„Thiamin“ – Versionsunterschied
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!colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Strukturformel |
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| colspan=2 align="center" | [[Bild:Thiamin.png]] |
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!colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Allgemeines |
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|Trivialname ||Vitamin B<sub>1</sub> |
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|[[Summenformel]] ||C<sub>12</sub>H<sub>17</sub>ClN<sub>4</sub>OS·HCl |
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|Andere Namen ||Thiamin |
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|[[E-Nummer]] ||keine |
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|[[CAS-Nummer]] ||67-03-8 |
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!colspan="2" bgcolor="#FFDEAD" | Dosierung |
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|täglicher Bedarf ||1,0-1,2 mg |
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|[[Hypervitaminose|Überdosis]] ||nicht bekannt |
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|[[Essentiell]] ||ja |
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|Vorkommen (Beispiele) ||[[Weizenkeim]]e, [[Sojabohne]]n, [[Schweinefleisch]] |
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!colspan="2" bgcolor="#FFDEAD"|Physikalische Eigenschaften |
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|[[Aggregatzustand]] ||fest, pulverförmig |
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|[[Farbe]] ||farblos |
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|[[Löslichkeit]] ||wasserlöslich |
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|[[Dichte]] ||x g/cm³ |
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|[[Molmasse]] ||337,3 g/[[mol]] |
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|[[Schmelzpunkt]] ||248 °C |
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|[[Siedepunkt]] ||- °C |
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!colspan="2" align="center" bgcolor="#FFDEAD"|<small> |
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Soweit möglich und gebräuchlich, wurden [[SI-Einheitensystem|SI-Einheiten]] verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei [[Normbedingungen]].</small> |
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|} |
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{{Infobox Vitamin |
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== Namen == |
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|Strukturformel = [[Datei:Thiamin.svg|250px]][[Datei:Cl-.svg|25px]] |
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'''Thiamin''' ist der chemische Name von Vitamin B1. |
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|Strukturhinweis = Struktur von Thiaminchlorid |
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|Name = Vitamin B<sub>1</sub> |
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|Andere Namen = * 3-[(4-Amino-2-methyl-5-pyrimidinyl)methyl]-5-(2-hydroxyethyl)-4-methyl-1,3-thiazol-3-iumchlorid ([[IUPAC-Nomenklatur|IUPAC]]) |
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* Thiaminchlorid |
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* Aneurin |
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* antineuritisches Vitamin |
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* Antiberiberifaktor |
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|Summenformel = * C<sub>12</sub>H<sub>17</sub>ClN<sub>4</sub>OS <small>(Chlorid)</small> |
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* C<sub>12</sub>H<sub>18</sub>Cl<sub>2</sub>N<sub>4</sub>OS <small>(Hydrochlorid)</small> |
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|ATC-Code = {{ATC|A11|DA01}} |
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|CAS = * {{CASRN|59-43-8|Q27115611}} |
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* {{CASRN|67-03-8|Q27121486}} (Hydrochlorid) |
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* {{CASRN|70-16-6}} (Thiazolium-Ion) |
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|Beschreibung = farbloses Pulver, charakteristischer Geruch |
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|Vorkommen = siehe [[#Vorkommen|Tabelle im Artikeltext]] |
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|Funktion = Kohlenhydratstoffwechsel, Coenzym bei dehydrierenden Decarboxylierungsreaktionen (z. B. im [[Pyruvatdehydrogenase]]komplex) |
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|Bedarf = 1,0–1,2 mg |
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|Mangel = [[Muskelatrophie]], [[Herzinsuffizienz]], neurologische Störungen, [[Beriberi]], [[Wernicke-Enzephalopathie]] |
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|Überdosis = nicht bekannt |
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|Molare Masse = 337,27 g·[[mol]]<sup>−1</sup> <small>(Hydrochlorid)</small> |
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|Aggregat = fest |
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|Schmelzpunkt = * 120–122 °C (Zersetzung, Chlorid-[[Hydrat]])<ref name="Römpp">{{RömppOnline|ID=RD-20-01334|Name=Thiamin|Abruf=2016-04-19}}</ref> |
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* 163–165 °C (Zersetzung, Chlorid, wasserfrei)<ref name="Römpp" /> |
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* 248 [[Grad Celsius|°C]] (Zersetzung, Hydrochlorid)<ref name="chemid">{{ChemID|CAS=59-43-8|Name=Thiamine|Abruf=}}</ref><ref name="Römpp" /> |
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|Löslichkeit = sehr gut löslich in Wasser (500 g·l<sup>−1</sup><ref name="chemid" />) |
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|Quelle GHS-Kz = <ref name="Sigma">{{Sigma-Aldrich|SIAL|T4625|Name=Thiamine hydrochloride|Abruf=2025-04-18}}</ref> |
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|GHS-Piktogramme = Hydrochlorid<br />{{GHS-Piktogramme-klein|07}} |
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|GHS-Signalwort = Achtung |
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|H = {{H-Sätze|319}} |
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|EUH = {{EUH-Sätze|-}} |
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|P = {{P-Sätze|264|280|305+351+338|337+313}} |
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|Quelle P = <ref name="Sigma" /> |
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|ToxDaten = * {{ToxDaten|Typ=TDLo|Organismus=Mensch|Applikationsart=multiple Aufnahmewege|Wert=214 mg·kg<sup>−1</sup>·30 W<sup>−1</sup>|Quelle=<ref>''Zhongguo Yaoxue Zazhi.'' In: ''Chinese Pharmaceutical Journal.'' Band 30, 1995, S. 407.</ref><ref name="chemid" />}} |
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* {{ToxDaten|Typ=LD50|Organismus=Maus|Applikationsart=subcutan|Wert=301 mg·kg<sup>−1</sup>|Quelle=<ref>E. T. Angelakos, E. R. Loew: ''Histamine toxicity in mice and rats following treatment with histaminase inhibitors.'' In: ''[[Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics]].'' Band 119, Nr. 3, März 1957, S. 444–451. PMID 13417100.</ref><ref name="chemid" />}} |
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}} |
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'''Thiamin''' oder '''Vitamin B<sub>1</sub>''' (veraltet: ''Aneurin'') ist ein wasserlösliches [[Vitamin]] aus dem [[Vitamin B|B-Komplex]] von schwachem, aber charakteristischem Geruch und ist insbesondere für die Funktion des Nervensystems unentbehrlich. Wird das Vitamin B<sub>1</sub> für ca. 14 Tage dem Körper nicht mehr zugeführt, sind die Reserven zu 50 % aufgebraucht. |
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== Beschreibung == |
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Vitamin B1 ist ein weißes, fast geruchloses, wasserlösliches Vitamin. Es ist unentbehrlich für die Funktion des Nervensystems. Wird das Vitamin B1 ca. 14 Tage nicht mehr dem Körper zugeführt, dann sind die Reserven zu 50 % aufgebraucht. |
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== Chemische Struktur == |
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Thiamin besteht aus zwei Ringsystemen, die durch eine Methylenbrücke miteinander verbunden sind: einem [[Pyrimidin]]- und einem [[Thiazol]]ring. |
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Vitamin B1 [[Nervenvitamin]] spielt als [[Coenzym]] im Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel (Erhaltung von Nervengewebe und des Herzmuskels, Vermittlung der Nervenleitung) eine wichtige Rolle. Als Thiamin-Diphospat (TDP, Coenzym von [[Decarboxyase]]n und [[Pentosephosphatzyklus|Transketolase]]) wirkt es beim Abbau von Kohlenhydraten im Gehirn und in den Muskeln. Auch Kondition und [[Gedächtnis]]hängen von diesem Vitamin ab. Es stärkt die Blutzirkulation und ist für die Produktion von Magensäure notwendig. Es ist wichtig bei der Umwandlung von Kohlenhydraten in Fett und der damit verbundenen Energiegewinnung aus den Kohlenhydraten. Vitamin B1 ermöglicht die Reizweiterleitung durch das Wirken auf die Nerven. |
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== Funktion == |
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Thiamin wird im Darm über den aktiven [[Thiamintransporter 1|Thiamintransporter]] und in hohen Konzentrationen vorliegend auch durch Diffusion aufgenommen. Es existieren seltene erbliche Mangelkrankheiten hinsichtlich dieser Proteine. Bei der [[Rogers-Syndrom|thiaminresponsiblen, megaloblastären Anämie (TRMA)]] kommt es durch Mutationen im SLC19A2-Gen zur Funktionsunfähigkeit des aktiven Thiamintransporters. Hierdurch kann das in der Nahrung in niedrigen Konzentrationen vorliegende Thiamin nicht mehr ausreichend aufgenommen werden. Dies führt zum charakteristischen Krankheitsbild der TRMA mit einem Diabetes mellitus, Schwerhörigkeit und einer megaloblastären Anämie. Unbehandelt führt die TRMA zum Tode. Durch Verabreichung einer hohen Dosis von Thiamin kann ausreichend Thiamin über den Darm durch Diffusion aufgenommen werden.<ref name="trmaorpha">{{Orphanet|ID=49827 |Name=Thiamin-responsive megaloblastäre Anämie mit Diabetes mellitus und sensorineuraler Schwerhörigkeit |Abruf=}}</ref> |
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Thiamin selbst wird im Körper nicht verwendet. Mithilfe des [[Enzym]]s ''[[Thiaminpyrophosphokinase]]'' wird es zunächst zu [[Thiaminpyrophosphat]] (''TPP'') umgewandelt. In dieser biologisch aktiven Form ist es [[Coenzym]] verschiedener Enzyme, wie beispielsweise der [[Pyruvatdehydrogenase E1]] des [[Pyruvatdehydrogenase-Komplex]]es (PDC) bzw. der [[α-Ketoglutarat-Dehydrogenase]] des [[α-Ketoglutarat-Dehydrogenase-Komplex]]es (OGDC), oder der [[Transketolase]] im [[Pentosephosphatzyklus]]. |
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== Glucosestoffwechsel und Mitochondrien == |
