Zum Inhalt springen

„Anthropisches Prinzip“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
[ungesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Lem
 
(503 dazwischenliegende Versionen von mehr als 100 Benutzern, die nicht angezeigt werden)
Zeile 1: Zeile 1:
Das '''anthropische Prinzip''' (von griechisch ''anthropos'' »Mensch«) wurde begrifflich in den 70er Jahren in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Das Prinzip geht aber auf tiefe historische Wurzeln zurück. So war die Welt vor Darwin für viele Religionen auf den Menschen ausgerichtet. Erst Charles Darwin bereitete dem Atheismus und der Zufallstheorie die Vorherrschaft in der Evolutionstheorie (Barrow & Tipler).
Das '''anthropische Prinzip''' (von griechisch ''anthropos'' „Mensch“; kurz '''AP''') ist eine seit den 1970er-Jahren diskutierte Hypothese. Sie besagt, dass das beobachtbare [[Universum]] nur deshalb beobachtbar ist, weil es alle Eigenschaften hat, die dem Beobachter ein Leben ermöglichen. Wäre es nicht für die Entwicklung bewusstseinsfähigen Lebens geeignet, so wäre auch niemand da, der es beschreiben könnte.
Das anthropische Prinzip versucht bestimmte als unwahrscheinlich angenommene Eigenschaften des Universums damit zu erklären, dass diese notwendig seien, um die Existenz eines bewussten Beobachters zu begründen, der dieses Universum auch zu erkennen vermag. Zum Beispiel wird es oft zur Erklärung herangezogen, dass die enorme Vielzahl von [[Naturgesetz]]en und [[Naturkonstante]]n im Universum exakt so aufeinander abgestimmt scheinen, dass sie Leben ermöglichen.


== Entwicklung des Begriffs ==
:''Nicht nur, dass der Mensch in das Universum hineinpasst. Das Universum passt auch zum Menschen. Man stelle sich ein Universum vor, in dem sich irgendeine der grundlegenden dimensionslosen physikalischen Konstanten in die eine oder andere Richtung um wenige Prozent verändern würde? In einem solchen Universum hätte der Mensch nie ins Dasein kommen können. Das ist der Dreh- und Angelpunkt des anthropischen Prinzips. Gemäß diesem Prinzip liegt dem gesamten Mechanismus und dem Aufbau der Welt ein die Existenz von Leben ermöglichender Faktor zugrunde.''<br> ([[John Barrow]] und [[Frank Tipler]], ''The Anthropic Cosmological Principle'', Seite 7).
Ähnliche Argumentationsstrategien wurden schon länger verwendet. [[Alfred Russel Wallace]]s schrieb 1903: »Ein derart gewaltiges und komplexes Universum wie das, von dem wir wissen, dass es um uns herum existiert, könnte unbedingt notwendig sein … um eine Welt hervorzubringen, die genauestens an jedes Detail zur ordentlichen Entwicklung des im Menschen gipfelnden Lebens angepasst sein sollte.«<ref>Man's Place in the Universe, Alfred Russel Wallace, 1903, S. 256–257 in der Ausgabe von 1912</ref>


1957 schrieb [[Robert Henry Dicke]]: »Das ›momentane‹ Alter des Universums ist nicht zufällig, sondern wird bestimmt durch biologische Faktoren … [Veränderungen an den Werten fundamentaler physikalischer Konstanten] würden von vornherein die Existenz von Menschen ausschließen, die über das Problem nachdenken könnten.«<ref>R.&nbsp;H. Dicke, ''Principle of Equivalence and Weak Interactions'', Rev. Mod. Phys. 29, S. 355, 1957</ref>
----


[[Lawrence J. Henderson]] interpretierte in seinen Büchern ''The Fitness of the Environment'' (1913) (dt. Titel ''Die Umwelt des Lebens'', 1914) und ''The Order of Nature'' (1917) das anthropische Prinzip [[Teleologie|teleologisch]]. Der [[Agnostik]]er Henderson, der religiöse Betrachtungen ablehnte, folgerte, dass das Universum in seinem eigentlichen Wesen ''biozentrisch'' sei. Seiner Meinung nach sind die Naturgesetze so beschaffen, dass das Universum praktisch auf die Entwicklung von Leben hin ausgerichtet ist.
== Das Anthropische Prinzip ==


[[Brandon Carter]] verwendet den Begriff „Anthropisches Prinzip“ 1973 auf einer Tagung. Er verknüpft die Eigenschaften des beobachtbaren Universums mit der Notwendigkeit der Existenz eines bewussten Beobachters, der dieses Universum auch zu erkennen vermag. Anthropische Prinzipien, so wie sie in der [[Naturwissenschaft]] meist diskutiert werden, sollen „natürliche“ Erklärungsmöglichkeiten für Gegebenheiten im Universum bieten, die für einen Beobachter sehr unwahrscheinlich und deswegen nicht durch Zufall erklärbar erscheinen oder einen ziel- bzw. zweckgerichteten ([[Teleologie|teleologischen]]) Eindruck machen.
Das '''anthropische Prinzip''' gibt in seiner einfachsten Form eine Binsenweisheit wieder: dass jedwede stichhaltige Theorie über das [[Universum]] in Einklang mit unserer Existenz als [[Kohlenstoff]] basierte menschliche Wesen zu dieser speziellen Zeit und in diesem speziellen Teil des Universums stehen muss. Versuche, dieses Prinzip anzuwenden, um wissenschaftliche Erklärungen in der [[Kosmologie]] zu erhalten, haben zu einiger Verwirrung und vielen kontroversen Diskussionen geführt.


== Varianten des anthropischen Prinzips ==
Der Ausdruck ''anthropisches Prinzip'' wurde erstmals [[1973]] von [[Brandon Carter]] während der Feierlichkeiten zu [[Kopernikus]]' 500. Geburtstag vorgeschlagen, wie um auszurufen, dass letztlich die Menschheit eine besondere Stellung im Universum einnehme.[[#Fußnote|(1)]]'


