„Heimweh“ – Versionsunterschied
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Das '''Heimweh''' und das '''Fernweh''' bezeichnen den Drang nach einem bestimmten entfernten [[Ort]]. |
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'''Heimweh''' ist die [[Sehnsucht]] in der Fremde, wieder in der [[Heimat]] zu sein. Zahlreiche Kunstwerke, Lieder und Bücher aus allen Jahrhunderten berichten vom schmerzenden Gefühl, fernab der Heimat zu sein. Das Wort „Heimweh“ steht im wörtlichen Gegensatz zu [[Fernweh]], der Sehnsucht in die Ferne. |
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Während Fernweh den Wunsch nach neuen Erfahrungen bezeichnet, führt Heimweh ("Schweizer Krankheit") zur [[Sehnsucht]] nach der [[Sicherheit]] und [[Geborgenheit]] des Bekannten. Der Mensch sehnt sich in einer psychischen Krisensituation, wie sie bei der Trennung von Gewohnheit und Sicherheit auftreten kann, nach dem Bekannten und Vertrauten. Dieser Verlust wird als sehr schmerzhaft empfunden, der Betroffene sucht eine Besserung durch die Rückkehr in seine individuelle Heimat. Nach der psychologischen Reaktanztheorie (J.W. Brehm,1966) versucht das Individuum die Beeinflussung seiner Freiheit so abzuwehren, indem er dazu tendiert, die nicht angebotenen oder nicht verfügbaren Alternativen als attraktiver anzusehen. So entsteht der Leidensdruck, der sich regelrecht zu einer Art psychischer Erkrankung auswirken kann. Bekannte literarische Beispiele für Heimweh sind sowohl [[Robinson Crusoe]] von [[Daniel Defoe]], als auch [[Heidi]] von [[Johanna Spyri]]. Insbesondere Kinder, die zum ersten Mal auf eine mehrtägige Freizeit fahren und auswärts übernachten leiden schnell an Heimweh. |
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== Begriff == |
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Das Krankheitsbild der "''Nostalgia''" ([[Griechische Sprache|griechisch]]: noostol: Rückkehr, Heimkunft) und algia: Traurigkeit, Schmerz, Leiden) wurde unter diesem Namen im Jahre 1678 von Hofer in [[Basel]] zuerst beschrieben. Man kennt es daher auch heute noch unter der Bezeichnung ''Schweizer Krankheit''. Es handelte sich bereits damals um eine durch [[Frustration|unbefriedigte]] Sehnsucht nach der [[Heimat]] begründete [[Melancholie]] oder [[Monomanie]], welche eine bedeutende Zerrüttung der körperlichen Gesundheit, Entkräftung, [[Auszehrung|Abzehrung]], [[Fieber]] und gar den Tod zur Folge hat. In [[Frankreich]] war es bis über die Mitte des [[18. Jahrhundert|18. Jahrhunderts]] hinaus bei [[Todesstrafe]] verboten, den sogenannten ''"Kuhreihen"'', ein bekanntes [[Volkslied]] ("Chue-Reyen", "Ranz des Vaches") zu singen oder zu pfeifen, weil die [[Schweiz|schweizerischen]] [[Söldner|Soldaten]] durch das Hören desselben haufenweise in Heimweh verfielen, desertierten oder starben. [[Volk|Bergvölker]] scheinen [[Empfindlichkeit|empfindlicher]] als Flachländer für diese Art Heimweh zu sein. |
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Das Wort „Heimweh“ lässt sich erstmals in der Schweiz nachweisen; das ''[[Schweizerisches Idiotikon|Schweizerische Idiotikon]]'' führt als früheste Nennung einen Beleg von 1651 auf.<ref>''Schweizerisches Idiotikon'' Bd. XV Sp. 42 f., Artikel [https://digital.idiotikon.ch/p/lem/219470 ''Heimwē'']</ref> Schon bald wurde es in der ärztlichen Fachliteratur gebraucht, blieb aber zunächst auf die Schweiz beschränkt. Erst in der Zeit der Romantik (19. Jahrhundert) zog der Begriff auch in andere deutschsprachige Länder ein.<ref>[[Karl Jaspers]]: ''Heimweh und Verbrechen'' (= ''Splitter.'' Bd. 21). Belleville-Verlag, München 1996, ISBN 3-923646-61-5, S. 31.</ref> |
