„Zigeuner“ – Versionsunterschied
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Mit '''Zigeuner''' wird im deutschen Sprachraum die Gesamtheit der Volksgruppen der [[Sinti und Roma]], der [[Lowara]], der [[Kalderasch]] und der [[Jerli]] bezeichnet. ''Zigeuner'' ist im deutschen Sprachraum zudem die Bezeichnung für einen Angehörigeren dieser Volksgruppen. Die Zigeuner stammen nach verbreiteter Auffassung ursprünglich aus dem indischen Raum und sind im 14./15. Jahrhundert über Nordafrika und den Balkan nach Europa eingewandert. Die Volksgruppen leben bis heute vorwiegend nicht-sesshaft in [[Europa]]. Bis ins 18. Jahrhundert wurde auch [[Fahrendes Volk]] allgemein als "Zigeuner" bezeichnet. Weltweit gibt es etwa 60 Millionen Zigeuner, davon 40 Millionen in Indien. Die Bezeichnung ''Zigeuner'' wird von einigen der unter dem Begriff subsumierten Volksgruppen als diskriminierend abgelehnt. |
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'''Zigeuner''' ([[Substantiv]] ''m. sg.'' und ''pl.'', ''f. sg.'' „Zigeunerin“ und ''f. pl.'' „Zigeunerinnen“<!-- wenn das Wort erstmals 1418 belegt ist, kann es kein mittelhochdeutsches Wort geben. Die Quellen von Lexers Mhd. WB., auf welches sich der Duden offensichtlich beruft, sind gemäss Lexer III 1110 die «Fasnachtsspiele aus dem 15. Jh.», Mones «Altdeutsche Schauspiele» (ebenfalls frühnhd.) und die Basler Chronik aus dem 16. Jh., ergo nichts Mittelhochdeutsches [[Mittelhochdeutsche Sprache|spätmittelhochdeutsch]] ''ze-, zigīner'', Wortherkunft ungeklärt) [https://www.duden.de/rechtschreibung/Zigeuner Duden: Zigeuner. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)] -->) ist im [[Deutscher Sprachraum|deutschen Sprachraum]] in der [[Plural]]form eine historische, im gesellschaftlichen Diskurs der Gegenwart aufgrund ihrer [[Diskriminierung|diskriminierenden]] [[Konnotation]] mehrheitlich als obsolet markierte Bezeichnung der [[Mehrheitsgesellschaft]] für die [[ethnische Minderheit]] der [[Sinti und Roma]]. Die begriffsgeschichtlich seit jeher diffuse Bezeichnung wurde aufgrund [[Stereotyp (Sozialpsychologie)|stereotyper Zuschreibungen]] auch auf andere ethnische oder [[soziale Randgruppe]]n ausgeweitet, die man wegen ihrer Herkunft, ihrer eigenständigen Kultur oder [[Nonkonformismus|nonkonformen]] Lebensweise von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen versuchte. |
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Der Gebrauch der Bezeichnung als [[Schimpfwort]]<ref name="Kluge20">[[Friedrich Kluge]], [[Alfred Götze (Philologe)|Alfred Götze]]: ''[[Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]].'' 20. Auflage. Hrsg. von [[Walther Mitzka]]. De Gruyter, Berlin / New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 884.</ref> sowie die Verwendung der [[Singular]]formen ''(m./f.)'' zur Bezeichnung von Einzelpersonen und die Verwendung von [[Adjektiv]]en wie „zigeunerisch“<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/zigeunerisch Duden: zigeunerisch. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)]</ref> und „zigeunerhaft“<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/zigeunerhaft Duden: zigeunerhaft. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)]</ref> oder [[Verb]]en wie „(herum)zigeunern“<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/zigeunern Duden: zigeunern. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)]</ref> kann sich in informellen Diskursen auch auf Personen beziehen, die nicht zu ethnischen oder sozialen Minderheiten angehören, deren Erscheinungsbild, privates Umfeld oder Lebensstil jedoch mit angeblichen Merkmalen dieser Bevölkerungsgruppen [[Assoziation (Psychologie)|assoziiert]] wird. Auch wenn den Sprechern die diskriminierende Konnotation ihrer nach eigenem Empfinden oftmals nur „scherzhaft“ gemeinten Wortwahl nicht bewusst sein mag, haben solche Äußerungen immer auch eine [[Pejorativum|pejorative]] oder [[Diffamierung|diffamierende Dimension]], denen in [[Kompositum (Grammatik)|Komposita]] wie „Zigeuneraugen“ neben einer [[Rassismus|rassistischen]] zudem eine [[Sexismus|sexistische]] Komponente anhaften kann.<ref>Die sexistische Komponente wird in [[Prosper Mérimée]]s Novelle [[Carmen (Mérimée)|Carmen]] explizit ausformuliert: „Namentlich aber hatten ihre Augen einen wollüstigen und zugleich wilden Ausdruck, den ich in keinem menschlichen Blick je wiedergefunden habe. ‚Zigeunerauge - Wolfsauge‘, sagt eine spanische Redensart, die von feiner Beobachtung zeugt.“ (Prosper Mérimée: ''Carmen''. Rascher, Zürich 1920, S. 28).</ref> |
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Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verloren die Bezeichnung und ihre Ableitungen in Künstlerkreisen, bei einigen [[Intellektueller|Intellektuellen]] und in Teilen des [[Bildungsbürgertum]]s durch das Phänomen der als Gegenentwurf zur Lebensrealität der aufstrebenden Industrienationen entstandenen „Zigeunermode“ ihre explizit negative Konnotation. Die Verklärung eines imaginären, von allen gesellschaftlichen Zwängen freien und angeblich sogar „fröhlichen Zigeunerlebens“ als Idealbild einer [[Individualismus|individualistischen]] Lebensweise und [[Libertarismus|libertären]] Gesinnung durch die Vertreter der „Zigeunerromantik“ vermochte jedoch an den Lebensbedingungen der unter der Bezeichnung „Zigeuner“ subsumierten Bevölkerungsgruppen nur wenig zu ändern. |
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==[[Etymologie]] des Begriffes== |
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[[Bild:Gitanos.jpg|thumb|right|320px|Los Gitanos, Spanien um 1910]] |
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Die Bezeichnung ''"Roma"'' (von Rom = Ehe-Mann; fem. Romni = Frau) wird als Oberbegriff außerhalb des deutschen Sprachraumes und für die weltweite Selbstbezeichnung aller Zigeuner genutzt. Im spezifischen Sinn sind die Roma eine größere Zahl von Volksgruppen, wie z.B. die bereits genannten Lowara oder Kalderasch, die sich untereinander kulturell und sprachlich näher stehen als den überwiegend westeuropäischen [[Sinti]]. |
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Versuche, die Bezeichnung mit positiven Begriffen zu belegen, trugen letztlich nur dazu bei, dem ohnehin diffusen Ausdruck eine weitere Dimension semantischer Unschärfe hinzuzufügen. Diese Unschärfe diente in späteren Diskursen den Befürwortern einer Beibehaltung der Bezeichnung unter anderem als Argument, dass ihr Gebrauch [[Kontext (Sprachwissenschaft)|kontextabhängig]] zu werten sei, da er sowohl positiv als auch negativ gemeint sein könne. |
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Der Ursprung der Bezeichnung ''Zigeuner'' für die Roma ist nicht restlich geklärt. Sie beruht möglicherweise auf einer Verwechslung der Roma mit der Sekte der [[Athinganen]], die im [[Balkan]] stattgefunden haben muss, oder stammt vom [[Persische Sprache|persischen]] Wort ''Ciganch'' (Musiker, Tänzer);am wahrscheinlichsten ist die Etymologie von griech. "athiganos", die "Unberührbaren" als Vertreter einer niederen sozialen Gruppe; auch das persische ''asinkan'' (Schmiede) wird gelegentlich genannt. Die Bezeichnung ist in Deutschland, Italien (''Zingaro''), Portugal (''Cigano''), Teilen Frankreichs (''Tsigane''), Bulgarien (''Циганин''), Griechenland (''τσιγγάνος''), Polen (''Cygan''), Rumänien (''Tigan''), Russland (''Цыган''), Skandinavien (z. B. schwedisch ''zigenare'') und Ungarn (''Tzigane'') verbreitet. Eine weitere Fremdbezeichnung, die in anderen Teilen Europas verwendet wird, ist ''Gitanen'' (siehe [[Roma#Fremdbezeichnungen|Roma->Fremdbezeichnungen]]). |
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Eine auf die angebliche Wertneutralität der Bezeichnung abzielenden Argumentation wird von zahlreichen Interessenvertretungen der Minderheiten und auch Teilen der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt, denn insbesondere in [[Deutschland]] und [[Österreich]] gilt die Bezeichnung „Zigeuner“ als politisch vorbelastet, da sie als Ausdruck eines seit jeher latenten oder offenen [[Antiziganismus]] der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wird, der im 20. Jahrhundert im [[Porajmos]] gipfelte – der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im [[Zeit des Nationalsozialismus|Nationalsozialismus]]. Aus diesem Grund weisen viele Sinti und Roma sowie andere Gruppen, wie die [[Jenische]] die Fremdbezeichnung nicht nur als diskriminierend, sondern auch als sprachliche Manifestation des an ihnen verübten [[Völkermord]]s zurück. |
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Auch ''Gitanos'' von agiptanos, Ägypter, die französische Zigarettenmarke ''Gitane'' nennt sich ebenfalls danach. Englisch ''Gypsy'' ist ebenfalls von egyptian, Ägypter, abgeleitet, wie auch eine zweite griechische Bezeichnung: ''γύφτος''. Grund hierfür ist die frühere Behauptung einiger Zigeuner, aus Ägypten vertrieben worden zu sein. Zu Beginn des 15.Jh. wiesen sie Geleitbriefe Kaiser Sigismunds (aus Lindau und vom 17.4.1423) sowie von Papst Martin V. (1422) vor. Ein Anführer nannte sich Thomas, Graf von Kleinägypten; ein anderer, Herzog Michael von Ägypten, hat von Friedrich III. am 15.4.1442 in Seefeld (Tirol) einen Schutzbrief erhalten. Herzog Andreas von Kleinägypten wies am 15.12.1423 einen - allerdings gefälschten - Geleitbrief von Papst Martin V. vor. |
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Obwohl eine Minderheit der [[Roma]] die Bezeichnung „Zigeuner“ als Alternativ- oder [[Xenonym#Ethnolinguistik|Eigenbezeichnung]] verwendet oder zumindest toleriert,<ref>Arno Frank, Thomas Schmoll: [https://www.spiegel.de/kultur/diskriminierung-von-sinti-und-roma-wir-muessen-aus-dieser-opferrolle-raus-a-ac96bb2b-1dd2-4c21-acc5-b9186363ba55 ''Sinti und Roma. „Wir müssen aus dieser Opferrolle raus.“''] Interview mit Markus Reinhardt und Marko Knudsen auf [[Spiegel Online]] (Abonnement erforderlich).</ref> hat sich im offiziellen Sprachgebrauch und auch in Teilen der Mehrheitsbevölkerung die international als Oberbegriff etablierte Eigenbezeichnung „Roma“ durchgesetzt. |
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In Teilen Norddeutschlands und Skandinaviens findet man auch die Bezeichnung "Tatern", "Tattare" etc. |
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== Namen == |
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Die Bezeichnung "Zigeuner" wird vom deutschen Zentralrat der Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt. In anderen europäischen Ländern wird dies jedoch bei den entsprechenden Begriffen z.T. nicht so gesehen. Wissenschaftlich betrachtet ist die Bezeichnung "Zigeuner" vorzuziehen, da nur sie in allen Sprachen die Gesamtheit aller Stämme bezeichnet. |
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=== Theorien und Thesen zur Etymologie von „Zigeuner“ === |
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Der Name „Zigeuner“, eine Fremdbezeichnung, ist aus [[Italienische Sprache|italienisch]] ''zingaro'' und [[Ungarische Sprache|ungarisch]] ''czigány'' ins Deutsche entlehnt. Er ist in den europäischen Sprachen weit verbreitet (vergleiche etwa französisch {{lang|fr|''tziganes''}}), aber seine Herkunft ist unklar.<ref name="kluge-seebold">''[[Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache|Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]].'' Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, S. 1010 f.</ref> |
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Im Deutschen ist das Wort erstmals als [[frühneuhochdeutsch]] ''Zigeuner'' 1418 in München<ref name= Kluge20 /> und als ''Cigäwnär'' 1422 in einer handschriftlichen Notiz im – allerdings vorwiegend lateinisch geschriebenen – Tagebuch des [[Andreas von Regensburg]]<ref>{{Literatur |Autor=Wilhelm Solms |Titel=Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte |Datum=2008 |ISBN=978-3-8260-3833-4 |Seiten=18 |Online={{Google Buch |BuchID=l-3v2eDQzdsC |Seite=18 |Hervorhebung=Cigani Cingari Secani "quaedam Cingarorum vulgariter Cigäwnär vocitata"}}}}</ref> nachweisbar. |
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===Eigenbezeichnungen nach geographischen Bezügen=== |
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[[Bild:Zigeunerin FR1917.jpg|thumb|right|Tsigane France 1917]] |
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Auch in der jüngeren Literatur – so in [[Wolfgang Pfeifer (Etymologe)|Wolfgang Pfeifers]] ''Etymologischem Wörterbuch des Deutschen''<ref>{{dwds.de |Stichwort=Zigeuner |Abruf=2024-12-19}}</ref> – findet sich die These einer Übernahme der mittelgriechischen Bezeichnung ''[[Athinganen|athingany]]'' für die Anhänger einer [[Gnosis|gnostischen]] Sekte, die vor allem in [[Phrygien]], einer Landschaft im westlichen [[Anatolien]], beheimatet war.<ref>Rüdiger Vossen: ''Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung''. Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, S. 20 f.</ref> Die Bezeichnung ''Athinganoi'' im Sinne des späteren „Zigeuner“ tritt seit dem 12. oder 13. Jahrhundert auf, zuerst mit noch unsicherem Bezug bei [[Theodoros Balsamon]] († nach 1195) für Schlangenbeschwörer und Wahrsager,<ref>George C. Soulis: ''The Gypsies in the Byzantine Empire and the Balkans in the Late Middle Ages''. In: Dumbarton Oaks Papers 15 (1961), S. 141–165, 146–147, zitiert nach Angus M. Fraser: ''The Gypsies.'' Blackwell, Oxford u. a. 1995, S. 46–47.</ref> und dann mit klarem Bezug ''(o toùs kaì Aìgyptíous kaì Athingánous)'' bei [[Gregor II. von Zypern|Gregorios II. Kyprios]] (1283–1289 Patriarch von Konstantinopel).<ref>Viorel Achim: ''The Roma in Romanian History.'' Central European University Press, Bukarest u. a. 2004, S. 9.</ref> Ob auch die Belege des 11. und 12. Jahrhunderts schon die Anwesenheit von Roma in [[Byzantinisches Reich|Byzanz]] bezeugen oder aber auf Wahrsager anderer Provenienz zu beziehen sind, wird dabei in der Forschung diskutiert. |
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*''Sinti'' nach der Provinz Sindh im Nordwesten Indiens |
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*''Macwaya'' nach der serbischen Provinz Macva |
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*''Arlije'', sesshafte, moslemische Roma; ''yerli'' nach einem türkischen Ort |
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*''Manusch'', Frankreich |
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*''Kalé'', Spanien (auch Finnland) |
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*''Luri'', Persien |
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Daneben gibt es eine Herleitung von [[Alttürkische Sprache|alttürkisch]] {{lang|tr|''čïγay''}} mit den Varianten {{lang|tr|''čïγan''}} und {{lang|tr|''čïγany''}} mit der Bedeutung „arm, elend“, vermittelt über das ungarische Wort {{lang|hu|''cigány''}}.<ref>Marek Stachowski: ''Das Ethnonym ‚Zigeuner‘, sein slawisch-türkischer Hintergrund und ungarisch ‚szegény‘.'' In: ''Studia Etymologica Cracoviensia.'' Band 7, 2002, S. 159–169. [https://ruj.uj.edu.pl/server/api/core/bitstreams/bb7c9666-22b0-47b3-b8c1-975166b92374/content PDF (202 kB)]</ref> Laut [[Elmar Seebold]] ist diese Herleitung „semantisch ansprechend, formal problematisch“.<ref name="kluge-seebold" /> |
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===Berufliche Namen=== |
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Der Lübecker Chronist [[Hermann Korner]] behauptete im frühen 15. Jahrhundert, sie würden sich selbst als ''Secani'' bezeichnen,<ref>Hermann Korner: ''Chronica novella.'' Hrsg. von Jakob Schwalm. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1895, S. 409 (Abs. 1285).</ref> was eine latinisierte Form von ''Cigány'' und ähnlich ist. |
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*''Bugurdschi'' = Bohrermacher türk ''Bohrer'' |
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*''Cucara'' = Siebmacher rumän. fur ''Sieb'' |
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*''Kalderash'' = Kupferschmiede rumän. ''caldare'' ''Kessel'' |
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*''Lovara'' = Pferdehändler ungarisch. ''lo'', pl. ''lovak'' für ''Pferd'' |
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*''Sepecides'' = Korbflechter |
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*''Ursari'' = Bärenführer rumän. urs Bär |
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Lediglich auf Lautähnlichkeit beruht eine Herleitung aus dem 19. Jahrhundert, die das Wort auf eine „verstoßene“, die „[[sanskrit]]ische Tochtersprache [[Sindhi]]“ sprechende Bevölkerungsgruppe namens ''Cangar (Tschangar)'' im heutigen [[Punjab (Indien)|Punjab]] in [[Indien]] bezieht.<ref>[[Heinrich von Wlislocki]]: ''Vom wandernden Zigeunervolke. Bilder aus dem Leben der Siebenbürger Zigeuner.'' Hamburg 1890, S. 4.</ref> |
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Im Gegensatz dazu ist ein ''Gadsche'' ein Bauer, Haus- oder Hofbesitzer und ein Nicht-Zigeuner. |
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[[Bild:Gitanos1958.jpg|thumb|right|Los Gitanos 1958]] |
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Die Bezeichnung Zigeuner wird in Deutschland teilweise als [[Diskriminierung|diskriminierend]] betrachtet. Dies rührt einerseits aus einer offenbar noch immer verbreiteten [[Volksetymologie]] her, Zigeuner sei im Mittelalter aus "ziehende Gauner" entstanden, oder der Ähnlichlautung mit "Zieh, Gauner!". Unabhängig davon ist das Wort schlicht durch langen abwertenden Gebrauch negativ konnotiert. Es kann vermutet werden, dass es sich bei der [[Etymologie]] genau umgekehrt zu obiger Volksthese verhält: dass die allgemeine Einstellung gegenüber den Zigeunern zur Bildung des Wortes Gauner führte oder daran beteiligt war (neben einer Abstammung aus dem mittelalterlichen "Jonern" oder "Junern", umherziehenden Spielern), so meint zum Beispiel [[Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant|Avé-Lallemant]]. |
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Die Bezeichnung „Zigeuner“ ist mitunter in der Literatur des 19. Jahrhunderts verballhornend als „Zieh-Gauner“, also „(umher-)ziehender Gauner“ (auch ''pl.'' in der Schreibweise „Ziegäuner“), gedeutet worden, was von dem Autor Theodor Christian Tetzner 1835 in einem von [[Antiziganismus|antiziganistischen]] Ressentiments geprägten Buch mehr belächelt als kritisiert wurde. Dabei bezog sich seine Kritik allein auf die vorgebliche Unbedarftheit der etymologischen Ableitung, nicht jedoch auf deren diffamierenden Charakter.<ref>Theodor Christian Tetzner: ''Geschichte der Zigeuner; ihre Herkunft, Natur und Art.'' 1835. S. 9. ({{Digitalisat |MDZ=10739433 |SZ=23}})</ref> |
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==Vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg== |
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=== Weitere Namen === |
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Zigeuner traten in Westeuropa erstmals ab ca. 1400 hervor. Ihr erstes Auftauchen in Deutschland wird urkundlich 1407 in [[Hildesheim]] erwähnt. |
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In frühneuhochdeutscher Zeit war auch die Bezeichnung ''Tatern'' oder ''Tattare'' bekannt, die eigentlich die [[Tataren]] meint.<ref name="kluge-seebold" /> |