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Mittels PDC wird in den [[Mitochondrium|Mitochondrien]] [[Pyruvat]] zu [[Coenzym A#Acetyl-CoA|Acetyl-CoA]] umgebaut. TPP dient diesem Enzymkomplex als [[Cofaktor (Biochemie)|Coenzym]] bei der Abspaltung von [[Kohlenstoffdioxid|CO<sub>2</sub>]]<ref>{{Literatur |Autor=Jane B. Reece, Lisa A. Urry, Michael L. Cain, Steven A. Wasserman, Peter V. Minorsky |Titel=Campbell Biology |Auflage=10 |Verlag=Benjamin-Cummings Pub Co |Ort= |Datum=2014 |ISBN=978-0-13-404462-0 |Seiten=894}}</ref> und macht damit die [[Aerobie|aerobe]] Verwertung von [[Glucose]] (und damit auch anderer Kohlenhydrate) erst möglich.<ref>{{Literatur |Autor=Michael M. Cox, Albert L. Lehninger |Titel=Lehninger principles of biochemistry |Verlag=W.H. Freeman and Company |Ort= |Datum=2013 |ISBN=978-1-4292-3414-6 |Seiten=567–569}}</ref> |
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Ist dieser Stoffwechselweg blockiert, wird im [[Cytosol]] aus Pyruvat durch [[Milchsäuregärung]] [[Lactat]] erzeugt, was eine vergleichsweise ineffiziente Form der Energiegewinnung darstellt.<ref>{{Literatur |Autor=Lisa A. Urry, Michael L. Cain (Michael Lee), Steven Alexander Wasserman, Peter V. Minorsky, Rob Jackson |Titel=Campbell biology |Auflage=10 |Ort= |Datum= |ISBN=978-0-321-77565-8 |Seiten=178–179}}</ref> |
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== Verluste in Nahrungsmitteln == |
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Thiamin ist hitzeempfindlich, es wird durch Kochen zerstört. Es ist wasserlöslich, dadurch gehen beim Kochen in Wasser etwa 30 % ins Kochwasser verloren.<ref name=":0" /> In rohem Fisch und Farnen ist das Enzym [[Thiaminase]] enthalten, das Thiamin abbaut und somit vernichtet. Konservierungsstoffe aus der Gruppe der [[Sulfite]] (E 220 – E 228)<ref>{{RömppOnline|ID=RD-19-01373|Name=Schwefeldioxid|Abruf=2016-02-08}}</ref> zersetzen ebenfalls Thiamin. Zudem ist es [[Ultraviolettstrahlung|UV]]- und O<sub>2</sub>-empfindlich.<ref name=":0" /> |
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Bei der Herstellung von weißem [[Auszugsmehl|Mehl]] (z. B. Typ 405) oder weißem Reis wird der braune Keim der Pflanze vom Rest des Samens ([[Endosperm]]) entfernt.<ref name=":0" /> Der Keim enthält jedoch das gesamte Vitamin B<sub>1</sub> des Samens, welches zur Verbrennung der enthaltenen Kohlenhydrate benötigt wird. |
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Im Gegensatz dazu bleibt in Vollkornmehl, braunem Reis oder [[Parboiling|parboiled Reis]] das Vitamin B<sub>1</sub> weitestgehend enthalten. |
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=== Anreicherung in Lebensmitteln === |
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Um den Verlust bei der Verarbeitung auszugleichen, wird in vielen Ländern dem Mehl und Reis das Vitamin B<sub>1</sub> wieder künstlich zugesetzt. Inzwischen verfahren 91 Länder bei Mehl so, darunter Großbritannien, USA und Kanada, jedoch nicht Deutschland.<ref>{{Internetquelle |url=https://muehlenchemie.com/de/mehlfortifizierung/ueberblick/ |titel=Angereichertes Mehl {{!}} Mehlfortifizierung {{!}} Mühlenchemie |datum=2023-02-22 |sprache=de |archiv-url=https://web.archive.org/web/20250525121022/https://muehlenchemie.com/de/mehlfortifizierung/ueberblick/ |archiv-datum=2025-05-25 |abruf=2025-05-25}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.ffinetwork.org/country-profiles |titel=Country Profiles: Grain Production, Consumption & Nutrition |sprache=en-US |archiv-url=https://web.archive.org/web/20250319161728/https://www.ffinetwork.org/country-profiles |archiv-datum=2025-03-19 |abruf=2025-05-25}}</ref> Thiaminhydrochlorid ist in der EU durch die [[Verordnung (EG) Nr. 1334/2008]] unter der [[FL-Nummer]] 16.027 als [[Aromastoff]] zugelassen. |
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==== Nahrungsergänzungsmittel ==== |
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In Deutschland und anderen EU-Ländern ist Thiamin in folgender Form in [[Nahrungsergänzungsmittel]]n (NEM) erlaubt: |
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* Thiaminhydrochlorid |
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* Thiaminmononitrat |
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* Thiaminmonophosphatchlorid |
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* Thiaminpyrophosphatchlorid |
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Wenn mindestens 0,17 mg Thiamin pro Tagesdosis (etwa 15 % des Referenzwertes) in NEMs erhalten ist, darf mit der ''Aufrechterhaltung'' normaler Körperfunktionen geworben werden: Energiestoffwechsel, psychische Funktion, Funktion des Nervensystems und Herzfunktion.<ref name=":0">{{Internetquelle |url=https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/vitamin-b1-thiamin-fuer-herz-und-nerven-26582 |titel=Vitamin B1 (Thiamin) für Herz und Nerven? |werk=[[Verbraucherzentrale]] |datum=2021-03-22 |abruf=2021-04-26}}</ref> Eine Werbung für eine angebliche zusätzliche ''Leistungssteigerung'' ist nicht belegt. Auch für eine postulierte Wirksamkeit bei Nervenschmerzen ([[Neuralgie|neuropathischen Schmerzen]]) fehlen Wirksamkeitsnachweise, so dass dies nicht beworben werden darf.<ref name=":0" /> |
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== Vorkommen == |
== Vorkommen == |
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Pro 100 g der folgenden Lebensmittel sind laut [[Bundeslebensmittelschlüssel]] (BLS) bzw. [[Römpp Lexikon Chemie]] die angegebenen Mengen Thiamin enthalten: |
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*in 100 g Weizenkeime 2 mg |
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{| class="wikitable sortable zebra float-right" |
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*in 100 g Sojabohnen 1 mg |
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! data-sort-type="text"|Nahrungsmittel |
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*in 100 g Schweinefleisch 0,90 mg |
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! data-sort-type="number"|Thiamin<br />mg/100 g |
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*in 100 g Erbsen 0,76 mg |
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*in 100 g Haferflocken 0,65 mg |
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| Bierhefe, biologisch || style="text-align:right" |13,0 |
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*in 100 g Weiße Bohnen 0,50 mg |
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|- |
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*in 100 g Kartoffeln 0,10 mg |
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| [[Weizen]]keime || style="text-align:right" | 2,01 |
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*Bierhefe |
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|- |
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*Vollkornprodukte |
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| [[Pollen|Bienenpollen]] || style="text-align:right" | 0,6 bis 2,2<ref>{{Literatur |Autor=E. W. Herbert Jr. et al. |Titel=levels of thiamine and its esters in bee collected pollen using liquid chromatography and robotics |Sammelwerk=Apidologie |Band=18 |Nummer=2 |Datum=1987 |Sprache=en |DOI=10.1051/apido:19870203 |Seiten=129–136}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Vanilda Aparecida Soares de Arruda, Aline Aparecida Santos Pereira, Leticia M. Estevinho, Ligia Bicudo de Almeida-Muradian |Titel=Presence and stability of B complex vitamins in bee pollen using different storage conditions |Sammelwerk=Food and Chemical Toxicology: An International Journal Published for the British Industrial Biological Research Association |Band=51 |Datum=2013-01 |Seiten=143–148 |DOI=10.1016/j.fct.2012.09.019 |PMID=23022013}}</ref> |
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|- |
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| [[Sonnenblume#Sonnenblumenkerne|Sonnenblumenkerne]], frisch || style="text-align:right" | 1,9 |
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|- |
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| [[Backhefe|Back-/Bierhefe]], gepresst || style="text-align:right" | 1,0 |
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|- |
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| [[Sojabohne]]n, frisch || style="text-align:right" | 0,44 |
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|- |
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| [[Sesam]], geröstet || style="text-align:right" | 0,4 |
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|- |
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| [[Kamut]] (Khorasan-[[Weizen]]) || style="text-align:right" | 0,40 |
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|- |
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| [[Vollkorn]]getreide ([[Weizen]], [[Gerste]], [[Mais]], [[Reis]] – nicht erhitzt) || style="text-align:right" data-sort-value="0,35" | 0,35–0,46 |
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|- |
|||
| [[Teff]] (äthiopisch-eritreisches [[Süßgras]]) || style="text-align:right" | 0,3 |
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|- |
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| [[Erbse]]n, grün, frisch || style="text-align:right" | 0,3 |
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|- |
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| [[Macadamianuss|Macadamianüsse]], frisch || style="text-align:right" | 0,28 |
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|- |
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| [[Schweinefleisch]] (mittelfett), frisch || style="text-align:right" | 0,23 |
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|- |
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| [[Gewöhnlicher Löwenzahn|Löwenzahn]], frisch || style="text-align:right" | 0,19 |
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|- |
|||
| [[Austernseitling]], frisch || style="text-align:right" | 0,17 |
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|- |
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| [[Weiße Bohne (Nahrungsmittel)|Bohnen, weiß]], gegart || style="text-align:right" | 0,154 |
|||
|- |
|||
| [[Haferflocken]], roh || style="text-align:right" | 0,15 |
|||
|- |
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| [[Geflügel]], gegart || style="text-align:right" | 0,11 |
|||
|- |
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| [[Pellkartoffel]]n gegart || style="text-align:right" | 0,07 |
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|} |
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== Aufnahme und Metabolismus == |
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== Bedarf == |
