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„Lebesgue-Maß“ – Versionsunterschied

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Das '''Lebesgue-Maß''' {{IPA|Tondatei=Lebesgue.ogg|ləˈbɛg}} (nach [[Henri Léon Lebesgue]]) ist das [[Maß (Mathematik)|Maß]] im [[Euklidischer Raum|euklidischen Raum]], das geometrischen Objekten ihren Inhalt (Länge, Flächeninhalt, Volumen …) zuordnet. Es ist ein Spezialfall des [[Lebesgue-Stieltjes-Maß]]es<ref>{{Literatur|Autor=Norbert Kusolitsch|Titel=Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie|TitelErg=Eine Einführung|Auflage=2., überarbeitete und erweiterte|Verlag=Springer-Verlag|Ort=Berlin Heidelberg|Jahr=2014|ISBN=978-3-642-45386-1|Seiten=68|DOI=10.1007/978-3-642-45387-8}} </ref> und dient zur Konstruktion des [[Lebesgue-Integral]]s.
Das '''Lebesgue-Maß''' (nach [[Henri Léon Lebesgue]]) ist das übliche verwendete [[Maß]] im [[Euklidischer Raum|euklidischen Raum]]. Das Lebesgue-Maß wird verwendet um
geometrischen Objekten (oder allgemeiner Mengen im euklidischen Raum) einen Inhalt (Volumen, Fläche, ..) zuzuordnen und es ist das zentrale Objekt, um das [[Lebesgue-Integral]] zu definieren. Das Lebesgue-Maß von einfachen geometrischen Objekten ist deren Volumen (im 3-dimensionalen), bzw Fläche oder Länge (für zwei- bzw ein-dimensionale Objekte). Das Maß ist jedoch viel allgemeiner als der naive Inhaltbegriff, es erlaubt auch komplizierten (aber nicht allen) Mengen einen wohldefinierten Wert als Inhalt zuzuorden.


== Hintergrund ==
Genaugenommen ist das Lebesque-Maß eigentlich der richtige Begriff für Volumen und Flächeninhalt. Dieses Konzept steht als
Endprodukt einer ganzen Reihe von Ideen, die versuchten den Begriff Volumen mathematisch exakt zu fassen. Erst mit dem Lebesgue-Maß kann dieser Prozess als abgeschlossen gelten.
Das Lebesgue-Maß ist aus der Sicht der modernen Mathematik der natürliche Begriff für Flächeninhalt und Volumen. Dieses Konzept ist das Endprodukt einer ganzen Reihe von Ideen, die versuchten, Begriffe wie Flächeninhalt und Volumen mathematisch exakt zu fassen. Erst mit dem Lebesgue-Maß kann dieser Prozess als abgeschlossen gelten. Das Lebesgue-Maß ordnet nicht nur einfachen geometrischen Objekten, sondern auch viel allgemeineren Mengen einschließlich aller [[Offene Menge|offenen]] und [[Abgeschlossene Menge|abgeschlossenen]] Mengen einen Inhalt zu. Die Existenz nicht Lebesgue-messbarer Mengen (etwa der [[Vitali-Menge]]n) lässt sich [[Konstruktiver Beweis|nicht-konstruktiv]] unter Verwendung des [[Auswahlaxiom]]s beweisen.