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Auch der Begriff ''Heidenen'' oder ''Heider'' (also „[[Heidentum|Heiden]]“) wurde historisch verwendet.<ref>Stichwort „Zigeuner“ in Meyers Konversationslexikon von 1888</ref> In [[Theodor Storm]]s Werk ''[[Der Schimmelreiter]]'' wurden „Zigeuner“, die von den einheimischen [[Nordfriesen]] geopfert werden sollten, als ''[[Slowaken]]'' bezeichnet. |
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Innerhalb des [[Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation|Heiligen Römischen Reiches]] galten die Zigeuner zunächst als Pilger, die unter dem Schutz kaiserlicher Privilegien reisten und von der Bevölkerung durch [[Almosen]] unterstützt wurden. Doch schon Mitte des 15. Jahrhunderts wurden sie unter Gewaltanwendung aus den Städten vertrieben. |
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Ein weiterer gesamteuropäischer Gruppenname wird von [[Ägypten]] als Herkunftsland hergeleitet. Er wird überwiegend als Ableitung aus dem Ortsnamen ''Gyp(p)e,'' ein Berg auf dem Peloponnes, gedeutet, der seit den 1480er Jahren in mehreren Reiseberichten bezeugt ist. Es habe demnach dort vor der Stadt Modon (heute: Methoni) eine Siedlung namens „klein Egypten“ gegeben. Sie sei von „Egyptianern genant Heyden“ bzw. von „Suyginern“ bewohnt gewesen.<ref>Reimar Gilsenbach: ''Weltchronik der Zigeuner.'' Teil I, 2., korrigierte und ergänzte Auflage, Frankfurt am Main 1997, S. 103, 110 und 114.</ref> In der ersten Periode ihres Auftretens in Europa bezogen Romagruppen sich auf diesen Herkunftsmythos und bezeichneten sich als ägyptische Pilger. Als solche erhielten sie Almosen und Schutzbriefe.<ref>Ines Köhler-Zülch: ''Die verweigerte Herberge: Die heilige Familie in Ägypten und andere Geschichten von „Zigeunern“ Selbstäusserungen oder Aussenbilder?'' In: Jacqueline Giere (Hrsg.): ''Die gesellschaftliche Konstruktion des Zigeuners: zur Genese eines Vorurteils'' (= ''Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts.'' Band 2). Campus, Frankfurt am Main 1966, S. 46–86.</ref> „Ägypter“ wurde zu einer europaweiten mehrheitsgesellschaftlichen Bezeichnung: so [[Spanische Sprache|spanisch]] ''Gitano'', französisch ''Gitan'', [[Englische Sprache|englisch]] ''Gypsy'', griechisch ''γύφτος'' (''gyftos''), serbisch ''cipside'', türkisch ''çingene''.<ref>Vgl. auch [[George Borrow]]: ''The Zincali. An account of the gypsies of Spain.'' (1841; Neuausgabe London 1923).</ref> Der Artikel „Ziegeuner“ in [[Johann Heinrich Zedler]]s [[Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|''Universallexicon'']] – der einflussreichsten deutschsprachigen [[Enzyklopädie]] des 18. Jahrhunderts – bezeichnet „Egyptier“ als den am häufigsten („vornehmlich“) im Deutschen auftretenden Gruppennamen.<ref>{{Zedler Online|62|273|520|544|Ziegeuner}}</ref> |
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Mit anderen wandernden Berufsleuten wie Sängern, [[Spielleute]]n, [[Schausteller]]n, [[Herold]]en und [[Gaukler]]n, [[Quacksalber]]n und [[Chirurg]]en wurden sie als "fahrendes Volk" besonderer Gesetzgebung unterworfen und diskriminiert. Auf einem [[Reichstag (HRR)|Reichstag]] Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Zigeuner für [[vogelfrei]] erklärt. |
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Französische und spanische mehrheitsgesellschaftliche Bezeichnungen sind auch ''bohémiens'' bzw. ''bohemios'' („Böhmen, Böhmische“). Ihre Bedeutung hat sich auf die Angehörigen eines Künstlertums, die ''[[bohème]]'', ausgeweitet, das als abseits bürgerlicher Ordnungsvorstellungen lebend imaginiert wird. |
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Sie schlossen sich in teilweise recht rigiden "Königreichen" zusammen. [[1539]] wurden sie aus Paris vertrieben, [[1563]] erfolgte die Vertreibung aus England unter Androhung der Todesstrafe. |
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== Zum Gebrauch der Fremdbezeichnung in der Mehrheitsgesellschaft == |
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Unter der sesshaften Bevölkerung Europas verbreiteten sich bald Märchen, die Zigeuner entführten Kinder, was die [[Phobie]]n der Menschen weiter schürte und auch dem Hass auf die Zigeuner Vorschub leistete. Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu Übergriffen auf die Zigeuner; Morde waren keine Seltenheit und wurden in der Regel in Tradition der [[Vogelfrei]]heit auch nicht bestraft. |
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„Zigeuner“ ist im deutschen Sprachraum eine [[Xenonym|Fremdbezeichnung]] für Bevölkerungsgruppen, denen in [[Stereotyp (Sozialpsychologie)|Stereotypen]] ausgeprägte, jeweils auffällige, von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Eigenschaften zugeordnet werden. Zwei wesentliche Beschreibungsweisen lassen sich unterscheiden, die in Mischungen auftreten können: |
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* „Zigeuner“ als [[Soziographie|soziografische]] Sammelkategorie für unterschiedliche ethnische und soziale Gruppen, deren Angehörigen eine als unstet, ungebunden, [[Devianz|deviant]] oder [[Delinquenz|delinquent]] beschriebene Lebensweise zugeschrieben wird. Dieses Konzept entstand mit dem Beginn der [[Frühe Neuzeit|Frühen Neuzeit]]. |
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* „Zigeuner“ als [[Ethnie|ethnische]] Gruppe in einem [[Kulturalismus|kulturalistischen]] oder [[Biologismus|biologistischen]] Verständnis. Eine gleichfalls als unstet bis hin zum „Nomadentum“, als ungebunden, deviant oder delinquent beschriebene Lebensweise gilt als unveränderliches Merkmal. Dieses Konzept geht zurück auf die völkerkundlich orientierte „Zigeunerkunde“ des ausgehenden 18. Jahrhunderts und ist bis heute wirksam. Im Rahmen dieses Konzepts wurde und wird „Zigeuner“ als Sammelname auf die Gruppen der Roma bezogen, im Nationalsozialismus exklusiv. |
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Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Perspektive im Sinne von „[[Völkischer Nationalismus|Volk]]“ und „[[Rassentheorie|Rasse]]“, die sich im 19. Jahrhundert zunehmend verfestigte. Zugleich mit einer [[Diskriminierung|diskriminierenden]] kam eine ebenfalls abgrenzende romantisierende Sichtweise auf, die negative Stereotype positiv umwertete. |
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In der zweiten Hälfte des [[18. Jahrhundert]]s hatten sich die meisten sesshaften Europäer immer noch nicht damit abgefunden, dass es auch Menschen gab, die anders lebten. Man versuchte nun, die umherziehenden Zigeuner zu zwingen, sesshaft zu werden. Die Methoden dieser ''humanitären'' Maßnahme waren brutal. So trennte man zum Beispiel mit Gewalt Kinder von ihren Eltern, um sie in ''Um''erziehungsheime zu geben. Im [[19. Jahrhundert]] gab man die erfolglosen Versuche wieder auf. |
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=== „Zigeuner“ und „zigeunerische Lebensform“ === |
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Mit Ende der Leibeigenschaft in [[Rumänien]] suchten nach 1864 viele Zigeuner vom Stamm der Roma ihr Glück im Westen. |
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Obwohl die überwiegende Mehrheit der Roma seit vielen Generationen, in Südosteuropa seit Jahrhunderten und in Mitteleuropa spätestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ortsfest lebt, gilt [[Nomade]]ntum weiterhin mehrheitlich als „zigeunerische Lebensform“. Abweichende Lebensformen einer Minderheit innerhalb der Roma werden in dieser Vorstellung nicht nur fälschlich auf die Gruppe insgesamt verallgemeinert, sondern ihr zudem als biologische oder kulturelle Konstante zugeschrieben.<ref>Vgl. [[Karola Fings]]: ''Rasse: Zigeuner.'' In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): ''„Zigeuner“ und Nation. Repräsentation-Inklusion-Exklusion.'' (= ''Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart'', Bd. 8), Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 273–309, S. 274.</ref> |
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Tatsächlich fanden und finden sich örtlich nicht gebundene Erwerbs- und Lebensweisen quer durch die Jahrhunderte in den unterschiedlichsten Varianten weltweit und innerhalb vieler ansonsten sesshafter Ethnien.<ref>Vergleiche dazu: [http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/dfg/content/pageview/1312540 Arbeit von Hosemann]</ref> Ungeachtet ethnischer, kultureller und sozialer Unterschiedlichkeiten dieser Gruppen wird gelegentlich „ziganische Völker“ als ein Oberbegriff zu „Zigeuner“ verwendet, wobei zugleich Roma kollektiv auf eine mobile minderheitliche Teilgruppe reduziert werden. |
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Während des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] kämpften auch viele Zigeuner auf beiden Seiten. Roma, die kriegsuntauglich waren, wurden zu öffentlichen Arbeiten zwangsverpflichtet. Löhne wurden nur in Naturalien ausbezahlt, wobei die Entlohnung niedriger war als die der übrigen Bevölkerung. Allen wandernden Roma wurden Pferde und Wagen abgenommen. |
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Die Autoren [[Karola Fings]] und [[Ulrich F. Opfermann]] bemerken hierzu: „Vor dem Hintergrund der beiden unterschiedlichen Definitionen spricht die Literatur von einem »doppelten Zigeunerbegriff«. Er ist uneindeutig und widersprüchlich. Mit »Roma« lässt sich »Zigeuner« nicht übersetzen, denn die soziografische Begriffsbestimmung schließt diejenigen Roma aus, die die zugeschriebene Lebensweise real nicht praktizieren, während die ethnische Begriffsbestimmung jene Menschen aus dem »Zigeunertum« ausschließt, die als Nicht-Roma die zugeschriebene »zigeunerische« Lebensweise ebenfalls aufweisen.“<ref>[[Karola Fings]], [[Ulrich F. Opfermann]] (Hrsg.): ''Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung.'' Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77356-2, Glossar S. 356.</ref> „Darüber hinaus kann es problematisch sein, wenn Eigenbezeichnungen nur als eine Art wortwörtlicher Übersetzung der Fremdbezeichnungen verwendet werden – und der Rassismus in einem neuen Gewand fortlebt.“<ref>[[Karola Fings]], [[Ulrich F. Opfermann]] (Hrsg.): ''Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung.'' Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77356-2, Einleitung S. 11.</ref> |
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==Zwischen den Weltkriegen== |
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[[Bild:Center_for_Holocaust_and_Genocide_Studies_germania_1928.jpg|thumb|left|Deutsche Polizei befragt Roma, 1928]] |
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Die Roma wurden erfasst und registriert: durch Personenzählungen, Anlegen von Fotokarteien, und das Nummerieren von Häusern. Schon 1922 erging ein Erlass der [[Burgenland|Burgenländischen]] Landesregierung ([[Österreich]]), dass alle Roma in ihren Heimatgemeinden festzuhalten seien und die Zuwanderung von neuen Gruppen zu verhindern sei. 1925 wurden alle Roma fotografiert. |
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=== 19. und 20. Jahrhundert === |
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1936 wurde in Wien die Internationale Zentralstelle zur Bekämpfung der ''Zigeunerplage'' geschaffen: Ihre erste Aufgabe war, die Roma datenmäßig zu erfassen; im Burgenland wurden bereits Vorarbeiten geleistet: Vor 1938 waren bereits 8.000 Roma über 14 Jahren mit Fingerabdrücken in der Zigeunerkartothek erfasst. Die Grundlage für die systematische Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit war somit schon gegeben. |
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Die Semantik von „Zigeuner“ bewegte sich lange zwischen einem kulturalistisch oder biologisch bestimmten [[völkischer Nationalismus|völkischen]] und einem soziografischen Inhalt. Im zweiten Fall konnten auch Nicht-Roma gemeint sein: So wurde seit dem 19. Jahrhundert gelegentlich das Etikett „weiße Zigeuner“ auf die aus mehrheitsgesellschaftlicher Sicht „nach Zigeunerart lebenden Landfahrer“ und seit etwa 1900 das der „Kulturzigeuner“ auf mehrheitsgesellschaftliche nonkonformistische Künstler („[[Bohemien]]s“)<ref>Anna-Lena Sälzer: ''Arme, Asoziale, Außenseiter. Künstler- und „Zigeuner“-Diskurse von 1900 bis zum Nationalsozialismus.'' In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): ''„Zigeuner“ und Nation. Repräsentation-Inklusion-Exklusion.'' Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 203–230.</ref> angewendet. Die soziografische Zuschreibung beinhaltete gleichwohl nicht anders als die ethnische die Typisierung der Betroffenen als „gemeinschaftsschädlich“ und als „entartet“. |
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Mit dem [[Machtergreifung|Machtantritt]] der Nationalsozialisten wurde der Begriff systematisch „wissenschaftlich“ rassifiziert und im weiteren Verlauf ein Kategoriensystem von „stammechten Zigeunern“, „Zigeunermischlingen“ nach unterschiedlichen Graden der „Blutsmischung“ und „Nichtzigeunern“ nach dem Konzept der [[Nürnberger Gesetze]] konstruiert. ''Zigeuner'' war damit spätestens seit den ausgehenden 1930er Jahren eine von der Rassenforschung und den polizeilichen und sonstigen Verfolgungseinrichtungen ausschließlich ethnisch-biologisch gemeinte Kategorisierung, auf der eine Vielzahl von Ausschließungsvorschriften bis hin zu den [[Deportation#Deportationen während des Nationalsozialismus|Deportationslisten]] für Auschwitz basierten. Deshalb gilt der Begriff heute in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses als kontaminiert. Vor allem die Angehörigen der Minderheit selbst verstehen das Wort gleichsam als Überschrift über eine lange Verfolgungsgeschichte mit dem schließlichen Genozid ([[Porajmos]]).<ref>[[Karola Fings]]: ''Der Weg in den Völkermord''. In: Karola Fings, Ulrich Opfermann (Hrsg.): ''Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen. 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung.'' Paderborn 2012, S. 53–71.</ref> |
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== Nationalsozialismus == |
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== Sprachgebrauch innerhalb der Minderheiten == |
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Während der [[Zeit des Nationalsozialismus]] wurden zahlreiche Sinti und Roma Opfer eines systematischen [[Genozid]]s. |
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Viele der nationalen und internationalen Interessenvertretungen der Roma lehnen die Anwendung der Bezeichnung „Zigeuner“ auf Roma wegen der [[Stigmatisierung|stigmatisierenden]] und rassistischen [[Konnotation]]en ab. Sie sehen das Wort im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte, die im nationalsozialistischen Genozid kulminierte. |
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Bereits 1978 stellte [[Vincent Rose (Bürgerrechtler)|Vincent Rose]], Vorsitzender des damaligen Verbandes der Cinti Deutschlands, anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes fest, dass es „einzig richtig sei, ihn ‚Cinto‘ zu nennen“, da „Zigeuner“ diskriminierend sei.<ref>Gerhard Laaf: ''Ein Siebzigjähriger engagiert sich für die Cinti''. In: Süddeutsche Zeitung, 22. Dezember 1978.</ref> Die in den 1980er Jahren begründeten Interessenvertretungen wie der [[Zentralrat Deutscher Sinti und Roma]], die [[Rom und Cinti Union]] (Hamburg) und die Roma-Union (Frankfurt am Main) oder der jüngere Verband Amaro Drom (Berlin) lehnen die Fremdbezeichnung als rassistisch ab und verweisen dabei auf deren Geschichte.<ref>Zu Amaro Drom siehe die Stellungnahme des Vorsitzenden: {{" |Die größte Beleidigung ist die Bezeichnung ,Zigeuner‘}}. In: taz, 27. Januar 2011, [https://taz.de/Interview-zum-Holocaust-Gedenktag/!5127936/ Onlinefassung].</ref> So auch der in Köln ansässige, von Nichtroma getragene [[Rom (Verein)|Rom e. V.]]<ref>Zur Diskussion der Bezeichnung und der von ihr getragenen Inhalte aus der Sicht unterschiedlicher Verfasser siehe: Unterm Strich. Nachbetrachtungen zum „Zigeunerfestival“ in Köln, in: Nevipe, Nr. 4 – 2012, S. 14–21, in: {{Webarchiv |url=http://www.romev.de/wp-content/uploads/2013/PDF/nevipe_04_2012.pdf |text=Archivierte Kopie |wayback=20131226184641 }}.</ref> |
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Durch gezielte Massentötung in den [[Konzentrationslager]]n sollte das Volk ausgerottet werden. Bereits [[1936]] trafen die ersten Zigeuner im Konzentrationslager Dachau ein. Insgesamt kostete die Nazi-Herrschaft ca. 500.000 Zigeuner das Leben. Sie waren damit zusammen mit anderen Gruppen Opfer des nationalsozialistischen [[Holocaust]]s. [[2004]] soll ein [[Mahnmal]] für die Roma-Opfer des Holocausts in Berlin gebaut werden. |
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Die [[Sinti Allianz Deutschland]] – ein Zusammenschluss von Familien aus den Teilgruppen der Sinti und der [[Lovara]] – akzeptiert die Bezeichnung, obwohl sie sie in ihrem Eigennamen vermeidet. Sie bemisst ihre Verwendbarkeit nach der privaten Sprecherabsicht. Die Mitteilung der Gruppennamen wird von manchen traditionalistischen Sinti – hier ordnet sich die Sinti-Allianz ein – auch als Verstoß gegen das Verbot betrachtet, mit und vor Nichtroma auf Romanes zu kommunizieren, so dass Sprecher es dann vorziehen, auf „Zigeuner“ auszuweichen. Zwischenzeitlich revidierte die Sinti-Allianz ihre Selbstbeschreibung und sprach von sich statt als von einem „Zusammenschluss deutscher Zigeuner“ nunmehr ausschließlich von „Sinti“, „Lovara“, „Roma“ (2013).<ref>Vgl. die alte (jetzt verschobene) mit der neuen HP: [http://deutschezigeuner.blogspot.de/ Ursprungsversion: SAD, Sitz Köln]; {{Webarchiv |url=http://www.sintiallianz.de/ |text=Neuversion: SAD, Sitz Hildesheim |wayback=20150607012645}}.</ref> Eine erneute Revision machte das rückgängig. 2020 heißt es nun wieder, „eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben“.<ref>Nach mit Zitat versehener Auskunft der Zeitschrift ''[[Deutsche Sprachwelt]]'': [https://deutsche-sprachwelt.de/2020/08/sinti-allianz-keine-zensur-von-zigeuner-sossendiskussion-unwuerdig/].</ref> |
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== Gegenwart == |
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[[Bild:Gypsysgalician.jpg|thumb|right|Galicische Zigeuner ca 1912]] |
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Roma leiden auch heute in Europa teilweise noch unter Verfolgung und Diskriminierung, insbesondere im [[Kosovo]], aber auch in anderen osteuropäischen Ländern wie etwa [[Rumänien]] und [[Slowakei]]. Da die Slowakei seit Mai [[2004]] Mitglied der Europäischen Union ist und Rumänien im Jahr [[2007]] wahrscheinlich Mitglied wird, gewinnt das Thema Minderheitenschutz eine größere Bedeutung. Bedingung und Kriterium für die Aufnahme in die Staatengemeinschaft ist die Respektierung der Minderheiten. Im Rumänien arbeitet man zur Zeit an einem Gesetzesentwurf zu diesem Thema. |
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Zur alltäglichen Sprachpraxis stellte eine Ende der 1970er /Anfang der 1980er Jahre entstandene Untersuchung zum rheinischen Schaustellermilieu, in dem vor allem Sinti traditionell eine gewichtige Rolle spielen, fest, dass „von den Zigeunern selbst … das Wort kaum akzeptiert“ werde. „Vielmehr bezeichnen sich die … Vaganten selbst je nach Sippenzugehörigkeit als ''ròm'' ‚Mann, Zigeunermensch‘ … oder als ''sinte'' ‚Zigeuner‘“.<ref>Michael Faber: ''Schausteller. Volkskundliche Untersuchung einer reisenden Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum''. Bonn 1982, 2. durchges. Auflage, S. 24.</ref> |
