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„Wolfgang Grams“ – Versionsunterschied

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'''Wolfgang Werner „Gaks“ Grams''' (* [[6. März]] [[1953]] in [[Wiesbaden]]; † [[27. Juni]] [[1993]] in [[Lübeck]]) war ein Mitglied der [[Terroristische Vereinigung|terroristischen Vereinigung]] [[Rote Armee Fraktion]] (RAF). Grams tauchte 1984 unter und gehörte anschließend der Kommandoebene der [[Rote Armee Fraktion#Dritte Generation|dritten RAF-Generation]] an. Beim [[GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen|Versuch seiner Festnahme]] durch die [[GSG 9 der Bundespolizei|Polizeieinheit GSG-9]] in [[Bad Kleinen]] wurde er angeschossen und starb nach dem mehrfach gerichtlich überprüften Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Schwerin durch [[Suizid]]. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht vollständig geklärt; im politisch linken Spektrum hält sich die Ansicht, Grams sei von Beamten gezielt getötet worden.
'''Wolfgang Grams''' (* [[6. März]] [[1953]] in [[Wiesbaden]]; † [[27. Juni]] [[1993]] in [[Bad Kleinen]]) war Mitglied der [[Rote Armee Fraktion|Roten Armee Fraktion]] (RAF).


== Leben ==
Grams Eltern, Werner und Ruth Grams, sind Flüchtlinge aus dem Osten. Werner Grams hatte sich bei der [[Waffen-SS]] als Kriegsfreiwilliger beworben. Wolfgang Grams hat noch einen Bruder Rainer Grams.
Grams’ Vater Werner hatte sich im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] freiwillig bei der [[Waffen-SS]] beworben. Nach 1945 waren er und seine Frau Ruth [[Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950|aus dem Osten geflüchtet]]. Wolfgang hatte noch einen Bruder namens Rainer. Wolfgang Grams war von 1959 bis 1963 Schüler der damaligen Knabenvolksschule an der Lorcher Straße und danach der [[Gutenbergschule Wiesbaden|Gutenbergschule]]<ref>[https://abi-1968.de/wp-content/uploads/2018/04/Sammelmappe2.pdf Gutenbergschule Wiesbaden: ''Jahrbuch 1966–1968.'' Wiesbaden 1968, Schülerstatistik, S. 108.]</ref> in Wiesbaden. In jungen Jahren nahm Grams Geigenunterricht, man bescheinigte ihm ein [[absolutes Gehör]]. Außerdem spielte er Gitarre und war später Statist am [[Hessisches Staatstheater Wiesbaden|Wiesbadener Theater]]. Als Berufswunsch gab er Förster oder Pastor an. Politisch geprägt wurde Grams unter anderem durch die Demonstrationen gegen den [[Vietnamkrieg]]. Wegen dieser Erfahrungen [[Kriegsdienstverweigerung|verweigerte Grams den Wehrdienst]]. Seine politische Sozialisation folgte wie die anderer Mitglieder der dritten RAF-Generation den Mustern der zweiten RAF-Generation, indem die Sorge um die gefangenen RAF-Mitglieder mit dem vermeintlichen Vernichtungswillen des „postfaschistischen“ Staates Bundesrepublik in seiner „imperialistischen Verbindung mit den USA“ verschmolzen wurde.<ref>Petra Terhoeven: ''Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt'' (= ''Beck Wissen.'' Band 2878). C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71235-7, S. 101 f.</ref>


=== Rote Armee Fraktion ===
In jungen Jahren nimmt Wolfgang Grams Geigenunterricht und man bescheinigt ihm ein ''[[absolutes Gehör]]''. Er spielt Gitarre und ist Statist am Wiesbadener Theater. Als Berufswunsch gibt er mal Förster, mal Pastor an. Da die Familie nahe beim Flughafen Wiesbaden/Erbenheim wohnt, bekommt man die Aktionen der [[US-Amerikaner]] während des [[Vietnamkrieg]]es mit, ebenso die Demonstrationen. Deshalb wird Grams zum bekennenden [[Kriegsdienstverweigerer]].
Nach der Verhaftung des Kerns der [[Rote Armee Fraktion#Erste Generation|ersten RAF-Generation]] im Juni 1972 ([[Andreas Baader]], [[Gudrun Ensslin]], [[Ulrike Meinhof]], [[Jan-Carl Raspe]], [[Holger Meins]], [[Gerhard Müller (RAF-Mitglied)|Gerhard Müller]]) schloss sich Grams der „Sozialistischen Initiative Wiesbaden“ an. Später engagierte er sich in einer „undogmatischen“ [[Rote Hilfe (Verein)|Rote-Hilfe]]-Gruppe, die die inhaftierten RAF-Mitglieder während des [[Hungerstreik]]s 1974 unterstützte. So solidarisierte sich Grams mit den Häftlingen und besuchte einige von ihnen in der von ihm als unmenschlich empfundenen Haft. Zudem übernahm er gelegentlich Kurierdienste für die RAF.<ref>[[Christoph Seils]]: [https://www.zeit.de/online/2008/17/zg-raf-dritte-generation/komplettansicht ''RAF: Das Ende des Schreckens.''] In: ''[[Die Zeit]]'', 20. April 2008.</ref>


Als 1978 [[Willy Peter Stoll]] von einem Polizisten erschossen worden war, fanden sich in dessen Notizbuch Hinweise auf Wolfgang Grams. Grams wurde verhaftet und saß in Frankfurt am Main 153 Tage in Untersuchungshaft. Nach seiner Entlassung erhielt er [[Haftentschädigung]] in Höhe von 10 Mark pro Hafttag.<ref>[[Willi Winkler (Autor)|Willi Winkler]]: ''Die Geschichte der RAF.'' Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008, S. 397.</ref>
In seiner [[Wohngemeinschaft]] bekommt er den Spitznamen ''Gaks''. Nach der Verhaftung von [[Andreas Baader]] und [[Gudrun Ensslin]] fängt er an, die "politischen Gefangenen" in der Haft zu besuchen. Er hält die Haftbedingungen (Einzelhaft) für unmenschlich. Seine damalige Freundin war [[Roswitha Beith]].