== Definition ==
===Konstruktion des Lebesgue-Maß ===
Das '''Lebesgue-[[Borel-Maß]]''' auf der [[Borel-σ-Algebra]] <math>\mathcal B(\R^n)</math> (auch als ''Borel-Lebesgue-Maß'' oder nur ''Borel-Maß'' bezeichnet) ist das eindeutige [[Maß (Mathematik)|Maß]] <math>\lambda</math> mit der Eigenschaft, dass es <math>n</math>-dimensionalen [[Hyperrechteck]]en ihr <math>n</math>-dimensionales [[Volumen]] zuordnet:
Eine mögliche Definition des Lebesgue-Maß ist die Konstruktion von [[Constantin Carathéodory|Carathéodory]]. Für eine gegebene Menge B definiert man
::<math>\lambda([a_1, b_1]\times\dotsb\times[a_n, b_n]) = (b_1-a_1)\cdot \ldots \cdot (b_n-a_n)</math>.
Das heißt, es ist das Maß, das [[Intervall (Mathematik)|Intervallen]] ihre Länge zuordnet (im Eindimensionalen), [[Rechteck]]en ihren Flächeninhalt zuordnet (im Zweidimensionalen), [[Quader]]n ihr Volumen zuordnet (im Dreidimensionalen) usw. Durch diese Bedingung wird der Inhalt <math>\lambda(B)</math> beliebiger Borel-Mengen eindeutig festgelegt. Die Borel-Mengen werden auch ''Borel-messbar'' oder ''B-messbar'' genannt. Das Borel-Maß ist [[Bewegungsinvariante Funktion|bewegungsinvariant]] und normiert, aber nicht [[Vollständiges Maß|vollständig]].
Die Existenz des Lebesgue-Borel-Maßes wurde im Eindimensionalen zum ersten Mal von [[Émile Borel]] 1895 bewiesen, eine modernere Konstruktion über den [[Maßerweiterungssatz von Carathéodory|Maßerweiterungssatz]] geht auf [[Constantin Carathéodory]] (1918) zurück.<ref>[[Olav Kallenberg]]: ''Foundations of Modern Probability.'' 2nd edition. Springer, New York NY u. a. 2002, ISBN 0-387-95313-2, S. 570.</ref>


Das ''Lebesgue-Maß'' ist das [[Vervollständigung (Maßtheorie)|vollständige Maß]] <math>\lambda</math>, das man aus diesem Maß erhält, wenn man zu <math>\mathcal B(\R^n)</math> alle Mengen <math>A</math> hinzufügt, die zwischen zwei Borel-Mengen liegen (<math>B_1 \subset A \subset B_2</math>), welche denselben Inhalt haben, genauer <math>\lambda(B_2 \setminus B_1) = 0</math>, und so <math>\lambda(A)</math> festlegen. Die Mengen, für die das Lebesgue-Maß auf diese Weise definiert ist, heißen ''Lebesgue-messbar'' (oder ''L-messbar''). Sie bilden in der Folge die '''Lebesgue-<math>\sigma</math>-Algebra'''.
:''&lambda;''<sup>*</sup>(''B''):= ''inf'' (vol(''M'')| ''M'' ist [[abzählbar]]e Vereinigung von [[Kartesisches Produkt|Produkten]] von Intervallen und ''B'' ist eine Teilmenge von ''M'')


== B-messbar und L-messbar ==
Hier ist vol(M) das Volumen von M. Da dies nur aus Produkten von Intervallen besteht lässt sich das Volumen einfach als Produkt der einzelnen Seitenlängen berechnen.
Es lässt sich zeigen, dass die Menge der L-messbaren Mengen <math>\mathcal L(\R^n)</math> wesentlich ''größer'' als die Menge der B-messbaren Mengen ist:<ref name="Leinert">[[Michael Leinert (Mathematiker)|Michael Leinert]]: ''Integration und Maß.'' Vieweg, Braunschweig u. a. 1995, ISBN 3-528-06385-8, 4.20.</ref><ref>Beispiele für nicht B-messbare L-messbare Mengen sind zum ersten Mal von Suslin gegeben worden. Er hat dabei das System der sogenannten [[Analytische Menge|analytischen Mengen]] entwickelt, das eine echte Erweiterung des Systems der Borelschen Mengen ist und komplett im System der L-messbaren Mengen liegt.</ref>
:<math> \operatorname{card}(\mathcal L(\R^n))=
\operatorname{card}(\operatorname{Pot}(\R^n))=
2^{\operatorname{card}(\mathbb{R}^n)}=
2^{\operatorname{card}(\mathbb{R})}
>\operatorname{card}(\R)=\operatorname{card}(\R^n)
=\operatorname{card}(\mathcal B(\R^n))\,,</math>
wobei <math>\operatorname{card}</math> für [[Kardinalität (Mathematik)|Kardinalität]] und <math>\operatorname{Pot}</math> für die Potenzmenge einer Menge steht.


