„António R. Damásio“ – Versionsunterschied
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[[Datei:António Damásio no Fronteiras do Pensamento Porto Alegre 2013.png|mini|António Damásio bei „Fronteiras do Pensamento“ in Porto Alegre, Brasilien, 2013]] |
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'''Antonio R. Damasio''' (* [[1945]] in [[Lissabon]]), Neurowissenschaftler und Leiter der größten [[Neurologie]]-Station der Welt in [[Iowa City]], wurde vor allem durch seine Arbeiten zur [[Bewusstseinsforschung]] bekannt. |
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'''António Rosa Damásio''' (* [[25. Februar]] [[1944]] in [[Lissabon]]) ist ein [[Portugal|portugiesisch]]-US-amerikanischer [[Neurowissenschaften|Neurowissenschaftler]] und Buchautor. Er wurde vor allem bekannt durch seine Arbeiten zur [[Bewusstsein]]sforschung. |
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== Leben == |
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Eines seiner Hauptarbeitsgebiete ist die direkte Korrelation von morphologischen Ausfällen im [[CT]] und [[NMR]] mit den funktionellen neurologischen Ausfällen bei dem betroffenen Patienten. Insbesondere beim Schlaganfall ist diese Methode sehr erfolgreich, um lokalisierte Hirnprozesse zu erkennen, da sich der Funktionsverlust innerhalb kürzester Zeit einstellt und damit klarer erkennbar ist. |
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António Damásio hat wie seine Frau [[Hanna Damásio]] an der [[Universität Lissabon]] seine akademische Ausbildung erhalten und mit dem [[Doktorgrad]] in Medizin abgeschlossen. Im Jahre 1971 gründeten sie gemeinsam das ''Centro de Estudos de Linguagem [[António Caetano de Abreu Freire Egas Moniz|Egas Moniz]]'' (Studienzentrum für Sprache Egas Moniz). 1974, kurz nach dem Übergang zur Demokratie ([[Nelkenrevolution]]), wurden sie eingeladen, die Forschungsabteilung der [[Neue Universität Lissabon|Neuen Universität Lissabon]] aufzubauen, das Projekt fand jedoch keine Finanzierung. Von 1976 bis 2005 lehrten sie an der [[University of Iowa]]. Seit 2005 ist António Damásio Professor für Neurologie und Psychologie an der [[University of Southern California]] und leitet dort das Brain and Creativity Institute.<ref>{{Webarchiv|url=http://college.usc.edu/faculty/faculty1008328.html |wayback=20090414042415 |text=A. Damasio an der University of Southern California}}</ref> |
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Forschungsschwerpunkte von Hanna Damásio liegen im Bereich der neuroanatomischen Basis der [[Kognition]] und im Bereich der Entwicklung neuer Techniken des Neuroimaging, die [[In-vivo-Diagnostika|In-vivo-Untersuchungen]] von Gehirnstrukturen erlauben. |
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==Descartes' Irrtum== |
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== Lehre == |
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In seinen Abhandlungen ''Descartes' Irrtum'' (im Original: ''Descartes' Error: Emotion, Reason, and the Human Brain''), ''Ich fühle, also bin ich'' (''The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness'') und ''Der Spinoza-Effekt'' (''Looking for Spinoza'') untersucht er vor allem die Wechselwirkungen zwischen Körper und Bewusstsein und kommt - durch zahlreiche empirische Belege - zu dem Schluss, dass die jahrhundertlang angenommene, vor allem von [[Descartes]] postulierte, Trennung zwischen Körper und Geist ein Irrtum sei. Stattdessen konstatiert er einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich ständig gegenseitig beeinflussen. [[Kritik]] Nach C.G.Jung ist das Unbewusste, das er als das Totenland, ja als Gott bezeichnet, autonom. Jung war in der Lage, mit Jahrzehnten schon Verstorbene über Jahre Dialoge zu führen, diese Verstorbenen gaben Weisheiten von sich und waren nach Jung autonom und real existierende Teile des Unbewussten. Die Telepathie ist auch nach Jung ein Gebiet, dass noch erforscht werden muss. Jung war auch in der Lage, durch Träume, sogenannte Wahrträume vorhersagen zu machen. |
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=== Überblick über die Arbeitsgebiete === |
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==Fallbeispiele== |
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António Damásios Untersuchungen beziehen sich zum einen auf den Bereich der [[gehirn]]anatomischen Substrate komplexen Verhaltens und zum anderen auf die [[neuron]]alen Grundlagen von [[Sprache]] und [[Kognition]] sowie den Zusammenhang von [[Fühlen (Psychologie)|Gefühl]], [[Emotion]] und [[Vernunft]]. |
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Eines seiner Arbeitsgebiete ist die direkte Korrelation von morphologischen Ausfällen im [[Computertomografie|CT]] und [[Magnetresonanztomografie|MRT]] mit den funktionellen neurologischen Ausfällen bei dem betroffenen Patienten. Insbesondere beim [[Schlaganfall]] ist diese Methode sehr erfolgreich, um lokalisierte Hirnprozesse zu erkennen, da sich der Funktionsverlust innerhalb kürzester Zeit einstellt und damit klarer erkennbar ist. |
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Seine These der Untrennbarkeit zwischen Geist und Materie, untermauert Damasio u.a. durch zwei Fallbeispiele: |
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Damásio ist Mitarbeiter des [[Mind and Life Institute]]s bzw. ein an den „Mind and Life“-Dialogen beteiligter Wissenschaftler.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.mindandlife.org/dialogues/past-conferences/ml02/ |wayback=20141009114113 |text=Inhalt, teilnehmende Personen und Programm von Mind and Life II: Dialogues Between Buddhism & the Neurosciences}}</ref> |
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===Phineas Gage=== |
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=== Descartes’ Irrtum === |
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[[1848]] wird Phineas Gage, damals 25jähriger Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft, Opfer eines schweren Unfalls. Bei einer Sprengung im Rahmen der Verlegung von Schienen durch den US-Bundesstaat [[Vermont]], bohrt sich eine 6 kg schwere, 1,98 m lange und 3 cm dicke Eisenstange mit einer Spitze von 6 mm von unterhalb des linken Wangenknochens bis zu den vorderen Schädelknochen durch Gages Schädel und fliegt danach noch 30 m weiter. Es entsteht eine ca. 4-5 cm große, kraterförmige Wunde. |