=== Brandon Carter ===
Verfechter des anthropischen Prinzips weisen darauf hin, dass das Universum dermaßen fein darauf abgestimmt erscheint, die Existenz von [[Leben]], wie wir es kennen, zu ermöglichen, und dass, würde auch nur eine der grundlegenden [[physikalische Konstanten|physikalischen Konstanten]] von ihrem Wert abweichen, dieses Leben nicht möglich wäre. Es wurden Arbeiten verfasst, die die Ansicht vertreten, das anthropische Prinzip sei in der Lage, physikalische Konstanten wie die [[Feinstrukturkonstante]], die Anzahl der [[Dimension (Physik)|Dimension]]en des Universums und die [[kosmologische Konstante]] zu erklären. Die Verfechter stellen heraus, dass diese Konstanten keine »offensichtlichen« Werte besitzen. Das Universum, das wir beobachten, muss für die Entwicklung intelligenten Lebens geeignet sein, denn andernfalls könnten wir nicht hier sein und es beobachten. Ob diese Feinabstimmung und damit das Anthropische Prinzip wirklich notwendig zur Erklärung des Lebens ist, ist allerdings umstritten. Gegner argumentieren, dass diese Feinabstimmung nur notwendig sei, wenn man annimmt, dass mit Bewusstsein ausgestattetes Leben nur so wie wir es kennen möglich ist. Lässt man diese bisher nicht begründbare Beschränkung fallen, wäre demnach auch die Feinabstimmung nicht notwendig.
Als erste konkrete Formulierung des anthropischen Prinzips gelten einige Passagen in Carters Publikation von 1974:<ref>aus B. Carter: „Large Number Coincidences and the Anthropic Principle in Cosmology“ IAUS 63 (1974) 291 übersetzt</ref>


* ''Allgemeines AP'': ».. was wir zu beobachten erwarten können, muss eingeschränkt sein durch die Bedingungen, welche für unsere Gegenwart als Beobachter notwendig sind.«
Die beiden hauptsächlichen Versionen des Prinzips, wie es von [[John Barrow|Barrow]] <!-- John D. Barrow --> und [[Frank Tipler|Tipler]] <!-- Frank J. Tipler --> formuliert wurde, lauten:
* ''Schwaches AP'' (engl. weak anthropic principle, WAP): ».. wir müssen bereit sein, die Tatsache in Betracht zu ziehen, dass unser Ort im Universum in dem Sinne notwendig privilegiert ist, dass er mit unserer Existenz als Beobachter vereinbar ist.«
*'''schwaches anthropisches Prinzip''' (''Weak Anthropic Principle'', ''WAP''): »Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Größen sind nicht gleich wahrscheinlich, aber sie nehmen Werte an, die beschränkt sind durch die Erfordernisse für die Existenz von Orten, an denen Kohlenstoff basiertes Leben evolvieren kann, und durch die Erfordernis, dass das Universum bereits alt genug sein muss, dass dieser Vorgang bereits eingetreten ist.«
*'''starkes anthropisches Prinzip''' (''Strong Anthropic Principle'', ''SAP''): »Das Universum muss so beschaffen sein, dass in ihm die Entwicklung von Leben in einem gewissen Stadium seiner Geschichte ermöglicht wird
* ''Starkes AP'' (engl. strong anthropic principle, SAP): ».. das Universum (und deswegen die fundamentalen Parameter, von welchen es abhängt) muss derart sein, dass es die Entstehung von Beobachtern in ihm in manchen Phasen erlaubt


Besonders die unsichere Bedeutung des Wortes „muss“ im starken AP ist verantwortlich für die unklare Interpretation dieses Prinzips, da es sowohl als Forderung der schlichten logischen Verträglichkeit der Beobachtungsdaten mit der Beobachterexistenz als auch in einem stärkeren teleologischen Sinn gedeutet werden kann. Wegen dieser teleologischen Deutbarkeit des starken AP in dieser Formulierung wird ihm oftmals ein spekulativer und unwissenschaftlicher Charakter vorgeworfen.
Die schwache Version wurde als »Argument aus Mangel an Vorstellungskraft« kritisiert für die Annahme, dass keine anderen Formen von Leben möglich seien. Darüberhinaus könnte es sein, dass der Bereich der [[Naturkonstante]]n, der die Evolution Kohlenstoff basierten Lebens zulässt, weitaus weniger Beschränkungen unterliegt, als behauptet worden ist (Stenger, "Timeless Reality"). Auch die starke Version wurde kritisiert als nicht wissenschaftlich prüfbar bzw. nicht [[Falsifikation|falsifizierbar]] sowie als schlicht unnötig.


1983 betonte Carter, dass das Prinzip in seiner ursprünglichen Form lediglich dazu dienen sollte, [[Astrophysiker]] und [[Kosmologie|Kosmologen]] vor möglichen Fehlern bei der Interpretation von astronomischen und kosmologischen Daten zu warnen, falls biologische Randbedingungen des Beobachters nicht mit einbezogen würden.
Das anthropische Prinzip ist in der Lage zusammen mit Vielweltentheorien (Multiversen) eine Erklärung für die von einigen Kosmologen behauptete Feinabstimmung des Universums - welches Leben demnach erst möglich macht - zu geben. Damit widerspricht das Anthropische Prinzip der Notwendigkeit einer intelligenten, planerischen Schöpfung zur Erklärung dieser Feinabstimmung wie sie zum Beispiel von Verfechtern der Hypothese des ''[[Intelligent Design]]'' <!-- wie heißt das im Deutschen? --> (d.&nbsp;h. intelligente Planung hinter dem Universum) oft behauptet wird. Andererseits wird die Existenz von praktisch unendlich vielen [[Paralleluniversum|Paralleluniversen]] aus anderen Gründen vorgeschlagen und das anthropische Prinzip verleiht dieser Theorie zusätzliche Unterstützung. Unter der Annahme, dass einige mögliche Universen in der Lage wären, intelligentes Leben hervorzubringen, muss es tatsächliche Universen geben, die dies tatsächlich tun, und unseres gehört offensichtlich zu ihnen.


=== John Leslie ===
== Das anthropische kosmologische Prinzip ==
John Leslie betrachtet das anthropische Prinzip als eine [[Tautologie (Logik)|Tautologie]], die benutzt werden kann, um aus empirischen Beobachtungen gültige Schlüsse zu ziehen. Er formuliert das anthropische Prinzip folgendermaßen:


* Jedes intelligente Lebewesen, welches ist, kann sich selbst nur dort vorfinden, wo intelligentes Leben möglich ist.
[[1986]] wurde das kontroverse Buch ''The Anthropic Cosmological Principle'' von [[John Barrow]] and [[Frank Tipler]] veröffentlicht. Darin ebnete Barrow, ein [[Kosmologe]], dem, was er anthropisches Prinzip nannte, den Weg, um eine Form des Umgangs mit den schier unglaublichen Zufällen zu finden, die zu unserer Gegenwart in einem Universum führten, das perfekt auf unsere Existenz eingestellt scheint. Alles vom genauen Energiezustand des [[Elektron]]s bis hin zur Ausprägung der [[schwache Wechselwirkung|schwachen Wechselwirkung]] scheint maßgeschneidert, um unsere Existenz zuzulassen. Wir scheinen in einem Universum zu leben, das von einer Reihe unabhängiger Variablen abhängt, bei denen eine winzige Veränderung ausreichte, es unbewohnbar für jedwede Form von Leben zu machen. Und trotzdem existieren wir. Das anthropische Prinzip behauptet, der Grund warum wir hier seien und diese Fragen überhaupt erwägten, folge aus der Tatsache, dass ''genau'' die richtigen Werte für die Variablen vorlägen. <!-- wer den letzten Satz umformulieren möchte: The anthropic principle states that the reason we are here to ponder this question at all, is due to the fact that ''all'' the correct variables are in place. -->


