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„Fremde-Situations-Test“ – Versionsunterschied

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[[Datei:CrhSand.jpg|mini|Ein Kind, das durch sein Spiel eine explorative Verhaltensweise zeigt]]Bei dem '''Fremde-Situations-Test (FST)''' oder auch '''Fremde Situation''' genannten Test (englisch: ''Strange Situation Test'') handelt es sich um ein von [[Mary Ainsworth]] entwickeltes [[Entwicklungspsychologie|entwicklungspsychologisches]] Experiment, das eine [[Eltern-Kind-Beziehung|Beziehung]] zwischen Kind und Mutter bezüglich der Kriterien [[John Bowlby]]s für eine sichere Bindung testen soll.
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Beim '''Strange Situation Test''' ("Die fremde Situation" 1975-1978) handelt es sich um ein von [[Mary Ainsworth]] entwickeltes sozialwissenschaftliches Experiment, das die Kriterien [[John Bowlby]]s für eine sichere [[Bindung (Psychologie)|Bindung]] zwischen Kind und Mutter nachweisen soll.


Mary Ainsworth gelang es, Bowlbys [[Bindungstheorie|Bindungsmodell]] in einer standardisierten Situation beobachtbar zu machen. Sie stützte sich dabei auf frühere experimentelle Forschungsarbeiten von Schülern des [[Gestalttheorie|Gestalttheoretikers]] [[Kurt Lewin]], nämlich F. Wiehe in Berlin Ende der 1920er-Jahre (''The behavior of the child in strange fields'')<ref>Die Arbeit Wiehes wurde nie veröffentlicht. Eine ausführliche Zusammenfassung findet sich in: Kurt Lewin: ''A Dynamic Theory of Personality.'' McGraw-Hill, New York 1935, S. 261ff.</ref> und Jean M. Arsenian in den USA 1943 (''Young children in an insecure situation'').<ref>Jean M. Arsenian: ''Young children in an insecure situation.'' In: ''Journal of Abnormal Social Psychology.'' 38, 1943, S. 225–249, {{DOI|10.1037/h0062815}}. Siehe dazu und zur Vorläuferarbeit von F. Wiehe: G. Stemberger: [https://www.academia.edu/4769469/Jean_M._Arsenian_1914-2007_-_Kurt_Lewin_und_die_Anfange_der_Bindungsforschung ''Jean M. Arsenian (1914–2007). Kurt Lewin und die Anfänge der Bindungsforschung.''] In: ''Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie.'' 1–2/2012, S. 89–91.</ref> In Abwandlung des ''strange fields'' von F. Wiehe und der ''insecure situation'' von Jean M. Arsenian erdachte Ainsworth ihre [[experiment]]elle ''strange situation''. Darin finden 12 bis 18 Monate alte Kinder die typischen Gegebenheiten, die nach Bowlbys Theorie sowohl Bindungs- als auch exploratives Verhalten aktivieren, in einer annähernd natürlichen Situation vor. Dadurch können Unterschiede im Bindungs- und Explorationsverhalten beobachtet werden.<ref name="Oerter">R. Oerter, L. Montada (Hrsg.): ''Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch.'' 4. Auflage. PVU, Weinheim 1998, ISBN 3-621-27411-1, S. 239–240.</ref><ref>M. Dornes: ''Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre.'' Frankfurt am Main, Fischer 1997, ISBN 3-596-13548-6.</ref>
== Versuchsablauf ==


== Versuchsaufbau ==
Der Test wird in einem Zimmer durchgeführt, dessen Fußboden in schwarze und weiße Quadrate (zur Erleichterung von Entfernungsmessungen) eingeteilt ist. Lautäußerungen sind für die (verdeckt aufgestellten) Versuchsbeobachter hörbar und Abläufe durch eine Beobachtungsscheibe sichtbar.