== Nullmengen ==
Eine Menge A ist Lebesgue-messbar wenn für alle Mengen B gilt:
Mengen, deren Lebesgue-Maß gleich 0 ist, werden ''Lebesgue-[[Nullmenge]]n'' genannt. [[Abzählbare Menge|Abzählbare]] Mengen wie z. B. die Menge der [[Rationale Zahlen|rationalen Zahlen]] sind Lebesgue-Nullmengen. Ein Beispiel für eine [[überabzählbar]]e Lebesgue-Nullmenge ist das [[Cantor-Menge|Cantorsche Diskontinuum]].<ref>Das cantorsche Diskontinuum ist auch eine borelsche Nullmenge. Da das Lebesgue-Maß vollständig ist, sind alle Untermengen des cantorschen Diskontinuums L-messbar. Daraus folgt die erste von den oben erwähnten Ungleichungen – nämlich, dass das System der L-messbaren Mengen echt mächtiger als das [[Kontinuum (Mathematik)|Kontinuum]] ist.</ref> Gilt eine mathematische Aussage für ein Gebiet mit Ausnahme einer Lebesgue-Nullmenge innerhalb des Gebietes, so sagt man: Die Aussage gilt ''Lebesgue-[[fast überall]]''.


== Eigenschaften ==
:<math> \lambda^*(B) = \lambda^*(A\cap B) + \lambda^*(B - A) </math>
[[Datei:Translation of a set.svg|mini|300px|Da das Lebesgue-Maß translationsinvariant ist, ist das Lebesgue-Maß von <math>A</math> und <math>A+t</math> das gleiche.]]
Das Lebesgue-Maß ist das [[Haar-Maß]] auf der [[lokalkompakt]]en [[Topologische Gruppe|topologischen Gruppe]] <math>\R^n</math> mit der [[Addition]], die Existenz folgt daher bereits aus der Existenz des Haarmaßes. Insbesondere ist es [[Translationsinvarianz|translationsinvariant]], das bedeutet, dass sich das Maß einer Menge unter [[Parallelverschiebung|Translation]] nicht ändert. Zudem ist es invariant unter [[Spiegelung (Geometrie)|Spiegelungen]] und [[Drehung]]en <math>R</math>, also sogar invariant unter [[Isometrie]]n in <math>\R^n</math>
:<math>\lambda(x)=\lambda(x_0+Rx),\quad R^TR=I_n.</math>
Das Lebesgue-Maß ist [[σ-endliches Maß|σ-endlich]] und [[Reguläres Maß|regulär]].


== Charakterisierung der Lebesgue-Messbarkeit ==
Die Lebesgue-messbaren Mengen bilden eine [[Sigma-Algebra]] und für diese definiert man das Lebesgue-Maß
Eine Teilmenge <math>A</math> des <math>\R^n</math> ist Lebesgue-messbar genau dann, wenn sie die folgende [[Charakteristikum|charakteristische Eigenschaft]] aufweist:<ref name="Elstrodt">[[Jürgen Elstrodt]]: ''Maß- und Integrationstheorie.'', 7., korrigierte und aktualisierte, Springer, Heidelberg u. a. 2011, ISBN 978-3-642-17904-4, S. 67.</ref>
: ''Zu jeder vorgegebenen [[Beschränktheit#Beschränktheit bezüglich einer Ordnungsrelation|Schranke]] <math>\varepsilon > 0</math> gibt es im <math>\R^n</math> stets eine [[offene Menge]] <math>U</math> sowie eine [[abgeschlossene Menge]] <math>F</math> mit''
: <math>F \subseteq A \subseteq U</math> ''und'' <math> \lambda^{n}(U \setminus F) < \varepsilon </math>.


