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„Physiotherapie“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Physical Therapists at work.jpg|mini|Physiotherapeuten bei der Arbeit an Patienten mit Störungen des [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]] und [[Orthopädie|orthopädischen]] Problemen. Im Bild auch zu sehen: Beurteilung und Prüfung der [[Muskel]]funktion und [[Steifigkeit|Muskelsteifigkeit]], [[Gelenk (Anatomie)|Gelenksbeweglichkeit]], Prüfung des Gleichgewichts und Beurteilung des [[Gehen|Gangbildes]].]]
''Dieser Artikel befasst sich mit der Physiotherapie am Menschen. Für andere Zielgruppen siehe [[Tierphysiotherapie]].''
[[Datei:Fizio9.jpg|mini|Physiotherapie-Ausbildung]]
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[[Datei:Physiotherapiebehandlung.jpg|mini|Behandlung durch einen Physiotherapeuten]]
'''Physiotherapie''' ({{grcS|φύσις|phýsis|de=Natur}}, ‚Körper’ und {{lang|grc|θεραπεία|therapeía|de=Dienen}}, ‚Pflege‘, ‚Heilung‘, somit in etwa ‚das Wiederherstellen der natürlichen Funktion‘), früher auch '''Krankengymnastik''' (KG<ref>{{Internetquelle |url=https://www.g-ba.de/downloads/17-98-3064/HeilM-RL_2023-01-19_Heilmittelkatalog.pdf |titel=Heilmittelkatalog: Zweiter Teil – Zuordnung der Heilmittel zu Indikationen |werk=Heilmittel-Richtlinie |hrsg=[[Gemeinsamer Bundesausschuss]] |datum=2023-01-19 |sprache=de |abruf=2024-07-02}}</ref>), ist eine Form spezifischen Trainings und der äußerlichen Anwendung von [[Heilmittel]]n, mit der vor allem die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des menschlichen Bewegungsapparats wiederhergestellt, verbessert oder erhalten werden soll.


== Synonyme und verwandte Bereiche ==
'''Physiotherapie''' ist die äußerliche Anwendung von [[Heilmittel]]n. Sie orientiert sich bei der Behandlung sowohl an den natürlichen [[Chemie|chemischen]] und [[Physik|physikalischen]] Reizen der [[Umwelt]] (Wärme, Kälte, Druck, Strahlung, Elektrizität ...) als auch an den [[Anatomie|anatomischen]] und [[Physiologie|physiologischen]] Gegebenheiten des Patienten. Dabei zielt die Behandlung auf natürliche, physiologische Reaktionen des Organismus (z. B. [[Muskulatur|Muskelaufbau]], [[Stoffwechsel|Stoffwechselanregung]]) zur Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der [[Gesundheit]]. Anwendungen sind z. B. [[Massage]], [[Rückenschule]] und [[Fußgymnastik]].
Physiotherapie lässt sich mit „[[Naturheilkunde]]“ übersetzen. Alternativ wird von „[[Physiatrie]]“ oder von „[[Physikalische Medizin]]“ bzw. „[[Physikalische Therapie]]“ gesprochen, wobei unter diesen Termini in Deutschland eine fachärztliche Weiterbildung bzw. Zusatzausbildung verstanden wird.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Aus-Fort-Weiterbildung/Weiterbildung/20230629_MWBO-2018.pdf |titel=(Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 in der Fassung vom 29.06.2023 |hrsg=Bundesärztekammer |datum=2023-06-29 |sprache=de |abruf=2024-03-21}}</ref>


Die englische Bezeichnung {{lang|en|''physical therapy''}} ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff „[[Physikalische Therapie]]“ im [[Deutsche Sprache|Deutschen]]. Physiotherapie und Physikalische Therapie werden teilweise als Synonyme bzw. gemeinsames Fachgebiet betrachtet; auch wird die Physiotherapie als Unterbereich der Physikalischen Therapie angesehen. Mit Blick auf finanzielle Abrechnungsmodalitäten sollen {{"|auf Intervention verschiedener Fachgruppen […] die Bereiche Physiotherapie und physikalische Therapie im nächsten Entwurf (der [[Diagnosis Related Groups]]) wieder getrennt [werden], damit auch z.&nbsp;B. eine physiotherapeutische Behandlung und eine Wärmeanwendung einzeln gezählt werden können.}}<ref>aus Prozedurenklassifikation im DRG-System. ({{Webarchiv |url=http://sl.zvk.org/s/content.php?area=114&sub=339&det=362&step=366&news_id=900&zvk_org=60314f5077d1550aab189e0ba1903a12 |text=sl.zvk.org |wayback=20110217133214}})</ref>
'''Physiotherapeuten''' analysieren und interpretieren sensomotorische Funktions- und Entwicklungsstörungen, um sie mit speziellen manuellen und anderen physiotherapeutischen Techniken zu beeinflussen. Primärer Ansatzpunkt ist das Bewegungssystem und das Bewegungsverhalten, wobei das Ziel Schmerzfreiheit und ökonomisches Bewegungsverhalten ist oder das Schaffen von Kompensationsmöglichkeiten bei irreversiblen Funktionsstörungen.


Wichtig zu beachten sind auch länderspezifisch unterschiedliche Bezeichnungen für Physiotherapie. So unterscheidet man in Deutschland beispielsweise klar zwischen Krankengymnastik und Physiotherapie, während diese Differenzierung in Österreich nicht mehr üblich ist und man beide Begriffe nahezu synonym verwendet.<ref>{{Internetquelle |autor=Peter Geisler |url=https://www.physio-central.at/physiotherapie |titel=Physiotherapie |sprache=de |abruf=2023-09-09}}</ref>
Physiotherapeuten beeinflussen aber auch Funktionsstörungen innerer Organe, verbessern die Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie die Sozialkompetenz und wollen ebenfalls auf die psychische Leistungsfähigkeit einwirken.