Später lernte Grams [[Birgit Hogefeld]] kennen. Als Paar bezogen sie zusammen eine Wohnung. Hogefeld und Grams gingen 1984 in den Untergrund, schlossen sich der Kommandoebene der Rote Armee Fraktion an und bauten die dritte RAF-Generation mit auf. 1985 entdeckte die Polizei eine [[konspirative Wohnung]] der RAF in [[Tübingen]] und fand [[Fingerabdruck|Fingerabdrücke]] von Christoph Seidler, [[Barbara Meyer]], [[Horst Ludwig Meyer]], Thomas Simon, [[Eva Haule]] und auch Wolfgang Grams. Am 15. Februar 1987 wurde in der ''[[Tagesschau (ARD)|Tagesschau]]'' ein Suchaufruf nach Grams und Hogefeld gesendet.
Wolfgang Grams wird für 152 Tage unschuldig inhaftiert und bekommt dafür [[1980]] eine [[Haftentschädigung]] zugesprochen.


Im Herbst 1990 kam es zum letzten Treffen Grams’ mit seinen Eltern im [[Taunus]].
Grams lernt [[Birgit Hogefeld]] kennen, sie wird seine neue Freundin und beide ziehen zusammen in eine Wohnung.


=== Tod in Bad Kleinen ===
Am [[15. Februar]] [[1987]] gibt es in der Tagesschau der [[ARD]] einen Suchaufruf für Grams und Hogefeld. Er wird beschrieben als 1,80 m groß und mit blau-grauen Augen sowie einer auffälligen dunklen Hautverfärbung im Gesicht. Fortan lebt er mit Hogefeld im [[Untergrund]]. Nur im Herbst [[1990]] kommt es noch einmal zu einem heimlichen Treffen mit seinen Eltern im [[Taunus]].
{{Hauptartikel|GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen}}
Am 27. Juni 1993 sollte Grams zusammen mit [[Birgit Hogefeld]] im Verlauf eines [[GSG 9 der Bundespolizei|GSG-9]]-Einsatzes in [[Bad Kleinen]] auf dem dortigen Bahnhof festgenommen werden. Die Festnahme von Hogefeld verlief erfolgreich. Grams floh auf den Bahnsteig 3/4 und eröffnete das Feuer auf die nacheilenden Beamten. In dem Schusswechsel traf Grams den 26-jährigen GSG-9-Beamten Michael Newrzella tödlich und verletzte einen weiteren schwer. Er selbst wurde fünfmal getroffen und stürzte schwer verletzt auf die Gleise. Grams wurde per Helikopter in die Notfallaufnahme der [[Universität zu Lübeck|Medizinischen Universität zu Lübeck]] gebracht, wo er kurz darauf starb.<ref name=":0">[https://www.zeit.de/1993/34/aktion-weinlese/komplettansicht ''Aktion Weinlese.''] In: ''[[Die Zeit]]'', 20. August 1993.</ref> Als Todesursache wurde ein an der Schläfe aufgesetzter Kopfschuss ausgemacht. Wolfgang Grams wurde 40 Jahre alt.


====Bestattung====
Jahre später wird verlautbart, dass [[Genetischer Fingerabdruck|molekulargenetische Spuren]] auf einem am Tatort gefundenen Handtuch auf eine Beteiligung Grams an der Ermordung von [[Detlev Karsten Rohwedder]] - dem damaligen Leiter der [[Treuhandanstalt]] - im Jahr 1991 hindeuten sollen. Auch an den Mordanschlägen auf den [[Deutsche Bank|Deutsche-Bank]]-Chef [[Alfred Herrhausen]] (1989), den deutschen [[Diplomat]]en [[Gero von Braunmühl]] (1986), den [[Siemens]]-Manager [[Karl Heinz Beckurts]] und seinen Fahrer (1986) und den Industriellen [[Ernst Zimmermann]] (1985) war Grams möglicherweise beteiligt.
[[File:Grab Wolfgang Grams, Südfriedhof Wiesbaden (2023) MF.jpg|thumb|Urnen-Grabstätte von Wolfgang Grams auf dem [[Südfriedhof (Wiesbaden)|Wiesbadener Südfriedhof]]]]
Grams wurde am 6. August 1993 in einer Urnen-Grabstätte auf dem [[Südfriedhof (Wiesbaden)|Wiesbadener Südfriedhof]] beigesetzt.<ref>ID-Archiv im [[Internationales Institut für Sozialgeschichte|IISG]] (Hrsg.): ''Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams.'' ID-Archiv, Berlin und Amsterdam 1994, ISBN 3-89408-043-4, S. 29 [https://socialhistoryportal.org/sites/default/files/raf/0019930627_0.pdf (PDF)]; [https://www.nd-aktuell.de/artikel/434598.grams-beigesetzt.html ''Grams beigesetzt.''] In: ''[[Neues Deutschland]]'', 7. August 1993.</ref>


====Todesumstände ====
== Bad Kleinen ==
Die genauen Umstände seines Todes konnten nicht restlos geklärt werden.<ref name="Prantl">[[Heribert Prantl]]: [https://www.sueddeutsche.de/politik/raf-desaster-in-bad-kleinen-ein-erschuetternder-einsatz-1.1707133 ''RAF-Desaster in Bad Kleinen: Erschütternder Einsatz.''] In: ''[[Süddeutsche Zeitung]].'' 27. Juni 2013, S.&nbsp;2.</ref> Mitglieder der GSG-9 widersprachen sich in ihren Aussagen teilweise.<ref>[[Butz Peters]]: ''Der letzte Mythos der RAF.'' 2006, S. 157–159.</ref> Außerdem wurden Fehler bei der Spurensicherung gemacht: Das Projektil, welches für den tödlichen Kopfschuss bei Grams verantwortlich war, wurde nicht gefunden. Das hat eventuell Spuren vernichtet, die hätten belegen können, dass Grams erst Newrzella in einem Schusswechsel tödlich verletzte, um sich dann, getroffen und in der geschilderten ausweglosen Situation, selbst zu erschießen. Vor der Obduktion wurden Grams’ Hände gewaschen, um ihn eindeutig [[Daktyloskopie|daktyloskopisch]] zu identifizieren, sein Kopf gewaschen und einige Haare weggeschnitten und weggeworfen – was mögliche Spuren beseitigte. Der Kriminalwissenschaftler Wolfgang Lichtenberg bezeichnete diese Vorgänge als „nicht korrekt“.<ref>{{Der Spiegel|ID=13682306|Titel=Das gehört zu den Todsünden|Datum=1993-11-19|Jahr=1993|Nr=48|Kommentar=Interview mit dem Kriminalwissenschaftler Wolfgang Lichtenberg über die Spurensicherung in Bad Kleinen}}</ref>
Am [[27. Juni]] [[1993]] sollte ein Kommando der [[GSG 9]] Grams und Hogefeld auf dem Bahnhof von [[Bad Kleinen]] festnehmen. Dabei kam es zu einem Schusswechsel, bei dem der 26-jährige GSG-9-Beamte [[Michael Newrzella]] und Grams starben. Birgit Hogefeld wurde festgenommen. Den Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Schwerin zufolge hat sich Grams selbst erschossen, um der Verhaftung zu entgehen. Den ermittelnden Behörden wurde andererseits vorgeworfen, auf Druck der Bundesregierung hin, nicht gründlich genug ermittelt und belastende Zeugenaussagen nicht hinreichend stark gewichtet oder sogar Vernichtung oder Fälschung von Beweismitteln veranlasst bzw. geduldet zu haben. Die gegensätzliche Aussage der auf dem Bahnsteig einen Süßwaren-Kiosk betreibenden Zeugin wird völlig ignoriert. Sie sagte anfangs aus, dass Grams beim Überqueren der Gleise hingefallen war und dann eine nachfolgende vermummte Person einen Gegenstand auf den liegenden Grams gerichtet hat. Ein Schuss fiel erst darauf. - Eine abschließende und widerspruchsfreie Rekonstruktion der Geschehnisse ist bis heute nicht möglich.


