetquelle |url=https://www.nzz.ch/feuilleton/die-taliban-werden-nie-verbuendete-sein-im-kampf-gegen-den-is-ld.1645303?reduced=true |titel=Der Westen gibt sich Illusionen hin: Die Taliban können keine Verbündeten sein (Bassam Tibi)|werk=Neue Zürcher Zeitung |datum=2021-10-02 |abruf=2023-09-14}}</ref> (Afghanistan wurde 1996/1997–2001 schon einmal totalitär regiert.) |
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=== Vergangenheit === |
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[[Datei:Bundesarchiv B 145 Bild-P022061, Berlin, NS-Kundgebung im Lustgarten.jpg|mini|NS-Kundgebung in Berlin (1. Mai 1936, [[Lustgarten (Berlin)|Lustgarten]])]] |
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[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-18684-0002, Dresden, Tod Stalin, Parade KVP.jpg|mini|hochkant|[[Kasernierte Volkspolizei|KVP]]-Parade, nach dem Tode Stalins 1953, Dresden]] |
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Beispiele für häufig genannte Regime der Vergangenheit sind: |
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* [[NS-Staat|Deutsches Reich]] zur [[Zeit des Nationalsozialismus]] |
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* Sowjetunion und deren [[Satellitenstaat]]en im [[Ostblock]] zur Zeit des Stalinismus |
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* [[Volksrepublik China]] unter [[Mao Zedong]] (im Besonderen während der [[Kulturrevolution]]) |
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Ebenfalls als totalitär gilt [[Kambodscha]] unter den [[Rote Khmer|Roten Khmer]]. |
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Umstritten ist in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] angewendet werden kann. Eckhard Jesse wandte das Konzept von [[Juan Linz|Juan José Linz]], der anhand verschiedener Merkmale totalitäre Diktaturen von autoritären unterscheidet, auf die DDR an. Er kam zu dem Schluss, dass die DDR unter [[Walter Ulbricht]] als totalitär bezeichnet werden kann. Unter [[Erich Honecker]] habe die DDR aufgrund der abnehmenden Ideologisierung selbst innerhalb der [[Sozialistische Einheitspartei Deutschlands|SED]] sowie der abnehmenden Mobilisierung der Bevölkerung diesen Charakter zunehmend verloren und sich zu einem [[Autoritarismus|autoritären]] System entwickelt.<ref>Eckhard Jesse: ''War die DDR totalitär?'' In: ''[[Aus Politik und Zeitgeschichte]]'', Heft 40, 1994, S. 12–23.</ref> [[Klaus Schroeder]] kennzeichnet in seiner Monografie ''Der SED-Staat'' die DDR als „(spät-)totalitären Überwachungs- und Versorgungsstaat“.<ref>[[Klaus Schroeder]]: ''Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR.'' Hanser, München 1998, ISBN 3-446-19311-1, S. 619 f.</ref> |
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Ebenso umstritten ist die Einordnung des Nationalsozialismus als totalitär, da die Wirtschaft über eine gewisse Autonomie verfügte, welche zwar aufgrund des Krieges eingeschränkt wurde, dies aber nicht Kennzeichen des Systems, sondern eine Erscheinung des Kriegszustandes war. Außerdem ist die [[Teleologie|teleologische]] [[Rassentheorie]] nicht so allumgreifend, wie es bspw. der Stalinismus war.<ref>{{Literatur |Autor=[[Jerzy Maćków]] |Titel=Totalitarismus und danach: Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation |Auflage=1. Aufl |Verlag=Nomos |Ort=Baden-Baden |Datum=2005 |ISBN=3-8329-1486-2}}</ref> |
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== Kritik am Konzept == |
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Von [[Sozialismus|sozialistischen]] Historikern wurde die Totalitarismustheorie kritisiert und gelegentlich als „Totalitarismusdoktrin“ bezeichnet. Sie sei ein ideologisches Konstrukt des Kalten Krieges, das die Länder des [[Real existierender Sozialismus|real existierenden Sozialismus]] diffamieren sollte. Gemäß dieser Auffassung sei der Nationalsozialismus nicht mit sozialistischen Systemen, welcher Art auch immer zu vergleichen. Das Totalitarismus-Konzept erfasse nicht die Ziele und Inhalte politischer Systeme sowie die Motivation politisch Handelnder, sondern lediglich die äußeren Formen wie Unterdrückung und Verfolgung politischer oder anderer Gruppen. Eine Reihe gemeinsamer Merkmale, wie Einheitspartei, umfassender Machtapparat, Kommunikationsmonopol, Führerkult und Terror reiche demnach nicht aus, um Regierungen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung als totalitär zu bezeichnen. |
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Kritiker des Totalitarismus-Konzepts sehen die Gefahr einer Gleichsetzung von Stalinismus und Nationalsozialismus. Jeder Vergleich von Struktur und Praxis führe unvermeidlich zu Relativierungen. So werde der Holocaust zu einem Verbrechen unter anderen gemacht. Damit finde auch unter den Bekundungen einer so betriebenen [[Historisierung]] des Holocaust, z. B. durch die sogenannten „Massakervergleiche“, die den [[Geschichte des Antisemitismus bis 1945|antisemitischen]] Kern von [[KZ Auschwitz|Auschwitz]] nicht berücksichtigten, eine Umdeutung der deutschen Geschichte statt.<ref>[[Wolfgang Wippermann]], [[Michael Burleigh]]: ''The Racial State. Germany 1933–1945.'' Cambridge University Press, Cambridge 1991, S. 12 ff. u.ö.; derselbe: ''Totalitarismustheorien.'' Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, S. 99 f. u.ö.</ref> |
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Dem wird entgegengehalten, dass die historische Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen nicht bedeuten könne, dass politische Strukturen und Praktiken nicht miteinander verglichen werden dürfen.<ref>[[Ian Kershaw]]: ''Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick''. 4. Auflage. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 66/67 (Kershaw hält insgesamt jedoch das Konzept der Totalitarismustheorien für die Analyse des Nationalsozialismus nur für teilweise tauglich, vgl. S. 63).</ref> Ein ''Vergleich'' von Systemen und ihrer Verbrechen stelle keine ''Gleichsetzung'' der verglichenen Systeme oder deren Verbrechen dar. Unabhängig von der Unterschiedlichkeit der Ideologien der untersuchten Systeme und dem Ausmaß der von ihnen verschuldeten Opfer bringe die Totalitarismusforschung Erkenntnisfortschritt in Bezug auf die [[Herrschaftsinstrument|Herrschaftsstrukturen und -mechanismen]] totalitärer Diktaturen. Ihre Verurteilung als Konstrukt des Kalten Krieges übersehe überdies, dass ihre Begrifflichkeit und Grundaussagen bereits seit den späten dreißiger Jahren ausgebildet waren und politisch-plakative Inanspruchnahme der Theorie generell nichts über ihre wissenschaftliche Berechtigung aussagen könne.<ref>so etwa: Hans Joachim Lieber: ''Zur Theorie totalitärer Herrschaft.'' In: Hans-Joachim Lieber (Hrsg.): ''Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart.'' Bonn 1991, S. 881–931, hier S. 883 und S. 926–931.</ref> |
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Da die Totalitarismus-Modelle sich auf die [[Herrschaftsform]] der untersuchten Regime konzentrieren und alle anderen Aspekte ausblenden, wird der Ansatz als „strukturanalytisch defizitäre Form des Systemvergleichs“ kritisiert.<ref>[[Everhard Holtmann]] (Hrsg.), ''Politik Lexikon'', 3. Auflage 2000, S. 690.</ref> In der Politikwissenschaft werden die Totalitarismusmodelle inzwischen durch Konzepte wie das der [[Politische Religion|Politischen Religion]] ergänzt, um beispielsweise auch die Motivation und Mobilisierung innerhalb totalitärer Systeme zu erklären.<ref>[[Hans Maier (Politiker, 1931)|Hans Maier]]: ''Deutungen totalitärer Herrschaft.'' In: ''[[Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte]]'' 50 (2002), S. 362–366 ([https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2002_3_1_maier.pdf online], Zugriff am 7. Juni 2019).</ref> |
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== Weitere Totalitarismus-Begriffe == |
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=== Invertierter Totalitarismus === |
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{{Hauptartikel|Invertierter Totalitarismus}} |
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2003 prägte der Politikwissenschaftler [[Sheldon Wolin]] in einem Zeitungsartikel den Begriff ''Inverted Totalitarianism'' (deutsch: ''Umgekehrter Totalitarismus'').<ref>Sheldon Wolin, {{Webarchiv|url=https://www.thenation.com/article/inverted-totalitarianism/ |wayback=20190624101743 |text=''Inverted Totalitarianism. How the Bush regime is effecting the transformation to a fascist-like state'' |archiv-bot=2024-05-31 07:02:55 InternetArchiveBot }}, In: [[The Nation (Vereinigte Staaten)|The Nation]], 19. Mai 2003, abgerufen am 4. November 2018.</ref> In seiner Monografie ''Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism'' systematisierte er 2008 seine Darstellung und erhielt dafür im selben Jahr den [[Lannan Literary Award]] in der Kategorie „Ein besonders bemerkenswertes Buch“.<ref name=":4">{{Internetquelle |url=https://lannan.org/programs/awards |titel=Prizes, Awards & Fellowships |sprache=en |abruf=2024-07-26}}</ref> |
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Die These dieses Werkes ist, dass am Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Streben nach dem Status einer „[[Superpower]]“ und mit dem „Management von Demokratie“ in den USA eine „[[Postdemokratie|postdemokratische]] Regierungstechnik“ entstanden sei. In dieser verbänden sich Elemente der [[Liberale Demokratie|liberalen Demokratie]] mit denen totalitärer politischer Systeme. Den zentralen Unterschied zum klassischen Totalitarismus sieht Wolin darin, dass der [[Nationalsozialismus]] ein „Mobilisierungsregime“ gewesen sei, das die Massen zur aktiven Beteiligung an der [[Politische Bewegung|politischen Bewegung]] motivieren wollte. Dagegen setze der invertierte Totalitarismus auf eine weitreichende [[Entpolitisierung]] der Bevölkerung. Außerdem beruhe die postmoderne Form totaler Herrschaft auf „[[Soft Power|weicheren]]“, kaum wahrnehmbaren Unterdrückungsmechanismen. Auch eine starke [[Führungspersönlichkeit]] sei in dieser Regierungsform verzichtbar.<ref>Darstellung nach Claudia Ritzi: ''Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit : Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven''. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 85 ff.</ref> |