== Geschichte ==
Ziele der Physiotherapie sind darüber hinaus, Eigenständigkeit und Selbständigkeit des Patienten zu fördern und die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren; wo Selbständigkeit des Patienten nicht zu erreichen ist, gehört zu den physiotherapeutischen Aufgaben das Anleiten von Angehörigen (z.B. in der [[Pädiatrie]] oder bei schweren neurologischen Störungen).
=== Altertum bis zur Neuzeit ===
Viele Verfahren der Physiotherapie haben ihren Ursprung weit zurückliegend. Archäologische Funde zeigen, dass [[Thermalquelle|Thermal-]] und [[Mineralquelle]]n bereits in frühgeschichtlicher Zeit genutzt wurden. Verschiedene Formen der [[Massage]] und von medizinischen Bädern kannte man bereits vor ca. 4000 Jahren in China.


Aus der [[Antike]] sind gezielte gymnastische und diätetische Erziehungsideale überliefert. Die [[Athlet]]en der [[Olympische Spiele der Antike|antiken Olympischen Spiele]] hatten speziell ausgebildete [[Trainer]], die über die so genannte „Körperhygiene“ ihrer Schützlinge wachten. Damit taten sie für die [[Gesundheit]] und [[Vitalität]] der jungen Leute oft mehr als jeder [[Arzt]].
In Deutschland hat der Begriff ''Physiotherapie'' im Rahmen einer [[Masseur- und Physiotherapeutengesetz|Novellierung der Berufsgesetze]] 1994 bundesweit den Begriff "Krankengymnastik" abgelöst. Grund dafür war die Anpassung an den internationalen Sprachgebrauch und die Zusammenführung der west- und ostdeutschen [[Heilberufe]] nach der [[Wiedervereinigung]]. In der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] war der Begriff "Physiotherapie" bereits vor der Wiedervereinigung üblich.
Physiotherapie wird von [[Physiotherapeut]]en, [[Masseur]]en und [[Medizinischer Bademeister|medizinischen Bademeistern]] in unterschiedlicher Form und Vielfalt ausgeübt.


Auch der griechische Arzt [[Hippokrates von Kos|Hippokrates]] vertrat verschiedene medizinische Auffassungen, die sich heutzutage in der Physiotherapie wiederfinden. Er verstand den lebendigen Leib als Organismus, [[Gesundheit]] als [[Ausgeglichenheit|Gleichgewicht]] und [[Krankheit]] als gestörten physischen und [[Psychologie|psychischen]] Gesamtzustand. Seine Überzeugung war, dass die [[Natur]] eine Heilkraft besitzt. Hippokrates und sein späteres römisches Pendant [[Galenus|Galen]] hoben die gesundheitliche Wirkung aller „Leibesübungen“ hervor.
In Deutschland ist die physiotherapeutische Tätigkeit an eine ärztliche Verordnung ([[Rezept]]) gebunden. Dabei wählt der [[Arzt]] nach seinem Ermessen geeignete Behandlungsmaßnahmen für den [[Patient|Patienten]] aus dem Katalog der [[Heilmittel-Richtlinien]].


Das uralte [[Yoga]] lässt sich ebenfalls hier einstufen, mit seinen präzisen [[Asana]]s wie als passive [[Massage]]. In China findet sich das [[Qigong]] als Übungsmethode zur Selbstregulation und die [[Tuina]]-Anmo Therapie als manuelle Behandlungsmethode.
Seit 1997 diskutiert man Physiotherapie nicht mehr in klassischer medizinischer Gliederung sondern an den Organ- und Funktionssystemen, an denen Physiotherapie wirkt:
*Bewegungssystem
*Bewegungsentwicklung und -kontrolle
*Innere Organe
*Erleben und Verhalten.


Schon früh nutzte man die positiven Beobachtungen zur [[Gesundheitsberatung]] der Bevölkerung. Man empfahl regelmäßige [[Körperliche Aktivität|Bewegung]] in Form von [[Spaziergang|Spaziergängen]], [[Schwimmen]], [[Bipedie|Laufen]], [[Reiten]], [[Spiel]]en und [[Tanzen]]. Auch die erholsame und heilende Wirkung von [[Massage]]n und [[Heilbad|Heilbädern]] ist seit der Antike bekannt. Die [[Diätetik]] bezog sich nicht nur auf eine gesunde [[Ernährung]]. Ebenso wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wachen und [[Schlaf]]en geachtet.
Physiotherapeuten wirken mit Ihren Behandlungsmaßnahmen an allen 4 Organsystemen mit wechselndem Schwerpunkt.


Bis ins hohe [[Mittelalter]] hinein änderte sich daran wenig, die „Rezepte“ blieben die gleichen. Eher war es so, dass durch den [[Kirche (Organisation)|kirchlichen]] Einfluss das Wissen über den Körper in Vergessenheit geriet; u.&nbsp;a. hätten gottesfürchtige Geschöpfe das [[Leben]] und [[Leidensdruck|Leiden]] als schicksalhaft zu betrachten.<ref>{{Literatur |Autor=Paul Geraedts |Titel=Die Geschichte der Physiotherapie: Von der antiken Heilgymnastik zum modernen Gesundheitsberuf |Verlag=Springer-Verlag |Datum=2018 |ISBN=978-3-658-23605-2 |Online=https://books.google.de/books?id=bFNuDwAAQBAJ&pg=PA3&dq=physiotherapie+im+mittelalter&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwi7oonaoqjuAhWDHewKHYa0DqcQ6AEwBXoECAYQAg#v=onepage&q=physiotherapie%20im%20mittelalter&f=false |Abruf=2021-01-19}}</ref> Dies änderte sich erst mit der [[Renaissance]], in der die antiken Ideale wiederentdeckt wurden.
Mitte der 90er-Jahre führte Antje Hüter-Becker dieses [[Theoretische Modelle in der Physiotherapie|"Neue Denkmodell"]] in die deutsche Physiotherapie ein, das zu einem sich allmählich vollziehenden Paradigmenwechsel in der Physiotherapie führt.


