„Kannelierung“ – Versionsunterschied
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[[Datei:Kannelierung, aus Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 563-564.jpg|mini|Kannelierung im Säulenquerschnitt (Fig. 1 mit Graten, Fig. 2 mit Stegen)]] |
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Als '''Kanneluren''' (aus dem lat. ''canna'' = Rohr) bezeichnet man die senkrechten, oft halbrunden Vertiefungen ([[Hohlkehle]]n) in Rillenform am Schaft von [[Säule]]n, [[Pfeiler]]n oder [[Pilaster|Pilastern]]. |
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Die '''Kannelierung''' ({{laS|canna}} = „(Schilf-)Rohr“; {{frS|cannelure}} = „Rinne“, „Furche“, „Rille“) ist die senkrechte [[Kehlung|Auskehlung]] eines Objektes, meist einer [[Säule]], eines [[Pfeiler]]s oder eines [[Pilaster]]s mit [[Konkave Fläche|konkaven]] Furchen ('''Kanneluren''', '''Kannelüren'''). Als dekoratives Motiv wurden sie auch im [[Möbelbau]], [[Kunsthandwerk]] und der [[Metallverarbeitung]] übernommen. |
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== Geschichte == |
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Diese Rillen (auch: ''Kannelierungen'') können scharfkantig aneinanderstoßen oder durch [[Steg (Brücke)|Stege]] voneinander getrennt sein. ''Kanneluren'' dienen der Verschönerung der (vorwiegend [[Antike|antiken]]) [[Architektur]], haben aber keine bautechnische Bedeutung. Man findet sie in [[Säule]]n [[Säulenordnung|dorischer]], [[Säulenordnung|ionischer]] und [[Säulenordnung|korinthischer]] [[Säulenordnung|Ordnung]]. Als [[Motiv]] ([[Dekor]]) sind sie später auch im [[Möbelbau]], [[Kunsthandwerk]], Metallverarbeitung etc. verwendet worden. |
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Säulengliederungen durch konvexe „Kannelierungen“ gab es bereits in der Baukunst des Alten Ägypten und entwickeln sich dort aus in Stein übertragenen [[Papyrussäule|Papyrusstengeln]]. Konkave Kanneluren erscheinen zuerst bei griechischen Tempeln (z. B am [[Parthenon]]) und wurden später in die römische Baukunst übernommen. In der Spätantike verschwanden sie allmählich; doch erlebten sie ein Wiederaufleben in der Baukunst von [[Renaissance]], [[Barock]] und [[Klassizismus]]. |
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Die erneute Anwendung und Verbreitung von Kannelierungen als Schmuckform in den Neostilen des [[Historismus]] wurde im 19. Jahrhundert durch Ornamentik-Handbücher unterstützt.<ref>Vgl. [[Franz Sales Meyer]]: ''Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen.'' Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, 1. Auflage, Leipzig 1888, Texterläuterungen S. 218 ([https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/3352040 Digitalisat]), Tafel 122 auf S. 219 ([https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/3352041 Digitalisat]).</ref>[[Datei:Orna122-Kannelierung.png|mini|Verschiedene Formen der Kannelierung ([[Franz Sales Meyer]]: ''Handbuch der Ornamentik,'' 1888<ref>[[Franz Sales Meyer]]: ''Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen.'' Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 122. ([https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/3352041 Digitalisat])</ref>'')'']] |
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== Säulen == |
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=== Gestaltung und Formen === |
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Die Kannelierung hat keine bautechnische Funktion; sie dient vielmehr der optischen Strukturierung des Schaftes, betont das Aufstreben der Säule und überspielt die horizontalen Fugen zwischen den einzelnen Säulentrommeln, um den Schaft [[monolith]]isch erscheinen zu lassen. |
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[[Dorische Ordnung|Dorische]] Säulen haben in der Regel 20 flache Kanneluren, die sich in scharfen Graten treffen, daher auch als „Gratkannelierung“ bezeichnet. Säulen [[Ionische Ordnung|ionischer]] und [[Korinthische Ordnung|korinthischer]] Ordnung haben hingegen – zumindest seit [[Antikes Griechenland#Klassische Zeit|klassischer]] Zeit – meist 24 Kanneluren, die durch schmale Stege (''Striae'') voneinander getrennt sind. Sie sind im Querschnitt halbkreisförmig und werden am oberen und unteren Ende ebenfalls halbkreisförmig abgeschlossen. Die Enden bilden also das Viertel einer Kugel. In [[Antikes Griechenland#Griechenland in der archaischen Zeit|archaischer]] Zeit hingegen hatten ionische Säulen flache Kanneluren in unterschiedlicher Zahl bis zu 48, die durch nur sehr schmale Stege getrennt waren oder sich teils sogar wie an dorischen Säulen in Graten berührten. |