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=== Ökonomischer Totalitarismus === |
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[[Christoph Butterwegge]] konstatiert, der Machtanspruch des [[Neoliberalismus]] als dominante Ideologie des Kapitalismus sei total und universell. „Total durch den Anspruch an eine umfassende Entpolitisierung des Gesellschaftlichen und universell im Hinblick auf seinen globalen Geltungsanspruch.“ Langfristig setze der Neoliberalismus die Marktgesellschaft durch.<ref>{{Literatur |Autor=Christoph Butterwegge |Titel=Kritik des Neoliberalismus |Verlag=Springer-Verlag |Datum=2007 |ISBN=978-3-531-15185-4 |Online={{Google Buch |BuchID=hFAKGFp9X5gC |Seite=14 |Hervorhebung=butterwegge dabei ist der machtanspruch des Neoliberalismus}}}}</ref> Im Widerspruch zur [[Neoklassische Theorie|Neoklassik]] dehne er das [[Nutzenkalkül|Kosten-Nutzen-Kalkül]] auf alle Bereiche des menschlichen Verhaltens aus ([[ökonomischer Imperialismus]], [[Gary Becker]]), besonders auffällig im [[Public-Choice-Theorie|Public-Choice-Ansatz]]. Aus dem [[Homo Sapiens|homo sapiens]] werde ein [[homo oeconomicus]].<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Christoph Butterwegge |Titel=Kritik des Neoliberalismus |Verlag=Springer-Verlag |Datum=2007 |ISBN=978-3-531-15185-4 |Online={{Google Buch |BuchID=hFAKGFp9X5gC |Seite=30 |Hervorhebung=butterwegge stichwort homo oeconomicus}}}}</ref> |
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[[Norbert Blüm]] urteilt: „Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht. Aus [[Marktwirtschaft]], also ein Segment, soll Marktgesellschaft werden. Das ist der neue Imperialismus. Er erobert nicht mehr neue Gebiete, sondern macht sich auf Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein Besatzungsregime verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt Zentralen der inneren Steuerung des Menschen.“<ref>''Gerechtigkeit. Eine Kritik des Homo oeconomicus.'' Herder, Freiburg im Breisgau 2006, ISBN 3-451-05789-1, S. 61</ref> |
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Für den Bereich der [[Bildungspolitik in Deutschland|Bildungspolitik]] und [[Bildungsreform]]en in der Bundesrepublik Deutschland wird diese Auffassung von [[Matthias Burchardt]] vertreten. |
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Jon Kofas betrachtet 2019 es als Widerspruch des Neoliberalismus, dass er Freiheit und Emanzipation fördere, aber in der Praxis ein totalitäres System sei, „das darauf abzielt, die Gesellschaft und den Einzelnen in Übereinstimmung mit seinem dogmatischen Marktfundamentalismus zu bringen.“<ref name=":2">Jon Kofas: Neoliberal Totalitarianism and the Social Contract. 2019 https://www.researchgate.net/publication/331876517_Neoliberal_Totalitarianism_and_the_Social_Contract</ref> |
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=== Totalitärer Überwachungskapitalismus === |
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{{Hauptartikel|Überwachungskapitalismus}} |
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[[Shoshana Zuboff|Susanna Zuboff]] (* 1951) vertritt die These, der moderne Kapitalismus entwickele totalitäre Züge in Form der totalen Überwachung auch der Privatsphäre. Diese Überwachung besetze sogar die Nischen, die in bisherigen totalitären Systemen noch frei, weil unkontrollierbar, geblieben seien. In dieser Form der Kontrolle und Steuerung setzen Unternehmen, so Zuboff, ihre Profitinteressen durch.<ref name=":3">{{Literatur |Autor=Wolfgang Scholl |Titel=Mut zu Innovationen: Impulse aus Praxis, Forschung, Beratung und Ausbildung |Verlag=Springer-Verlag |Datum=2019 |ISBN=978-3-662-58390-6 |Online={{Google Buch |BuchID=KTuIDwAAQBAJ |Seite=352 |Hervorhebung=totalitär Überwachungskapitalismus}}}}</ref> |
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=== Digitaler Totalitarismus === |
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Kritiker der neuen, bisher nicht gekannten Macht der Internetkonzerne sprechen von einem „digitalen Totalitarismus“ (auch Totalitarismus 2.0, technologischer Totalitarismus oder Techno-Totalitarismus genannt).<ref>[[Shoshana Zuboff]]: ''Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus''. Frankfurt/New York 2018, S. 412.</ref> So warnt [[Max Tegmark]] davor, dass wir auf dem besten Weg sind, die erforderlichen digitalen Infrastrukturen für eine totalitäre endgültige Diktatur zu schaffen, die er Totalitarismus 2.0 nennt. Ausreichend starke Kräfte müssten nur noch den Einschaltknopf drücken. Die Macht liege nicht in den Händen eines herkömmlichen Diktators, sondern in einem bürokratischen System, das im Gegensatz zu herkömmlichen totalitären Diktaturen als gesichts- und führerloses System einige Jahrtausende Bestand haben könne.<ref>[[Max Tegmark]]: ''Leben 3.0. Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz''. Berlin 2019, S. 288 f.</ref> Laut Žarko Paić droht die Demokratie von einer Kontrollgesellschaft im Sinne von [[Gilles Deleuze]] abgelöst zu werden, in der transnationale Konzerne zum wissenschaftlich-technischen Management der Gesellschaft übergehen und dafür nicht durch Menschen, sondern mittels Maschinen eine Totale Kontrolle über die Bürger errichten.<ref>Žarko Paić: ''The Return of Totalitarianism. Ideology, Terror, and Total Control''. [[Palgrave Macmillan]] 2022, S. 179 ff.</ref> Zu den weiteren neuen Technologien, die künftige totalitäre Regime stärken könnten, gehörten das Auslesen von Gehirnen, die Verfolgung von Kontakten und verschiedene Anwendungen der [[Künstliche Intelligenz|künstlichen Intelligenz]].<ref>{{Internetquelle |autor=Kiel Brennan-Marquez |url=https://yjolt.org/modest-defense-mind-reading |titel=A Modest Defense of Mind Reading |werk=yjolt.org |hrsg=Yale University |sprache=en |abruf=2022-09-18}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=D. Helbing; B. S. Frey, G. Gigerenzer; et al. |Titel=Will democracy survive big data and artificial intelligence?. Towards Digital Enlightenment: Essays on the Dark and Light Sides of the Digital Revolution |Verlag=Springer |Datum=2019 |ISBN=978-3-319-90869-4 |Seiten=73–98 |Sprache=en}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=AlexeyTurchin, David Denkenberger |Titel=Classification of global catastrophic risks connected with artificial intelligence |Sammelwerk=AI & Society |Band=35 |Nummer=1 |Datum=2018-04-03 |Seiten=147–163 |Sprache=en |DOI=10.1007/s00146-018-0845-5}}</ref> Andere Studien versuchen, moderne technologische Veränderungen mit Totalitarismus in Verbindung zu bringen. [[Shoshana Zuboff]] zufolge treibt der wirtschaftliche Druck des modernen Überwachungskapitalismus die Intensivierung der Online-Verbindung und -Überwachung voran, wobei Räume des sozialen Lebens für die Sättigung durch Unternehmensakteure offen werden, die auf die Erzielung von Profit und/oder die Regulierung von Handlungen abzielen.<ref>{{Literatur |Autor=Shoshana Zuboff |Titel=The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. |Verlag=PublicAffairs |Ort=New York |Datum=2019 |ISBN=978-1-61039-569-4 |Seiten=e}}</ref> Mustafa Suleyman, der die KI-Grundsätze von Google entwarf, befürchtet, dass in einer Welt, in der [[Künstliche Intelligenz]] für jedermann zugänglich wird, verbunden mit preiswerten DNA-Synthesizern zur Herstellung von tödlichen [[Viren]] und [[3D-Druck|3D-Druckern]], die Schwärme bewaffneter Drohnen herstellen können, es nur einer Katastrophe bedarf, um den Ruf nach totaler Kontrolle laut werden zu lassen und ein globales High-Tech-Panoptikum und damit ein neuer Totalitarismus Realität werden könnte. Er erinnert daran, dass gesellschaftsweite [[Massenquarantäne|Lockdowns]] in der [[COVID-19-Pandemie|Pandemie]] noch wenige Wochen zuvor undenkbar gewesen wären.<ref>Mustafa Suleyman: ''The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts''. München 2024, S. 230, 252, passim.</ref> |
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== Siehe auch == |
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* [[Einparteiensystem]] |
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* [[Polizeistaat]], [[Staatsterror]] |
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* [[Überwachungsstaat]] |
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* [[Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung]] |
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== Literatur == |
== Literatur == |
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'''Klassiker der Totalitarismus-Theorie''' |
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* [[Hannah Arendt]]: ''[[Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft]]. Antisemitismus. Imperialismus, Totalitarismus'' (''The origins of totalitarianism.'' Schocken, New York 1951). 4. Auflage. Piper, München 1995, ISBN 3-492-11032-0. |
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* [[Franz Borkenau]]: ''The Totalitarian Enemy.'' Faber & Faber, London 1940, {{DNB|579233960}}. |
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* [[Karl Dietrich Bracher]]: ''Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie.'' Piper, München 1976, ISBN 3-492-00442-3. |
|||
* [[Carl Joachim Friedrich]], [[Zbigniew Brzeziński]]: ''Totalitäre Diktatur'' (''Totalitarianism dictatorship and autocracy.'' Harvard University Press, Cambridge 1956). Kohlhammer, Stuttgart 1957, {{DNB|451377079}}. |
|||
* [[Aleksander Hertz (Soziologe)|Aleksander Hertz]]: ''Skizzen über den Totalitarismus.'' Hrsg. und eingeleitet von Torsten Lorenz und Katarzyna Stokłosa. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 3-525-31024-2. |
|||
* [[Peter Graf Kielmansegg]]: ''Krise der Totalitarismustheorie?'' In: ''[[Zeitschrift für Politik]].'' 21, 1974, Heft 4, S. 311–326. |
|||
* [[Juan Linz|Juan José Linz]]: ''Totalitäre und autoritäre Regime'' (''Totalitarian and Authoritarian Regimes.'' Addison-Wesley, Reading 1975). Hrsg. und übersetzt von [[Raimund Krämer]]. 3. Auflage. WeltTrends, Potsdam 2009, ISBN 3-941880-00-4. |
|||
* [[Richard Löwenthal]]: ''Faschismus – Bolschewismus – Totalitarismus. Schriften zur modernen Weltanschauungsdiktatur im 20. Jahrhundert.'' Hrsg. und eingeleitet von [[Mike Schmeitzner]]. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 3-525-32600-9. |
|||