=== Humanismus und Aufklärung ===
Die '''erweiterte ambulante [[Physiotherapie]]''' ('''EAP''') ist eine intensive therapeutische Behandlung und wird ambulant bei akuten und schwerwiegenden [[Krankheit|Erkrankungen]] angewendet. Sie beinhaltet z.B. bei der Behandlung von [[Bandscheibe|Bandscheibenvorfällen]] eine Kombination aus [[Massage]], [[Fango]], [[Krankengymnastik]] und gezieltem Muskelaufbautraining.
Vom [[Humanismus]] beeinflusst rückten jetzt auch Frauen, Kinder und behinderte Menschen mit ihren besonderen [[Bedürfnis]]sen und [[Erkrankung]]en in den Mittelpunkt medizinischer Betrachtung. Im 18.&nbsp;Jahrhundert begründete der französische Arzt [[Nicolas Andry de Boisregard|Nicolas Andry]] die [[Orthopädie]] (frei: „Erziehung zur aufrechten Haltung“). Er beobachtete systematisch die häufigen Haltungsschwächen und Deformitäten bei Kindern. Er verschrieb spezielle [[Gymnastik|gymnastische Übungen]] zur [[Therapie]] und [[Krankheitsprävention|Prophylaxe]]. Der Schweizer Arzt [[Jean-André Venel]] (1740–1791) eröffnete 1780 die erste orthopädische [[Krankenhaus|Klinik]] der Welt in [[Orbe]]/[[Kanton Waadt]].


[[Johann Christoph Friedrich Guts Muths]] begründete die [[pädagogische Gymnastik]] in Deutschland und [[Franz Nachtegall]] (1777–1847) 1798 in [[Kopenhagen]] die „Gymnastische Gesellschaft“. Aus deren Leibesübungen entwickelte der Schwede [[Pehr Henrik Ling]] eine gezielte [[therapeutische Gymnastik]], wie heute noch an den „Gebrauchsbewegungen des Alltags“ angelehnt. Er kombinierte seine [[Therapie|Behandlungen]] mit Massagen für spezielle Muskelgruppen.<ref>[[Arnd Krüger]]: ''Geschichte der Bewegungstherapie.'' In: ''Präventivmedizin.'' Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, 1–22.</ref>
Zur Geschichte der Physiotherapie siehe [[Physiotherapeut#Geschichte|Physiotherapeut]]


Im 18.&nbsp;Jahrhundert fanden erste [[Medikament]]e zwar Anklang, brachten allerdings auch Gefahren mit sich. Mancher [[Arzt]] propagierte die Anwendung von Mineralwässern, [[Heilbad|Heilbädern]] und der [[Hydrotherapie]]. Dies setzte sich im 19.&nbsp;Jahrhundert weiter fort, die Beliebtheit der Hydrotherapie stieg an.
Betätigungsfelder der Physiotherapie sind


Vor allem in Deutschland erlebte die Hydrotherapie einen wahren Boom: Der Urvater der Hydrotherapie, [[Sebastian Kneipp]], entwickelte eine einfache Lebensregelung, kombinierte sie mit der Anwendung pflanzlicher Medikamente und einer Gesundheitserziehung.
*[[Prävention]]
*[[Therapie|stationäre und ambulante Therapie]]
*[[Rehabilitation]]
*[[Kur|Kurwesen]]
*[[Wellness]]
*[[Heilgymnastik]]


=== Industrialisierung und Moderne ===
Physiotherapeuten sind beschäftigt in
[[Datei:Bundesarchiv Bild 102-07912, Orthopädische Kindergymnastik.jpg|mini|hochkant=1.5|Orthopädische Kindergymnastik, 1929]]
Der Berliner Arzt [[Albert C. Neumann]] brachte die „schwedische Heilgymnastik“ nach Deutschland. Er definierte als erster den Beruf des „Gymnasten“ und setzte sich für die berufliche [[Emanzipation]] der Frauen ein. 1853 eröffnete er die erste Gymnastenschule für Damen. Der [[Schweden|Schwede]] [[Gustav Zander]] entwickelte ab ca. 1865 ein System von Gymnastik- und Massageapparaten, die [[medico-mechanische Therapie]]. In Deutschland wurden die Geräte u.&nbsp;a. in „[[Gustav Zander|Zander-Instituten]]“ als Trainingsgeräte in Vorsorge und Therapie eingesetzt, später kamen Weiterentwicklungen, Plagiate und einfachere Bewegungsgeräte hinzu.


Zudem wuchs der Bedarf an Behandlungen durch die Kriege ([[Deutsch-Französischer Krieg|1870/71]], [[Erster Weltkrieg|1914–18]] und [[Zweiter Weltkrieg|1939–45]]) und infolge der steigenden [[Arbeitsunfall|Arbeits-]] und [[Verkehrsunfall|Verkehrsunfälle]]. [[Johann Hermann Lubinus]] gründete die von vielen [[Facharzt|Fachärzten]] angesehenen „Lubinus-Schulen“. Nun machte die Krankengymnastik erstmals verstärkt mit [[Patient]]en aus der [[Chirurgie]] und [[Neurologie]] Bekanntschaft (die [[Kinderlähmung]] nahm weltweit ein hohes Ausmaß an). Für die Behandlung von [[Herz]]- und [[Lunge]]nerkrankungen sowie in der [[Rheumatologie]] fand eine Rückbesinnung zu [[Balneologie|Heilbädern]] und der [[Sebastian Kneipp|Kneipp-Lehre]] statt. Im Jahr 1941 wurde [[Wolfgang Kohlrausch]] zum ersten Ordinarius für [[Bewegungstherapie]] an die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg berufen.
*[[Privatpraxis|Privatpraxen]]
*[[Gemeinschaftspraxis|Gemeinschaftspraxen]]
*[[Krankenhaus|Krankenhäusern]]
*[[Fachklinik]]en
*[[Rehabilitation|Reha-Einrichtungen]]
*[[Kur]]betrieben
*[[Pflegeheim]]en
*[[Industrie]]betrieben
*[[Dienstleistung]]sbetrieben
*[[Schule]]n
*[[Fitness|Fitness-Centern]]
*[[Wellness]]betrieben
*[[Sportverein]]en


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der DDR Lehrstühle in Berlin und in Jena eingerichtet.<ref name=":0">{{Internetquelle |autor=Immanuel-Krankenhaus |url=https://naturheilkunde.immanuel.de/ueber-uns/geschichte/ |titel=Geschichte |sprache=de-DE |abruf=2024-02-04}}</ref>


