„Reichsgericht“ – Versionsunterschied
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[[Bild:Leipzig Reichsgericht.jpg|thumb|300px|Das Gebäude des Reichsgerichts in Leipzig]] |
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[[Datei:Reichsgerichtsgebäude 2024.jpg|mini|hochkant=1.2|[[Reichsgerichtsgebäude]], seit 2002 Sitz des [[Bundesverwaltungsgericht (Deutschland)|Bundesverwaltungsgerichts]]]] |
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Das '''Reichsgericht''' war von 1879 bis 1945 der für den Bereich der [[Ordentliche Gerichtsbarkeit (Deutschland)|ordentlichen Gerichtsbarkeit]] zuständige [[Oberstes Gericht|oberste Gerichtshof]] im [[Deutsches Reich|Deutschen Reich]]. Seinen Sitz hatte es in [[Leipzig]]. |
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Das '''Reichsgericht''' war das oberste Straf- und Zivilgericht im Deutschen Reich. |
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Seine Zuständigkeit umfasste die [[Zivilgerichtsbarkeit (Deutschland)|Zivil-]] und [[Strafgerichtsbarkeit|Strafrechtspflege]], die in den unteren [[Instanz (Recht)|Instanzen]] von den [[Amtsgericht|Amts-]], [[Landgericht|Land-]] und [[Oberlandesgericht]]en ausgeübt wurde. Ferner betreute das Reichsgericht verwandte Spezialrechtsgebiete wie etwa das Berufsrecht in der Rechtspflege. Mit dem Reichsgericht verbunden war das [[Reichsarbeitsgericht]] ([[III. Zivilsenat des Reichsgerichts|III. Zivilsenat]]), angegliedert waren der [[Reichsdisziplinarhof|Disziplinarhof]],<ref>[[s:Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten#§. 87.|§ 87]] [[Reichsbeamtengesetz]] (1873)</ref> der Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte,<ref>[[s:Rechtsanwaltsordnung#§. 90.|§ 90 Rechtsanwaltsordnung]] (1878)</ref> das Reichsschiedsgericht,<ref>[[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1920 238 2118.png|§§ 6]], [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1920 238 2119.png|7]] [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1920 238 2117.png|Gesetz zur Sicherung einer einheitlichen Regelung der Beamtenbesoldung]] (1920)</ref> der [[Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich]],<ref>[[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1921 074 0905.png|Gesetz über den Staatsgerichtshof]] (1921)</ref> der [[Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik]],<ref>[[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 22T1 044 0522.jpeg|§§ 6, 7]] [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 22T1 044 0521.jpeg|Verordnung zum Schutze der Republik]] (1922)</ref> das [[Reichsbahngericht]]<ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=drb&datum=1924&page=305&size=45 § 44] [[Deutsche Reichsbahn (1920–1945)#Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (1924 bis 1937)|Reichsbahngesetz]] (1924)</ref> und das [[Wahlprüfungsgericht beim Reichstag]].<ref>[[s:Verfassung des Deutschen Reichs (1919)#Artikel 31|Art. 31]], [[s:Verfassung des Deutschen Reichs (1919)#Artikel 166|166]] [[Weimarer Verfassung|WRV]]</ref> Neben dem Reichsgericht bestanden der [[Reichsfinanzhof]], das [[Reichsversicherungsamt]] (mit [[Militärversorgungsgericht|Reichsversorgungsgericht]]) und das [[Reichswirtschaftsgericht]] (1941 aufgelöst und in das [[Reichsverwaltungsgericht]] integriert). |
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Es wurde [[1879]] nach der Vorlage des Entwurfs zum Errichtungsgesetzes in [[Leipzig]] errichtet. Angesichts der in der damaligen Länderkammer umstrittenen Standortwahl fiel [[Berlin]] nur knapp mit 28 Stimmen (Leipzig 30 Stimmen) durch. Der Bau des [[Reichsgerichtsgebäude]]s, in dem heute das [[Bundesverwaltungsgericht]] seinen Sitz bezogen hat, wurde 1888 vollendet. |
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== Dienstsitz == |
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Das Reichsgericht stand anders als gewollt in der Tradition des [[Preußisches Obertribunal|Preußischen Obertribunals]]. Umstritten ist die politische Prägung der Richterschaft. |
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{{Hauptartikel|Reichsgerichtsgebäude}} |
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[[Datei:Die Gartenlaube (1879) b 660.jpg|mini|hochkant|Die [[Georgenhalle]] in Leipzig, von 1879 bis 1895 Sitz des Reichsgerichts]] |
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[[Datei:Einweihung Reichsgericht Leipzig 1895.jpg|mini|hochkant|Einweihung [[Reichsgerichtsgebäude]] 1895]] |
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Das Reichsgericht nahm am 1. Oktober 1879 aufgrund des [[Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz|Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz]] gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der [[Reichsjustizgesetze]] seine Tätigkeit auf. |
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Dienstsitz des Reichsgerichts war Leipzig. Angesichts der im Bundesrat umstrittenen Standortwahl fiel [[Berlin]] nur knapp mit 28 Stimmen ([[Leipzig]] 30 Stimmen) durch. Leipzig war schon Sitz des [[Bundesoberhandelsgericht]]s des [[Norddeutscher Bund|Norddeutschen Bundes]], des späteren [[Reichsoberhandelsgericht]]s. Es entschied über Streitigkeiten nach dem Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861. |
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Das Reichsgericht wertete es beispielsweise als [[Beleidigung]], dass die sozialdemokratische Partei 1907 eine Broschüre herausbrachte, die sich an Beamte richtete und diese zur Wahl aufforderte. Für das Wechseln von 20 Reichsmark durch einen Schalterbeamten verhängte das Gericht 1881 eine Gefängnisstrafe von drei Monaten wegen Amtsunterschlagung. Auch in der Zeit der [[Weimarer Reichsverfassung]] verurteilte das Reichsgericht Personen, die zur Einhaltung des [[Vertrag von Versailles|Versailler Vertrages]] aufriefen, wegen [[Landesverrat]]s (beispielsweise [[Carl von Ossietzky]]). |
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Bis 1895 tagte das Gericht in der ''[[Georgenhalle]]'', den 1857 erbauten ehemaligen Leipziger Fleischhallen Brühl 80/[[Goethestraße (Leipzig)|Goethestraße]] 8. Das Gebäude, das auch das Café ''Fürst Reichskanzler'' beherbergte, wurde 1943 zerstört. Nach Fertigstellung des von 1888 bis 1895 von [[Ludwig Hoffmann (Architekt)|Ludwig Hoffmann]] und [[Peter Dybwad]] errichteten [[Historismus|historistischen]] Neubaus zog das Gericht 1895 in das neue Reichsgerichtsgebäude. Nach dem Ende des Reichsgerichts im Jahr 1945 wurde das Reichsgerichtsgebäude im Jahr 1952 von der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] zum [[Georgi-Dimitroff-Museum]] umfunktioniert. Dieses Museum wurde nach der Wende im Jahr 1991 aufgelöst. Seit 2002 befindet sich im Reichsgerichtsgebäude das [[Bundesverwaltungsgericht (Deutschland)|Bundesverwaltungsgericht]]. |
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Während der [[Zeit des Dritten Reiches]] blieb das Reichsgericht seiner Linie treu. |
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== Zusammensetzung == |
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Dabei konnte in der jüngeren Forschung (?) nachgewiesen werden, dass insbesondere die höchsten Richter des Reiches fachlich nicht die besten waren. Von 131 Richtern hatten immerhin 65 mindestens ein Examen nur mit ausreichend bestanden. |
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Das Reichsgericht wurde mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten ([[Reichsgerichtsrat|Reichsgerichtsräte]]) besetzt. Beim Reichsgericht wurden Zivil- und Strafsenate gebildet, deren Anzahl der Reichskanzler, ab 1924 der Reichsminister der Justiz bestimmte. Ursprünglich gab es fünf Zivil- und drei Strafsenate. Die Zivilsenate wurden üblicherweise mit römischen, die Strafsenate mit arabischen Ziffern bezeichnet. 1884 kam der [[IV. Strafsenat des Reichsgerichts|4. Strafsenat]] hinzu, 1886 der [[VI. Zivilsenat des Reichsgerichts|VI. Zivilsenat]]. Der [[VII. Zivilsenat des Reichsgerichts|VII. Zivilsenat]] bestand von 1899 bis 1923 und ab 1927; der [[VIII. Zivilsenat des Reichsgerichts|VIII. Zivilsenat]] von 1928 bis 1933 und ab 1939; der [[IX. Zivilsenat des Reichsgerichts|IX. Zivilsenat]] von 1930 bis 1932; der [[V. Strafsenat des Reichsgerichts|5. Strafsenat]] von 1906 bis 1924, 1926 bis 1928 und ab 1933; der [[VI. Strafsenat des Reichsgerichts|6. Strafsenat]] von 1921 bis 1923 und (mit Unterbrechungen) ab 1933; der [[Besonderer Strafsenat des Reichsgerichts|Besondere Strafsenat]] ab 1939. [[Gerichtsferien|Feriensenate]] gab es von 1880 bis 1934. |
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Wollte ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senates abweichen, so hatte dieser, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, die Verhandlung und Entscheidung an die Vereinigten Zivil- oder die Vereinigten Strafsenate zu verweisen. Der Präsident, die Senatspräsidenten und die Reichsgerichtsräte wurden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt. Voraussetzung dafür war die Befähigung zum Richteramt und die Vollendung des 35. Lebensjahres. Im Reichsgericht bestand eine Gerichtsschreiberei. Beim Reichsgericht wurde die [[Oberreichsanwalt]]schaft als Staatsanwaltschaft eingerichtet. |
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Von den Apologeten des Reichsgerichts, die den [[Bundesgerichtshof]] in einer Linie mit dem Reichsgericht sehen, werden die hohen rechtsstaatlichen Leistungen des Reichsgerichtes hervorgehoben. Noch heute sind viele Entscheidungen des Reichsgerichtes richtungsweisend für die Rechtsprechung. |
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== Zuständigkeiten == |
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Mit dem Untergang des Dritten Reiches wurde 1945 auch das Reichsgericht abgeschafft. |
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Das Reichsgericht war ein [[Ordentliche Gerichtsbarkeit (Deutschland)|ordentliches Gericht]]. Es war zur Entscheidung über Strafsachen und Zivilsachen (Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Rechtshandlungen des Staates als Fiskus, Handelssachen, Arbeitsrecht) berufen. Eine gesonderte Arbeitsgerichtsbarkeit bestand bis 1926 nicht. Zuständig war das Reichsgericht auch für das [[Staatshaftungsrecht (Deutschland)|Staatshaftungsrecht]]. |
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Territorial umfasste der Zuständigkeitsbereich zunächst 28, 1932 (Minimum) 26 und 1942 (Maximum) 35 [[Oberlandesgericht]]sbezirke. |
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===Literatur=== |
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*Ingo Müller, Kein Grund zur Nostalgie: das Reichsgericht, in: Betrifft Justiz 2001, S. 12 - 18 mwN |
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*RGZ - Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen |
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*RGSt - Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen |
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*[[Erich Loest]]: [[Reichsgericht (Roman)|Reichsgericht]] ISBN 3861520036 |
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{{Rechtshinweis}} |
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Im Instanzenzug hatte das Reichsgericht in der Regel geborene (d. h. durch Gesetz zwingend vorgegebene) Zuständigkeiten. Lediglich bei der Revision gegen Berufungsurteile der Strafkammern in Strafsachen betreffend [[Abgaben]], die in die Reichskasse flossen, war seine Zuständigkeit anfangs gekoren (d. h. erst auf Antrag der Staatsanwaltschaft entstanden). |
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[[Kategorie:Gericht]] |