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Datei:Saqqara - Mortuary temple columns panorama.jpg|Konvexe Kanneluren, [[Djoser]]-Komplex ([[Saqqara]]) |
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Datei:Parthenon southeast corner.jpg|[[Parthenon-Tempel]] ([[Athen]]) |
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Datei:Roma, Panteón 1995 03.jpg|[[Pantheon]] ([[Rom]]) |
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Datei:Brandenburger Tor - Durchgangsreliefs.jpg|[[Brandenburger Tor]], 1789–1793 (Berlin) |
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Datei:Donaustauf - Walhalla memorial - 20190518160525.jpg|[[Walhalla]], 1830–1842 (bei Donaustauf) |
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Datei:Lincoln Memorial, (Washington, D.C.) LCCN2016824940.jpg|[[Lincoln Memorial]], 1915–1922 ([[Washington, D.C.|Washington, D. C.]], USA) |
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Datei:Filary.Hartunga-ul.Stysia.jpg|[[Hartungsche Säule]]n, um 1900 ([[Breslau]]) |
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Datei:Regenfallrohr, Kannelierung (Paris, 2011).jpg|Regenfallrohr mit Kannelierung ([[Paris]]) |
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Datei:Architecture-pilasters.jpg|Kannelierte Pilaster (County Courthouse in [[Sidney (Ohio)|Sidney, Ohio]]; 1883) |
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Datei:Paris 06 - St Sulpice int 01.jpg|Kannelierte Pilaster ([[St-Sulpice (Paris)|St-Sulpice, Paris]]; 17./18. Jahrhundert) |
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=== Sonderformen der Kannelierung bei Säulen und Pilastern === |
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Durch gestalterische Sonderbehandlung und Unterteilung des kannelierten Säulenschaftes ist es möglich, die ursprünglichen Betonung der Senkrechten entgegenläuft, was eine horizontale Gliederung einer Säulenfront bewirkt. So wurden Säulen seit dem [[Hellenismus]] bisweilen erst ab einer bestimmten Höhe kanneliert („teilkannelierte“ Säulen oder „Teilkanneluren“). Im unteren Bereich sind die Säulenschäfte hierbei glatt belassen oder in Facetten gearbeitet, die im Gegensatz zu Kanneluren die Form ebener Streifen haben. Eine weitere Sonderform der Unterteilung des kannelierten Schafts sind in der [[Römische Architektur|römischen Architektur]] Kanneluren, in die nur im unteren Teil kleine Rundstäbe, sogenannte ''Pfeifen'', eingesetzt („gefüllt“) sind.<ref>[[Hans Koepf]], [[Günther Binding]]: ''Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar'' (= ''Kröners Taschenausgabe.'' Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X ([https://moodle.unifr.ch/pluginfile.php/975203/mod_resource/content/0/KOEPF%2C%20BINDING%2C%202005%2C%20Bildwoerterbuch%20der%20Architektur.pdf Digitalisat auf moodle.unifr.ch], abgerufen am 12. Mai 2024), S. 361 f.: ''Pfeife.''</ref><gallery class="center" caption="Sonderformen der Kannelierung bei Säulen und Pilastern"> |
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Datei:1-3 Strada Benjamin Franklin, Bucharest (04).jpg|Teilkanneluren-Pfeiler ([[Bukarest]]) |
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Datei:Escalier d'honneur of the Hôtel de Soubise.jpg|Kannelierte Säulen und Pilaster mit Pfeifen (Treppenhaus des [[Hôtel de Soubise|Hôtel de Soubise, Paris]]; 18. Jahrhundert) |
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Datei:Ellicott Square Building (detail), Buffalo, New York, June 2015.jpg|Ornamental gefüllte Säulen-Kanneluren (Ellicot Square Building, [[Buffalo]]) |
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Datei:3, Piața Romană, Bucharest (Romania) 6.jpg|Ornamental gefüllte Pilaster-Kanneluren ([[Piața Romană]], [[Bukarest]]) |