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In seinen Abhandlungen ''Descartes’ Irrtum'' (im Original: ''Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain''), ''Ich fühle, also bin ich'' (''The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness'') und ''Der [[Spinoza]]-Effekt'' (''Looking for Spinoza'') untersucht Damásio vor allem die Wechselwirkungen zwischen Körper und Bewusstsein und kommt – durch zahlreiche empirische Belege – zu dem Schluss, dass die jahrhundertelang angenommene, vor allem von [[Descartes]] postulierte, Trennung zwischen [[Körper (Biologie)|Körper]] und [[Geist]] ([[Dualismus (Ontologie)|Dualismus]]) ein Irrtum sei. Stattdessen konstatiert er einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich ständig gegenseitig beeinflussen. |
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Seine These der Untrennbarkeit zwischen Geist und Materie untermauert Damásio u. a. durch zwei Fallbeispiele. |
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Trotz des offensichtlich schweren Unfalls ist Gages während der gesamten Zeit bei Bewusstsein. Er ist in der Lage, über den gesamten Hergang des Unfalls zu berichten und überlebt ihn. Seine Verletzung heilt innerhalb von zwei Monaten, nur der Verlust des linken Auges ist körperlich irreversibel. Die Ärzte stellen keine Beeinträchtigung von [[Wahrnehmung]], [[Gedächtnis]]leistung, [[Intelligenz]], Sprachfähigkeit oder [[Motorik]] fest. |
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==== 1. Fall: Phineas Gage ==== |
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Trotzdem kommt es in der Zeit nach dem Unfall zu auffälligen Persönlichkeitveränderungen Gages': War er zuvor verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen und freundlich, erscheint er seiner Umgebung nun zunehmend ungeduldig, launisch, wankelmütig und respektlos. Darüber hinaus kommt es zu einer Störung seiner Entscheidungsfähigkeit: Er trifft Entscheidungen, die seinen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen, er kann seine Zukunft nicht mehr vernüftig planen und erleidet als Folge einen beruflichen und sozialen Abstieg. |
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1848 wird [[Phineas Gage]], damals 25-jähriger Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft, Opfer eines schweren Unfalls. Bei einer Sprengung im Rahmen der Verlegung von Schienen durch den US-Bundesstaat [[Vermont]] bohrt sich eine 6 kg schwere, 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange mit einer Spitze von 6 mm von unterhalb des linken Wangenknochens bis zu den vorderen Schädelknochen durch Gages Schädel und fliegt danach noch 30 m weiter. Es entsteht eine ca. 4–5 cm große, kraterförmige Wunde. |
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Trotz des offensichtlich schweren Unfalls ist Gage während der gesamten Zeit bei [[Bewusstsein]] und ist als Überlebender in der Lage, über den vollständigen Hergang des Unfalls zu berichten. Seine Verletzung heilt innerhalb von zwei Monaten, nur der Verlust des linken Auges ist körperlich irreversibel. Die Ärzte stellen keine Beeinträchtigung von [[Wahrnehmung]], [[Gedächtnis]]leistung, [[Intelligenz]], Sprachfähigkeit oder [[Motorik]] fest. |
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===Elliot=== |
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Trotzdem kommt es in der Zeit nach dem Unfall zu auffälligen [[Persönlichkeit]]sveränderungen bei Gage: War er zuvor verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen und freundlich, erscheint er seiner Umgebung nun zunehmend ungeduldig, launisch, wankelmütig und respektlos. Darüber hinaus kommt es zu einer Störung seiner [[Entscheidungsfähigkeit]]: Er trifft Entscheidungen, die seinen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen, er kann seine Zukunft nicht mehr vernünftig planen und erleidet als Folge einen beruflichen und sozialen Abstieg. |
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Als einen "modernen Phineas Gage" beschreibt Damasio einen Patienten von ihm, dem aufgrund eines Tumors ein Teil des [[Präfontaler Cortex|präfontalen Cortex]] entfernt wurde. Nach dem operativen Eingriff, veränderte sich auch Elliots Persönlichkeit radikal. Zwar kommt es auch bei ihm weder zur Einschränkung von kognitiven, motorischen oder sensorischen Fähigkeiten, jedoch weist er eine empfindliche Störung seiner Entscheidungsfähigkeit und einen Mangel an Gefühlen auf. Bilder von Situationen, die ihn einst erregten, lösen nun bei ihm keinerlei Reaktionen aus. Die Korrelation zwischen Gefühlarmut und Entscheidungsunfähigkeit, führt Damasio zur Theorie der somatischen Marker. |
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==== 2. Fall: Elliot ==== |
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==Die Theorie der somatischen Marker== |
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Als einen „modernen Phineas Gage“ beschreibt Damásio einen seiner Patienten, dem aufgrund eines [[Tumor]]s ein Teil des [[Präfrontaler Cortex|präfrontalen Cortex]] entfernt wurde. Nach dem operativen Eingriff veränderte sich auch Elliots Persönlichkeit radikal. Zwar kommt es auch bei ihm nicht zur Einschränkung von kognitiven, motorischen oder sensorischen Fähigkeiten, jedoch weist er eine empfindliche Störung seiner Entscheidungsfähigkeit und einen Mangel an Gefühlen auf. Bilder von Situationen, die ihn einst erregten, lösen nun bei ihm keinerlei Reaktionen aus. Die Korrelation zwischen Gefühlsarmut und Entscheidungsunfähigkeit führt Damásio zur Theorie der somatischen Marker. |
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=== Die Theorie der somatischen Marker === |
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Damasio vermutet, dass Elliots Gefühlslosigkeit ihn daran hindert, verschiedenen Handlungsalternativen einen emotionalen Wert beizumessen, die anderen Menschen bei der Entscheidungsfindung helfen. |
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Damásio vermutet, dass Elliots Gefühllosigkeit ihn daran hindert, verschiedenen Handlungsalternativen emotionale Werte beizumessen, die anderen Menschen bei der Entscheidungsfindung helfen. |
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Damásio stellt darauf die [[Hypothese der somatischen Marker]] auf: |