Der Test wird in einem Zimmer durchgeführt, dessen Fußboden zur Erleichterung von Entfernungsmessungen in schwarze und weiße Quadrate eingeteilt ist. Die Beobachter können die Versuchspersonen sehen und hören, umgekehrt jedoch nicht.
'''Versuchspersonen''': Babys (männlich/weiblich) zwischen 12 und 18 Monaten


Versuchspersonen: Kleinkinder (männlich/weiblich) zwischen 12 und 18 Monaten
'''Helfer''': Mütter (bis auf 2 Frauen alles Hausfrauenmütter) und fremde Frau (Assistentin)


Helfer: Mütter (bis auf 2 Frauen alles Hausfrauenmütter) und fremde Frau (Assistentin)
# Mutter (M) setzt Baby (B) bei Spielzeug ab (bis 30 Sek.)
# Mutter setzt sich auf Stuhl und liest Zeitschrift (30 Sek.) - nach spätestens 2 Minuten erfolgt Klopfsignal, woraufhin B zum Spielen animiert werden soll, wenn B noch nicht spielt.
# Fremde Frau (F) betritt Raum und setzt sich auf Stuhl - schweigt 1 Minute - danach Gespräch zwischen F und M (1 Min.) - F beschäftigt sich mit B (3 Min.) - M verlässt Raum und lässt Handtasche zurück (''Wie verhält sich das Kind zur Fremden, gibt es Trennungsprotest?'')
# Sollte das Kind weinen, beschäftigt sich F mit ihm, ansonsten bleibt F auf dem Stuhl sitzen
# M spricht vor der Tür - kommt herein - nimmt B hoch und begrüßt es - M setzt B zum Spielzeug und versucht es zum Spielen zu animieren - F verlässt Raum - nach 3 Min. verlässt M den Raum, lässt jedoch die Handtasche zurück
# B für 3 Min. allein
# F spricht vor der Tür - F betritt den Raum - passt Verhalten dem des Babys an (z.B. trösten oder mitspielen)
# M öffnet Tür, bleibt kurz stehen - hebt B hoch - F verlässt den Raum


== Ergebnis ==
== Versuchsablauf ==
# Die Mutter setzt ihr Kleinkind bei dem Spielzeug ab (bis 30 Sek.).
# Die Mutter setzt sich auf einen Stuhl und liest eine Zeitschrift (30 Sek.).
# Nach spätestens 2 Minuten erfolgt ein Klopfsignal, woraufhin ihr Kind zum Spielen animiert werden soll, wenn es noch nicht spielt.
# Die fremde Frau betritt den Raum, setzt sich auf einen Stuhl und schweigt 1 Minute.
# Danach erfolgt ein Gespräch zwischen ihr und der Mutter (1 Min.).
# Die fremde Frau beschäftigt sich mit dem Kind (3 Min.).
# Die Mutter verlässt den Raum und lässt ihre Handtasche zurück (an dieser Stelle wird beobachtet, wie das Kind auf die Fremde reagiert und ob Trennungsprotest eintritt).
# Sollte das Kind weinen, beschäftigt sich die fremde Frau mit ihm, ansonsten bleibt sie auf dem Stuhl sitzen.
# Die Mutter spricht vor der Tür.
# Dann kommt sie herein, nimmt ihr Kind hoch und begrüßt es.
# Die Mutter setzt ihr Kind zum Spielzeug und versucht es zum Spielen zu animieren.
# Die fremde Frau verlässt den Raum.
# Nach 3 Min. verlässt die Mutter den Raum, lässt jedoch die Handtasche zurück.
# Das Kind ist für 3 Min. allein.
# Die fremde Frau spricht vor der Tür.
# Die fremde Frau betritt den Raum und passt ihr Verhalten dem des Kleinkindes an (z.&nbsp;B. trösten oder mitspielen).
# Die Mutter öffnet die Tür, bleibt kurz stehen und hebt ihr Kind hoch.
# Die fremde Frau verlässt den Raum.