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==Sprache== |
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Im Rahmen einer Untersuchung zur aktuellen Bildungssituation deutscher Roma, die zwischen 2007 und 2011 durchgeführt wurde und im Umfeld des Zentralrats entstand, wurde auch nach dem Gebrauch der Gruppenbezeichnungen durch Angehörige der Minderheit gefragt. Thematisiert wurden gemäß dem Selbstverständnis des Zentralrats allein die beiden Eigenbezeichnungen ''Roma'' und ''Sinti'', ferner die Fremdbezeichnung ''Zigeuner''. Nicht ganz 95 % der Befragten verwendeten die Eigenbezeichnungen, für 57,5 % war der Fremdbegriff „immer ein Problem“, 14,9 % hatten „kein Problem mit der Verwendung des Zigeuner-Begriffs durch andere“ und weitere 25,7 % fanden, „dass es darauf ankommt, ob dieser Begriff abwertend oder gar als Schimpfwort benutzt wird“. 6,9 % wandten den Zigeunerterminus auf sich selbst an, z. T. neben ''Roma'' oder ''Sinti''.<ref>Michael Klein: ''[https://sinti-roma.com/wp-content/uploads/2014/07/2011_Strauss_Studie_Sinti_Bildung.pdf#page=48 Auswertung von quantitativen Daten zur Erhebung.]'' In: Daniel Strauß (Hrsg.): ''Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma. Dokumentation und Forschungsbericht'', Marburg 2011, S. 17–50, hier S. 10 f., ferner S. 48–50, 99.</ref> Der Kölner Musiker Markus Reinhardt, Großneffe von [[Django Reinhardt]], bezeichnet sich selbst als „deutschen Zigeuner“, und die Begriffe „Sinti und Roma“ hält er für politisch überkorrekt.<ref>Lebna Heising: [https://www.ksta.de/koeln/holocaust-gedenktag-bundestag-ns-opfer-sinti-und-roma-koelner-markus-reinhardt-erzaehlt-726262 ''Mein Opa sagte: Wer hier lebend herauskommt, trifft sich in Köln wieder'']. In: Kölner Stadtanzeiger, 31. Januar 2024</ref> „Es gibt viel mehr Stämme als nur die Sinti und die Roma – wo bleiben die Kalderasch, die Manouche? Zigeuner ist für mich ein Überbegriff für alle.“<ref>Aleksandra Hiltmann: [https://www.derbund.ch/zigeuner-ist-die-richtige-bezeichnung-fuer-mich-342780184640 ''Zigeuner› ist die richtige Bezeichnung für mich. Interview mit Sinti-Geiger Markus Reinhardt.''] In: derbund.ch, 11. September 2020.</ref> |
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Das [[Romanes]] ist die Sprache der Roma und Sinti. Es hat seinen Kern im Sanskrit. Nach Grundwortschatz und grammatikalischem System ist die Sprache der Roma (auch: romani chib) eine neuindoarische (also indogermanische) Sprache. Viele sprechen aber auch verschiedene europäische Sprachen. |
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=== Der Selbstbezeichnungsdiskurs von Jenischen === |
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==Kultur== |
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Die von [[Jenische]]n dominierte und 1975 gegründete Schweizer [[Radgenossenschaft der Landstraße]] verwendete in den ersten beiden Jahrzehnten ihrer Aktivität „Zigeuner“ als Selbstbezeichnung für die Angehörigen „ein[er] gemischte[n] Gemeinschaft von Sinti, Romani und Jenischen“, diese von den „übrigen Fahrenden in der Schweiz, Schausteller[n], Jahrmarkthändler[n], Chilbi[= Kirmes/Kirtag]- und Zirkusleute[n]“ abgrenzend.<ref>''Nicht jeder Fahrende ist ein Zigeuner.'' In: ''Scharotl.'' Jahrgang 17, 1992, Heft 1, S. 21.</ref> 1993 verlangte eine von der Radgenossenschaft initiierte Petition, „die schweizerische Zigeunerische Minderheit offiziell zu <nowiki>[</nowiki>[[sic]]<nowiki>]</nowiki> anerkennen“.<ref>Willi Wottreng, Daniel Huber: ''Die Sterne hängen nicht zu hoch. Zur Anerkennung der Jenischen in der Schweiz und in Europa.'' In: Elisabeth Hussl, Martin Haselwanter, Horst Schreiber (Hrsg.): ''Gaismair-Jahrbuch 2021, «Ohne Maske».'' Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2020, S. 96–102.</ref> Dies wenige Jahre nach der Aufdeckung und Beendigung der Aktion [[Kinder der Landstrasse]], welche diese Gruppe von Menschen Vaganten und Asoziale genannt und der moralischen Idiotie beschuldigt hatte.<ref>Siehe etwa: Walter Leimgruber, Thomas Meier, Roger Sablonier: ''Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse. Historische Studie aufgrund der Akten der Stiftung Pro Juventute im Schweizerischen Bundesarchiv.'' Schweizerisches Bundesarchiv, Bern 1998, ISBN 3-908439-00-0 (Bundesarchiv Dossier 9, PDF; 223 MB).</ref> |
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Seit etwa der Mitte der 1990er Jahre verzichtet die Radgenossenschaft zunehmend sowohl auf das Wort „Zigeuner“ wie auch auf den Ausdruck „Fahrende“ und verlangt die Benennung und Anerkennung gemäß der Selbstbezeichnung „Jenische“. Bereits seit der Mitte der 1980er Jahre zieht sie eine ethnisch definierte Trennlinie zu den Gruppen der Roma und erklärt die jenische Bevölkerungsgruppe zu einem separaten „jenischen Volk“,<ref>Ulrich Opfermann: ''„Die Jenischen und andere Fahrende“. Eine Minderheit begründet sich.'' In: ''Jahrbuch für Antisemitismusforschung.'' Band 19, 2010, S. 126–150.</ref> das als nationale Minderheit 2016 unter der Bezeichnung ''Jenische'' von den staatlichen Behörden anerkannt worden ist. Weiterhin aktiv mit dem Label „Zigeuner“ tritt das Fahrende Zigeuner-Kultur-Zentrum, eine jenische Genossenschaft, mit dem Kulturprogramm ''Zigeuner-Kultur-Tage'' auf.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.moneyhouse.ch/de/company/genossenschaft-fahrendes-zigeuner-kultur-3145801461 |titel=Genossenschaft fahrendes Zigeuner-Kultur-Zentrum |sprache=de |abruf=2024-08-29}}</ref> Verwendet wird der Ausdruck als Selbstbezeichnung im Sachbuch ''Zigeunerhäuptling'' von [[Willi Wottreng]] über den jenischen Präsidenten der Radgenossenschaft, das von der Radgenossenschaft zur Lektüre empfohlen wird.<ref>Willi Wottreng: ''Zigeunerhäuptling. Vom Kind der Landstrasse zum Sprecher der Fahrenden – Das Schicksal des Robert Huber.'' Orell Füssli Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-280-06121-3.</ref> |
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Die Unterscheidung zwischen rein (uzo) und unrein (mahrime) ist von herausragender Bedeutung, von ebenso großer Bedeutung wie die Unterscheidung zwischen Leben und Tod. Glück ist das Grundparadigma. Die Bewahrung und Steigerung des Lebens ist stark akzentuiert. Das Leben an sich gilt als höchster Wert. Aufopferung, mit dem Ziel, andere Werte zu bewahren oder durchzusetzen, ist eine in dieser Gemeinschaft fast fremde Erscheinung. Freiheit und Liebe sind vorrangige Werte, gute Laune und Fröhlichkeit charakteristische Zustände. Musik und Tanz sind die beliebtesten Unterhaltungsarten und nehmen eine herausragende Stellung sowohl in der Kultur wie auch im sozialen Leben dieses Volkes ein. |
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=== Zur historischen Position der Eigenbezeichnungen === |
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==Musik== |
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Die Eigenbezeichnungen waren im deutschsprachigen Raum durch die Schriften von [[Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann]], [[Heinrich von Wlislocki]] und anderer Autoren aus der Frühphase der [[Tsiganologie]] zumindest in den gebildeten Kreisen der Mehrheitsgesellschaft durchaus bekannt, ohne jedoch bis in die 1980er Jahre hinein je in eine nennenswerte Konkurrenz zu ''„Zigeuner“'' getreten zu sein. Sie haben stets eine unbedeutende Randposition gehabt, obwohl bereits 1793 ein Autor anmerkte, es sei „die Frage, wie nennt ein Volk sich selbst, bei historisch-etymologischen Untersuchungen wichtig. Wie also nennen sich die Zigeuner? Mit Recht antwortet man: Roma oder Romma in der mehreren Zahl, Rom in der einfachen.“<ref>Johann Erich Biester: ''Über die Zigeuner; besonders im Königreich Preußen''. In: ''[[Berlinische Monatsschrift]]'', Bd. 21, 1793, S. 108–165, 360–393, hier S. 364 f.</ref> Auch „Sinte“ ist ihm geläufig. „Romni“ ist im regionalen Dialekt belegt.<ref>Werner Wied: ''Von mancherlei wandernden und fahrenden, handelnden und bettelnden Leuten''. In: Gerhard Hippenstiel, Werner Wied (Hrsg.): ''Wittgenstein III. ein Lesebuch zur Volkskunde und Mundart des Wittgensteiner Landes'', Bad Laasphe 1984, S. 493–506, hier S. 502.</ref> [[Gustav Freytag]] erklärte, die „Zigeuner“ würden sich „noch heute Sinte“ nennen, und mit der „[[Romani#Das Wort Romani|romany tschib]]“ verfüge „der Rom, wie er sich selbst nennt“ über eine eigene Sprache.<ref>Gustav Freytag: ''Bilder aus der deutschen Vergangenheit.'' 2. Bd., 1. Abt.: ''Vom Mittelalter zur Neuzeit'', Berlin o. J. (1920), S. 464 ff.</ref> |
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== Fremd- und Eigenbezeichnung im öffentlichen Diskurs der Gegenwart == |
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Das Lied ''Djelem, djelem'' wurde zur Nationalhymne aller Roma erklärt. |
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Bis etwa 1980 wurde in Text und Titel deutschsprachiger Publikationen zum Thema fast ausnahmslos das Wort „Zigeuner“ benutzt. Exemplarisch für die einsetzende Abwendung von der Fremdbezeichnung und für die enge Verbindung von Bürgerrechtsbewegung und Benennungsdiskurs sind das von [[Tilman Zülch]] von der [[Gesellschaft für bedrohte Völker]] im Jahr 1979 herausgegebene Buch ''In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt – zur Situation der Roma (Zigeuner) in Europa'' und ein 1980 von der [[Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit|Friedrich-Naumann-Stiftung]] Bremen herausgegebener Tagungsband ''Sinti in der Bundesrepublik – zur Rechtlosigkeit verurteilt?'' |
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<!--Eigenständigen Interpretationsstil |
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Die Melodien sind auf orientalisch unterlegt, |
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Sie besitzt einen ausgeprägten Rhythmus,--> |
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In Spanien, genauer in Andalusien haben die Zigeuner (''Gitanos'') den [[Flamenco]] stark geprägt. Bedeutende Interpreten sind z. B. Camarón de la Isla ([http://www.terra.es/personal5/camaronleyenda/camaron.htm Weblink]) und José Menese El Agujetas ([http://www.flamenco-world.com/artists/menese/emenes.htm Weblink]). |
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Aus dem Sprachgebrauch deutschsprachiger staatlicher und nichtstaatlicher Verwaltung, der Justiz, großer gesellschaftlicher Institutionen wie der Gewerkschaften oder der Kirchen, internationaler Behörden und der Politik ist der Begriff „Zigeuner“ inzwischen verschwunden. Er wird auch in den Medien kaum noch gebraucht. Eigenbezeichnungen in [[Romani]] wie ''[[Roma]]'' oder ''[[Sinti]]'' haben andere Bedeutungen und andere Konnotationen als die Fremdbezeichnung. Sie lassen sich daher nicht mit ihr gleichsetzen, sondern lösen sie mit eigenständigen Inhalten ab. |
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==Religion== |
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Wenn die Eigenbezeichnungen an die Stelle von ''„Zigeuner“'' traten, so geht dies vor allem auf die Anstrengungen der sich seit den 1970er Jahren organisierenden Roma und Jenischen und ihrer mehrheitsgesellschaftlichen Unterstützer zurück. Die Bürgerrechtsbewegung konfrontierte die Mehrheitsgesellschaft mit den für sie ungewohnten Begriffen, um die gewohnte Sichtweise auf die Minderheit zu verändern. Die Eigenbezeichnungen symbolisieren den Bruch mit der überkommenen mehrheitsgesellschaftlichen Perspektive und für die Anerkennung der Minderheit als einer eigenständigen und sich selbst definierenden Größe. Sie fordern eine nichtdiskriminierende Blickweise von der Mehrheitsgesellschaft ein.<ref>Karola Fings, Ulrich Opfermann: ''Glossar.'' In: ''Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen. 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung.'' Paderborn 2012, S. 337–359, hier S. 350.</ref> |
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Nach Indien und dem Hinduismus wurden sie zuerst von der [[Zarathustra|zoroastrischen]] Lehre in Persien beeinflusst, dann vom Christentum und später auch vom Islam. So existieren heute regional gebunden sowohl muslimische wie christliche Roma und Spuren und Elemente aus verschiedenen Perioden des indischen und altpersischen religiösen Lebens. So bedeutet ''Devel'' in der Sprache der Roma Gott. Ein besonderes Gebiet des Glaubens sind die Geister der Verstorbenen, die ''cohane''. |
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Insgesamt ist „Zigeuner“ im [[Sprachwissenschaft#Öffentlicher Sprachgebrauch, Sprachwandel und Sprachkritik|öffentlichen Sprachgebrauch]], wie Justiz, staatliche und nichtstaatliche Verwaltung, die großen gesellschaftlichen Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen, die nationale Politik oder die Verlautbarungen der internationalen Institutionen ihn repräsentieren, heute nicht mehr nachweisbar (Stand: 2010).<ref>Der Begriff „Zigeuner“ war noch bis in die 1990er Jahre gängige Ausdrucksweise in den Dokumenten der Europäischen Union und ihrer Vorgängerinstitutionen (so etwa in den Entschließungen des Europäischen Parlaments von 1984 und 1994, siehe [[Roma-Politik der Europäischen Union]]).</ref> |
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==Gesellschaftliches Leben, Sitten und Gebräuche== |
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=== Rechtsvorschriften === |
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Der Kris, einer Art Gericht, klären Roma auch heute noch Streitigkeiten innerhalb einer Gruppe. Die "Richter" werden dafür von Fall zu Fall von den Kontrahenten einvernehmlich bestimmt. In der Regel sind das drei bis fünf Personen, die sich in der Vergangenheit durch kluge Urteile einen Namen gemacht haben. Auch Ehen werden durch das Kris bestätigt. Der Älteste unterscheidet sich von den anderen durch seine äußeren Merkmale und Symbole. Er darf einen Bart tragen, hat einen besonders geschmückten Anzug und ein silbernes [[Zepter]] (Symbol des Vorsitzenden bei einer Roma-Gruppe in Rumänien ist ein silberner Becher, Rupuno tahtaj). Wie oben schon erwähnt, waren die Zigeuner |
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Das [[Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz|Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz]] (2006) und die Einrichtung der [[Antidiskriminierungsstelle des Bundes]] (2006) haben Aufmerksamkeit und Sensibilität gerade für alltägliche Formen der Diskriminierung heraufsetzen können.<ref>[http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/recht-und-gehalt/gleichstellung-weniger-tabus-kaum-mehr-rechte-1436342.html ''Gleichstellung. Weniger Tabus, kaum mehr Rechte''.] [u. a. zu „Zigeuner“], in: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ.net]]'', 3. Juli 2007. [http://www.antidiskriminierungsstelle.de/ antidiskriminierungsstelle.de].</ref> Rechtliche Regelungen ermutigen die Betroffenen, dagegen aufzutreten. So erstattete der Verband der Bad Hersfelder Sinti und Roma im Oktober 2009 Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Beleidigung gegen das waldhessische Anzeigenblatt „Klartext“. Der Deutsche Presserat unterstützte ihn mit der Feststellung, „Klartext“ verstoße gegen den Pressekodex. Für den Verband erklärte der studierte Theologe Samson Lind, „wir sind keine Zigeuner, sondern Sinti und Roma“.<ref>{{Webarchiv |url=http://etmcms.de/kreisanzeiger/2009/10/23/anzeige-wegen-volksverhetzung/ |text=Anzeige wegen Volksverhetzung |wayback=20131224112942}}, in: Hersfelder Zeitung/Kreis-Anzeiger, 23. Oktober 2009; siehe auch: {{Webarchiv |url=http://etmcms.de/kreisanzeiger/2009/11/19/lorey-soll-sich-entschuldigen/ |text=Lorey soll sich entschuldigen! |wayback=20131224105856}}, in: Hersfelder Zeitung/Kreis-Anzeiger, 19. November 2009.</ref> |
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über die Jahrhunderte überproportional stark in Kriminalität verstrickt. |
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Eine ähnliche Funktion wie das AGG in Deutschland hat beim Umgang mit der Bezeichnung „Zigeuner“ und den damit verknüpften Inhalten in Österreich das mehrfach novellierte und EU-Richtlinien angepasste Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GBG) von 1993.<ref>Bundes-Gleichbehandlungsgesetz: {{Webarchiv |url=http://www.bka.gv.at/site/5570/default.aspx |text=Archivlink |wayback=20131224102427}}.</ref> Ein Beispiel für die Anwendung des Gesetzes ist die Entscheidung der Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt 2005 gegen ein Schild „Kein Platz für Zigeuner“ eines privaten Campingplatzbetreibers. Sie kam zu dem Schluss, dass das Schild „sowohl diskriminierend als auch belästigend“ sei und dass „der Begriff ‚Zigeuner‘ diskriminierend im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes“ sei.<ref>Romano Centro (Hrsg.): ''Antiziganismus in Österreich. Dokumentation rassistischer Vorfälle gegen Roma/Romnija und Sinti/Sintize.'' Wien 2013, S. 6.</ref> |
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==Bildende Kunst== |
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=== Politik, Verwaltung, gesellschaftliche Institutionen und Gruppen === |
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Berühmte bildende Künstler aus dem Volk der Roma sind die Maler [[Antonia Solario]] (*1495), [[Otto Mueller]] (1874-1930), [[Serge Poliakoff]] (1906-1969), [[Mica Popovic]] (1923-1996), [[Dusan Jovanovic]] (*1949), [[Nikola Dzafo]] (*1950) und [[Bruno Morelli]] (*1957). In dem bosnischen Dorf [[Bara]] bildeten Roma eine Künstlergruppe, die sich [[Naive Kunst|naiver bildender Kunst]] widmete. Zu ihr gehörten die Brüder Ismet, Rifet und Selio Bajramovic. |
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[[Datei:Rosenmontagszug2013.jpg|mini|„Zigeunergruppe“ aus [[Allmendingen (Württemberg)|Allmendingen]] beim Mainzer [[Rosenmontagszug]] 2013]] |
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Nicht zuletzt durch die Initiative des „Zentralrates Deutscher Sinti und Roma“ besteht heute im gesellschaftlich-politischen Diskurs ein Bewusstsein für die negative Bedeutung des Begriffes „Zigeuner“ bis hin zu Diskussionen über die Verwendung von Ausdrücken wie „Zigeunersauce“. Andererseits findet der Begriff immer noch Verwendung, nicht nur im negativen Sinne. So gibt es eine Reihe von Sinti, die daran als positive Selbstbezeichnung festhalten und ihr Selbstverständnis als „stolze Zigeuner“ betonen. Erst in den 1980er Jahren wurde – vor allem durch die entsprechenden Aktivitäten des „Zentralrates Deutscher Sinti und Roma“ – der Begriff „Zigeuner“ durch „Roma“ und „Sinti“ ersetzt. So stieß zum Beispiel auch die frühere Bezeichnung „Katholische Zigeuner- und Nomadenseelsorge in der Bundesrepublik und in West-Berlin“ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz auf Kritik. An dieser Bezeichnung hielt der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, [[Karl Lehmann|Karl Kardinal Lehmann]], der sich an der weltkirchlichen Bezeichnung orientierte, trotz Kritik der Öffentlichkeit sowie der Dienststelle selbst, lange fest. Erst unter [[Reinhard Marx|Reinhard Kardinal Marx]] wurde 2014 entsprechend der spezifischen deutschen Situation und den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragend, die Dienststelle in die „Katholische Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen“ umbenannt, deren besonderes Anliegen heute ist, bei öffentlichen Veranstaltungen auf die negative Konnotation des Begriffes „Zigeuner“ hinzuweisen. |