Der Unterschied zwischen schwachem und starkem AP besteht gemäß Leslie nur darin, dass das schwache AP behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Bereichen innerhalb eines gegebenen Universums vorfinden kann, wo Beobachter überhaupt existieren können, während das starke AP sich auf mehrere Universen (oder auch auf ein einzelnes Universum mit kausal unabhängigen Regionen) bezieht und behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Universen vorfinden kann, in denen die Existenz von Beobachtern möglich ist.
Brandon Carter stellte seine Ideen zum anthropischen Prinzip [[1974]] in einer Publikation der [[Internationale Astronomische Union]] (IAU) vor. Später, im Jahr [[1983]], behauptete er, dass das Prinzip in seiner ursprünglichen Form lediglich dazu dienen sollte, [[Astrophysiker]] und Kosmologen vor möglichen Fehlern bei der Interpretation von astronomischen und kosmologischen Daten zu warnen, falls biologische Randbedingungen des Beobachters nicht miteinbezogen würden. 1983 schloss er darüberhinaus eine Warnung ein, dass genau das Umgekehrte auch für [[Evolutionsbiologe]]n gelte; Carter behauptete, dass bei der Interpretation der Evolutionsgeschichte gleichfalls astrophysikalische Beschränkungen des Prozesses zu beachten seien. Dies im Hinterkopf schloss Carter, dass die Evolutionskette aufgrund des zur Verfügung gestandenen Zeitintervalls vermutlich höchstens ein oder zwei hochgradig unwahrscheinliche Glieder enthalten könne. [[A. Feoli]] und [[S. Rampone]] (''Is the Strong Anthropic Principle Too Weak'', [[1999]]) führten an, dass die geschätzte Größen unseres Universums und der Anzahl der Planeten darin eine höhere Grenze <!-- (als zwei Kettenglieder) --> zuließen, und keinen Beweis für ''[[Intelligent Design]]'' in der Evolution lieferten.


=== Nick Bostrom ===
Der Philosoph [[Nick Bostrom]] äußerte 2002, anthropische Prinzipien klängen vernünftig,<!-- are sound --> aber sie seien zu schwach, um echte wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Er definiert folgende Selbstauswahl-Hypothesen (Self-Sampling Assumptions):


* ''Self Sampling Assumption (SSA)'': Man sollte schlussfolgern, so als ob man eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachter in seiner Referenzklasse wäre.
== Anthropische Voreingenommenheit und anthropisches Schließen <!-- reasoning -->==
* ''Strong Self Sampling Assumption (SSSA)'': Man sollte schlussfolgern, so als ob der gegenwärtige Beobachtungszeitpunkt eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachterzeitpunkte in seiner Referenzklasse wäre.


Die SSA bzw. SSSA erlauben, anders als andere anthropische Prinzipien, den in beobachtbaren Universen möglichen Beobachtungen eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen; gewöhnlich werden solche Universen, in denen bewusste Beobachter nicht existieren können, von der Beobachtung ausgeschlossen, ohne dies zu berücksichtigen. Es ist deshalb eigentlich kein reines anthropisches Prinzip mehr, sondern hat in dieser Beziehung Ähnlichkeiten mit einer von dem Astrophysiker [[Richard Gott]] vorgeschlagenen Synthese aus anthropischem und kopernikanischem Prinzip, dem kopernikanisch-anthropischen Prinzip.<ref name="Gott">Richard J. Gott: ''Implications of the Copernican principle for our future prospects'', Nature, vol. 363, S.&nbsp;315 (1993), {{Webarchiv|text=online |url=http://www-psych.stanford.edu/~jbt/224/Gott_93.pdf |wayback=20130418071905 }} (PDF; 668&nbsp;kB)</ref>
[[Nick Bostrom]] fragte [[2002]]: »Ist es möglich die Kerngedanken des Effekts der [[selektive Wahrnemung|selektiven Wahrnehmung]] in einer einfachen Aussage zusammenzufassen?« Er schloss, dass es so sein könnte, aber dass »viele ›anthropische Prinzipien‹ einfach verworren sind. Manche, besonders jene, die ihre Inspiration von Brandon Carters grundlegenden Arbeiten beziehen, klingen vernünftig <!-- are sound --> … aber sie sind zu schwach, um echte wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Insbesondere behaupte ich, dass es die bestehende [[Methodologie]] nicht erlaubt, irgendwelche beobachtbaren Konsequenzen aus gegenwärtigen kosmologischen Theorien abzuleiten, ungeachtet dessen, dass diese Theorien recht einfach getestet werden können und auch empirisch durch [[Astronom]]en getestet werden. Was nötig ist, um diese methodologische Kluft zu überbrücken, ist eine adäquatere Feststellung, wie Effekte selektiver Wahrnehmung einbezogen werden müssen.« Seine Ansicht zur Selbstbeobachtung (''Self-Sampling Assumption'') ist, »dass man von sich selbst denken sollte, als wäre man ein zufälliger Beobachter aus einer passenden Referenzklasse.« Dies erweitert er zu einem Modell von anthropischer Voreingenommenheit (''anthropic bias'') und anthropischem Schließen (''anthropic reasoning'') unter der Unsicherheit der Unbekanntheit des eigenen Platzes in unserem Universum – oder wer überhaupt »wir« sind. Das könnte auch ein Weg sein, um diverse durch kognitive Voreingenommenheit bestehende Grenzen zu überwinden, die inhärent in den Menschen vorhanden sind, die die Beobachtungen vornehmen und Modelle unseres Universums mittels [[Mathematik]] auszudrücken pflegen.