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Datei:Kanneluren (Goslar, Domvorhalle, 2024).jpg|Kanneluren mit gerundeten Graten ([[Goslarer Dom|Dom-Vorhalle, Goslar]], 12. Jahrhundert) |
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== Kannelierungen in anderen Bauteilen == |
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Kannelierungen als Zierformen kamen und kommen nicht nur bei steinernen Säulen und Pilastern vor, sondern davon abgeleitet auch bei [[Herme]]n, [[Baluster]]n, [[Taufstein]]en und übertragen in den Werkstoff Holz ebenfalls im [[Möbelbau]]. |
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Datei:Kannelierung an Herme (F.S. Meyer, Hdb.d. Ornamentik, 1888, Taf.139).jpg|Kannelierung an einer Herme (Franz Sales Meyer<ref>Franz Sales Meyer: ''Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen.'' Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 139. ([https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/3352071 Digtalisat])</ref>) |
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Datei:Kannelierung an Baluster (F.S. Meyer, Hdb.d. Ornamentik, 1888, Taf.138).jpg|Kannelierung an Balustern (Franz Sales Meyer<ref>Franz Sales Meyer: ''Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen.'' Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 138. ([https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/3352069 Digtalisat])</ref>) |
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Datei:Great Kimble - St Nicholas - Font - bowl fluting - geograph.org.uk - 4020654.jpg|Kannelierter Taufstein (St. Nicholas, Great Kimble/GB) |
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Datei:Kannelierung (Möbelbau, Tischbein, 2024).jpg|Kannelierung im Möbelbau, hier an einem [[Tisch]]bein |
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== Sonderformen von Kannelierungen in der Architektur == |
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Das Gestaltungsprinzip senkrechter und rund gekehlter Kanneluren kann auch in geschwungene, schraubenförmig gedrehte oder in gekerbte Formen übertragen werden.<gallery class="center" caption="Sonderformen von Kannelierungen in der Architektur"> |
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Datei:Sarcophagus with two rows of S shaped fluting, and griffins, cherubs, vases, and flowers - Hearst Castle - DSC06687.JPG|Geschwungene Zierkanneluren an einem antiken Sarkophag |
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Datei:Church of St Mary, Stapleford Tawney, Essex, England - casket tomb at north-west churchyard from north-west.jpg|Geschwungene Zierkanneluren an einem klassizistischen Sarkophag |
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Datei:Capernaum0072.jpg|Antike Halbsäulen mit geschraubten Kanneluren ([[Kafarnaum|Capernaum]]) |
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Datei:Columnas Timgad 3.jpg|Antike Säulenschäfte mit geschraubten Kanneluren ([[Timgad]]) |
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Datei:Kannelierung (St. Nikolai Göttingen, Kanzelfuß, 2024).jpg|Neugotischer Säulenschaft mit geschraubten Kanneluren ([[Kanzel]]<nowiki/>fuß von [[St. Nikolai (Göttingen)|St. Nikolai Göttingen]], um 1860) |
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Datei:Göttingen asv2022-06 img21 Bartholomäusfriedhof.jpg|Eingekerbte Kanneluren, 1796 (Grabmal für Carl Theodor Immanuel Graf von St. Martin auf dem [[Bartholomäusfriedhof|Bartholomäusfriedhof, Göttingen]]) |
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Datei:Komplekt building, Moscow, 1989 (16439722567).jpg|Gekerbte Kannelierung in Sichtbeton ([[Moskau]]) |
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== Waffentechnik == |
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In der [[Waffe]]ntechnik (z. B. bei [[Revolver]]trommeln oder [[Lauf (Schusswaffe)|Gewehrläufen]]) dient die Kannelierung zur Gewichtsreduzierung bei hoher Stabilität (Aussteifung durch das stehengebliebene Material) und zur Vergrößerung der Oberfläche zwecks besserer Wärmeableitung. Bei manchen Übungspatronen wird die Hülse kanneliert, um diese sicht- und fühlbar von scharfen Patronen zu unterscheiden. Hier wird umgangssprachlich häufig der Begriff „Flutung“ als eingedeutschte Version des englischsprachigen Begriffs verwendet. |