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Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisierte die Weiterverwendung der Bezeichnung wie die pauschale Darstellung der Roma als „Nomaden“. „Zigeuner“ schüre Vorurteile, weil es eine untrennbar mit rassistischen Zuschreibungen verknüpfe und von Vorurteilen überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft sei, die von den allermeisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend empfunden werde. „Nomaden“ spreche den Menschen ihre Heimatrechte ab. Die Zuschreibung suggeriere, „Zigeuner“ bildeten eine archaische „Stammesgesellschaft“, die in die moderne Umgebungsgesellschaft nicht integrierbar sei. Die Angehörigen der Minderheit seien aber realer Teil der Gesellschaft und nähmen als solche an ihrer Entwicklung teil.<ref>Siehe: [http://www.roma-service.at/dromablog/?p=7368 roma-service.at], [http://volksgruppenv1.orf.at/kroatenungarn/aktuell/stories/88991/ volksgruppen.orf.at volksgruppen.orf.at].</ref> |
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== Weblinks == |
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*http://www.kbk.at/roma/Container/Vortrag-2000-März.htm |
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*[http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/publikat/kronauer_zig_aufs.htm Ulrich Kronauer: ''Bilder vom "Zigeuner" in rechtssprachlichen Quellen und ihre Darstellung im "Deutschen Rechtswörterbuch"''] |
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*[http://www.lpb.bwue.de/publikat/sinti/sinti.htm Landeszentrale für pl. Bildung Baden-Württemberg: ''Zwischen Romantisierung und Rassismus: Sinti und Roma - 600 Jahre in Deutschland''] |
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*http://www.thata.ch/ |
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*[http://www.geocities.com/Paris/5121/patrin.htm Romani Culture] |
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*[http://sca.lib.liv.ac.uk/collections/gypsy/intro.htm Gypsy Collections at the University of Liverpool] |
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*[http://www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/de/rom-de.html SINTI UND ROMA] |
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*[http://www.kath-zigeunerseelsorge.de/lexikon.htm#Anzahl Zigeuner des Lexikons] - Die Roma in Nachschlagewerken |
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2010 beendete die [[Deutsche Bischofskonferenz]] ihre bisherige Praxis und änderte den Namen ihrer Einrichtung in „Katholische Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen“. Der bisherige Name stehe nicht mehr im Einklang mit dem üblichen Sprachgebrauch und werde von Betroffenen als missverständlich oder diskriminierend empfunden.<ref>[http://www.archivioradiovaticana.va/storico/2010/05/11/d_neuer_name_f%C3%BCr_%E2%80%9Ezigeunerseelsorge%E2%80%9C/ted-391860 ''Neuer Name für „Zigeunerseelsorge“''.], Radio Vatikan, 11. Mai 2010.</ref> |
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''Siehe auch:'' [[Portal Südosteuropa]], [[Jenische]], [[Tinker]] |
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Hingegen bezeichnete die [[Katholische Pfadfinderschaft Europas]] den Begriff 2018 in ihrer Fördererzeitschrift ''Pfadfinder Mariens'' lediglich als „angeblich diskriminierend“.<ref>[https://www.kpe.de/wp-content/uploads/2018/04/PM142-2018.pdf#page=8 Guido Becker: ''Ein „fahrender Geselle“ der Gottesmutter.''] In: Pfadfinder Mariens, 1. Tertial 2018, S. 8.</ref> |
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[[Kategorie:Sinti und Roma]] |
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==== Ersatzbezeichnungen im amtlichen Sprachgebrauch ==== |
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[[ca:Gitano]] |
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Nach wie vor zu Kategorie der Fremdbezeichnungen gehören Ersatzbezeichnungen des amtlichen Sprachgebrauchs, die als Reaktion auf die Bezeichnungspraxis des Nationalsozialismus oder aufgrund von internen Sprachregelungen auf Länderebene entstanden. |
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[[cs:Romové]] |
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[[da:Roma (folkeslag)]] |
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Angesichts der Diskreditierung der von den Ordnungsinstanzen geübten Kategorisierungs- und Erfassungspraxis durch den Nationalsozialismus gingen die bundesrepublikanischen Polizeibehörden zu Ersatzbezeichnungen für „Zigeuner“ über. So zu „Landfahrer“: Der 1899 in München eingerichtete zentrale Zigeunernachrichtendienst („[[Zigeunerzentrale]]“, im Nationalsozialismus „Zigeunerpolizeileitstelle“) etwa wurde über den Nationalsozialismus hinaus aufrechterhalten, nun jedoch unter dem neuen Namen „Landfahrerstelle“.<ref>[http://www.zeit.de/1980/17/was-damalsrechtens-war ''Was damals Rechtens war''.] In: ''[[Die Zeit]]'', Nr. 17/1980</ref> |
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[[en:Roma (people)]] |
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[[eo:Cigano]] |
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{{Anker|Mobile ethnische Minderheit}}Ein weiterer „deskriptiver Begriff“ ist „Mobile ethnische Minderheit“, polizeiintern abgekürzt „MIM“.<ref>[https://www.kriminal-lexikon.de/cms/lexikon/47-lexikon-m/1033-mobile-ethnische-minderheit.html Kriminal−Lexikon]; abgerufen am 22. Dezember 2024.</ref> Die der Polizei im amtlichen Sprachgebrauch beispielsweise in [[Baden-Württemberg]] seit 1992 untersagte Bekanntgabe der ethnischen Zugehörigkeit von Verdächtigen in öffentlichen Erklärungen soll nach Aussage der übergeordneten Stellen dazu beitragen „auch im amtlichen Sprachgebrauch die Grundrechte der Menschen, unabhängig von der Zugehörigkeit zu Volksgruppen, in dem vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgegebenen Rahmen zu wahren und zu schützen“.<ref>Kleine Anfrage des Abgeordneten Rolf Wilhelm ([[Die Republikaner]]) und Antwort des Innenministeriums des Landes [[Baden-Württemberg]] zur Bezeichnung „Mobile ethnische Minderheit“ vom 21. Mai 1997, S. 2. {{Webarchiv |url=http://www.landtag-bw.de/wp12/drucksachen/1000/12_1515_d.pdf |text=landtag-bw.de |wayback=20120131102127}} (PDF, 50 kB)</ref> Der Zentralrat der Sinti und Roma warf den Behörden in einer Stellungnahme vom 7. März 2005 hingegen vor, durch die Kennzeichnung von Beschuldigten als „‚angeblich reisende Sippe‘, ‚gewöhnlich umherreisende Personengruppe‘ oder ‚mobile ethnische Minderheit‘“, den „Rassismus in der Bevölkerung“ auf Sinti und Roma zu lenken.<ref>Stellungnahme des Zentralrats der Sinti und Roma vom 7. März 2005, S. 3. [http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_agg_chronologie_anhoerungen/stellungnahme_zentralrat_sinti_roma.pdf (PDF, 123 kB)]; abgerufen am 22. Dezember 2024.</ref> |
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[[es:Gitano]] |
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[[et:Mustlased]] |
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=== Wissenschaftsdiskurs === |
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[[fi:Romanit]] |
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Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch tritt die Bezeichnung mitunter noch auf, wird aber regelmäßig in Anführungszeichen gesetzt oder doch mindestens mit dem Hinweis versehen, als Quellenbegriff, also nicht-affirmativ zitierend, eingesetzt zu werden. Unterschieden wird bei reflektiertem Gebrauch im Fachdiskurs zwischen dem „Begriff ‚Zigeuner‘ als Objekt-Begriff aus der Perspektive der Verfolgungsinstanzen“ und dem „Subjekt-Begriff der Betroffenen“ (2008).<ref>Karola Fings: ''„Rasse: Zigeuner“. Sinti und Roma im Fadenkreuz von Kriminologie und Rassenhygiene 1933–1945''. In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): ''Zigeuner und Nation. Repräsentation – Inklusion – Exklusion'' (= Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 8), Frankfurt am Main et al. 2008, S. 273–309, hier S. 274.</ref> Das Etikett „Zigeuner“ enthalte „ganz unabhängig von den Absichten eines individuellen Sprechers mindestens für den Adressaten eine deutliche Abwertung“. „Abwertung“ sei „der wesentliche Inhalt der Geschichte dieses Begriffs“. Die abwertende Semantik lasse sich nicht aus der Bezeichnung lösen, sie konserviere und tradiere sie (2007).<ref>Ulrich Friedrich Opfermann: ''„Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet.“ Sinti im 17. und 18. Jahrhundert.'' Berlin 2007, S. 32.</ref> |
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[[it:Rom]] |
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[[ja:ロマ]] |
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Dem steht eine auch außerhalb des Wissenschaftsdiskurses (siehe oben) vertretene Auffassung gegenüber, die an der Fremdbezeichnung festhält und in ihren Kritikern „Zigeunerfans“, „Zigeunerfreunde“ oder „unrealistische Gutmenschen“ sieht. So noch 2004 [[Hermann Arnold (Mediziner)|Hermann Arnold]], der im Jahr darauf verstorbene Erbhygieniker und „Zigeunerexperte“ in der Nachfolge des nationalsozialistischen „Zigeunerforschers“ [[Robert Ritter]].<ref>Hermann Arnold, Press Germany topay. ''Der „Sinti und Roma“-Schwindel'', o. O. 2004. Das Manuskript fand keinen Verlag mehr.</ref> Mit anderer Begründung äußerte sich 2005 der Zeithistoriker [[Eberhard Jäckel]]: Abwertend sei „Zigeuner“ – unbeachtlich von Wortgeschichte und semantischem Kontext – dann nicht, wenn es gut gemeint sei.<ref>[https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/denkmal-streit-sinti-roma-oder-zigeuner-1213650.html Eberhard Jäckel: ''Denkmal-Streit''], in: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]]'', 5. Februar 2005.</ref> |
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[[nl:Roma (volk)]] |
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[[pl:Romowie]] |
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Eine auffällige Ausnahme innerhalb des Fachdiskurses bildete bis 2012 die Leipziger Schule der [[Tsiganologie]]. Ihr bekanntester Sprecher, der Ethnologe [[Bernhard Streck]], trug vor, das überkommene Gruppenetikett sei ein „altehrwürdiger Begriff“. Die von ihm vertretene „seriöse Tsiganologie“ habe daher den von ihm als „Umbenennung“ beschriebenen Sprachwandel „nicht mitgemacht.“<ref name="Streck">Bernhard Streck an den Kölner Tsiganologen Rüdiger Benninghaus, 13. April 2004, nach dessen Homepage, Stand: 28. Dezember 2009.</ref> Gleichzeitig legte Streck Wert darauf, sich als „Tsiganologe“ statt als „Zigeunerforscher“ oder „Zigeunerkundler“ bezeichnen zu lassen. Diese Bezeichnungen seien durch die NS-Rassenforschung diskreditiert. Streck und seine Schule vertraten ein dezidiert soziografisches ethnienübergreifendes Konzept, das an den Konstrukten „Dissidenz“ und „Nomadismus“ ausgerichtet ist, sich der Definition verweigert<ref>Olaf Guenther, Henning Schwanke: ''Überrollte Figuren und moderner Kreisverkehr. Bernhard Streck, dem spiritus rector der Leipziger Tsiganologie zu Ehren''. In: ''Blickpunkte'', Nr. 9, August 2010, S. 15. [http://www.uni-leipzig.de/~ftf/blickpunkte/blickpunkte9.pdf PDF (853 kB)]; abgerufen am 20. Dezember 2024.</ref> und als einzige Gemeinsamkeit von gleichermaßen als „Zigeuner“ bezeichneten indigenen Gruppen in Osteuropa, Asien und Afrika, die ethnisch nichts mit Roma zu tun haben, und den Gruppen der Roma ein schillerndes „spannungsreiche[s] Verhältnis zur jeweiligen Mehrheitsgesellschaft“ sieht.<ref>So beispielsweise programmatisch bei der Vorstellung einer Publikation über eine Vielfalt ethnischer Gruppen am Schwarzen Meer: {{Webarchiv |url=http://www.buch.de/buch/15796/761_zigeuner_am_schwarzen_meer.html |text=buch.de |wayback=20130921061500}}.</ref> In der Forschung stößt dieser Ansatz auf scharfe Kritik.<ref>Siehe z. B. Joachim Krauß: ''„Zigeunerkontinuum“ – die Raum und Zeit übergreifende Konstanz in der Beschreibung von Roma in Theorie und Empirie'', in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 18 (2009), S. 161–180.</ref> |
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[[ro:Rromi]] |
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[[sv:Romer]] |
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=== Journalismus === |
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In den deutschsprachigen Medien befindet sich der Begriff inzwischen in einer zunehmend minimalisierten Außenseiterposition. Exemplarisch ausgezählt ergab sich in der [[Die Zeit|''Zeit'']] und der ''[[Die Tageszeitung|Tageszeitung]]'' bereits für den Zeitabschnitt von 1995/96 bis 2003, dass „Roma“ die am häufigsten verwendete Form mit definitiv ethnischem Inhalt war, und dreimal so häufig auftrat wie „Sinti“, während das ethnisch uneindeutige Etikett „Zigeuner“ noch einen Anteil von 20 bis 30 % hatte. |
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Die Zählung in ''Die Zeit'' von 2003 ergab ferner, dass ''„Zigeuner“'' abgesehen von „zitierenden Verwendungen in Reflexionen über das Wort ‚Zigeuner‘“ und abgesehen von der historiografischen Zitierung des Quellenbegriffs überhaupt nur noch in romantisierenden, „positiven“ Verwendungsweisen (in Literatur und Musik) oder im übertragenen Sinn („Leben wie ein Zigeuner“) Verwendung fand.<ref>Thorsten Eitz, Georg Stötzel, ''Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“'' (= ''Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch'', Bd. 2), Hildesheim 2009, S. 599.</ref> |
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In den Jahren 1995 bis 2002 reichte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegen insgesamt 381 Zeitungsartikel Beschwerden beim [[Deutscher Presserat|Deutschen Presserat]] ein, weil allgemein Verdächtigte als „Zigeuner“, „Sinti/Roma“, „Landfahrer“ oder mit anderen synonym verwendeten Markierungen wie „MEM“ (für „mobile ethnische Minderheit“) belegt worden waren. 2003 waren es 51 und 2004 52 Zeitungsartikel.<ref name=stellungnahme>Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, BT-Drs. 15/4538, Anhörung im Deutschen Bundestag – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 7. März 2005; [http://baer.rewi.hu-berlin.de/w/files/lsb_agg_chronologie_anhoerungen/stellungnahme_zentralrat_sinti_roma.pdf PDF (125 kB)].</ref> 2007 erreichten den Presserat 39 Beschwerden.<ref>Parallelbericht zu dem Bericht der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Januar 2007 für das United Nations – Committee on Elimination of Racial Discrimination (CERD) [http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICERD/icerd_state_report_germany_16-18_2006_parallel2_de.pdf].</ref> Bei einem erheblichen Anteil der Zuschreibungen handelte es sich laut Presserat um in ein Medium von anderen Sprechern übernommene nichtaffirmativ gemeinte Zitierungen.<ref name=stellungnahme /> Wie oft dabei von „Zigeunern“ gesprochen wurde, ist nicht bekannt. Jährlich reicht der Zentralrat am 7. Dezember<ref>Am 7. Dezember 1935 verfügte Reichsinnenminister Frick, in Presseberichten und amtlichen Verlautbarungen zu Straftaten oder Verdächtigungen gegenüber Juden und Sinti und Roma stets deren „Rasse“ zu erwähnen.</ref> beim Presserat Beschwerden wegen diskriminierender Darstellungen von Roma ein. 2009 hieß es, sie hätten in den letzten Jahren weiter abgenommen. Von der unerwünschten Verwendung von „Zigeuner“ war nicht mehr die Rede.<ref>Medientagung Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und Deutscher Presserat, 5. November 2009: {{Webarchiv |url=http://zentralrat.sintiundroma.de/content/downloads/presseschau/173.pdf |text=Archivlink |wayback=20131202231428}}</ref> |
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Der mitunter vorgetragenen Befürchtung, „Zigeuner“ scheine sich wieder einzubürgern,<ref>„Antiziganismus ist salonfähig“. Gespräch mit Romani Rose, in: Wolfgang Benz, Sinti: Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin 2014, S. 49–63, hier S. 50.</ref> widersprach 2013 der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, [[Romani Rose]], entschieden. Die Eigenbezeichnungen würden durchweg respektiert, so wie sein Verband nur noch ganz wenige Fälle antiziganistischer Berichterstattung dem Presserat melden müsse. Die gelegentliche „provokative“ Verwendung der Begrifflichkeit wie zum Beispiel 2013 in einem Buchtitel des Autors [[Rolf Bauerdick]] lasse sich nicht verallgemeinern.<ref>„Antiziganismus ist salonfähig“. Gespräch mit Romani Rose, in: Wolfgang Benz, Sinti: Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin 2014, S. 49–63, hier S. 50 f., 62.</ref> |
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=== Vorschläge zur Schriftform der Fremdbezeichnung in Publikationen === |
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Für eine Auseinandersetzung mit historischen Quellen oder Diskriminierungstatbeständen, die die Fremdbezeichnung verwenden, gibt es den Vorschlag, den diskriminierenden Begriff durchgestrichen, also <s>Zigeuner</s>, zu schreiben. Die durchgestrichene Schreibweise erfolgt mit Bezug auf den Philosophen [[Jacques Derrida]], der in seiner [[Grammatologie (Derrida)|Grammatologie]] das Durchstreichen eines Begriffs vorschlägt, um eine gleichzeitige Verwendung und Ablehnung zu ermöglichen, wobei die geschichtlichen und semantischen Bedeutungszuschreibungen sichtbar und in Erinnerung bleiben, ihre Geltung jedoch verneint wird. Für die durchgestrichene Schreibweise anstatt des in Analogie zu [[N-Wort]] gebildeten Begriffs ''Z-Wort'' wurde plädiert, da der Anfangsbuchstabe an den [[Sprache des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Sprachduktus]] erinnere.<ref>{{Internetquelle |autor=Isidora Randjelović |url=https://www.romnja-power.de/wp-content/uploads/2019/07/expertise_randjelovic_rassismus_gegen_rom_nja_vielfalt_mediathek_1.pdf |titel=Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze |hrsg=RomaniPhen Wissensarchiv. 2019 |abruf=08.08.2024}}</ref><ref>Vergl. hierzu als Beispiel für die Verwendung der durchgestrichenen Schreibweise: [[Bundesministerium des Innern und für Heimat]] (Hrsg.): ''Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus''. [https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/bericht-unabhaengige-kommission-Antiziganismus.pdf?__blob=publicationFile&v=5 PDF (16,16 MB)], abgerufen am 20. Dezember 2024.</ref> |
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=== Reaktionen der Wirtschaft === |
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[[Datei:Zigeunerschnitzel (3003670916).jpg|mini|Bei der Umbenennung des „Zigeunerschnitzels“ zu „Paprikaschnitzel“ blieb zumindest hinsichtlich der kulinarischen Qualität alles beim Alten.]] |
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Im Zuge der Antirassismusdebatte nach dem [[Todesfall George Floyd|Tod des Schwarzen George Floyd]] erklärten im August 2020 zwei Lebensmittelhersteller in Österreich, Markennamen zu ändern: Der Knabbergebäckhersteller [[Kelly (Unternehmen)|Kelly’s]] gab an, die nach 6-Speichen-Rädern geformten „Zigeunerräder“ in „Zirkusräder“ umbenennen zu wollen, ohne deren Geschmack zu ändern. [[Knorr (Lebensmittelhersteller)|Knorr]] (Mutterkonzern: [[Unilever]]) benannte die „Zigeunersauce“ neu „Paprikasauce Ungarische Art“.<ref>[https://wien.orf.at/stories/3062487/ ''Kelly’s benennt Zigeunerräder um''], [[ORF.at]], 16. August 2020, abgerufen am 17. August 2020.</ref> |