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Als geborene Zuständigkeiten hatte das Reichsgericht im [[Zivilrecht]] Entscheidung über die [[Revision (Recht)|Revision]] gegen Endurteile und [[Beschwerde (deutsches Recht)|Beschwerden]] gegen Beschlüsse der [[Oberlandesgericht]]e ([[Kammergericht]]) zu fällen ([[s:Gerichtsverfassungsgesetz#§. 135.|§ 135]] [[Gerichtsverfassungsgesetz|GVG]]). Daneben war es [[Berufung (Recht)|Berufungsinstanz]] gegen Entscheidungen des [[Patentamt]]s im Patentnichtigkeits-, Patentrücknahme- und Zwangslizenzverfahren und in diesem Bereich zweite Tatsacheninstanz ([[s:Patentgesetz. Vom 7. April 1891#§. 33.|§ 33]] [[Patentgesetz (Deutschland)|PatG 1891]]). 1900 kamen oberlandesgerichtliche Vorlagen [[Beschwerde (deutsches Recht)|weiterer Beschwerden]] in Angelegenheiten der [[Freiwillige Gerichtsbarkeit (Deutschland)|freiwilligen Gerichtsbarkeit]] hinzu ([[s:Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit#§. 28.|§ 28]] [[Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit|FGG]]). |
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Als geborene Zuständigkeit im [[Strafrecht]] war es zur Entscheidung über das Rechtsmittel der [[Revision (Recht)|Revision]] gegen die Urteile der [[Strafkammer]]n erster Instanz und der [[Schwurgericht]]e berufen, wenn nicht die Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte (Kammergericht) begründet war ([[s:Gerichtsverfassungsgesetz#§. 136.|§ 136]] Abs. 1 Nr. 2 [[Gerichtsverfassungsgesetz|GVG]]). Das war der Fall, wenn ausschließlich eine Norm aus dem Landesrecht verletzt war. Das Reichsgericht war somit nicht zuständig für Revisionsverfahren bei Straftaten, in denen die Amtsgerichte erstinstanzlich entschieden. Das waren Verfahren wegen leichter Delikte (z. B. [[Übertretung]]en, [[Hausfriedensbruch (Deutschland)|Hausfriedensbruch]], Diebstahl und Sachbeschädigung bis zu einem Wert von 25 Mark). Sie konnten nur bis zum Oberlandesgericht angefochten werden. |
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Das Reichsgericht entschied bis 1934 in erster und letzter Instanz für die Untersuchung und Entscheidung in Fällen des [[Hochverrat|Hoch-]] und [[Landesverrat]]s, wenn diese Verbrechen gegen Kaiser oder Reich gerichtet waren ([[s:Gerichtsverfassungsgesetz#§. 136.|§ 136]] Abs. 1 Nr. 1 [[Gerichtsverfassungsgesetz|GVG]]).<ref>ab 1924: [https://lexetius.com/GVG/134,10 § 134 GVG (synoptisch)]; Beispiele: [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/5%2Frgre905021060 RGSt 5, 60] (Breuder); [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/10%2Frgre910123420 RGSt 10, 420] (v. Kraszewski); [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/12%2Frgre912017064 RGSt 12, 64] ([[August Reinsdorf|Reinsdorf]]/[[Attentat am Niederwalddenkmal|Niederwald-Attentat]]); [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/41%2Frgre941036138 RGSt 41, 138] (Oestreich); [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/56%2Frgre956132259 RGSt 56, 259] ([[Traugott von Jagow|v. Jagow]]/[[Kapp-Putsch]]); [http://flechsig.biz/RGSt62.pdf RGSt 62, 65] ([[Berthold Jacob|Salomon]]/[[Ponton-Prozess]]); [[Weltbühne-Prozess]]; [[Reichstagsbrand#Der Reichstagsbrandprozess|Reichstagsbrandprozess]]</ref> Eine Rechtsmittelinstanz bestand insofern nicht. In dieser erstinstanzlichen Zuständigkeit war das Reichsgericht Tatsacheninstanz. Auch diese Zuständigkeit war geboren. Das Reichsgericht führte keine eigenen [[Ermittlungsrichter]]. Für die Entscheidungen vor Erhebung der öffentlichen Klage durch den [[Oberreichsanwalt]], welche nach der [[Strafprozessordnung (Deutschland)|StPO]] dem Richter oblagen, waren die Ermittlungsrichter an den Landgerichten zuständig (heute an den Oberlandesgerichten und am [[Bundesgerichtshof]]). Bis 1923 erledigte der erste Senat die Geschäfte der [[s:Strafprozeßordnung#Dritter Abschnitt. Gerichtliche Voruntersuchung.|gerichtlichen Voruntersuchung]], die nach der StPO a. F. bis in die 1970er-Jahre möglich war, und entschied über die Beschwerden betreffend die Entscheidungen des Ermittlungsrichters; das Hauptverfahren fand vor dem vereinigten zweiten und dritten Senat statt.<ref>[https://lexetius.com/GVG/138,10 § 138 GVG (synoptisch)]</ref> Von 1923 bis 1934 teilten sich der [[IV. Strafsenat des Reichsgerichts|4.]] und [[IV. Strafsenat des Reichsgerichts|5. Strafsenat]] diese [[Politische Straftat|politischen Strafsachen]], 1933/34 unter Beteiligung auch des [[VI. Strafsenat des Reichsgerichts|6. Strafsenats]]. 1934 ging die Zuständigkeit für Hoch- und Landesverrat auf den [[Volksgerichtshof]] über. |
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Aufgrund einer Vielzahl geltender ziviler Partikularrechte, wurden die aus den einzelnen Rechtsprechungsbänden entstehenden Entscheidungssammlungen – für das Zivilrecht die [[Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen|RGZ]]-Entscheidungsbände und für das Strafrecht die [[Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen|RGSt]]-Entscheidungsbände – zur äußeren Orientierungshilfe in ihren Inhaltsverzeichnissen gegliedert. Beispielsweise wurden im Abschnitt I die Entscheidungen zum Reichsrecht (Materien zum [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch|ADHGB]], [[Insolvenzordnung (Deutschland)|KO]], [[Haftpflichtgesetz|Reichs-HPflG]]) zugeordnet, dem Abschnitt II Entscheidungen zum [[Gemeines Recht|gemeinen Recht]], Abschnitt III zum preußischen Recht, Abschnitt IV zum rheinischen Recht und Abschnitt V zum [[Verfahrensrecht#Geschichtliche Entwicklung|Prozessrecht]].<ref name="Seiler" /> |
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Das Reichsgericht entschied ferner ab 1920 über die Vereinbarkeit von Landes- mit Reichsrecht ([[s:Verfassung des Deutschen Reichs (1919)#Artikel 13|Art. 13]] Abs. 2 [[Weimarer Verfassung|WRV]] mit Ausführungsgesetz),<ref>''[http://www.documentarchiv.de/wr/1920/verfassung-deutsches-reich-art13_ges.html Gesetz zur Ausführung des Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs]'' vom 8. April 1920 ([http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1920&page=744&size=45 RGBl. S. 510]). Dazu [[Hans Heinrich Lammers]], [[Walter Simons]] (Hrsg.): ''Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung. Abteilung B'' (Bände 1, 4 und 6, {{ZDB|977275-3}}). Es handelt sich um 24 Entscheidungen: [[Reichsgesetzblatt|RGBl.]] [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1920 228 2016.png|1920, 2016]] (Sachsen, Volksschulwesen; Hamburg, Religionsunterricht; Bremen, Religionsunterricht); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1921 061 0735.png|1921, 735]] (Bayern, Volksschullehrer); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 1921 109 1359.png|1921, 1359]] (Braunschweig, Landschaftsordnung, [http://www.saarheim.de/Entscheidungen/RGundStGH/RGZ%20103,%2091.pdf RGZ 103, 91]); [[Reichsgesetzblatt|RGBl. I]] [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 24T1 035 0434.jpg|1924, 434]] (Bremen, Schulleiterwahl); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 23T1 036 0292.jpg|1923, 292]] (Preußen, Staatshaftung); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 24T1 007 0041.jpg|1924, 41]] (Sachsen, Pensionsdienstzeit); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 25T1 016 0049.jpg|1925, 49]] (Thüringen, Volksschulwesen); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 25T1 036 0180.jpg|1925, 180]] ([[Freistaat Sachsen-Gotha|Gotha]], Fideikommisse); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 25T1 045 0348.jpg|1925, 348]] (Braunschweig, Grundsteuer, [http://www.saarheim.de/Entscheidungen/RGundStGH/RGZ%20111,%20134.pdf RGZ 111, 134]); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 25T1 054 0468.jpg|1925, 468]] (Sachsen, Beamtenbesoldung); <!--RGZ 113, 349 (sächs. Kirchenleistungen); -->[[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 26T1 039 0316.jpg|1926, 316]] (Mecklenburg-Schwerin, Volksschullehrerbildung); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 27T1 039 0286.jpg|1927, 286]] (Preußen, Schulaufsicht); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 27T1 057 0513.jpg|1927, 513]] (Lippe, Grundwertsteuer; Württemberg und Bayern, Fürsorge); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 28T1 003 0016.jpg|1928, 16]] (Württemberg, Minister); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 28T1 034 0373.jpg|1928, 373]] (Baden, Beamtengesetz); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 28T1 041 0399.jpg|1928, 399]] (Lübeck, Mieterschutz); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 28T1 045 0414.jpg|1928, 414]] (Sachsen, Landeswahlgesetz, [http://www.saarheim.de/Entscheidungen/RGundStGH/RGZ%20122,%20306.pdf RGZ 122, 306]); <!--RGZ 126, 121 Rentensperrgesetz; -->[[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 30T1 021 0191.jpg|1930, 191]] (Sachsen, Volksschullehrer); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 30T1 023 0202.jpg|1930, 202]] (Thüringen, Ermächtigungsgesetz); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 31T1 045 0414.jpg|1931, 414]] (Mecklenburg-Strelitz, Grundsteuer); [[:Datei:Deutsches Reichsgesetzblatt 33T1 018 0095.jpg|1933, 95]] (Baden, Wasser- und Baurecht).</ref> soweit nicht der [[Reichsfinanzhof]] zuständig war. |
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== Registerzeichen == |
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* Revisionen (und Berufungen in Patentsachen): ''kein Kennzeichen''; Revisionen in Strafsachen ab 1933 '''''D''''' |
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* erstinstanzliche Strafsachen: '''''C''''' (bis 1920), '''''J''''' (1920er) |
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* Beschwerden bis 1910: '''''Beschw''''' |
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:dann (insbesondere nach [[Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit|FGG]]): '''''B''''' |
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:sonstige Beschwerden in Zivilsachen: '''''GB''''' |
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:sonstige Beschwerden in Strafsachen: '''''TB''''' |
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* außerordentliche Einsprüche:<ref>''Gesetz zur Änderung des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs'' vom 16. September 1939 ([http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1939&page=2072&size=45 RGBl. I S. 1841]), Art. 2</ref> '''''BStS''''' ([[Besonderer Strafsenat des Reichsgerichts|Besonderer Strafsenat]], ab 1939) |
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* Nichtigkeitsbeschwerden:<ref>''Verordnung über die zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften'' vom 21. Februar 1940 ([http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1940&page=451&size=45 RGBl. I S. 405]), § 34; ''Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege'' vom 13. August 1942 ([http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1942&page=611&size=45 RGBl. I S. 508]), Art. 7 § 2</ref> '''''C''''' (ab 1940) |
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* abstrakte [[Normenkontrolle]] ([[s:Verfassung des Deutschen Reichs (1919)#Artikel 13|Art. 13]] [[Weimarer Verfassung|WRV]]): '''''Tgb''''' (1925–32) |
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* [[Großer Senat|Große Senate]]: '''''GSZ''''', '''''GSE''''', '''''GSSt''''' (ab 1935) |
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* [[Armenrecht]]: '''''A''''' |
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[[Aktenzeichen (Deutschland)#Justiz|Aktenzeichen]]<nowiki />bildung: Während für die Zivilsenate durchgängig römische Ziffern standen, wurden die Strafsenate im Aktenzeichen anfangs gar nicht, von 1906 bis 1933 ebenfalls mit römischen Ziffern und danach mit arabischen Ziffern bezeichnet. Die Aktenführung richtete sich nach den ''Vorschriften über Einrichtung der Gerichtsschreiberei bei dem Reichsgerichte''.<ref>vom 23. September 1879 ([http://swb.bsz-bw.de/DB=2.301/PPNSET?PPN=392257173&PRS=HOL&HILN=888&INDEXSET=1 BGH-OPAC])</ref> |