Der Vorgang wird mit einer Videokamera aufgezeichnet und anschließend bewertet. Untersuchungsgegenstand ist in erster Linie die kindliche Reaktion in den [[Trennung (Eltern-Kind-Beziehung)|Trennungs-]] und Wiedervereinigungsmomenten, um die individuellen Unterschiede in der Bewältigung von Trennungsstress festzustellen.<ref name="Oerter" />
# Bindungskriterien bestätigen sich
# Hauptthese Bowlbys stimmt nicht


== Resultate ==
== Ursachen für unterschiedliche Bindung ==


Beim Fremde-Situations-Test konnten die grundlegenden Aussagen der Bindungstheorie bestätigt werden. In den Untersuchungen, die in verschiedensten Gesellschaftsformen durchgeführt wurden, zeigten sich vier grundlegende Bindungsqualitäten der Kinder. Zunächst konnten die Kinder in sicher gebundene und unsicher gebundene Kinder unterteilt werden. Später zeigten sich weiter Unterscheidungen der unsicher gebundenen.
Das Interaktionsverhalten zwischen Kind und Bindungsperson (normalerweise die Mutter) ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Das bedeutet, dass die Bindungsperson Signale des Kindes bemerkt, zutreffend interpretiert und angemessen und prompt darauf reagiert. Werden diese Anforderungen durch die Bindungsperson nicht erfüllt, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung eines unsicheren (ambivalenten oder vermeidenden) Bindungsmusters beim Kind.


* Sicher gebundene Kinder
== Nachfolgeuntersuchungen ==
* Unsicher-vermeidend gebundene Kinder („avoidant“)
* Unsicher-ambivalent gebundene Kinder („ambivalent“)
* Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster


Die desorganisierte Bindung wurde nachträglich eingeführt, da einige Kinder nicht zuverlässig zuzuordnen waren.
=== 1980 von V.Grossmann (Uni Bielefeld) ===
* '''Versuchspersonen''': 46 Kinder (bei den Kindern im Alter von 12 Monaten führte man den ''SST'' mit der Mutter durch, bei den Kinder im Alter von 18 Monaten dagegen mit dem Vater.)
* '''These''': Das Kind kann auch zu zwei Personen eine sichere Bindung (B-Bindung) herstellen. ([[Monotropie]] sollte in Frage gestellt werden)
* '''Ergebnis Grossmann''':
# Kinder können Bindung zu 2 Personen aufbauen
# Die mit dem Kind verbrachte Zeit ist nicht wesentlich für Bindungsqualität
# Die Mutter wird nicht grundsätzlich dem Vater vorgezogen


: Siehe auch: [[Bindungstheorie#Bindungstypen des Kindes|Bindungstypen des Kindes]]
=== Main/Cassady (1988/1985) ===
Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, ob das Bindungsverhalten bis zum dritten Lebensjahr und darüber hinaus konsistent und unverändert bleibt. Bei diesem Versuch wurde das Spielverhalten und die Strategien zur Konfliktlösung mit Gleichaltrigen untersucht. Darüber hinaus wurde mit den Kindern über ein Familienfoto und fiktive Trennungssituationen gesprochen.


== Ursachen für unterschiedliche Bindung ==
'''Versuchspersonen''': 5 bis 6-jährige Kindergartenkinder, die bereits mit 12 und 18 Monaten zuvor mit Mutter und Vater getestet wurden.

Das Interaktionsverhalten zwischen Kind und Bindungsperson (normalerweise die Mutter) ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Das bedeutet, dass die Bindungsperson feinfühlig die Signale des Kindes bemerken, zutreffend interpretieren und angemessen und prompt darauf reagieren muss, um eine sichere Bindung aufzubauen. Werden diese Anforderungen durch die Bindungsperson nicht erfüllt, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung eines unsicheren (ambivalenten, vermeidenden oder desorganisierten) Bindungsmusters beim Kind.

== Nachfolgeuntersuchungen ==


=== Klaus Grossmann & Karin Grossmann (1980, Uni Bielefeld) ===
==== Spielverhalten ====
* Versuchspersonen: 46 Kinder (bei den Kindern im Alter von 12 Monaten führte man den ''FST'' mit der Mutter durch, bei den Kindern im Alter von 18 Monaten dagegen mit dem Vater.)
Während Kinder ein sicheres Spielverhalten zeigten und nur bei Misslingen die Hilfe der Erzieherin in Anspruch nahm, spielten unsicher gebundene Kinder nur wenig und hatten ein angespanntes Verhältnis zu Anderen.
* Fragestellung: Kann das Kind auch zu zwei Personen eine sichere Bindung (B-Bindung) herstellen?
* Ergebnis:
:# Kinder können Bindung zu 2 Personen aufbauen
:# Die mit dem Kind verbrachte Zeit ist nicht wesentlich für Bindungsqualität
:# Die Mutter wird nicht grundsätzlich dem Vater vorgezogen