* [[Sigmund Neumann]]: ''Permanente Revolution. Totalitarismus im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs'' („Permanent Revolution.“ Harper & Brothers, New York 1942). Hrsg. und eingeleitet von [[Gerhard Besier]] und Ronald Lambrecht. Lit, Berlin/Münster 2013, ISBN 3-643-12046-X. |
|||
* [[Karl Popper]]: ''Die offene Gesellschaft und ihre Feinde'' (''The open society and its enemies.'' Routledge, London 1945). 2 Bände. 8. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 2003. |
|||
*#''Der Zauber Platons.'' ISBN 3-16-147801-0. |
|||
*# ''Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen.'' ISBN 3-16-147802-9. |
|||
* [[Luigi Sturzo]]: ''Über italienischen Faschismus und Totalitarismus.'' Hrsg. und eingeleitet von [[Uwe Backes]] und [[Günther Heydemann]]. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, ISBN 3-525-31050-1. |
|||
* [[Jacob Talmon]]: ''Die Geschichte der totalitären Demokratie'' (''The Origins of Totalitarian Democracy.'' Secker & Warburg, London 1952–1981). 3 Bände. Hrsg. und eingeleitet von Uwe Backes. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 3-525-31012-9. |
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'''Darstellungen zur Totalitarismus-Theorie und zu Totalitarismus-Modellen''' |
|||
* [[Uwe Backes]]: ''Totalitarismus – auf der Suche nach einem definitorischen Minimum.'' In: ''FORUM für osteuropäische Zeit- und Ideengeschichte.'' 17, 2013, Heft 1, S. 45–64. |
|||
* Uwe Backes: ''Was heißt Totalitarismus? Zur Herrschaftscharakteristik eines extremen Autokratie-Typs.'' In: Katarzyna Stokłosa, Andrea Strübind (Hrsg.): ''Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 3-525-35089-9, S. 609–625, [http://www.hait.tu-dresden.de/dok/bac/Totalitarismus2007.pdf hait.tu-dresden.de] (PDF; 294 kB). |
|||
* [[Lothar Fritze]]: ''Anatomie des totalitären Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich.'' Olzog, München 2012, ISBN 3-7892-8324-X. |
|||
* Abbott Gleason: ''Totalitarianism. The Inner History Of The Cold War.'' Oxford University Press, New York 1998, {{OCLC|229907011}}. |
|||
* [[Jens Hacke]]: ''„Volksgemeinschaft der Gleichgesinnten“. Liberale Faschismusanalysen und die Wurzeln der Totalitarismustheorie.'' In: ''[[Mittelweg 36]].'' 23, 2014, Heft 4, S. 53–73. |
|||
* [[Klaus-Dietmar Henke]] (Hrsg.): ''Totalitarismus. Sechs Vorträge über Gehalt und Reichweite eines klassischen Konzepts der Diktaturforschung.'' HAIT, Dresden 1999, [http://www.hait.tu-dresden.de/dok/bst/Heft_18_Henke.pdf hait.tu-dresden.de] (PDF; 796 kB). |
|||
* [[Klaus Hildebrand]]: ''Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus'' (= ''Schriften des [[Historisches Kolleg|Historischen Kollegs]].'' Kolloquien 59). Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56748-9, [http://www.historischeskolleg.de/fileadmin/pdf/kolloquien_pdf/Kolloquien59.pdf historischeskolleg.de] (PDF; 6,7 MB). |
|||
* [[Martin Jänicke]]: ''Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffes.'' Duncker & Humblot, Berlin 1971, ISBN 3-428-02448-6. |
|||
* [[Eckhard Jesse]] (Hrsg.): ''Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung.'' Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-5954-4. |
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* [[Árpád von Klimó]], Malte Rolf (Hrsg.): ''Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen''. Campus, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-38206-7. |
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* Gerhard Lozek: ''Totalitarismus – (k)ein Tehema für die Linke?'' (= Pankower Vorträge Bd. 1). Helle Panke. Berlin, 1997 (2. Aufl.). |
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* [[Konrad Löw]] (Hrsg.): ''Totalitarismus.'' Duncker & Humblot, Berlin 1993, ISBN 3-428-07664-8. |
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* [[Hans Maier (Politiker, 1931)|Hans Maier]] (Hrsg.): ''„Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs.'' 3 Bände. Schöningh, Paderborn 1996–2003, ISBN 3-506-76825-5. |
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* [[Robert Christian van Ooyen]]: ''Totalitarismustheorie gegen Kelsen und Schmitt. Eric Voegelins „politische Religionen“ als Kritik an Rechtspositivismus und politischer Theologie.'' In: ''Zeitschrift für Politik.'' 49, 2002, Heft 1, S. 56–82. |
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* [[Richard Overy]]: ''Die Diktatoren. Hitlers Deutschland, Stalins Rußland.'' Aus dem Englischen übersetzt von Udo Rennert und Karl Heinz Siber. DVA, München 2005, ISBN 3-421-05466-5. |
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* [[Bruno Seidel (Politikwissenschaftler)|Bruno Seidel]], [[Siegfried Jenkner]] (Hrsg.): ''Wege der Totalitarismus-Forschung.'' WBG, Darmstadt 1968, {{DNB|458589039}}. |
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* [[Clemens Vollnhals]]: ''Der Totalitarismusbegriff im Wandel des 20. Jahrhunderts.'' In: ''[[Bohemia (Zeitschrift)|Bohemia]].'' 49, 2009, Heft 2, S. 385–398, [https://www.bohemia-online.de/index.php/bohemia/article/view/1042/1570 bohemia-online.de] (PDF; 584 kB) |
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'''Kritik an der Totalitarismus-Theorie und an Totalitarismus-Modellen''' |
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* [[Jörg Baberowski]], [[Kiran Klaus Patel]] (Hrsg.): ''Jenseits der Totalitarismustheorie? Nationalsozialismus und Stalinismus im Vergleich'' (= ''[[Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (1953)|Zeitschrift für Geschichtswissenschaft]].'' 57, 2009, Heft 12). |
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*[[Hannah Arendt]]: ''Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft'', München 1986 |
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* [[Ludwig Elm]]: ''Zum Beispiel DDR – totalitär und stalinistisch? Anmerkungen zu Herkunft und Differenzierung der Totalitarismus-Konzeption sowie ihrer erneuten politischen Instrumentalisierung.'' Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, Jena 2004, [https://th.rosalux.de/fileadmin/ls_thueringen/2004_Elm_Zum_Beispiel_DDR.pdf th.rosalux.de] (PDF; 183 kB). |
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*[[Franz Borkenau]]: The Totalitarian Enemy'', London 1940 |
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* [[Armin Pfahl-Traughber]]: ''Klassische Totalitarismuskonzepte auf dem Prüfstand – Darstellung und Kritik der Ansätze von Arendt, Friedrich, Popper und Voegelin.'' In: ''[[Jahrbuch Extremismus & Demokratie]].'' 16, 2004, S. 31–57. |
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*[[Alain Finkielkraut]]: ''Die Niederlage des Denkens'' Reinbek 1989 ISBN 3499124130 |
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* [[Karl Heinz Roth]]: ''Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie'' (= ''Konkret-Texte.'' Bd. 19). KVV-Konkret, Hamburg 1999, ISBN 3-930786-20-6. |
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*[[Carl J. Friedrich]]: ''Totalitäre Diktatur'', Stuttgart 1957 |
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* [[Wolfgang Wippermann]]: ''Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute.'' Primus, Darmstadt 1997, ISBN 3-89678-053-0. |
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*[[André Glucksmann]]: ''Die Meisterdenker'', Stuttgart München 1987 ISBN 3421063508 |
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*[[Eckhard Jesse]] (Hrsg.): ''Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung'', Bonn 1999 |
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*[[Václav Havel]]: ''Versuch, in der Wahrheit zu leben'', Reinbek 1989 |
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*[[Rolf Henrich]]: ''Der vormundschaftliche Staat'', Reinbek 1990 |
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*[[Konrad Löw]] (Hrsg.), Totalitarismus, 1993. |
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*[[Karl Popper]]: ''Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde'' ISBN 3161459512 (Band1) ISBN 3825217256 (Band 2) |
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*[[Karl Heinz Roth]]: ''Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie. KVV-Konkret. Hamburg, 1999 ([http://www.akweb.de/ak_s/ak441/02.htm Besprechung: Die neue Staatsdoktrin]) |
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*Bernd Weil: ''Faschismustheorien. Eine vergleichende Übersicht mit Bibliografie.'' Frankfurt am Main 1984 |
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*[[Gerd Wiegel]]: ''Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie.'' Köln 2001 |
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*[[Wolfgang Wippermann]]: ''Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute.'' Darmstadt 1997 |
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*[[Karl A. Wittfogel]]: ''Die orientalische Despotie'' Köln 1971 |
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*[[Ulrike Ackermann]]: ''Sündenfall der Intellektuellen'', Klett-Cotta 2000, ISBN 3-608-94278-5 |
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* Juan J. Linz: ''Totalitäre und autoritäre Regime'', Potsdamer Textbücher, Berlin 2000, ISBN 3-931703-43-6 |
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== Antitotalitäre literarische Werke in der Belletristik == |
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==Weblinks== |
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* [[Jewgeni Iwanowitsch Samjatin|Jewgeni Samjatin]], [[Wir (Roman)|Wir]], 1920. |
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* [[Aldous Huxley]], [[Schöne neue Welt]], 1932. |
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* [[Ayn Rand]], Anthem, 1938. Deutsch: Die Hymne des Menschen. Berlin 1999, ISBN 3-933631-06-8. |
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* [[Arthur Koestler]], The Zero and the Infinity, 1945. |
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* [[George Orwell]], [[Farm der Tiere]], 1945. |
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* George Orwell, [[1984 (Roman)|1984]], 1949. |
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* [[Ray Bradbury]], [[Fahrenheit 451]], 1953. |
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* [[William F. Nolan]] [[Logan’s Run]], 1967. |
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* [[Ira Levin]], Die sanften Ungeheuer, 1969. |