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Damasio stellt die Theorie auf, dass alle Erfahrungen des Menschen im Laufe seines Aufwachsens in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich laut Damasio über ein körperliches Signalsystem mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft und das Damasio als ''somatische Marker'' beschreibt. Bei der Vorstellung verschiedener Handlungsalternativen geben die ''somatischen Marker'' also eine, durch bisherige Erfahrungen bestimmte, Rückmeldung, die dem im Entscheidungsprozess befindlichen Menschen helfen, indem sie zunächst alle emotional nicht tragbaren Handlungsmöglichkeiten ausschließen. |
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Als neuronales System, das den Erwerb der ''somatischen Marker'' erlaubt, glaubt Damásio die präfrontalen Rindenfelder im [[Gehirn]] lokalisiert zu haben. Seine Theorie von den ''somatischen Markern'' erklärt den Zusammenhang zwischen [[Phineas Gage]]s und Elliots Gefühlsstörungen und ihrer Unfähigkeit, sich zu entscheiden, und stellt den offenbar unauflösbaren Zusammenhang zwischen rationalen Entscheidungsprozessen und Gefühlen auf. |
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Die ''somatischen Marker'' sind also ein automatisches körpereigenes System zur Bewertung von Vorhersagen. Sie wirken oft unbewusst als "Alarmlocke" oder Startsignal, nehmen einem aber prinzipiell nicht das Denken ab, sondern helfen beim Denken, indem sie als - aufgrund individueller Erfahrung - günstig oder gefährlich zu bewertende Alternativen als solche erscheinen lassen. |
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Zur Überprüfung seiner Hypothese entwickelte er zusammen mit [[Antoine Bechara]] die [[Iowa Gambling Task]]. |
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Als neuronales System, das den Erwerb der ''somatischen Marker'' erlaubt, glaubt Damasio die [[präfontale Rindenfelder|präfontalen Rindenfelder]] im [[Gehirn]] lokalisiert zu haben. Seine Theorie von den ''somatischen Markern'' erklärt den Zusammenhang zwischen [[#Phineas Gage|Phineas Gages]] und [[#Elliot|Elliots]] Gefühlsstörungen und ihrer Unfähigkeit sich zu entscheiden und stellt den offenbar unauflösbaren Zusammenhang zwischen rationalen Entscheidungsprozessen und Gefühlen auf. |
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=== Definition des Begriffes „Bewusstsein“ === |
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==Empirische Belege== |
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In den [[Neurowissenschaften]] wird u. a. der Zusammenhang von [[Gehirn]] und [[Bewusstsein]] untersucht. Damásio definiert „Bewusstsein“ wie folgt: „Bewusstsein ist ein Geisteszustand, in dem man Kenntnis von der eigenen Existenz und der Existenz einer Umgebung hat“.<ref>[[Antonio Damasio]]: ''Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins''. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 169 („Bewusstsein: eine Definition“)</ref> Diese Definition entspricht dem „Selbstmodell“ des Philosophen [[Thomas Metzinger]] und ist damit bei vielen Tieren (mit einem [[Nervensystem]]) anzutreffen. |
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Für Damásio ist Bewusstsein „eine Dreiheit von [[Wachzustand]], [[Geist]] und [[Selbst]]“.<ref>[[Antonio Damasio]]: ''Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins''. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 196</ref> Er ist der Auffassung, „dass das Gehirn ein Bewusstsein konstruiert, indem es innerhalb eines wachen Geistes einen Selbst-Prozess erzeugt. Das Wesen des Selbst besteht darin, dass der Geist sich auf den materiellen Organismus konzentriert, in dem er zuhause ist. Wachzustand und Geist sind unverzichtbare Bestandteile des Bewusstseins, sein charakteristisches Element aber ist das Selbst.“ Neben dieser Hypothese steht die „Annahme, dass das Selbst stufenweise aufgebaut wird. Die einfachste Stufe erwächst aus jenem Gehirnteil, der den Organismus vertritt (dem ''Protoselbst''). Die zweite Stufe ergibt sich aus dem Aufbau einer Beziehung zwischen dem Organismus und jenem Teil des Gehirns, der ein ''zu kennendes Objekt'' repräsentiert. Das Ergebnis ist das Kern-Selbst. Die dritte Stufe lässt mehrere Objekte, die zuvor als erlebte Erfahrung oder vorhergesehene Zukunft aufgezeichnet wurden, mit dem Protoselbst in Wechselbeziehung treten und eine Fülle von Kern-Selbst-Pulsen erzeugen. Hieraus entsteht das ''autobiografische Selbst''. Alle drei Stufen werden in getrennten, aber koordinierten Arbeitsbereichen des Gehirns konstruiert.“<ref>[[Antonio Damasio]]: ''Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins''. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 193</ref> |
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Um die [[#Die Theorie der somatischen Marker|Theorie der somatischen Marker]] zu beweisen, führte Damasio mehrere Experimente durch. Eines davon ist das so genannten "Glückspielexperiment": |
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Er ist ein Verfechter der Hypothese der Äquivalenz von Geist und Gehirn: „Die in diesem Buch dargelegte Sichtweise beinhaltet [...] die Idee, dass Geisteszustände und Gehirnzustände einander im Wesentlichen entsprechen“.<ref>[[Antonio Damasio]]: ''Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins''. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 328</ref> |
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Bei diesem Versuch, der mit gesunden Patienten und Patienten mit Schädigung des präfontalen Cortex durchgeführt wurde, erhielten diese jeweils ein Darlehen von 2000 US-Dollar und sollten dieses mittels eines Kartenspiels, dessen Regeln sie nicht kannten, so weit wie möglch vergrößern. |
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=== Das Kern-Bewusstsein === |
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Zur Auswahl standen den Probanden vier Stapel mit Spielkarten, im Folgenden A, B, C und D genannt. Nahmen sie eine Karte von Stapel A oder B gewannen sie 100 Dollar, während das Aufnehmen einer Karte von Stapel C oder D nur 50 Dollar Gewinn einbrachte. Nach einer zufällig bestimmten Anzahl von Karten, brachte ihnen das Aufnehmen einer Karte der Stapel A und B allerdings einen Verlust, der bis zu 1250 Dollar betragen konnte. Auch die Aufnahme von Karten der Stapel C und D kam es in ähnlichen Abständen zu Verlusten. Hier betrug dieser aber maximal 100 Dollar, sodass die Stapel C und D sich langfristig als gewinnbringend herausstellten, während Stapel A und B langfristig zu Verlusten führten. |