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== Soziologie == |
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==Zitate und Aphorismen== |
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Soziologisch gesehen, richtet sich Heimweh auf verlorene [[Gemeinschaft]]en, vor allem während der Kindheit. Aber auch im Erwachsenenalter tritt Heimweh auf, wenn der Einzelne sich (‚in der großen Stadt‘, ‚unter lauter Fremden‘ usw.) [[Einsamkeit|vereinsamt]] fühlt, zumal in psychischen Krisen. Der Verlust vertrauter Umgebung wird als sehr schmerzhaft empfunden, der Betroffene sucht eine Besserung durch die Rückkehr in seine als sicher empfundene Heimat. |
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:*''Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Zauns.'' |
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:*''Was ich haben kann das will ich nicht, und was ich will, das krieg ich nicht. ([[Fehlfarben]])'' |
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:*''Durst ist schlimmer als Heimweh'' |
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:*''Ich hab so Heimweh nach dem [[Kurfürstendamm]]'' ([[Hildegard Knef]]) |
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:*'' Heimweh'' Film und [[Schlager]] von und mit [[Freddy Quinn]] |
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== Psychologie == |
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Nach der psychologischen [[Reaktanz (Psychologie)|Reaktanztheorie]] (J. W. Brehm, 1966) versucht das Individuum, die Beeinflussung seiner Freiheit abzuwehren, indem es dazu tendiert, die nicht angebotenen oder nicht verfügbaren Alternativen als attraktiver anzusehen. So entsteht der [[Leidensdruck]], der sich in einer psychischen Erkrankung auswirken kann. Insbesondere Kinder, die zum ersten Mal auf eine mehrtägige Reise gehen und auswärts übernachten, leiden schnell an Heimweh. |
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Für Heimweh als alltägliches psychisches Phänomen haben sich mehrere verhaltenstherapeutische Ansätze als wirksam erwiesen. Insbesondere häufige soziale Kontakte und eine bewusste Aufmerksamkeit auf angenehme Aktivitäten können den mentalen Raum von belastenden Gefühlen und Gedanken reduzieren.<ref>[http://www.psychologen-online.com/wissen-und-tipps/heimweh/ ''Hilfe bei Heimweh''], Psychologen Online, abgerufen am 10. Juli 2017.</ref> |
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Heimweh ist nach Reinhard Lay<ref>{{Literatur |Autor=Reinhard Lay |Titel=Ethik in der Pflege. Das Lehrbuch für alle Bereiche der Pflege |Auflage=3., vollständig überarbeitete und erweiterte |Verlag=Schlütersche Fachmedien |Ort=Hannover |Datum=2022 |ISBN=978-3-8426-0838-2 |Seiten=299}}</ref> eine schmerzhafte Sehnsucht, die außerhalb der vertrauten Umgebung auftritt. Das Verlusterleben könne zur krisenhaften Reflexion veranlassen und im günstigen Fall Wachstums-, Bewältigungs- und Konsolidierungsschritte der Persönlichkeit anstoßen. |
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== Die Schweizerkrankheit == |
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Das Krankheitsbild ''[[Nostalgie|Nostalgia]]'' ({{elS|νόστος}} ''nóstos'' ‚Rückkehr‘ und άλγος ''álgos'' ‚Traurigkeit‘, ‚Schmerz‘, ‚Leiden‘) wurde unter diesem Namen im Jahre 1688 von dem Arzt [[Johannes Hofer der Ältere|Johannes Hofer]] in [[Basel]] zuerst beschrieben.<ref>Johannes Hoferus: ''Dissertatio medica de Nostalgia, oder Heimwehe.'' Basel 1688.</ref> Man kennt es auch unter der Bezeichnung ''Schweizerkrankheit'' ({{laS|morbus helveticus}}). |