Vor allem im linken Spektrum ist der Verdacht verbreitet, Grams sei von einem GSG-9-Mann gezielt getötet worden, obwohl er bereits kampfunfähig gewesen sei – eine Annahme, die der Politikwissenschaftler [[Alexander Straßner]] als [[Verschwörungstheorie]] bezeichnet.<ref>Alexander Straßner: ''Die dritte Generation der RAF. Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation.'' Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, S. 214 f.</ref> Unabhängig voneinander berichteten zwei Zeugen, die dem Fernsehmagazin ''[[Monitor (Fernsehmagazin)|Monitor]]'' und dem Nachrichtenmagazin ''[[Der Spiegel]]'' einige Tage später Auskunft gaben, in diesem Sinne und sprachen von einer „Hinrichtung“. Daraufhin kam es – auch wegen Falschinformationen und unzureichender Spurensicherung durch die Ermittlungsbehörden – zu einer Vertrauenskrise der Öffentlichkeit in die Sicherheitsorgane, die zum Rücktritt des Bundesinnenministers [[Rudolf Seiters]] am 4. Juli 1993 und zur Versetzung des Generalbundesanwaltes [[Alexander von Stahl]] in den Ruhestand führte.
== Filme ==
Grams wurde [[posthum]] zusammen mit dem [[Deutsche Bank]] - Vorstandssprecher [[Alfred Herrhausen]] im Dokumentarfilm "[[Black Box BRD]]" portraitiert. Der Film stellt die beiden Lebenswege von Herrhausen und Grams vor und enthält zahlreiche Interviews mit Verwandten und Freunden der beiden.


Der von [[Hans Leyendecker]] geschriebene ''Spiegel''-Titel berief sich auf einen angeblichen Zeugen aus dem GSG-9-Kommando. Eine spätere Überprüfung von Leyendeckers Angaben durch die ''Spiegel''-interne [[Der Spiegel#Erfundene Inhalte durch den Redakteur Claas Relotius|„Relotius-Kommission“]] ergab 2019 Zweifel, ob der angebliche Zeuge tatsächlich existiert hatte.<ref>[[Georg Altrogge]]: [https://www.welt.de/wirtschaft/article204520812/Spiegel-prueft-Leyendecker-Recherche-ueber-Bad-Kleinen.html ''Todesschuss von Bad Kleinen: „Spiegel“ rollt 26 Jahre alte Recherche neu auf.''] WeltN24, 22. Dezember 2019.</ref> Am 29. Oktober 2020 bezeichnete der ''Spiegel'' seine damalige Berichterstattung als einen ''journalistischen Fehler'' und distanzierte sich.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.spiegel.de/backstage/spiegel-titel-der-todesschuss-ueber-raf-terrorist-wolfgang-grams-1993-bericht-der-aufklaerungskommission-a-6530a661-83bd-464d-89d1-43c4319055ae |titel=In eigener Sache: Bericht der Aufklärungskommission zum Fall "Der Todesschuss" |werk=spiegel.de |datum=29.10.2020 |abruf=1.11.2020}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://cdn.prod.www.spiegel.de/media/8f1fd57a-6c4a-4506-b806-f4416b567386/Abschlussbericht_Der_Todesschuss.pdf |titel=Der Todesschuss - Abschlussbericht der Aufklärungskommission zur Titelgeschichte über den Antiterroreinsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, Heft 27/1993 |werk=Spiegel.de |format= PDF |datum=2020-10-29 |abruf=2020-11-01}}</ref>
== Musik ==