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Die Erforschung des Bewusstseins bedeutet Betrachtung zweier „Akteure“, nämlich des Organismus und des Objekts, sowie deren Beziehungen zueinander. Der Organismus ist damit beschäftigt, Bezug zu einem Objekt herzustellen, und das Objekt dieser Beziehung ruft eine Veränderung im Organismus hervor. Individuelle Perspektive, individuelle Besitznahme des Denkens und individuelle Urheberschaft sind die entscheidenden Aspekte, die das Kern-Bewusstsein zum geistigen Prozess beiträgt. Das Wesen des Kern-Bewusstseins ist eine Vorstellung von sich selbst, das Gefühl von sich selbst als individuellem Wesen, das mit dem Erkennen der eigenen Existenz und der Existenz anderer beschäftigt ist. Das Kern-Bewusstsein wird pulsierend für jeden Inhalt, dessen wir uns bewusst werden, immer wieder neu erzeugt. Es ist die Erkenntnis, die sich materialisiert, wenn wir einem Objekt begegnen, ein neuronales Muster dafür erzeugen und (automatisch) entdecken, dass die nun prägnante Vorstellung des Objektes in unserer Perspektive gebildet worden ist, uns gehört und wir sogar darauf einwirken können. Es gibt keinen schlussfolgernden Prozess, den wir dorthin führen, keinerlei sprachliche Vorgänge – es gibt einfach nur die Vorstellung dieses Objektes und gleich darauf das Empfinden, dass wir es besitzen. Das Kern-Bewusstsein ist das unmittelbare Empfinden unseres individuellen Organismus im Akt des Erkennens, wobei die Zeit von wesentlicher Bedeutung ist, dass damit die ursächliche Verbindung zwischen der Vorstellung eines Objektes und unserer „Inbesitznahme“ hergestellt wird.<ref>vgl. Damasio, A. (2000): Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: List. S. 155–156.</ref><ref>[http://www.kreisbogen-der-metaphysik.de/dam_rez1.htm Douglas F. Watt: ''Antonio Damasio, The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness'', Rezension und Erläuterung des Begriffs ''Kernbewusstsein'' (New York: Harcourt Brace, 1999).]</ref> |
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=== Gefühle und Emotionen === |
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Nicht geschädigte wie geschädigte Probanden zeigten zunächst eine Vorliebe für die Stapel A und B, bei denen man mehr gewann. Während auf Grund der hohen Verluste, die nicht geschädigten Personen nach ca. 30 Karten zu C und D wechselten, blieben die Patienten mit Schädigung des [[Stirnhirn]]s bei ihrer Vorliebe für die Stapel A und B, obwohl ihnen vollkommen bewusst war, dass diese auch zu viel höheren Strafen führten. Nach der halben vorher festgelegten Spieldauer waren diese Probanden bankrott und mussten ein zusätzliches Darlehen aufnehmen. |
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Damásio trennt zwischen [[Emotion]]en („emotions“), die er als die durch somatische Marker verursachten Körperzustände beschreibt, und Empfindungen („feelings“), die das bewusste Wahrnehmen der emotionalen Körperzustände darstellen. So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als [[Angst]] wahrzunehmen, also als ein bewusstes Empfinden. |
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Während die Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen die Empfindungen auf Erfahrungen und ermöglichen somit weitere Schutzstrategien gegen Gefahren von außen. |
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Die deutschen Übersetzungen der englischen Begriffe ''emotions'' und ''feelings'', die Damásio von dem Psychologen und Philosophen [[William James]] entlehnte, sind leider nicht einheitlich in allen Texten unterschieden. So findet sich im Werk ''Ich fühle, also bin ich'' in einer Vorbemerkung des Übersetzers und des Fachlektors, dass in diesem Werk – anders als bei ''Descartes’ Irrtum'' – „emotion and feeling“ mit „Emotion und Gefühl“ übersetzt wird. Im Text ''Das Leuchten der Neuronen'', übersetzt von Claudia Kotte, zeigt Autor Damásio zunächst umfänglich seine Unterscheidung, um am Ende der Darlegung vom Begriff „Emotion“ ohne Unterscheidung auf den Terminus „Gefühl“ zu springen.<ref>Vgl. seinen Aufsatz in: ''Kulturaustausch'' III/13, S. 22.</ref> |
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Damasio leitete von diesem Experiment her, dass die Bestrafung bzw. Belohnung der Stirnhirngeschädigten - also Probanden ohne ''somatische Marker'' - bei diesen nicht zur "Markierung" schlechter Handlungsalternativen mit emotionalen Reaktionen führt, sodass bei diesen immer die unmittelbar belohnende Wahlmöglichkeit vorgezogen wird. Damasios Frau untermauerte diese Erkenntnisse, indem sie die [[Hautleitungsreaktion]]en der Probanden während eines solchen Experiments untersuchte. Während die nicht geschädigte Versuchspersonen vor Auswahl der Karten mit zunehmender Spieldauer mit wachsender Intensität reagierten, zeigten die präfonatal geschädigten Patienten keinerlei Reaktion. Damasio schloss daraus, dass die Gehirne der präfontal geschädigten Probanden nicht lernten, schlechte Ergebnisse vorherzusagen, der automatische Sichtungsprozess, durch den die wahrscheinliche Qualität des Stapels Eingang in das Denken findet, ist also gestört. |
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== Re-Zitierung == |
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:"''Basale Regelsysteme des Körpers schaffen [...] die Voraussetzung für bewusste kognitive Prozesse.''" |
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Die Kindheitsforscherin [[Alice Miller]] hat ihrem Buch ''Die Revolte des Körpers'' ein Zitat von António R. Damásio vorangestellt: ''Emotionen sind kein Luxus, sondern ein komplexes Hilfsmittel im Daseinskampf''. |
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:::::::::::::::::::::Atonio Damasio |
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== Auszeichnungen == |
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==Gefühle und Emotionen== |
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* 1990: Prix Beaumont |
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* 1992: [[Prémio Pessoa]] für Hanna Damásio und António R. Damásio |
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* 1995: [[Golden Brain Award]] |
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* 1997: [[Prix de la Plasticité Neuronal]] |
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* 1997: Mitglied der [[American Academy of Arts and Sciences]] |
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* 2002: Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der [[RWTH Aachen]] für Hanna Damásio und António R. Damásio |
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* 2004: [[Jean-Louis-Signoret-Preis]] |
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* 2005: [[Prinz-von-Asturien-Preis]] für wissenschaftliche und technische Forschung |