== Konstruktion des Lebesgue-Maßes ==
:<math> \lambda(A) = \lambda^*(A) </math>
Eine mögliche Definition des Lebesgue-Maßes ist die Konstruktion von [[Constantin Carathéodory|Carathéodory]]. Sei <math>\mathcal{D}</math> die Menge der [[Dyadische Elementarzellen|dyadischen Elementarzellen]] und <math>\operatorname{vol}(A_i)</math> das Volumen von <math>A_i</math>; da diese Mengen nur aus Produkten von Intervallen bestehen, definiert man das Volumen einfach als Produkt der einzelnen Seitenlängen. <math>\mathcal{D}</math> ist ein [[Halbring (Mengensystem)|Halbring]] und <math>\operatorname{vol}</math> ein <math>\sigma</math>-endlicher [[Inhalt (Maßtheorie)|Inhalt]], also ein [[Prämaß]]. Dieses Prämaß wird auch das [[Lebesguesches Prämaß|Lebesguesche Prämaß]] genannt. Nach dem [[Maßerweiterungssatz von Carathéodory]] lässt es sich eindeutig zu einem Maß auf der erzeugten <math>\sigma</math>-Algebra, das sind gerade die Borel-Mengen, fortsetzen. Diese Fortsetzung ist das Lebesgue-Borel-Maß.


Konkret lässt sich der Beweis wie folgt führen (der Beweis des allgemeinen Maßerweiterungssatzes geht in den wesentlichen Punkten analog): Für eine gegebene Menge <math>A \subseteq \R^n</math> definiert man
Es gibt sowohl messbare als auch nichtmessbare Mengen. Die nichtmessbaren Mengen gelten aber als Ausnahmefall, tatsächlich ist es nicht möglich eine nichtmessbare Menge '''einfach''' hinzuschreiben. Jede Definition einer solchen ist nicht konstruktiv
und benötigt das [[Auswahlaxiom]]. (Ein Paradoxon, das auf nichtmessbaren Mengen beruht, ist das [[Banach-Tarski-Paradoxon]]) In diesem Sinn kann man als Faustregel davon ausgehen, dass alle in der Realität auftauchenden Mengen Lebesgue-messbar sind.


:<math> \lambda^*(A) := \inf \left\{\sum_{i \geq 1} \operatorname{vol}(A_i): A \subseteq \bigcup_{i \geq 1} A_i,\ A_i \in \mathcal{D}\right\} </math>.
===Nullmenge===
Mengen, deren Lebesgue-Maß 0 (obwohl die Mengen nicht leer sind) ist, bezeichnet man als Nullmengen. Zum Beispiel ist jede abzählbare Menge eine [[Nullmenge]]. Es gibt aber auch nicht abzählbare Nullmengen. Nullmengen kann man sich gewissermaßen als nebelartige Gebilde vorstellen, die kein vernünftiges Volumen haben.


Die Funktion <math>\lambda^*</math> ist auf der gesamten [[Potenzmenge]] <math>\mathcal{P}(\R^n)</math> definiert und ein [[äußeres Maß#Metrisches äußeres Maß|metrisches äußeres Maß]], jedoch kein [[Maßtheorie#Maß|Maß]]. Um zu einem Maß zu kommen, kann man wie folgt von der Potenzmenge zu einem kleineren [[Mengensystem]] übergehen.
''siehe auch:'' [[Maßtheorie]]


Eine Menge <math>A \in \mathcal{P}(\R^n)</math> ist <math>\lambda^*</math>-messbar, wenn für alle <math>B \in \mathcal{P}(\R^n)</math> gilt:
[[Kategorie:Mengenlehre]]
[[Kategorie:Analysis]]
[[Kategorie:Maßtheorie]]


:<math> \lambda^*(B) = \lambda^*(A\cap B) + \lambda^*(B \setminus A) </math>
[[en:Lebesgue measure]]
(siehe [[Messbarkeit nach Carathéodory]]).
[[fr:Mesure de Lebesgue]]

[[he:מידת לבג]]
Alle bezüglich <math>\lambda^*</math> messbaren Mengen aus <math>\mathcal{P}(\R^n)</math> bilden eine [[σ-Algebra]] <math>\mathcal{A}</math> und <math>\lambda^*</math> darauf ein [[Maßtheorie#Maß|Maß]], d.&nbsp;h., <math> \lambda := \lambda^*\vert_\mathcal{A} </math> ist ein Maß.
[[pl:Miara Lebesgue'a]]