Das Geschehnis auf den Gleisen wurde durch die [[Punk]]band [[Wizo]] in dem Lied "Kopfschuss" behandelt. Aus dem Titel sowie dem Reffre
Durch die folgenden Untersuchungen und fünf rechtsmedizinische Gutachten wurden die Geschehensabläufe im Folgenden jedoch insoweit geklärt, dass die Aussagen der beiden Zeugen – die auch in sich widersprüchlich waren – von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Schwerin nicht als glaubwürdig eingestuft wurden.<ref>Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Gutachten, Zeugenaussagen und Argumenten findet sich bei [[Landgericht Bonn]], [https://openjur.de/u/655021.html Urteil vom 29. September 1998, Aktenzeichen 1 O 274/96], Volltext bei [[Openjur]]. Journalistisch wurde das aufgearbeitet bei [[Butz Peters]]: ''Der letzte Mythos der RAF.'' 2006; Abschnitt ''Untersuchungen.'' S. 151–218; [[Egmont R. Koch]]: ''Zugriff im Tunnel – Das tödliche Drama von Bad Kleinen.'' Produktion: [[Südwestrundfunk|SWR]]/[[Norddeutscher Rundfunk|NDR]] 2013 ([https://www.youtube.com/watch?v=_B2eiC5pWTA YouTube]).</ref> Die Staatsanwaltschaft stellte im Januar 1994 ihre Ermittlungen gegen die beteiligten GSG-9-Beamten ein; demnach beging Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuss Suizid.<ref>Dieses Ergebnis wird auch in der Wissenschaft einhellig bestätigt, siehe etwa [[Steffen Kailitz]]: ''Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14193-7, [https://books.google.de/books?id=47e5RhcD1QkC&pg=PA117&hl=de S. 117]; Alexander Straßner: ''Perzipierter Weltbürgerkrieg. „Rote Armee Fraktion“ in Deutschland.'' In: ders. (Hrsg.): ''Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15578-4, S. 209–236, [https://books.google.de/books?id=2UCEU3NAYMYC&pg=PA226&hl=de hier S. 226 f.]; [[Stefan Aust]]: ''[[Der Baader-Meinhof-Komplex]].'' Hoffmann und Campe, Hamburg 1985, zitiert nach der Neuausgabe 2008, ISBN 978-3-455-50029-5, S. 877.</ref> Auch Jahre nach den Vorfällen wurden Texte und Bücher veröffentlicht, die die Ergebnisse der Untersuchung bezweifeln oder angreifen.<ref>Siehe das Buch ''Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams'', online in gekürzter Fassung bei [https://www.nadir.org/nadir/archiv/Repression/bad_kleinen/ Nadir.org]. Siehe auch Kein Friede (Hrsg.): ''Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage der Linken: Bad Kleinen, Steinmetz und der Bruch in der RAF; ein vorläufiger Bericht.'' 3. Auflage. AWI 1992, Frankfurt am Main 1994 ({{Webarchiv | url=http://badkleinen.sooderso.net/archiv/bericht/index.htm | wayback=20070807123430 | text=online}}).</ref>
''"Kopfschuss- Das war kein Selbstmord, das war Mord

Kopfschuss- Ihr habt gelogen seid dem ersten Wort
Auch Grams’ Eltern gingen davon aus, dass ihr Sohn von GSG-9-Beamten gezielt getötet worden war. Die [[Generalstaatsanwaltschaft Rostock]] lehnte ihre [[Beschwerde (deutsches Recht)|Beschwerde]] gegen die Verfahrenseinstellung ab. Ein [[Klageerzwingungsverfahren]] vor dem [[Oberlandesgericht Rostock]] wurde am 29. März 1996 als unbegründet verworfen, eine Verfassungsbeschwerde am 17. Juli 1996 vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Zivilklage der Eltern vor dem [[Landgericht Bonn]] auf Erstattung der Überführungs- und Beerdigungskosten ihres Sohnes wurde mit der Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass für einen aufgesetzten Schuss durch einen GSG-9-Beamten „auch nach Ausschöpfen aller Erkenntnismöglichkeiten“ keinerlei Umstände sprächen.<ref>[[Landgericht Bonn]], [https://openjur.de/u/655021.html Urteil vom 29. September 1998, Aktenzeichen 1 O 274/96], Volltext bei [[Openjur]], Randnummern 130 und 136.</ref> Die Menschenrechtsbeschwerde beim [[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte|Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte]] in Straßburg wurde am 5. Oktober 1999 einstimmig als unbegründet abgewiesen; die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin seien korrekt durchgeführt worden. Als Stand der zeithistorischen Erkenntnis hielt die Historikerin und Terrorismus-Expertin [[Petra Terhoeven]] 2017 fest, Grams habe, von mehreren Polizeikugeln getroffen, sich das Leben genommen; Gerüchte einer Hinrichtung hätten sich über Jahre gehalten, seien aber „schließlich widerlegt“ worden.<ref>Petra Terhoeven: ''Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt'' (= ''Beck Wissen.'' Band 2878). C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71235-7, S. 105.</ref>
Kopfschuss- Das war ein mieser, feiger Mord

Kopfschuss- Und ich glaube euch kein Wort
=== DNA-Analyse im Fall Rohwedder ===
Nie mehr ein Wort"''
Wolfgang Grams ist die Beteiligung an keiner der Gewalttaten nachgewiesen worden, zu denen sich die dritte RAF-Generation bekannt hat. Auch die Ermordung des damaligen [[Treuhand]]-Chefs [[Detlev Rohwedder]] im April 1991, zu dem sich die RAF in einem am Tatort gefundenen Schreiben (und später wiederholt) bekannt hatte, war ebenso lange völlig ungeklärt. Im Jahr 2001 konnte ein Haar, das von einem Handtuch vom Rohwedder-Tatort stammte, durch eine [[DNA-Analyse]] zweifelsfrei Grams zugeordnet werden. Die [[Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof|Bundesanwaltschaft]] benannte Grams nicht als Tatverdächtigen, da sie dieses Indiz als nicht ausreichend bewertete.<ref>[https://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?newsid=41 ''Neue Erkenntnisse zum Mordanschlag auf Dr. Detlev Karsten Rohwedder.''] Pressemitteilung. In: ''Generalbundesanwalt.de'', 16. Mai 2001.</ref> Auf eine Anfrage der [[Partei des Demokratischen Sozialismus|PDS]]-Bundestagsfraktion<ref>''Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS: Neue Verdachtsmomente des Generalbundesanwalts im Mordfall Rohwedder und Berichte über eine angebliche „neue RAF“.'' {{BT-Drs|14|6297}}, 18. Juni 2001 (PDF; 44 kB).</ref> erklärte die Bundesanwaltschaft, eine Überprüfung von Haaren sei auch zu einem früheren Zeitpunkt ohne eine DNA-Analyse möglich gewesen, aber nicht durchgeführt worden, weil nach Grams’ Tod zwar eine Blut-, aber keine [[Haaranalytik|Haarprobe]] entnommen worden sei.<ref>''Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS.'' {{BT-Drs|14|6525}}, 2. Juli 2001 (PDF; 52 kB).</ref> [[Wolfgang Kraushaar]] sieht durch dieses Indiz eine „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass Grams „in das Verbrechen verstrickt gewesen sein musste“.<ref>Wolfgang Kraushaar: ''Die blinden Flecken der RAF.'' Klett-Cotta, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-608-98140-7, S. 25.</ref>
ist ersichtlich, dass die Band von einem 'Fehlverhalten' der [[GSG 9]] überzeugt ist.