In Westdeutschland kam es nach der [[Währungsreform 1948 (Westdeutschland)|Währungsreform 1948]] im [[Gesundheitswesen]] zu Sparmaßnahmen, die zu einem deutlichen Stellenabbau führten. Erst mit der Gründung von Landesverbänden konnte sich der Berufsstand wieder besser etablieren und ausbauen. Verträge mit Krankenkassen und eine Vereinheitlichung der Ausbildung machten krankengymnastische Einrichtungen wieder rentabel. In den 1950er Jahren bildete sich der ZVK (Zentralverband der Krankengymnasten), bis heute der größte aller deutschen Verbände. Durch seine Arbeit gelang 1959 eine bundesgesetzliche Abgrenzung des „Krankengymnasten“ zu anderen [[Heilhilfsberuf|ärztlichen Hilfsberufen]].
'''siehe auch:''' [[Funktionelle Bewegungslehre]], [[Hippotherapie]]


=== Abgrenzung als eigenständiger Berufsstand ===
''Internationaler Hinweis: Die englische Bezeichnung "physical therapy" für "Physiotherapie" ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff "[[Physikalische Therapie]]" in Deutschland. Die "Physikalische Therapie" ist nur ein Teil der vielfältigen Behandlungsmethoden und Anwendungen! Siehe [[Physiotherapeut]].''
Im Zuge der [[Deutsche Wiedervereinigung|Wiedervereinigung]] und der Anpassung an den internationalen Sprachgebrauch wurden 1994 die Berufsgesetze (siehe [[MPhG]]) novelliert. Von nun an heißen die Krankengymnasten einheitlich „Physiotherapeuten“.


Die in der DDR etablierte Facharzt-Weiterbildung wurde in den [[Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin]] überführt.<ref name=":0" />
[[Kategorie:Medizin]]


== Heutiges Berufsbild ==
[[en:Physical therapy]]
Die Behandlungen werden von Physiotherapeuten und in Teilbereichen von [[Masseur und medizinischer Bademeister|Masseuren und medizinischen Bademeistern]] durchgeführt. [[Physiotherapeut]] ist in Deutschland kein eigenständiger [[Heilberuf]], sondern gehört zu den [[Gesundheitsfachberuf]]en (früher Heilhilfsberufe). Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung wird ausschließlich durch [[Arzt|Ärzte]] festgestellt und auf Rezept verordnet, außer bei präventiven Maßnahmen. Außerdem dürfen Physiotherapeuten direkt tätig werden, wenn sie sektorale Heilpraktiker für Physiotherapie (SHP) sind. Sporttherapeuten, -wissenschaftler und -lehrer erfüllen nicht die Zulassungsvoraussetzungen als Physiotherapeut und dürfen physiotherapeutische Heilmittel wie z.&nbsp;B. Krankengymnastik weder erbringen noch abrechnen.
[[nl:Fysiotherapie]]

[[pt:Fisioterapia]]
Die Theorien der Physiotherapie basieren primär auf [[Anatomie]] und [[Physiologie]] des Menschen bzw. auf [[bewegungswissenschaft]]lichen Grundlagen (z.&nbsp;B. motorisches Training, sensomotorische Aktivierung, Wahrnehmungstraining, Haltungsschulung). Die physikalische Therapie basiert zudem auf den Grundlagen der [[Physik]] (z.&nbsp;B. Elektro-, Ultraschall-, Thermo-, Hydro-, Balneotherapie).
[[sv:Sjukgymnastik]]

[[tt:Fizioterapiä]]
=== Ziel ===
Die Physiotherapie orientiert sich bei der Behandlung an den Beschwerden und den Funktions-, Bewegungs- bzw. Aktivitätseinschränkungen des Patienten, die bei der physiotherapeutischen Untersuchung festgestellt werden. Sie nutzt sowohl diagnostische und auf [[clinical reasoning]] basierende, wie auch pädagogische und manuelle Kompetenzen des Therapeuten. Gegebenenfalls wird sie ergänzt durch natürliche physikalische [[Reiz]]e (z.&nbsp;B. Wärme, Kälte, Druck, Strahlung, Elektrizität) und fördert die Eigenaktivität (koordinierte Bewegung sowie die bewusste Wahrnehmung) des Patienten. Die [[Therapie|Behandlung]] ist an die [[Anatomie|anatomischen]] und physiologischen, [[motivation]]alen und [[kognitiv]]en Gegebenheiten des Patienten angepasst. Dabei zielt die Behandlung einerseits auf natürliche, physiologische Reaktionen des [[Organismus]] (z.&nbsp;B. motorisches [[Lernen]], [[Muskelaufbau]] und [[Stoffwechsel]]anregung), andererseits auf ein verbessertes Verständnis der Funktionsweise des Organismus ([[Dysfunktion]]en/Ressourcen) und auf eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen [[Körper (Biologie)|Körper]] ab. Das Ziel ist die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der [[Gesundheit]] und dabei sehr häufig die Schmerzfreiheit bzw. -reduktion.

=== Ausbildung ===
Die Ausbildung erfolgt an staatlichen oder privaten Berufsfachschulen, kann aber auch als Bachelorstudiengang an Hochschulen stattfinden und mit dem [[Bachelor of Science]], seltener mit dem [[Bachelor of Arts]], abschließen. Das Studium kann in drei verschiedenen Varianten ablaufen: Als ausbildungsintegrierender oder ausbildungsbegleitender Studiengang ([[Duales Studium|dualer Studiengang]]), als primärqualifizierendes Studium, oder als berufsbegleitendes Studium.

In der Ausbildungsordnung verankerte Methoden sind u.&nbsp;a.:

* [[Manuelle Therapie]]
* [[Manuelle Lymphdrainage]]
* [[Bobath-Konzept]]
* [[Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation]]
* [[Periostmassage]]
* [[Kolonmassage]]

Die grundlegende Ausbildung befähigt jedoch nicht automatisch zur Durchführung dieser Techniken. Wird eine zulassungsbeschränkte Therapieform wie beispielsweise Manuelle Therapie, PNF, Neurophysiologische Techniken o. Ä. vom [[Arzt]] an den Physiotherapeuten verordnet, so ist zur Erbringung des Heilmittels der Qualifizierungs-Nachweis des Therapeuten gegenüber der [[Krankenkasse]] notwendig. Dies bedeutet, dass zusätzlich zur Grundausbildung jeweilig spezielle Kurse besucht werden müssen, um die entsprechenden Rezeptpositionen abrechnen zu können.