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Tamburo.jpg|Kannelierung einer [[Revolvertrommel]] |
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MAS 1873-two sides-p1030119.jpg|Französischer Revolver, oben mit kannelierter Trommel und unten mit nicht kannelierter Trommel |
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151110-N-TC720-081 (22502340898).jpg|Mark 38 mit kanneliertem Lauf |
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SpB-Museum-artillery-114.jpg|Kannelierter Lauf eines [[PK (Maschinengewehr)|PKS-MGs]] |
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FrankfordArsenalDrillRound.png|Übungspatrone mit Kannelierung |
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== Literatur == |
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* [[Hans Koepf]], [[Günther Binding]]: ''Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar'' (= ''Kröners Taschenausgabe.'' Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X ([https://moodle.unifr.ch/pluginfile.php/975203/mod_resource/content/0/KOEPF%2C%20BINDING%2C%202005%2C%20Bildwoerterbuch%20der%20Architektur.pdf Digitalisat auf moodle.unifr.ch], abgerufen am 21. Januar 2024), S. 263: ''Kanneluren''. |
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* [[Detlev Wannagat]]: ''Säule und Kontext. Piedestale und Teilkannelierung in der griechischen Architektur.'' Biering & Brinkmann, München 1995, ISBN 3-930609-07-X (Zugleich: Bochum, Universität, Dissertation, 1990). |
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* A. Widmaier: ''Kannelieren, Kannelierapparat''. [[Otto Lueger]]: ''Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften'', Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907, S. 370: ([http://www.zeno.org/Lueger-1904/A/Kannelieren,+Kannelierapparat Abschrift auf zeno.org], abgerufen am 12. Mai 2024) – Betrifft [[Möbelbau]]. |
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* ''[[Meyers Großes Konversations-Lexikon]]'', Band 10. Leipzig 1907, S. 563–564: ''Kannelieren''. ([http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Kannelieren Abschrift auf zeno.org], abgerufen am 12. Mai 2024) |
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== Weblinks == |
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{{Commonscat|Fluted columns|Kannelierung}} |
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* ''[https://www.arch-forum.ch/dictionary/details/de/416 Kannelierung / Kannelüre]'', auf arch-forum.ch |
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* ''[https://www.hellenicaworld.com/Greece/Architecture/de/Kannelierung.html Kannelierung]'', auf hellenicaworld.com |
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== Einzelnachweise == |
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<references /> |
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{{Normdaten|TYP=s|GND=4392077-9}} |
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[[Kategorie:Tempel (Architektur)]] |
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[[Kategorie:Ornamentik]] |
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[[Kategorie:Säule]] |
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[[Kategorie:Waffentechnik]] |
Aktuelle Version vom 4. November 2024, 14:38 Uhr

Die Kannelierung (lateinisch canna = „(Schilf-)Rohr“; französisch cannelure = „Rinne“, „Furche“, „Rille“) ist die senkrechte Auskehlung eines Objektes, meist einer Säule, eines Pfeilers oder eines Pilasters mit konkaven Furchen (Kanneluren, Kannelüren). Als dekoratives Motiv wurden sie auch im Möbelbau, Kunsthandwerk und der Metallverarbeitung übernommen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Säulengliederungen durch konvexe „Kannelierungen“ gab es bereits in der Baukunst des Alten Ägypten und entwickeln sich dort aus in Stein übertragenen Papyrusstengeln. Konkave Kanneluren erscheinen zuerst bei griechischen Tempeln (z. B am Parthenon) und wurden später in die römische Baukunst übernommen. In der Spätantike verschwanden sie allmählich; doch erlebten sie ein Wiederaufleben in der Baukunst von Renaissance, Barock und Klassizismus.