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=== Fremdenfeindliche Diskurse === |
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Die Abwendung von „Zigeuner“ im politischen und medialen Raum hat eine Ausnahme: Organisationen und Medien am rechten Rand bevorzugen nach wie vor „Zigeuner“ und sehen den Begriff als die politisch korrekte Bezeichnung.<ref>Siehe z. B. die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und die Reaktionen aller anderen Parteien im Juli 2010: [http://endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=5111:101-landtagssitzung-tino-m%C3%BCller-npd-und-die-%E2%80%9Ezigeuner%E2%80%9C&Itemid=358 endstation-rechts.de].</ref> Dabei werden der Minderheit die traditionellen angeblichen Hauptmerkmale „Delinquenz“ und „Nomadisieren“ zugeschrieben. Angewendet wird „Zigeuner“ vor allem auf südosteuropäische Roma, die abzuschieben seien. Dazu gehören auch Zusammensetzungen mit herabsetzender Konnotation wie „Zigeunerlobby“, „Zigeunersippe“ oder „Zigeunerhäuptling“. „Die Jahrhunderte alte Bezeichnung ‚Zigeuner‘“ sei nicht diskriminierend, so für Österreich auch unter Einschluss rechtspopulistischer Medien.<ref>Siehe die Beispiele aus den Zeitschriften ''Die Aula'', ''Fakten'' und ''Zur Zeit'' in: Romano Centro (Hrsg.), Antiziganismus in Österreich. Dokumentation rassistischer Vorfälle gegen Roma/Romnija und Sinti/Sintize, Wien 2013, S. 9.</ref> |
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Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte sind jedoch selbst hier nicht ohne Auswirkung geblieben. Es ist durchaus gelegentlich auch in rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Medien von „Roma“ die Rede oder es wird „Zigeuner“ – „politische Korrektheit vortäuschend“ (so ''Der Standard'' zu einem Aufmacher von ''Die Weltwoche'') – in Anführungszeichen gesetzt.<ref>Siehe z. B. Anna Müller, 89. Landtagssitzung in Sachsen: Rechtsextreme beschwören „Roma-Invasion“, in: Endstation Rechts, 20. Dezember 2013, [http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/landtag-sachsen/artikel/89-landtagssitzung-in-sachsen-rechtsextreme-beschwoeren-roma-invasion.html]; Schweizer „Weltwoche“ empört mit Roma-Artikel, in: Der Standard, 6. April 2012, [http://derstandard.at/1333528600060/Journalistisch-fragwuerdig-Schweizer-Weltwoche-empoert-mit-Roma-Artikel].</ref> |
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=== Die Verwendung des Begriffs im informellen Diskurs === |
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Vom öffentlichen ist der informelle (private) Sprachgebrauch zu unterscheiden. Zwar gibt es keine Langzeituntersuchungen zur Verwendung der Bezeichnung „Zigeuner“ in der alltäglichen Kommunikation innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Bezeichnung mit der ihr anhängenden Konnotationen nach wie vor von Bedeutung ist. |
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So hat der schon aus den 1920er Jahren bekannte,<ref>Siehe [[Michael Zimmermann (Historiker)|Michael Zimmermann]]: ''Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“.'' Hamburg 1996, S. 57.</ref> mutmaßlich aber ältere volksläufige Spruch „Zick, zack, Zigeunerpack“ den Sprachwandel überdauert. Er gehört bis heute zum festen Repertoire deutscher Fußballfans,<ref>Vgl. hierzu: Ronny Blaschke: [https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-dfb-testspiel-in-ungarn-zick-zack-zigeunerpack-1.951619 ''Zick, zack, Zigeunerpack''.] ''[[Süddeutsche Zeitung]]'' vom 28. Mai 2010.</ref> tritt aber (ähnlich wie romantisierend kostümierte Gruppen von „Zigeunern“) auch im Karneval auf. Wiederholt führte der Spruch inzwischen zu Strafanzeigen gegen die Sprecher.<ref>Siehe beispielsweise: {{Webarchiv |url=http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/PANORAMA/Zentralrat-der-Sinti-und-Roma-stellt-Strafantrag-wegen-Hetzparolen-artikel7873557.php |text=Zentralrat der Sinti und Roma stellt Strafantrag wegen Hetzparolen. Vorwurf der Volksverhetzung und Beleidigung gegen Randalierer |wayback=20120312040514}}, in: Freie Presse [Chemnitz], 11. Januar 2012.</ref> |
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Entgegen der sozialen Wirklichkeit der mit der Bezeichnung belegten vielfältigen Minderheiten stehen die abgeleiteten Formen „zigeunern“, auch „herumzigeunern“ bis heute nach der Angabe des [[Duden]] (2014) umgangssprachlich für eine fiktive gemeinschaftliche Lebensweise, die „ungeordnet“, „unstet“, „vagabundierend“, „ohne festen Wohnsitz und richtigen Beruf“ sei.<ref>Duden zu ''„zigeunern“'': [http://www.duden.de/suchen/dudenonline/zigeunern] und ''„herumzigeunern“'': [http://www.duden.de/suchen/dudenonline/herumzigeunern].</ref> |
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==== Neue Sprachregelungen und alte Ressentiments ==== |
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[[Datei:Sebnitz in Sachsen - Form und Farbe - Bilderreise eines Fotografen - Unser Imbißangebot - Zigeuner- Steak - Bild 001.jpg|mini|Die Angebotstafel eines Gastronomiebetriebs in [[Sebnitz]] ([[Sachsen]]) aus dem Jahr 2021 ist symptomatisch für den vielerorts nach wie vor unsensiblen Umgang mit diskriminierenden Bezeichnungen.]] |
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Nach Ergebnisse der Meinungsforschung hatten Ressentiments gegen „Zigeuner“ über die Erfahrung des Nationalsozialismus hinaus auch in den letzten Jahrzehnten immer noch eine feste Position in der Vorstellungswelt der Mehrheitsbevölkerung. |
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Seit Beginn entsprechender Umfragen in den frühen 1960er Jahren zählen die mit der Bezeichnung „Zigeuner“ belegten Minderheiten in der Bundesrepublik zu den unbeliebtesten aller ethnischen Gruppen. |
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Noch 2002 lehnten 58 % der Deutschen nach einer Umfrage von Infratest im Auftrag des [[American Jewish Committee]] „Zigeuner“ als Nachbarn ab.<ref>Brigitte Mihok, Peter Widmann: ''Sinti und Roma als Feindbilder'', in: [http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?guid=QKCP5E bpb.de].</ref> 2011 ergab eine Umfrage des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung 44,2 % Zustimmung für die Behauptung: „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“, und 40,1 % Zustimmung für: „Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“. |
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Nach Meinung der Fragesteller beeinflusst es zwar die Antwort, ob nach der Haltung zu „Zigeunern“ oder zu „Sinti und Roma“ gefragt wird. Jedenfalls aber bleiben die fest mit dem Altbegriff verknüpften Ressentiments auch bei äußerer Anpassung an die Neukonvention vital.<ref>Vergl. hierzu: Markus End: ''Gutachten Antiziganismus. Zum Stand der Forschung und der Gegenstrategien.'' Marburg 2013, S. 15–21.</ref> |
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==== Zur Situation in Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung ==== |
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Politisch und territorial geteilt, blieben die beiden deutschen Staaten sowohl in ihrem Umgang mit den Sinti und Roma als auch im auf diese bezogenen Sprachgebrauch ideologisch weitgehend vereint. Während allerdings die [[Bundesrepublik Deutschland|Bundesrepublik]] den Massenmord der Nazis an den Sinti und Roma 1982 anerkannte, wurde dieser in der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] von offizieller Seite im öffentlichen Diskurs nicht thematisiert. |
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Dass der Jugendroman [[Ede und Unku]] von [[Grete Weiskopf]], der die Geschichte der Freundschaft zwischen dem Arbeiterjungen Ede und der [[Sinti#Etymologie|Sintiza]] Unku erzählt, in der DDR zur Pflichtlektüre an Schulen erklärt wurde, vermochte nichts daran zu ändern, dass die alten, durch die Ideologie und den Sprachgebrauch des Nationalsozialismus zusätzlich verstärkten Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung der DDR weiterhin bestehen blieben.<ref>{{Internetquelle |autor=Corina Kolbe |url=https://www.spiegel.de/geschichte/sinti-in-der-ddr-man-nennt-uns-zigeunerbrut-a-07a05b54-c217-40b5-9d7d-d00f3aeb4869 |titel=Sinti in der DDR: „Man nennt uns Zigeunerbrut“ |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2021-05-25 |abruf=2024-12-20}}</ref> Auch nach der Wiedervereinigung kommen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass die negativen Einstellungen gegenüber Sinti und Roma in den neuen Bundesländern noch ausgeprägter sind, als in der bundesrepublikanischen Gesamtbevölkerung, was sich in informellen Kontexten auch durch einen nach wie vor von alten Ressentiments geprägten Sprachgebrauch niederschlägt.<ref>Vergleiche hierzu die unter Beteiligung von in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern geborenen Roma und Sinti zwischen September 2019–Oktober 2020 von der [[Alice-Salomon-Hochschule Berlin]] unter der Leitung von [[Isidora Randjelović]] und [[Iman Attia]] durchgeführte Untersuchung: ''Studie zu Rassismuserfahrungen von Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland.'' In Auftrag gegeben von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA), gefördert vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. , Berlin, 2020.[https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/UKA/Studie_zu_Rassismuserfahrungen_von_Sinti_zze_und_Rom_nja_in_Deutschland.pdf PDF (4,86 MB, 323 Seiten)]; abgerufen am 23. Dezember 2024.</ref> |
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So bleibt es abzuwarten, ob der teilweise ebenso emotional wie polemisch ausgetragene öffentliche Diskurs über [[politische Korrektheit]] auf der sprachlichen Ebene nachhaltig zu bewirken vermag, im überwiegenden Teil der Mehrheitsgesellschaft „durch eine Bewusstmachung sprachlicher Diskriminierung eine Bewusstmachung tatsächlicher Diskriminierung zu erreichen.“<ref>[[Anatol Stefanowitsch]]: [https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/sprachverbote/ ''Sprachverbote.''] In: ''[[Spektrum.de|SciLogs.spektrum.de]].'' 21. April 2010; abgerufen am 21. Dezember 2024.</ref> |
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== Literatur == |
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* [[Anita Awosusi]] (Hrsg.): ''Stichwort: „Zigeuner“. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien.'' (= ''Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma'', 8). Wunderhorn, Heidelberg 1998, ISBN 3-88423-141-3. |
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* Stephan Bauer: ''Von Dillmanns Zigeunerbuch zum [[Bundeskriminalamt (Deutschland)|BKA]]: 100 Jahre Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland.'' Siedentop, Heidenheim 2008, ISBN 978-3-925887-27-7 (zugleich Dissertation, Universität Osnabrück 2007). |
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* [[Klaus-Michael Bogdal]]: ''Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung.'' Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-42263-2. |
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* [[Hans Richard Brittnacher]]: ''Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst.'' Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1047-6. |
|||
* Alexandra Graevskaia: ''Zigeuner.'' In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, [[Fabian Virchow]] (Hrsg.): ''Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe.'' Wochenschau Verlag, Schwalbach 2015, ISBN 978-3-7344-0155-8, S. 340–354. |
|||
* Stefani Kugler: ''Kunst-Zigeuner. Konstruktionen des „Zigeuners“ in der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts'' (= ''Literatur, Imagination, Realität.'' Band 34). Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2004, ISBN 3-88476-660-0 (zugleich Dissertation, Universität Trier 2003). |
|||
* [[Anja Lobenstein-Reichmann]]: ''Zur Stigmatisierung der „Zigeuner“ in Werken kollektiven Wissens am Beispiel des Grimmschen Wörterbuchs.'' In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): ''„Zigeuner“ und Nation. Repräsentation, Inklusion, Exklusion.'' Frankfurt 2008, ISBN 978-3-631-57996-1, S. 589–629. |
|||
* [[Leo Lucassen]]: ''Zigeuner. Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland 1700–1945.'' Böhlau, Köln 1996, ISBN 3-412-05996-X. |
|||
* Thomas Schares: ''Sprechen über Roma in deutschsprachigen (rumänischen) Medien'' (= ''Kronstädter Beiträge zur Germanistik. Neue Folge.'' Heft 2). Karl Stutz, Passau 2013, ISBN 978-3-88849-162-7, S. 109–128. |
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* Frank Reuter: ''Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Zigeuners“.'' Wallstein, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1578-5. |
|||
* Ramona Mechthilde Treinen, [[Herbert Uerlings]]: ''Vom „unzivilisierten Wandervolk“ zur „diskriminierten Minderheit“: „Zigeuner“ im Brockhaus.'' In ebd., <!-- ??? ??? --> S. 631–696. |
|||
* [[Rüdiger Vossen]], Wolf Dietrich, Michael Faber, Michael Peters (Hrsg.): ''Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung.'' Katalog zur Ausstellung im [[Museum für Völkerkunde Hamburg|Hamburgischen Museum für Völkerkunde]]. Ullstein 1987, ISBN 3-548-34135-7. |
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== Weblinks == |
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{{Wiktionary}} |
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* [[Bundesministerium des Innern und für Heimat]] (Hrsg.): ''Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus''. [https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/bericht-unabhaengige-kommission-Antiziganismus.pdf?__blob=publicationFile&v=5 PDF (16,16 MB)] |
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* {{DNB-Portal|4067777-1}} |
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* {{Literatur |Autor=[[Jörg Kilian]] |Titel=Wörter im Zweifel: Ansätze einer linguistisch begründeten kritischen Semantik |Sammelwerk=Linguistik online |Band=16 |Nummer=4 |Datum=2003-01-06 |Seiten=159–170 |Online=[https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/800 bop.unibe.ch] |Abruf=2020-04-13 |DOI=10.13092/lo.16.800}} |
|||
* [[Rom e. V.]] (Hrsg.): {{Webarchiv |url=https://www.romev.de/wp-content/uploads/2013/PDF/nevipe_04_2012.pdf |text=''Nevipe: Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. Heft 4/2012'' |wayback=20131226184641 |format=PDF;1,4 MB}} |
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* Rüdiger Benninghaus: [https://www.rbenninghaus.de/newspaper-articles2-nevipe.pdf ''Bemerkungen zu „Nevipe – Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V.“ H. 4/2012.''] www.rbenninghaus.de, 3. November 2012 |
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* {{Internetquelle |autor=Rüdiger Benninghaus |url=https://www.rbenninghaus.de/zigeuner-begriff.htm |titel=Betrachtungen zur „political correctness“: „Zigeuner“? – „Sinti und Roma“? |werk=rbenninghaus.de |datum=2023-08-27 |sprache=de |abruf=2021-05-25 |abruf-verborgen=1}} |
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* [[Isidora Randjelović]]: [https://www.vielfalt-mediathek.de/wp-content/uploads/2020/12/expertise_randjelovic_rassismus_gegen_rom_nja_vielfalt_mediathek_1.pdf ''Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze.''] RomaniPhen Wissensarchiv, 2019 |
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* Robert Schlickewitz: [https://www.hagalil.com/2016/11/zigeuner-komposita/ ''Die „Zigeuner“-Komposita im deutschen Lexikon (1935-2016)''.] www.hagalil.com, 21. November 2016 |
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== Einzelnachweise == |
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Aktuelle Version vom 12. Mai 2025, 17:36 Uhr
Zigeuner (Substantiv m. sg. und pl., f. sg. „Zigeunerin“ und f. pl. „Zigeunerinnen“) ist im deutschen Sprachraum in der Pluralform eine historische, im gesellschaftlichen Diskurs der Gegenwart aufgrund ihrer diskriminierenden Konnotation mehrheitlich als obsolet markierte Bezeichnung der Mehrheitsgesellschaft für die ethnische Minderheit der Sinti und Roma. Die begriffsgeschichtlich seit jeher diffuse Bezeichnung wurde aufgrund stereotyper Zuschreibungen auch auf andere ethnische oder soziale Randgruppen ausgeweitet, die man wegen ihrer Herkunft, ihrer eigenständigen Kultur oder nonkonformen Lebensweise von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen versuchte.
Der Gebrauch der Bezeichnung als Schimpfwort[1] sowie die Verwendung der Singularformen (m./f.) zur Bezeichnung von Einzelpersonen und die Verwendung von Adjektiven wie „zigeunerisch“[2] und „zigeunerhaft“[3] oder Verben wie „(herum)zigeunern“[4] kann sich in informellen Diskursen auch auf Personen beziehen, die nicht zu ethnischen oder sozialen Minderheiten angehören, deren Erscheinungsbild, privates Umfeld oder Lebensstil jedoch mit angeblichen Merkmalen dieser Bevölkerungsgruppen assoziiert wird. Auch wenn den Sprechern die diskriminierende Konnotation ihrer nach eigenem Empfinden oftmals nur „scherzhaft“ gemeinten Wortwahl nicht bewusst sein mag, haben solche Äußerungen immer auch eine pejorative oder diffamierende Dimension, denen in Komposita wie „Zigeuneraugen“ neben einer rassistischen zudem eine sexistische Komponente anhaften kann.[5]
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verloren die Bezeichnung und ihre Ableitungen in Künstlerkreisen, bei einigen Intellektuellen und in Teilen des Bildungsbürgertums durch das Phänomen der als Gegenentwurf zur Lebensrealität der aufstrebenden Industrienationen entstandenen „Zigeunermode“ ihre explizit negative Konnotation. Die Verklärung eines imaginären, von allen gesellschaftlichen Zwängen freien und angeblich sogar „fröhlichen Zigeunerlebens“ als Idealbild einer individualistischen Lebensweise und libertären Gesinnung durch die Vertreter der „Zigeunerromantik“ vermochte jedoch an den Lebensbedingungen der unter der Bezeichnung „Zigeuner“ subsumierten Bevölkerungsgruppen nur wenig zu ändern.
Versuche, die Bezeichnung mit positiven Begriffen zu belegen, trugen letztlich nur dazu bei, dem ohnehin diffusen Ausdruck eine weitere Dimension semantischer Unschärfe hinzuzufügen. Diese Unschärfe diente in späteren Diskursen den Befürwortern einer Beibehaltung der Bezeichnung unter anderem als Argument, dass ihr Gebrauch kontextabhängig zu werten sei, da er sowohl positiv als auch negativ gemeint sein könne.
Eine auf die angebliche Wertneutralität der Bezeichnung abzielenden Argumentation wird von zahlreichen Interessenvertretungen der Minderheiten und auch Teilen der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt, denn insbesondere in Deutschland und Österreich gilt die Bezeichnung „Zigeuner“ als politisch vorbelastet, da sie als Ausdruck eines seit jeher latenten oder offenen Antiziganismus der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen wird, der im 20. Jahrhundert im Porajmos gipfelte – der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Aus diesem Grund weisen viele Sinti und Roma sowie andere Gruppen, wie die Jenische die Fremdbezeichnung nicht nur als diskriminierend, sondern auch als sprachliche Manifestation des an ihnen verübten Völkermords zurück.