=== Main/Cassidy (1988/1985) ===
==== Sprechen über Familienfoto ====
Bei diesem Versuch wurde das Spielverhalten und die Strategien zur Konfliktlösung mit Gleichaltrigen untersucht. Darüber hinaus wurde mit den Kindern über ein Familienfoto und fiktive Trennungssituationen gesprochen.
Sicher gebundene Kinder sprechen offen &ndash; auch kritisch &ndash; über die Situation und die Personen, während unsicher gebundene Kinder aktives Ignorierverhalten zeigen.
* Versuchspersonen: 5- bis 6-jährige Kindergartenkinder, die zuvor bereits im Alter von 12 und 18 Monaten mit Mutter und Vater getestet wurden.
* Fragestellung: Bleibt das Bindungsverhalten bis zum dritten Lebensjahr und darüber hinaus konsistent und unverändert?
* Ergebnis:
:# Während sicher gebundene Kinder ein sicheres Spielverhalten zeigten und nur bei Misslingen die Hilfe der Erzieherin in Anspruch nahmen, spielten unsicher gebundene Kinder nur wenig und hatten ein angespanntes Verhältnis zu anderen Kindern.
:# Sicher gebundene Kinder sprechen offen auch kritisch über die Situation und die Personen, während unsicher gebundene Kinder aktives Ignorierverhalten zeigen.
:# Als die Kinder dazu aufgefordert wurden, ihre Gedanken zu einer fiktiven Trennung (Eltern verreisen) zu äußern, zeigten Kinder mit einer sicheren Bindung Trauer, brachten jedoch auch konstruktive Vorschläge zur Überbrückung der Trennung ein. Unsicher gebundene Kinder zeigten dagegen großen Trennungsschmerz, da Verlust der Eltern hier als endgültig bzw. unabänderlich verstanden wurde, oder zeigten kein Interesse.


== Weblinks ==
==== Fiktive Trennungssituation ====
* Mary Ainsworth: [https://www.youtube.com/watch?v=QTsewNrHUHU&feature=related ''The Strange Situation.''] (englisch)
Hierbei wurden die Kinder dazu aufgefordert, ihre Gedanken zu einer fiktiven Trennung (Eltern verreisen) zu äußern.
* Jean M. Arsenian: [http://expert-nurse.com/yahoo_site_admin/assets/docs/Young_Children_In_An_Insecure_Situation_-_Jean_Arsenian.123173854.pdf ''Young children in an insecure situation.''] 1943. (englisch)
Kinder mit einer sicheren Bindung zeigten Trauer, brachten jedoch auch konstruktive Vorschläge zur Überbrückung der Trennung. Unsicher gebundene Kinder zeigten jedoch großen Trennungsschmerz (Verlust der Eltern wird als endgültig bzw. unabänderlich verstanden) oder zeigten kein Interesse.
* G. Stemberger: [https://www.academia.edu/4769469/Jean_M._Arsenian_1914-2007_-_Kurt_Lewin_und_die_Anfange_der_Bindungsforschung ''Jean M. Arsenian (1914–2007). Kurt Lewin und die Anfänge der Bindungsforschung.''] 2012.


== Einzelnachweise ==
[[Kategorie:Entwicklungspsychologie]]
<references />


[[Kategorie:Kindheitsforschung]]
[[en:Attachment]]
[[Kategorie:Psychologisches Testverfahren]]

Aktuelle Version vom 20. Juni 2025, 15:30 Uhr

Ein Kind, das durch sein Spiel eine explorative Verhaltensweise zeigt

Bei dem Fremde-Situations-Test (FST) oder auch Fremde Situation genannten Test (englisch: Strange Situation Test) handelt es sich um ein von Mary Ainsworth entwickeltes entwicklungspsychologisches Experiment, das eine Beziehung zwischen Kind und Mutter bezüglich der Kriterien John Bowlbys für eine sichere Bindung testen soll.