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Thiamin in Lebensmitteln wird zunächst durch [[Phosphatasen]] der Verdauungssäfte gespalten, da es nur in freier Form absorbiert wird – überwiegend im [[Zwölffingerdarm]] und [[Jejunum]].<ref name=":3">{{Internetquelle |autor=Anna Stahl, Helmut Heseker |url=https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2008/07_08/EU07_420_426.qxd.pdf |titel=Vitamin B<sub>1</sub> (Thiamin) |werk=Ernährungs Umschau |datum=2008-07 |seiten=420–426 |format=PDF |sprache=de |abruf=2022-12-24}}</ref> Die Aufnahme erfolgt bei höherer Thiaminkonzentration im Darmlumen (> 5 μmol/l) durch passive Diffusion, bei geringerer Konzentration wird es hingegen mittels [[Thiamintransporter 1]] (ThTr1, apikal, d. h. zum [[Lumen (Biologie)|Lumen]] hin) bzw. ThTr2 (basolateral, d. h. dem Lumen abgewandte Seite) aktiv in das Zottenepithel transportiert<ref>{{Literatur |Autor=Löffler, Petrides |Titel=Biochemie und Pathobiochemie |Hrsg=Peter C. Heinrich, Matthias Müller, Lutz Graeve, Hans-Georg Koch |Auflage=10. Auflage |Verlag=Springer-Verlag GmbH Deutschland |Ort=Berlin |Datum=2022 |ISBN=978-3-662-60265-2 |Seiten=948}}</ref>, was effizienter ist als die Diffusion. Anschließend wird es wieder zu TDP phosphoryliert und gelangt über die [[Pfortader]] in die Leber. |
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*Frauen 1,0 mg/Tag |
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*Männer 1,2 mg/Tag |
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Thiamin wird im Blut überwiegend in den Erythrozyten (75 %) in Form von TDP transportiert, daneben auch in den [[Leukozyt]]en sowie im [[Blutplasma|Plasma]] selbst (dort in Form von TMP oder frei gebunden an [[Albumine|Albumin]]).<ref name=":3" /> Nach Aufnahme in Gewebezellen wird Thiamin zu TDP überführt. |
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== Mangelerscheinungen ([[Hypovitaminose]]) == |
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Symptome: |
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*Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels und Nervensystems |
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*Reizbarkeit und [[Depression]]en |
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*Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, [[Muskelatrophie]] |
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*Blutarmut (Anämie) |
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*häufige Kopfschmerzen, |
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*Gedächtnisstörungen, Verwirrungszustände |
|||
*Herzversagen, Ödem, niedriger Blutdruck, Kurzatmigkeit |
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*Verringerte Produktion von Antikörpern bei Infektionen |
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*gestörte Energieproduktion |
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*schwache Muskulatur (besonders die Wadenmuskulatur) |
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Vitamin B<sub>1</sub> findet sich in größeren Mengen in [[Leber]], [[Herz]], [[Niere]], [[Skelettmuskel|Skelettmuskulatur]] und [[Gehirn]].<ref name=":3" /> Es wird bei letzteren mittels aktiven [[Transporter (Membranprotein)|Carrier]] aufgenommen – und bei einem Mangel dort am längsten festgehalten. |
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*Krankheit: [[Beriberi]]: |
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[[Beriberi]] trat auf, als man den Reis zu polieren begann und |
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dadurch die vitaminreiche Schale entfernt wurde. |
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In Europa tauchte sie auf, als Mehl so fein gemahlen wurde, dass der vitaminreiche Weizenkeim verschwand und man über das Brot kein Vitamin B1 mehr aufgenommen wurde. |
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In den Ländern Ostasiens und Japan, wo Reis als Hauptnahrungsmittel gilt, trat die Krankheit häufig auf. Die Krankheit tritt noch heute in Ländern der Dritten Welt auf. In den Industrieländern finden wir diese Krankheit meist im Zusammenhang mit Alkoholismus oder schwerer Fehlernährung vor. |
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'''Symptome''' bei [[Beriberi]]: neurologische Störungen, [[Muskelatrophie]] (Muskelschwund) und [[Herzinsuffizienz]] |
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Die [[biologische Halbwertszeit]] liegt zwischen 9 und 18 Tagen, im Gewebe werden etwa 1 mg Thiamin pro Tag umgesetzt. Die Speicherfähigkeit im Körper ist begrenzt, es können etwa 25–30 mg Vitamin B<sub>1</sub> gespeichert werden. Überschüssiges Vitamin B<sub>1</sub> wird abgebaut und über die Niere ausgeschieden – bei höherer Thiaminzufuhr liegen im Harn neben dessen regulären Abbauprodukten zusätzlich freies Thiamin, Thiaminschwefel- und -phosphorsäureester sowie Thiamindisulfid vor.<ref name=":3" /> |
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== Folgen einer Überdosierung ([[Hypervitaminose]]) == |
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Erst bei einer Menge von über 200 mg reagieren beispielsweise die Nerven überempfindlich auf Reize. In einigen Fällen wurden bei intravenösen Verabreichungen schwere allergische Reaktionen festgestellt. |
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== Bedarf (Zufuhrempfehlung) == |
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==Vitamin B-Gruppe== |
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{| class="wikitable float-right" |
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Hier handelt es sich um eine Sammelbezeichnung wasserlöslicher Vitamine, unterschiedlicher, chemischer Zusammensetzungen. Außer den eigentlichen B-Vitaminen, wie B1 [[Thiamin]], B2 [[Riboflavin]], B6 [[Pyridoxin]] und B12 [[Cobalamin]] rechnet man noch [[Biotin]], [[Folsäure]], [[Nicotinsäure]] und [[Pantothensäure]] hinzu. Die Gruppe der B-Vitamine kommt in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor. Ohne die Faktoren der B-Gruppe laufen fast keine biochemischen Prozesse im Körper ab. Vitamine der B-Gruppe stellen keine einheitliche Klasse dar. Sie sind chemisch und pharmakologisch völlig verschiedene Substanzen. Einzelne B-Vitamine kommen in der Natur niemals isoliert vor. Aus diesem Grund wirken sie in der Regel auch im Verbund. |
|||
|+ [[Recommended Daily Allowance|Empfohlene Zufuhr]] von Vitamin B<sub>1</sub><ref>{{Internetquelle |url=https://www.bfr.bund.de/cm/343/hoechstmengenvorschlaege-fuer-vitamin-b1-vitamin-b2-und-pantothensaeure-in-lebensmitteln-inklusive-nahrungsergaenzungsmitteln.pdf |titel=Höchstmengen für Vitamin B<sub>1</sub>, Vitamin B<sub>2</sub> und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln |werk=[[Bundesinstitut für Risikobewertung]] |datum=2021 |format=PDF |abruf=2022-11-27}}</ref> |
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! Altersgruppe |
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! [[D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr|D-A-CH]] (2019) |
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mg / Tag |
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![[Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit|EFSA]] (2016) |
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(Population Reference Intake) |
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mg / Tag |
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==Geschichte== |
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|- |
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1882: erkannte der Japaner Takaki, dass die schon um 2600 vor Chr. in China bekannte [[Beriberi]]-Krankheit, durch zweckmäßige Ernährung (aus dem Vitamin B-Bereich) geheilt werden kann. <br> |
|||
|Kleinkinder (4–7 Jahre) |
|||
1897: wies der Nobelpreisträger für Medizin/Physiologie (Nobelpreis 1929) Eijkmann den Vitamin B1-Mangeleffekte durch das Füttern von poliertem [[Reis]] nach und zeigte, dass durch die Verfüttern der Silberhäutchen des Reises der Mangel behoben werden kann. [[Anti-Polyneuritis-Vitamin]] oder [[Aneurin]] wurde es zunächst wegen seiner Wirkung auf die Nerven genannt. <br> |
|||
|0,7 |
|||
1932: erhielt es dann aber von Windaus wegen seines Schwefelgehaltes die Bezeichnung Thiamin, der heute der einzig zulässige Name ist. <br> |
|||
|0,60–0,68 (♂); 0,56–0,64 (♀) |
|||
1926: wurde das Vitamin erstmalig von Jansen und Donath in kristalliener Farm aus Reiskleie isoliert.<br> |
|||
|- |
|||
1936: wurde die Struktur von Vitamin B1 etwa gleichzeitig von R.R. Williams und Grewe aufgeklärt. Die Synthese erfolgte durch R. R. Williams 1936 und von Andersag und Westphal 1937.<br> |
|||
|Kinder (7–10 Jahre) |
|||
|0,9 (♂); 0,8 (♀) |
|||
|0,73–0,82 (♂); 0,68–0,76 (♀) |
|||
|- |
|||
|Jugendliche (10–13 Jahre) |
|||
|1,0 (♂); 0,9 (♀) |
|||
|0,82–0,92 (♂); 0,77–0,85 (♀) |
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|- |
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|Jugendliche (13–15 Jahre) |
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|1,2 (♂); 1,0 (♀) |
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|0,99–1,06 (♂); 0,89–0,92 (♀) |
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|- |
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|Adoleszente (15–19 Jahre) |
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|1,4 (♂); 1,1 (♀) |
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|1,14–1,24 (♂); 0,94–0,96 (♀)<br/> |
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(< 18 Jahre) |
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|- |
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| Erwachsene |
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| 1,1–1,3 (♂); 1,0 (♀) |
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| 0,96–1,13 (♂); 0,78–0,91 (♀)<br/> |
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(≥ 18 Jahre) |
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|- |
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| Schwangere<br/> |
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1. Trimester<br/> |
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2. Trimester<br/> |
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3. Trimester<br/> |
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| <br/><br/>1,2<br/> |
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1,3 |
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| <br/>+ 0,03<br/>+ 0,11<br/> |
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+ 0,21 |
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|- |
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| Stillende |
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| 1,3 |
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| + 0,21 |
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|} |
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Der Bedarf korreliert mit dem täglichen Energieverbrauch. Daher benötigen Männer und junge Erwachsene etwas mehr Vitamin B<sub>1</sub>.<ref name=":0" /> |
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== Weiterführende Informationen == |
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=== Literatur === |
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*Klaus Oberbeil: ''Fit durch Vitamine''. Südwest-Verlag, 2003, ISBN 3517078247 |
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*Autor unbekannt: ''Kalorien, Nährstoffe, Vitamine''. Compakt Verlag, 2003,ISBN 3817455143 |