Diese Selbstauswahl-Hypothesen erweitert Bostrom zu einem Modell von „anthropischer Voreingenommenheit“ (anthropic bias) und anthropischem Schließen (anthropic reasoning). Es berücksichtigt die Unsicherheit bezüglich der Bedeutung der Beobachtung zu gegebenem Beobachtungszeitpunkt im Universum<!-- unter der Unsicherheit der Unbekanntheit des eigenen Platzes in unserem Universum – oder wer überhaupt »wir« sind -->. Das Modell versucht durch kognitive menschliche Voreingenommenheit bestehende Grenzen zu überwinden. Da die exakte Bestimmung der Referenzklasse, d.&nbsp;h. der Klasse aller [[Entität (Philosophie)|Entitäten]], von der sich ein Beobachter vernünftigerweise als zufällig ausgewählt annehmen kann, jedoch in vielen Fällen unsicher ist, hält Bostrom vor allem solche Beweise unter Zuhilfenahme von anthropischen Prinzipien für glaubwürdig, deren Resultate möglichst unabhängig von der Wahl der Referenzklasse sind.
----


== Siehe auch ==
=== John Archibald Wheeler ===
Vom Physiker [[John Archibald Wheeler]] stammt eine Version des AP, welche oft mit dem [[Subjektiver Idealismus|subjektiven Idealismus]] eines [[George Berkeley]] (1685–1753) in Verbindung gebracht wird<ref>J. Wheeler in ''The nature of scientific discovery.'' [[Owen Gingerich]] (editor) Washington Smithsonian Press, 1975; J. Wheeler in ''Foundational Problems in special Sciences'' R. E. Butts, J. Hintikka (editors) Dordrecht, Reidel</ref>.


* Participatory anthropic principle (PAP): Beobachter sind notwendig, um das Universum zu erzeugen.
<!-- *[[Inverse gambler's fallacy]] -->
*[[Big-Bounce-Theorie]]


Insbesondere wird beim PAP ein quantenmechanisches Phänomen, die sogenannte Reduktion der [[Wellenfunktion]] bei der Messung, in Verbindung mit einem Beobachter gebracht. Grob gesprochen wird eine Messung als Beobachtung eines bewussten Wesens interpretiert, und die damit verbundene Reduktion der Wellenfunktion wird als „Realisation“ der Welt in einem definiten Zustand aufgefasst. Der Beobachter wäre demnach ein wesentlicher Bestandteil der physikalischen Beschreibung der Welt; erst durch seine Beobachtung würde die Welt „Realität“ annehmen.
== Literatur ==


Das PAP hängt eng mit einer Interpretation der [[Quantenmechanik]] zusammen, insbesondere mit der sogenannten [[Kopenhagener Deutung]], welche die Reduktion der Wellenfunktion bei der Messung vertritt. So sind neuere Entwicklungen in der Interpretation der Quantenmechanik, die eine objektive Beschreibung des quantenmechanischen Messprozesses in rein quantenmechanischen Begriffen erlauben, also keinen Bezug auf eine klassischen Gesetzen gehorchende Messapparatur wie in der Kopenhagener Deutung nehmen, auch relevant für die Beurteilung des PAPs.
* Reinhard Breuer: ''Das anthropische Prinzip. Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze''. ISBN 3485081310, München: Nymphenburger Verlag, 1996
* John Barrow, Frank Tipler: ''The Anthropic Cosmological Principle''. ISBN: 0192821474, Oxford University Press, 1988.


Diesem Prinzip wird oftmals ein unwissenschaftlich teleologischer Charakter vorgeworfen, so z. B. in der kritischen Betrachtung des PAP von [[John Earman|J. Earman]].<ref>J. Earman: ''The SAP also rises: a critical examination of the anthropic principle'', Philosophical Quarterly 24(4), 307 (1987)</ref>
== Weblinks ==
* [http://www.uni-ulm.de/~phaegele/Feinabstimmung_Physik.pdf Das kosmologische anthropische Prinzip]
* [http://www.klawi.de/anthr.p.htm Anthropisches Prinzip. Die kosmische Feinabstimmung - Zufall oder Schöpfung?]
----


== Fußnote ==
=== Barrow & Tipler ===
1986 veröffentlichten die Physiker [[John D. Barrow]] und [[Frank J. Tipler]] das kontroverse Buch ''The Anthropic Cosmological Principle''. Darin beschrieb Barrow einem anthropischen Prinzip den Weg. Es wollte eine Form des Umgangs mit den schier unglaublichen Zufällen finden, die zu unserer Gegenwart in einem Universum führten. Alles vom genauen Energiezustand des [[Elektron]]s bis hin zur Ausprägung der [[Schwache Wechselwirkung|schwachen Wechselwirkung]] scheint ihm maßgeschneidert, um unsere Existenz zu ermöglichen. Wir leben in einem Universum, das von einer Reihe unabhängiger Variablen abhängt, bei denen eine bereits eine geringe Veränderung ausreicht, um es für alle Lebensformen unbewohnbar zu machen. Und trotzdem existieren wir. Das anthropische Prinzip besagt, dass der Grund, warum wir hier sind und diese Fragen überhaupt erwägen, aus der Tatsache folgt, dass ''alle'' Variablen die richtigen Werte haben.<!-- wer den letzten Satz umformulieren möchte: The anthropic principle states that the reason we are here to ponder this question at all, is due to the fact that ''all'' the correct variables are in place. --> Die beiden Versionen des schwachen und starken anthropischen Prinzips, wie sie von John Barrow und Frank Tipler formuliert wurden, lauten:

* schwaches anthropisches Prinzip (engl. weak anthropic principle, WAP): »Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Größen sind nicht gleich wahrscheinlich, aber sie nehmen Werte an, die beschränkt sind durch die Erfordernisse für die Existenz von Orten, an denen sich kohlenstoffbasiertes Leben entwickeln kann, und durch das Erfordernis, dass das Universum alt genug sein muss, dass dieser Vorgang bereits eingetreten ist.«
* starkes anthropisches Prinzip (engl. strong anthropic principle, SAP): »Das Universum muss so beschaffen sein, dass in ihm die Entwicklung von Leben in einem gewissen Stadium seiner Geschichte ermöglicht wird.«

Darüber hinaus postulierten Barrow und Tipler auch noch ein weiteres, ''Final Anthropic Principle (FAP)'' genanntes, Prinzip, wonach das Universum so aufgebaut ist, dass es in Zukunft mit technologischen Mitteln möglich sein soll, ewiges Leben zu erreichen.

* endgültiges anthropisches Prinzip (Final Anthropic Principle): »Intelligente Informationsverarbeitung muss im Universum entstehen, und, wenn sie einmal entstanden ist, wird sie niemals aussterben«.

Tipler erweiterte 1994 dieses Konzept in seinem Buch ''Die Physik der Unsterblichkeit'' um die [[Omegapunkt]]theorie. Sowohl das Buch als auch die Theorie stoßen allerdings in der Fachwelt im Allgemeinen wegen der vielen äußerst fragwürdigen und hochspekulativen Annahmen auf heftige Kritik und Ablehnung.