Mary Ainsworth gelang es, Bowlbys Bindungsmodell in einer standardisierten Situation beobachtbar zu machen. Sie stützte sich dabei auf frühere experimentelle Forschungsarbeiten von Schülern des Gestalttheoretikers Kurt Lewin, nämlich F. Wiehe in Berlin Ende der 1920er-Jahre (The behavior of the child in strange fields)[1] und Jean M. Arsenian in den USA 1943 (Young children in an insecure situation).[2] In Abwandlung des strange fields von F. Wiehe und der insecure situation von Jean M. Arsenian erdachte Ainsworth ihre experimentelle strange situation. Darin finden 12 bis 18 Monate alte Kinder die typischen Gegebenheiten, die nach Bowlbys Theorie sowohl Bindungs- als auch exploratives Verhalten aktivieren, in einer annähernd natürlichen Situation vor. Dadurch können Unterschiede im Bindungs- und Explorationsverhalten beobachtet werden.[3][4]

Der Test wird in einem Zimmer durchgeführt, dessen Fußboden zur Erleichterung von Entfernungsmessungen in schwarze und weiße Quadrate eingeteilt ist. Die Beobachter können die Versuchspersonen sehen und hören, umgekehrt jedoch nicht.

Versuchspersonen: Kleinkinder (männlich/weiblich) zwischen 12 und 18 Monaten

Helfer: Mütter (bis auf 2 Frauen alles Hausfrauenmütter) und fremde Frau (Assistentin)

  1. Die Mutter setzt ihr Kleinkind bei dem Spielzeug ab (bis 30 Sek.).
  2. Die Mutter setzt sich auf einen Stuhl und liest eine Zeitschrift (30 Sek.).
  3. Nach spätestens 2 Minuten erfolgt ein Klopfsignal, woraufhin ihr Kind zum Spielen animiert werden soll, wenn es noch nicht spielt.
  4. Die fremde Frau betritt den Raum, setzt sich auf einen Stuhl und schweigt 1 Minute.
  5. Danach erfolgt ein Gespräch zwischen ihr und der Mutter (1 Min.).
  6. Die fremde Frau beschäftigt sich mit dem Kind (3 Min.).
  7. Die Mutter verlässt den Raum und lässt ihre Handtasche zurück (an dieser Stelle wird beobachtet, wie das Kind auf die Fremde reagiert und ob Trennungsprotest eintritt).
  8. Sollte das Kind weinen, beschäftigt sich die fremde Frau mit ihm, ansonsten bleibt sie auf dem Stuhl sitzen.
  9. Die Mutter spricht vor der Tür.
  10. Dann kommt sie herein, nimmt ihr Kind hoch und begrüßt es.
  11. Die Mutter setzt ihr Kind zum Spielzeug und versucht es zum Spielen zu animieren.
  12. Die fremde Frau verlässt den Raum.
  13. Nach 3 Min. verlässt die Mutter den Raum, lässt jedoch die Handtasche zurück.
  14. Das Kind ist für 3 Min. allein.
  15. Die fremde Frau spricht vor der Tür.
  16. Die fremde Frau betritt den Raum und passt ihr Verhalten dem des Kleinkindes an (z. B. trösten oder mitspielen).
  17. Die Mutter öffnet die Tür, bleibt kurz stehen und hebt ihr Kind hoch.
  18. Die fremde Frau verlässt den Raum.

Der Vorgang wird mit einer Videokamera aufgezeichnet und anschließend bewertet. Untersuchungsgegenstand ist in erster Linie die kindliche Reaktion in den Trennungs- und Wiedervereinigungsmomenten, um die individuellen Unterschiede in der Bewältigung von Trennungsstress festzustellen.[3]

Beim Fremde-Situations-Test konnten die grundlegenden Aussagen der Bindungstheorie bestätigt werden. In den Untersuchungen, die in verschiedensten Gesellschaftsformen durchgeführt wurden, zeigten sich vier grundlegende Bindungsqualitäten der Kinder. Zunächst konnten die Kinder in sicher gebundene und unsicher gebundene Kinder unterteilt werden. Später zeigten sich weiter Unterscheidungen der unsicher gebundenen.