== Rezeption ==
Grams wurde [[postum]] zusammen mit dem von der [[Rote Armee Fraktion|RAF]] ermordeten [[Deutsche Bank|Deutsche-Bank]]-Vorstandssprecher [[Alfred Herrhausen]] im mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm ''[[Black Box BRD]]'' porträtiert. Der 2001 erschienene Film von [[Andres Veiel]] erzählt die Verschränkung der Lebenswege von Herrhausen und Grams. Dabei kamen in zahlreichen Interviews Verwandte und Freunde beider Protagonisten ebenso zu Wort wie ehemalige Kollegen von Herrhausen und seine Ehefrau [[Traudl Herrhausen|Waltraud]].<ref>Rachel Palfreyman: ''The fourth generation: Legacies of violence as quest for identity in post-unification terrorism films.'' In: David Clarke (Hrsg.): ''German Cinema: Since Unification.'' Continuum, London, New York 2006, S. 11–42, besonders S. 28–33 [https://books.google.de/books?id=OFNU61-OHyMC&pg=PA28 (Vorschau)].</ref><ref>Jamie H. Trnka: ''“The Struggle Is Over, the Wounds Are Open”. Cinematic Tropes, History, and the RAF in Recent German Film.'' In: ''New German Critique.'' Nr. 101, 2007, S. 1–26.</ref><ref>Chris Homewood: ''Challenging the Taboo: The Memory of West Germany’s Terrorist Past in Andres Veiel’s ''Black Box BRD'' (2001).'' In: ''New Cinemas: Journal of Contemporary Film.'' Bd. 5, Nr. 2, 2007, S. 115–126.</ref><ref>Chris Homewood: ''Making Invisible Memory Visible: Communicative Memory and Taboo in Andres Veiel’s Black Box BRD.'' In: ''German Monitor.'' Band 70, 2008: ''Baader-Meinhof Returns: History and Cultural Memory of German Left-Wing Terrorism.'' Hrsg. von Gerrit-Jan Berendse und Ingo Cornils. S. 231–249.</ref><ref>[[Waltraud Wende]]: ''Wenn Filme Geschichte(n) erzählen: Filmanalyse als Medienkulturanalyse.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, Kapitel „Eine Ruhigstellung der Zuschauer will sich nicht recht ergeben. ''Black Box BRD'' (2001) und ''Der Kick'' (2005/2006)“, besonders S. 242–252 [https://books.google.de/books?id=S8IWD6gXm3EC&pg=PA242 (Vorschau)].</ref><ref>[[Dietrich Kuhlbrodt]]: [https://taz.de/!1171210/ ''„Jeder war ein Staatsfeind“.''] Interview mit Andres Veiel. In: ''[[die tageszeitung]]'', 23. Mai 2001</ref>
Literarisch verarbeitete den gescheiterten Festnahmeversuch in Bad Kleinen und dessen juristische Aufarbeitung [[Christoph Hein]] in seinem 2005 erschienenen Roman ''[[In seiner frühen Kindheit ein Garten]]'', der 2006 auch als Theaterstück aufgeführt wurde.<ref>Anne-Kathrin Griese: ''Der familiäre Blick. Andres Veiel ''Black Box BRD'' & Christoph Hein ''In seiner frühen Kindheit ein Garten''.'' In: Inge Stephan, Alexandra Tacke (Hrsg.): ''NachBilder der RAF.'' Böhlau, Köln u. a. 2008, ISBN 978-3-412-20077-0, S. 165–180 [https://books.google.de/books?id=ycbKXZVEH4EC&pg=PA165 (Vorschau)].</ref> Auch der Krimi-Autor [[Wolfgang Schorlau]] nahm sich in seinem Roman ''Die Blaue Liste'' des Themas an. Die Punk-Bands ''[[WIZO (Band)|WIZO]]'', ''[[Slime (Band)|Slime]]'' und ''[[Kapitulation B.o.N.n.]]'' stellen das Geschehen von Bad Kleinen als absichtliche Tötung durch die GSG-9 dar. Auch die Punk-Band ''[[Dritte Wahl]]'' widmete Grams’ Tod ein Lied. Dagegen wird im 2021 erschienenen Lied ''Wer hat uns verraten?'' der [[Antilopen Gang|Antilopengang]] der Lebensweg von [[Wolfgang Grundmann]], einem weiteren RAF-Mitglied, nachvollzogen. Im Lied ist nur von „Wolfgang G.“ die Rede.

== Literatur ==
* [[Alexander Straßner]]: ''Biographisches Porträt. Wolfgang Werner Grams.'' In: ''[[Jahrbuch Extremismus & Demokratie]].'' Band 17, 2005, S. 184–194.
* [[Andres Veiel]]: ''Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams.'' Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004, ISBN 3-596-15985-7.
* [[Butz Peters]]: ''Der letzte Mythos der RAF. Das Desaster von Bad Kleinen. Wer erschoss Wolfgang Grams?'' Ullstein, Berlin 2006, ISBN 3-550-07865-X, besonders S. 21–30 (Kurzbiographie mit Bildern).


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|119261685}}
*http://www.nadir.org/nadir/archiv/Repression/bad_kleinen/ (Widerspricht der offiziellen Version, nicht unbedingt neutral)
<!-- * [https://www.ndr.de/kultur/geschichte/chronologie/wolfganggrams101_v-contentklein.jpg Fahndungsfoto] bei [[NDR.de]] -->
*http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/kino/7714/1.html (Zur Biografie "Black Box BRD"))
* {{IMDb}}

== Einzelnachweise ==
<references />


{{Normdaten|TYP=p|GND=119261685|LCCN=n95112933|VIAF=35262345}}
[[Kategorie:Deutscher|Grams, Wolfgang]]
[[Kategorie:Mann|Grams, Wolfgang]]
[[Kategorie:Terrorist|Grams, Wolfgang]]
[[Kategorie:Wiesbadener|Grams, Wolfgang]]
[[Kategorie:Geboren 1953|Grams, Wolfgang]]
[[Kategorie:Gestorben 1993|Grams, Wolfgang]]