=== Forschung ===
Im englischen Sprachraum wird unter anderem die Pathokinesiologie/Kinesiopathologie als kennzeichnende Wissenschaft gesehen, der eine zentrale Rolle für die professionelle Identität der Physiotherapie<ref>Jules M Rothstein: ''Pathokinesiology – A Name for Our Times?'' In: ''Phys Ther.'' Band 66, 1986, S.&nbsp;364–365. [[doi:10.1093/ptj/66.3.364]]</ref> bzw. ihrer Abgrenzung zu anderen Berufen zukommt, welche sich im Gegensatz zu ihr nicht professionell mit dem menschlichen Bewegungssystem<ref>S. A. Sahrmann: ''The human movement system: our professional identity.'' In: ''Phys Ther.'' Band 94, Nr. 7, Jul 2014, S.&nbsp;1034–1042. PMID 24627430, [[doi:10.2522/ptj.20130319]].</ref> auseinandersetzen.
Publikationen forschender Physiotherapeuten werden international in medizinischen bzw. naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert und sind dabei dem ''[[peer-review]]'' unterzogen.<ref>S. A. Sahrmann, B. J. Norton: ''The relationship of voluntary movement to spasticity in the upper motor neuron syndrome.'' In: ''Trans Am Neurol Assoc.'' Band 102, 1977, S.&nbsp;108–112. PMID 616084.</ref><ref>A. Leduc, P. Lievens: ''Experimental evidence for motoric rehabilitation in lymphoedema'' (author’s transl). In: ''Acta Chir Belg.'' Band 78, Nr. 3, Mai-Jun 1979, S.&nbsp;189–193. PMID 474032 (niederländisch)</ref><ref>N. Guissard, J. Duchateau, K. Hainaut: ''Muscle stretching and motoneuron excitability.'' In: ''Eur J Appl Physiol Occup Physiol.'' Band 58, Nr. 1-2, 1988, S.&nbsp;47–52. PMID 3203674.</ref><ref>G. J. Graham, D. S. Butler: ''Whiplash in Australia: illness or injury?'' In: ''Med J Aust.'' Band 157, Nr. 6, 21. Sep 1992, S.&nbsp;429. PMID 1448009.</ref><ref>P. Bourgeois, O. Leduc, A. Leduc: ''Imaging techniques in the management and prevention of posttherapeutic upper limb edemas.'' In: ''Cancer.'' Band 83, Nr. 12 Suppl American, 15. Dez 1998, S.&nbsp;2805–2813. PMID 9874402.</ref><ref>G. Cheron, A. Bengoetxea, B. Dan, J. P. Draye: ''Multi-joint coordination strategies for straightening up movement in humans.'' In: ''Neurosci Lett.'' Band 242, Nr. 3, 20. Feb 1998, S.&nbsp;135–138. PMID 9530924.</ref><ref>P. Segers, J. P. Belgrado, A. Leduc, O. Leduc, P. Verdonck: ''Excessive pressure in multichambered cuffs used for sequential compression therapy.'' In: ''Phys Ther.'' Band 82, Nr. 10, Okt 2002, S.&nbsp;1000–1008. PMID 12350214.</ref><ref>G. L. Moseley, H. Flor: ''Targeting cortical representations in the treatment of chronic pain: a review.'' In: ''Neurorehabil Neural Repair.'' Band 26, Nr. 6, Jul-Aug 2012, S.&nbsp;646–652. PMID 22331213, [[doi:10.1177/1545968311433209]].</ref>

Konkrete Anwendung finden z.&nbsp;B. die Arbeiten einer US-amerikanischen Forschergruppe bei der Etablierung spezifischer Diagnosekategorien, zum Zweck der ursachenbezogenen und zielgerichteten Therapie von Schmerzsyndromen des menschlichen Bewegungssystems.<ref>M. Harris-Hayes, S. A. Sahrmann, B. J. Norton, G. B. Salsich: ''Diagnosis and management of a patient with knee pain using the movement system impairment classification system.'' In: ''J Orthop Sports Phys Ther.'' Band 38, Nr. 4, Apr 2008, S.&nbsp;203–213. PMID 18434664, [[doi:10.2519/jospt.2008.2584]].</ref>

=== Interessensvertretung ===
Die Interessen von Physiotherapeuten werden durch diverse [[Physiotherapeut#Berufsverbände|Berufsverbände]] vertreten. Die vier großen Physiotherapieverbände VPT, Physio Deutschland, IFK und VDB bilden gemeinsam den Spitzenverband der Heilmittelerbringer (SVH) und vertreten die Seite der Physiotherapeuten in den Vertrags- und Vergütungsverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen, die mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) in den Verhandlungen vertreten sind.

== Siehe auch ==
* [[Tierphysiotherapie]]
* [[Neues Denkmodell in der Physiotherapie]]
* [[Physiotherapeut]]
* [[Naturheilkunde]]

=== Weitere Methoden ===
* [[Osteopathie (Alternativmedizin)|Osteopathie]]
* Sensomotorische Aktivierung (z.&nbsp;B. [[Eutonie]], [[Feldenkrais-Methode]], Semota, Kinästhesie, Kognitives Training nach Perfetti)

== Literatur ==
* [[Wolfgang Heipertz]]: ''Geschichte der Krankengymnastik.'' In: August Rütt (Hrsg.): ''Geschichte der Orthopädie im deutschen Sprachraum''. Enke, Stuttgart 1993, ISBN 3-432-25261-7, S.&nbsp;87–97.
* [[Malte Bühring]]: ''Physiotherapie, Physikalische Therapie.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' Walter de Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1159–1161.