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* Harald Friesewinkel: ''Das Wichtigste über Vitamine''. Knauer Verlag, 2004, ISBN 3417247187 |
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Thiamin wird im Blut, in der Leber, der Niere, im Gehirn und in den Muskeln gespeichert, wenngleich die Speicherfähigkeit mit 25–30 mg eher niedrig ist.<ref name=":0" /> |
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=== Siehe auch:=== |
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*[[Vitamine]], |
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*[[Chemikalienliste]], |
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*[[Hypovitaminose]], [[Hypervitaminose]] |
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*[[Portal Essen & Trinken]] |
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Die Einnahme von Vitamin B<sub>1</sub> wird immer wieder als [[Repellent]] zur [[Stechmückenbekämpfung]] vorgeschlagen. Ursprung hat diese These in einer [[Fallbericht (Medizin)|Fallberichtsbeschreibung]] Anfang der 1940er Jahre.<ref>{{Literatur |Autor=Matan Shelomi |Titel=Thiamine (vitamin B1) as an insect repellent: a scoping review |Sammelwerk=Bulletin of Entomological Research |Band=112 |Nummer=4 |Datum=2022-08 |Sprache=en |DOI=10.1017/S0007485321001176 |Seiten=431–440}}</ref> Zahlreiche spätere, methodisch seriöse Untersuchungen haben aber sowohl dessen Wirkungslosigkeit als auch die anderer oral eingenommener Stoffe oder Supplemente wie [[Knoblauch]] demonstriert. Zudem benötigen Stechmücken selbst Vitamin B<sub>1</sub>. |
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=== Weblinks === |
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== Versorgungssituation in Deutschland == |
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*http://www.m-ww.de/gesund_leben/ernaehrung/vitamine/ |
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Laut der [[Nationale Verzehrsstudie II|Nationalen Verzehrstudie II]] von Mitte der 2000 Jahre liegt in allen Altersgruppen der Median der Vitamin-B<sub>1</sub>-Zufuhr deutlich über der empfohlenen Zufuhr, jedoch erreichen 21 % der Männer und 32 % der Frauen die empfohlene tägliche Zufuhr von Vitamin B<sub>1</sub> nicht.<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Nationale Verzehrstudie II |Hrsg=[[Max Rubner-Institut]], Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel |Sammelwerk= |Band=Ergebnisbericht, Teil 2 |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=Karlsruhe |Datum=2008 |Seiten=113 ff. |Online=https://www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Institute/EV/NVSII_Abschlussbericht_Teil_2.pdf |Format=PDF}}</ref> Daraus resultiert aber nicht notwendigerweise ein Mangel.<ref name=":0" /> |
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== Mangelerscheinungen (Hypovitaminose) == |
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{{Navigationsleiste Vitamine}} |
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{{Siehe auch|Hypovitaminose}} |
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{{Hauptartikel|Beriberi}} |
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Bereits 1896 stellte [[Christiaan Eijkman]] nach seiner Rückkehr von seiner Asienreise nach Europa fest: „Weißer Reis kann giftig sein!“ Zuvor hatte er in Java gehäuft Fälle von [[Beriberi]] beobachtet, die durch eine gründlichere Politur des weißen Reises verursacht wurde.<ref name=":1">{{Internetquelle |url=https://educationalgames.nobelprize.org/educational/medicine/vitamin_b1/eijkman.php |titel=Christiaan Eijkman, Beriberi and Vitamin B1 |werk=Nobel Prize Outreach |hrsg=Nobelprize.org |datum=2003-11-25 |sprache=en |abruf=2022-12-11}}</ref> Mangelerscheinungen treten insbesondere in Ländern auf, in denen weißer Reis das Grundnahrungsmittel darstellt und noch einseitig gegessen wird.<ref name=":0" /> |
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Da ein experimentell erzeugter Vitamin-B<sub>1</sub>-Mangel sich symptomatisch von den verschiedenen Formen des „natürlich“ auftretenden Beriberi unterscheidet, sollte zwischen einer Vitamin-B<sub>1</sub>- (bzw. Thiamin-) Mangelerkrankung und Beriberi differenziert werden.<ref name=":3" /> Insgesamt gibt es bei Beriberi eine Vielfalt an Symptomen, da diese auch noch von anderen Einflussfaktoren wie z. B. dem Alter und anderen [[Hypovitaminose]]n abhängig sind:<ref name=":3" /> |
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* Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels und des Nervensystems (u. a. [[Polyneuropathie]]) |
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* Reizbarkeit und [[Depression]]en |
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* Müdigkeit, Sehstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, [[Muskelatrophie]] |
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* Blutarmut (Anämie) |
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* häufige Kopfschmerzen |
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* Gedächtnisstörungen ([[Korsakow-Syndrom]]), Verwirrungszustände |
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* Herzversagen, Ödeme, Tachykardie, niedriger Blutdruck, Kurzatmigkeit (Dyspnoe) |
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* Verringerte Produktion von Antikörpern bei Infektionen |
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* gestörte Energieproduktion |
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* schwache Muskulatur (besonders die [[Wadenmuskel|Wadenmuskulatur]]) |
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* Krankheiten: |
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** Mensch: Beriberi, [[Wernicke-Enzephalopathie]], [[Strachan-Syndrom]]<!-- ist dort eingehend beschrieben --> |
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** Tiere: [[Thiaminmangel-Enzephalopathie der Katze]], [[Zerebrokortikalnekrose]], [[Chastek-Paralyse]] |
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Ein schwerer, nicht behandelter Vitamin-B<sub>1</sub>-Mangel ist [[Letalität|letal]].<ref name=":3" /> |
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=== Risikogruppen === |
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Insgesamt sind bei normaler, nicht einseitiger Ernährung Mangelerscheinungen sehr selten. In [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]] tritt ein erhöhtes Risiko auf, insbesondere bei Menschen in Flüchtlingslagern und Gefängnissen.<ref name=":3" /> |
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In Europa können bestimmte Risikogruppen von einem Mangel betroffen sein, z. B. [[Alkoholkrankheit|Alkoholiker]], Menschen mit bestimmten Magen-Darm- oder Leberkrankheiten und Frauen mit extremer Schwangerschaftsübelkeit.<ref name=":0" /> Bei Alkoholikern manifestiert sich der Mangel am häufigsten als [[Wernicke-Korsakow-Syndrom]];<ref>{{Literatur |Autor=Ed Day et al. |Titel=Thiamine for prevention and treatment of Wernicke-Korsakoff Syndrome in people who abuse alcohol |Sammelwerk=The Cochrane Database of Systematic Reviews |Band=2013 |Nummer=7 |Datum=2013-07-01 |Sprache=en |DOI=10.1002/14651858.CD004033.pub3 |PMC=7163251 |PMID=23818100 |Seiten=CD004033}}</ref> wahrscheinlich werden aber leichte Mangelzustände nicht diagnostiziert. |
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=== Alzheimer === |
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Alzheimer-Patienten zeigen eine verminderte Glucose- und Sauerstoffverwertung im Gehirn, die mit einem Thiaminmangel einhergeht.<ref>{{Literatur |Autor=Gary E. Gibson, Joseph A. Hirsch, Pasquale Fonzetti, Barry D. Jordan, Rosanna T. Cirio |Titel=Vitamin B1 (thiamine) and dementia |Sammelwerk=Annals of the New York Academy of Sciences |Band=1367 |Nummer=1 |Datum=2016-03-01 |Seiten=21–30 |DOI=10.1111/nyas.13031 |PMC=4846521 |PMID=26971083}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gary E. Gibson, Joseph A. Hirsch, Rosanna T. Cirio, Barry D. Jordan, Pasquale Fonzetti |Titel=Abnormal thiamine-dependent processes in Alzheimer's Disease. Lessons from diabetes |Sammelwerk=Molecular and Cellular Neurosciences |Band=55 |Datum=2013-07-01 |Seiten=17–25 |DOI=10.1016/j.mcn.2012.09.001 |PMC=3609887 |PMID=22982063}}</ref> Der Mangel könnte nicht nur die Folge, sondern die Ursache der Krankheit sein.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.wsj.com/video/lack-of-vitamin-b1-may-lead-to-alzheimer/83D5F7DC-D4B1-4A96-A3CD-F7767115C507.html |titel=Lack of Vitamin B1 May Lead to Alzheimer's |zugriff=2017-02-06}}</ref> Auch können erniedrigte [[Thiaminpyrophosphat]]-Werte in Blut und Gehirn als Diagnosekriterium zur Abgrenzung von Alzheimer zu anderen Formen der Demenz verwendet werden.<ref>{{Literatur |Autor=Xiaoli Pan, Guoqiang Fei, Jingwen Lu, Lirong Jin, Shumei Pan |Titel=Measurement of Blood Thiamine Metabolites for Alzheimer's Disease Diagnosis |Sammelwerk=EBioMedicine |Band=3 |Datum=2016-01-01 |Seiten=155–162 |DOI=10.1016/j.ebiom.2015.11.039 |PMC=4739421 |PMID=26870826}}</ref> |
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== Folgen einer Überdosierung (Hypervitaminose) == |
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{{Siehe auch|Hypervitaminose}} |
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Thiamin besitzt eine große [[therapeutische Breite]]. So zeigen tierexperimentelle Befunde bei Ratten, dass selbst eine 100fach über dem täglichen Bedarf liegende Dosis über drei Generationen ohne Nebenwirkungen vertragen wurde. Nach Verabreichung in den Muskel bzw. in die Vene wurden allerdings in Einzelfällen teils schwerste Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zu Atemnot und Schockzuständen beschrieben. Wegen dieser allergischen Reaktionen sollte Vitamin B<sub>1</sub> daher nur in Ausnahmefällen [[parenteral]] angewendet werden; orale Therapie der Wahl zur Vitamin-B<sub>1</sub>-Substitution ist die fettlösliche und dadurch hervorragend gewebegängige Thiamin-[[Prodrug]] [[Benfotiamin]]. In seltenen Fällen wurden bei täglicher Aufnahme von mindestens 50 mg Nebenwirkungen wie Augenbeschwerden, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Hautreaktionen und Herzrhythmusstörungen beobachtet.<ref name=":3" /> |
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Da bei Verzehr auch in hohen Mengen keine nachteiligen gesundheitlichen Folgen beobachtet wurden (oral aufgenommenes Thiamin wird über den Urin ausgeschieden),<ref name=":0" /> hat das [[Bundesinstitut für Risikobewertung|BfR]] auf eine Festlegung von Höchstmengen verzichtet.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.bfr.bund.de/cm/343/hoechstmengenvorschlaege-fuer-vitamin-b1-vitamin-b2-und-pantothensaeure-in-lebensmitteln-inklusive-nahrungsergaenzungsmitteln.pdf |titel=Höchstmengen für Vitamin B1, Vitamin B2 und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln |werk=[[Bundesinstitut für Risikobewertung]] |datum=2021 |abruf=2021-04-26 |format=PDF}}</ref> |
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== Geschichte == |
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{{Siehe auch|Beriberi#Geschichte|titel1=Abschnitt „Geschichte“ bei Beriberi}} |