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== Rechtsprechung des Reichsgerichts == |
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=== Kaiserreich === |
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Das Reichsgericht war mit Ausnahme seiner Zuständigkeit in [[Hochverrat|Hoch-]] und [[Landesverrat]]ssachen eine reine Rechtsmittelinstanz. Seine Aufgabe war es, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem gesamten Reichsgebiet sicherzustellen, denn ein zentrales Zivilgesetzbuch war noch nicht kodifiziert und die partikular geltenden Privatrechtsordnungen aufeinander unabgestimmt. So galten beispielsweise [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|PrALR]], [[Code civil|rheinisches]], [[Badisches Landrecht 1810|badisches-]], [[Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch|sächsisches]] oder unkodifiziertes [[Gemeines Recht|römisch-gemeines Recht]] nebeneinander.<ref name="Seiler">[[Hans Hermann Seiler]]: ''Geschichte und Gegenwart im Zivilrecht. Das Reichsgericht und das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch.'' Heymanns, Köln 2005, ISBN 978-3-452-25387-3, S. 179–197 (181 f.).</ref> Insgesamt galt es, etwa 46 wichtigeren Partikularrechten gerecht zu werden.<ref>Anlage zur Denkschrift zum BGB in: [[Benno Mugdan]]: ''Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch.'' I,1899, S. 844 f.</ref> Die Harmonisierung fiel dem Reichsgericht letztlich nicht so schwer, wie es der erste Blick vermuten lässt, denn der [[Pandektenwissenschaft|pandektistisch]] geprägte Universitätsbetrieb und das ebenso pandektistisch durch [[Bernhard Windscheid|Windscheid]], [[Adolph von Vangerow|Vangerow]] und [[Alois von Brinz|Brinz]] aufbereitete Lehrwissen des dominierenden ''gemeinen Rechts'' prägte Richter, die sich in der Rechtszersplitterung zurechtfanden. |
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Das Reichsgericht wurde seit seiner Etablierung von Kritikern als Fortsetzung des [[Preußisches Obertribunal|Preußischen Obertribunals]] interpretiert. Die Richterschaft war monarchisch-konservativ geprägt, besonders im Bereich des Strafrechts waren zur Zeit des Kaiserreichs kritische Stimmen am Gericht in der Minderheit – so auch in anderen damaligen staatlichen Institutionen. So wertete das Gericht es im Jahre 1912 beispielsweise als [[Beleidigung (Deutschland)|Beleidigung]], dass die sozialdemokratische Partei 1907 eine Broschüre herausbrachte, die sich an Beamte richtete und diese zur Wahl der [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]] aufforderte – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die SPD bereits die stärkste Fraktion im Reichstag stellte.<ref>vgl. [https://rgst.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/46%2Frgre946043151 RGSt 46, 151–154], Urt. vom 28. Juni 1912</ref> Ferner führte das Reichsgericht in seinem Urteil vom 12. Oktober 1907 im Hochverratsprozess gegen [[Karl Liebknecht]] aus, die unbedingte Gehorsamspflicht der Soldaten gegenüber dem Kaiser sei eine zentrale Bestimmung der Verfassung des Kaiserreichs. Dagegen hatte der Angeklagte im Prozess vergeblich betont, kaiserliche Befehle seien null und nichtig, wenn sie einen Bruch der Verfassung bezweckten.<ref>vgl. dazu: ''Der Hochverratsprozeß gegen Karl Liebknecht vor dem Reichsgericht''. Verhandlungsbericht nebst einem Nachwort. Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1907</ref> |
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Auf der anderen Seite ergingen auf dem Gebiet des Zivilrechts in dieser Zeit einige wegweisende Entscheidungen, die noch heute Gültigkeit besitzen. So bejahte das Reichsgericht die damals gesetzlich nicht geregelte vorvertragliche Haftung ([[culpa in contrahendo]]), abgekürzt c.i.c.<ref>vgl. [http://opinioiuris.de/entscheidung/1143 RGZ 78, 239], Urt. vom 7. November 1911 – Teppichrollenfall bzw. auch Linoleumrollenfall genannt</ref> Die c.i.c war jahrzehntelang ein in der Rechtsprechung und der Literatur anerkanntes Haftungsinstitut, bis sie im Wege der 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform Gesetz geworden ist, vgl. dazu {{§|311|bgb|juris}} [[Bürgerliches Gesetzbuch]] n. F. Ferner entwickelte das Reichsgericht die Kategorie der „[[Positive Vertragsverletzung|positiven Vertragsverletzung]]“, welche ebenfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch unbekannt war. Es entwickelte die Haftung aufgrund positiver Vertragsverletzung anhand der noch heute gültigen Vorschrift des {{§|276|bgb|juris}} BGB, wonach ein Schuldner für vorsätzliches bzw. fahrlässiges Handeln haftet.<ref>vgl. beispielsweise zur positiven Vertragsverletzung [http://opinioiuris.de/entscheidung/1140 RGZ 66, 289], Urt. vom 9. Juli 1907 – Pferdefutterfall –, dieses Urteil ist eine Bestätigung einer Entscheidung aus dem Jahr 1902, wo das Reichsgericht erstmals eine positive Vertragsverletzung angenommen hat, vgl. [https://rgz.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/52%2Frgre052005018 RGZ 52, 18] – Roggenfall –</ref> Die positive Vertragsverletzung war jahrzehntelang gewohnheitsrechtlich anerkannt. Nach der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform werden nun entsprechende Fälle anhand {{§|280|bgb|juris}} BGB n. F. gelöst. |
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=== Weimarer Republik === |
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In der [[Weimarer Republik]] setzte das Gericht besonders im Bereich des Strafrechts seine konservative Linie bis hin zum Reaktionären fort. Dies zeigt die Ambivalenz des am 21. Dezember 1921 ergangenen Urteils gegen drei Teilnehmer des rechtsgerichteten [[Kapp-Putsch]]es: Auf der einen Seite betonte das Reichsgericht, die Bestimmungen über den Hochverrat schützten die jeweils gültige Verfassung des Deutschen Reichs und damit auch die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Ferner dürften tatsächliche oder vermeintliche politische Missstände nicht mittels Staatsstreichs beseitigt werden, denn der Satz „Der Zweck heilige die Mittel“ sei mit den Vorschriften über Hochverrat unvereinbar. Auf der anderen Seite kam es nur zu einer einzigen Verurteilung – der Innenminister der Putschregierung [[Traugott von Jagow]] wurde lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren [[Festungshaft]] (die mildeste und ehrenhafteste Form der Freiheitsentziehung bei Vergehen und Verbrechen) verurteilt. Bei der Strafzumessung führte das Reichsgericht u. a. aus (Zitat): „Bei der Strafzumessung sind dem Angeklagten, der unter dem Banne selbstloser Vaterlandsliebe und eines verführerischen Augenblicks dem Rufe von [[Wolfgang Kapp|Kapp]] gefolgt ist, mildernde Umstände zugebilligt worden.(…) Eine fünfjährige Festungshaft erschien dem Verschulden des Angeklagten angemessen.“ Am gleichen Tag wurde das Strafverfahren gegen zwei Mitangeklagte [[Einstellung des Strafverfahrens (Deutschland)|eingestellt]]. Zur Begründung hieß es, sie hätten beim Putsch keine führende Rolle gespielt, so dass das Amnestiegesetz vom 4. August 1920 Anwendung finde. Die drei am 21. Dezember 1921 abgeschlossenen Strafverfahren waren überdies die einzigen Strafverfahren, die vor dem Reichsgericht gegen Teilnehmer dieses Putsches durchgeführt wurden.<ref>vgl. zum Kapp-Putsch-Prozess: Karl Brammer, Verfassungsgrundlagen und Hochverrat, Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin 1922</ref> |
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Diese konservative Linie setzte das Gericht fort. So wurde beispielsweise [[Carl von Ossietzky]] in dem spektakulären [[Weltbühne-Prozess]] wegen [[Spionage]] am 23. November 1931 zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil in seiner Zeitschrift ein Artikel erschienen war, der auf die geheime und rechtswidrige Aufrüstung der [[Reichswehr]] hingewiesen hatte (sog. Publizistischer Landesverrat).<ref>(vgl. zum Weltbühne-Prozess: a) [[Heinrich Hannover]]/[[Elisabeth Hannover-Drück]]: ''Politische Justiz 1918–1933.'' Lamuv Verlag, Bornheim-Merten 1987, S. 186–192 m. w. N.; b) die Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens des Weltbühne-Prozesses durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 1992, siehe {{Rspr|BGHSt 39, 75}} m. w. N.)</ref> Da zugleich der Gewalt von rechts nicht entschieden genug begegnet wurde bzw. diese insbesondere in den sogenannten [[Fememord]]verfahren in einigen Urteilen gerechtfertigt wurde, trugen dieser und ähnliche Prozesse zu dem Vorwurf bei, die Justiz sei in der Zeit der Weimarer Republik „auf dem rechten Auge blind“ gewesen. |
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In den 1920er-Jahren fanden vor dem Reichsgericht die [[Leipziger Prozesse]] statt. Allerdings erfolgte nur in wenigen Fällen eine Bestrafung deutscher [[Kriegsverbrechen]]. Viele Prozesse wurden eingestellt und von den wenigen Verurteilungen wurden später die Urteile gegen zwei Marineangehörige wegen der Versenkung eines englischen Lazarettschiffs heimlich aufgehoben. |
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Jedoch fielen in die gleiche Zeit einige bahnbrechende Entscheidungen im Gebiet des Zivilrechts. So wurde die Kategorie des „Wegfalls der [[Geschäftsgrundlage]]“<ref>vgl. [https://rgz.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/100%2Frgre100038129 RGZ 100, 129], Urt. vom 21. September 1920 „Dampfpreisfall“.</ref> entwickelt, die dem [[Bürgerliches Gesetzbuch|Bürgerlichen Gesetzbuch]] bis dato unbekannt war – heute fester Bestandteil der Zivilrechtsordnung (vgl. der im Zuge der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform neugefasste § 313 BGB). Geradezu revolutionär war die unter dem Eindruck der [[Weltwirtschaftskrise]] (siehe auch [[Deutsche Inflation 1914 bis 1923]]) entwickelte [[Aufwertungsrechtsprechung]], mit der sich das Reichsgericht erstmals die Befugnis zusprach, Gesetze auf ihre Gültigkeit zu überprüfen,<ref>vgl. [https://rgz.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/111%2Frgre111068320 RGZ 111, 320], 323, Urt. vom 4. November 1925</ref> was dazu führte, dass der bis dahin anerkannte Mark-gleich-Mark-Grundsatz ([[Nennwertgrundsatz]], [[Nominalismus (Recht)|Nominalismus]]) wegen der galoppierenden [[Inflation]] aufgegeben wurde.<ref>Vgl. zu dieser Problematik: [[Knut Wolfgang Nörr]], Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit – Die Reaktion des Reichsgerichts auf die Krisen von Weltkrieg und Inflation, und die Entfaltung eines neuen richterlichen Selbstverständnisses, Verlag C. F. Müller, Heidelberg 1996, ISBN 3-8114-5096-4.</ref> |
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=== Nationalsozialismus === |
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Nach der [[Machtergreifung]] [[Adolf Hitler]]s wurden mit dem [[Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft]] jüdische und sozialdemokratische Richter (unter ihnen Senatspräsident [[Alfons David]] und Reichsgerichtsrat [[Hermann Großmann (Jurist)|Hermann Grossmann]]) gezwungen, ihren Abschied einzureichen, und jüdische Anwälte am Reichsgericht an der weiteren Arbeit gehindert.<ref>vgl. Lothar Gruchmann: ''Justiz im Dritten Reich 1933–1940.'' 3. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2001, ISBN 3-486-53833-0, S. 126 f.</ref> |