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Es handelt sich um eine durch [[Frustration|unbefriedigte]] Sehnsucht nach der [[Heimat]] begründete [[Melancholie]] oder [[Monomanie]], welche eine bedeutende Zerrüttung der körperlichen Gesundheit, Entkräftung, [[Auszehrung|Abzehrung]], [[Fieber]] und gar den Tod zur Folge hat. Der Name „Schweizerkrankheit“ begründet sich mit der Definition durch im Ausland stationierte Schweizer Soldaten, die unter Heimweh litten. Das im 18. Jahrhundert verbreitete Gerücht, es sei in [[Frankreich]] bei [[Todesstrafe]] verboten, den ''[[Kuhreihen]]'' (''Chue-Reyen,'' {{frS|Ranz des Vaches}}), ein bekanntes Hirtenlied, zu singen oder zu pfeifen, weil sich bei dessen Anhören die Schweizer Soldaten des Heimwehs nicht mehr erwehren könnten und es sie zur [[Fahnenflucht]] verleite, wurde von [[Jean-Jacques Rousseau]] aufgegriffen.<ref>{{HLS|17439|Heimweh|Autor=Christian Schmid}}</ref> Auch das Singen des ''[[Guggisberglied]]es'' soll Schweizer [[Söldner]]n verboten gewesen sein.<ref>Urs Hostettler: ''Anderi<!--sic--> Lieder. Von den geringen Leuten, ihren Legenden und Träumen, ihrer Not und ihren Aufständen. Zusammengestellt und kommentiert von Urs Hostettler.'' Zytglogge, Bern 1979, S. 67.</ref> |
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Das Volks- und [[Soldatenlied]] ''Zu Straßburg auf der Schanz / Da fing mein Leiden an'' hat die Heimwehkrankheit zum Thema.<ref>Matthias Slunitschek: ''Nostalgia oder das Deserteursschicksal in Zu Straßburg auf der Schanz,'' in: Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs 57/2012, S. 81–110.</ref> |
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== Belletristik und Film == |
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Das Heimweh thematisieren die Erzählungen ''[[Der Marsch nach Hause]]''<ref>{{PGDW|raabe/marsch/marsch|Der Marsch nach Hause|[[Wilhelm Raabe]]}}</ref> von [[Wilhelm Raabe]] und ''[[Heidi (Roman)|Heidi]]'' von [[Johanna Spyri]], dann auch [[Theodor Fontane]]s Ballade ''[[Archibald Douglas (Ballade)|Archibald Douglas]]'' (1854). Ein Gedicht von [[Mascha Kaleko]] trägt den Titel ''Heimweh, wonach?''; [[Abbas Khider]] stellt das Gedicht seinem Buch ''Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch'' (2019) voran. |
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Sehr erfolgreich war der Film ''[[Heimweh (1943)|Heimweh]]'' von 1943 mit dem Filmhund ''[[Lassie]]''. Auch im Zentrum des Films ''[[Nostalghia]]'' (1983) von [[Andrei Tarkowski]] steht dieses Gefühl. |
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* Christopher A. Thurber, Edward Walton: ''[http://pediatrics.aappublications.org/content/119/1/192 Preventing and treating homesickness.]'' In: ''Pediatrics,'' Januar 2007, Band 119, Heft 1, S. 192–201; unter dem gleichen Titel in: ''Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America,'' Oktober 2007, Band 16, Heft 4, S. 843–58, {{DOI|10.1016/j.chc.2007.05.003}}, [http://campspirit.com/files/2012/05/CHC336_Homesickness.pdf PDF] bei campspirit.com (Christopher Thurber) |
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* Simon Bunke: ''Heimweh. Studien zur Kultur- und Literaturgeschichte einer tödlichen Krankheit.'' (= ''Rombach-Wissenschaften''. Reihe: ''Litterae.'' 156). Dissertation an der Universität München 2006. Rombach, Freiburg im Breisgau 2009, ISBN 978-3-7930-9510-1. |
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* Simon Bunke: ''Heimweh.'' In: [[Bettina von Jagow]], Florian Steger (Hrsg.): ''Literatur und Medizin. Ein Lexikon.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, Sp. 380–384, ISBN 3-525-21018-3. |