== Anwendung von anthropischen Prinzipien ==
=== Entstehung des Lebens ===
Nimmt man die Entstehung des Lebens auf einem vorgegebenen Planeten als sehr unwahrscheinlich an, so wird oft das schwache anthropische Prinzip mit der Annahme eines unendlichen (oder sehr großen) Universums als Möglichkeit betrachtet, die Entstehung des Lebens trotz einiger eventuell lokal unwahrscheinlicher Evolutionsschritte zu erklären. In einem solchen unendlichen (oder sehr großen) Universum würde die pure Anzahl der geeigneten Planeten die Unwahrscheinlichkeit der Entwicklung des Lebens auf einem individuell betrachteten Planeten aufwiegen und Leben müsste demnach praktisch zwangsläufig entstehen.<ref>[[George F. R. Ellis]], Geoffrey Brian Brundrit: ''Life in the infinite universe.'' Royal Astronomical Society, Quarterly Journal, 20, 37–41 (1979), {{bibcode|1979QJRAS..20...37E}}.</ref>

Das anthropische Prinzip lässt Rückschlüsse auf die Evolution zu, beispielsweise schloss B. Carter 1983, dass die [[Evolution]]sgeschichte astrophysikalische Beschränkungen unterliegt.<ref>B. Carter: ''The anthropic principle and its implications for biological evolution.'' Phil. Trans. R. Soc. Lond. A 310, 347–363 (1983)</ref> Das intelligente irdische Leben ist gemäß Evolutionstheorie in rund 4 Milliarden Jahre entstanden und die Lebensdauer der Sonne beträgt rund 10 Milliarden Jahre. Um die lange Entwicklungszeit zu erklären, müsse es mindestens einen, aber nicht mehr als zwei unwahrscheinliche Evolutionsschritte in der Entwicklung intelligenten Lebens geben. Dieses Ergebnis wird oft benutzt, um die Möglichkeit extraterrestrischer Intelligenz im sichtbaren Universum abzuschätzen. Antonio Feoli und Salvatore Rampone führten an<ref>A. Feoli, S. Rampone: ''Is the Strong Anthropic Principle Too Weak'', 1999</ref>, dass, falls die geschätzte Größe unseres sichtbaren Universums und die Anzahl der Planeten darin miteinbezogen wird, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung extraterrestrischer Intelligenz in diesem sichtbaren Universum möglich sei, als es das Ergebnis Carters impliziere.

=== Naturgesetze und Naturkonstanten ===
{{Hauptartikel|Feinabstimmung der Naturkonstanten}}

Auch die Tatsache, dass die Naturgesetze und die [[Physikalische Konstante|Naturkonstanten]] des beobachtbaren Universums überhaupt die notwendigen Eigenschaften und Werte besitzen, um Leben zuzulassen, wird oft mit dem anthropischen Prinzip begründet.

=== Stringtheorie und Multiversen ===
Der Entwicklungsstand der [[Stringtheorie]] bis 2013 beinhaltet die Möglichkeit bis Wahrscheinlichkeit des Nebeneinander-Existierens sehr vieler [[Multiversum|Universen]] mit unterschiedlichen Naturkonstanten und daher auch unterschiedlichen Bedingungen (typische Schätzungen nennen die astronomische Zahl von ca. 10<sup>500</sup>). Sollte sich die Existenz von Multiversen durch Beobachtungen bestätigen lassen, wäre dies ein Argument für die Aussage, eine dieser vielen Welten sei zufällig lebensfreundlich.<ref>Rüdiger Vaas: in ''Bild der Wissenschaft'', Heft 5/2013, S. 54.</ref>

== Kritik ==
In seinem Essay ''[[Das Katastrophenprinzip]]'' (1983) lehnt [[Stanisław Lem]] die Hypothese als [[Fehlschluss]] ab. Genauso gut könnte man ein „[[Chartreuse (Likör)|Chartreuse]] Liqueur Principle“ behaupten, in dem die Anfangsbedingungen des Kosmos die Entstehung eines solchen Likörs bedingten.<ref>{{Literatur |Autor=Stanisław Lem, Friedrich Griese, Stanisław Lem |Titel=Das Katastrophenprinzip: die kreative Zerstörung im Weltall |Auflage=1. Aufl., [Nachdr.] |Verlag=Suhrkamp |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2001 |Reihe=Suhrkamp-Taschenbuch |ISBN=3-518-37499-0 |Seiten=22}}</ref>

== Siehe auch ==
* [[Survivorship Bias]]

== Literatur ==
* [[John D. Barrow]], [[Frank J. Tipler]]: ''The Anthropic Cosmological Principle''. Oxford University Press, 1988, ISBN 0-19-282147-4.
* Nick Bostrom: ''Anthropic Bias: observation selection effects in science and philosophy'' Routledge, ISBN 0-415-93858-9.
* [[Reinhard Breuer]]: ''Das anthropische Prinzip. Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze''. (Erstausgabe Wien: Meyster Verlag, 1981) Nymphenburger Verlag, München 1996, ISBN 3-485-08131-0.
* [[Brandon Carter]]: ''Large Number Coincidences and the Anthropic Principle in Cosmology.'' [[Malcolm Sim Longair]] ed., Confrontation of Cosmological Theories with Observational Data. D.Reidel, Dordrecht 1974.
* [[Herbert W. Franke]]: ''Das P-Prinzip. Naturgesetze im Rechnenden Raum.'' Insel Verlag, Frankfurt 1995, S. 92–105. ISBN 3-458-16656-4.
* [[Bernulf Kanitscheider]]: ''Anthropic Arguments-- are they really explanations?'' In: ''The Anthropic Principle: Proceedings of the Venice Conference on cosmology and Philosophy.'' F. Bertola and U. Curi (editors) Cambridge Univ. Press, 1993, ISBN 978-0521382038.
* Matthias Schleiff: ''Schöpfung, Zufall oder viele Universen? Ein teleologisches Argument aus der Feinabstimmung der Naturkonstanten'' (Collegium Metaphysicum 21), Mohr Siebeck, Tübingen 2020, ISBN 978-3-16-156418-5.
* [[Rüdiger Vaas]]: [https://www.wissenschaft.de/astronomie-physik/ist-uns-das-all-auf-den-leib-geschneidert/ ''Ist uns das All auf den Leib geschneidert?''] In: ''[[Bild der Wissenschaft]].'' Nr. 8, 2006, S. 34–42.
* [[Wolfgang Welsch (Philosoph)|Wolfgang Welsch]]: ''Homo mundanus: Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne.'' Velbrück, Weilerswist 2012, ISBN 978-3-942393-41-6.