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* [[Margaret Atwood]], [[Der Report der Magd]], 1985. |
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* [[Alan Moore]] und [[David Lloyd (Comiczeichner)|David Lloyd]], [[V wie Vendetta (Comic)|V für Vendetta]], ab 1982. |
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== Weblinks == |
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*[http://www.bpb.de/popup_lemmata.html?guid=JOGNZB Definition in ''Das Politiklexikon''] |
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{{Commonscat|Totalitarianism|Totalitarismus}} |
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*[http://www.glasnost.de/autoren/habehrend/arendt.html Hanna Behrend: ''Überlegungen zu Hannah Arendts Totalitarismustheorie''] |
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{{Wikiquote}} |
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''' Kritik''' |
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{{Wiktionary}} |
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{{Wiktionary|totalitär}} |
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* {{Internetquelle |autor=Uwe Backes, Eckhard Jesse |url=http://www.extremismus.com/texte/total1.htm |titel=Totalitarismus und Totalitarismusforschung. Zur Renaissance einer lange tabuisierten Konzeption |werk=extremismus.com |datum=1992 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20080517070015/http://www.extremismus.com/texte/total1.htm |archiv-datum=2008-05-17 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Yehuda Bauer |url=http://www.zeit.de/2003/32/Essay_Bauer |titel=Der dritte Totalitarismus. Radikale Islamisten kämpfen um die Weltherrschaft |werk=zeit.de |datum=2003-07-31 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Hanna Behrend |url=http://www.glasnost.de/autoren/habehrend/arendt.html |titel=Überlegungen zu Hannah Arendts Totalitarismustheorie |werk=glasnost.de |datum=1996-05-10 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Sven Felix Kellerhoff |url=https://www.welt.de/print-welt/article91353/Die-Totalitarismustheorie-ist-gescheitert.html |titel=„Die Totalitarismustheorie ist gescheitert“. Der Dresdner Historiker Gerhard Besier über Hannah Arendt, ihr Erbe und aktuelle Zugänge zu den Diktaturen Europas |werk=welt.de |datum=2006-11-01 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Wolfgang Kraushaar |url=https://www.zeit.de/1998/09/Theorie_oder_Ideologie_ |titel=Theorie oder Ideologie? Zur umstrittenen Renaissance des Totalitarismusbegriffs |werk=zeit.de |datum=1998-02-20 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Gerhard Lozek |url=http://www.glasnost.de/autoren/lozek/total.html |titel=Totalitarismus – (k)ein Thema für die Linke? Die Totalitarismus-Auffassung in Geschichte und Gegenwart |werk=glasnost.de |datum=1995-03-28 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Clemens Vollnhals |url=http://www.bpb.de/apuz/29513/der-totalitarismusbegriff-im-wandel?p=all |titel=Der Totalitarismusbegriff im Wandel |werk=bpb.de |datum=2006-09-21 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Christoph Weckenbrock |url=https://www.endstation-rechts.de/news/die-totalitarismustheorie-anmerkungen-zu-geschichte-renaissance-und-potenzial-eines-kontroversen-1.html |titel=Die Totalitarismustheorie – Anmerkungen zu Geschichte, Renaissance und Potenzial eines kontroversen Forschungsansatzes |titelerg=(Teil 1) |werk=endstation-rechts.de |datum=2010-06-28 |abruf=2018-12-16}} |
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* {{Internetquelle |autor=Christoph Weckenbrock |url=https://www.endstation-rechts.de/news/die-totalitarismustheorie-anmerkungen-zu-geschichte-renaissance-und-potenzial-eines-kontroversen.html |titel=Die Totalitarismustheorie – Anmerkungen zu Geschichte, Renaissance und Potenzial eines kontroversen Forschungsansatzes |titelerg=(Teil 2) |werk=endstation-rechts.de |datum=2010-06-29 |abruf=2018-12-16}} |
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== Einzelnachweise == |
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''Siehe auch:'' [[Hannah-Arendt-Institut]], [[Totalitäre religiöse Gruppe]], [[Neuer Totalitarismus]], [[Faschismustheorien]] |
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Aktuelle Version vom 26. Januar 2025, 11:52 Uhr
Totalitarismus bezeichnet ein in der Forschung teilweise umstrittenes Konzept politischer Herrschaft mit einem uneingeschränkten Verfügungsanspruch über die Beherrschten, auch über die öffentlich-gesellschaftliche Sphäre hinaus in den persönlichen Bereich. Ihr Ziel ist die umfassende Durchsetzung ihres Wertesystems. Im Unterschied zu einer autoritären Diktatur strebt der Totalitarismus an, in alle sozialen Verhältnisse hineinzuwirken, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen. Insbesondere werden der italienische Faschismus (umstritten a), der Nationalsozialismus und der stalinistische Kommunismus als Prototypen totalitärer Regime eingeordnet.[1]
Die meisten Autoren beschreiben den Totalitarismus auf etwas andere Weise, jedoch herrscht Konsens, dass der Totalitarismus darauf abzielt, ganze Bevölkerungen zur Unterstützung einer offiziellen Parteiideologie zu mobilisieren, und dass er intolerant gegenüber Aktivitäten ist, die nicht auf die Ziele der Partei ausgerichtet sind, was Repressionen oder staatliche Kontrolle nach sich zieht. Gleichzeitig kritisierten viele Wissenschaftler mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund und ideologischen Positionen die Totalitarismustheorie.[2][3][4][5]
Begriffsgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff wurde 1923 von dem italienischen Liberalen Giovanni Amendola, einem Gegner und Opfer des Faschismus, geprägt.[6][7] Er bezeichnete das von Benito Mussolini, dem Diktator Italiens, geschaffene Herrschaftssystem des Faschismus als totalitäres System (sistema totalitario). Während die Antifaschisten damit zunächst vor einer absoluten und unkontrollierbaren Herrschaft warnen wollten, wurde der Begriff rasch von den Faschisten selbst übernommen und in ihrem Sinne positiv belegt. So beschrieb Benito Mussolini bereits 1925 in einer Rede im Mailänder Teatro alla Scala den Charakter des von ihm angestrebten totalen Staates wie folgt: Tutto nello Stato, niente al di fuori dello Stato, nulla contro lo Stato[8] („Alles im Staate, nichts außerhalb des Staates, nichts gegen den Staat“).
Der deutsche Schriftsteller und Publizist Ernst Jünger verherrlicht 1930 im Artikel Die totale Mobilmachung im Krieg und Krieger die Umrisse des Totalitarismus. Er feiert den Krieg und die moderne Technik als Vorboten einer neuen Ordnung. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurden die menschlichen und materiellen Kräfte der modernen Industriewelt in ihrer „Totalität“ mobilisiert, um die Kriegsanstrengungen zu bewältigen.[9][10]
In Deutschland sprach der rechtskonservative Staatsrechtler Carl Schmitt 1931 in seiner Schrift Der Hüter der Verfassung von einem „totalen Staat“, der die Vereinigung von Staat, Gesellschaft, Kultur und Religion bringen würde und dem die Zukunft gehöre[11], und sein Kollege Ernst Forsthoff veröffentlichte bald eine gleichnamige Monografie.[12] Unterdessen fand der Totalitarismusbegriff in Italien Eingang in die allgemeine innenpolitische Auseinandersetzung. So setzte etwa die katholische Volkspartei um Luigi Sturzo (1871–1959) unter Verwendung des Begriffs die Lager der Faschisten und Kommunisten gleich, da beide die parlamentarische Demokratie ablehnten.
Die französische Philosophin Simone Weil schrieb 1934:
„Es erscheint ziemlich klar, dass die heutige Menschheit ein wenig überall zu einer totalitären Form der sozialen Organisation tendiert, um den Begriff zu verwenden, den die Nationalsozialisten in Mode gebracht haben, d. h. zu einem Regime, in dem die Staatsmacht in allen Bereichen souverän entscheidet, sogar und vor allem im Bereich des Denkens.“[13]
Im November 1939 veranstaltete die American Philosophical Society ein erstes Symposium zum Totalitarian State, auf dem der US-amerikanische Historiker Carlton J. H. Hayes die historische Neuartigkeit des Totalitarismus gegenüber älteren Formen diktatorischer Herrschaft betonte. Franz Borkenau stellte 1940 in seinem Werk The Totalitarian Enemy eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und Bolschewismus vor.
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939–1945) wurde der Begriff ausschließlich mit negativer Konnotation verwandt. Unterschiedliche Publizisten verglichen Nationalsozialismus und Stalinismus und bezeichneten beide als totalitäre Regimes. Andere lehnten die Verwendung des Wortes Totalitarismus ohne tiefere Reflexion als Ausdruck des Kalten Krieges ab.
Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper versuchte 1945 zu zeigen, dass die Ideen, die wir heute totalitär nennen, einer platonischen Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung sei wie unsere Zivilisation selbst.[14]
Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus war der Schriftsteller George Orwell, der schon im Jahre 1949 in seinem Roman 1984 spätere Erkenntnisse anderer Publizisten auf fiktiver Ebene vorwegnahm. Laut Hannah Arendts 1951 publiziertem Buch The Origins of Totalitarianism ist die Rolle des Terrors das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System.
Der israelische Historiker Jacob Talmon (1916–1980) betonte in seinem 1955 publiziertem Buch, dass sich auch ein demokratischer Rechtsstaat zu einer „totalitären Demokratie“ entwickeln kann.[15]
In seinem 1968 publiziertem Buch hat der französische Soziologe Raymond Aron (1905–1983) fünf Kriterien für ein totalitäres Regime aufgestellt[16]:
- Ein Einparteienstaat, in dem eine Partei das Monopol auf alle politischen Aktivitäten hat.
- Eine von der herrschenden Partei vertretene Staatsideologie, die als einzige Autorität anerkannt wird.
- Ein staatliches Informationsmonopol, das die Massenmedien zur Verbreitung der offiziellen Wahrheit kontrolliert.
- Staatlich kontrollierte Wirtschaft mit großen Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle.
- Ideologischer Terror, der wirtschaftliche oder berufliche Handlungen zu Verbrechen macht. Wer dagegen verstößt, muss mit strafrechtlicher Verfolgung und ideologischer Verfolgung rechnen.