{{SORTIERUNG:Grams, Wolfgang}}
[[en:Wolfgang Grams]]
[[Kategorie:Mitglied der Rote Armee Fraktion]]
[[Kategorie:Bundespolizei (Deutschland)]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1953]]
[[Kategorie:Gestorben 1993]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Personendaten|
{{Personendaten
NAME=Grams, Wolfgang
|NAME=Grams, Wolfgang
|ALTERNATIVNAMEN=Grams, Wolfgang Werner (vollständiger Name); Grams, Gaks (Spitzname)
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG=[[Terror]]ist der [[Rote Armee Fraktion|Roten Armee Fraktion]] (RAF)
|KURZBESCHREIBUNG=deutscher Terrorist der Rote Armee Fraktion
|GEBURTSDATUM=[[6. März]] [[1953]]
|GEBURTSDATUM=6. März 1953
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|GEBURTSORT=[[Wiesbaden]]
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|STERBEDATUM=27. Juni 1993
|STERBEORT=[[Bad Kleinen]]
|STERBEORT=[[Lübeck]]
}}
}}

Aktuelle Version vom 14. Dezember 2024, 07:16 Uhr

Wolfgang Werner „Gaks“ Grams (* 6. März 1953 in Wiesbaden; † 27. Juni 1993 in Lübeck) war ein Mitglied der terroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF). Grams tauchte 1984 unter und gehörte anschließend der Kommandoebene der dritten RAF-Generation an. Beim Versuch seiner Festnahme durch die Polizeieinheit GSG-9 in Bad Kleinen wurde er angeschossen und starb nach dem mehrfach gerichtlich überprüften Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Schwerin durch Suizid. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht vollständig geklärt; im politisch linken Spektrum hält sich die Ansicht, Grams sei von Beamten gezielt getötet worden.

Grams’ Vater Werner hatte sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig bei der Waffen-SS beworben. Nach 1945 waren er und seine Frau Ruth aus dem Osten geflüchtet. Wolfgang hatte noch einen Bruder namens Rainer. Wolfgang Grams war von 1959 bis 1963 Schüler der damaligen Knabenvolksschule an der Lorcher Straße und danach der Gutenbergschule[1] in Wiesbaden. In jungen Jahren nahm Grams Geigenunterricht, man bescheinigte ihm ein absolutes Gehör. Außerdem spielte er Gitarre und war später Statist am Wiesbadener Theater. Als Berufswunsch gab er Förster oder Pastor an. Politisch geprägt wurde Grams unter anderem durch die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Wegen dieser Erfahrungen verweigerte Grams den Wehrdienst. Seine politische Sozialisation folgte wie die anderer Mitglieder der dritten RAF-Generation den Mustern der zweiten RAF-Generation, indem die Sorge um die gefangenen RAF-Mitglieder mit dem vermeintlichen Vernichtungswillen des „postfaschistischen“ Staates Bundesrepublik in seiner „imperialistischen Verbindung mit den USA“ verschmolzen wurde.[2]

Rote Armee Fraktion

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Nach der Verhaftung des Kerns der ersten RAF-Generation im Juni 1972 (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Gerhard Müller) schloss sich Grams der „Sozialistischen Initiative Wiesbaden“ an. Später engagierte er sich in einer „undogmatischen“ Rote-Hilfe-Gruppe, die die inhaftierten RAF-Mitglieder während des Hungerstreiks 1974 unterstützte. So solidarisierte sich Grams mit den Häftlingen und besuchte einige von ihnen in der von ihm als unmenschlich empfundenen Haft. Zudem übernahm er gelegentlich Kurierdienste für die RAF.[3]

Als 1978 Willy Peter Stoll von einem Polizisten erschossen worden war, fanden sich in dessen Notizbuch Hinweise auf Wolfgang Grams. Grams wurde verhaftet und saß in Frankfurt am Main 153 Tage in Untersuchungshaft. Nach seiner Entlassung erhielt er Haftentschädigung in Höhe von 10 Mark pro Hafttag.[4]

Später lernte Grams Birgit Hogefeld kennen. Als Paar bezogen sie zusammen eine Wohnung. Hogefeld und Grams gingen 1984 in den Untergrund, schlossen sich der Kommandoebene der Rote Armee Fraktion an und bauten die dritte RAF-Generation mit auf. 1985 entdeckte die Polizei eine konspirative Wohnung der RAF in Tübingen und fand Fingerabdrücke von Christoph Seidler, Barbara Meyer, Horst Ludwig Meyer, Thomas Simon, Eva Haule und auch Wolfgang Grams. Am 15. Februar 1987 wurde in der Tagesschau ein Suchaufruf nach Grams und Hogefeld gesendet.

Im Herbst 1990 kam es zum letzten Treffen Grams’ mit seinen Eltern im Taunus.

Tod in Bad Kleinen

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Am 27. Juni 1993 sollte Grams zusammen mit Birgit Hogefeld im Verlauf eines GSG-9-Einsatzes in Bad Kleinen auf dem dortigen Bahnhof festgenommen werden. Die Festnahme von Hogefeld verlief erfolgreich. Grams floh auf den Bahnsteig 3/4 und eröffnete das Feuer auf die nacheilenden Beamten. In dem Schusswechsel traf Grams den 26-jährigen GSG-9-Beamten Michael Newrzella tödlich und verletzte einen weiteren schwer. Er selbst wurde fünfmal getroffen und stürzte schwer verletzt auf die Gleise. Grams wurde per Helikopter in die Notfallaufnahme der Medizinischen Universität zu Lübeck gebracht, wo er kurz darauf starb.[5] Als Todesursache wurde ein an der Schläfe aufgesetzter Kopfschuss ausgemacht. Wolfgang Grams wurde 40 Jahre alt.

Urnen-Grabstätte von Wolfgang Grams auf dem Wiesbadener Südfriedhof

Grams wurde am 6. August 1993 in einer Urnen-Grabstätte auf dem Wiesbadener Südfriedhof beigesetzt.[6]

Die genauen Umstände seines Todes konnten nicht restlos geklärt werden.[7] Mitglieder der GSG-9 widersprachen sich in ihren Aussagen teilweise.[8] Außerdem wurden Fehler bei der Spurensicherung gemacht: Das Projektil, welches für den tödlichen Kopfschuss bei Grams verantwortlich war, wurde nicht gefunden. Das hat eventuell Spuren vernichtet, die hätten belegen können, dass Grams erst Newrzella in einem Schusswechsel tödlich verletzte, um sich dann, getroffen und in der geschilderten ausweglosen Situation, selbst zu erschießen. Vor der Obduktion wurden Grams’ Hände gewaschen, um ihn eindeutig daktyloskopisch zu identifizieren, sein Kopf gewaschen und einige Haare weggeschnitten und weggeworfen – was mögliche Spuren beseitigte. Der Kriminalwissenschaftler Wolfgang Lichtenberg bezeichnete diese Vorgänge als „nicht korrekt“.[9]