== Lebesgue-Maß in unendlichdimensionalen Räumen ==
{{Hauptartikel|Unendlichdimensionales Lebesgue-Maß}}

== Siehe auch ==
* [[Lebesgue-Integral]]
* [[Lp-Raum|''L''<sup>''p''</sup>-Raum]]
* [[Maßproblem]]

== Quellen und weiterführende Informationen ==
<references />

{{SORTIERUNG:Lebesgue-Mass}}
[[Kategorie:Maß (Mathematik)]]

Aktuelle Version vom 6. Februar 2025, 13:23 Uhr

Das Lebesgue-Maß [ləˈbɛg (nach Henri Léon Lebesgue) ist das Maß im euklidischen Raum, das geometrischen Objekten ihren Inhalt (Länge, Flächeninhalt, Volumen …) zuordnet. Es ist ein Spezialfall des Lebesgue-Stieltjes-Maßes[1] und dient zur Konstruktion des Lebesgue-Integrals.

Das Lebesgue-Maß ist aus der Sicht der modernen Mathematik der natürliche Begriff für Flächeninhalt und Volumen. Dieses Konzept ist das Endprodukt einer ganzen Reihe von Ideen, die versuchten, Begriffe wie Flächeninhalt und Volumen mathematisch exakt zu fassen. Erst mit dem Lebesgue-Maß kann dieser Prozess als abgeschlossen gelten. Das Lebesgue-Maß ordnet nicht nur einfachen geometrischen Objekten, sondern auch viel allgemeineren Mengen einschließlich aller offenen und abgeschlossenen Mengen einen Inhalt zu. Die Existenz nicht Lebesgue-messbarer Mengen (etwa der Vitali-Mengen) lässt sich nicht-konstruktiv unter Verwendung des Auswahlaxioms beweisen.

Das Lebesgue-Borel-Maß auf der Borel-σ-Algebra (auch als Borel-Lebesgue-Maß oder nur Borel-Maß bezeichnet) ist das eindeutige Maß mit der Eigenschaft, dass es -dimensionalen Hyperrechtecken ihr -dimensionales Volumen zuordnet:

.

Das heißt, es ist das Maß, das Intervallen ihre Länge zuordnet (im Eindimensionalen), Rechtecken ihren Flächeninhalt zuordnet (im Zweidimensionalen), Quadern ihr Volumen zuordnet (im Dreidimensionalen) usw. Durch diese Bedingung wird der Inhalt beliebiger Borel-Mengen eindeutig festgelegt. Die Borel-Mengen werden auch Borel-messbar oder B-messbar genannt. Das Borel-Maß ist bewegungsinvariant und normiert, aber nicht vollständig. Die Existenz des Lebesgue-Borel-Maßes wurde im Eindimensionalen zum ersten Mal von Émile Borel 1895 bewiesen, eine modernere Konstruktion über den Maßerweiterungssatz geht auf Constantin Carathéodory (1918) zurück.[2]

Das Lebesgue-Maß ist das vollständige Maß , das man aus diesem Maß erhält, wenn man zu alle Mengen hinzufügt, die zwischen zwei Borel-Mengen liegen (), welche denselben Inhalt haben, genauer , und so festlegen. Die Mengen, für die das Lebesgue-Maß auf diese Weise definiert ist, heißen Lebesgue-messbar (oder L-messbar). Sie bilden in der Folge die Lebesgue--Algebra.

B-messbar und L-messbar

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Es lässt sich zeigen, dass die Menge der L-messbaren Mengen wesentlich größer als die Menge der B-messbaren Mengen ist:[3][4]

wobei für Kardinalität und für die Potenzmenge einer Menge steht.

Mengen, deren Lebesgue-Maß gleich 0 ist, werden Lebesgue-Nullmengen genannt. Abzählbare Mengen wie z. B. die Menge der rationalen Zahlen sind Lebesgue-Nullmengen. Ein Beispiel für eine überabzählbare Lebesgue-Nullmenge ist das Cantorsche Diskontinuum.[5] Gilt eine mathematische Aussage für ein Gebiet mit Ausnahme einer Lebesgue-Nullmenge innerhalb des Gebietes, so sagt man: Die Aussage gilt Lebesgue-fast überall.