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Als Krankheitsbild geht [[Beriberi]] auf einen Thiaminmangel zurück, diese Ursache war im 19. Jahrhundert aber noch nicht bekannt. Eine erste systematische Suche nach seiner Entstehung begann in den späten 1880er Jahren in [[Niederländisch-Indien|Niederländisch-Ostindien]].<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Kenneth J. Carpenter |Titel=The discovery of thiamin |Sammelwerk=Annals of Nutrition & Metabolism |Band=61 |Nummer=3 |Datum=2012 |Sprache=en |DOI=10.1159/000343109 |PMID=23183292 |Seiten=219–223}}</ref> Dies hatte militärische Gründe. Die [[Politisches System der Niederlande|niederländische Regierung]] wollte einen Aufstand im Westen ihrer Kolonie niederschlagen, war aber durch zahlreiche Erkrankungsfälle an Beriberi bei den Soldaten vor Ort alarmiert. Vorausgegangen war die Einführung dampfbetriebener Maschinen, die den Reis polierten. |
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Daher wurde eine Expertenkommission unter Cornelis Pekelharing (* 1848; † 1922), Pathologe der [[Universität Utrecht]], und dessen Assistenten Cornelis Winkler (* 1855; † 1941) berufen, die in [[Batavia (Niederländisch-Indien)|Batavia]]<ref name=":1" /> den Grund für die Erkrankung ermitteln sollte.<ref name=":2" /> Pekelharing vermutete nach 8 Monaten Untersuchung eine Infektion eines Mikroorganismus. [[Christiaan Eijkman]] führte die Arbeiten mit Tierversuchen an Hühnern weiter. Dort traten bei verschiedenen Tieren Erkrankungen auf, die er als [[Polyneuritis|Polyneuritiden]] klassifizierte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass der verfütterte Reis einen Einfluss auf das Entstehen der Krankheit hatte – polierter weißer Reis konnte diese verursachen, brauner unpolierter Reis inklusive der Silberhäutchen ([[Kleie]]) dagegen verhinderte sie.<ref name=":2" /> Auch nach seiner Rückkehr nach Amsterdam 1896/97 rückte Eijkman aber nicht von der Vorstellung ab, dass Beriberi Folge einer „Autointoxikation“ oder chronischen Infektion der Versuchstiere statt eines Mangels sei. Sowohl Eijkman als auch Pekelharing waren Anhänger der damals neuartigen [[Keimtheorie]], so dass sie Mikroorganismen wie Bakterien als Ursache der Erkrankung vermuteten.<ref>{{Internetquelle |autor=[[Göran Liljestrand]] |url=https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/1929/ceremony-speech/ |titel=The Nobel Prize in Physiology or Medicine 1929 |datum=1929-12-10 |sprache=en |abruf=2022-12-09}}</ref> Auch die japanische Armee vermutete einen Infektionserreger, wodurch sie [[Takaki Kanehiro]]s Erkenntnis aus den 1880er Jahren fehldeutete: Kanehiro konnte zeigen, dass durch zweckmäßige Ernährung (aus dem Vitamin-B-Bereich) Beriberi verhindert werden kann. Wahrscheinlich hatte Eijkman von Takakis Experimenten nichts gehört.<ref name=":1" /> |
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[[Gerrit Grijns]], ein Assistent Eijkmans, führte die Fütterungsversuche fort. Er erkannte, dass der in den Reiskleien enthaltene Faktor hitzelabil ist und dass Beriberi die Folge eines Mangels eines unbekannten Bestandteils der Nahrung sein müsse.<ref name=":2" /> So verschwanden die Symptome bei der Fütterung mit ungeschältem Reis oder grünen Erbsen und Fleisch. Beide extrahierten einen sog. „anti-polyneuritis factor“ mit Wasser und Ethanol aus Reisschalen. Eijkman selbst war aber noch lange davon überzeugt, damit ein „pharmakologisches Antidot“ gegen die im Reisendosperm (dem weißen Reis) vorhandenen „Beri-Beri-Mikroben“ oder deren „Toxine“ in der Hand zu haben.<ref>{{Literatur |Autor=Kenneth J. Carpenter, Barbara Sutherland |Titel=Eijkman's contribution to the discovery of vitamins |Sammelwerk=The Journal of Nutrition |Band=125 |Nummer=2 |Datum=1995-02 |Sprache=en |DOI=10.1093/jn/125.2.155 |PMID=7861241 |Seiten=155–163}}</ref> |
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[[Suzuki Umetarō]] vermochte 1910 aus Reiskleie Thiamin zu isolieren und erkannte dessen Beriberi heilende Eigenschaften. Er bezeichnete es erst ''aberic acid'' und später als ''Oryzanin'', seine Arbeit wurde 1911 publiziert.<ref>{{Literatur |Autor=Umetaro Suzuki |Titel=Active constituent of rice grits preventing bird polyneuritis |Sammelwerk=Tokyo Kagaku Kaishi |Band=32 |Datum=1911 |DOI=10.1246/nikkashi1880.32.4 |Online=https://www.jstage.jst.go.jp/browse/nikkashi1880/32/1/_contents}}</ref> In Japan ignorierte man diese Ergebnisse, da man die Entstehung von Beriberi immer noch einer bakteriellen Infektion zuschrieb. 1912 isolierte [[Casimir Funk]] aus Reiskleie [[Nicotinsäure|Niacin]], hielt es aber fälschlicherweise für Thiamin und prägte aufgrund der angeblich entdeckten [[Aminogruppe]] den Begriff „[[Vitamin]]“ (vitale amine).<ref>Casimir Funk: ''The etiology of the deficiency diseases. Beri-beri, polyneuritis in birds, epidemic deopsy, scurvy, experimental scurvy in animals, infantile scurvy, ship beri-beri, pellagra.'' In: ''Journal of State Medicine.'' 20, 1912, S. 341–368.</ref><ref>Karim Bschir: ''Wissenschaft und Realität.'' Mohr Siebeck, Tübingen 2012, ISBN 978-3-16-151934-5, S. 14–15</ref> |
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[[Barend Coenraad Petrus Jansen]] begann mit der Isolierung des Beriberi verhindernden Vitamins aus Reiskleie und erkannte, dass es dort in nur geringen Mengen vorhanden ist.<ref name=":2" /> 1926 konnten er und sein Kollege [[Willem Frederik Donath]] mit besseren Aufreinigungsmethoden Thiamin in kristalliner Form aus Reiskleie isolieren, und sie bezeichneten es als '''a'''nti'''neur'''itisches Vitam'''in''' (''Aneurin'').<ref name="Römpp" /> Eijkman bestätigte, dass selbst geringste Mengen dieses Stoffes an Beriberi erkrankte Tiere heilen konnten. Im Jahr 1932 erhielt es dann aber von [[Adolf Windaus]] wegen seines Schwefelgehaltes die Bezeichnung Thiamin, die heute der einzig zulässige Name ist. Weitere Arbeiten führten 1933 dazu, dass die empirische Formel dieser Kristalle als [[Hydrochloride|Hydrochlorid]] bestimmt werden konnte: <chem>C12H16NO4S*2(HCl)</chem>.<ref name=":2" /> Die tatsächliche Strukturaufklärung erwies sich als relativ schwierig, gelang aber [[Robert R. Williams]] und [[Rudolf Grewe]] im Jahr 1936 etwa gleichzeitig.<ref name="Römpp" /> Die [[Totalsynthese]] erfolgte schließlich durch Robert R. Williams sowie [[Hans Andersag]] und [[Kurt Westphal (Chemiker)|Kurt Westphal]] 1937. |
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1950 entdeckte die japanische Forschergruppe um Motonori Fujiwara<ref>{{Literatur |Titel=Benfotiamine, thiamine monophosphate chloride and thiamine pyrophosphate chloride, as sources of vitamin B1 added for nutritional purposes to food supplements - Scientific Opinion of the Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food (ANS) |Sammelwerk=EFSA Journal |Band=864 |Nummer=EFSA Journal |Datum=2008 |Sprache=en |DOI=10.2903/j.efsa.2008.864 |Seiten=7}}</ref> das fettlösliche Thiamin-[[Prodrug]] Benfotiamin aus gekochtem Knoblauch, mit dem sich hohe Thiaminspiegel in den Zielorganen erreichen lassen. |
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== Weblinks == |
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* ''[https://www.bfr.bund.de/cm/343/hoechstmengenvorschlaege-fuer-vitamin-b1-vitamin-b2-und-pantothensaeure-in-lebensmitteln-inklusive-nahrungsergaenzungsmitteln.pdf Höchstmengen für Vitamin B<sub>1</sub>, Vitamin B<sub>2</sub> und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln]'' (PDF; 0,4 MB), [[Bundesinstitut für Risikobewertung]], 2021 |
|||
* Anna Stahl und Helmut Heseker: ''[https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2008/07_08/EU07_420_426.qxd.pdf Vitamin B<sub>1</sub> (Thiamin)]'' (PDF; 0,7 MB), Ernährungs-Umschau, Juli 2008 |
|||
* ''[https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2007/daz-1-2007/basiswissen-ernaehrung-folge-9 Basiswissen Ernährung (Folge 9):Vitamin B<sub>1</sub> – damit der Stoffwechsel wie geschmiert läuft]'', [[Deutsche Apotheker Zeitung]], 3. Januar 2007 |
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== Einzelnachweise == |
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<references responsive/> |
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{{Gesundheitshinweis}} |
{{Gesundheitshinweis}} |
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[[Kategorie:Thiazol]] |
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[[Kategorie:Quartäre Ammoniumverbindung]] |
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[[Kategorie:Pyrimidin]] |
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[[Kategorie:Alkylsubstituierter Heteroaromat]] |
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[[Kategorie:Aminoazin]] |
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[[Kategorie:Ethanol]] |
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[[Kategorie:Vitamin]] |
[[Kategorie:Vitamin]] |
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[[Kategorie:Arzneistoff]] |
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[[Kategorie:Aromastoff (EU)]] |
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[[en:Thiamine]] |
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[[Kategorie:Futtermittelzusatzstoff (EU)]] |
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[[eo:Tiamino]] |
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[[fr:Vitamine B1]] |
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[[he:ויטמין B1]] |
|||
[[ja:チアミン]] |
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[[nl:Thiamine]] |
|||
[[pt:Vitamina B1]] |
Aktuelle Version vom 23. Juni 2025, 23:14 Uhr
Strukturformel | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Struktur von Thiaminchlorid | |||||||||
Allgemeines | |||||||||
Trivialname | Vitamin B1 | ||||||||
Andere Namen |
| ||||||||
Summenformel |
| ||||||||
CAS-Nummer | |||||||||
ATC-Code | |||||||||
Kurzbeschreibung | farbloses Pulver, charakteristischer Geruch | ||||||||
Vorkommen | siehe Tabelle im Artikeltext | ||||||||
Physiologie | |||||||||
Funktion | Kohlenhydratstoffwechsel, Coenzym bei dehydrierenden Decarboxylierungsreaktionen (z. B. im Pyruvatdehydrogenasekomplex) | ||||||||
Täglicher Bedarf | 1,0–1,2 mg | ||||||||
Folgen bei Mangel | Muskelatrophie, Herzinsuffizienz, neurologische Störungen, Beriberi, Wernicke-Enzephalopathie | ||||||||
Überdosis | nicht bekannt | ||||||||
Eigenschaften | |||||||||
Molare Masse | 337,27 g·mol−1 (Hydrochlorid) | ||||||||
Aggregatzustand | fest | ||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||
Löslichkeit | sehr gut löslich in Wasser (500 g·l−1[2]) | ||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||
| |||||||||
Toxikologische Daten | |||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Thiamin oder Vitamin B1 (veraltet: Aneurin) ist ein wasserlösliches Vitamin aus dem B-Komplex von schwachem, aber charakteristischem Geruch und ist insbesondere für die Funktion des Nervensystems unentbehrlich. Wird das Vitamin B1 für ca. 14 Tage dem Körper nicht mehr zugeführt, sind die Reserven zu 50 % aufgebraucht.