Die erneute Anwendung und Verbreitung von Kannelierungen als Schmuckform in den Neostilen des Historismus wurde im 19. Jahrhundert durch Ornamentik-Handbücher unterstützt.[1]

Säulen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gestaltung und Formen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kannelierung hat keine bautechnische Funktion; sie dient vielmehr der optischen Strukturierung des Schaftes, betont das Aufstreben der Säule und überspielt die horizontalen Fugen zwischen den einzelnen Säulentrommeln, um den Schaft monolithisch erscheinen zu lassen.
Dorische Säulen haben in der Regel 20 flache Kanneluren, die sich in scharfen Graten treffen, daher auch als „Gratkannelierung“ bezeichnet. Säulen ionischer und korinthischer Ordnung haben hingegen – zumindest seit klassischer Zeit – meist 24 Kanneluren, die durch schmale Stege (Striae) voneinander getrennt sind. Sie sind im Querschnitt halbkreisförmig und werden am oberen und unteren Ende ebenfalls halbkreisförmig abgeschlossen. Die Enden bilden also das Viertel einer Kugel. In archaischer Zeit hingegen hatten ionische Säulen flache Kanneluren in unterschiedlicher Zahl bis zu 48, die durch nur sehr schmale Stege getrennt waren oder sich teils sogar wie an dorischen Säulen in Graten berührten.
- Kannelierte Säulen- und Pilasterschäfte
-
Brandenburger Tor, 1789–1793 (Berlin)
-
Walhalla, 1830–1842 (bei Donaustauf)
-
Lincoln Memorial, 1915–1922 (Washington, D. C., USA)
-
Hartungsche Säulen, um 1900 (Breslau)
-
Regenfallrohr mit Kannelierung (Paris)
-
Kannelierte Pilaster (County Courthouse in Sidney, Ohio; 1883)
-
Kannelierte Pilaster (St-Sulpice, Paris; 17./18. Jahrhundert)
Sonderformen der Kannelierung bei Säulen und Pilastern
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch gestalterische Sonderbehandlung und Unterteilung des kannelierten Säulenschaftes ist es möglich, die ursprünglichen Betonung der Senkrechten entgegenläuft, was eine horizontale Gliederung einer Säulenfront bewirkt. So wurden Säulen seit dem Hellenismus bisweilen erst ab einer bestimmten Höhe kanneliert („teilkannelierte“ Säulen oder „Teilkanneluren“). Im unteren Bereich sind die Säulenschäfte hierbei glatt belassen oder in Facetten gearbeitet, die im Gegensatz zu Kanneluren die Form ebener Streifen haben. Eine weitere Sonderform der Unterteilung des kannelierten Schafts sind in der römischen Architektur Kanneluren, in die nur im unteren Teil kleine Rundstäbe, sogenannte Pfeifen, eingesetzt („gefüllt“) sind.[3]
- Sonderformen der Kannelierung bei Säulen und Pilastern
-
Teilkanneluren-Pfeiler (Bukarest)
-
Kannelierte Säulen und Pilaster mit Pfeifen (Treppenhaus des Hôtel de Soubise, Paris; 18. Jahrhundert)
-
Ornamental gefüllte Säulen-Kanneluren (Ellicot Square Building, Buffalo)
-
Ornamental gefüllte Pilaster-Kanneluren (Piața Romană, Bukarest)
-
Kanneluren mit gerundeten Graten (Dom-Vorhalle, Goslar, 12. Jahrhundert)
Kannelierungen in anderen Bauteilen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kannelierungen als Zierformen kamen und kommen nicht nur bei steinernen Säulen und Pilastern vor, sondern davon abgeleitet auch bei Hermen, Balustern, Taufsteinen und übertragen in den Werkstoff Holz ebenfalls im Möbelbau.