== Weblinks ==
{{Commonscat|Physical therapy|Physiotherapie|audio=1|video=1}}
{{Wiktionary}}
* [http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/start?dest=profession&prof-id=8750 Berufsbild Physiotherapeut/in] Arbeitsagentur

== Einzelnachweise ==
<references />

{{Normdaten|TYP=s|GND=4032785-1}}

[[Kategorie:Therapie]]
[[Kategorie:Physiotherapie| ]]

Aktuelle Version vom 6. Juni 2025, 18:55 Uhr

Physiotherapeuten bei der Arbeit an Patienten mit Störungen des Gleichgewichts und orthopädischen Problemen. Im Bild auch zu sehen: Beurteilung und Prüfung der Muskelfunktion und Muskelsteifigkeit, Gelenksbeweglichkeit, Prüfung des Gleichgewichts und Beurteilung des Gangbildes.
Physiotherapie-Ausbildung
Behandlung durch einen Physiotherapeuten

Physiotherapie (altgriechisch φύσις phýsis, deutsch ‚Natur‘, ‚Körper’ und θεραπεία therapeía, deutsch ‚Dienen‘, ‚Pflege‘, ‚Heilung‘, somit in etwa ‚das Wiederherstellen der natürlichen Funktion‘), früher auch Krankengymnastik (KG[1]), ist eine Form spezifischen Trainings und der äußerlichen Anwendung von Heilmitteln, mit der vor allem die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des menschlichen Bewegungsapparats wiederhergestellt, verbessert oder erhalten werden soll.

Synonyme und verwandte Bereiche

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Physiotherapie lässt sich mit „Naturheilkunde“ übersetzen. Alternativ wird von „Physiatrie“ oder von „Physikalische Medizin“ bzw. „Physikalische Therapie“ gesprochen, wobei unter diesen Termini in Deutschland eine fachärztliche Weiterbildung bzw. Zusatzausbildung verstanden wird.[2]

Die englische Bezeichnung physical therapy ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff „Physikalische Therapie“ im Deutschen. Physiotherapie und Physikalische Therapie werden teilweise als Synonyme bzw. gemeinsames Fachgebiet betrachtet; auch wird die Physiotherapie als Unterbereich der Physikalischen Therapie angesehen. Mit Blick auf finanzielle Abrechnungsmodalitäten sollen „auf Intervention verschiedener Fachgruppen […] die Bereiche Physiotherapie und physikalische Therapie im nächsten Entwurf (der Diagnosis Related Groups) wieder getrennt [werden], damit auch z. B. eine physiotherapeutische Behandlung und eine Wärmeanwendung einzeln gezählt werden können.“[3]

Wichtig zu beachten sind auch länderspezifisch unterschiedliche Bezeichnungen für Physiotherapie. So unterscheidet man in Deutschland beispielsweise klar zwischen Krankengymnastik und Physiotherapie, während diese Differenzierung in Österreich nicht mehr üblich ist und man beide Begriffe nahezu synonym verwendet.[4]

Altertum bis zur Neuzeit

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Viele Verfahren der Physiotherapie haben ihren Ursprung weit zurückliegend. Archäologische Funde zeigen, dass Thermal- und Mineralquellen bereits in frühgeschichtlicher Zeit genutzt wurden. Verschiedene Formen der Massage und von medizinischen Bädern kannte man bereits vor ca. 4000 Jahren in China.

Aus der Antike sind gezielte gymnastische und diätetische Erziehungsideale überliefert. Die Athleten der antiken Olympischen Spiele hatten speziell ausgebildete Trainer, die über die so genannte „Körperhygiene“ ihrer Schützlinge wachten. Damit taten sie für die Gesundheit und Vitalität der jungen Leute oft mehr als jeder Arzt.

Auch der griechische Arzt Hippokrates vertrat verschiedene medizinische Auffassungen, die sich heutzutage in der Physiotherapie wiederfinden. Er verstand den lebendigen Leib als Organismus, Gesundheit als Gleichgewicht und Krankheit als gestörten physischen und psychischen Gesamtzustand. Seine Überzeugung war, dass die Natur eine Heilkraft besitzt. Hippokrates und sein späteres römisches Pendant Galen hoben die gesundheitliche Wirkung aller „Leibesübungen“ hervor.

Das uralte Yoga lässt sich ebenfalls hier einstufen, mit seinen präzisen Asanas wie als passive Massage. In China findet sich das Qigong als Übungsmethode zur Selbstregulation und die Tuina-Anmo Therapie als manuelle Behandlungsmethode.

Schon früh nutzte man die positiven Beobachtungen zur Gesundheitsberatung der Bevölkerung. Man empfahl regelmäßige Bewegung in Form von Spaziergängen, Schwimmen, Laufen, Reiten, Spielen und Tanzen. Auch die erholsame und heilende Wirkung von Massagen und Heilbädern ist seit der Antike bekannt. Die Diätetik bezog sich nicht nur auf eine gesunde Ernährung. Ebenso wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wachen und Schlafen geachtet.

Bis ins hohe Mittelalter hinein änderte sich daran wenig, die „Rezepte“ blieben die gleichen. Eher war es so, dass durch den kirchlichen Einfluss das Wissen über den Körper in Vergessenheit geriet; u. a. hätten gottesfürchtige Geschöpfe das Leben und Leiden als schicksalhaft zu betrachten.[5] Dies änderte sich erst mit der Renaissance, in der die antiken Ideale wiederentdeckt wurden.

Humanismus und Aufklärung

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Vom Humanismus beeinflusst rückten jetzt auch Frauen, Kinder und behinderte Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen und Erkrankungen in den Mittelpunkt medizinischer Betrachtung. Im 18. Jahrhundert begründete der französische Arzt Nicolas Andry die Orthopädie (frei: „Erziehung zur aufrechten Haltung“). Er beobachtete systematisch die häufigen Haltungsschwächen und Deformitäten bei Kindern. Er verschrieb spezielle gymnastische Übungen zur Therapie und Prophylaxe. Der Schweizer Arzt Jean-André Venel (1740–1791) eröffnete 1780 die erste orthopädische Klinik der Welt in Orbe/Kanton Waadt.

Johann Christoph Friedrich Guts Muths begründete die pädagogische Gymnastik in Deutschland und Franz Nachtegall (1777–1847) 1798 in Kopenhagen die „Gymnastische Gesellschaft“. Aus deren Leibesübungen entwickelte der Schwede Pehr Henrik Ling eine gezielte therapeutische Gymnastik, wie heute noch an den „Gebrauchsbewegungen des Alltags“ angelehnt. Er kombinierte seine Behandlungen mit Massagen für spezielle Muskelgruppen.[6]

Im 18. Jahrhundert fanden erste Medikamente zwar Anklang, brachten allerdings auch Gefahren mit sich. Mancher Arzt propagierte die Anwendung von Mineralwässern, Heilbädern und der Hydrotherapie. Dies setzte sich im 19. Jahrhundert weiter fort, die Beliebtheit der Hydrotherapie stieg an.