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* 2011: [[Corine (Literaturpreis)|Internationaler Literaturpreis Corine]] für ''Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewußtseins'' |
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* 2014: [[Grawemeyer Award|Grawemeyer Award für Psychologie]] |
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== Veröffentlichungen (Auswahl) == |
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Damasio trennt zwischen Emotionen ("''emotions''"), die er als die durch somatische Marker verursachete Körperzustände beschreibt und Gefühlen ("''feelings''"), die das bewusste Wahrnehmen der emotionalen Körperzustände darstellen. So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als Angst, also ein bewusstes Gefühl, wahrzunehmen. |
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'''Als Autor:''' |
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Während die Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen die Gefühle auf Erfahrungen und ermöglichen somit weitere Schutzstrategien gegen Gefahren von außen. |
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* ''Descartes’ error. Emotion, reason, and the human brain.'' Picador, London 1994. |
|||
** ''Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn.'' List, München 1994, ISBN 3-471-77342-8. |
|||
* ''The feeling of what happens. Body and emotion in the making of consciousness.'' Harcourt Brace, New York 1999. |
|||
** ''Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins.'' List, München 2000, ISBN 3-548-60164-2. |
|||
* mit anderen: ''Subcortical and cortical brain activity during the feeling of self-generated emotions.'' In: ''Nature Neuroscience.'' Band 3, Nr. 10, 2000, S. 1049–1056. |
|||
* ''Looking for Spinoza. Joy, sorrow, and the feeling brain.'' Heinemann, London 2003. |
|||
** ''Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen.'' List, München 2003, ISBN 3-471-77352-5; auch Ullstein, Berlin 2005. |
|||
* ''Self Comes to Mind. Constructing the Conscious Brain.'' Pantheon Books, New York 2010. |
|||
** ''Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins.'' Siedler, München 2011, ISBN 978-3-88680-924-0.<ref>Die streng [[Materialismus|materialistische]] bzw. [[Naturalismus (Philosophie)|naturalistische]] Sicht auf das [[Philosophie des Geistes|Körper-Geist-Problem]] stößt auf Kritik. So gibt es z. B. eine [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/antonio-damasio-selbst-ist-der-mensch-wenn-gespenster-im-gehirn-die-karten-legen-11623961-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 negative Kritik] von [[Dominik Perler]] in der [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]]. Ebenso kritisch ist die [http://www.deutschlandradiokultur.de/balance-auf-komplexer-ebene.950.de.html?dram:article_id=140668 Rezension] in [[Deutschlandradio|DR Kultur]].</ref> |
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* ''The Strange Order of Things: Life, Feeling, and the Making of Cultures.'' Pantheon Books, New York 2018. |
|||
** ''Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung der menschlichen Kultur.'' Siedler, München 2017, ISBN 3-8275-0045-1. |
|||
* ''Feeling & Knowing: Making Minds Conscious.'' Pantheon, New York 2021, ISBN 978-1-5247-4756-5. |
|||
** ''Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins''. Hanser, München 2021, ISBN 978-3-446-27094-7 |
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'''Als Herausgeber:''' |
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==Literatur== |
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* mit Hanna Damásio, [[Yves Christen]]: ''Neurobiology of decision-making.'' Springer, Berlin 1996, ISBN 3-540-60143-0. |
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*Antonio R. Damasio: ''Ich fühle, also bin ich'', ISBN 3548601642 |
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* mit [[Jean-Pierre Changeux]], [[Wolf Singer]], Yves Christen: ''Neurobiology of human values.'' Springer, Berlin 2005, ISBN 978-3-5402-6253-4. |
|||
*Antonio R. Damasio: ''Descartes' Irrtum'', ISBN 3471773428 |
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*Antonio R. Damasio: ''Der Spinoza-Effekt'', ISBN 3471773525 |
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==Weblinks== |
== Weblinks == |
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{{Commonscat|António Damásio}} |
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*[http://www.uihealthcare.com/depts/med/neurology/neurologymds/damasioa.html Department of Neurology: Antonio R. Damasio, M.D.] (englisch) |
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{{Wikiquote|António Damásio}} |
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* {{DNB-Portal|12367557X}} |
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* {{DDB|Person|12367557X}} |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie:Neurologe|Damasio, Antonio]] |
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<references /> |
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[[Kategorie:US-Amerikaner|Damasio, Antonio]] |
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[[Kategorie:Mann|Damasio, Antonio]] |
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[[Kategorie:Geboren 1945|Damasio, Antonio]] |
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{{Normdaten|TYP=p|GND=12367557X|LCCN=n/88/90795|NDL=00465243|VIAF=79104198}} |
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{{Personendaten| |
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NAME=Damasio, Antonio R. |
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{{SORTIERUNG:Damasio, Antonio R}} |
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|ALTERNATIVNAMEN= |
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[[Kategorie:Neurologe]] |
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|KURZBESCHREIBUNG=Neurowissenschaftler, vor allem durch seine Arbeiten zur [[Bewusstseinsforschung]] bekannt |
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[[Kategorie:Neuropsychologe]] |
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|GEBURTSDATUM=[[1945]] |
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[[Kategorie:Mediziner (20. Jahrhundert)]] |
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[[Kategorie:Mediziner (21. Jahrhundert)]] |
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[[Kategorie:Kognitionswissenschaftler]] |