- Beispiele für andere kannelierte Bauteile
-
Kannelierung an einer Herme (Franz Sales Meyer[4])
-
Kannelierung an Balustern (Franz Sales Meyer[5])
-
Kannelierter Taufstein (St. Nicholas, Great Kimble/GB)
-
Kannelierung im Möbelbau, hier an einem Tischbein
Sonderformen von Kannelierungen in der Architektur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Gestaltungsprinzip senkrechter und rund gekehlter Kanneluren kann auch in geschwungene, schraubenförmig gedrehte oder in gekerbte Formen übertragen werden.
- Sonderformen von Kannelierungen in der Architektur
-
Geschwungene Zierkanneluren an einem antiken Sarkophag
-
Geschwungene Zierkanneluren an einem klassizistischen Sarkophag
-
Antike Halbsäulen mit geschraubten Kanneluren (Capernaum)
-
Antike Säulenschäfte mit geschraubten Kanneluren (Timgad)
-
Neugotischer Säulenschaft mit geschraubten Kanneluren (Kanzelfuß von St. Nikolai Göttingen, um 1860)
-
Eingekerbte Kanneluren, 1796 (Grabmal für Carl Theodor Immanuel Graf von St. Martin auf dem Bartholomäusfriedhof, Göttingen)
-
Gekerbte Kannelierung in Sichtbeton (Moskau)
Waffentechnik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Waffentechnik (z. B. bei Revolvertrommeln oder Gewehrläufen) dient die Kannelierung zur Gewichtsreduzierung bei hoher Stabilität (Aussteifung durch das stehengebliebene Material) und zur Vergrößerung der Oberfläche zwecks besserer Wärmeableitung. Bei manchen Übungspatronen wird die Hülse kanneliert, um diese sicht- und fühlbar von scharfen Patronen zu unterscheiden. Hier wird umgangssprachlich häufig der Begriff „Flutung“ als eingedeutschte Version des englischsprachigen Begriffs verwendet.
- Kannelierung in der Waffentechnik
-
Kannelierung einer Revolvertrommel
-
Französischer Revolver, oben mit kannelierter Trommel und unten mit nicht kannelierter Trommel
-
Mark 38 mit kanneliertem Lauf
-
Kannelierter Lauf eines PKS-MGs
-
Übungspatrone mit Kannelierung
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 21. Januar 2024), S. 263: Kanneluren.
- Detlev Wannagat: Säule und Kontext. Piedestale und Teilkannelierung in der griechischen Architektur. Biering & Brinkmann, München 1995, ISBN 3-930609-07-X (Zugleich: Bochum, Universität, Dissertation, 1990).
- A. Widmaier: Kannelieren, Kannelierapparat. Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907, S. 370: (Abschrift auf zeno.org, abgerufen am 12. Mai 2024) – Betrifft Möbelbau.
- Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 563–564: Kannelieren. (Abschrift auf zeno.org, abgerufen am 12. Mai 2024)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kannelierung / Kannelüre, auf arch-forum.ch
- Kannelierung, auf hellenicaworld.com
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Vgl. Franz Sales Meyer: Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen. Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, 1. Auflage, Leipzig 1888, Texterläuterungen S. 218 (Digitalisat), Tafel 122 auf S. 219 (Digitalisat).
- ↑ Franz Sales Meyer: Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen. Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 122. (Digitalisat)
- ↑ Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 12. Mai 2024), S. 361 f.: Pfeife.
- ↑ Franz Sales Meyer: Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen. Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 139. (Digtalisat)
- ↑ Franz Sales Meyer: Systematisch geordnetes Handbuch der Ornamentik: Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen. Seemanns Kunsthandbücher Bd. 1. Seemann, Leipzig 1888, Tafel 138. (Digtalisat)