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In der Folgezeit stellte sich das Reichsgericht der Machtergreifung und den zahlreichen illegalen Gewaltakten nicht entgegen. Vielmehr verstrickte es sich tief in das nationalsozialistische Unrechtsregime, etwa als es im [[Reichstagsbrandprozess]] den holländischen Kommunisten [[Marinus van der Lubbe]] auf der [[Lex van der Lubbe|Basis eines rechtsstaatswidrigen Gesetzes]] zum [[Todesstrafe|Tode]] verurteilte.<ref>[https://www.welt.de/welt_print/article1544761/Aufgehoben-nicht-freigesprochen.html Welt online: Aufgehoben ist nicht freigesprochen]</ref> Trotz diesem Urteil war der neuen Staatsführung die Rechtsprechung dieses Gerichts ein Dorn im Auge, sprach es doch die sonstigen Mitangeklagten frei und widerlegte damit die öffentliche Behauptung [[Hermann Göring]]s, dass ein kommunistischer Umsturzversuch im Gange gewesen sei. Unter anderem deshalb wurde dem Reichsgericht im Jahr 1934 durch das Gesetz zur Errichtung des [[Volksgerichtshof]]s die Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen entzogen. |
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Der „[[Anschluss (Österreich)|Anschluss]]“ Österreichs an das deutsche Reich bedeutete die Auflösung des [[Oberster Gerichtshof (Österreich)|Obersten Gerichtshofs]] in Wien und Übertragung seiner Zuständigkeiten auf das Reichsgericht.<ref>Verordnung vom 28. Februar 1939, [https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1939&page=589&size=45 RGBl. I S. 358] = [https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=glo&datum=1939&page=934&size=45 GBl. Nr. 307/1939]</ref> Diese Maßnahme wurde am 1. April 1939 vollzogen<ref>Bekanntmachung des Reichsjustizministers vom 8. März 1939, [https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1939&page=679&size=45 RGBl. I S. 448]</ref> und das Reichsgericht wurde oberste Revisionsinstanz für österreichische Zivilsachen.<ref>[[Friedrich Karl Kaul]]: ''Geschichte des Reichsgerichts'', Band IV (1933–1945), 1971, S. 44 ff; 338.</ref> Wenngleich Teilnovellierungen des materiellen Rechts Österreichs vorgenommen wurden, blieb die maßgebende Privatrechtsordnung gleichwohl das österreichische [[Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]]. Beim Reichsgericht wurde derweil der VIII. Zivilsenat gegründet, dem alle Rechtsangelegenheiten Österreichs, der sudetendeutschen Gebiete und des Protektorats Böhmen und Mähren zugewiesen wurden, soweit nicht die Sonderzuständigkeit der ersten fünf Senate begründet war. Wegen [[Unterbesetzung]] wurde er bereits vor dem Ende der Existenz des Reichsgerichts wieder aufgelöst.<ref>[https://rgz.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/170%2Frgre170042255 RGZ 170, 255]: Ab 1943 bereits veröffentlichte das RG nur noch Urteile im ABGB-Kontext.</ref> |
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==== Eherecht ==== |
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Auch im Bereich des Zivilrechts war die Verstrickung tief. Beispielhaft sei hier eine Entscheidung aus dem Jahr 1935 herausgegriffen, in der das Reichsgericht urteilte: |
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''Beizutreten ist dem Spruchausschuß darin, daß bei der grundlegenden Bedeutung der Rassenfrage im nationalsozialistischen Staat die Heranbildung des jungen Menschen arischer Abstammung zu einem art- und rassebewußten Volksgenossen einen untrennbaren Bestandteil des Erziehungswerkes bildet und daß diese Heranbildung nicht gewährleistet ist, wenn zwar die Pflegemutter, nicht aber der Pflegevater arischer Abstammung ist.''<ref>[https://rgz.staatsbibliothek-berlin.de/judgments/147%2Frgre147010065 RGZ 147, 65], 68</ref> |
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In Form von Rechtsfortbildung erkannte das Reichsgericht 1935 (noch vor Erlass der [[Nürnberger Gesetze]]) die Tatsache, dass der Ehepartner Jude war, als Eheanfechtungsgrund an, obwohl eine förmliche Rechtsgrundlage für derartige Ehebeendigungen erst mit dem 1938 verkündeten [[Ehegesetz (Deutschland)|Ehegesetz]] geschaffen wurde. |
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==== Vertragsrecht ==== |
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Zur Deutung oder Umdeutung von Verträgen mit Juden: |
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''Die frühere („liberale“) Vorstellung vom Rechtsinhalte der Persönlichkeit machte unter den Wesen mit Menschenantlitz keine grundsätzlichen Wertunterschiede nach der Gleichheit oder Verschiedenheit des Blutes. … Der nationalsozialistischen Weltanschauung dagegen entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (und gesetzlich ihnen Gleichgestellte) als rechtlich vollgültig zu behandeln. Damit werden grundsätzliche Abgrenzungen des früheren Fremdenrechts erneuert und Gedanken wiederaufgenommen, die vormals durch die Unterscheidung zwischen voll Rechtsfähigen und Personen minderen Rechts anerkannt waren. Den Grad völliger Rechtlosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich; die Gebilde des „bürgerlichen Todes“ und des „Klostertodes“ empfingen ihre Namen aus dieser Vergleichung. Wenn in Nr. 6 des Manuskriptvertrages v. 24.Febr.1933 davon die Rede ist, dass Ch. „durch Krankheit, Tod oder ähnlichem Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte“, so ist unbedenklich eine aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten, sofern sie die Durchführung der Regietätigkeit in entsprechender Weise hindert, wie Tod oder Krankheit es täte.''<ref>Urteil RG v. 27. Juni 1936; der Fall Charell; nach Forum Justizgeschichte e. V. Dieses Urteil des RG ist veröffentlicht worden in der Juristischen Wochenschrift (JW) 1936, S. 2529 ff.</ref> |
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Mit diesem Urteil rezipierte das Reichsgericht die sich im damaligen Schrifttum kristallisierende und durch die [[Kieler Schule]] katalysierte rassistische Zersetzung der Privatrechtsordnung. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der Rechtsphilosoph [[Karl Larenz]], schrieb im Jahr 1935 und nur wenige Monate vor Erlass des Urteils: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer [[Deutschblütig|deutschen Blutes]] ist. Wer außerhalb der [[Volksgemeinschaft]] steht, steht auch nicht im Recht.“<ref>Zitat bei Ernst Klee: ''Das Personenlexikon zum Dritten Reich.'' Fischer Taschenbuch 2005, S. 358.</ref> |
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Die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung vollzog sich dabei auf zivilrechtlichem Weg unter Förderung durch das Reichsgericht, die juristischen Werkzeuge waren Umdeutung und Auslegungsspielraum. |
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Die Entscheidungspraxis des Reichsgerichts kann auch als eine Verschärfung der Urteilspraxis gesehen werden, siehe Artikel [[Sondergericht#Verschärfungen des materiellen Strafrechts und der Urteilspraxis|Sondergericht]]. |
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== Präsidenten des Reichsgerichtes == |
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Eduard von Simson by Fritz Paulsen.jpg|Eduard v. Simson |
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Otto von Oehlschläger.JPG|Otto v. Oehlschläger |
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Bundesarchiv Bild 102-12279, Walter Simons.jpg|Walter Simons |
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! Name |
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! Amtsantritt |
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! Ende der Amtszeit |
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| [[Eduard von Simson]] (1810–1899) |
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| 1. Oktober 1879 |
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| 1. Februar 1891 |
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| 2 |
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| [[Otto von Oehlschläger]] (1831–1904) |
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| 1. Februar 1891 |
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| 1. November 1903 |
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| 3 |
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| [[Karl Gutbrod]] (1844–1905) |
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| 1. November 1903 |
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| 17. April 1905 |
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| 4 |
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| [[Rudolf von Seckendorff|Rudolf Freiherr von Seckendorff]] (1844–1932) |
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| 18. Juni 1905 |
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| 1. Januar 1920 |
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| 5 |
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| [[Heinrich Delbrück]] (1855–1922) |
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| 1. Januar 1920 |
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| 3. Juli 1922 |
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| 6 |
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| [[Walter Simons]] (1861–1937) |
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| 16. Oktober 1922 |
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| 1. April 1929 |
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|- |
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| 7 |
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| [[Erwin Bumke]] (1874–1945) |
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| 1. April 1929 |
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| 20. April 1945 |
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|} |
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== Bibliothek == |
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Die Bibliothek des Reichsgerichts umfasste im Jahr 1928 238.000 Buchbände und 818 Zeitschriftentitel; ihr Etat lag bei 55.000 ℳ. |
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Direktoren:<ref>{{Literatur| Autor=Friederike Dauer| Titel=Die Bibliothek des Reichsgerichts| Reihe=Arbeitshefte der Arbeitsgemeinschaft für juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen| BandReihe=24| Verlag=Neugebauer| Datum=2013| ISBN=978-3-85376-324-7| Online=[https://www.ajbd.de/wp-content/uploads/2013/02/Inhaltsverzeichnis_AH_AjBD_24.pdf Inhaltsverzeichnis]}}</ref> |
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# 1879–1917 [[Karl Schulz (Jurist)|Karl Schulz]] |
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# 1917–1921 [[Erich von Rath]] |
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# 1921–1935 Hans Schulz |
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# 1935–1945 Paul Güntzel |
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== Ende des Reichsgerichts == |
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Mit dem [[Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht|Zusammenbruch des Nationalsozialismus]] wurde 1945 das Reichsgericht durch die [[Alliierter Kontrollrat|Alliierten]] aufgelöst<ref>Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 2 der Militärregierung Deutschland, Kontrollgebiet der 21. Armeegruppe, [https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1026627419#page/4/mode/1up Amtsblatt Nr. 3, S. 4]</ref> und nicht wieder errichtet. Damit stand in vielen Fällen die prozessrechtlich vorgesehene letzte Instanz bis auf weiteres nicht mehr zur Verfügung. Der letzte Präsident, [[Erwin Bumke]], beging zwei Tage nach dem Einrücken der [[US-Army]] in Leipzig [[Suizid]]. Ab dem 25. August 1945 wurden in Leipzig 39 Richter des Reichsgerichts (d. h. mehr als ein Drittel des Gesamtpersonals) vom sowjetischen Geheimdienst [[Innenministerium der UdSSR|NKWD]] verhaftet und ohne Gerichtsverfahren zunächst im Leipziger Gerichtsgefängnis inhaftiert. Später wurden die Richter in das [[Speziallager Nr. 1 Mühlberg|Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe]] und die Überlebenden im Herbst 1948 in das [[Speziallager Nr. 2 Buchenwald]] verlegt. Als von Januar 1950 bis 1955 Entlassungen erfolgten, hatten nur vier Richter des Reichsgerichts überlebt, die übrigen waren verhungert bzw. aufgrund von Krankheiten gestorben. Zu den Überlebenden zählte auch [[August Schäfer (Richter)|August Schäfer]], der später über die Lagerzeit einen Bericht verfasste.<ref>''Das große Sterben im Reichsgericht.'' In: [[Deutsche Richterzeitung|DRiZ]] 1957, S. 249, 250</ref> |