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* [[Karl Jaspers]]: ''Heimweh und Verbrechen.'' mit Essays von [[Elisabeth Bronfen]] und Christine Pozsár (= ''Splitter.'' 21). Zum Teil Dissertation Universität Heidelberg 1909. Belleville, München 1996, ISBN 3-923646-61-5. |
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* [[Friedrich Kluge]]: ''Heimweh. Ein wortgeschichtlicher Versuch.'' («Programm zur Feier des Geburtstags seiner Königlichen Hoheit des Grossherzogs Friedrich des durchlauchtigsten Rector Magnificentissimus der Albert-Ludwigs-Universität»). Universitäts-Buchdruckerei Lehmann’s Nachfolger Hochreuther, Freiburg im Breisgau 1901, {{OCLC|258285150}}. |
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* Elke Regina Maurer: ''Heimweh. Geschmack der Heimat.'' Centaurus, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-86226-083-6. |
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* [[Willy Puchner]]: ''Illustriertes Fernweh. Vom Reisen und nach Hause kommen.'' Frederking & Thaler, München 2006, ISBN 3-89405-389-5. |
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* {{HLS|17439|''Heimweh''|Autor=[[Christian Schmid (Dialektologe)|Christian Schmid]]}} |
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* Christian Schmid-Cadalbert: ''Heimweh oder Heimmacht.'' In: ''Schweizerisches Archiv für Volkskunde'' 89, 1993, S. 69–85. |
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* [[Christoph Schminck-Gustavus|C. U. Schminck-Gustavus]]: ''Das Heimweh des [[Walerjan Wróbel]]. Ein Sondergerichtsverfahren 1941/42.'' Dietz, Berlin u. a. 1992, ISBN 3-8012-0117-1. |
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* ''[[Schweizerisches Idiotikon]],'' Band XV Sp. 42 f., Artikel [https://digital.idiotikon.ch/p/lem/219470 ''Heimwē'']. |
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* Alexander Rechsteiner: [https://blog.nationalmuseum.ch/2019/09/heimweh/ ''Heimweh nach den Bergen.''] Im Blog des [[Schweizerisches Nationalmuseum|Schweizerischen Nationalmuseums]] vom 18. September 2019. |
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== Einzelnachweise == |
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Aktuelle Version vom 2. April 2025, 14:20 Uhr
Heimweh ist die Sehnsucht in der Fremde, wieder in der Heimat zu sein. Zahlreiche Kunstwerke, Lieder und Bücher aus allen Jahrhunderten berichten vom schmerzenden Gefühl, fernab der Heimat zu sein. Das Wort „Heimweh“ steht im wörtlichen Gegensatz zu Fernweh, der Sehnsucht in die Ferne.
Begriff
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Wort „Heimweh“ lässt sich erstmals in der Schweiz nachweisen; das Schweizerische Idiotikon führt als früheste Nennung einen Beleg von 1651 auf.[1] Schon bald wurde es in der ärztlichen Fachliteratur gebraucht, blieb aber zunächst auf die Schweiz beschränkt. Erst in der Zeit der Romantik (19. Jahrhundert) zog der Begriff auch in andere deutschsprachige Länder ein.[2]
Soziologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Soziologisch gesehen, richtet sich Heimweh auf verlorene Gemeinschaften, vor allem während der Kindheit. Aber auch im Erwachsenenalter tritt Heimweh auf, wenn der Einzelne sich (‚in der großen Stadt‘, ‚unter lauter Fremden‘ usw.) vereinsamt fühlt, zumal in psychischen Krisen. Der Verlust vertrauter Umgebung wird als sehr schmerzhaft empfunden, der Betroffene sucht eine Besserung durch die Rückkehr in seine als sicher empfundene Heimat.
Psychologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der psychologischen Reaktanztheorie (J. W. Brehm, 1966) versucht das Individuum, die Beeinflussung seiner Freiheit abzuwehren, indem es dazu tendiert, die nicht angebotenen oder nicht verfügbaren Alternativen als attraktiver anzusehen. So entsteht der Leidensdruck, der sich in einer psychischen Erkrankung auswirken kann. Insbesondere Kinder, die zum ersten Mal auf eine mehrtägige Reise gehen und auswärts übernachten, leiden schnell an Heimweh.
Für Heimweh als alltägliches psychisches Phänomen haben sich mehrere verhaltenstherapeutische Ansätze als wirksam erwiesen. Insbesondere häufige soziale Kontakte und eine bewusste Aufmerksamkeit auf angenehme Aktivitäten können den mentalen Raum von belastenden Gefühlen und Gedanken reduzieren.[3]
Heimweh ist nach Reinhard Lay[4] eine schmerzhafte Sehnsucht, die außerhalb der vertrauten Umgebung auftritt. Das Verlusterleben könne zur krisenhaften Reflexion veranlassen und im günstigen Fall Wachstums-, Bewältigungs- und Konsolidierungsschritte der Persönlichkeit anstoßen.
Die Schweizerkrankheit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Krankheitsbild Nostalgia (griechisch νόστος nóstos ‚Rückkehr‘ und άλγος álgos ‚Traurigkeit‘, ‚Schmerz‘, ‚Leiden‘) wurde unter diesem Namen im Jahre 1688 von dem Arzt Johannes Hofer in Basel zuerst beschrieben.[5] Man kennt es auch unter der Bezeichnung Schweizerkrankheit (lateinisch morbus helveticus).
Es handelt sich um eine durch unbefriedigte Sehnsucht nach der Heimat begründete Melancholie oder Monomanie, welche eine bedeutende Zerrüttung der körperlichen Gesundheit, Entkräftung, Abzehrung, Fieber und gar den Tod zur Folge hat. Der Name „Schweizerkrankheit“ begründet sich mit der Definition durch im Ausland stationierte Schweizer Soldaten, die unter Heimweh litten. Das im 18. Jahrhundert verbreitete Gerücht, es sei in Frankreich bei Todesstrafe verboten, den Kuhreihen (Chue-Reyen, französisch Ranz des Vaches), ein bekanntes Hirtenlied, zu singen oder zu pfeifen, weil sich bei dessen Anhören die Schweizer Soldaten des Heimwehs nicht mehr erwehren könnten und es sie zur Fahnenflucht verleite, wurde von Jean-Jacques Rousseau aufgegriffen.[6] Auch das Singen des Guggisbergliedes soll Schweizer Söldnern verboten gewesen sein.[7]
Das Volks- und Soldatenlied Zu Straßburg auf der Schanz / Da fing mein Leiden an hat die Heimwehkrankheit zum Thema.[8]
Belletristik und Film
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Heimweh thematisieren die Erzählungen Der Marsch nach Hause[9] von Wilhelm Raabe und Heidi von Johanna Spyri, dann auch Theodor Fontanes Ballade Archibald Douglas (1854). Ein Gedicht von Mascha Kaleko trägt den Titel Heimweh, wonach?; Abbas Khider stellt das Gedicht seinem Buch Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch (2019) voran.