2003 prägte der Politikwissenschaftler Sheldon Wolin in einem Zeitungsartikel den Begriff Inverted Totalitarianism (deutsch: Umgekehrter Totalitarismus). In seiner Monografie Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism systematisierte er 2008 seine Darstellung.[17] Demnach ist mit dem Streben nach Superpower und dem Management von Demokratie in den USA eine postdemokratische Regierungstechnik entstanden sei, die Elemente der liberalen Demokratie, mit denen totalitärer politischer Systeme verbindet.[18]
Der deutsche Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge sagte 2007, der Machtanspruch des Neoliberalismus als dominante Ideologie des Kapitalismus sei total und universell. Aus dem homo sapiens werde ein homo oeconomicus.[19]
Wissenschaftler wie der syrisch-deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi (* 1944), vertreten seit Anfang der 2000er Jahre die These, dass islamistische Systeme und Bewegungen eine gegenwärtige Erscheinungsform totalitärer Herrschaftsansprüche darstellen.[20][21][22][23]
Der deutsche Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Eckhard Jesse grenzte in seinem 2008 publiziertem Buch den Totalitarismus einerseits vom demokratischen Verfassungsstaat ab, dessen Gegenteil er sei, andererseits von der autoritären Diktatur und allen älteren Formen des Autoritarismus.[24]
Begriff
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu den bekanntesten Kommentatoren des Totalitarismus gehören:
- Hannah Arendt[25]
- Raymond Aron
- Lawrence Aronsen
- Uwe Backes
- Franz Borkenau[25]
- Karl Dietrich Bracher
- Zbigniew Brzeziński[25]
- Robert Conquest
- Carl Joachim Friedrich[25]
- Leopold Labedz
- Walter Laqueur
- Claude Lefort
- Juan Linz
- Richard Löwenthal[25]
- Sigmund Neumann[25]
- Ernst Nolte
- Karl Popper[25]
- Richard Pipes
- Leonard Schapiro
- Adam Ulam
- Eric Voegelin[25]
Jeder von ihnen beschrieb den Totalitarismus auf etwas andere Weise, aber sie waren sich alle einig, dass der Totalitarismus darauf abzielt, ganze Bevölkerungen zur Unterstützung einer offiziellen Parteiideologie zu mobilisieren, und dass er intolerant gegenüber Aktivitäten ist, die nicht auf die Ziele der Partei ausgerichtet sind, was Repressionen oder staatliche Kontrolle der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der gemeinnützigen Organisationen, der religiösen Organisationen und der kleineren politischen Parteien nach sich zieht. Gleichzeitig kritisierten viele Wissenschaftler mit unterschiedlichem akademischen Hintergrund und ideologischen Positionen die Totalitarismustheoretiker. Zu den bekanntesten gehörten Louis Althusser, Benjamin Barber, Maurice Merleau-Ponty und Jean-Paul Sartre. Sie vertraten die Auffassung, dass der Totalitarismus mit westlichen Ideologien zusammenhängt und eher mit Bewertung als mit Analyse verbunden ist. Das Konzept wurde im antikommunistischen politischen Diskurs der westlichen Welt während der Zeit des Kalten Krieges zu einem wichtigen Instrument, um den Antifaschismus der Vorkriegszeit in einen Antikommunismus der Nachkriegszeit umzuwandeln.[2][3][4][5][26]
Die meistrezipierten Theoretiker des Totalitarismus sind Hannah Arendt, Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzeziński.[25]

Totalitarismus-Modelle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt verschiedene Versuche, totalitäre Systeme durch die Festlegung von Merkmalen zu bestimmen. Gemein ist diesen Totalitarismus-Modellen, dass sie totalitäre Systeme in Hinblick auf ihre Herrschaftsstrukturen definieren und analysieren. Im Fokus stehen also nicht die Ziele oder die Anzahl der Opfer totalitärer Diktaturen, sondern die Mechanismen der Herrschaft solcher Systeme. Die wichtigsten dieser Totalitarismus-Modelle werden im Folgenden dargestellt.
Totalitarismus-Modell von Friedrich/Brzeziński
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Die Politikwissenschaftler Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzeziński sahen in totalitären Regimen etwas grundsätzlich Neues. Die verschiedenen totalitären Systeme seien jedoch grundsätzlich gleichartig und untereinander vergleichbar. Das Wesen der totalitären Regime sei ihre Organisation und ihre Methoden zur Erreichung der totalen Kontrolle, nicht ihr Streben nach totaler Kontrolle. Dennoch habe man sich totalitäre Systeme nicht als statische Gebilde vorzustellen, da sie einer Evolution unterlägen. In ihrem 1956 erschienenen Werk Totalitarian Dictatorship and Autocracy definierten Friedrich und Brzeziński sechs konstitutive Merkmale totalitärer Systeme:
- eine offizielle Ideologie,[27] alle wichtigen Lebensbereiche umfassend, allgemeinverbindlich, auf Schaffung einer neuen Gesellschaft ausgerichtet, mit Wahrheitsanspruch und stark utopischen, z. T. religionsähnlichen Elementen.
- eine einzige, die gesamte formelle Macht innehabende, hierarchisch und oligarchisch organisierte Massenpartei (neuen Typs),[27] die in der Regel von einem Mann (dem Diktator) angeführt wird und die der staatlichen Bürokratie entweder übergeordnet oder mit ihr völlig verflochten ist. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung (bis 10 %) gehört der Partei aktiv an und eine aktive Minderheit innerhalb der Partei ist fanatisch der zugrunde liegenden Ideologie ergeben.
- ein physisches und/oder psychisches Terrorsystem: Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung, aber auch der Partei selbst, durch eine (Geheim-)Polizei.[27] Diese bekämpft nicht nur tatsächliche, sondern auch potenzielle Feinde.
- das nahezu vollständige Monopol der Massenkommunikationsmittel beim Staat.[27]
- das nahezu vollständige Monopol der Anwendung der Kampfwaffen beim Staat.[27]
- eine zentrale, bürokratisch koordinierte Überwachung und Lenkung der Wirtschaft.[27]
Friedrich und Brzeziński weisen weiterhin auf die zentrale Rolle des technischen Fortschritts hin, der die Merkmale 3–6 erst ermögliche.
Totalitarismus-Modell von Peter Graf Kielmansegg
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Der Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg kritisierte das Modell von Friedrich/Brzeziński, das seiner Meinung nach die Dynamik des sozialen Wandels innerhalb des Systems nicht erklären könne. Nach Kielmannsegg sind die entscheidenden Merkmale totalitärer Systeme:
- monopolistische Konzentration der Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse in einem Führungszentrum: Entscheidend sei hierbei nicht, dass die Führung wirklich alles selbst regelt, sondern dass sie prinzipiell die Möglichkeit hat, jede Entscheidung an sich zu ziehen, sowie die Entscheidungen, die außerhalb der Führung getroffen wurden, zu revidieren. Maßgeblich sei auch, dass die totalitäre Führung keiner Kontrollinstanz unterworfen ist.
- prinzipiell unbegrenzte Reichweite der Entscheidungen des politischen Systems: Hiermit ist die Eingriffskompetenz des politischen Systems in prinzipiell alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gemeint.
- prinzipiell unbeschränkte Freiheit, Sanktionen zu verhängen: Entscheidend sei das zur Verfügung stehende Sanktionsinstrumentarium und die Verfügungsfreiheit über diese Instrumente. Terror sei nur eines der möglichen Instrumente. Als weitere werden beispielsweise die Bestimmung über Bildungs-, Berufs- und Kommunikationschancen sowie über die Chancen materieller Befriedigung genannt.
Nach Kielmansegg zieht die Inanspruchnahme von Entscheidungsgewalt unbegrenzter Reichweite (2) die obige Struktur nach sich. Dieser Punkt sei also als Beginn der Entstehung totalitärer Systeme zu sehen. Sobald das Herrschaftsmonopol erst einmal etabliert sei, werde die Sicherung des Monopols (Machterhalt) zum Selbstzweck des Monopols. Nach Kielmansegg besteht also in totalitären Systemen ein Vorrang der Sicherung des Entscheidungsmonopols vor allen ideologischen Herrschaftszielen. Ideologie und Massenpartei hätten lediglich die Aufgabe, zu motivieren, zu kontrollieren und Legitimation zu verschaffen.
Totalitarismus-Modell von Hannah Arendt
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Laut Hannah Arendt ist die Rolle des Terrors das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System. In ihrer 1951 zunächst in englischer Sprache erschienenen umfangreichen Untersuchung The Origins of Totalitarianism, die 1955 in Frankfurt am Main als Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft herausgebracht wurde, heißt es:
„Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.“[28]
Als weitere Kriterien der totalitären Herrschaft nennt sie: den Willen zur Weltherrschaft, fanatisierte Massenbewegungen auf der Grundlage des Führerprinzips, millionenfache Morde im Namen einer „neuen“ gesetzmäßigen Ordnung, das heißt die Umdeutung und Manipulation der Moral, sowie die Verknüpfung mit einer Ideologie und die totalitäre Propaganda.
Arendt bezeichnete lediglich den Nationalsozialismus und den Stalinismus als totalitäre Herrschaftssysteme. Andere Ausprägungen politischer Unterdrückung, beispielsweise in Kriegszeiten, betrachtete sie seit der Antike als Diktaturen bzw. als Systeme der Tyrannis. Hierfür liefert sie eine Fülle von Beispielen. Unter anderem kennzeichnete sie den Faschismus Benito Mussolinis und die Sowjetunion nach Stalins Tod sowie ihre „Satellitenstaaten“ als nicht totalitäre Diktaturen. Sie äußerte die Sorge, dass in Zukunft wiederum mit totalitären Gesellschaftsformen zu rechnen sei.
Totalitarismus-Modell von Karl Popper
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Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper (1902–1994) versuchte zu zeigen, dass sich die menschliche Zivilisation noch immer nicht von ihrem Geburtstrauma erholt hat – vom Trauma (seelische Verletzung) des Übergangs aus der Stammes- oder „geschlossenen“ Gesellschaftsordnung, die magischen Kräften unterworfen ist, zur 'offenen' Gesellschaftsordnung[29], die die kritischen Fähigkeiten des Menschen in Freiheit setze. Der Schock dieses Übergangs sei einer der Faktoren, die den Aufstieg jener reaktionären Bewegungen ermöglichten, die auf den Sturz der Zivilisation und auf die Rückkehr zur Stammesgebundenheit hingearbeitet haben und noch hinarbeiten. Damit sei angedeutet, dass die Ideen, die wir heute totalitär nennen, einer Tradition angehören, die ebenso alt oder ebenso jung sei wie unsere Zivilisation selbst.