== Weblinks ==
{{Wiktionary|anthropisch|Anthropisch}}
* {{Alpha Centauri|84}}
* [http://www.anthropic-principle.com/ Was the Universe made for us?] Nick Bostroms Website über das anthropische Prinzip (englisch)
* {{Webarchiv | url=http://www.akademieforum.de/grenzfragen/open/Grundlagen/Fe_Anthropisch/Federspiel.htm | wayback=20050410021454 | text=Martin Federspiel: ''Ein Universum nur für den Menschen? Das Anthropische Prinzip aus naturwissenschaftlicher Sicht.'' Real-Video, 45 Min.}}
* Ute Kehse: [https://www.wissenschaft.de/astronomie-physik/anthropisches-prinzip-unter-beschuss/ ''Anthropisches Prinzip unter Beschuss.''] Auf: ''wissenschaft.de'' vom 16. November 2006.
* [https://www.eurozine.com/schopfungskrone-und-pflanzenkunst/ Schöpfungskrone und Pflanzenkunst. Der Mensch ist nur so einzigartig wie alle anderen Erdenwesen auch. Was als Einsicht harmlos klingt, ist genau besehen eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte – und ein Ausgangspunkt für neue Kunstformen: Verschmelzen Menschen mit Petunien, sind wir im Zeitalter der Bio-Art"]. Wolfgang Welsch im Gespräch mit [[Jörg Scheller]] über das anthrophische Prinzip auf eurozine.com


== Einzelnachweise ==
¹ Es wurde jedoch bereits früher angewandt, so schrieb z.&nbsp;B. [[1957]] [[R. H. Dicke]]: »Das ›momentane‹ Alter des Universums ist nicht zufällig, sondern wird bestimmt durch biologische Faktoren … [Veränderungen an den Werten fundamentaler physikalischer Konstanten] würden von vornherein die Existenz von Menschen ausschließen, die über das Problem nachdenken könnten.« (R.&nbsp;H. Dicke, ''Principle of Equivalence and Weak Interactions'', Rev. Mod. Phys. 29, S. 355, [[1957]].) Als einer der bedeutendsten Vordenker des anthropischen Prinzips gilt [[Lawrence J. Henderson]] mit seinen Büchern ''The Fitness of the Environment'' (1913) (dt. Titel ''Die Umwelt des Lebens'', 1914) und ''The Order of Nature'' (1917). Der Agnostiker Henderson, der religiöse Betrachtungen generell ablehnte, schlussfolgerte 1913 aus seiner biochemischen Analyse, dass das Universum in seinem eigentlichen Wesen ''biozentrisch'' sei, d. h. auf die Entstehung von Leben ausgerichtet. Noch frühere Darstellungen des Prinzips können in [[Alfred Russel Wallace]]s Buch ''Man's Place in the Universe'' gefunden werden, welches erstmals [[1903]] veröffentlicht wurde. Zum Beispiel: »Ein derart gewaltiges und komplexes Universum wie das, von dem wir wissen, dass es um uns herum existiert, könnte unbedingt notwendig sein … um eine Welt hervorzubringen, die genauestens an jedes Detail zur ordentlichen Entwicklung des im Menschen gipfelnden Lebens angepasst sein sollte.« (S. 256–257 in der Ausgabe von [[1912]]).
<references />


[[Kategorie:Physik]]
[[Kategorie:Kosmologie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]


{{Normdaten|TYP=s|GND=4235980-6}}
[[en:Anthropic principle]]
[[fr:Principe anthropique]]
[[nl:Antropisch principe]]
[[pl:Zasada antropiczna]]

Aktuelle Version vom 21. April 2025, 11:57 Uhr

Das anthropische Prinzip (von griechisch anthropos „Mensch“; kurz AP) ist eine seit den 1970er-Jahren diskutierte Hypothese. Sie besagt, dass das beobachtbare Universum nur deshalb beobachtbar ist, weil es alle Eigenschaften hat, die dem Beobachter ein Leben ermöglichen. Wäre es nicht für die Entwicklung bewusstseinsfähigen Lebens geeignet, so wäre auch niemand da, der es beschreiben könnte.

Entwicklung des Begriffs

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ähnliche Argumentationsstrategien wurden schon länger verwendet. Alfred Russel Wallaces schrieb 1903: »Ein derart gewaltiges und komplexes Universum wie das, von dem wir wissen, dass es um uns herum existiert, könnte unbedingt notwendig sein … um eine Welt hervorzubringen, die genauestens an jedes Detail zur ordentlichen Entwicklung des im Menschen gipfelnden Lebens angepasst sein sollte.«[1]

1957 schrieb Robert Henry Dicke: »Das ›momentane‹ Alter des Universums ist nicht zufällig, sondern wird bestimmt durch biologische Faktoren … [Veränderungen an den Werten fundamentaler physikalischer Konstanten] würden von vornherein die Existenz von Menschen ausschließen, die über das Problem nachdenken könnten.«[2]

Lawrence J. Henderson interpretierte in seinen Büchern The Fitness of the Environment (1913) (dt. Titel Die Umwelt des Lebens, 1914) und The Order of Nature (1917) das anthropische Prinzip teleologisch. Der Agnostiker Henderson, der religiöse Betrachtungen ablehnte, folgerte, dass das Universum in seinem eigentlichen Wesen biozentrisch sei. Seiner Meinung nach sind die Naturgesetze so beschaffen, dass das Universum praktisch auf die Entwicklung von Leben hin ausgerichtet ist.

Brandon Carter verwendet den Begriff „Anthropisches Prinzip“ 1973 auf einer Tagung. Er verknüpft die Eigenschaften des beobachtbaren Universums mit der Notwendigkeit der Existenz eines bewussten Beobachters, der dieses Universum auch zu erkennen vermag. Anthropische Prinzipien, so wie sie in der Naturwissenschaft meist diskutiert werden, sollen „natürliche“ Erklärungsmöglichkeiten für Gegebenheiten im Universum bieten, die für einen Beobachter sehr unwahrscheinlich und deswegen nicht durch Zufall erklärbar erscheinen oder einen ziel- bzw. zweckgerichteten (teleologischen) Eindruck machen.

Varianten des anthropischen Prinzips

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als erste konkrete Formulierung des anthropischen Prinzips gelten einige Passagen in Carters Publikation von 1974:[3]

  • Allgemeines AP: ».. was wir zu beobachten erwarten können, muss eingeschränkt sein durch die Bedingungen, welche für unsere Gegenwart als Beobachter notwendig sind.«
  • Schwaches AP (engl. weak anthropic principle, WAP): ».. wir müssen bereit sein, die Tatsache in Betracht zu ziehen, dass unser Ort im Universum in dem Sinne notwendig privilegiert ist, dass er mit unserer Existenz als Beobachter vereinbar ist.«
  • Starkes AP (engl. strong anthropic principle, SAP): ».. das Universum (und deswegen die fundamentalen Parameter, von welchen es abhängt) muss derart sein, dass es die Entstehung von Beobachtern in ihm in manchen Phasen erlaubt.«

Besonders die unsichere Bedeutung des Wortes „muss“ im starken AP ist verantwortlich für die unklare Interpretation dieses Prinzips, da es sowohl als Forderung der schlichten logischen Verträglichkeit der Beobachtungsdaten mit der Beobachterexistenz als auch in einem stärkeren teleologischen Sinn gedeutet werden kann. Wegen dieser teleologischen Deutbarkeit des starken AP in dieser Formulierung wird ihm oftmals ein spekulativer und unwissenschaftlicher Charakter vorgeworfen.