Vor allem in Deutschland erlebte die Hydrotherapie einen wahren Boom: Der Urvater der Hydrotherapie, Sebastian Kneipp, entwickelte eine einfache Lebensregelung, kombinierte sie mit der Anwendung pflanzlicher Medikamente und einer Gesundheitserziehung.

Industrialisierung und Moderne

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Orthopädische Kindergymnastik, 1929

Der Berliner Arzt Albert C. Neumann brachte die „schwedische Heilgymnastik“ nach Deutschland. Er definierte als erster den Beruf des „Gymnasten“ und setzte sich für die berufliche Emanzipation der Frauen ein. 1853 eröffnete er die erste Gymnastenschule für Damen. Der Schwede Gustav Zander entwickelte ab ca. 1865 ein System von Gymnastik- und Massageapparaten, die medico-mechanische Therapie. In Deutschland wurden die Geräte u. a. in „Zander-Instituten“ als Trainingsgeräte in Vorsorge und Therapie eingesetzt, später kamen Weiterentwicklungen, Plagiate und einfachere Bewegungsgeräte hinzu.

Zudem wuchs der Bedarf an Behandlungen durch die Kriege (1870/71, 1914–18 und 1939–45) und infolge der steigenden Arbeits- und Verkehrsunfälle. Johann Hermann Lubinus gründete die von vielen Fachärzten angesehenen „Lubinus-Schulen“. Nun machte die Krankengymnastik erstmals verstärkt mit Patienten aus der Chirurgie und Neurologie Bekanntschaft (die Kinderlähmung nahm weltweit ein hohes Ausmaß an). Für die Behandlung von Herz- und Lungenerkrankungen sowie in der Rheumatologie fand eine Rückbesinnung zu Heilbädern und der Kneipp-Lehre statt. Im Jahr 1941 wurde Wolfgang Kohlrausch zum ersten Ordinarius für Bewegungstherapie an die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg berufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der DDR Lehrstühle in Berlin und in Jena eingerichtet.[7]

In Westdeutschland kam es nach der Währungsreform 1948 im Gesundheitswesen zu Sparmaßnahmen, die zu einem deutlichen Stellenabbau führten. Erst mit der Gründung von Landesverbänden konnte sich der Berufsstand wieder besser etablieren und ausbauen. Verträge mit Krankenkassen und eine Vereinheitlichung der Ausbildung machten krankengymnastische Einrichtungen wieder rentabel. In den 1950er Jahren bildete sich der ZVK (Zentralverband der Krankengymnasten), bis heute der größte aller deutschen Verbände. Durch seine Arbeit gelang 1959 eine bundesgesetzliche Abgrenzung des „Krankengymnasten“ zu anderen ärztlichen Hilfsberufen.

Abgrenzung als eigenständiger Berufsstand

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Im Zuge der Wiedervereinigung und der Anpassung an den internationalen Sprachgebrauch wurden 1994 die Berufsgesetze (siehe MPhG) novelliert. Von nun an heißen die Krankengymnasten einheitlich „Physiotherapeuten“.

Die in der DDR etablierte Facharzt-Weiterbildung wurde in den Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin überführt.[7]

Heutiges Berufsbild

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Die Behandlungen werden von Physiotherapeuten und in Teilbereichen von Masseuren und medizinischen Bademeistern durchgeführt. Physiotherapeut ist in Deutschland kein eigenständiger Heilberuf, sondern gehört zu den Gesundheitsfachberufen (früher Heilhilfsberufe). Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung wird ausschließlich durch Ärzte festgestellt und auf Rezept verordnet, außer bei präventiven Maßnahmen. Außerdem dürfen Physiotherapeuten direkt tätig werden, wenn sie sektorale Heilpraktiker für Physiotherapie (SHP) sind. Sporttherapeuten, -wissenschaftler und -lehrer erfüllen nicht die Zulassungsvoraussetzungen als Physiotherapeut und dürfen physiotherapeutische Heilmittel wie z. B. Krankengymnastik weder erbringen noch abrechnen.

Die Theorien der Physiotherapie basieren primär auf Anatomie und Physiologie des Menschen bzw. auf bewegungswissenschaftlichen Grundlagen (z. B. motorisches Training, sensomotorische Aktivierung, Wahrnehmungstraining, Haltungsschulung). Die physikalische Therapie basiert zudem auf den Grundlagen der Physik (z. B. Elektro-, Ultraschall-, Thermo-, Hydro-, Balneotherapie).

Die Physiotherapie orientiert sich bei der Behandlung an den Beschwerden und den Funktions-, Bewegungs- bzw. Aktivitätseinschränkungen des Patienten, die bei der physiotherapeutischen Untersuchung festgestellt werden. Sie nutzt sowohl diagnostische und auf clinical reasoning basierende, wie auch pädagogische und manuelle Kompetenzen des Therapeuten. Gegebenenfalls wird sie ergänzt durch natürliche physikalische Reize (z. B. Wärme, Kälte, Druck, Strahlung, Elektrizität) und fördert die Eigenaktivität (koordinierte Bewegung sowie die bewusste Wahrnehmung) des Patienten. Die Behandlung ist an die anatomischen und physiologischen, motivationalen und kognitiven Gegebenheiten des Patienten angepasst. Dabei zielt die Behandlung einerseits auf natürliche, physiologische Reaktionen des Organismus (z. B. motorisches Lernen, Muskelaufbau und Stoffwechselanregung), andererseits auf ein verbessertes Verständnis der Funktionsweise des Organismus (Dysfunktionen/Ressourcen) und auf eigenverantwortlichen Umgang mit dem eigenen Körper ab. Das Ziel ist die Wiederherstellung, Erhaltung oder Förderung der Gesundheit und dabei sehr häufig die Schmerzfreiheit bzw. -reduktion.

Die Ausbildung erfolgt an staatlichen oder privaten Berufsfachschulen, kann aber auch als Bachelorstudiengang an Hochschulen stattfinden und mit dem Bachelor of Science, seltener mit dem Bachelor of Arts, abschließen. Das Studium kann in drei verschiedenen Varianten ablaufen: Als ausbildungsintegrierender oder ausbildungsbegleitender Studiengang (dualer Studiengang), als primärqualifizierendes Studium, oder als berufsbegleitendes Studium.