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In den einzelnen Besatzungszonen wurden vorübergehend [[Oberstes Gericht|Oberste Gerichtshöfe]] gebildet. 1950 übernahm für die [[Bundesrepublik Deutschland]] der neu gegründete [[Bundesgerichtshof]] die Aufgaben des Reichsgerichts. Ehemalige Richter des Reichsgerichts gehörten zu den ersten Richtern des Bundesgerichtshofes. In der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] wurde diese Aufgabe durch das [[Oberstes Gericht der DDR|Oberste Gericht]] wahrgenommen. |
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Der Bundesgerichtshof stellte 1952 fest, dass das Reichsgericht am 30. Oktober 1945 zu existieren aufhörte.<ref>{{Rspr|BGHZ 6, 64}}</ref> |
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Das Archivgut des Reichsgerichts wird vom [[Bundesarchiv (Deutschland)|Bundesarchiv]] an der Dienststelle Berlin-Lichterfelde aufbewahrt.<ref>[https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/b1b33dff-94eb-4acc-a49c-4bd450fb801f/ invenio – Bestandssignatur R 3002]</ref> |
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== Siehe auch == |
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* [[:Kategorie:Richter (Reichsgericht)|Richter am Reichsgericht]] |
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== Literatur == |
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* Elena Barnert: ''Schicksalsfäden – Jurisprudenz und Weltanschauung in RGZ 173,'' in: JuristenZeitung 2012, S. 114–120. |
|||
* Arno Buschmann: ''100 Jahre Gründungstag des Reichsgerichts.'' In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1979, S. 1966–1973. |
|||
* Thomas G. Dorsch: ''Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur.'' Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-35060-0 (Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1998). |
|||
* Thomas Henne: ''Rechtsharmonisierung durch das „Reichsgericht“ in den 1870er Jahren. Startbedingungen, Methoden und Erfolge.'' Habilitationsschrift, Frankfurt a. M. 2001. |
|||
* [[Friedrich Karl Kaul]]: ''Geschichte des Reichsgerichts Band IV (1933–1945).'' Verlag Detlev Auvermann KG, Glashütte im Taunus, 1971. |
|||
* Klemens Kelmmer: ''Das Reichsgericht in Leipzig.'' In: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1993, S. 26–31. |
|||
* [[Bernd-Rüdiger Kern]] und [[Adrian Schmidt-Recla]] (Hrsg.): ''125 Jahre Reichsgericht (Schriften zur Rechtsgeschichte (RG), Band 126)'', Duncker & Humblot, Berlin 2006, ISBN 978-3-428-12105-2. |
|||
* Dieter Kolbe: ''Reichsgerichtspräsident Dr. [[Erwin Bumke]]. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege.'' Müller, Karlsruhe 1975, ISBN 3-8114-0026-6. |
|||
* [[Adolf Lobe]]: ''50 Jahre Reichsgericht.'' Verlag Walter de Gruyter & Co, Berlin/Leipzig 1929 ({{Google Buch| Seite=1| BuchID=bYtdDwAAQBAJ}}). |
|||
* [[Erich Loest]]: ''[[Reichsgericht (Roman)|Reichsgericht]].'' Linden-Verlag, Leipzig 2001, ISBN 3-86152-003-6. |
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* Helmut Markgraf: ''Skurrilitäten aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts.'' Markgraf, Leipzig 2010, ISBN 978-3-9813954-0-2. |
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* [[Ingo Müller (Jurist)|Ingo Müller]]: ''Kein Grund zur Nostalgie: das Reichsgericht.'' In: Betrifft Justiz 2001, S. 12–18 mwN. |
|||
* Kai Müller: ''Der Hüter des Rechts. Die Stellung des Reichsgerichts im Deutschen Kaiserreich 1879–1918.'' Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, (zugl.: Univ. Hannover, Diss., 1997), ISBN 3-7890-5052-0; S. 115–124 enthalten Kurzbiographien der ersten vier Reichsgerichtspräsidenten. |
|||
* Gerhard Pauli: ''Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.'' de Gruyter, Berlin u. New York 1992, ISBN 3-11-013024-6. |
|||
* [[Gerd Pfeiffer]]: ''Das Reichsgericht und seine Rechtsprechung.'' In: ''[[Deutsche Richterzeitung]] (DRiZ)'', Band 57 (1979), S. 325–332. |
|||
* [[Elmar Wadle]]: ''Das Reichsgericht im Widerschein denkwürdiger Tage.'' In: ''[[Juristische Schulung]] (JuS)'', Band 19, Nr. 12, 1988, S. 841–847. |
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* [[Ulrich van der Heyden]]: ''Die Affäre Patzig. Ein Kriegsverbrechen für das Kaiserreich''. Solivagus, Kiel 2021, ISBN 978-3-947064-06-9. |
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=== Entscheidungssammlungen === |
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* ''[[Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen]]'' (''RGZ'', 173 Bände, {{ZDB|216342-1}}); ''Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist'' (''RG [[Otto Warneyer|Warn]]'', {{ZDB|203992-8}}); ''Nachschlagewerk des Reichsgerichts'' (2005–17, [http://d-nb.info/974888958 DNB]) |
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* ''[[Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen]]'' (''RGSt'', 78 Bände, {{ZDB|216341-x}}); ''Nachschlagewerk des Reichsgerichts zum Strafrecht'' (1995–99, [http://d-nb.info/944517617 DNB]) |
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* [[Hans Heinrich Lammers]], [[Walter Simons]] (Hrsg.): ''Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung. Abteilung B'' (Bände 1, 4 und 6, {{ZDB|977275-3}}) |
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=== Geschäftsverteilung === |
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* [http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k11_bsb00002823_00351.html Geschäftsverteilung für die Zivilsenate des Reichsgerichts (1904)]. In: ''Verhandlungen des Reichstages'' 11/I, Anlage Nr. 782, S. 4566–4567 |
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* Weitere Geschäftsverteilungspläne wurden veröffentlicht: |
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** in der ''[[Deutsche Juristen-Zeitung|Deutschen Juristen-Zeitung]]'' bis 1935 (nur Zivilsenate: [http://pbc.gda.pl/Content/70921/Nr_016_017.pdf 1927 Sp. 1164], [http://pbc.gda.pl/Content/70939/Nr_011.pdf 1930 Sp. 746]; auch Strafsenate: [https://dlc.mpg.de/image/mpirg_escidoc_88514/72/ 1896 S. 52], 1929 Sp. 156, 1931 Sp. 143) |
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** im ''[[Deutscher Reichsanzeiger|Reichsanzeiger]]'' bis 1933 (nur Zivilsenate: [https://digi.bib.uni-mannheim.de/reichsanzeiger.fcgi?FIF=/reichsanzeiger/film/062-9022/0143.jp2&CVT=jpeg 1927/191], [https://digi.bib.uni-mannheim.de/viewer/reichsanzeiger/film/071-9031/0018.jp2 1929/2], [https://digi.bib.uni-mannheim.de/viewer/reichsanzeiger/film/082-9042/0547.jp2 1930/303], [https://digi.bib.uni-mannheim.de/viewer/reichsanzeiger/film/088-9048/0425.jp2 1931/301], [https://digi.bib.uni-mannheim.de/viewer/reichsanzeiger/film/004-8445/0862.jp2 1933/304]) |
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** im Amtsblatt ''[[Deutsche Justiz]]'' ab 1934 (nur Zivilsenate: [https://books.google.de/books?hl=de&id=ifDlAAAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan+Zivilsenate 1934 S. 13], [https://books.google.de/books?hl=de&id=Sr0cAQAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan+Zivilsenate 1935 S. 53], [https://books.google.de/books?id=4b0cAQAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan+Zivilsenate 1936 S. 63], [https://books.google.de/books?hl=de&id=5L0cAQAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilung+Zivilsenate 1937 S. 60]; auch Strafsenate: [https://books.google.de/books?id=470cAQAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan 1938 S. 58], [https://books.google.de/books?id=4L0cAQAAMAAJ&q=reichsgerichts+für 1939 S. 133], [https://books.google.de/books?id=N_LlAAAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan 1940 S. 61], [https://books.google.de/books?id=1vTlAAAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan 1941 S. 107], [https://books.google.de/books?id=qO3lAAAAMAAJ&q=Gesch%C3%A4ftsverteilungsplan 1942 S. 35]) |
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== Weblinks == |
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{{Wikisource|Rechtswissenschaft#Oberstes Gericht|Rechtstexte zum Aufbau des Reichsgerichts}} |
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* {{DNB-Portal|2029577-7}} |
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* Geschäftsordnung des Reichsgerichts. In: ''[[Zentralblatt für das Deutsche Reich|Central-Blatt für das Deutsche Reich]]'' [https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11502038?page=214,215 1880 S. 190] und [https://books.google.de/books?id=4IlQAAAAYAAJ&q=%22Gesch%C3%A4ftsordnung+des+Reichsgerichts%22+300 1886 S. 300]; ''[[Zeitschrift für Zivilprozess|Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß]]'', [https://dlc.mpg.de/image/mpirg_escidoc_88909/454/ Band 10 (1887), S. 442–448] |
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* [https://dejure.org/dienste/rechtsprechung?gericht=RG dejure.org: Rechtsprechungsübersicht RG] |
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Aktuelle Version vom 22. März 2025, 11:58 Uhr

Das Reichsgericht war von 1879 bis 1945 der für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständige oberste Gerichtshof im Deutschen Reich. Seinen Sitz hatte es in Leipzig.
Seine Zuständigkeit umfasste die Zivil- und Strafrechtspflege, die in den unteren Instanzen von den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten ausgeübt wurde. Ferner betreute das Reichsgericht verwandte Spezialrechtsgebiete wie etwa das Berufsrecht in der Rechtspflege. Mit dem Reichsgericht verbunden war das Reichsarbeitsgericht (III. Zivilsenat), angegliedert waren der Disziplinarhof,[1] der Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte,[2] das Reichsschiedsgericht,[3] der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich,[4] der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik,[5] das Reichsbahngericht[6] und das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag.[7] Neben dem Reichsgericht bestanden der Reichsfinanzhof, das Reichsversicherungsamt (mit Reichsversorgungsgericht) und das Reichswirtschaftsgericht (1941 aufgelöst und in das Reichsverwaltungsgericht integriert).
Dienstsitz
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Das Reichsgericht nahm am 1. Oktober 1879 aufgrund des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze seine Tätigkeit auf.
Dienstsitz des Reichsgerichts war Leipzig. Angesichts der im Bundesrat umstrittenen Standortwahl fiel Berlin nur knapp mit 28 Stimmen (Leipzig 30 Stimmen) durch. Leipzig war schon Sitz des Bundesoberhandelsgerichts des Norddeutschen Bundes, des späteren Reichsoberhandelsgerichts. Es entschied über Streitigkeiten nach dem Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.
Bis 1895 tagte das Gericht in der Georgenhalle, den 1857 erbauten ehemaligen Leipziger Fleischhallen Brühl 80/Goethestraße 8. Das Gebäude, das auch das Café Fürst Reichskanzler beherbergte, wurde 1943 zerstört. Nach Fertigstellung des von 1888 bis 1895 von Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad errichteten historistischen Neubaus zog das Gericht 1895 in das neue Reichsgerichtsgebäude. Nach dem Ende des Reichsgerichts im Jahr 1945 wurde das Reichsgerichtsgebäude im Jahr 1952 von der DDR zum Georgi-Dimitroff-Museum umfunktioniert. Dieses Museum wurde nach der Wende im Jahr 1991 aufgelöst. Seit 2002 befindet sich im Reichsgerichtsgebäude das Bundesverwaltungsgericht.