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[[Kategorie:Hochschullehrer (University of Iowa)]] |
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[[Kategorie:Hochschullehrer (University of Southern California)]] |
|||
[[Kategorie:Sachbuchautor (Pädagogik und Psychologie)]] |
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[[Kategorie:Mitglied der American Academy of Arts and Sciences]] |
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[[Kategorie:Ehrendoktor der RWTH Aachen]] |
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[[Kategorie:Ehrendoktor der Universität Aveiro]] |
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[[Kategorie:Prémio Pessoa]] |
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[[Kategorie:Person (Lissabon)]] |
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[[Kategorie:Portugiese]] |
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[[Kategorie:Geboren 1944]] |
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[[Kategorie:Mann]] |
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{{Personendaten |
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|NAME=Damásio, António R. |
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|ALTERNATIVNAMEN=Damásio, António Rosa (vollständiger Name) |
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|KURZBESCHREIBUNG=portugiesischer Neurowissenschaftler |
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|GEBURTSDATUM=25. Februar 1944 |
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|GEBURTSORT=[[Lissabon]] |
|GEBURTSORT=[[Lissabon]] |
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|STERBEDATUM= |
|STERBEDATUM= |
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|STERBEORT= |
|STERBEORT= |
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}} |
}} |
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[[en:Antonio Damasio]] |
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[[fr:Antonio Damasio]] |
Aktuelle Version vom 28. März 2025, 12:52 Uhr

António Rosa Damásio (* 25. Februar 1944 in Lissabon) ist ein portugiesisch-US-amerikanischer Neurowissenschaftler und Buchautor. Er wurde vor allem bekannt durch seine Arbeiten zur Bewusstseinsforschung.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]António Damásio hat wie seine Frau Hanna Damásio an der Universität Lissabon seine akademische Ausbildung erhalten und mit dem Doktorgrad in Medizin abgeschlossen. Im Jahre 1971 gründeten sie gemeinsam das Centro de Estudos de Linguagem Egas Moniz (Studienzentrum für Sprache Egas Moniz). 1974, kurz nach dem Übergang zur Demokratie (Nelkenrevolution), wurden sie eingeladen, die Forschungsabteilung der Neuen Universität Lissabon aufzubauen, das Projekt fand jedoch keine Finanzierung. Von 1976 bis 2005 lehrten sie an der University of Iowa. Seit 2005 ist António Damásio Professor für Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und leitet dort das Brain and Creativity Institute.[1]
Forschungsschwerpunkte von Hanna Damásio liegen im Bereich der neuroanatomischen Basis der Kognition und im Bereich der Entwicklung neuer Techniken des Neuroimaging, die In-vivo-Untersuchungen von Gehirnstrukturen erlauben.
Lehre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Überblick über die Arbeitsgebiete
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]António Damásios Untersuchungen beziehen sich zum einen auf den Bereich der gehirnanatomischen Substrate komplexen Verhaltens und zum anderen auf die neuronalen Grundlagen von Sprache und Kognition sowie den Zusammenhang von Gefühl, Emotion und Vernunft.
Eines seiner Arbeitsgebiete ist die direkte Korrelation von morphologischen Ausfällen im CT und MRT mit den funktionellen neurologischen Ausfällen bei dem betroffenen Patienten. Insbesondere beim Schlaganfall ist diese Methode sehr erfolgreich, um lokalisierte Hirnprozesse zu erkennen, da sich der Funktionsverlust innerhalb kürzester Zeit einstellt und damit klarer erkennbar ist.
Damásio ist Mitarbeiter des Mind and Life Institutes bzw. ein an den „Mind and Life“-Dialogen beteiligter Wissenschaftler.[2]
Descartes’ Irrtum
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In seinen Abhandlungen Descartes’ Irrtum (im Original: Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain), Ich fühle, also bin ich (The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness) und Der Spinoza-Effekt (Looking for Spinoza) untersucht Damásio vor allem die Wechselwirkungen zwischen Körper und Bewusstsein und kommt – durch zahlreiche empirische Belege – zu dem Schluss, dass die jahrhundertelang angenommene, vor allem von Descartes postulierte, Trennung zwischen Körper und Geist (Dualismus) ein Irrtum sei. Stattdessen konstatiert er einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich ständig gegenseitig beeinflussen.
Seine These der Untrennbarkeit zwischen Geist und Materie untermauert Damásio u. a. durch zwei Fallbeispiele.
1. Fall: Phineas Gage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1848 wird Phineas Gage, damals 25-jähriger Vorarbeiter bei einer Eisenbahngesellschaft, Opfer eines schweren Unfalls. Bei einer Sprengung im Rahmen der Verlegung von Schienen durch den US-Bundesstaat Vermont bohrt sich eine 6 kg schwere, 1,10 m lange und 3 cm dicke Eisenstange mit einer Spitze von 6 mm von unterhalb des linken Wangenknochens bis zu den vorderen Schädelknochen durch Gages Schädel und fliegt danach noch 30 m weiter. Es entsteht eine ca. 4–5 cm große, kraterförmige Wunde.
Trotz des offensichtlich schweren Unfalls ist Gage während der gesamten Zeit bei Bewusstsein und ist als Überlebender in der Lage, über den vollständigen Hergang des Unfalls zu berichten. Seine Verletzung heilt innerhalb von zwei Monaten, nur der Verlust des linken Auges ist körperlich irreversibel. Die Ärzte stellen keine Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Gedächtnisleistung, Intelligenz, Sprachfähigkeit oder Motorik fest.
Trotzdem kommt es in der Zeit nach dem Unfall zu auffälligen Persönlichkeitsveränderungen bei Gage: War er zuvor verantwortungsbewusst, besonnen, ausgeglichen und freundlich, erscheint er seiner Umgebung nun zunehmend ungeduldig, launisch, wankelmütig und respektlos. Darüber hinaus kommt es zu einer Störung seiner Entscheidungsfähigkeit: Er trifft Entscheidungen, die seinen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen, er kann seine Zukunft nicht mehr vernünftig planen und erleidet als Folge einen beruflichen und sozialen Abstieg.