Vor allem im linken Spektrum ist der Verdacht verbreitet, Grams sei von einem GSG-9-Mann gezielt getötet worden, obwohl er bereits kampfunfähig gewesen sei – eine Annahme, die der Politikwissenschaftler Alexander Straßner als Verschwörungstheorie bezeichnet.[10] Unabhängig voneinander berichteten zwei Zeugen, die dem Fernsehmagazin Monitor und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel einige Tage später Auskunft gaben, in diesem Sinne und sprachen von einer „Hinrichtung“. Daraufhin kam es – auch wegen Falschinformationen und unzureichender Spurensicherung durch die Ermittlungsbehörden – zu einer Vertrauenskrise der Öffentlichkeit in die Sicherheitsorgane, die zum Rücktritt des Bundesinnenministers Rudolf Seiters am 4. Juli 1993 und zur Versetzung des Generalbundesanwaltes Alexander von Stahl in den Ruhestand führte.

Der von Hans Leyendecker geschriebene Spiegel-Titel berief sich auf einen angeblichen Zeugen aus dem GSG-9-Kommando. Eine spätere Überprüfung von Leyendeckers Angaben durch die Spiegel-interne „Relotius-Kommission“ ergab 2019 Zweifel, ob der angebliche Zeuge tatsächlich existiert hatte.[11] Am 29. Oktober 2020 bezeichnete der Spiegel seine damalige Berichterstattung als einen journalistischen Fehler und distanzierte sich.[12][13]

Durch die folgenden Untersuchungen und fünf rechtsmedizinische Gutachten wurden die Geschehensabläufe im Folgenden jedoch insoweit geklärt, dass die Aussagen der beiden Zeugen – die auch in sich widersprüchlich waren – von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Schwerin nicht als glaubwürdig eingestuft wurden.[14] Die Staatsanwaltschaft stellte im Januar 1994 ihre Ermittlungen gegen die beteiligten GSG-9-Beamten ein; demnach beging Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuss Suizid.[15] Auch Jahre nach den Vorfällen wurden Texte und Bücher veröffentlicht, die die Ergebnisse der Untersuchung bezweifeln oder angreifen.[16]

Auch Grams’ Eltern gingen davon aus, dass ihr Sohn von GSG-9-Beamten gezielt getötet worden war. Die Generalstaatsanwaltschaft Rostock lehnte ihre Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung ab. Ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Rostock wurde am 29. März 1996 als unbegründet verworfen, eine Verfassungsbeschwerde am 17. Juli 1996 vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Zivilklage der Eltern vor dem Landgericht Bonn auf Erstattung der Überführungs- und Beerdigungskosten ihres Sohnes wurde mit der Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass für einen aufgesetzten Schuss durch einen GSG-9-Beamten „auch nach Ausschöpfen aller Erkenntnismöglichkeiten“ keinerlei Umstände sprächen.[17] Die Menschenrechtsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wurde am 5. Oktober 1999 einstimmig als unbegründet abgewiesen; die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin seien korrekt durchgeführt worden. Als Stand der zeithistorischen Erkenntnis hielt die Historikerin und Terrorismus-Expertin Petra Terhoeven 2017 fest, Grams habe, von mehreren Polizeikugeln getroffen, sich das Leben genommen; Gerüchte einer Hinrichtung hätten sich über Jahre gehalten, seien aber „schließlich widerlegt“ worden.[18]

DNA-Analyse im Fall Rohwedder

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Wolfgang Grams ist die Beteiligung an keiner der Gewalttaten nachgewiesen worden, zu denen sich die dritte RAF-Generation bekannt hat. Auch die Ermordung des damaligen Treuhand-Chefs Detlev Rohwedder im April 1991, zu dem sich die RAF in einem am Tatort gefundenen Schreiben (und später wiederholt) bekannt hatte, war ebenso lange völlig ungeklärt. Im Jahr 2001 konnte ein Haar, das von einem Handtuch vom Rohwedder-Tatort stammte, durch eine DNA-Analyse zweifelsfrei Grams zugeordnet werden. Die Bundesanwaltschaft benannte Grams nicht als Tatverdächtigen, da sie dieses Indiz als nicht ausreichend bewertete.[19] Auf eine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion[20] erklärte die Bundesanwaltschaft, eine Überprüfung von Haaren sei auch zu einem früheren Zeitpunkt ohne eine DNA-Analyse möglich gewesen, aber nicht durchgeführt worden, weil nach Grams’ Tod zwar eine Blut-, aber keine Haarprobe entnommen worden sei.[21] Wolfgang Kraushaar sieht durch dieses Indiz eine „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass Grams „in das Verbrechen verstrickt gewesen sein musste“.[22]

Grams wurde postum zusammen mit dem von der RAF ermordeten Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Alfred Herrhausen im mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm Black Box BRD porträtiert. Der 2001 erschienene Film von Andres Veiel erzählt die Verschränkung der Lebenswege von Herrhausen und Grams. Dabei kamen in zahlreichen Interviews Verwandte und Freunde beider Protagonisten ebenso zu Wort wie ehemalige Kollegen von Herrhausen und seine Ehefrau Waltraud.[23][24][25][26][27][28]

Literarisch verarbeitete den gescheiterten Festnahmeversuch in Bad Kleinen und dessen juristische Aufarbeitung Christoph Hein in seinem 2005 erschienenen Roman In seiner frühen Kindheit ein Garten, der 2006 auch als Theaterstück aufgeführt wurde.[29] Auch der Krimi-Autor Wolfgang Schorlau nahm sich in seinem Roman Die Blaue Liste des Themas an. Die Punk-Bands WIZO, Slime und Kapitulation B.o.N.n. stellen das Geschehen von Bad Kleinen als absichtliche Tötung durch die GSG-9 dar. Auch die Punk-Band Dritte Wahl widmete Grams’ Tod ein Lied. Dagegen wird im 2021 erschienenen Lied Wer hat uns verraten? der Antilopengang der Lebensweg von Wolfgang Grundmann, einem weiteren RAF-Mitglied, nachvollzogen. Im Lied ist nur von „Wolfgang G.“ die Rede.