Totalitarismus-Modell von Wolfgang Merkel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der deutsche Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel definiert in seinem Buch Systemtransformation[30] folgende Typen totalitärer Regime:
Kommunistisch-totalitäre Regime
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Merkmale:
- Herrschaftszugang völlig ausgeschlossen
- Kommunistische Partei (KP) hat per Verfassung die ausschließlich führende Rolle
- monistische Herrschaftsstruktur, kein Pluralismus, auch nicht in Ansätzen
- jegliche Opposition und Abweichung wird mit Repression und Terror bis hin zur physischen Vernichtung bekämpft
- eigentlich eine Führerdiktatur, die mithilfe der KP und der Ideologie des Marxismus-Leninismus den totalen Herrschaftsanspruch in der Realität umsetzt
- ein KP-Generalsekretär konzentriert die gesamte Staats- und Parteimacht in seinen Händen
- kann in bestimmten Phasen sultanistisch-totalitäre Züge annehmen
Beispiele:
- Sowjetunion unter Stalin (1929–1953)
- VR China unter Mao Zedong (1949–1976)
- Kambodscha unter Pol Pot (1975–1979)
- Nordkorea (1948 bis heute)
- Albanien unter Enver Hoxha (1946–1985)
- Rumänien unter Nicolae Ceaușescu (1974–1990)
Faschistisch-totalitäre Regime
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Merkmale:
- Herrschaftszugang völlig ausgeschlossen
- monistische Herrschaftsstruktur
- Terror zur Durchsetzung des totalen Herrschaftsanspruches
Beispiele:
- einziges Beispiel ist der Nationalsozialismus in Deutschland (1938–1945)
Theokratisch-totalitäre Regime
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Merkmale:
- Kontrolle und Reglementierung bis in die Intimsphäre der Bürger
- Instrumentalisierung einer Religion als allumfassende, politische Legitimationsideologie
- kapillares Organisationssystem
- kapitalistisches Wirtschaftssystem bleibt unangetastet
Beispiele:
- in der Realität noch niemals vollständig verwirklicht worden
Beispiele totalitärer Regime
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gegenwart
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Je nach Totalitarismus-Modell werden unterschiedliche Staaten als totalitär bezeichnet. Beispiele für häufig genannte aktuelle Regime sind:
- Nordkorea, seit 1948
- Iran, seit 1979[31]
- Turkmenistan, seit 1991
- Eritrea, seit 1997
- China, seit ~2016[32] (China wurde in der Vergangenheit schon einmal totalitär regiert, siehe Text unten.)
- Afghanistan, seit 2021[33] (Afghanistan wurde 1996/1997–2001 schon einmal totalitär regiert.)
Vergangenheit
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Beispiele für häufig genannte Regime der Vergangenheit sind:
- Deutsches Reich zur Zeit des Nationalsozialismus
- Sowjetunion und deren Satellitenstaaten im Ostblock zur Zeit des Stalinismus
- Volksrepublik China unter Mao Zedong (im Besonderen während der Kulturrevolution)
Ebenfalls als totalitär gilt Kambodscha unter den Roten Khmer.
Umstritten ist in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die DDR angewendet werden kann. Eckhard Jesse wandte das Konzept von Juan José Linz, der anhand verschiedener Merkmale totalitäre Diktaturen von autoritären unterscheidet, auf die DDR an. Er kam zu dem Schluss, dass die DDR unter Walter Ulbricht als totalitär bezeichnet werden kann. Unter Erich Honecker habe die DDR aufgrund der abnehmenden Ideologisierung selbst innerhalb der SED sowie der abnehmenden Mobilisierung der Bevölkerung diesen Charakter zunehmend verloren und sich zu einem autoritären System entwickelt.[34] Klaus Schroeder kennzeichnet in seiner Monografie Der SED-Staat die DDR als „(spät-)totalitären Überwachungs- und Versorgungsstaat“.[35]
Ebenso umstritten ist die Einordnung des Nationalsozialismus als totalitär, da die Wirtschaft über eine gewisse Autonomie verfügte, welche zwar aufgrund des Krieges eingeschränkt wurde, dies aber nicht Kennzeichen des Systems, sondern eine Erscheinung des Kriegszustandes war. Außerdem ist die teleologische Rassentheorie nicht so allumgreifend, wie es bspw. der Stalinismus war.[36]
Kritik am Konzept
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von sozialistischen Historikern wurde die Totalitarismustheorie kritisiert und gelegentlich als „Totalitarismusdoktrin“ bezeichnet. Sie sei ein ideologisches Konstrukt des Kalten Krieges, das die Länder des real existierenden Sozialismus diffamieren sollte. Gemäß dieser Auffassung sei der Nationalsozialismus nicht mit sozialistischen Systemen, welcher Art auch immer zu vergleichen. Das Totalitarismus-Konzept erfasse nicht die Ziele und Inhalte politischer Systeme sowie die Motivation politisch Handelnder, sondern lediglich die äußeren Formen wie Unterdrückung und Verfolgung politischer oder anderer Gruppen. Eine Reihe gemeinsamer Merkmale, wie Einheitspartei, umfassender Machtapparat, Kommunikationsmonopol, Führerkult und Terror reiche demnach nicht aus, um Regierungen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung als totalitär zu bezeichnen.
Kritiker des Totalitarismus-Konzepts sehen die Gefahr einer Gleichsetzung von Stalinismus und Nationalsozialismus. Jeder Vergleich von Struktur und Praxis führe unvermeidlich zu Relativierungen. So werde der Holocaust zu einem Verbrechen unter anderen gemacht. Damit finde auch unter den Bekundungen einer so betriebenen Historisierung des Holocaust, z. B. durch die sogenannten „Massakervergleiche“, die den antisemitischen Kern von Auschwitz nicht berücksichtigten, eine Umdeutung der deutschen Geschichte statt.[37]
Dem wird entgegengehalten, dass die historische Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen nicht bedeuten könne, dass politische Strukturen und Praktiken nicht miteinander verglichen werden dürfen.[38] Ein Vergleich von Systemen und ihrer Verbrechen stelle keine Gleichsetzung der verglichenen Systeme oder deren Verbrechen dar. Unabhängig von der Unterschiedlichkeit der Ideologien der untersuchten Systeme und dem Ausmaß der von ihnen verschuldeten Opfer bringe die Totalitarismusforschung Erkenntnisfortschritt in Bezug auf die Herrschaftsstrukturen und -mechanismen totalitärer Diktaturen. Ihre Verurteilung als Konstrukt des Kalten Krieges übersehe überdies, dass ihre Begrifflichkeit und Grundaussagen bereits seit den späten dreißiger Jahren ausgebildet waren und politisch-plakative Inanspruchnahme der Theorie generell nichts über ihre wissenschaftliche Berechtigung aussagen könne.[39]
Da die Totalitarismus-Modelle sich auf die Herrschaftsform der untersuchten Regime konzentrieren und alle anderen Aspekte ausblenden, wird der Ansatz als „strukturanalytisch defizitäre Form des Systemvergleichs“ kritisiert.[40] In der Politikwissenschaft werden die Totalitarismusmodelle inzwischen durch Konzepte wie das der Politischen Religion ergänzt, um beispielsweise auch die Motivation und Mobilisierung innerhalb totalitärer Systeme zu erklären.[41]
Weitere Totalitarismus-Begriffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Invertierter Totalitarismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2003 prägte der Politikwissenschaftler Sheldon Wolin in einem Zeitungsartikel den Begriff Inverted Totalitarianism (deutsch: Umgekehrter Totalitarismus).[42] In seiner Monografie Democracy Incorporated: Managed Democracy and the Specter of Inverted Totalitarianism systematisierte er 2008 seine Darstellung und erhielt dafür im selben Jahr den Lannan Literary Award in der Kategorie „Ein besonders bemerkenswertes Buch“.[17]
Die These dieses Werkes ist, dass am Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Streben nach dem Status einer „Superpower“ und mit dem „Management von Demokratie“ in den USA eine „postdemokratische Regierungstechnik“ entstanden sei. In dieser verbänden sich Elemente der liberalen Demokratie mit denen totalitärer politischer Systeme. Den zentralen Unterschied zum klassischen Totalitarismus sieht Wolin darin, dass der Nationalsozialismus ein „Mobilisierungsregime“ gewesen sei, das die Massen zur aktiven Beteiligung an der politischen Bewegung motivieren wollte. Dagegen setze der invertierte Totalitarismus auf eine weitreichende Entpolitisierung der Bevölkerung. Außerdem beruhe die postmoderne Form totaler Herrschaft auf „weicheren“, kaum wahrnehmbaren Unterdrückungsmechanismen. Auch eine starke Führungspersönlichkeit sei in dieser Regierungsform verzichtbar.[43]
Ökonomischer Totalitarismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Christoph Butterwegge konstatiert, der Machtanspruch des Neoliberalismus als dominante Ideologie des Kapitalismus sei total und universell. „Total durch den Anspruch an eine umfassende Entpolitisierung des Gesellschaftlichen und universell im Hinblick auf seinen globalen Geltungsanspruch.“ Langfristig setze der Neoliberalismus die Marktgesellschaft durch.[44] Im Widerspruch zur Neoklassik dehne er das Kosten-Nutzen-Kalkül auf alle Bereiche des menschlichen Verhaltens aus (ökonomischer Imperialismus, Gary Becker), besonders auffällig im Public-Choice-Ansatz. Aus dem homo sapiens werde ein homo oeconomicus.[19]
Norbert Blüm urteilt: „Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht. Aus Marktwirtschaft, also ein Segment, soll Marktgesellschaft werden. Das ist der neue Imperialismus. Er erobert nicht mehr neue Gebiete, sondern macht sich auf Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein Besatzungsregime verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt Zentralen der inneren Steuerung des Menschen.“[45]
Für den Bereich der Bildungspolitik und Bildungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland wird diese Auffassung von Matthias Burchardt vertreten.