Obwohl eine Minderheit der Roma die Bezeichnung „Zigeuner“ als Alternativ- oder Eigenbezeichnung verwendet oder zumindest toleriert,[6] hat sich im offiziellen Sprachgebrauch und auch in Teilen der Mehrheitsbevölkerung die international als Oberbegriff etablierte Eigenbezeichnung „Roma“ durchgesetzt.
Namen
Theorien und Thesen zur Etymologie von „Zigeuner“
Der Name „Zigeuner“, eine Fremdbezeichnung, ist aus italienisch zingaro und ungarisch czigány ins Deutsche entlehnt. Er ist in den europäischen Sprachen weit verbreitet (vergleiche etwa französisch tziganes), aber seine Herkunft ist unklar.[7]
Im Deutschen ist das Wort erstmals als frühneuhochdeutsch Zigeuner 1418 in München[1] und als Cigäwnär 1422 in einer handschriftlichen Notiz im – allerdings vorwiegend lateinisch geschriebenen – Tagebuch des Andreas von Regensburg[8] nachweisbar.
Auch in der jüngeren Literatur – so in Wolfgang Pfeifers Etymologischem Wörterbuch des Deutschen[9] – findet sich die These einer Übernahme der mittelgriechischen Bezeichnung athingany für die Anhänger einer gnostischen Sekte, die vor allem in Phrygien, einer Landschaft im westlichen Anatolien, beheimatet war.[10] Die Bezeichnung Athinganoi im Sinne des späteren „Zigeuner“ tritt seit dem 12. oder 13. Jahrhundert auf, zuerst mit noch unsicherem Bezug bei Theodoros Balsamon († nach 1195) für Schlangenbeschwörer und Wahrsager,[11] und dann mit klarem Bezug (o toùs kaì Aìgyptíous kaì Athingánous) bei Gregorios II. Kyprios (1283–1289 Patriarch von Konstantinopel).[12] Ob auch die Belege des 11. und 12. Jahrhunderts schon die Anwesenheit von Roma in Byzanz bezeugen oder aber auf Wahrsager anderer Provenienz zu beziehen sind, wird dabei in der Forschung diskutiert.
Daneben gibt es eine Herleitung von alttürkisch čïγay mit den Varianten čïγan und čïγany mit der Bedeutung „arm, elend“, vermittelt über das ungarische Wort cigány.[13] Laut Elmar Seebold ist diese Herleitung „semantisch ansprechend, formal problematisch“.[7]
Der Lübecker Chronist Hermann Korner behauptete im frühen 15. Jahrhundert, sie würden sich selbst als Secani bezeichnen,[14] was eine latinisierte Form von Cigány und ähnlich ist.
Lediglich auf Lautähnlichkeit beruht eine Herleitung aus dem 19. Jahrhundert, die das Wort auf eine „verstoßene“, die „sanskritische Tochtersprache Sindhi“ sprechende Bevölkerungsgruppe namens Cangar (Tschangar) im heutigen Punjab in Indien bezieht.[15]
Die Bezeichnung „Zigeuner“ ist mitunter in der Literatur des 19. Jahrhunderts verballhornend als „Zieh-Gauner“, also „(umher-)ziehender Gauner“ (auch pl. in der Schreibweise „Ziegäuner“), gedeutet worden, was von dem Autor Theodor Christian Tetzner 1835 in einem von antiziganistischen Ressentiments geprägten Buch mehr belächelt als kritisiert wurde. Dabei bezog sich seine Kritik allein auf die vorgebliche Unbedarftheit der etymologischen Ableitung, nicht jedoch auf deren diffamierenden Charakter.[16]
Weitere Namen
In frühneuhochdeutscher Zeit war auch die Bezeichnung Tatern oder Tattare bekannt, die eigentlich die Tataren meint.[7]
Auch der Begriff Heidenen oder Heider (also „Heiden“) wurde historisch verwendet.[17] In Theodor Storms Werk Der Schimmelreiter wurden „Zigeuner“, die von den einheimischen Nordfriesen geopfert werden sollten, als Slowaken bezeichnet.
Ein weiterer gesamteuropäischer Gruppenname wird von Ägypten als Herkunftsland hergeleitet. Er wird überwiegend als Ableitung aus dem Ortsnamen Gyp(p)e, ein Berg auf dem Peloponnes, gedeutet, der seit den 1480er Jahren in mehreren Reiseberichten bezeugt ist. Es habe demnach dort vor der Stadt Modon (heute: Methoni) eine Siedlung namens „klein Egypten“ gegeben. Sie sei von „Egyptianern genant Heyden“ bzw. von „Suyginern“ bewohnt gewesen.[18] In der ersten Periode ihres Auftretens in Europa bezogen Romagruppen sich auf diesen Herkunftsmythos und bezeichneten sich als ägyptische Pilger. Als solche erhielten sie Almosen und Schutzbriefe.[19] „Ägypter“ wurde zu einer europaweiten mehrheitsgesellschaftlichen Bezeichnung: so spanisch Gitano, französisch Gitan, englisch Gypsy, griechisch γύφτος (gyftos), serbisch cipside, türkisch çingene.[20] Der Artikel „Ziegeuner“ in Johann Heinrich Zedlers Universallexicon – der einflussreichsten deutschsprachigen Enzyklopädie des 18. Jahrhunderts – bezeichnet „Egyptier“ als den am häufigsten („vornehmlich“) im Deutschen auftretenden Gruppennamen.[21]
Französische und spanische mehrheitsgesellschaftliche Bezeichnungen sind auch bohémiens bzw. bohemios („Böhmen, Böhmische“). Ihre Bedeutung hat sich auf die Angehörigen eines Künstlertums, die bohème, ausgeweitet, das als abseits bürgerlicher Ordnungsvorstellungen lebend imaginiert wird.
Zum Gebrauch der Fremdbezeichnung in der Mehrheitsgesellschaft
„Zigeuner“ ist im deutschen Sprachraum eine Fremdbezeichnung für Bevölkerungsgruppen, denen in Stereotypen ausgeprägte, jeweils auffällige, von der Mehrheitsbevölkerung abweichende Eigenschaften zugeordnet werden. Zwei wesentliche Beschreibungsweisen lassen sich unterscheiden, die in Mischungen auftreten können:
- „Zigeuner“ als soziografische Sammelkategorie für unterschiedliche ethnische und soziale Gruppen, deren Angehörigen eine als unstet, ungebunden, deviant oder delinquent beschriebene Lebensweise zugeschrieben wird. Dieses Konzept entstand mit dem Beginn der Frühen Neuzeit.
- „Zigeuner“ als ethnische Gruppe in einem kulturalistischen oder biologistischen Verständnis. Eine gleichfalls als unstet bis hin zum „Nomadentum“, als ungebunden, deviant oder delinquent beschriebene Lebensweise gilt als unveränderliches Merkmal. Dieses Konzept geht zurück auf die völkerkundlich orientierte „Zigeunerkunde“ des ausgehenden 18. Jahrhunderts und ist bis heute wirksam. Im Rahmen dieses Konzepts wurde und wird „Zigeuner“ als Sammelname auf die Gruppen der Roma bezogen, im Nationalsozialismus exklusiv.
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Perspektive im Sinne von „Volk“ und „Rasse“, die sich im 19. Jahrhundert zunehmend verfestigte. Zugleich mit einer diskriminierenden kam eine ebenfalls abgrenzende romantisierende Sichtweise auf, die negative Stereotype positiv umwertete.
„Zigeuner“ und „zigeunerische Lebensform“
Obwohl die überwiegende Mehrheit der Roma seit vielen Generationen, in Südosteuropa seit Jahrhunderten und in Mitteleuropa spätestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ortsfest lebt, gilt Nomadentum weiterhin mehrheitlich als „zigeunerische Lebensform“. Abweichende Lebensformen einer Minderheit innerhalb der Roma werden in dieser Vorstellung nicht nur fälschlich auf die Gruppe insgesamt verallgemeinert, sondern ihr zudem als biologische oder kulturelle Konstante zugeschrieben.[22]
Tatsächlich fanden und finden sich örtlich nicht gebundene Erwerbs- und Lebensweisen quer durch die Jahrhunderte in den unterschiedlichsten Varianten weltweit und innerhalb vieler ansonsten sesshafter Ethnien.[23] Ungeachtet ethnischer, kultureller und sozialer Unterschiedlichkeiten dieser Gruppen wird gelegentlich „ziganische Völker“ als ein Oberbegriff zu „Zigeuner“ verwendet, wobei zugleich Roma kollektiv auf eine mobile minderheitliche Teilgruppe reduziert werden.
Die Autoren Karola Fings und Ulrich F. Opfermann bemerken hierzu: „Vor dem Hintergrund der beiden unterschiedlichen Definitionen spricht die Literatur von einem »doppelten Zigeunerbegriff«. Er ist uneindeutig und widersprüchlich. Mit »Roma« lässt sich »Zigeuner« nicht übersetzen, denn die soziografische Begriffsbestimmung schließt diejenigen Roma aus, die die zugeschriebene Lebensweise real nicht praktizieren, während die ethnische Begriffsbestimmung jene Menschen aus dem »Zigeunertum« ausschließt, die als Nicht-Roma die zugeschriebene »zigeunerische« Lebensweise ebenfalls aufweisen.“[24] „Darüber hinaus kann es problematisch sein, wenn Eigenbezeichnungen nur als eine Art wortwörtlicher Übersetzung der Fremdbezeichnungen verwendet werden – und der Rassismus in einem neuen Gewand fortlebt.“[25]
19. und 20. Jahrhundert
Die Semantik von „Zigeuner“ bewegte sich lange zwischen einem kulturalistisch oder biologisch bestimmten völkischen und einem soziografischen Inhalt. Im zweiten Fall konnten auch Nicht-Roma gemeint sein: So wurde seit dem 19. Jahrhundert gelegentlich das Etikett „weiße Zigeuner“ auf die aus mehrheitsgesellschaftlicher Sicht „nach Zigeunerart lebenden Landfahrer“ und seit etwa 1900 das der „Kulturzigeuner“ auf mehrheitsgesellschaftliche nonkonformistische Künstler („Bohemiens“)[26] angewendet. Die soziografische Zuschreibung beinhaltete gleichwohl nicht anders als die ethnische die Typisierung der Betroffenen als „gemeinschaftsschädlich“ und als „entartet“.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde der Begriff systematisch „wissenschaftlich“ rassifiziert und im weiteren Verlauf ein Kategoriensystem von „stammechten Zigeunern“, „Zigeunermischlingen“ nach unterschiedlichen Graden der „Blutsmischung“ und „Nichtzigeunern“ nach dem Konzept der Nürnberger Gesetze konstruiert. Zigeuner war damit spätestens seit den ausgehenden 1930er Jahren eine von der Rassenforschung und den polizeilichen und sonstigen Verfolgungseinrichtungen ausschließlich ethnisch-biologisch gemeinte Kategorisierung, auf der eine Vielzahl von Ausschließungsvorschriften bis hin zu den Deportationslisten für Auschwitz basierten. Deshalb gilt der Begriff heute in weiten Teilen des gesellschaftlichen Diskurses als kontaminiert. Vor allem die Angehörigen der Minderheit selbst verstehen das Wort gleichsam als Überschrift über eine lange Verfolgungsgeschichte mit dem schließlichen Genozid (Porajmos).[27]
Sprachgebrauch innerhalb der Minderheiten
Viele der nationalen und internationalen Interessenvertretungen der Roma lehnen die Anwendung der Bezeichnung „Zigeuner“ auf Roma wegen der stigmatisierenden und rassistischen Konnotationen ab. Sie sehen das Wort im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte, die im nationalsozialistischen Genozid kulminierte.
Bereits 1978 stellte Vincent Rose, Vorsitzender des damaligen Verbandes der Cinti Deutschlands, anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes fest, dass es „einzig richtig sei, ihn ‚Cinto‘ zu nennen“, da „Zigeuner“ diskriminierend sei.[28] Die in den 1980er Jahren begründeten Interessenvertretungen wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Rom und Cinti Union (Hamburg) und die Roma-Union (Frankfurt am Main) oder der jüngere Verband Amaro Drom (Berlin) lehnen die Fremdbezeichnung als rassistisch ab und verweisen dabei auf deren Geschichte.[29] So auch der in Köln ansässige, von Nichtroma getragene Rom e. V.[30]
Die Sinti Allianz Deutschland – ein Zusammenschluss von Familien aus den Teilgruppen der Sinti und der Lovara – akzeptiert die Bezeichnung, obwohl sie sie in ihrem Eigennamen vermeidet. Sie bemisst ihre Verwendbarkeit nach der privaten Sprecherabsicht. Die Mitteilung der Gruppennamen wird von manchen traditionalistischen Sinti – hier ordnet sich die Sinti-Allianz ein – auch als Verstoß gegen das Verbot betrachtet, mit und vor Nichtroma auf Romanes zu kommunizieren, so dass Sprecher es dann vorziehen, auf „Zigeuner“ auszuweichen. Zwischenzeitlich revidierte die Sinti-Allianz ihre Selbstbeschreibung und sprach von sich statt als von einem „Zusammenschluss deutscher Zigeuner“ nunmehr ausschließlich von „Sinti“, „Lovara“, „Roma“ (2013).[31] Eine erneute Revision machte das rückgängig. 2020 heißt es nun wieder, „eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben“.[32]
Zur alltäglichen Sprachpraxis stellte eine Ende der 1970er /Anfang der 1980er Jahre entstandene Untersuchung zum rheinischen Schaustellermilieu, in dem vor allem Sinti traditionell eine gewichtige Rolle spielen, fest, dass „von den Zigeunern selbst … das Wort kaum akzeptiert“ werde. „Vielmehr bezeichnen sich die … Vaganten selbst je nach Sippenzugehörigkeit als ròm ‚Mann, Zigeunermensch‘ … oder als sinte ‚Zigeuner‘“.[33]
Im Rahmen einer Untersuchung zur aktuellen Bildungssituation deutscher Roma, die zwischen 2007 und 2011 durchgeführt wurde und im Umfeld des Zentralrats entstand, wurde auch nach dem Gebrauch der Gruppenbezeichnungen durch Angehörige der Minderheit gefragt. Thematisiert wurden gemäß dem Selbstverständnis des Zentralrats allein die beiden Eigenbezeichnungen Roma und Sinti, ferner die Fremdbezeichnung Zigeuner. Nicht ganz 95 % der Befragten verwendeten die Eigenbezeichnungen, für 57,5 % war der Fremdbegriff „immer ein Problem“, 14,9 % hatten „kein Problem mit der Verwendung des Zigeuner-Begriffs durch andere“ und weitere 25,7 % fanden, „dass es darauf ankommt, ob dieser Begriff abwertend oder gar als Schimpfwort benutzt wird“. 6,9 % wandten den Zigeunerterminus auf sich selbst an, z. T. neben Roma oder Sinti.[34] Der Kölner Musiker Markus Reinhardt, Großneffe von Django Reinhardt, bezeichnet sich selbst als „deutschen Zigeuner“, und die Begriffe „Sinti und Roma“ hält er für politisch überkorrekt.[35] „Es gibt viel mehr Stämme als nur die Sinti und die Roma – wo bleiben die Kalderasch, die Manouche? Zigeuner ist für mich ein Überbegriff für alle.“[36]
Der Selbstbezeichnungsdiskurs von Jenischen
Die von Jenischen dominierte und 1975 gegründete Schweizer Radgenossenschaft der Landstraße verwendete in den ersten beiden Jahrzehnten ihrer Aktivität „Zigeuner“ als Selbstbezeichnung für die Angehörigen „ein[er] gemischte[n] Gemeinschaft von Sinti, Romani und Jenischen“, diese von den „übrigen Fahrenden in der Schweiz, Schausteller[n], Jahrmarkthändler[n], Chilbi[= Kirmes/Kirtag]- und Zirkusleute[n]“ abgrenzend.[37] 1993 verlangte eine von der Radgenossenschaft initiierte Petition, „die schweizerische Zigeunerische Minderheit offiziell zu [sic] anerkennen“.[38] Dies wenige Jahre nach der Aufdeckung und Beendigung der Aktion Kinder der Landstrasse, welche diese Gruppe von Menschen Vaganten und Asoziale genannt und der moralischen Idiotie beschuldigt hatte.[39]
Seit etwa der Mitte der 1990er Jahre verzichtet die Radgenossenschaft zunehmend sowohl auf das Wort „Zigeuner“ wie auch auf den Ausdruck „Fahrende“ und verlangt die Benennung und Anerkennung gemäß der Selbstbezeichnung „Jenische“. Bereits seit der Mitte der 1980er Jahre zieht sie eine ethnisch definierte Trennlinie zu den Gruppen der Roma und erklärt die jenische Bevölkerungsgruppe zu einem separaten „jenischen Volk“,[40] das als nationale Minderheit 2016 unter der Bezeichnung Jenische von den staatlichen Behörden anerkannt worden ist. Weiterhin aktiv mit dem Label „Zigeuner“ tritt das Fahrende Zigeuner-Kultur-Zentrum, eine jenische Genossenschaft, mit dem Kulturprogramm Zigeuner-Kultur-Tage auf.[41] Verwendet wird der Ausdruck als Selbstbezeichnung im Sachbuch Zigeunerhäuptling von Willi Wottreng über den jenischen Präsidenten der Radgenossenschaft, das von der Radgenossenschaft zur Lektüre empfohlen wird.[42]
Zur historischen Position der Eigenbezeichnungen
Die Eigenbezeichnungen waren im deutschsprachigen Raum durch die Schriften von Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann, Heinrich von Wlislocki und anderer Autoren aus der Frühphase der Tsiganologie zumindest in den gebildeten Kreisen der Mehrheitsgesellschaft durchaus bekannt, ohne jedoch bis in die 1980er Jahre hinein je in eine nennenswerte Konkurrenz zu „Zigeuner“ getreten zu sein. Sie haben stets eine unbedeutende Randposition gehabt, obwohl bereits 1793 ein Autor anmerkte, es sei „die Frage, wie nennt ein Volk sich selbst, bei historisch-etymologischen Untersuchungen wichtig. Wie also nennen sich die Zigeuner? Mit Recht antwortet man: Roma oder Romma in der mehreren Zahl, Rom in der einfachen.“[43] Auch „Sinte“ ist ihm geläufig. „Romni“ ist im regionalen Dialekt belegt.[44] Gustav Freytag erklärte, die „Zigeuner“ würden sich „noch heute Sinte“ nennen, und mit der „romany tschib“ verfüge „der Rom, wie er sich selbst nennt“ über eine eigene Sprache.[45]
Fremd- und Eigenbezeichnung im öffentlichen Diskurs der Gegenwart
Bis etwa 1980 wurde in Text und Titel deutschsprachiger Publikationen zum Thema fast ausnahmslos das Wort „Zigeuner“ benutzt. Exemplarisch für die einsetzende Abwendung von der Fremdbezeichnung und für die enge Verbindung von Bürgerrechtsbewegung und Benennungsdiskurs sind das von Tilman Zülch von der Gesellschaft für bedrohte Völker im Jahr 1979 herausgegebene Buch In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt – zur Situation der Roma (Zigeuner) in Europa und ein 1980 von der Friedrich-Naumann-Stiftung Bremen herausgegebener Tagungsband Sinti in der Bundesrepublik – zur Rechtlosigkeit verurteilt?
Aus dem Sprachgebrauch deutschsprachiger staatlicher und nichtstaatlicher Verwaltung, der Justiz, großer gesellschaftlicher Institutionen wie der Gewerkschaften oder der Kirchen, internationaler Behörden und der Politik ist der Begriff „Zigeuner“ inzwischen verschwunden. Er wird auch in den Medien kaum noch gebraucht. Eigenbezeichnungen in Romani wie Roma oder Sinti haben andere Bedeutungen und andere Konnotationen als die Fremdbezeichnung. Sie lassen sich daher nicht mit ihr gleichsetzen, sondern lösen sie mit eigenständigen Inhalten ab.