In der Ausbildungsordnung verankerte Methoden sind u. a.:

Die grundlegende Ausbildung befähigt jedoch nicht automatisch zur Durchführung dieser Techniken. Wird eine zulassungsbeschränkte Therapieform wie beispielsweise Manuelle Therapie, PNF, Neurophysiologische Techniken o. Ä. vom Arzt an den Physiotherapeuten verordnet, so ist zur Erbringung des Heilmittels der Qualifizierungs-Nachweis des Therapeuten gegenüber der Krankenkasse notwendig. Dies bedeutet, dass zusätzlich zur Grundausbildung jeweilig spezielle Kurse besucht werden müssen, um die entsprechenden Rezeptpositionen abrechnen zu können.

Im englischen Sprachraum wird unter anderem die Pathokinesiologie/Kinesiopathologie als kennzeichnende Wissenschaft gesehen, der eine zentrale Rolle für die professionelle Identität der Physiotherapie[8] bzw. ihrer Abgrenzung zu anderen Berufen zukommt, welche sich im Gegensatz zu ihr nicht professionell mit dem menschlichen Bewegungssystem[9] auseinandersetzen. Publikationen forschender Physiotherapeuten werden international in medizinischen bzw. naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert und sind dabei dem peer-review unterzogen.[10][11][12][13][14][15][16][17]

Konkrete Anwendung finden z. B. die Arbeiten einer US-amerikanischen Forschergruppe bei der Etablierung spezifischer Diagnosekategorien, zum Zweck der ursachenbezogenen und zielgerichteten Therapie von Schmerzsyndromen des menschlichen Bewegungssystems.[18]

Interessensvertretung

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Die Interessen von Physiotherapeuten werden durch diverse Berufsverbände vertreten. Die vier großen Physiotherapieverbände VPT, Physio Deutschland, IFK und VDB bilden gemeinsam den Spitzenverband der Heilmittelerbringer (SVH) und vertreten die Seite der Physiotherapeuten in den Vertrags- und Vergütungsverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen, die mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) in den Verhandlungen vertreten sind.

Weitere Methoden

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Commons: Physiotherapie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Physiotherapie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Heilmittelkatalog: Zweiter Teil – Zuordnung der Heilmittel zu Indikationen. In: Heilmittel-Richtlinie. Gemeinsamer Bundesausschuss, 19. Januar 2023, abgerufen am 2. Juli 2024.
  2. (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 in der Fassung vom 29.06.2023. Bundesärztekammer, 29. Juni 2023, abgerufen am 21. März 2024.
  3. aus Prozedurenklassifikation im DRG-System. (sl.zvk.org (Memento vom 17. Februar 2011 im Internet Archive))
  4. Peter Geisler: Physiotherapie. Abgerufen am 9. September 2023.
  5. Paul Geraedts: Die Geschichte der Physiotherapie: Von der antiken Heilgymnastik zum modernen Gesundheitsberuf. Springer-Verlag, 2018, ISBN 978-3-658-23605-2 (google.de [abgerufen am 19. Januar 2021]).
  6. Arnd Krüger: Geschichte der Bewegungstherapie. In: Präventivmedizin. Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, 1–22.
  7. a b Immanuel-Krankenhaus: Geschichte. Abgerufen am 4. Februar 2024 (deutsch).
  8. Jules M Rothstein: Pathokinesiology – A Name for Our Times? In: Phys Ther. Band 66, 1986, S. 364–365. doi:10.1093/ptj/66.3.364
  9. S. A. Sahrmann: The human movement system: our professional identity. In: Phys Ther. Band 94, Nr. 7, Jul 2014, S. 1034–1042. PMID 24627430, doi:10.2522/ptj.20130319.
  10. S. A. Sahrmann, B. J. Norton: The relationship of voluntary movement to spasticity in the upper motor neuron syndrome. In: Trans Am Neurol Assoc. Band 102, 1977, S. 108–112. PMID 616084.
  11. A. Leduc, P. Lievens: Experimental evidence for motoric rehabilitation in lymphoedema (author’s transl). In: Acta Chir Belg. Band 78, Nr. 3, Mai-Jun 1979, S. 189–193. PMID 474032 (niederländisch)
  12. N. Guissard, J. Duchateau, K. Hainaut: Muscle stretching and motoneuron excitability. In: Eur J Appl Physiol Occup Physiol. Band 58, Nr. 1-2, 1988, S. 47–52. PMID 3203674.
  13. G. J. Graham, D. S. Butler: Whiplash in Australia: illness or injury? In: Med J Aust. Band 157, Nr. 6, 21. Sep 1992, S. 429. PMID 1448009.
  14. P. Bourgeois, O. Leduc, A. Leduc: Imaging techniques in the management and prevention of posttherapeutic upper limb edemas. In: Cancer. Band 83, Nr. 12 Suppl American, 15. Dez 1998, S. 2805–2813. PMID 9874402.
  15. G. Cheron, A. Bengoetxea, B. Dan, J. P. Draye: Multi-joint coordination strategies for straightening up movement in humans. In: Neurosci Lett. Band 242, Nr. 3, 20. Feb 1998, S. 135–138. PMID 9530924.
  16. P. Segers, J. P. Belgrado, A. Leduc, O. Leduc, P. Verdonck: Excessive pressure in multichambered cuffs used for sequential compression therapy. In: Phys Ther. Band 82, Nr. 10, Okt 2002, S. 1000–1008. PMID 12350214.
  17. G. L. Moseley, H. Flor: Targeting cortical representations in the treatment of chronic pain: a review. In: Neurorehabil Neural Repair. Band 26, Nr. 6, Jul-Aug 2012, S. 646–652. PMID 22331213, doi:10.1177/1545968311433209.
  18. M. Harris-Hayes, S. A. Sahrmann, B. J. Norton, G. B. Salsich: Diagnosis and management of a patient with knee pain using the movement system impairment classification system. In: J Orthop Sports Phys Ther. Band 38, Nr. 4, Apr 2008, S. 203–213. PMID 18434664, doi:10.2519/jospt.2008.2584.