Einzelnachweise

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  1. Gutenbergschule Wiesbaden: Jahrbuch 1966–1968. Wiesbaden 1968, Schülerstatistik, S. 108.
  2. Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt (= Beck Wissen. Band 2878). C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71235-7, S. 101 f.
  3. Christoph Seils: RAF: Das Ende des Schreckens. In: Die Zeit, 20. April 2008.
  4. Willi Winkler: Die Geschichte der RAF. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008, S. 397.
  5. Aktion Weinlese. In: Die Zeit, 20. August 1993.
  6. ID-Archiv im IISG (Hrsg.): Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams. ID-Archiv, Berlin und Amsterdam 1994, ISBN 3-89408-043-4, S. 29 (PDF); Grams beigesetzt. In: Neues Deutschland, 7. August 1993.
  7. Heribert Prantl: RAF-Desaster in Bad Kleinen: Erschütternder Einsatz. In: Süddeutsche Zeitung. 27. Juni 2013, S. 2.
  8. Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF. 2006, S. 157–159.
  9. Das gehört zu den Todsünden. In: Der Spiegel. Nr. 48, 1993 (online19. November 1993, Interview mit dem Kriminalwissenschaftler Wolfgang Lichtenberg über die Spurensicherung in Bad Kleinen).
  10. Alexander Straßner: Die dritte Generation der RAF. Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, S. 214 f.
  11. Georg Altrogge: Todesschuss von Bad Kleinen: „Spiegel“ rollt 26 Jahre alte Recherche neu auf. WeltN24, 22. Dezember 2019.
  12. In eigener Sache: Bericht der Aufklärungskommission zum Fall "Der Todesschuss". In: spiegel.de. 29. Oktober 2020, abgerufen am 1. November 2020.
  13. Der Todesschuss - Abschlussbericht der Aufklärungskommission zur Titelgeschichte über den Antiterroreinsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, Heft 27/1993. (PDF) In: Spiegel.de. 29. Oktober 2020, abgerufen am 1. November 2020.
  14. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Gutachten, Zeugenaussagen und Argumenten findet sich bei Landgericht Bonn, Urteil vom 29. September 1998, Aktenzeichen 1 O 274/96, Volltext bei Openjur. Journalistisch wurde das aufgearbeitet bei Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF. 2006; Abschnitt Untersuchungen. S. 151–218; Egmont R. Koch: Zugriff im Tunnel – Das tödliche Drama von Bad Kleinen. Produktion: SWR/NDR 2013 (YouTube).
  15. Dieses Ergebnis wird auch in der Wissenschaft einhellig bestätigt, siehe etwa Steffen Kailitz: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14193-7, S. 117; Alexander Straßner: Perzipierter Weltbürgerkrieg. „Rote Armee Fraktion“ in Deutschland. In: ders. (Hrsg.): Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15578-4, S. 209–236, hier S. 226 f.; Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex. Hoffmann und Campe, Hamburg 1985, zitiert nach der Neuausgabe 2008, ISBN 978-3-455-50029-5, S. 877.
  16. Siehe das Buch Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams, online in gekürzter Fassung bei Nadir.org. Siehe auch Kein Friede (Hrsg.): Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage der Linken: Bad Kleinen, Steinmetz und der Bruch in der RAF; ein vorläufiger Bericht. 3. Auflage. AWI 1992, Frankfurt am Main 1994 (online (Memento vom 7. August 2007 im Internet Archive)).
  17. Landgericht Bonn, Urteil vom 29. September 1998, Aktenzeichen 1 O 274/96, Volltext bei Openjur, Randnummern 130 und 136.
  18. Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt (= Beck Wissen. Band 2878). C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71235-7, S. 105.
  19. Neue Erkenntnisse zum Mordanschlag auf Dr. Detlev Karsten Rohwedder. Pressemitteilung. In: Generalbundesanwalt.de, 16. Mai 2001.
  20. Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS: Neue Verdachtsmomente des Generalbundesanwalts im Mordfall Rohwedder und Berichte über eine angebliche „neue RAF“. BT-Drs. 14/6297, 18. Juni 2001 (PDF; 44 kB).
  21. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS. BT-Drs. 14/6525, 2. Juli 2001 (PDF; 52 kB).
  22. Wolfgang Kraushaar: Die blinden Flecken der RAF. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-608-98140-7, S. 25.
  23. Rachel Palfreyman: The fourth generation: Legacies of violence as quest for identity in post-unification terrorism films. In: David Clarke (Hrsg.): German Cinema: Since Unification. Continuum, London, New York 2006, S. 11–42, besonders S. 28–33 (Vorschau).
  24. Jamie H. Trnka: “The Struggle Is Over, the Wounds Are Open”. Cinematic Tropes, History, and the RAF in Recent German Film. In: New German Critique. Nr. 101, 2007, S. 1–26.
  25. Chris Homewood: Challenging the Taboo: The Memory of West Germany’s Terrorist Past in Andres Veiel’s Black Box BRD (2001). In: New Cinemas: Journal of Contemporary Film. Bd. 5, Nr. 2, 2007, S. 115–126.
  26. Chris Homewood: Making Invisible Memory Visible: Communicative Memory and Taboo in Andres Veiel’s Black Box BRD. In: German Monitor. Band 70, 2008: Baader-Meinhof Returns: History and Cultural Memory of German Left-Wing Terrorism. Hrsg. von Gerrit-Jan Berendse und Ingo Cornils. S. 231–249.
  27. Waltraud Wende: Wenn Filme Geschichte(n) erzählen: Filmanalyse als Medienkulturanalyse. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, Kapitel „Eine Ruhigstellung der Zuschauer will sich nicht recht ergeben. Black Box BRD (2001) und Der Kick (2005/2006)“, besonders S. 242–252 (Vorschau).
  28. Dietrich Kuhlbrodt: „Jeder war ein Staatsfeind“. Interview mit Andres Veiel. In: die tageszeitung, 23. Mai 2001
  29. Anne-Kathrin Griese: Der familiäre Blick. Andres Veiel Black Box BRD & Christoph Hein In seiner frühen Kindheit ein Garten. In: Inge Stephan, Alexandra Tacke (Hrsg.): NachBilder der RAF. Böhlau, Köln u. a. 2008, ISBN 978-3-412-20077-0, S. 165–180 (Vorschau).