Sehr erfolgreich war der Film Heimweh von 1943 mit dem Filmhund Lassie. Auch im Zentrum des Films Nostalghia (1983) von Andrei Tarkowski steht dieses Gefühl.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christopher A. Thurber, Edward Walton: Preventing and treating homesickness. In: Pediatrics, Januar 2007, Band 119, Heft 1, S. 192–201; unter dem gleichen Titel in: Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, Oktober 2007, Band 16, Heft 4, S. 843–58, doi:10.1016/j.chc.2007.05.003, PDF bei campspirit.com (Christopher Thurber)
- Simon Bunke: Heimweh. Studien zur Kultur- und Literaturgeschichte einer tödlichen Krankheit. (= Rombach-Wissenschaften. Reihe: Litterae. 156). Dissertation an der Universität München 2006. Rombach, Freiburg im Breisgau 2009, ISBN 978-3-7930-9510-1.
- Simon Bunke: Heimweh. In: Bettina von Jagow, Florian Steger (Hrsg.): Literatur und Medizin. Ein Lexikon. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, Sp. 380–384, ISBN 3-525-21018-3.
- Karl Jaspers: Heimweh und Verbrechen. mit Essays von Elisabeth Bronfen und Christine Pozsár (= Splitter. 21). Zum Teil Dissertation Universität Heidelberg 1909. Belleville, München 1996, ISBN 3-923646-61-5.
- Friedrich Kluge: Heimweh. Ein wortgeschichtlicher Versuch. («Programm zur Feier des Geburtstags seiner Königlichen Hoheit des Grossherzogs Friedrich des durchlauchtigsten Rector Magnificentissimus der Albert-Ludwigs-Universität»). Universitäts-Buchdruckerei Lehmann’s Nachfolger Hochreuther, Freiburg im Breisgau 1901, OCLC 258285150.
- Elke Regina Maurer: Heimweh. Geschmack der Heimat. Centaurus, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-86226-083-6.
- Willy Puchner: Illustriertes Fernweh. Vom Reisen und nach Hause kommen. Frederking & Thaler, München 2006, ISBN 3-89405-389-5.
- Christian Schmid: Heimweh. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Christian Schmid-Cadalbert: Heimweh oder Heimmacht. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 89, 1993, S. 69–85.
- C. U. Schminck-Gustavus: Das Heimweh des Walerjan Wróbel. Ein Sondergerichtsverfahren 1941/42. Dietz, Berlin u. a. 1992, ISBN 3-8012-0117-1.
- Schweizerisches Idiotikon, Band XV Sp. 42 f., Artikel Heimwē.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Udo Leuschner/Sehn-Sucht: 26 Essays zur Dialektik von Nostalgie und Utopie / Die „Schweizerkrankheit“
- Alexander Rechsteiner: Heimweh nach den Bergen. Im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums vom 18. September 2019.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Schweizerisches Idiotikon Bd. XV Sp. 42 f., Artikel Heimwē
- ↑ Karl Jaspers: Heimweh und Verbrechen (= Splitter. Bd. 21). Belleville-Verlag, München 1996, ISBN 3-923646-61-5, S. 31.
- ↑ Hilfe bei Heimweh, Psychologen Online, abgerufen am 10. Juli 2017.
- ↑ Reinhard Lay: Ethik in der Pflege. Das Lehrbuch für alle Bereiche der Pflege. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schlütersche Fachmedien, Hannover 2022, ISBN 978-3-8426-0838-2, S. 299.
- ↑ Johannes Hoferus: Dissertatio medica de Nostalgia, oder Heimwehe. Basel 1688.
- ↑ Christian Schmid: Heimweh. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ Urs Hostettler: Anderi Lieder. Von den geringen Leuten, ihren Legenden und Träumen, ihrer Not und ihren Aufständen. Zusammengestellt und kommentiert von Urs Hostettler. Zytglogge, Bern 1979, S. 67.
- ↑ Matthias Slunitschek: Nostalgia oder das Deserteursschicksal in Zu Straßburg auf der Schanz, in: Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs 57/2012, S. 81–110.
- ↑ Wilhelm Raabe: Der Marsch nach Hause im Projekt Gutenberg-DE