Wenn die Eigenbezeichnungen an die Stelle von „Zigeuner“ traten, so geht dies vor allem auf die Anstrengungen der sich seit den 1970er Jahren organisierenden Roma und Jenischen und ihrer mehrheitsgesellschaftlichen Unterstützer zurück. Die Bürgerrechtsbewegung konfrontierte die Mehrheitsgesellschaft mit den für sie ungewohnten Begriffen, um die gewohnte Sichtweise auf die Minderheit zu verändern. Die Eigenbezeichnungen symbolisieren den Bruch mit der überkommenen mehrheitsgesellschaftlichen Perspektive und für die Anerkennung der Minderheit als einer eigenständigen und sich selbst definierenden Größe. Sie fordern eine nichtdiskriminierende Blickweise von der Mehrheitsgesellschaft ein.[46]
Insgesamt ist „Zigeuner“ im öffentlichen Sprachgebrauch, wie Justiz, staatliche und nichtstaatliche Verwaltung, die großen gesellschaftlichen Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen, die nationale Politik oder die Verlautbarungen der internationalen Institutionen ihn repräsentieren, heute nicht mehr nachweisbar (Stand: 2010).[47]
Rechtsvorschriften
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (2006) und die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2006) haben Aufmerksamkeit und Sensibilität gerade für alltägliche Formen der Diskriminierung heraufsetzen können.[48] Rechtliche Regelungen ermutigen die Betroffenen, dagegen aufzutreten. So erstattete der Verband der Bad Hersfelder Sinti und Roma im Oktober 2009 Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Beleidigung gegen das waldhessische Anzeigenblatt „Klartext“. Der Deutsche Presserat unterstützte ihn mit der Feststellung, „Klartext“ verstoße gegen den Pressekodex. Für den Verband erklärte der studierte Theologe Samson Lind, „wir sind keine Zigeuner, sondern Sinti und Roma“.[49]
Eine ähnliche Funktion wie das AGG in Deutschland hat beim Umgang mit der Bezeichnung „Zigeuner“ und den damit verknüpften Inhalten in Österreich das mehrfach novellierte und EU-Richtlinien angepasste Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GBG) von 1993.[50] Ein Beispiel für die Anwendung des Gesetzes ist die Entscheidung der Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt 2005 gegen ein Schild „Kein Platz für Zigeuner“ eines privaten Campingplatzbetreibers. Sie kam zu dem Schluss, dass das Schild „sowohl diskriminierend als auch belästigend“ sei und dass „der Begriff ‚Zigeuner‘ diskriminierend im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes“ sei.[51]
Politik, Verwaltung, gesellschaftliche Institutionen und Gruppen

Nicht zuletzt durch die Initiative des „Zentralrates Deutscher Sinti und Roma“ besteht heute im gesellschaftlich-politischen Diskurs ein Bewusstsein für die negative Bedeutung des Begriffes „Zigeuner“ bis hin zu Diskussionen über die Verwendung von Ausdrücken wie „Zigeunersauce“. Andererseits findet der Begriff immer noch Verwendung, nicht nur im negativen Sinne. So gibt es eine Reihe von Sinti, die daran als positive Selbstbezeichnung festhalten und ihr Selbstverständnis als „stolze Zigeuner“ betonen. Erst in den 1980er Jahren wurde – vor allem durch die entsprechenden Aktivitäten des „Zentralrates Deutscher Sinti und Roma“ – der Begriff „Zigeuner“ durch „Roma“ und „Sinti“ ersetzt. So stieß zum Beispiel auch die frühere Bezeichnung „Katholische Zigeuner- und Nomadenseelsorge in der Bundesrepublik und in West-Berlin“ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz auf Kritik. An dieser Bezeichnung hielt der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, der sich an der weltkirchlichen Bezeichnung orientierte, trotz Kritik der Öffentlichkeit sowie der Dienststelle selbst, lange fest. Erst unter Reinhard Kardinal Marx wurde 2014 entsprechend der spezifischen deutschen Situation und den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragend, die Dienststelle in die „Katholische Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen“ umbenannt, deren besonderes Anliegen heute ist, bei öffentlichen Veranstaltungen auf die negative Konnotation des Begriffes „Zigeuner“ hinzuweisen.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kritisierte die Weiterverwendung der Bezeichnung wie die pauschale Darstellung der Roma als „Nomaden“. „Zigeuner“ schüre Vorurteile, weil es eine untrennbar mit rassistischen Zuschreibungen verknüpfe und von Vorurteilen überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft sei, die von den allermeisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend empfunden werde. „Nomaden“ spreche den Menschen ihre Heimatrechte ab. Die Zuschreibung suggeriere, „Zigeuner“ bildeten eine archaische „Stammesgesellschaft“, die in die moderne Umgebungsgesellschaft nicht integrierbar sei. Die Angehörigen der Minderheit seien aber realer Teil der Gesellschaft und nähmen als solche an ihrer Entwicklung teil.[52]
2010 beendete die Deutsche Bischofskonferenz ihre bisherige Praxis und änderte den Namen ihrer Einrichtung in „Katholische Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen“. Der bisherige Name stehe nicht mehr im Einklang mit dem üblichen Sprachgebrauch und werde von Betroffenen als missverständlich oder diskriminierend empfunden.[53]
Hingegen bezeichnete die Katholische Pfadfinderschaft Europas den Begriff 2018 in ihrer Fördererzeitschrift Pfadfinder Mariens lediglich als „angeblich diskriminierend“.[54]
Ersatzbezeichnungen im amtlichen Sprachgebrauch
Nach wie vor zu Kategorie der Fremdbezeichnungen gehören Ersatzbezeichnungen des amtlichen Sprachgebrauchs, die als Reaktion auf die Bezeichnungspraxis des Nationalsozialismus oder aufgrund von internen Sprachregelungen auf Länderebene entstanden.
Angesichts der Diskreditierung der von den Ordnungsinstanzen geübten Kategorisierungs- und Erfassungspraxis durch den Nationalsozialismus gingen die bundesrepublikanischen Polizeibehörden zu Ersatzbezeichnungen für „Zigeuner“ über. So zu „Landfahrer“: Der 1899 in München eingerichtete zentrale Zigeunernachrichtendienst („Zigeunerzentrale“, im Nationalsozialismus „Zigeunerpolizeileitstelle“) etwa wurde über den Nationalsozialismus hinaus aufrechterhalten, nun jedoch unter dem neuen Namen „Landfahrerstelle“.[55]
Ein weiterer „deskriptiver Begriff“ ist „Mobile ethnische Minderheit“, polizeiintern abgekürzt „MIM“.[56] Die der Polizei im amtlichen Sprachgebrauch beispielsweise in Baden-Württemberg seit 1992 untersagte Bekanntgabe der ethnischen Zugehörigkeit von Verdächtigen in öffentlichen Erklärungen soll nach Aussage der übergeordneten Stellen dazu beitragen „auch im amtlichen Sprachgebrauch die Grundrechte der Menschen, unabhängig von der Zugehörigkeit zu Volksgruppen, in dem vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorgegebenen Rahmen zu wahren und zu schützen“.[57] Der Zentralrat der Sinti und Roma warf den Behörden in einer Stellungnahme vom 7. März 2005 hingegen vor, durch die Kennzeichnung von Beschuldigten als „‚angeblich reisende Sippe‘, ‚gewöhnlich umherreisende Personengruppe‘ oder ‚mobile ethnische Minderheit‘“, den „Rassismus in der Bevölkerung“ auf Sinti und Roma zu lenken.[58]
Wissenschaftsdiskurs
Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch tritt die Bezeichnung mitunter noch auf, wird aber regelmäßig in Anführungszeichen gesetzt oder doch mindestens mit dem Hinweis versehen, als Quellenbegriff, also nicht-affirmativ zitierend, eingesetzt zu werden. Unterschieden wird bei reflektiertem Gebrauch im Fachdiskurs zwischen dem „Begriff ‚Zigeuner‘ als Objekt-Begriff aus der Perspektive der Verfolgungsinstanzen“ und dem „Subjekt-Begriff der Betroffenen“ (2008).[59] Das Etikett „Zigeuner“ enthalte „ganz unabhängig von den Absichten eines individuellen Sprechers mindestens für den Adressaten eine deutliche Abwertung“. „Abwertung“ sei „der wesentliche Inhalt der Geschichte dieses Begriffs“. Die abwertende Semantik lasse sich nicht aus der Bezeichnung lösen, sie konserviere und tradiere sie (2007).[60]
Dem steht eine auch außerhalb des Wissenschaftsdiskurses (siehe oben) vertretene Auffassung gegenüber, die an der Fremdbezeichnung festhält und in ihren Kritikern „Zigeunerfans“, „Zigeunerfreunde“ oder „unrealistische Gutmenschen“ sieht. So noch 2004 Hermann Arnold, der im Jahr darauf verstorbene Erbhygieniker und „Zigeunerexperte“ in der Nachfolge des nationalsozialistischen „Zigeunerforschers“ Robert Ritter.[61] Mit anderer Begründung äußerte sich 2005 der Zeithistoriker Eberhard Jäckel: Abwertend sei „Zigeuner“ – unbeachtlich von Wortgeschichte und semantischem Kontext – dann nicht, wenn es gut gemeint sei.[62]
Eine auffällige Ausnahme innerhalb des Fachdiskurses bildete bis 2012 die Leipziger Schule der Tsiganologie. Ihr bekanntester Sprecher, der Ethnologe Bernhard Streck, trug vor, das überkommene Gruppenetikett sei ein „altehrwürdiger Begriff“. Die von ihm vertretene „seriöse Tsiganologie“ habe daher den von ihm als „Umbenennung“ beschriebenen Sprachwandel „nicht mitgemacht.“[63] Gleichzeitig legte Streck Wert darauf, sich als „Tsiganologe“ statt als „Zigeunerforscher“ oder „Zigeunerkundler“ bezeichnen zu lassen. Diese Bezeichnungen seien durch die NS-Rassenforschung diskreditiert. Streck und seine Schule vertraten ein dezidiert soziografisches ethnienübergreifendes Konzept, das an den Konstrukten „Dissidenz“ und „Nomadismus“ ausgerichtet ist, sich der Definition verweigert[64] und als einzige Gemeinsamkeit von gleichermaßen als „Zigeuner“ bezeichneten indigenen Gruppen in Osteuropa, Asien und Afrika, die ethnisch nichts mit Roma zu tun haben, und den Gruppen der Roma ein schillerndes „spannungsreiche[s] Verhältnis zur jeweiligen Mehrheitsgesellschaft“ sieht.[65] In der Forschung stößt dieser Ansatz auf scharfe Kritik.[66]
Journalismus
In den deutschsprachigen Medien befindet sich der Begriff inzwischen in einer zunehmend minimalisierten Außenseiterposition. Exemplarisch ausgezählt ergab sich in der Zeit und der Tageszeitung bereits für den Zeitabschnitt von 1995/96 bis 2003, dass „Roma“ die am häufigsten verwendete Form mit definitiv ethnischem Inhalt war, und dreimal so häufig auftrat wie „Sinti“, während das ethnisch uneindeutige Etikett „Zigeuner“ noch einen Anteil von 20 bis 30 % hatte. Die Zählung in Die Zeit von 2003 ergab ferner, dass „Zigeuner“ abgesehen von „zitierenden Verwendungen in Reflexionen über das Wort ‚Zigeuner‘“ und abgesehen von der historiografischen Zitierung des Quellenbegriffs überhaupt nur noch in romantisierenden, „positiven“ Verwendungsweisen (in Literatur und Musik) oder im übertragenen Sinn („Leben wie ein Zigeuner“) Verwendung fand.[67]
In den Jahren 1995 bis 2002 reichte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegen insgesamt 381 Zeitungsartikel Beschwerden beim Deutschen Presserat ein, weil allgemein Verdächtigte als „Zigeuner“, „Sinti/Roma“, „Landfahrer“ oder mit anderen synonym verwendeten Markierungen wie „MEM“ (für „mobile ethnische Minderheit“) belegt worden waren. 2003 waren es 51 und 2004 52 Zeitungsartikel.[68] 2007 erreichten den Presserat 39 Beschwerden.[69] Bei einem erheblichen Anteil der Zuschreibungen handelte es sich laut Presserat um in ein Medium von anderen Sprechern übernommene nichtaffirmativ gemeinte Zitierungen.[68] Wie oft dabei von „Zigeunern“ gesprochen wurde, ist nicht bekannt. Jährlich reicht der Zentralrat am 7. Dezember[70] beim Presserat Beschwerden wegen diskriminierender Darstellungen von Roma ein. 2009 hieß es, sie hätten in den letzten Jahren weiter abgenommen. Von der unerwünschten Verwendung von „Zigeuner“ war nicht mehr die Rede.[71]
Der mitunter vorgetragenen Befürchtung, „Zigeuner“ scheine sich wieder einzubürgern,[72] widersprach 2013 der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, entschieden. Die Eigenbezeichnungen würden durchweg respektiert, so wie sein Verband nur noch ganz wenige Fälle antiziganistischer Berichterstattung dem Presserat melden müsse. Die gelegentliche „provokative“ Verwendung der Begrifflichkeit wie zum Beispiel 2013 in einem Buchtitel des Autors Rolf Bauerdick lasse sich nicht verallgemeinern.[73]
Vorschläge zur Schriftform der Fremdbezeichnung in Publikationen
Für eine Auseinandersetzung mit historischen Quellen oder Diskriminierungstatbeständen, die die Fremdbezeichnung verwenden, gibt es den Vorschlag, den diskriminierenden Begriff durchgestrichen, also Zigeuner, zu schreiben. Die durchgestrichene Schreibweise erfolgt mit Bezug auf den Philosophen Jacques Derrida, der in seiner Grammatologie das Durchstreichen eines Begriffs vorschlägt, um eine gleichzeitige Verwendung und Ablehnung zu ermöglichen, wobei die geschichtlichen und semantischen Bedeutungszuschreibungen sichtbar und in Erinnerung bleiben, ihre Geltung jedoch verneint wird. Für die durchgestrichene Schreibweise anstatt des in Analogie zu N-Wort gebildeten Begriffs Z-Wort wurde plädiert, da der Anfangsbuchstabe an den nationalsozialistischen Sprachduktus erinnere.[74][75]
Reaktionen der Wirtschaft

Im Zuge der Antirassismusdebatte nach dem Tod des Schwarzen George Floyd erklärten im August 2020 zwei Lebensmittelhersteller in Österreich, Markennamen zu ändern: Der Knabbergebäckhersteller Kelly’s gab an, die nach 6-Speichen-Rädern geformten „Zigeunerräder“ in „Zirkusräder“ umbenennen zu wollen, ohne deren Geschmack zu ändern. Knorr (Mutterkonzern: Unilever) benannte die „Zigeunersauce“ neu „Paprikasauce Ungarische Art“.[76]
Fremdenfeindliche Diskurse
Die Abwendung von „Zigeuner“ im politischen und medialen Raum hat eine Ausnahme: Organisationen und Medien am rechten Rand bevorzugen nach wie vor „Zigeuner“ und sehen den Begriff als die politisch korrekte Bezeichnung.[77] Dabei werden der Minderheit die traditionellen angeblichen Hauptmerkmale „Delinquenz“ und „Nomadisieren“ zugeschrieben. Angewendet wird „Zigeuner“ vor allem auf südosteuropäische Roma, die abzuschieben seien. Dazu gehören auch Zusammensetzungen mit herabsetzender Konnotation wie „Zigeunerlobby“, „Zigeunersippe“ oder „Zigeunerhäuptling“. „Die Jahrhunderte alte Bezeichnung ‚Zigeuner‘“ sei nicht diskriminierend, so für Österreich auch unter Einschluss rechtspopulistischer Medien.[78]
Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte sind jedoch selbst hier nicht ohne Auswirkung geblieben. Es ist durchaus gelegentlich auch in rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Medien von „Roma“ die Rede oder es wird „Zigeuner“ – „politische Korrektheit vortäuschend“ (so Der Standard zu einem Aufmacher von Die Weltwoche) – in Anführungszeichen gesetzt.[79]
Die Verwendung des Begriffs im informellen Diskurs
Vom öffentlichen ist der informelle (private) Sprachgebrauch zu unterscheiden. Zwar gibt es keine Langzeituntersuchungen zur Verwendung der Bezeichnung „Zigeuner“ in der alltäglichen Kommunikation innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Bezeichnung mit der ihr anhängenden Konnotationen nach wie vor von Bedeutung ist.
So hat der schon aus den 1920er Jahren bekannte,[80] mutmaßlich aber ältere volksläufige Spruch „Zick, zack, Zigeunerpack“ den Sprachwandel überdauert. Er gehört bis heute zum festen Repertoire deutscher Fußballfans,[81] tritt aber (ähnlich wie romantisierend kostümierte Gruppen von „Zigeunern“) auch im Karneval auf. Wiederholt führte der Spruch inzwischen zu Strafanzeigen gegen die Sprecher.[82]
Entgegen der sozialen Wirklichkeit der mit der Bezeichnung belegten vielfältigen Minderheiten stehen die abgeleiteten Formen „zigeunern“, auch „herumzigeunern“ bis heute nach der Angabe des Duden (2014) umgangssprachlich für eine fiktive gemeinschaftliche Lebensweise, die „ungeordnet“, „unstet“, „vagabundierend“, „ohne festen Wohnsitz und richtigen Beruf“ sei.[83]
Neue Sprachregelungen und alte Ressentiments

Nach Ergebnisse der Meinungsforschung hatten Ressentiments gegen „Zigeuner“ über die Erfahrung des Nationalsozialismus hinaus auch in den letzten Jahrzehnten immer noch eine feste Position in der Vorstellungswelt der Mehrheitsbevölkerung. Seit Beginn entsprechender Umfragen in den frühen 1960er Jahren zählen die mit der Bezeichnung „Zigeuner“ belegten Minderheiten in der Bundesrepublik zu den unbeliebtesten aller ethnischen Gruppen.
Noch 2002 lehnten 58 % der Deutschen nach einer Umfrage von Infratest im Auftrag des American Jewish Committee „Zigeuner“ als Nachbarn ab.[84] 2011 ergab eine Umfrage des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung 44,2 % Zustimmung für die Behauptung: „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“, und 40,1 % Zustimmung für: „Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“.
Nach Meinung der Fragesteller beeinflusst es zwar die Antwort, ob nach der Haltung zu „Zigeunern“ oder zu „Sinti und Roma“ gefragt wird. Jedenfalls aber bleiben die fest mit dem Altbegriff verknüpften Ressentiments auch bei äußerer Anpassung an die Neukonvention vital.[85]
Zur Situation in Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung
Politisch und territorial geteilt, blieben die beiden deutschen Staaten sowohl in ihrem Umgang mit den Sinti und Roma als auch im auf diese bezogenen Sprachgebrauch ideologisch weitgehend vereint. Während allerdings die Bundesrepublik den Massenmord der Nazis an den Sinti und Roma 1982 anerkannte, wurde dieser in der DDR von offizieller Seite im öffentlichen Diskurs nicht thematisiert.
Dass der Jugendroman Ede und Unku von Grete Weiskopf, der die Geschichte der Freundschaft zwischen dem Arbeiterjungen Ede und der Sintiza Unku erzählt, in der DDR zur Pflichtlektüre an Schulen erklärt wurde, vermochte nichts daran zu ändern, dass die alten, durch die Ideologie und den Sprachgebrauch des Nationalsozialismus zusätzlich verstärkten Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung der DDR weiterhin bestehen blieben.[86] Auch nach der Wiedervereinigung kommen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass die negativen Einstellungen gegenüber Sinti und Roma in den neuen Bundesländern noch ausgeprägter sind, als in der bundesrepublikanischen Gesamtbevölkerung, was sich in informellen Kontexten auch durch einen nach wie vor von alten Ressentiments geprägten Sprachgebrauch niederschlägt.[87]
So bleibt es abzuwarten, ob der teilweise ebenso emotional wie polemisch ausgetragene öffentliche Diskurs über politische Korrektheit auf der sprachlichen Ebene nachhaltig zu bewirken vermag, im überwiegenden Teil der Mehrheitsgesellschaft „durch eine Bewusstmachung sprachlicher Diskriminierung eine Bewusstmachung tatsächlicher Diskriminierung zu erreichen.“[88]
Literatur
- Anita Awosusi (Hrsg.): Stichwort: „Zigeuner“. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. (= Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, 8). Wunderhorn, Heidelberg 1998, ISBN 3-88423-141-3.