Chemische Struktur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Thiamin besteht aus zwei Ringsystemen, die durch eine Methylenbrücke miteinander verbunden sind: einem Pyrimidin- und einem Thiazolring.
Funktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Thiamin wird im Darm über den aktiven Thiamintransporter und in hohen Konzentrationen vorliegend auch durch Diffusion aufgenommen. Es existieren seltene erbliche Mangelkrankheiten hinsichtlich dieser Proteine. Bei der thiaminresponsiblen, megaloblastären Anämie (TRMA) kommt es durch Mutationen im SLC19A2-Gen zur Funktionsunfähigkeit des aktiven Thiamintransporters. Hierdurch kann das in der Nahrung in niedrigen Konzentrationen vorliegende Thiamin nicht mehr ausreichend aufgenommen werden. Dies führt zum charakteristischen Krankheitsbild der TRMA mit einem Diabetes mellitus, Schwerhörigkeit und einer megaloblastären Anämie. Unbehandelt führt die TRMA zum Tode. Durch Verabreichung einer hohen Dosis von Thiamin kann ausreichend Thiamin über den Darm durch Diffusion aufgenommen werden.[6]
Thiamin selbst wird im Körper nicht verwendet. Mithilfe des Enzyms Thiaminpyrophosphokinase wird es zunächst zu Thiaminpyrophosphat (TPP) umgewandelt. In dieser biologisch aktiven Form ist es Coenzym verschiedener Enzyme, wie beispielsweise der Pyruvatdehydrogenase E1 des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes (PDC) bzw. der α-Ketoglutarat-Dehydrogenase des α-Ketoglutarat-Dehydrogenase-Komplexes (OGDC), oder der Transketolase im Pentosephosphatzyklus.
Glucosestoffwechsel und Mitochondrien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mittels PDC wird in den Mitochondrien Pyruvat zu Acetyl-CoA umgebaut. TPP dient diesem Enzymkomplex als Coenzym bei der Abspaltung von CO2[7] und macht damit die aerobe Verwertung von Glucose (und damit auch anderer Kohlenhydrate) erst möglich.[8]
Ist dieser Stoffwechselweg blockiert, wird im Cytosol aus Pyruvat durch Milchsäuregärung Lactat erzeugt, was eine vergleichsweise ineffiziente Form der Energiegewinnung darstellt.[9]
Verluste in Nahrungsmitteln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Thiamin ist hitzeempfindlich, es wird durch Kochen zerstört. Es ist wasserlöslich, dadurch gehen beim Kochen in Wasser etwa 30 % ins Kochwasser verloren.[10] In rohem Fisch und Farnen ist das Enzym Thiaminase enthalten, das Thiamin abbaut und somit vernichtet. Konservierungsstoffe aus der Gruppe der Sulfite (E 220 – E 228)[11] zersetzen ebenfalls Thiamin. Zudem ist es UV- und O2-empfindlich.[10]
Bei der Herstellung von weißem Mehl (z. B. Typ 405) oder weißem Reis wird der braune Keim der Pflanze vom Rest des Samens (Endosperm) entfernt.[10] Der Keim enthält jedoch das gesamte Vitamin B1 des Samens, welches zur Verbrennung der enthaltenen Kohlenhydrate benötigt wird.
Im Gegensatz dazu bleibt in Vollkornmehl, braunem Reis oder parboiled Reis das Vitamin B1 weitestgehend enthalten.
Anreicherung in Lebensmitteln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Um den Verlust bei der Verarbeitung auszugleichen, wird in vielen Ländern dem Mehl und Reis das Vitamin B1 wieder künstlich zugesetzt. Inzwischen verfahren 91 Länder bei Mehl so, darunter Großbritannien, USA und Kanada, jedoch nicht Deutschland.[12][13] Thiaminhydrochlorid ist in der EU durch die Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 unter der FL-Nummer 16.027 als Aromastoff zugelassen.
Nahrungsergänzungsmittel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Deutschland und anderen EU-Ländern ist Thiamin in folgender Form in Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) erlaubt:
- Thiaminhydrochlorid
- Thiaminmononitrat
- Thiaminmonophosphatchlorid
- Thiaminpyrophosphatchlorid
Wenn mindestens 0,17 mg Thiamin pro Tagesdosis (etwa 15 % des Referenzwertes) in NEMs erhalten ist, darf mit der Aufrechterhaltung normaler Körperfunktionen geworben werden: Energiestoffwechsel, psychische Funktion, Funktion des Nervensystems und Herzfunktion.[10] Eine Werbung für eine angebliche zusätzliche Leistungssteigerung ist nicht belegt. Auch für eine postulierte Wirksamkeit bei Nervenschmerzen (neuropathischen Schmerzen) fehlen Wirksamkeitsnachweise, so dass dies nicht beworben werden darf.[10]
Vorkommen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Pro 100 g der folgenden Lebensmittel sind laut Bundeslebensmittelschlüssel (BLS) bzw. Römpp Lexikon Chemie die angegebenen Mengen Thiamin enthalten:
Nahrungsmittel | Thiamin mg/100 g |
---|---|
Bierhefe, biologisch | 13,0 |
Weizenkeime | 2,01 |
Bienenpollen | 0,6 bis 2,2[14][15] |
Sonnenblumenkerne, frisch | 1,9 |
Back-/Bierhefe, gepresst | 1,0 |
Sojabohnen, frisch | 0,44 |
Sesam, geröstet | 0,4 |
Kamut (Khorasan-Weizen) | 0,40 |
Vollkorngetreide (Weizen, Gerste, Mais, Reis – nicht erhitzt) | 0,35–0,46 |
Teff (äthiopisch-eritreisches Süßgras) | 0,3 |
Erbsen, grün, frisch | 0,3 |
Macadamianüsse, frisch | 0,28 |
Schweinefleisch (mittelfett), frisch | 0,23 |
Löwenzahn, frisch | 0,19 |
Austernseitling, frisch | 0,17 |
Bohnen, weiß, gegart | 0,154 |
Haferflocken, roh | 0,15 |
Geflügel, gegart | 0,11 |
Pellkartoffeln gegart | 0,07 |
Aufnahme und Metabolismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Thiamin in Lebensmitteln wird zunächst durch Phosphatasen der Verdauungssäfte gespalten, da es nur in freier Form absorbiert wird – überwiegend im Zwölffingerdarm und Jejunum.[16] Die Aufnahme erfolgt bei höherer Thiaminkonzentration im Darmlumen (> 5 μmol/l) durch passive Diffusion, bei geringerer Konzentration wird es hingegen mittels Thiamintransporter 1 (ThTr1, apikal, d. h. zum Lumen hin) bzw. ThTr2 (basolateral, d. h. dem Lumen abgewandte Seite) aktiv in das Zottenepithel transportiert[17], was effizienter ist als die Diffusion. Anschließend wird es wieder zu TDP phosphoryliert und gelangt über die Pfortader in die Leber.
Thiamin wird im Blut überwiegend in den Erythrozyten (75 %) in Form von TDP transportiert, daneben auch in den Leukozyten sowie im Plasma selbst (dort in Form von TMP oder frei gebunden an Albumin).[16] Nach Aufnahme in Gewebezellen wird Thiamin zu TDP überführt.
Vitamin B1 findet sich in größeren Mengen in Leber, Herz, Niere, Skelettmuskulatur und Gehirn.[16] Es wird bei letzteren mittels aktiven Carrier aufgenommen – und bei einem Mangel dort am längsten festgehalten.