Zusammensetzung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Reichsgericht wurde mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten (Reichsgerichtsräte) besetzt. Beim Reichsgericht wurden Zivil- und Strafsenate gebildet, deren Anzahl der Reichskanzler, ab 1924 der Reichsminister der Justiz bestimmte. Ursprünglich gab es fünf Zivil- und drei Strafsenate. Die Zivilsenate wurden üblicherweise mit römischen, die Strafsenate mit arabischen Ziffern bezeichnet. 1884 kam der 4. Strafsenat hinzu, 1886 der VI. Zivilsenat. Der VII. Zivilsenat bestand von 1899 bis 1923 und ab 1927; der VIII. Zivilsenat von 1928 bis 1933 und ab 1939; der IX. Zivilsenat von 1930 bis 1932; der 5. Strafsenat von 1906 bis 1924, 1926 bis 1928 und ab 1933; der 6. Strafsenat von 1921 bis 1923 und (mit Unterbrechungen) ab 1933; der Besondere Strafsenat ab 1939. Feriensenate gab es von 1880 bis 1934.
Wollte ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senates abweichen, so hatte dieser, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, die Verhandlung und Entscheidung an die Vereinigten Zivil- oder die Vereinigten Strafsenate zu verweisen. Der Präsident, die Senatspräsidenten und die Reichsgerichtsräte wurden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt. Voraussetzung dafür war die Befähigung zum Richteramt und die Vollendung des 35. Lebensjahres. Im Reichsgericht bestand eine Gerichtsschreiberei. Beim Reichsgericht wurde die Oberreichsanwaltschaft als Staatsanwaltschaft eingerichtet.
Zuständigkeiten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Reichsgericht war ein ordentliches Gericht. Es war zur Entscheidung über Strafsachen und Zivilsachen (Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Rechtshandlungen des Staates als Fiskus, Handelssachen, Arbeitsrecht) berufen. Eine gesonderte Arbeitsgerichtsbarkeit bestand bis 1926 nicht. Zuständig war das Reichsgericht auch für das Staatshaftungsrecht.
Territorial umfasste der Zuständigkeitsbereich zunächst 28, 1932 (Minimum) 26 und 1942 (Maximum) 35 Oberlandesgerichtsbezirke.
Im Instanzenzug hatte das Reichsgericht in der Regel geborene (d. h. durch Gesetz zwingend vorgegebene) Zuständigkeiten. Lediglich bei der Revision gegen Berufungsurteile der Strafkammern in Strafsachen betreffend Abgaben, die in die Reichskasse flossen, war seine Zuständigkeit anfangs gekoren (d. h. erst auf Antrag der Staatsanwaltschaft entstanden).
Als geborene Zuständigkeiten hatte das Reichsgericht im Zivilrecht Entscheidung über die Revision gegen Endurteile und Beschwerden gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte (Kammergericht) zu fällen (§ 135 GVG). Daneben war es Berufungsinstanz gegen Entscheidungen des Patentamts im Patentnichtigkeits-, Patentrücknahme- und Zwangslizenzverfahren und in diesem Bereich zweite Tatsacheninstanz (§ 33 PatG 1891). 1900 kamen oberlandesgerichtliche Vorlagen weiterer Beschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hinzu (§ 28 FGG).
Als geborene Zuständigkeit im Strafrecht war es zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Urteile der Strafkammern erster Instanz und der Schwurgerichte berufen, wenn nicht die Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte (Kammergericht) begründet war (§ 136 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Das war der Fall, wenn ausschließlich eine Norm aus dem Landesrecht verletzt war. Das Reichsgericht war somit nicht zuständig für Revisionsverfahren bei Straftaten, in denen die Amtsgerichte erstinstanzlich entschieden. Das waren Verfahren wegen leichter Delikte (z. B. Übertretungen, Hausfriedensbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung bis zu einem Wert von 25 Mark). Sie konnten nur bis zum Oberlandesgericht angefochten werden.
Das Reichsgericht entschied bis 1934 in erster und letzter Instanz für die Untersuchung und Entscheidung in Fällen des Hoch- und Landesverrats, wenn diese Verbrechen gegen Kaiser oder Reich gerichtet waren (§ 136 Abs. 1 Nr. 1 GVG).[8] Eine Rechtsmittelinstanz bestand insofern nicht. In dieser erstinstanzlichen Zuständigkeit war das Reichsgericht Tatsacheninstanz. Auch diese Zuständigkeit war geboren. Das Reichsgericht führte keine eigenen Ermittlungsrichter. Für die Entscheidungen vor Erhebung der öffentlichen Klage durch den Oberreichsanwalt, welche nach der StPO dem Richter oblagen, waren die Ermittlungsrichter an den Landgerichten zuständig (heute an den Oberlandesgerichten und am Bundesgerichtshof). Bis 1923 erledigte der erste Senat die Geschäfte der gerichtlichen Voruntersuchung, die nach der StPO a. F. bis in die 1970er-Jahre möglich war, und entschied über die Beschwerden betreffend die Entscheidungen des Ermittlungsrichters; das Hauptverfahren fand vor dem vereinigten zweiten und dritten Senat statt.[9] Von 1923 bis 1934 teilten sich der 4. und 5. Strafsenat diese politischen Strafsachen, 1933/34 unter Beteiligung auch des 6. Strafsenats. 1934 ging die Zuständigkeit für Hoch- und Landesverrat auf den Volksgerichtshof über.
Aufgrund einer Vielzahl geltender ziviler Partikularrechte, wurden die aus den einzelnen Rechtsprechungsbänden entstehenden Entscheidungssammlungen – für das Zivilrecht die RGZ-Entscheidungsbände und für das Strafrecht die RGSt-Entscheidungsbände – zur äußeren Orientierungshilfe in ihren Inhaltsverzeichnissen gegliedert. Beispielsweise wurden im Abschnitt I die Entscheidungen zum Reichsrecht (Materien zum ADHGB, KO, Reichs-HPflG) zugeordnet, dem Abschnitt II Entscheidungen zum gemeinen Recht, Abschnitt III zum preußischen Recht, Abschnitt IV zum rheinischen Recht und Abschnitt V zum Prozessrecht.[10]
Das Reichsgericht entschied ferner ab 1920 über die Vereinbarkeit von Landes- mit Reichsrecht (Art. 13 Abs. 2 WRV mit Ausführungsgesetz),[11] soweit nicht der Reichsfinanzhof zuständig war.
Registerzeichen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Revisionen (und Berufungen in Patentsachen): kein Kennzeichen; Revisionen in Strafsachen ab 1933 D
- erstinstanzliche Strafsachen: C (bis 1920), J (1920er)
- Beschwerden bis 1910: Beschw
- dann (insbesondere nach FGG): B
- sonstige Beschwerden in Zivilsachen: GB
- sonstige Beschwerden in Strafsachen: TB
- außerordentliche Einsprüche:[12] BStS (Besonderer Strafsenat, ab 1939)
- Nichtigkeitsbeschwerden:[13] C (ab 1940)
- abstrakte Normenkontrolle (Art. 13 WRV): Tgb (1925–32)
- Große Senate: GSZ, GSE, GSSt (ab 1935)
- Armenrecht: A
Aktenzeichenbildung: Während für die Zivilsenate durchgängig römische Ziffern standen, wurden die Strafsenate im Aktenzeichen anfangs gar nicht, von 1906 bis 1933 ebenfalls mit römischen Ziffern und danach mit arabischen Ziffern bezeichnet. Die Aktenführung richtete sich nach den Vorschriften über Einrichtung der Gerichtsschreiberei bei dem Reichsgerichte.[14]
Rechtsprechung des Reichsgerichts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kaiserreich
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Reichsgericht war mit Ausnahme seiner Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen eine reine Rechtsmittelinstanz. Seine Aufgabe war es, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem gesamten Reichsgebiet sicherzustellen, denn ein zentrales Zivilgesetzbuch war noch nicht kodifiziert und die partikular geltenden Privatrechtsordnungen aufeinander unabgestimmt. So galten beispielsweise PrALR, rheinisches, badisches-, sächsisches oder unkodifiziertes römisch-gemeines Recht nebeneinander.[10] Insgesamt galt es, etwa 46 wichtigeren Partikularrechten gerecht zu werden.[15] Die Harmonisierung fiel dem Reichsgericht letztlich nicht so schwer, wie es der erste Blick vermuten lässt, denn der pandektistisch geprägte Universitätsbetrieb und das ebenso pandektistisch durch Windscheid, Vangerow und Brinz aufbereitete Lehrwissen des dominierenden gemeinen Rechts prägte Richter, die sich in der Rechtszersplitterung zurechtfanden.
Das Reichsgericht wurde seit seiner Etablierung von Kritikern als Fortsetzung des Preußischen Obertribunals interpretiert. Die Richterschaft war monarchisch-konservativ geprägt, besonders im Bereich des Strafrechts waren zur Zeit des Kaiserreichs kritische Stimmen am Gericht in der Minderheit – so auch in anderen damaligen staatlichen Institutionen. So wertete das Gericht es im Jahre 1912 beispielsweise als Beleidigung, dass die sozialdemokratische Partei 1907 eine Broschüre herausbrachte, die sich an Beamte richtete und diese zur Wahl der SPD aufforderte – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die SPD bereits die stärkste Fraktion im Reichstag stellte.[16] Ferner führte das Reichsgericht in seinem Urteil vom 12. Oktober 1907 im Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht aus, die unbedingte Gehorsamspflicht der Soldaten gegenüber dem Kaiser sei eine zentrale Bestimmung der Verfassung des Kaiserreichs. Dagegen hatte der Angeklagte im Prozess vergeblich betont, kaiserliche Befehle seien null und nichtig, wenn sie einen Bruch der Verfassung bezweckten.[17]
Auf der anderen Seite ergingen auf dem Gebiet des Zivilrechts in dieser Zeit einige wegweisende Entscheidungen, die noch heute Gültigkeit besitzen. So bejahte das Reichsgericht die damals gesetzlich nicht geregelte vorvertragliche Haftung (culpa in contrahendo), abgekürzt c.i.c.[18] Die c.i.c war jahrzehntelang ein in der Rechtsprechung und der Literatur anerkanntes Haftungsinstitut, bis sie im Wege der 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform Gesetz geworden ist, vgl. dazu § 311 Bürgerliches Gesetzbuch n. F. Ferner entwickelte das Reichsgericht die Kategorie der „positiven Vertragsverletzung“, welche ebenfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch unbekannt war. Es entwickelte die Haftung aufgrund positiver Vertragsverletzung anhand der noch heute gültigen Vorschrift des § 276 BGB, wonach ein Schuldner für vorsätzliches bzw. fahrlässiges Handeln haftet.[19] Die positive Vertragsverletzung war jahrzehntelang gewohnheitsrechtlich anerkannt. Nach der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform werden nun entsprechende Fälle anhand § 280 BGB n. F. gelöst.