- Stephan Bauer: Von Dillmanns Zigeunerbuch zum BKA: 100 Jahre Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland. Siedentop, Heidenheim 2008, ISBN 978-3-925887-27-7 (zugleich Dissertation, Universität Osnabrück 2007).
- Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-42263-2.
- Hans Richard Brittnacher: Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1047-6.
- Alexandra Graevskaia: Zigeuner. In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag, Schwalbach 2015, ISBN 978-3-7344-0155-8, S. 340–354.
- Stefani Kugler: Kunst-Zigeuner. Konstruktionen des „Zigeuners“ in der deutschen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Literatur, Imagination, Realität. Band 34). Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2004, ISBN 3-88476-660-0 (zugleich Dissertation, Universität Trier 2003).
- Anja Lobenstein-Reichmann: Zur Stigmatisierung der „Zigeuner“ in Werken kollektiven Wissens am Beispiel des Grimmschen Wörterbuchs. In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): „Zigeuner“ und Nation. Repräsentation, Inklusion, Exklusion. Frankfurt 2008, ISBN 978-3-631-57996-1, S. 589–629.
- Leo Lucassen: Zigeuner. Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland 1700–1945. Böhlau, Köln 1996, ISBN 3-412-05996-X.
- Thomas Schares: Sprechen über Roma in deutschsprachigen (rumänischen) Medien (= Kronstädter Beiträge zur Germanistik. Neue Folge. Heft 2). Karl Stutz, Passau 2013, ISBN 978-3-88849-162-7, S. 109–128.
- Frank Reuter: Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Zigeuners“. Wallstein, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1578-5.
- Ramona Mechthilde Treinen, Herbert Uerlings: Vom „unzivilisierten Wandervolk“ zur „diskriminierten Minderheit“: „Zigeuner“ im Brockhaus. In ebd., S. 631–696.
- Rüdiger Vossen, Wolf Dietrich, Michael Faber, Michael Peters (Hrsg.): Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung. Katalog zur Ausstellung im Hamburgischen Museum für Völkerkunde. Ullstein 1987, ISBN 3-548-34135-7.
Weblinks
- Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.): Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus. PDF (16,16 MB)
- Literatur von und über Zigeuner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Jörg Kilian: Wörter im Zweifel: Ansätze einer linguistisch begründeten kritischen Semantik. In: Linguistik online. Band 16, Nr. 4, 6. Januar 2003, S. 159–170, doi:10.13092/lo.16.800 (bop.unibe.ch [abgerufen am 13. April 2020]).
- Rom e. V. (Hrsg.): Nevipe: Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. Heft 4/2012 ( vom 26. Dezember 2013 im Internet Archive; PDF;1,4 MB)
- Rüdiger Benninghaus: Bemerkungen zu „Nevipe – Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V.“ H. 4/2012. www.rbenninghaus.de, 3. November 2012
- Rüdiger Benninghaus: Betrachtungen zur „political correctness“: „Zigeuner“? – „Sinti und Roma“? In: rbenninghaus.de. 27. August 2023 .
- Isidora Randjelović: Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. RomaniPhen Wissensarchiv, 2019
- Robert Schlickewitz: Die „Zigeuner“-Komposita im deutschen Lexikon (1935-2016). www.hagalil.com, 21. November 2016
Einzelnachweise
- ↑ a b Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. Hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin / New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 884.
- ↑ Duden: zigeunerisch. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
- ↑ Duden: zigeunerhaft. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
- ↑ Duden: zigeunern. Rechtschreibung, Bedeutung, Herkunft (duden.de)
- ↑ Die sexistische Komponente wird in Prosper Mérimées Novelle Carmen explizit ausformuliert: „Namentlich aber hatten ihre Augen einen wollüstigen und zugleich wilden Ausdruck, den ich in keinem menschlichen Blick je wiedergefunden habe. ‚Zigeunerauge - Wolfsauge‘, sagt eine spanische Redensart, die von feiner Beobachtung zeugt.“ (Prosper Mérimée: Carmen. Rascher, Zürich 1920, S. 28).
- ↑ Arno Frank, Thomas Schmoll: Sinti und Roma. „Wir müssen aus dieser Opferrolle raus.“ Interview mit Markus Reinhardt und Marko Knudsen auf Spiegel Online (Abonnement erforderlich).
- ↑ a b c Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, S. 1010 f.
- ↑ Wilhelm Solms: Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. 2008, ISBN 978-3-8260-3833-4, S. 18 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Zigeuner. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 19. Dezember 2024
- ↑ Rüdiger Vossen: Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies. Zwischen Verfolgung und Romantisierung. Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, S. 20 f.
- ↑ George C. Soulis: The Gypsies in the Byzantine Empire and the Balkans in the Late Middle Ages. In: Dumbarton Oaks Papers 15 (1961), S. 141–165, 146–147, zitiert nach Angus M. Fraser: The Gypsies. Blackwell, Oxford u. a. 1995, S. 46–47.
- ↑ Viorel Achim: The Roma in Romanian History. Central European University Press, Bukarest u. a. 2004, S. 9.
- ↑ Marek Stachowski: Das Ethnonym ‚Zigeuner‘, sein slawisch-türkischer Hintergrund und ungarisch ‚szegény‘. In: Studia Etymologica Cracoviensia. Band 7, 2002, S. 159–169. PDF (202 kB)
- ↑ Hermann Korner: Chronica novella. Hrsg. von Jakob Schwalm. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1895, S. 409 (Abs. 1285).
- ↑ Heinrich von Wlislocki: Vom wandernden Zigeunervolke. Bilder aus dem Leben der Siebenbürger Zigeuner. Hamburg 1890, S. 4.
- ↑ Theodor Christian Tetzner: Geschichte der Zigeuner; ihre Herkunft, Natur und Art. 1835. S. 9. (Digitalisat )
- ↑ Stichwort „Zigeuner“ in Meyers Konversationslexikon von 1888
- ↑ Reimar Gilsenbach: Weltchronik der Zigeuner. Teil I, 2., korrigierte und ergänzte Auflage, Frankfurt am Main 1997, S. 103, 110 und 114.
- ↑ Ines Köhler-Zülch: Die verweigerte Herberge: Die heilige Familie in Ägypten und andere Geschichten von „Zigeunern“ Selbstäusserungen oder Aussenbilder? In: Jacqueline Giere (Hrsg.): Die gesellschaftliche Konstruktion des Zigeuners: zur Genese eines Vorurteils (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts. Band 2). Campus, Frankfurt am Main 1966, S. 46–86.
- ↑ Vgl. auch George Borrow: The Zincali. An account of the gypsies of Spain. (1841; Neuausgabe London 1923).
- ↑ Ziegeuner. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 62, Leipzig 1749, Sp. 520–544.
- ↑ Vgl. Karola Fings: Rasse: Zigeuner. In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): „Zigeuner“ und Nation. Repräsentation-Inklusion-Exklusion. (= Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 8), Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 273–309, S. 274.
- ↑ Vergleiche dazu: Arbeit von Hosemann
- ↑ Karola Fings, Ulrich F. Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77356-2, Glossar S. 356.
- ↑ Karola Fings, Ulrich F. Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77356-2, Einleitung S. 11.
- ↑ Anna-Lena Sälzer: Arme, Asoziale, Außenseiter. Künstler- und „Zigeuner“-Diskurse von 1900 bis zum Nationalsozialismus. In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): „Zigeuner“ und Nation. Repräsentation-Inklusion-Exklusion. Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 203–230.
- ↑ Karola Fings: Der Weg in den Völkermord. In: Karola Fings, Ulrich Opfermann (Hrsg.): Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen. 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn 2012, S. 53–71.
- ↑ Gerhard Laaf: Ein Siebzigjähriger engagiert sich für die Cinti. In: Süddeutsche Zeitung, 22. Dezember 1978.
- ↑ Zu Amaro Drom siehe die Stellungnahme des Vorsitzenden: „Die größte Beleidigung ist die Bezeichnung ,Zigeuner‘“. In: taz, 27. Januar 2011, Onlinefassung.
- ↑ Zur Diskussion der Bezeichnung und der von ihr getragenen Inhalte aus der Sicht unterschiedlicher Verfasser siehe: Unterm Strich. Nachbetrachtungen zum „Zigeunerfestival“ in Köln, in: Nevipe, Nr. 4 – 2012, S. 14–21, in: Archivierte Kopie ( vom 26. Dezember 2013 im Internet Archive).
- ↑ Vgl. die alte (jetzt verschobene) mit der neuen HP: Ursprungsversion: SAD, Sitz Köln; Neuversion: SAD, Sitz Hildesheim ( vom 7. Juni 2015 im Internet Archive).
- ↑ Nach mit Zitat versehener Auskunft der Zeitschrift Deutsche Sprachwelt: [1].
- ↑ Michael Faber: Schausteller. Volkskundliche Untersuchung einer reisenden Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum. Bonn 1982, 2. durchges. Auflage, S. 24.
- ↑ Michael Klein: Auswertung von quantitativen Daten zur Erhebung. In: Daniel Strauß (Hrsg.): Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma. Dokumentation und Forschungsbericht, Marburg 2011, S. 17–50, hier S. 10 f., ferner S. 48–50, 99.
- ↑ Lebna Heising: Mein Opa sagte: Wer hier lebend herauskommt, trifft sich in Köln wieder. In: Kölner Stadtanzeiger, 31. Januar 2024
- ↑ Aleksandra Hiltmann: Zigeuner› ist die richtige Bezeichnung für mich. Interview mit Sinti-Geiger Markus Reinhardt. In: derbund.ch, 11. September 2020.
- ↑ Nicht jeder Fahrende ist ein Zigeuner. In: Scharotl. Jahrgang 17, 1992, Heft 1, S. 21.
- ↑ Willi Wottreng, Daniel Huber: Die Sterne hängen nicht zu hoch. Zur Anerkennung der Jenischen in der Schweiz und in Europa. In: Elisabeth Hussl, Martin Haselwanter, Horst Schreiber (Hrsg.): Gaismair-Jahrbuch 2021, «Ohne Maske». Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2020, S. 96–102.
- ↑ Siehe etwa: Walter Leimgruber, Thomas Meier, Roger Sablonier: Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse. Historische Studie aufgrund der Akten der Stiftung Pro Juventute im Schweizerischen Bundesarchiv. Schweizerisches Bundesarchiv, Bern 1998, ISBN 3-908439-00-0 (Bundesarchiv Dossier 9, PDF; 223 MB).
- ↑ Ulrich Opfermann: „Die Jenischen und andere Fahrende“. Eine Minderheit begründet sich. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Band 19, 2010, S. 126–150.
- ↑ Genossenschaft fahrendes Zigeuner-Kultur-Zentrum. Abgerufen am 29. August 2024.
- ↑ Willi Wottreng: Zigeunerhäuptling. Vom Kind der Landstrasse zum Sprecher der Fahrenden – Das Schicksal des Robert Huber. Orell Füssli Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-280-06121-3.
- ↑ Johann Erich Biester: Über die Zigeuner; besonders im Königreich Preußen. In: Berlinische Monatsschrift, Bd. 21, 1793, S. 108–165, 360–393, hier S. 364 f.
- ↑ Werner Wied: Von mancherlei wandernden und fahrenden, handelnden und bettelnden Leuten. In: Gerhard Hippenstiel, Werner Wied (Hrsg.): Wittgenstein III. ein Lesebuch zur Volkskunde und Mundart des Wittgensteiner Landes, Bad Laasphe 1984, S. 493–506, hier S. 502.
- ↑ Gustav Freytag: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 2. Bd., 1. Abt.: Vom Mittelalter zur Neuzeit, Berlin o. J. (1920), S. 464 ff.
- ↑ Karola Fings, Ulrich Opfermann: Glossar. In: Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen. 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung. Paderborn 2012, S. 337–359, hier S. 350.
- ↑ Der Begriff „Zigeuner“ war noch bis in die 1990er Jahre gängige Ausdrucksweise in den Dokumenten der Europäischen Union und ihrer Vorgängerinstitutionen (so etwa in den Entschließungen des Europäischen Parlaments von 1984 und 1994, siehe Roma-Politik der Europäischen Union).
- ↑ Gleichstellung. Weniger Tabus, kaum mehr Rechte. [u. a. zu „Zigeuner“], in: FAZ.net, 3. Juli 2007. antidiskriminierungsstelle.de.
- ↑ Anzeige wegen Volksverhetzung ( vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive), in: Hersfelder Zeitung/Kreis-Anzeiger, 23. Oktober 2009; siehe auch: Lorey soll sich entschuldigen! ( vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive), in: Hersfelder Zeitung/Kreis-Anzeiger, 19. November 2009.
- ↑ Bundes-Gleichbehandlungsgesetz: Archivlink ( vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive).
- ↑ Romano Centro (Hrsg.): Antiziganismus in Österreich. Dokumentation rassistischer Vorfälle gegen Roma/Romnija und Sinti/Sintize. Wien 2013, S. 6.
- ↑ Siehe: roma-service.at, volksgruppen.orf.at volksgruppen.orf.at.
- ↑ Neuer Name für „Zigeunerseelsorge“., Radio Vatikan, 11. Mai 2010.
- ↑ Guido Becker: Ein „fahrender Geselle“ der Gottesmutter. In: Pfadfinder Mariens, 1. Tertial 2018, S. 8.
- ↑ Was damals Rechtens war. In: Die Zeit, Nr. 17/1980
- ↑ Kriminal−Lexikon; abgerufen am 22. Dezember 2024.
- ↑ Kleine Anfrage des Abgeordneten Rolf Wilhelm (Die Republikaner) und Antwort des Innenministeriums des Landes Baden-Württemberg zur Bezeichnung „Mobile ethnische Minderheit“ vom 21. Mai 1997, S. 2. landtag-bw.de ( vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) (PDF, 50 kB)
- ↑ Stellungnahme des Zentralrats der Sinti und Roma vom 7. März 2005, S. 3. (PDF, 123 kB); abgerufen am 22. Dezember 2024.
- ↑ Karola Fings: „Rasse: Zigeuner“. Sinti und Roma im Fadenkreuz von Kriminologie und Rassenhygiene 1933–1945. In: Herbert Uerlings, Iulia-Karin Patrut (Hrsg.): Zigeuner und Nation. Repräsentation – Inklusion – Exklusion (= Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 8), Frankfurt am Main et al. 2008, S. 273–309, hier S. 274.
- ↑ Ulrich Friedrich Opfermann: „Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet.“ Sinti im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2007, S. 32.
- ↑ Hermann Arnold, Press Germany topay. Der „Sinti und Roma“-Schwindel, o. O. 2004. Das Manuskript fand keinen Verlag mehr.
- ↑ Eberhard Jäckel: Denkmal-Streit, in: FAZ, 5. Februar 2005.
- ↑ Bernhard Streck an den Kölner Tsiganologen Rüdiger Benninghaus, 13. April 2004, nach dessen Homepage, Stand: 28. Dezember 2009.
- ↑ Olaf Guenther, Henning Schwanke: Überrollte Figuren und moderner Kreisverkehr. Bernhard Streck, dem spiritus rector der Leipziger Tsiganologie zu Ehren. In: Blickpunkte, Nr. 9, August 2010, S. 15. PDF (853 kB); abgerufen am 20. Dezember 2024.
- ↑ So beispielsweise programmatisch bei der Vorstellung einer Publikation über eine Vielfalt ethnischer Gruppen am Schwarzen Meer: buch.de ( vom 21. September 2013 im Internet Archive).
- ↑ Siehe z. B. Joachim Krauß: „Zigeunerkontinuum“ – die Raum und Zeit übergreifende Konstanz in der Beschreibung von Roma in Theorie und Empirie, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 18 (2009), S. 161–180.
- ↑ Thorsten Eitz, Georg Stötzel, Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“ (= Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch, Bd. 2), Hildesheim 2009, S. 599.
- ↑ a b Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, BT-Drs. 15/4538, Anhörung im Deutschen Bundestag – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 7. März 2005; PDF (125 kB).
- ↑ Parallelbericht zu dem Bericht der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Januar 2007 für das United Nations – Committee on Elimination of Racial Discrimination (CERD) [2].
- ↑ Am 7. Dezember 1935 verfügte Reichsinnenminister Frick, in Presseberichten und amtlichen Verlautbarungen zu Straftaten oder Verdächtigungen gegenüber Juden und Sinti und Roma stets deren „Rasse“ zu erwähnen.
- ↑ Medientagung Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und Deutscher Presserat, 5. November 2009: Archivlink ( vom 2. Dezember 2013 im Internet Archive)
- ↑ „Antiziganismus ist salonfähig“. Gespräch mit Romani Rose, in: Wolfgang Benz, Sinti: Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin 2014, S. 49–63, hier S. 50.
- ↑ „Antiziganismus ist salonfähig“. Gespräch mit Romani Rose, in: Wolfgang Benz, Sinti: Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin 2014, S. 49–63, hier S. 50 f., 62.
- ↑ Isidora Randjelović: Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. RomaniPhen Wissensarchiv. 2019, abgerufen am 8. August 2024.
- ↑ Vergl. hierzu als Beispiel für die Verwendung der durchgestrichenen Schreibweise: Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.): Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus. PDF (16,16 MB), abgerufen am 20. Dezember 2024.
- ↑ Kelly’s benennt Zigeunerräder um, ORF.at, 16. August 2020, abgerufen am 17. August 2020.
- ↑ Siehe z. B. die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und die Reaktionen aller anderen Parteien im Juli 2010: endstation-rechts.de.
- ↑ Siehe die Beispiele aus den Zeitschriften Die Aula, Fakten und Zur Zeit in: Romano Centro (Hrsg.), Antiziganismus in Österreich. Dokumentation rassistischer Vorfälle gegen Roma/Romnija und Sinti/Sintize, Wien 2013, S. 9.
- ↑ Siehe z. B. Anna Müller, 89. Landtagssitzung in Sachsen: Rechtsextreme beschwören „Roma-Invasion“, in: Endstation Rechts, 20. Dezember 2013, [3]; Schweizer „Weltwoche“ empört mit Roma-Artikel, in: Der Standard, 6. April 2012, [4].
- ↑ Siehe Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“. Hamburg 1996, S. 57.
- ↑ Vgl. hierzu: Ronny Blaschke: Zick, zack, Zigeunerpack. Süddeutsche Zeitung vom 28. Mai 2010.
- ↑ Siehe beispielsweise: Zentralrat der Sinti und Roma stellt Strafantrag wegen Hetzparolen. Vorwurf der Volksverhetzung und Beleidigung gegen Randalierer ( vom 12. März 2012 im Internet Archive), in: Freie Presse [Chemnitz], 11. Januar 2012.
- ↑ Duden zu „zigeunern“: [5] und „herumzigeunern“: [6].
- ↑ Brigitte Mihok, Peter Widmann: Sinti und Roma als Feindbilder, in: bpb.de.
- ↑ Vergl. hierzu: Markus End: Gutachten Antiziganismus. Zum Stand der Forschung und der Gegenstrategien. Marburg 2013, S. 15–21.
- ↑ Corina Kolbe: Sinti in der DDR: „Man nennt uns Zigeunerbrut“. In: Spiegel Online. 25. Mai 2021, abgerufen am 20. Dezember 2024.
- ↑ Vergleiche hierzu die unter Beteiligung von in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern geborenen Roma und Sinti zwischen September 2019–Oktober 2020 von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin unter der Leitung von Isidora Randjelović und Iman Attia durchgeführte Untersuchung: Studie zu Rassismuserfahrungen von Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland. In Auftrag gegeben von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA), gefördert vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. , Berlin, 2020.PDF (4,86 MB, 323 Seiten); abgerufen am 23. Dezember 2024.
- ↑ Anatol Stefanowitsch: Sprachverbote. In: SciLogs.spektrum.de. 21. April 2010; abgerufen am 21. Dezember 2024.