Jon Kofas betrachtet 2019 es als Widerspruch des Neoliberalismus, dass er Freiheit und Emanzipation fördere, aber in der Praxis ein totalitäres System sei, „das darauf abzielt, die Gesellschaft und den Einzelnen in Übereinstimmung mit seinem dogmatischen Marktfundamentalismus zu bringen.“[46]
Totalitärer Überwachungskapitalismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Susanna Zuboff (* 1951) vertritt die These, der moderne Kapitalismus entwickele totalitäre Züge in Form der totalen Überwachung auch der Privatsphäre. Diese Überwachung besetze sogar die Nischen, die in bisherigen totalitären Systemen noch frei, weil unkontrollierbar, geblieben seien. In dieser Form der Kontrolle und Steuerung setzen Unternehmen, so Zuboff, ihre Profitinteressen durch.[47]
Digitaler Totalitarismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kritiker der neuen, bisher nicht gekannten Macht der Internetkonzerne sprechen von einem „digitalen Totalitarismus“ (auch Totalitarismus 2.0, technologischer Totalitarismus oder Techno-Totalitarismus genannt).[48] So warnt Max Tegmark davor, dass wir auf dem besten Weg sind, die erforderlichen digitalen Infrastrukturen für eine totalitäre endgültige Diktatur zu schaffen, die er Totalitarismus 2.0 nennt. Ausreichend starke Kräfte müssten nur noch den Einschaltknopf drücken. Die Macht liege nicht in den Händen eines herkömmlichen Diktators, sondern in einem bürokratischen System, das im Gegensatz zu herkömmlichen totalitären Diktaturen als gesichts- und führerloses System einige Jahrtausende Bestand haben könne.[49] Laut Žarko Paić droht die Demokratie von einer Kontrollgesellschaft im Sinne von Gilles Deleuze abgelöst zu werden, in der transnationale Konzerne zum wissenschaftlich-technischen Management der Gesellschaft übergehen und dafür nicht durch Menschen, sondern mittels Maschinen eine Totale Kontrolle über die Bürger errichten.[50] Zu den weiteren neuen Technologien, die künftige totalitäre Regime stärken könnten, gehörten das Auslesen von Gehirnen, die Verfolgung von Kontakten und verschiedene Anwendungen der künstlichen Intelligenz.[51][52][53] Andere Studien versuchen, moderne technologische Veränderungen mit Totalitarismus in Verbindung zu bringen. Shoshana Zuboff zufolge treibt der wirtschaftliche Druck des modernen Überwachungskapitalismus die Intensivierung der Online-Verbindung und -Überwachung voran, wobei Räume des sozialen Lebens für die Sättigung durch Unternehmensakteure offen werden, die auf die Erzielung von Profit und/oder die Regulierung von Handlungen abzielen.[54] Mustafa Suleyman, der die KI-Grundsätze von Google entwarf, befürchtet, dass in einer Welt, in der Künstliche Intelligenz für jedermann zugänglich wird, verbunden mit preiswerten DNA-Synthesizern zur Herstellung von tödlichen Viren und 3D-Druckern, die Schwärme bewaffneter Drohnen herstellen können, es nur einer Katastrophe bedarf, um den Ruf nach totaler Kontrolle laut werden zu lassen und ein globales High-Tech-Panoptikum und damit ein neuer Totalitarismus Realität werden könnte. Er erinnert daran, dass gesellschaftsweite Lockdowns in der Pandemie noch wenige Wochen zuvor undenkbar gewesen wären.[55]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Einparteiensystem
- Polizeistaat, Staatsterror
- Überwachungsstaat
- Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Klassiker der Totalitarismus-Theorie
- Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus. Imperialismus, Totalitarismus (The origins of totalitarianism. Schocken, New York 1951). 4. Auflage. Piper, München 1995, ISBN 3-492-11032-0.
- Franz Borkenau: The Totalitarian Enemy. Faber & Faber, London 1940, DNB 579233960.
- Karl Dietrich Bracher: Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie. Piper, München 1976, ISBN 3-492-00442-3.
- Carl Joachim Friedrich, Zbigniew Brzeziński: Totalitäre Diktatur (Totalitarianism dictatorship and autocracy. Harvard University Press, Cambridge 1956). Kohlhammer, Stuttgart 1957, DNB 451377079.
- Aleksander Hertz: Skizzen über den Totalitarismus. Hrsg. und eingeleitet von Torsten Lorenz und Katarzyna Stokłosa. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 3-525-31024-2.
- Peter Graf Kielmansegg: Krise der Totalitarismustheorie? In: Zeitschrift für Politik. 21, 1974, Heft 4, S. 311–326.
- Juan José Linz: Totalitäre und autoritäre Regime (Totalitarian and Authoritarian Regimes. Addison-Wesley, Reading 1975). Hrsg. und übersetzt von Raimund Krämer. 3. Auflage. WeltTrends, Potsdam 2009, ISBN 3-941880-00-4.
- Richard Löwenthal: Faschismus – Bolschewismus – Totalitarismus. Schriften zur modernen Weltanschauungsdiktatur im 20. Jahrhundert. Hrsg. und eingeleitet von Mike Schmeitzner. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 3-525-32600-9.
- Sigmund Neumann: Permanente Revolution. Totalitarismus im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs („Permanent Revolution.“ Harper & Brothers, New York 1942). Hrsg. und eingeleitet von Gerhard Besier und Ronald Lambrecht. Lit, Berlin/Münster 2013, ISBN 3-643-12046-X.
- Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (The open society and its enemies. Routledge, London 1945). 2 Bände. 8. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 2003.
- Der Zauber Platons. ISBN 3-16-147801-0.
- Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. ISBN 3-16-147802-9.
- Luigi Sturzo: Über italienischen Faschismus und Totalitarismus. Hrsg. und eingeleitet von Uwe Backes und Günther Heydemann. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, ISBN 3-525-31050-1.
- Jacob Talmon: Die Geschichte der totalitären Demokratie (The Origins of Totalitarian Democracy. Secker & Warburg, London 1952–1981). 3 Bände. Hrsg. und eingeleitet von Uwe Backes. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 3-525-31012-9.
Darstellungen zur Totalitarismus-Theorie und zu Totalitarismus-Modellen
- Uwe Backes: Totalitarismus – auf der Suche nach einem definitorischen Minimum. In: FORUM für osteuropäische Zeit- und Ideengeschichte. 17, 2013, Heft 1, S. 45–64.
- Uwe Backes: Was heißt Totalitarismus? Zur Herrschaftscharakteristik eines extremen Autokratie-Typs. In: Katarzyna Stokłosa, Andrea Strübind (Hrsg.): Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 3-525-35089-9, S. 609–625, hait.tu-dresden.de (PDF; 294 kB).
- Lothar Fritze: Anatomie des totalitären Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich. Olzog, München 2012, ISBN 3-7892-8324-X.
- Abbott Gleason: Totalitarianism. The Inner History Of The Cold War. Oxford University Press, New York 1998, OCLC 229907011.
- Jens Hacke: „Volksgemeinschaft der Gleichgesinnten“. Liberale Faschismusanalysen und die Wurzeln der Totalitarismustheorie. In: Mittelweg 36. 23, 2014, Heft 4, S. 53–73.
- Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Totalitarismus. Sechs Vorträge über Gehalt und Reichweite eines klassischen Konzepts der Diktaturforschung. HAIT, Dresden 1999, hait.tu-dresden.de (PDF; 796 kB).
- Klaus Hildebrand: Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 59). Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56748-9, historischeskolleg.de (PDF; 6,7 MB).
- Martin Jänicke: Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffes. Duncker & Humblot, Berlin 1971, ISBN 3-428-02448-6.
- Eckhard Jesse (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung. Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-5954-4.
- Árpád von Klimó, Malte Rolf (Hrsg.): Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen. Campus, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-38206-7.
- Gerhard Lozek: Totalitarismus – (k)ein Tehema für die Linke? (= Pankower Vorträge Bd. 1). Helle Panke. Berlin, 1997 (2. Aufl.).
- Konrad Löw (Hrsg.): Totalitarismus. Duncker & Humblot, Berlin 1993, ISBN 3-428-07664-8.
- Hans Maier (Hrsg.): „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Konzepte des Diktaturvergleichs. 3 Bände. Schöningh, Paderborn 1996–2003, ISBN 3-506-76825-5.
- Wolfgang Merkel: Totalitäre Regimes. In: Totalitarismus und Demokratie. 1, 2004, Heft 2, S. 183–201, hait.tu-dresden.de (PDF; 166 kB).
- Robert Christian van Ooyen: Totalitarismustheorie gegen Kelsen und Schmitt. Eric Voegelins „politische Religionen“ als Kritik an Rechtspositivismus und politischer Theologie. In: Zeitschrift für Politik. 49, 2002, Heft 1, S. 56–82.
- Richard Overy: Die Diktatoren. Hitlers Deutschland, Stalins Rußland. Aus dem Englischen übersetzt von Udo Rennert und Karl Heinz Siber. DVA, München 2005, ISBN 3-421-05466-5.
- Bruce F. Pauley: Hitler, Stalin, and Mussolini. Totalitarianism in the Twentieth Century. 4. Auflage. Wiley-Blackwell, Oxford 2014, ISBN 1-118-76592-3.
- Lars Rensmann: Totalitarismus. In: Gerhard Göhler, Matthias Iser, Ina Kerner (Hrsg.): Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung. VS Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-8252-2594-1, S. 367–384.
- Frank Schale, Ellen Thümmler (Hrsg.): Den totalitären Staat denken. Nomos, Baden-Baden 2015, ISBN 3-8487-1640-2.
- Walter Schlangen: Die Totalitarismus-Theorie. Entwicklung und Probleme. Kohlhammer, Stuttgart 1976, ISBN 3-17-002776-X.
- Mike Schmeitzner (Hrsg.): Totalitarismuskritik von links. Deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 34). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-36910-4.
- Bruno Seidel, Siegfried Jenkner (Hrsg.): Wege der Totalitarismus-Forschung. WBG, Darmstadt 1968, DNB 458589039.
- Hans Otto Seitschek: Politischer Messianismus. Totalitarismuskritik und philosophische Geschichtsschreibung im Anschluß an Jacob Leib Talmon (= Politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Bd. 26). Schöningh, Paderborn 2005, ISBN 3-506-72929-2.
- Achim Siegel (Hrsg.): Totalitarismustheorien nach dem Ende des Kommunismus (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 7). Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1998, ISBN 3-412-04498-9.
- Alfons Söllner: Totalitarismus – eine notwendige Denkfigur des 20. Jahrhunderts? Fünf historische Stationen des Totalitarismusbegriffs (= Philosophische Gespräche. Bd. 39). Helle Panke. Berlin, 2015, DNB 1078000972.
- Alfons Söllner, Ralf Walkenhaus, Karin Wieland (Hrsg.): Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Akademie, Berlin 1997, ISBN 3-05-003122-0.
- Guido Thiemeyer: Totalitarismus und Kalter Krieg (1920–1970). Kohlhammer, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-034426-6.
- Clemens Vollnhals: Der Totalitarismusbegriff im Wandel des 20. Jahrhunderts. In: Bohemia. 49, 2009, Heft 2, S. 385–398, bohemia-online.de (PDF; 584 kB)
Kritik an der Totalitarismus-Theorie und an Totalitarismus-Modellen
- Jörg Baberowski, Kiran Klaus Patel (Hrsg.): Jenseits der Totalitarismustheorie? Nationalsozialismus und Stalinismus im Vergleich (= Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 57, 2009, Heft 12).