Die biologische Halbwertszeit liegt zwischen 9 und 18 Tagen, im Gewebe werden etwa 1 mg Thiamin pro Tag umgesetzt. Die Speicherfähigkeit im Körper ist begrenzt, es können etwa 25–30 mg Vitamin B1 gespeichert werden. Überschüssiges Vitamin B1 wird abgebaut und über die Niere ausgeschieden – bei höherer Thiaminzufuhr liegen im Harn neben dessen regulären Abbauprodukten zusätzlich freies Thiamin, Thiaminschwefel- und -phosphorsäureester sowie Thiamindisulfid vor.[16]
Bedarf (Zufuhrempfehlung)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Altersgruppe | D-A-CH (2019)
mg / Tag |
EFSA (2016)
(Population Reference Intake) mg / Tag |
---|---|---|
Kleinkinder (4–7 Jahre) | 0,7 | 0,60–0,68 (♂); 0,56–0,64 (♀) |
Kinder (7–10 Jahre) | 0,9 (♂); 0,8 (♀) | 0,73–0,82 (♂); 0,68–0,76 (♀) |
Jugendliche (10–13 Jahre) | 1,0 (♂); 0,9 (♀) | 0,82–0,92 (♂); 0,77–0,85 (♀) |
Jugendliche (13–15 Jahre) | 1,2 (♂); 1,0 (♀) | 0,99–1,06 (♂); 0,89–0,92 (♀) |
Adoleszente (15–19 Jahre) | 1,4 (♂); 1,1 (♀) | 1,14–1,24 (♂); 0,94–0,96 (♀) (< 18 Jahre) |
Erwachsene | 1,1–1,3 (♂); 1,0 (♀) | 0,96–1,13 (♂); 0,78–0,91 (♀) (≥ 18 Jahre) |
Schwangere 1. Trimester |
1,2 1,3 |
+ 0,03 + 0,11 + 0,21 |
Stillende | 1,3 | + 0,21 |
Der Bedarf korreliert mit dem täglichen Energieverbrauch. Daher benötigen Männer und junge Erwachsene etwas mehr Vitamin B1.[10]
Thiamin wird im Blut, in der Leber, der Niere, im Gehirn und in den Muskeln gespeichert, wenngleich die Speicherfähigkeit mit 25–30 mg eher niedrig ist.[10]
Die Einnahme von Vitamin B1 wird immer wieder als Repellent zur Stechmückenbekämpfung vorgeschlagen. Ursprung hat diese These in einer Fallberichtsbeschreibung Anfang der 1940er Jahre.[19] Zahlreiche spätere, methodisch seriöse Untersuchungen haben aber sowohl dessen Wirkungslosigkeit als auch die anderer oral eingenommener Stoffe oder Supplemente wie Knoblauch demonstriert. Zudem benötigen Stechmücken selbst Vitamin B1.
Versorgungssituation in Deutschland
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut der Nationalen Verzehrstudie II von Mitte der 2000 Jahre liegt in allen Altersgruppen der Median der Vitamin-B1-Zufuhr deutlich über der empfohlenen Zufuhr, jedoch erreichen 21 % der Männer und 32 % der Frauen die empfohlene tägliche Zufuhr von Vitamin B1 nicht.[20] Daraus resultiert aber nicht notwendigerweise ein Mangel.[10]
Mangelerscheinungen (Hypovitaminose)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits 1896 stellte Christiaan Eijkman nach seiner Rückkehr von seiner Asienreise nach Europa fest: „Weißer Reis kann giftig sein!“ Zuvor hatte er in Java gehäuft Fälle von Beriberi beobachtet, die durch eine gründlichere Politur des weißen Reises verursacht wurde.[21] Mangelerscheinungen treten insbesondere in Ländern auf, in denen weißer Reis das Grundnahrungsmittel darstellt und noch einseitig gegessen wird.[10]
Da ein experimentell erzeugter Vitamin-B1-Mangel sich symptomatisch von den verschiedenen Formen des „natürlich“ auftretenden Beriberi unterscheidet, sollte zwischen einer Vitamin-B1- (bzw. Thiamin-) Mangelerkrankung und Beriberi differenziert werden.[16] Insgesamt gibt es bei Beriberi eine Vielfalt an Symptomen, da diese auch noch von anderen Einflussfaktoren wie z. B. dem Alter und anderen Hypovitaminosen abhängig sind:[16]
- Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels und des Nervensystems (u. a. Polyneuropathie)
- Reizbarkeit und Depressionen
- Müdigkeit, Sehstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Muskelatrophie
- Blutarmut (Anämie)
- häufige Kopfschmerzen
- Gedächtnisstörungen (Korsakow-Syndrom), Verwirrungszustände
- Herzversagen, Ödeme, Tachykardie, niedriger Blutdruck, Kurzatmigkeit (Dyspnoe)
- Verringerte Produktion von Antikörpern bei Infektionen
- gestörte Energieproduktion
- schwache Muskulatur (besonders die Wadenmuskulatur)
- Krankheiten:
- Mensch: Beriberi, Wernicke-Enzephalopathie, Strachan-Syndrom
- Tiere: Thiaminmangel-Enzephalopathie der Katze, Zerebrokortikalnekrose, Chastek-Paralyse
Ein schwerer, nicht behandelter Vitamin-B1-Mangel ist letal.[16]
Risikogruppen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Insgesamt sind bei normaler, nicht einseitiger Ernährung Mangelerscheinungen sehr selten. In Entwicklungsländern tritt ein erhöhtes Risiko auf, insbesondere bei Menschen in Flüchtlingslagern und Gefängnissen.[16]
In Europa können bestimmte Risikogruppen von einem Mangel betroffen sein, z. B. Alkoholiker, Menschen mit bestimmten Magen-Darm- oder Leberkrankheiten und Frauen mit extremer Schwangerschaftsübelkeit.[10] Bei Alkoholikern manifestiert sich der Mangel am häufigsten als Wernicke-Korsakow-Syndrom;[22] wahrscheinlich werden aber leichte Mangelzustände nicht diagnostiziert.
Alzheimer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Alzheimer-Patienten zeigen eine verminderte Glucose- und Sauerstoffverwertung im Gehirn, die mit einem Thiaminmangel einhergeht.[23][24] Der Mangel könnte nicht nur die Folge, sondern die Ursache der Krankheit sein.[25] Auch können erniedrigte Thiaminpyrophosphat-Werte in Blut und Gehirn als Diagnosekriterium zur Abgrenzung von Alzheimer zu anderen Formen der Demenz verwendet werden.[26]
Folgen einer Überdosierung (Hypervitaminose)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Thiamin besitzt eine große therapeutische Breite. So zeigen tierexperimentelle Befunde bei Ratten, dass selbst eine 100fach über dem täglichen Bedarf liegende Dosis über drei Generationen ohne Nebenwirkungen vertragen wurde. Nach Verabreichung in den Muskel bzw. in die Vene wurden allerdings in Einzelfällen teils schwerste Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zu Atemnot und Schockzuständen beschrieben. Wegen dieser allergischen Reaktionen sollte Vitamin B1 daher nur in Ausnahmefällen parenteral angewendet werden; orale Therapie der Wahl zur Vitamin-B1-Substitution ist die fettlösliche und dadurch hervorragend gewebegängige Thiamin-Prodrug Benfotiamin. In seltenen Fällen wurden bei täglicher Aufnahme von mindestens 50 mg Nebenwirkungen wie Augenbeschwerden, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Hautreaktionen und Herzrhythmusstörungen beobachtet.[16]
Da bei Verzehr auch in hohen Mengen keine nachteiligen gesundheitlichen Folgen beobachtet wurden (oral aufgenommenes Thiamin wird über den Urin ausgeschieden),[10] hat das BfR auf eine Festlegung von Höchstmengen verzichtet.[27]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Krankheitsbild geht Beriberi auf einen Thiaminmangel zurück, diese Ursache war im 19. Jahrhundert aber noch nicht bekannt. Eine erste systematische Suche nach seiner Entstehung begann in den späten 1880er Jahren in Niederländisch-Ostindien.[28] Dies hatte militärische Gründe. Die niederländische Regierung wollte einen Aufstand im Westen ihrer Kolonie niederschlagen, war aber durch zahlreiche Erkrankungsfälle an Beriberi bei den Soldaten vor Ort alarmiert. Vorausgegangen war die Einführung dampfbetriebener Maschinen, die den Reis polierten.