2. Fall: Elliot
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als einen „modernen Phineas Gage“ beschreibt Damásio einen seiner Patienten, dem aufgrund eines Tumors ein Teil des präfrontalen Cortex entfernt wurde. Nach dem operativen Eingriff veränderte sich auch Elliots Persönlichkeit radikal. Zwar kommt es auch bei ihm nicht zur Einschränkung von kognitiven, motorischen oder sensorischen Fähigkeiten, jedoch weist er eine empfindliche Störung seiner Entscheidungsfähigkeit und einen Mangel an Gefühlen auf. Bilder von Situationen, die ihn einst erregten, lösen nun bei ihm keinerlei Reaktionen aus. Die Korrelation zwischen Gefühlsarmut und Entscheidungsunfähigkeit führt Damásio zur Theorie der somatischen Marker.
Die Theorie der somatischen Marker
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Damásio vermutet, dass Elliots Gefühllosigkeit ihn daran hindert, verschiedenen Handlungsalternativen emotionale Werte beizumessen, die anderen Menschen bei der Entscheidungsfindung helfen.
Damásio stellt darauf die Hypothese der somatischen Marker auf:
Als neuronales System, das den Erwerb der somatischen Marker erlaubt, glaubt Damásio die präfrontalen Rindenfelder im Gehirn lokalisiert zu haben. Seine Theorie von den somatischen Markern erklärt den Zusammenhang zwischen Phineas Gages und Elliots Gefühlsstörungen und ihrer Unfähigkeit, sich zu entscheiden, und stellt den offenbar unauflösbaren Zusammenhang zwischen rationalen Entscheidungsprozessen und Gefühlen auf.
Zur Überprüfung seiner Hypothese entwickelte er zusammen mit Antoine Bechara die Iowa Gambling Task.
Definition des Begriffes „Bewusstsein“
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den Neurowissenschaften wird u. a. der Zusammenhang von Gehirn und Bewusstsein untersucht. Damásio definiert „Bewusstsein“ wie folgt: „Bewusstsein ist ein Geisteszustand, in dem man Kenntnis von der eigenen Existenz und der Existenz einer Umgebung hat“.[3] Diese Definition entspricht dem „Selbstmodell“ des Philosophen Thomas Metzinger und ist damit bei vielen Tieren (mit einem Nervensystem) anzutreffen.
Für Damásio ist Bewusstsein „eine Dreiheit von Wachzustand, Geist und Selbst“.[4] Er ist der Auffassung, „dass das Gehirn ein Bewusstsein konstruiert, indem es innerhalb eines wachen Geistes einen Selbst-Prozess erzeugt. Das Wesen des Selbst besteht darin, dass der Geist sich auf den materiellen Organismus konzentriert, in dem er zuhause ist. Wachzustand und Geist sind unverzichtbare Bestandteile des Bewusstseins, sein charakteristisches Element aber ist das Selbst.“ Neben dieser Hypothese steht die „Annahme, dass das Selbst stufenweise aufgebaut wird. Die einfachste Stufe erwächst aus jenem Gehirnteil, der den Organismus vertritt (dem Protoselbst). Die zweite Stufe ergibt sich aus dem Aufbau einer Beziehung zwischen dem Organismus und jenem Teil des Gehirns, der ein zu kennendes Objekt repräsentiert. Das Ergebnis ist das Kern-Selbst. Die dritte Stufe lässt mehrere Objekte, die zuvor als erlebte Erfahrung oder vorhergesehene Zukunft aufgezeichnet wurden, mit dem Protoselbst in Wechselbeziehung treten und eine Fülle von Kern-Selbst-Pulsen erzeugen. Hieraus entsteht das autobiografische Selbst. Alle drei Stufen werden in getrennten, aber koordinierten Arbeitsbereichen des Gehirns konstruiert.“[5]
Er ist ein Verfechter der Hypothese der Äquivalenz von Geist und Gehirn: „Die in diesem Buch dargelegte Sichtweise beinhaltet [...] die Idee, dass Geisteszustände und Gehirnzustände einander im Wesentlichen entsprechen“.[6]
Das Kern-Bewusstsein
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Erforschung des Bewusstseins bedeutet Betrachtung zweier „Akteure“, nämlich des Organismus und des Objekts, sowie deren Beziehungen zueinander. Der Organismus ist damit beschäftigt, Bezug zu einem Objekt herzustellen, und das Objekt dieser Beziehung ruft eine Veränderung im Organismus hervor. Individuelle Perspektive, individuelle Besitznahme des Denkens und individuelle Urheberschaft sind die entscheidenden Aspekte, die das Kern-Bewusstsein zum geistigen Prozess beiträgt. Das Wesen des Kern-Bewusstseins ist eine Vorstellung von sich selbst, das Gefühl von sich selbst als individuellem Wesen, das mit dem Erkennen der eigenen Existenz und der Existenz anderer beschäftigt ist. Das Kern-Bewusstsein wird pulsierend für jeden Inhalt, dessen wir uns bewusst werden, immer wieder neu erzeugt. Es ist die Erkenntnis, die sich materialisiert, wenn wir einem Objekt begegnen, ein neuronales Muster dafür erzeugen und (automatisch) entdecken, dass die nun prägnante Vorstellung des Objektes in unserer Perspektive gebildet worden ist, uns gehört und wir sogar darauf einwirken können. Es gibt keinen schlussfolgernden Prozess, den wir dorthin führen, keinerlei sprachliche Vorgänge – es gibt einfach nur die Vorstellung dieses Objektes und gleich darauf das Empfinden, dass wir es besitzen. Das Kern-Bewusstsein ist das unmittelbare Empfinden unseres individuellen Organismus im Akt des Erkennens, wobei die Zeit von wesentlicher Bedeutung ist, dass damit die ursächliche Verbindung zwischen der Vorstellung eines Objektes und unserer „Inbesitznahme“ hergestellt wird.[7][8]
Gefühle und Emotionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Damásio trennt zwischen Emotionen („emotions“), die er als die durch somatische Marker verursachten Körperzustände beschreibt, und Empfindungen („feelings“), die das bewusste Wahrnehmen der emotionalen Körperzustände darstellen. So lernt der Mensch im Laufe seiner Entwicklung beispielsweise, den Körperzustand, der mit der reflexartigen Flucht vor einer Gefahr verbunden ist, als Angst wahrzunehmen, also als ein bewusstes Empfinden. Während die Emotionen angeboren sind und ein von außen beobachtbares körperliches Verhalten produzieren, beruhen die Empfindungen auf Erfahrungen und ermöglichen somit weitere Schutzstrategien gegen Gefahren von außen.