- Ludwig Elm: Zum Beispiel DDR – totalitär und stalinistisch? Anmerkungen zu Herkunft und Differenzierung der Totalitarismus-Konzeption sowie ihrer erneuten politischen Instrumentalisierung. Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, Jena 2004, th.rosalux.de (PDF; 183 kB).
- Armin Pfahl-Traughber: Klassische Totalitarismuskonzepte auf dem Prüfstand – Darstellung und Kritik der Ansätze von Arendt, Friedrich, Popper und Voegelin. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie. 16, 2004, S. 31–57.
- Karl Heinz Roth: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie (= Konkret-Texte. Bd. 19). KVV-Konkret, Hamburg 1999, ISBN 3-930786-20-6.
- Wolfgang Wippermann: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. Primus, Darmstadt 1997, ISBN 3-89678-053-0.
Antitotalitäre literarische Werke in der Belletristik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jewgeni Samjatin, Wir, 1920.
- Aldous Huxley, Schöne neue Welt, 1932.
- Ayn Rand, Anthem, 1938. Deutsch: Die Hymne des Menschen. Berlin 1999, ISBN 3-933631-06-8.
- Arthur Koestler, The Zero and the Infinity, 1945.
- George Orwell, Farm der Tiere, 1945.
- George Orwell, 1984, 1949.
- Ray Bradbury, Fahrenheit 451, 1953.
- William F. Nolan Logan’s Run, 1967.
- Ira Levin, Die sanften Ungeheuer, 1969.
- Margaret Atwood, Der Report der Magd, 1985.
- Alan Moore und David Lloyd, V für Vendetta, ab 1982.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Uwe Backes, Eckhard Jesse: Totalitarismus und Totalitarismusforschung. Zur Renaissance einer lange tabuisierten Konzeption. In: extremismus.com. 1992, archiviert vom am 17. Mai 2008; abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Yehuda Bauer: Der dritte Totalitarismus. Radikale Islamisten kämpfen um die Weltherrschaft. In: zeit.de. 31. Juli 2003, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Hanna Behrend: Überlegungen zu Hannah Arendts Totalitarismustheorie. In: glasnost.de. 10. Mai 1996, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Sven Felix Kellerhoff: „Die Totalitarismustheorie ist gescheitert“. Der Dresdner Historiker Gerhard Besier über Hannah Arendt, ihr Erbe und aktuelle Zugänge zu den Diktaturen Europas. In: welt.de. 1. November 2006, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Wolfgang Kraushaar: Theorie oder Ideologie? Zur umstrittenen Renaissance des Totalitarismusbegriffs. In: zeit.de. 20. Februar 1998, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Gerhard Lozek: Totalitarismus – (k)ein Thema für die Linke? Die Totalitarismus-Auffassung in Geschichte und Gegenwart. In: glasnost.de. 28. März 1995, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Clemens Vollnhals: Der Totalitarismusbegriff im Wandel. In: bpb.de. 21. September 2006, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Christoph Weckenbrock: Die Totalitarismustheorie – Anmerkungen zu Geschichte, Renaissance und Potenzial eines kontroversen Forschungsansatzes. (Teil 1). In: endstation-rechts.de. 28. Juni 2010, abgerufen am 16. Dezember 2018.
- Christoph Weckenbrock: Die Totalitarismustheorie – Anmerkungen zu Geschichte, Renaissance und Potenzial eines kontroversen Forschungsansatzes. (Teil 2). In: endstation-rechts.de. 29. Juni 2010, abgerufen am 16. Dezember 2018.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Otto Stammer: Politische Soziologie – Zuverlässigkeit. In: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie. Band 3. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt (am Main) 1972, ISBN 3-436-01438-9, Totalitarismus, S. 862–864.
- ↑ a b Nicholas Guilhot: The Democracy Makers: Human Rights and International Order (hardcover ed.). Columbia University Press (New York), New York City 2005, ISBN 0-231-13124-0, S. 33 (englisch, Texturfassung en-WP 01.2023).
- ↑ a b George Reisch: A.How the Cold War Transformed Philosophy of Science: To the Icy Slopes of Logic. Cambridge University Press., New York City 2005, ISBN 0-521-54689-3, S. 153–154. (englisch, Texturfassung en-WP 01.2023).
- ↑ a b David Caute: Politics and the Novel during the Cold War. Transaction Publishers, 2010, ISBN 978-1-4128-3136-9, S. 95–99 (englisch, Texturfassung en-WP 01.2023).
- ↑ a b David Caute: Politics and the Novel during the Cold War. In: books.google.de. Transaction Publishers., 2010, abgerufen am 2. August 2022 (englisch, ISBN 978-1-4128-3136-9. Kommentar von Seite 95–99.).
- ↑ In seinem Artikel Maggioranza e minoranza (Mehrheit und Minderheit), der am 12. Mai 1923 in der Tageszeitung Il Mondo erschienen ist, bezeichnete Giovanni Amendola den Faschismus erstmals als sistema totalitario, das „absolute und unkontrollierte Herrschaft“ anstrebe. Zitiert nach Jens Petersen: Die Geschichte des Totalitarismusbegriffs in Italien. In: Hans Maier (Hrsg.): Totalitarismus und Politische Religionen. Paderborn 1996, S. 15–35, hier S. 20.
- ↑ Richard Wolin: Ce qui rattache les fascismes et le communisme à la modernité. In: Raisons politiques. Band 5, Februar 2002, S. 95 (französisch).
- ↑ Benito Mussolini: Per la medaglia dei benemeriti del comune die Milano. In: Opera Omnia. Band 21, S. 425.
- ↑ Ernst Jünger: Die totale Mobilmachung, in: Krieg und Krieger. Junker und Dünnhaupt, Berlin 1930, S. 9–30.
- ↑ Ernst Jünger: La mobilisation totale. In: Recherches. Nr. 32-33,, 1978 (französisch).
- ↑ siehe bei Roman Parkhomenko: Cassirers politische Philosophie : Zwischen allgemeiner Kulturtheorie und Totalitarismus-Debatte. KIT Scientific Publishing, Karlsruhe 2016, ISBN 978-2-8218-7755-9, S. 9 ff.
- ↑ Ernst Forsthoff: Der totale Staat. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1933.
- ↑ Gallimard, Folio Essais, (Hrsg.): Réflexions sur les causes de la liberté et de l'oppression sociale. 1955, S. 138 (französisch, Il apparaît assez clairement que l'humanité contemporaine tend un peu partout à une forme totalitaire d'organisation sociale, pour employer le terme que les nationaux-socialistes ont mis à la mode, c'est-à-dire à un régime où le pouvoir d'État déciderait souverainement dans tous les domaines, même et surtout dans le domaine de la pensée.).
- ↑ Karl R. Popper: The Open Society and Its Enemies. Teil 1: The Spell of Plato. (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde). Routledge, London 1945 (englisch).
- ↑ Jacob Talmon: The Origins of Totalitarian Democracy. Secker & Warburg, London 1955 (englisch).
- ↑ Raymond Aron: Democracy and Totalitarianism. Littlehampton Book Services, 1968, ISBN 0-297-00252-X.
- ↑ a b Prizes, Awards & Fellowships. Abgerufen am 26. Juli 2024 (englisch).
- ↑ Darstellung nach Claudia Ritzi: Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit : Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 85 ff.
- ↑ a b Christoph Butterwegge: Kritik des Neoliberalismus. Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-531-15185-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Bassam Tibi: Der neue Totalitarismus. ‚Heiliger Krieg’ und westliche Sicherheit. Primus Verlag, Darmstadt 2004.
- ↑ Wahied Wahdat-Hagh: Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus. Lit-Verlag, Münster/Hamburg/Berlin 2003.
- ↑ Johannes Urban: Die Bekämpfung des Internationalen Islamistischen Terrorismus. VS Verlag, Wiesbaden 2006, insbesondere S. 24 ff.
- ↑ Thomas Vollmer: Der militante Islamismus als neuer Totalitarismus. Dschihadistischer Terrorismus und westliche Sicherheitsarchitektur. VDM Verlag, Saarbrücken 2007.
- ↑ Eckhard Jesse: Diktaturen in Deutschland. Diagnosen und Analysen. Nomos, Baden-Baden 2008, ISBN 978-3-8329-3679-2, S. 11.
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- ↑ Achim Siegel: The Totalitarian Paradigm After the End of Communism: Towards a Theoretical Reassessment (hardback ed.). Rodopi, Amsterdam: 1998, ISBN 90-420-0552-1, S. 200 (englisch, Texturfassung en-WP 01.2023).
- ↑ a b c d e f Giovanni Sartori: Demokratietheorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, ISBN 3-534-11493-0, 7.4 Totalitarismus, S. 197 (Sartori bei den ersten fünf Punkten nach Friedrich: Totalitarism 1954, beim sechsten Punkt nach Friedrich und Brzezinski: Totalitarian Dictatorship and Autocracy 1956).
- ↑ Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 1986, S. 958.
- ↑ Karl R. Popper: The Open Society and Its Enemies. Teil 1: The Spell of Plato. (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde). Routledge, London 1945 (englisch, Texturfassung en-WP 01.2023).
- ↑ Wolfgang Merkel Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17201-9, S. 52–55.
- ↑ Wahied Wahdat-Hagh: Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus
- ↑ China invents the digital totalitarian state In: The Economist, 17. Dezember 2017. Abgerufen im 14. September 2018 (englisch).
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- ↑ Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR. Hanser, München 1998, ISBN 3-446-19311-1, S. 619 f.
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- ↑ so etwa: Hans Joachim Lieber: Zur Theorie totalitärer Herrschaft. In: Hans-Joachim Lieber (Hrsg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn 1991, S. 881–931, hier S. 883 und S. 926–931.
- ↑ Everhard Holtmann (Hrsg.), Politik Lexikon, 3. Auflage 2000, S. 690.
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- ↑ Darstellung nach Claudia Ritzi: Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit : Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 85 ff.
- ↑ Christoph Butterwegge: Kritik des Neoliberalismus. Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-531-15185-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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- ↑ Jon Kofas: Neoliberal Totalitarianism and the Social Contract. 2019 https://www.researchgate.net/publication/331876517_Neoliberal_Totalitarianism_and_the_Social_Contract
- ↑ Wolfgang Scholl: Mut zu Innovationen: Impulse aus Praxis, Forschung, Beratung und Ausbildung. Springer-Verlag, 2019, ISBN 978-3-662-58390-6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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- ↑ Mustafa Suleyman: The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts. München 2024, S. 230, 252, passim.