Weimarer Republik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Weimarer Republik setzte das Gericht besonders im Bereich des Strafrechts seine konservative Linie bis hin zum Reaktionären fort. Dies zeigt die Ambivalenz des am 21. Dezember 1921 ergangenen Urteils gegen drei Teilnehmer des rechtsgerichteten Kapp-Putsches: Auf der einen Seite betonte das Reichsgericht, die Bestimmungen über den Hochverrat schützten die jeweils gültige Verfassung des Deutschen Reichs und damit auch die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Ferner dürften tatsächliche oder vermeintliche politische Missstände nicht mittels Staatsstreichs beseitigt werden, denn der Satz „Der Zweck heilige die Mittel“ sei mit den Vorschriften über Hochverrat unvereinbar. Auf der anderen Seite kam es nur zu einer einzigen Verurteilung – der Innenminister der Putschregierung Traugott von Jagow wurde lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft (die mildeste und ehrenhafteste Form der Freiheitsentziehung bei Vergehen und Verbrechen) verurteilt. Bei der Strafzumessung führte das Reichsgericht u. a. aus (Zitat): „Bei der Strafzumessung sind dem Angeklagten, der unter dem Banne selbstloser Vaterlandsliebe und eines verführerischen Augenblicks dem Rufe von Kapp gefolgt ist, mildernde Umstände zugebilligt worden.(…) Eine fünfjährige Festungshaft erschien dem Verschulden des Angeklagten angemessen.“ Am gleichen Tag wurde das Strafverfahren gegen zwei Mitangeklagte eingestellt. Zur Begründung hieß es, sie hätten beim Putsch keine führende Rolle gespielt, so dass das Amnestiegesetz vom 4. August 1920 Anwendung finde. Die drei am 21. Dezember 1921 abgeschlossenen Strafverfahren waren überdies die einzigen Strafverfahren, die vor dem Reichsgericht gegen Teilnehmer dieses Putsches durchgeführt wurden.[20]
Diese konservative Linie setzte das Gericht fort. So wurde beispielsweise Carl von Ossietzky in dem spektakulären Weltbühne-Prozess wegen Spionage am 23. November 1931 zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil in seiner Zeitschrift ein Artikel erschienen war, der auf die geheime und rechtswidrige Aufrüstung der Reichswehr hingewiesen hatte (sog. Publizistischer Landesverrat).[21] Da zugleich der Gewalt von rechts nicht entschieden genug begegnet wurde bzw. diese insbesondere in den sogenannten Fememordverfahren in einigen Urteilen gerechtfertigt wurde, trugen dieser und ähnliche Prozesse zu dem Vorwurf bei, die Justiz sei in der Zeit der Weimarer Republik „auf dem rechten Auge blind“ gewesen.
In den 1920er-Jahren fanden vor dem Reichsgericht die Leipziger Prozesse statt. Allerdings erfolgte nur in wenigen Fällen eine Bestrafung deutscher Kriegsverbrechen. Viele Prozesse wurden eingestellt und von den wenigen Verurteilungen wurden später die Urteile gegen zwei Marineangehörige wegen der Versenkung eines englischen Lazarettschiffs heimlich aufgehoben.
Jedoch fielen in die gleiche Zeit einige bahnbrechende Entscheidungen im Gebiet des Zivilrechts. So wurde die Kategorie des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“[22] entwickelt, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch bis dato unbekannt war – heute fester Bestandteil der Zivilrechtsordnung (vgl. der im Zuge der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform neugefasste § 313 BGB). Geradezu revolutionär war die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise (siehe auch Deutsche Inflation 1914 bis 1923) entwickelte Aufwertungsrechtsprechung, mit der sich das Reichsgericht erstmals die Befugnis zusprach, Gesetze auf ihre Gültigkeit zu überprüfen,[23] was dazu führte, dass der bis dahin anerkannte Mark-gleich-Mark-Grundsatz (Nennwertgrundsatz, Nominalismus) wegen der galoppierenden Inflation aufgegeben wurde.[24]
Nationalsozialismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers wurden mit dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft jüdische und sozialdemokratische Richter (unter ihnen Senatspräsident Alfons David und Reichsgerichtsrat Hermann Grossmann) gezwungen, ihren Abschied einzureichen, und jüdische Anwälte am Reichsgericht an der weiteren Arbeit gehindert.[25]
In der Folgezeit stellte sich das Reichsgericht der Machtergreifung und den zahlreichen illegalen Gewaltakten nicht entgegen. Vielmehr verstrickte es sich tief in das nationalsozialistische Unrechtsregime, etwa als es im Reichstagsbrandprozess den holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe auf der Basis eines rechtsstaatswidrigen Gesetzes zum Tode verurteilte.[26] Trotz diesem Urteil war der neuen Staatsführung die Rechtsprechung dieses Gerichts ein Dorn im Auge, sprach es doch die sonstigen Mitangeklagten frei und widerlegte damit die öffentliche Behauptung Hermann Görings, dass ein kommunistischer Umsturzversuch im Gange gewesen sei. Unter anderem deshalb wurde dem Reichsgericht im Jahr 1934 durch das Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs die Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen entzogen.
Der „Anschluss“ Österreichs an das deutsche Reich bedeutete die Auflösung des Obersten Gerichtshofs in Wien und Übertragung seiner Zuständigkeiten auf das Reichsgericht.[27] Diese Maßnahme wurde am 1. April 1939 vollzogen[28] und das Reichsgericht wurde oberste Revisionsinstanz für österreichische Zivilsachen.[29] Wenngleich Teilnovellierungen des materiellen Rechts Österreichs vorgenommen wurden, blieb die maßgebende Privatrechtsordnung gleichwohl das österreichische ABGB. Beim Reichsgericht wurde derweil der VIII. Zivilsenat gegründet, dem alle Rechtsangelegenheiten Österreichs, der sudetendeutschen Gebiete und des Protektorats Böhmen und Mähren zugewiesen wurden, soweit nicht die Sonderzuständigkeit der ersten fünf Senate begründet war. Wegen Unterbesetzung wurde er bereits vor dem Ende der Existenz des Reichsgerichts wieder aufgelöst.[30]
Eherecht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch im Bereich des Zivilrechts war die Verstrickung tief. Beispielhaft sei hier eine Entscheidung aus dem Jahr 1935 herausgegriffen, in der das Reichsgericht urteilte:
Beizutreten ist dem Spruchausschuß darin, daß bei der grundlegenden Bedeutung der Rassenfrage im nationalsozialistischen Staat die Heranbildung des jungen Menschen arischer Abstammung zu einem art- und rassebewußten Volksgenossen einen untrennbaren Bestandteil des Erziehungswerkes bildet und daß diese Heranbildung nicht gewährleistet ist, wenn zwar die Pflegemutter, nicht aber der Pflegevater arischer Abstammung ist.[31]
In Form von Rechtsfortbildung erkannte das Reichsgericht 1935 (noch vor Erlass der Nürnberger Gesetze) die Tatsache, dass der Ehepartner Jude war, als Eheanfechtungsgrund an, obwohl eine förmliche Rechtsgrundlage für derartige Ehebeendigungen erst mit dem 1938 verkündeten Ehegesetz geschaffen wurde.
Vertragsrecht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zur Deutung oder Umdeutung von Verträgen mit Juden:
Die frühere („liberale“) Vorstellung vom Rechtsinhalte der Persönlichkeit machte unter den Wesen mit Menschenantlitz keine grundsätzlichen Wertunterschiede nach der Gleichheit oder Verschiedenheit des Blutes. … Der nationalsozialistischen Weltanschauung dagegen entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (und gesetzlich ihnen Gleichgestellte) als rechtlich vollgültig zu behandeln. Damit werden grundsätzliche Abgrenzungen des früheren Fremdenrechts erneuert und Gedanken wiederaufgenommen, die vormals durch die Unterscheidung zwischen voll Rechtsfähigen und Personen minderen Rechts anerkannt waren. Den Grad völliger Rechtlosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich; die Gebilde des „bürgerlichen Todes“ und des „Klostertodes“ empfingen ihre Namen aus dieser Vergleichung. Wenn in Nr. 6 des Manuskriptvertrages v. 24.Febr.1933 davon die Rede ist, dass Ch. „durch Krankheit, Tod oder ähnlichem Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte“, so ist unbedenklich eine aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten, sofern sie die Durchführung der Regietätigkeit in entsprechender Weise hindert, wie Tod oder Krankheit es täte.[32]
Mit diesem Urteil rezipierte das Reichsgericht die sich im damaligen Schrifttum kristallisierende und durch die Kieler Schule katalysierte rassistische Zersetzung der Privatrechtsordnung. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der Rechtsphilosoph Karl Larenz, schrieb im Jahr 1935 und nur wenige Monate vor Erlass des Urteils: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht.“[33]
Die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung vollzog sich dabei auf zivilrechtlichem Weg unter Förderung durch das Reichsgericht, die juristischen Werkzeuge waren Umdeutung und Auslegungsspielraum.
Die Entscheidungspraxis des Reichsgerichts kann auch als eine Verschärfung der Urteilspraxis gesehen werden, siehe Artikel Sondergericht.
Präsidenten des Reichsgerichtes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]-
Eduard v. Simson
-
Otto v. Oehlschläger
-
Walter Simons
Nr. | Name | Amtsantritt | Ende der Amtszeit |
---|---|---|---|
1 | Eduard von Simson (1810–1899) | 1. Oktober 1879 | 1. Februar 1891 |
2 | Otto von Oehlschläger (1831–1904) | 1. Februar 1891 | 1. November 1903 |
3 | Karl Gutbrod (1844–1905) | 1. November 1903 | 17. April 1905 |
4 | Rudolf Freiherr von Seckendorff (1844–1932) | 18. Juni 1905 | 1. Januar 1920 |
5 | Heinrich Delbrück (1855–1922) | 1. Januar 1920 | 3. Juli 1922 |
6 | Walter Simons (1861–1937) | 16. Oktober 1922 | 1. April 1929 |
7 | Erwin Bumke (1874–1945) | 1. April 1929 | 20. April 1945 |
Bibliothek
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bibliothek des Reichsgerichts umfasste im Jahr 1928 238.000 Buchbände und 818 Zeitschriftentitel; ihr Etat lag bei 55.000 ℳ.
Direktoren:[34]
- 1879–1917 Karl Schulz
- 1917–1921 Erich von Rath
- 1921–1935 Hans Schulz
- 1935–1945 Paul Güntzel
Ende des Reichsgerichts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus wurde 1945 das Reichsgericht durch die Alliierten aufgelöst[35] und nicht wieder errichtet. Damit stand in vielen Fällen die prozessrechtlich vorgesehene letzte Instanz bis auf weiteres nicht mehr zur Verfügung. Der letzte Präsident, Erwin Bumke, beging zwei Tage nach dem Einrücken der US-Army in Leipzig Suizid. Ab dem 25. August 1945 wurden in Leipzig 39 Richter des Reichsgerichts (d. h. mehr als ein Drittel des Gesamtpersonals) vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet und ohne Gerichtsverfahren zunächst im Leipziger Gerichtsgefängnis inhaftiert. Später wurden die Richter in das Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe und die Überlebenden im Herbst 1948 in das Speziallager Nr. 2 Buchenwald verlegt. Als von Januar 1950 bis 1955 Entlassungen erfolgten, hatten nur vier Richter des Reichsgerichts überlebt, die übrigen waren verhungert bzw. aufgrund von Krankheiten gestorben. Zu den Überlebenden zählte auch August Schäfer, der später über die Lagerzeit einen Bericht verfasste.[36]
In den einzelnen Besatzungszonen wurden vorübergehend Oberste Gerichtshöfe gebildet. 1950 übernahm für die Bundesrepublik Deutschland der neu gegründete Bundesgerichtshof die Aufgaben des Reichsgerichts. Ehemalige Richter des Reichsgerichts gehörten zu den ersten Richtern des Bundesgerichtshofes. In der DDR wurde diese Aufgabe durch das Oberste Gericht wahrgenommen.
Der Bundesgerichtshof stellte 1952 fest, dass das Reichsgericht am 30. Oktober 1945 zu existieren aufhörte.[37]
Das Archivgut des Reichsgerichts wird vom Bundesarchiv an der Dienststelle Berlin-Lichterfelde aufbewahrt.[38]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Elena Barnert: Schicksalsfäden – Jurisprudenz und Weltanschauung in RGZ 173, in: JuristenZeitung 2012, S. 114–120.