1983 betonte Carter, dass das Prinzip in seiner ursprünglichen Form lediglich dazu dienen sollte, Astrophysiker und Kosmologen vor möglichen Fehlern bei der Interpretation von astronomischen und kosmologischen Daten zu warnen, falls biologische Randbedingungen des Beobachters nicht mit einbezogen würden.

John Leslie betrachtet das anthropische Prinzip als eine Tautologie, die benutzt werden kann, um aus empirischen Beobachtungen gültige Schlüsse zu ziehen. Er formuliert das anthropische Prinzip folgendermaßen:

  • Jedes intelligente Lebewesen, welches ist, kann sich selbst nur dort vorfinden, wo intelligentes Leben möglich ist.

Der Unterschied zwischen schwachem und starkem AP besteht gemäß Leslie nur darin, dass das schwache AP behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Bereichen innerhalb eines gegebenen Universums vorfinden kann, wo Beobachter überhaupt existieren können, während das starke AP sich auf mehrere Universen (oder auch auf ein einzelnes Universum mit kausal unabhängigen Regionen) bezieht und behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Universen vorfinden kann, in denen die Existenz von Beobachtern möglich ist.

Der Philosoph Nick Bostrom äußerte 2002, anthropische Prinzipien klängen vernünftig, aber sie seien zu schwach, um echte wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Er definiert folgende Selbstauswahl-Hypothesen (Self-Sampling Assumptions):

  • Self Sampling Assumption (SSA): Man sollte schlussfolgern, so als ob man eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachter in seiner Referenzklasse wäre.
  • Strong Self Sampling Assumption (SSSA): Man sollte schlussfolgern, so als ob der gegenwärtige Beobachtungszeitpunkt eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachterzeitpunkte in seiner Referenzklasse wäre.

Die SSA bzw. SSSA erlauben, anders als andere anthropische Prinzipien, den in beobachtbaren Universen möglichen Beobachtungen eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen; gewöhnlich werden solche Universen, in denen bewusste Beobachter nicht existieren können, von der Beobachtung ausgeschlossen, ohne dies zu berücksichtigen. Es ist deshalb eigentlich kein reines anthropisches Prinzip mehr, sondern hat in dieser Beziehung Ähnlichkeiten mit einer von dem Astrophysiker Richard Gott vorgeschlagenen Synthese aus anthropischem und kopernikanischem Prinzip, dem kopernikanisch-anthropischen Prinzip.[4]

Diese Selbstauswahl-Hypothesen erweitert Bostrom zu einem Modell von „anthropischer Voreingenommenheit“ (anthropic bias) und anthropischem Schließen (anthropic reasoning). Es berücksichtigt die Unsicherheit bezüglich der Bedeutung der Beobachtung zu gegebenem Beobachtungszeitpunkt im Universum. Das Modell versucht durch kognitive menschliche Voreingenommenheit bestehende Grenzen zu überwinden. Da die exakte Bestimmung der Referenzklasse, d. h. der Klasse aller Entitäten, von der sich ein Beobachter vernünftigerweise als zufällig ausgewählt annehmen kann, jedoch in vielen Fällen unsicher ist, hält Bostrom vor allem solche Beweise unter Zuhilfenahme von anthropischen Prinzipien für glaubwürdig, deren Resultate möglichst unabhängig von der Wahl der Referenzklasse sind.

John Archibald Wheeler

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vom Physiker John Archibald Wheeler stammt eine Version des AP, welche oft mit dem subjektiven Idealismus eines George Berkeley (1685–1753) in Verbindung gebracht wird[5].

  • Participatory anthropic principle (PAP): Beobachter sind notwendig, um das Universum zu erzeugen.

Insbesondere wird beim PAP ein quantenmechanisches Phänomen, die sogenannte Reduktion der Wellenfunktion bei der Messung, in Verbindung mit einem Beobachter gebracht. Grob gesprochen wird eine Messung als Beobachtung eines bewussten Wesens interpretiert, und die damit verbundene Reduktion der Wellenfunktion wird als „Realisation“ der Welt in einem definiten Zustand aufgefasst. Der Beobachter wäre demnach ein wesentlicher Bestandteil der physikalischen Beschreibung der Welt; erst durch seine Beobachtung würde die Welt „Realität“ annehmen.

Das PAP hängt eng mit einer Interpretation der Quantenmechanik zusammen, insbesondere mit der sogenannten Kopenhagener Deutung, welche die Reduktion der Wellenfunktion bei der Messung vertritt. So sind neuere Entwicklungen in der Interpretation der Quantenmechanik, die eine objektive Beschreibung des quantenmechanischen Messprozesses in rein quantenmechanischen Begriffen erlauben, also keinen Bezug auf eine klassischen Gesetzen gehorchende Messapparatur wie in der Kopenhagener Deutung nehmen, auch relevant für die Beurteilung des PAPs.

Diesem Prinzip wird oftmals ein unwissenschaftlich teleologischer Charakter vorgeworfen, so z. B. in der kritischen Betrachtung des PAP von J. Earman.[6]

Barrow & Tipler

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1986 veröffentlichten die Physiker John D. Barrow und Frank J. Tipler das kontroverse Buch The Anthropic Cosmological Principle. Darin beschrieb Barrow einem anthropischen Prinzip den Weg. Es wollte eine Form des Umgangs mit den schier unglaublichen Zufällen finden, die zu unserer Gegenwart in einem Universum führten. Alles vom genauen Energiezustand des Elektrons bis hin zur Ausprägung der schwachen Wechselwirkung scheint ihm maßgeschneidert, um unsere Existenz zu ermöglichen. Wir leben in einem Universum, das von einer Reihe unabhängiger Variablen abhängt, bei denen eine bereits eine geringe Veränderung ausreicht, um es für alle Lebensformen unbewohnbar zu machen. Und trotzdem existieren wir. Das anthropische Prinzip besagt, dass der Grund, warum wir hier sind und diese Fragen überhaupt erwägen, aus der Tatsache folgt, dass alle Variablen die richtigen Werte haben. Die beiden Versionen des schwachen und starken anthropischen Prinzips, wie sie von John Barrow und Frank Tipler formuliert wurden, lauten:

  • schwaches anthropisches Prinzip (engl. weak anthropic principle, WAP): »Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Größen sind nicht gleich wahrscheinlich, aber sie nehmen Werte an, die beschränkt sind durch die Erfordernisse für die Existenz von Orten, an denen sich kohlenstoffbasiertes Leben entwickeln kann, und durch das Erfordernis, dass das Universum alt genug sein muss, dass dieser Vorgang bereits eingetreten ist.«
  • starkes anthropisches Prinzip (engl. strong anthropic principle, SAP): »Das Universum muss so beschaffen sein, dass in ihm die Entwicklung von Leben in einem gewissen Stadium seiner Geschichte ermöglicht wird.«

Darüber hinaus postulierten Barrow und Tipler auch noch ein weiteres, Final Anthropic Principle (FAP) genanntes, Prinzip, wonach das Universum so aufgebaut ist, dass es in Zukunft mit technologischen Mitteln möglich sein soll, ewiges Leben zu erreichen.

  • endgültiges anthropisches Prinzip (Final Anthropic Principle): »Intelligente Informationsverarbeitung muss im Universum entstehen, und, wenn sie einmal entstanden ist, wird sie niemals aussterben«.

Tipler erweiterte 1994 dieses Konzept in seinem Buch Die Physik der Unsterblichkeit um die Omegapunkttheorie. Sowohl das Buch als auch die Theorie stoßen allerdings in der Fachwelt im Allgemeinen wegen der vielen äußerst fragwürdigen und hochspekulativen Annahmen auf heftige Kritik und Ablehnung.

Anwendung von anthropischen Prinzipien

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entstehung des Lebens

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nimmt man die Entstehung des Lebens auf einem vorgegebenen Planeten als sehr unwahrscheinlich an, so wird oft das schwache anthropische Prinzip mit der Annahme eines unendlichen (oder sehr großen) Universums als Möglichkeit betrachtet, die Entstehung des Lebens trotz einiger eventuell lokal unwahrscheinlicher Evolutionsschritte zu erklären. In einem solchen unendlichen (oder sehr großen) Universum würde die pure Anzahl der geeigneten Planeten die Unwahrscheinlichkeit der Entwicklung des Lebens auf einem individuell betrachteten Planeten aufwiegen und Leben müsste demnach praktisch zwangsläufig entstehen.[7]

Das anthropische Prinzip lässt Rückschlüsse auf die Evolution zu, beispielsweise schloss B. Carter 1983, dass die Evolutionsgeschichte astrophysikalische Beschränkungen unterliegt.[8] Das intelligente irdische Leben ist gemäß Evolutionstheorie in rund 4 Milliarden Jahre entstanden und die Lebensdauer der Sonne beträgt rund 10 Milliarden Jahre. Um die lange Entwicklungszeit zu erklären, müsse es mindestens einen, aber nicht mehr als zwei unwahrscheinliche Evolutionsschritte in der Entwicklung intelligenten Lebens geben. Dieses Ergebnis wird oft benutzt, um die Möglichkeit extraterrestrischer Intelligenz im sichtbaren Universum abzuschätzen. Antonio Feoli und Salvatore Rampone führten an[9], dass, falls die geschätzte Größe unseres sichtbaren Universums und die Anzahl der Planeten darin miteinbezogen wird, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung extraterrestrischer Intelligenz in diesem sichtbaren Universum möglich sei, als es das Ergebnis Carters impliziere.

Naturgesetze und Naturkonstanten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch die Tatsache, dass die Naturgesetze und die Naturkonstanten des beobachtbaren Universums überhaupt die notwendigen Eigenschaften und Werte besitzen, um Leben zuzulassen, wird oft mit dem anthropischen Prinzip begründet.

Stringtheorie und Multiversen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Entwicklungsstand der Stringtheorie bis 2013 beinhaltet die Möglichkeit bis Wahrscheinlichkeit des Nebeneinander-Existierens sehr vieler Universen mit unterschiedlichen Naturkonstanten und daher auch unterschiedlichen Bedingungen (typische Schätzungen nennen die astronomische Zahl von ca. 10500). Sollte sich die Existenz von Multiversen durch Beobachtungen bestätigen lassen, wäre dies ein Argument für die Aussage, eine dieser vielen Welten sei zufällig lebensfreundlich.[10]

In seinem Essay Das Katastrophenprinzip (1983) lehnt Stanisław Lem die Hypothese als Fehlschluss ab. Genauso gut könnte man ein „Chartreuse Liqueur Principle“ behaupten, in dem die Anfangsbedingungen des Kosmos die Entstehung eines solchen Likörs bedingten.[11]

Wiktionary: Anthropisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Man's Place in the Universe, Alfred Russel Wallace, 1903, S. 256–257 in der Ausgabe von 1912
  2. R. H. Dicke, Principle of Equivalence and Weak Interactions, Rev. Mod. Phys. 29, S. 355, 1957
  3. aus B. Carter: „Large Number Coincidences and the Anthropic Principle in Cosmology“ IAUS 63 (1974) 291 übersetzt
  4. Richard J. Gott: Implications of the Copernican principle for our future prospects, Nature, vol. 363, S. 315 (1993), online (Memento vom 18. April 2013 im Internet Archive) (PDF; 668 kB)
  5. J. Wheeler in The nature of scientific discovery. Owen Gingerich (editor) Washington Smithsonian Press, 1975; J. Wheeler in Foundational Problems in special Sciences R. E. Butts, J. Hintikka (editors) Dordrecht, Reidel
  6. J. Earman: The SAP also rises: a critical examination of the anthropic principle, Philosophical Quarterly 24(4), 307 (1987)
  7. George F. R. Ellis, Geoffrey Brian Brundrit: Life in the infinite universe. Royal Astronomical Society, Quarterly Journal, 20, 37–41 (1979), bibcode:1979QJRAS..20...37E.
  8. B. Carter: The anthropic principle and its implications for biological evolution. Phil. Trans. R. Soc. Lond. A 310, 347–363 (1983)
  9. A. Feoli, S. Rampone: Is the Strong Anthropic Principle Too Weak, 1999
  10. Rüdiger Vaas: in Bild der Wissenschaft, Heft 5/2013, S. 54.
  11. Stanisław Lem, Friedrich Griese, Stanisław Lem: Das Katastrophenprinzip: die kreative Zerstörung im Weltall (= Suhrkamp-Taschenbuch). 1. Aufl., [Nachdr.]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-37499-0, S. 22.