Da das Lebesgue-Maß translationsinvariant ist, ist das Lebesgue-Maß von und das gleiche.

Das Lebesgue-Maß ist das Haar-Maß auf der lokalkompakten topologischen Gruppe mit der Addition, die Existenz folgt daher bereits aus der Existenz des Haarmaßes. Insbesondere ist es translationsinvariant, das bedeutet, dass sich das Maß einer Menge unter Translation nicht ändert. Zudem ist es invariant unter Spiegelungen und Drehungen , also sogar invariant unter Isometrien in

Das Lebesgue-Maß ist σ-endlich und regulär.

Charakterisierung der Lebesgue-Messbarkeit

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Eine Teilmenge des ist Lebesgue-messbar genau dann, wenn sie die folgende charakteristische Eigenschaft aufweist:[6]

Zu jeder vorgegebenen Schranke gibt es im stets eine offene Menge sowie eine abgeschlossene Menge mit
und .

Konstruktion des Lebesgue-Maßes

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Eine mögliche Definition des Lebesgue-Maßes ist die Konstruktion von Carathéodory. Sei die Menge der dyadischen Elementarzellen und das Volumen von ; da diese Mengen nur aus Produkten von Intervallen bestehen, definiert man das Volumen einfach als Produkt der einzelnen Seitenlängen. ist ein Halbring und ein -endlicher Inhalt, also ein Prämaß. Dieses Prämaß wird auch das Lebesguesche Prämaß genannt. Nach dem Maßerweiterungssatz von Carathéodory lässt es sich eindeutig zu einem Maß auf der erzeugten -Algebra, das sind gerade die Borel-Mengen, fortsetzen. Diese Fortsetzung ist das Lebesgue-Borel-Maß.

Konkret lässt sich der Beweis wie folgt führen (der Beweis des allgemeinen Maßerweiterungssatzes geht in den wesentlichen Punkten analog): Für eine gegebene Menge definiert man

.

Die Funktion ist auf der gesamten Potenzmenge definiert und ein metrisches äußeres Maß, jedoch kein Maß. Um zu einem Maß zu kommen, kann man wie folgt von der Potenzmenge zu einem kleineren Mengensystem übergehen.

Eine Menge ist -messbar, wenn für alle gilt:

(siehe Messbarkeit nach Carathéodory).

Alle bezüglich messbaren Mengen aus bilden eine σ-Algebra und darauf ein Maß, d. h., ist ein Maß.

Lebesgue-Maß in unendlichdimensionalen Räumen

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Quellen und weiterführende Informationen

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  1. Norbert Kusolitsch: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-45386-1, S. 68, doi:10.1007/978-3-642-45387-8.
  2. Olav Kallenberg: Foundations of Modern Probability. 2nd edition. Springer, New York NY u. a. 2002, ISBN 0-387-95313-2, S. 570.
  3. Michael Leinert: Integration und Maß. Vieweg, Braunschweig u. a. 1995, ISBN 3-528-06385-8, 4.20.
  4. Beispiele für nicht B-messbare L-messbare Mengen sind zum ersten Mal von Suslin gegeben worden. Er hat dabei das System der sogenannten analytischen Mengen entwickelt, das eine echte Erweiterung des Systems der Borelschen Mengen ist und komplett im System der L-messbaren Mengen liegt.
  5. Das cantorsche Diskontinuum ist auch eine borelsche Nullmenge. Da das Lebesgue-Maß vollständig ist, sind alle Untermengen des cantorschen Diskontinuums L-messbar. Daraus folgt die erste von den oben erwähnten Ungleichungen – nämlich, dass das System der L-messbaren Mengen echt mächtiger als das Kontinuum ist.
  6. Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie., 7., korrigierte und aktualisierte, Springer, Heidelberg u. a. 2011, ISBN 978-3-642-17904-4, S. 67.