- Arno Buschmann: 100 Jahre Gründungstag des Reichsgerichts. In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1979, S. 1966–1973.
- Thomas G. Dorsch: Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur. Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-35060-0 (Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1998).
- Thomas Henne: Rechtsharmonisierung durch das „Reichsgericht“ in den 1870er Jahren. Startbedingungen, Methoden und Erfolge. Habilitationsschrift, Frankfurt a. M. 2001.
- Friedrich Karl Kaul: Geschichte des Reichsgerichts Band IV (1933–1945). Verlag Detlev Auvermann KG, Glashütte im Taunus, 1971.
- Klemens Kelmmer: Das Reichsgericht in Leipzig. In: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1993, S. 26–31.
- Bernd-Rüdiger Kern und Adrian Schmidt-Recla (Hrsg.): 125 Jahre Reichsgericht (Schriften zur Rechtsgeschichte (RG), Band 126), Duncker & Humblot, Berlin 2006, ISBN 978-3-428-12105-2.
- Dieter Kolbe: Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege. Müller, Karlsruhe 1975, ISBN 3-8114-0026-6.
- Adolf Lobe: 50 Jahre Reichsgericht. Verlag Walter de Gruyter & Co, Berlin/Leipzig 1929 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Erich Loest: Reichsgericht. Linden-Verlag, Leipzig 2001, ISBN 3-86152-003-6.
- Helmut Markgraf: Skurrilitäten aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Markgraf, Leipzig 2010, ISBN 978-3-9813954-0-2.
- Ingo Müller: Kein Grund zur Nostalgie: das Reichsgericht. In: Betrifft Justiz 2001, S. 12–18 mwN.
- Kai Müller: Der Hüter des Rechts. Die Stellung des Reichsgerichts im Deutschen Kaiserreich 1879–1918. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, (zugl.: Univ. Hannover, Diss., 1997), ISBN 3-7890-5052-0; S. 115–124 enthalten Kurzbiographien der ersten vier Reichsgerichtspräsidenten.
- Gerhard Pauli: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. de Gruyter, Berlin u. New York 1992, ISBN 3-11-013024-6.
- Gerd Pfeiffer: Das Reichsgericht und seine Rechtsprechung. In: Deutsche Richterzeitung (DRiZ), Band 57 (1979), S. 325–332.
- Elmar Wadle: Das Reichsgericht im Widerschein denkwürdiger Tage. In: Juristische Schulung (JuS), Band 19, Nr. 12, 1988, S. 841–847.
- Ulrich van der Heyden: Die Affäre Patzig. Ein Kriegsverbrechen für das Kaiserreich. Solivagus, Kiel 2021, ISBN 978-3-947064-06-9.
Entscheidungssammlungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ, 173 Bände, ZDB-ID 216342-1); Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist (RG Warn, ZDB-ID 203992-8); Nachschlagewerk des Reichsgerichts (2005–17, DNB)
- Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (RGSt, 78 Bände, ZDB-ID 216341-x); Nachschlagewerk des Reichsgerichts zum Strafrecht (1995–99, DNB)
- Hans Heinrich Lammers, Walter Simons (Hrsg.): Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung. Abteilung B (Bände 1, 4 und 6, ZDB-ID 977275-3)
Geschäftsverteilung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Geschäftsverteilung für die Zivilsenate des Reichsgerichts (1904). In: Verhandlungen des Reichstages 11/I, Anlage Nr. 782, S. 4566–4567
- Weitere Geschäftsverteilungspläne wurden veröffentlicht:
- in der Deutschen Juristen-Zeitung bis 1935 (nur Zivilsenate: 1927 Sp. 1164, 1930 Sp. 746; auch Strafsenate: 1896 S. 52, 1929 Sp. 156, 1931 Sp. 143)
- im Reichsanzeiger bis 1933 (nur Zivilsenate: 1927/191, 1929/2, 1930/303, 1931/301, 1933/304)
- im Amtsblatt Deutsche Justiz ab 1934 (nur Zivilsenate: 1934 S. 13, 1935 S. 53, 1936 S. 63, 1937 S. 60; auch Strafsenate: 1938 S. 58, 1939 S. 133, 1940 S. 61, 1941 S. 107, 1942 S. 35)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Reichsgericht im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Geschäftsordnung des Reichsgerichts. In: Central-Blatt für das Deutsche Reich 1880 S. 190 und 1886 S. 300; Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß, Band 10 (1887), S. 442–448
- dejure.org: Rechtsprechungsübersicht RG
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ § 87 Reichsbeamtengesetz (1873)
- ↑ § 90 Rechtsanwaltsordnung (1878)
- ↑ §§ 6, 7 Gesetz zur Sicherung einer einheitlichen Regelung der Beamtenbesoldung (1920)
- ↑ Gesetz über den Staatsgerichtshof (1921)
- ↑ §§ 6, 7 Verordnung zum Schutze der Republik (1922)
- ↑ § 44 Reichsbahngesetz (1924)
- ↑ Art. 31, 166 WRV
- ↑ ab 1924: § 134 GVG (synoptisch); Beispiele: RGSt 5, 60 (Breuder); RGSt 10, 420 (v. Kraszewski); RGSt 12, 64 (Reinsdorf/Niederwald-Attentat); RGSt 41, 138 (Oestreich); RGSt 56, 259 (v. Jagow/Kapp-Putsch); RGSt 62, 65 (Salomon/Ponton-Prozess); Weltbühne-Prozess; Reichstagsbrandprozess
- ↑ § 138 GVG (synoptisch)
- ↑ a b Hans Hermann Seiler: Geschichte und Gegenwart im Zivilrecht. Das Reichsgericht und das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch. Heymanns, Köln 2005, ISBN 978-3-452-25387-3, S. 179–197 (181 f.).
- ↑ Gesetz zur Ausführung des Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 8. April 1920 (RGBl. S. 510). Dazu Hans Heinrich Lammers, Walter Simons (Hrsg.): Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung. Abteilung B (Bände 1, 4 und 6, ZDB-ID 977275-3). Es handelt sich um 24 Entscheidungen: RGBl. 1920, 2016 (Sachsen, Volksschulwesen; Hamburg, Religionsunterricht; Bremen, Religionsunterricht); 1921, 735 (Bayern, Volksschullehrer); 1921, 1359 (Braunschweig, Landschaftsordnung, RGZ 103, 91); RGBl. I 1924, 434 (Bremen, Schulleiterwahl); 1923, 292 (Preußen, Staatshaftung); 1924, 41 (Sachsen, Pensionsdienstzeit); 1925, 49 (Thüringen, Volksschulwesen); 1925, 180 (Gotha, Fideikommisse); 1925, 348 (Braunschweig, Grundsteuer, RGZ 111, 134); 1925, 468 (Sachsen, Beamtenbesoldung); 1926, 316 (Mecklenburg-Schwerin, Volksschullehrerbildung); 1927, 286 (Preußen, Schulaufsicht); 1927, 513 (Lippe, Grundwertsteuer; Württemberg und Bayern, Fürsorge); 1928, 16 (Württemberg, Minister); 1928, 373 (Baden, Beamtengesetz); 1928, 399 (Lübeck, Mieterschutz); 1928, 414 (Sachsen, Landeswahlgesetz, RGZ 122, 306); 1930, 191 (Sachsen, Volksschullehrer); 1930, 202 (Thüringen, Ermächtigungsgesetz); 1931, 414 (Mecklenburg-Strelitz, Grundsteuer); 1933, 95 (Baden, Wasser- und Baurecht).
- ↑ Gesetz zur Änderung des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs vom 16. September 1939 (RGBl. I S. 1841), Art. 2
- ↑ Verordnung über die zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21. Februar 1940 (RGBl. I S. 405), § 34; Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. August 1942 (RGBl. I S. 508), Art. 7 § 2
- ↑ vom 23. September 1879 (BGH-OPAC)
- ↑ Anlage zur Denkschrift zum BGB in: Benno Mugdan: Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch. I,1899, S. 844 f.
- ↑ vgl. RGSt 46, 151–154, Urt. vom 28. Juni 1912
- ↑ vgl. dazu: Der Hochverratsprozeß gegen Karl Liebknecht vor dem Reichsgericht. Verhandlungsbericht nebst einem Nachwort. Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1907
- ↑ vgl. RGZ 78, 239, Urt. vom 7. November 1911 – Teppichrollenfall bzw. auch Linoleumrollenfall genannt
- ↑ vgl. beispielsweise zur positiven Vertragsverletzung RGZ 66, 289, Urt. vom 9. Juli 1907 – Pferdefutterfall –, dieses Urteil ist eine Bestätigung einer Entscheidung aus dem Jahr 1902, wo das Reichsgericht erstmals eine positive Vertragsverletzung angenommen hat, vgl. RGZ 52, 18 – Roggenfall –
- ↑ vgl. zum Kapp-Putsch-Prozess: Karl Brammer, Verfassungsgrundlagen und Hochverrat, Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin 1922
- ↑ (vgl. zum Weltbühne-Prozess: a) Heinrich Hannover/Elisabeth Hannover-Drück: Politische Justiz 1918–1933. Lamuv Verlag, Bornheim-Merten 1987, S. 186–192 m. w. N.; b) die Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens des Weltbühne-Prozesses durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 1992, siehe BGHSt 39, 75 m. w. N.)
- ↑ vgl. RGZ 100, 129, Urt. vom 21. September 1920 „Dampfpreisfall“.
- ↑ vgl. RGZ 111, 320, 323, Urt. vom 4. November 1925
- ↑ Vgl. zu dieser Problematik: Knut Wolfgang Nörr, Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit – Die Reaktion des Reichsgerichts auf die Krisen von Weltkrieg und Inflation, und die Entfaltung eines neuen richterlichen Selbstverständnisses, Verlag C. F. Müller, Heidelberg 1996, ISBN 3-8114-5096-4.
- ↑ vgl. Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933–1940. 3. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2001, ISBN 3-486-53833-0, S. 126 f.
- ↑ Welt online: Aufgehoben ist nicht freigesprochen
- ↑ Verordnung vom 28. Februar 1939, RGBl. I S. 358 = GBl. Nr. 307/1939
- ↑ Bekanntmachung des Reichsjustizministers vom 8. März 1939, RGBl. I S. 448
- ↑ Friedrich Karl Kaul: Geschichte des Reichsgerichts, Band IV (1933–1945), 1971, S. 44 ff; 338.
- ↑ RGZ 170, 255: Ab 1943 bereits veröffentlichte das RG nur noch Urteile im ABGB-Kontext.
- ↑ RGZ 147, 65, 68
- ↑ Urteil RG v. 27. Juni 1936; der Fall Charell; nach Forum Justizgeschichte e. V. Dieses Urteil des RG ist veröffentlicht worden in der Juristischen Wochenschrift (JW) 1936, S. 2529 ff.
- ↑ Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer Taschenbuch 2005, S. 358.
- ↑ Friederike Dauer: Die Bibliothek des Reichsgerichts (= Arbeitshefte der Arbeitsgemeinschaft für juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen. Band 24). Neugebauer, 2013, ISBN 978-3-85376-324-7 (Inhaltsverzeichnis [PDF]).
- ↑ Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 2 der Militärregierung Deutschland, Kontrollgebiet der 21. Armeegruppe, Amtsblatt Nr. 3, S. 4
- ↑ Das große Sterben im Reichsgericht. In: DRiZ 1957, S. 249, 250
- ↑ BGHZ 6, 64
- ↑ invenio – Bestandssignatur R 3002
Koordinaten: 51° 19′ 58,7″ N, 12° 22′ 11,3″ O