Die deutschen Übersetzungen der englischen Begriffe emotions und feelings, die Damásio von dem Psychologen und Philosophen William James entlehnte, sind leider nicht einheitlich in allen Texten unterschieden. So findet sich im Werk Ich fühle, also bin ich in einer Vorbemerkung des Übersetzers und des Fachlektors, dass in diesem Werk – anders als bei Descartes’ Irrtum – „emotion and feeling“ mit „Emotion und Gefühl“ übersetzt wird. Im Text Das Leuchten der Neuronen, übersetzt von Claudia Kotte, zeigt Autor Damásio zunächst umfänglich seine Unterscheidung, um am Ende der Darlegung vom Begriff „Emotion“ ohne Unterscheidung auf den Terminus „Gefühl“ zu springen.[9]
Re-Zitierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kindheitsforscherin Alice Miller hat ihrem Buch Die Revolte des Körpers ein Zitat von António R. Damásio vorangestellt: Emotionen sind kein Luxus, sondern ein komplexes Hilfsmittel im Daseinskampf.
Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1990: Prix Beaumont
- 1992: Prémio Pessoa für Hanna Damásio und António R. Damásio
- 1995: Golden Brain Award
- 1997: Prix de la Plasticité Neuronal
- 1997: Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
- 2002: Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen für Hanna Damásio und António R. Damásio
- 2004: Jean-Louis-Signoret-Preis
- 2005: Prinz-von-Asturien-Preis für wissenschaftliche und technische Forschung
- 2011: Internationaler Literaturpreis Corine für Selbst ist der Mensch – Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewußtseins
- 2014: Grawemeyer Award für Psychologie
Veröffentlichungen (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Autor:
- Descartes’ error. Emotion, reason, and the human brain. Picador, London 1994.
- Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. List, München 1994, ISBN 3-471-77342-8.
- The feeling of what happens. Body and emotion in the making of consciousness. Harcourt Brace, New York 1999.
- Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List, München 2000, ISBN 3-548-60164-2.
- mit anderen: Subcortical and cortical brain activity during the feeling of self-generated emotions. In: Nature Neuroscience. Band 3, Nr. 10, 2000, S. 1049–1056.
- Looking for Spinoza. Joy, sorrow, and the feeling brain. Heinemann, London 2003.
- Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List, München 2003, ISBN 3-471-77352-5; auch Ullstein, Berlin 2005.
- Self Comes to Mind. Constructing the Conscious Brain. Pantheon Books, New York 2010.
- Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Siedler, München 2011, ISBN 978-3-88680-924-0.[10]
- The Strange Order of Things: Life, Feeling, and the Making of Cultures. Pantheon Books, New York 2018.
- Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung der menschlichen Kultur. Siedler, München 2017, ISBN 3-8275-0045-1.
- Feeling & Knowing: Making Minds Conscious. Pantheon, New York 2021, ISBN 978-1-5247-4756-5.
- Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins. Hanser, München 2021, ISBN 978-3-446-27094-7
Als Herausgeber:
- mit Hanna Damásio, Yves Christen: Neurobiology of decision-making. Springer, Berlin 1996, ISBN 3-540-60143-0.
- mit Jean-Pierre Changeux, Wolf Singer, Yves Christen: Neurobiology of human values. Springer, Berlin 2005, ISBN 978-3-5402-6253-4.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über António R. Damásio im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über António R. Damásio in der Deutschen Digitalen Bibliothek
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ A. Damasio an der University of Southern California ( vom 14. April 2009 im Internet Archive)
- ↑ Inhalt, teilnehmende Personen und Programm von Mind and Life II: Dialogues Between Buddhism & the Neurosciences ( vom 9. Oktober 2014 im Internet Archive)
- ↑ Antonio Damasio: Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 169 („Bewusstsein: eine Definition“)
- ↑ Antonio Damasio: Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 196
- ↑ Antonio Damasio: Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 193
- ↑ Antonio Damasio: Selbst ist der Mensch: Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Pantheon Verlag 2013, ISBN 978-3570551790, S. 328
- ↑ vgl. Damasio, A. (2000): Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: List. S. 155–156.
- ↑ Douglas F. Watt: Antonio Damasio, The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness, Rezension und Erläuterung des Begriffs Kernbewusstsein (New York: Harcourt Brace, 1999).
- ↑ Vgl. seinen Aufsatz in: Kulturaustausch III/13, S. 22.
- ↑ Die streng materialistische bzw. naturalistische Sicht auf das Körper-Geist-Problem stößt auf Kritik. So gibt es z. B. eine negative Kritik von Dominik Perler in der FAZ. Ebenso kritisch ist die Rezension in DR Kultur.
Personendaten | |
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NAME | Damásio, António R. |
ALTERNATIVNAMEN | Damásio, António Rosa (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | portugiesischer Neurowissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 25. Februar 1944 |
GEBURTSORT | Lissabon |
- Neurologe
- Neuropsychologe
- Mediziner (20. Jahrhundert)
- Mediziner (21. Jahrhundert)
- Kognitionswissenschaftler
- Hochschullehrer (University of Iowa)
- Hochschullehrer (University of Southern California)
- Sachbuchautor (Pädagogik und Psychologie)
- Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
- Ehrendoktor der RWTH Aachen
- Ehrendoktor der Universität Aveiro
- Prémio Pessoa
- Person (Lissabon)
- Portugiese
- Geboren 1944
- Mann