  • Sicher gebundene Kinder
  • Unsicher-vermeidend gebundene Kinder („avoidant“)
  • Unsicher-ambivalent gebundene Kinder („ambivalent“)
  • Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster

Die desorganisierte Bindung wurde nachträglich eingeführt, da einige Kinder nicht zuverlässig zuzuordnen waren.

Siehe auch: Bindungstypen des Kindes

Ursachen für unterschiedliche Bindung

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Das Interaktionsverhalten zwischen Kind und Bindungsperson (normalerweise die Mutter) ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Das bedeutet, dass die Bindungsperson feinfühlig die Signale des Kindes bemerken, zutreffend interpretieren und angemessen und prompt darauf reagieren muss, um eine sichere Bindung aufzubauen. Werden diese Anforderungen durch die Bindungsperson nicht erfüllt, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung eines unsicheren (ambivalenten, vermeidenden oder desorganisierten) Bindungsmusters beim Kind.

Nachfolgeuntersuchungen

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Klaus Grossmann & Karin Grossmann (1980, Uni Bielefeld)

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  • Versuchspersonen: 46 Kinder (bei den Kindern im Alter von 12 Monaten führte man den FST mit der Mutter durch, bei den Kindern im Alter von 18 Monaten dagegen mit dem Vater.)
  • Fragestellung: Kann das Kind auch zu zwei Personen eine sichere Bindung (B-Bindung) herstellen?
  • Ergebnis:
  1. Kinder können Bindung zu 2 Personen aufbauen
  2. Die mit dem Kind verbrachte Zeit ist nicht wesentlich für Bindungsqualität
  3. Die Mutter wird nicht grundsätzlich dem Vater vorgezogen

Main/Cassidy (1988/1985)

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Bei diesem Versuch wurde das Spielverhalten und die Strategien zur Konfliktlösung mit Gleichaltrigen untersucht. Darüber hinaus wurde mit den Kindern über ein Familienfoto und fiktive Trennungssituationen gesprochen.

  • Versuchspersonen: 5- bis 6-jährige Kindergartenkinder, die zuvor bereits im Alter von 12 und 18 Monaten mit Mutter und Vater getestet wurden.
  • Fragestellung: Bleibt das Bindungsverhalten bis zum dritten Lebensjahr und darüber hinaus konsistent und unverändert?
  • Ergebnis:
  1. Während sicher gebundene Kinder ein sicheres Spielverhalten zeigten und nur bei Misslingen die Hilfe der Erzieherin in Anspruch nahmen, spielten unsicher gebundene Kinder nur wenig und hatten ein angespanntes Verhältnis zu anderen Kindern.
  2. Sicher gebundene Kinder sprechen offen – auch kritisch – über die Situation und die Personen, während unsicher gebundene Kinder aktives Ignorierverhalten zeigen.
  3. Als die Kinder dazu aufgefordert wurden, ihre Gedanken zu einer fiktiven Trennung (Eltern verreisen) zu äußern, zeigten Kinder mit einer sicheren Bindung Trauer, brachten jedoch auch konstruktive Vorschläge zur Überbrückung der Trennung ein. Unsicher gebundene Kinder zeigten dagegen großen Trennungsschmerz, da Verlust der Eltern hier als endgültig bzw. unabänderlich verstanden wurde, oder zeigten kein Interesse.

Einzelnachweise

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  1. Die Arbeit Wiehes wurde nie veröffentlicht. Eine ausführliche Zusammenfassung findet sich in: Kurt Lewin: A Dynamic Theory of Personality. McGraw-Hill, New York 1935, S. 261ff.
  2. Jean M. Arsenian: Young children in an insecure situation. In: Journal of Abnormal Social Psychology. 38, 1943, S. 225–249, doi:10.1037/h0062815. Siehe dazu und zur Vorläuferarbeit von F. Wiehe: G. Stemberger: Jean M. Arsenian (1914–2007). Kurt Lewin und die Anfänge der Bindungsforschung. In: Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie. 1–2/2012, S. 89–91.
  3. a b R. Oerter, L. Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. 4. Auflage. PVU, Weinheim 1998, ISBN 3-621-27411-1, S. 239–240.
  4. M. Dornes: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt am Main, Fischer 1997, ISBN 3-596-13548-6.