Daher wurde eine Expertenkommission unter Cornelis Pekelharing (* 1848; † 1922), Pathologe der Universität Utrecht, und dessen Assistenten Cornelis Winkler (* 1855; † 1941) berufen, die in Batavia[21] den Grund für die Erkrankung ermitteln sollte.[28] Pekelharing vermutete nach 8 Monaten Untersuchung eine Infektion eines Mikroorganismus. Christiaan Eijkman führte die Arbeiten mit Tierversuchen an Hühnern weiter. Dort traten bei verschiedenen Tieren Erkrankungen auf, die er als Polyneuritiden klassifizierte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass der verfütterte Reis einen Einfluss auf das Entstehen der Krankheit hatte – polierter weißer Reis konnte diese verursachen, brauner unpolierter Reis inklusive der Silberhäutchen (Kleie) dagegen verhinderte sie.[28] Auch nach seiner Rückkehr nach Amsterdam 1896/97 rückte Eijkman aber nicht von der Vorstellung ab, dass Beriberi Folge einer „Autointoxikation“ oder chronischen Infektion der Versuchstiere statt eines Mangels sei. Sowohl Eijkman als auch Pekelharing waren Anhänger der damals neuartigen Keimtheorie, so dass sie Mikroorganismen wie Bakterien als Ursache der Erkrankung vermuteten.[29] Auch die japanische Armee vermutete einen Infektionserreger, wodurch sie Takaki Kanehiros Erkenntnis aus den 1880er Jahren fehldeutete: Kanehiro konnte zeigen, dass durch zweckmäßige Ernährung (aus dem Vitamin-B-Bereich) Beriberi verhindert werden kann. Wahrscheinlich hatte Eijkman von Takakis Experimenten nichts gehört.[21]
Gerrit Grijns, ein Assistent Eijkmans, führte die Fütterungsversuche fort. Er erkannte, dass der in den Reiskleien enthaltene Faktor hitzelabil ist und dass Beriberi die Folge eines Mangels eines unbekannten Bestandteils der Nahrung sein müsse.[28] So verschwanden die Symptome bei der Fütterung mit ungeschältem Reis oder grünen Erbsen und Fleisch. Beide extrahierten einen sog. „anti-polyneuritis factor“ mit Wasser und Ethanol aus Reisschalen. Eijkman selbst war aber noch lange davon überzeugt, damit ein „pharmakologisches Antidot“ gegen die im Reisendosperm (dem weißen Reis) vorhandenen „Beri-Beri-Mikroben“ oder deren „Toxine“ in der Hand zu haben.[30]
Suzuki Umetarō vermochte 1910 aus Reiskleie Thiamin zu isolieren und erkannte dessen Beriberi heilende Eigenschaften. Er bezeichnete es erst aberic acid und später als Oryzanin, seine Arbeit wurde 1911 publiziert.[31] In Japan ignorierte man diese Ergebnisse, da man die Entstehung von Beriberi immer noch einer bakteriellen Infektion zuschrieb. 1912 isolierte Casimir Funk aus Reiskleie Niacin, hielt es aber fälschlicherweise für Thiamin und prägte aufgrund der angeblich entdeckten Aminogruppe den Begriff „Vitamin“ (vitale amine).[32][33]
Barend Coenraad Petrus Jansen begann mit der Isolierung des Beriberi verhindernden Vitamins aus Reiskleie und erkannte, dass es dort in nur geringen Mengen vorhanden ist.[28] 1926 konnten er und sein Kollege Willem Frederik Donath mit besseren Aufreinigungsmethoden Thiamin in kristalliner Form aus Reiskleie isolieren, und sie bezeichneten es als antineuritisches Vitamin (Aneurin).[1] Eijkman bestätigte, dass selbst geringste Mengen dieses Stoffes an Beriberi erkrankte Tiere heilen konnten. Im Jahr 1932 erhielt es dann aber von Adolf Windaus wegen seines Schwefelgehaltes die Bezeichnung Thiamin, die heute der einzig zulässige Name ist. Weitere Arbeiten führten 1933 dazu, dass die empirische Formel dieser Kristalle als Hydrochlorid bestimmt werden konnte: .[28] Die tatsächliche Strukturaufklärung erwies sich als relativ schwierig, gelang aber Robert R. Williams und Rudolf Grewe im Jahr 1936 etwa gleichzeitig.[1] Die Totalsynthese erfolgte schließlich durch Robert R. Williams sowie Hans Andersag und Kurt Westphal 1937.
1950 entdeckte die japanische Forschergruppe um Motonori Fujiwara[34] das fettlösliche Thiamin-Prodrug Benfotiamin aus gekochtem Knoblauch, mit dem sich hohe Thiaminspiegel in den Zielorganen erreichen lassen.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Höchstmengen für Vitamin B1, Vitamin B2 und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln (PDF; 0,4 MB), Bundesinstitut für Risikobewertung, 2021
- Anna Stahl und Helmut Heseker: Vitamin B1 (Thiamin) (PDF; 0,7 MB), Ernährungs-Umschau, Juli 2008
- Basiswissen Ernährung (Folge 9):Vitamin B1 – damit der Stoffwechsel wie geschmiert läuft, Deutsche Apotheker Zeitung, 3. Januar 2007
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e Eintrag zu Thiamin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 19. April 2016.
- ↑ a b c d Eintrag zu Thiamine in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar )
- ↑ a b Datenblatt Thiamine hydrochloride bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 18. April 2025 (PDF).
- ↑ Zhongguo Yaoxue Zazhi. In: Chinese Pharmaceutical Journal. Band 30, 1995, S. 407.
- ↑ E. T. Angelakos, E. R. Loew: Histamine toxicity in mice and rats following treatment with histaminase inhibitors. In: Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics. Band 119, Nr. 3, März 1957, S. 444–451. PMID 13417100.
- ↑ Eintrag zu Thiamin-responsive megaloblastäre Anämie mit Diabetes mellitus und sensorineuraler Schwerhörigkeit. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten)
- ↑ Jane B. Reece, Lisa A. Urry, Michael L. Cain, Steven A. Wasserman, Peter V. Minorsky: Campbell Biology. 10. Auflage. Benjamin-Cummings Pub Co, 2014, ISBN 978-0-13-404462-0, S. 894.
- ↑ Michael M. Cox, Albert L. Lehninger: Lehninger principles of biochemistry. W.H. Freeman and Company, 2013, ISBN 978-1-4292-3414-6, S. 567–569.
- ↑ Lisa A. Urry, Michael L. Cain (Michael Lee), Steven Alexander Wasserman, Peter V. Minorsky, Rob Jackson: Campbell biology. 10. Auflage. ISBN 978-0-321-77565-8, S. 178–179.
- ↑ a b c d e f g h i j k Vitamin B1 (Thiamin) für Herz und Nerven? In: Verbraucherzentrale. 22. März 2021, abgerufen am 26. April 2021.
- ↑ Eintrag zu Schwefeldioxid. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 8. Februar 2016.
- ↑ Angereichertes Mehl | Mehlfortifizierung | Mühlenchemie. 22. Februar 2023, archiviert vom am 25. Mai 2025; abgerufen am 25. Mai 2025.
- ↑ Country Profiles: Grain Production, Consumption & Nutrition. Archiviert vom am 19. März 2025; abgerufen am 25. Mai 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ E. W. Herbert Jr. et al.: levels of thiamine and its esters in bee collected pollen using liquid chromatography and robotics. In: Apidologie. Band 18, Nr. 2, 1987, S. 129–136, doi:10.1051/apido:19870203 (englisch).
- ↑ Vanilda Aparecida Soares de Arruda, Aline Aparecida Santos Pereira, Leticia M. Estevinho, Ligia Bicudo de Almeida-Muradian: Presence and stability of B complex vitamins in bee pollen using different storage conditions. In: Food and Chemical Toxicology: An International Journal Published for the British Industrial Biological Research Association. Band 51, Januar 2013, S. 143–148, doi:10.1016/j.fct.2012.09.019, PMID 23022013.
- ↑ a b c d e f g h i Anna Stahl, Helmut Heseker: Vitamin B1 (Thiamin). (PDF) In: Ernährungs Umschau. Juli 2008, S. 420–426, abgerufen am 24. Dezember 2022.
- ↑ Löffler, Petrides: Biochemie und Pathobiochemie. Hrsg.: Peter C. Heinrich, Matthias Müller, Lutz Graeve, Hans-Georg Koch. 10. Auflage. Springer-Verlag GmbH Deutschland, Berlin 2022, ISBN 978-3-662-60265-2, S. 948.
- ↑ Höchstmengen für Vitamin B1, Vitamin B2 und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln. (PDF) In: Bundesinstitut für Risikobewertung. 2021, abgerufen am 27. November 2022.
- ↑ Matan Shelomi: Thiamine (vitamin B1) as an insect repellent: a scoping review. In: Bulletin of Entomological Research. Band 112, Nr. 4, August 2022, S. 431–440, doi:10.1017/S0007485321001176 (englisch).
- ↑ Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Hrsg.): Nationale Verzehrstudie II. Ergebnisbericht, Teil 2. Karlsruhe 2008, S. 113 ff. (bund.de [PDF]).
- ↑ a b c Christiaan Eijkman, Beriberi and Vitamin B1. In: Nobel Prize Outreach. Nobelprize.org, 25. November 2003, abgerufen am 11. Dezember 2022 (englisch).
- ↑ Ed Day et al.: Thiamine for prevention and treatment of Wernicke-Korsakoff Syndrome in people who abuse alcohol. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2013, Nr. 7, 1. Juli 2013, S. CD004033, doi:10.1002/14651858.CD004033.pub3, PMID 23818100, PMC 7163251 (freier Volltext) – (englisch).
- ↑ Gary E. Gibson, Joseph A. Hirsch, Pasquale Fonzetti, Barry D. Jordan, Rosanna T. Cirio: Vitamin B1 (thiamine) and dementia. In: Annals of the New York Academy of Sciences. Band 1367, Nr. 1, 1. März 2016, S. 21–30, doi:10.1111/nyas.13031, PMID 26971083, PMC 4846521 (freier Volltext).
- ↑ Gary E. Gibson, Joseph A. Hirsch, Rosanna T. Cirio, Barry D. Jordan, Pasquale Fonzetti: Abnormal thiamine-dependent processes in Alzheimer's Disease. Lessons from diabetes. In: Molecular and Cellular Neurosciences. Band 55, 1. Juli 2013, S. 17–25, doi:10.1016/j.mcn.2012.09.001, PMID 22982063, PMC 3609887 (freier Volltext).
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- ↑ a b c d e f Kenneth J. Carpenter: The discovery of thiamin. In: Annals of Nutrition & Metabolism. Band 61, Nr. 3, 2012, S. 219–223, doi:10.1159/000343109, PMID 23183292 (englisch).
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- ↑ Umetaro Suzuki: Active constituent of rice grits preventing bird polyneuritis. In: Tokyo Kagaku Kaishi. Band 32, 1911, doi:10.1246/nikkashi1880.32.4 (jst.go.jp).
- ↑ Casimir Funk: The etiology of the deficiency diseases. Beri-beri, polyneuritis in birds, epidemic deopsy, scurvy, experimental scurvy in animals, infantile scurvy, ship beri-beri, pellagra. In: Journal of State Medicine. 20, 1912, S. 341–368.
- ↑ Karim Bschir: Wissenschaft und Realität. Mohr Siebeck, Tübingen 2012, ISBN 978-3-16-151934-5, S. 14–15
- ↑ Benfotiamine, thiamine monophosphate chloride and thiamine pyrophosphate chloride, as sources of vitamin B1 added for nutritional purposes to food supplements - Scientific Opinion of the Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food (ANS). In: EFSA Journal. Band 864, EFSA Journal, 2008, S. 7, doi:10.2903/j.efsa.2008.864 (englisch).