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„Tischsitten“ – Versionsunterschied

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[[Image:Cam formal dinner st johns hall 2005.jpg|right|thumb|300px|Formelles Essen ([[St John’s College (Cambridge)|St. John’s College]])]]
[[Bild:Cam formal dinner st johns hall 2005.jpg|thumb|hochkant=1.2|Formelles Abendessen ([[St John’s College (Cambridge)|St. John’s College]])]]
Unter den '''Tischsitten''' versteht man die [[Umgangsformen]] bei [[Tisch]], genauer beim Einnehmen von [[Speisen]] und [[Getränk]]en in Gesellschaft (vgl. auch [[Ernährungssoziologie]])
Unter '''Tischsitten''' oder '''Tafelsitten''' versteht man [[Umgangsformen]] bei [[Tisch]], genauer beim Einnehmen von [[Gericht (Speise)|Speisen]] und [[Getränk]]en in Gesellschaft.


== Geschichte ==
Die unten aufgeführte Regeln haben sich im Laufe der Zeit in Mitteleuropa etabliert, werden jedoch besonders unter jüngeren Menschen überwiegend als sehr konventionell betrachtet und heute lediglich bei besonders gehobenen Anlässen angewandt. In anderen Ländern des westlichen Kulturkreises gelten in Details durchaus andere Regeln (so ist es in den USA durchaus schicklich, das Essen erst mit Messer und Gabel zu zerteilen, dann das Messer beiseite zu legen und das Essen dann allein mit der Gabel in der rechten Hand zu sich zu nehmen). In anderen Kulturkreisen gelten hingegen völlig andere Regeln.
[[Datei:Valerius Maximus (Latin and French).jpg|mini|Spätmittelalterliche Tischsitten: Eine Seite der ''[[Facta et dicta memorabilia]]'' des [[Valerius Maximus]] in einer 1470/1480 angefertigten Handschrift aus Flandern, deren Illustration den Kontrast von Ausschweifung und Mäßigung in den Tischsitten veranschaulicht. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. Rep. I.11b, Bd. 1, fol. 137v]]
Die [[Ernährungssoziologie]] befasst sich wissenschaftlich mit Tischsitten, [[Esskultur]] und [[Trinkkultur]]. Nach [[Norbert Elias]] entwickelten sich die europäischen Tischsitten im [[Über den Prozeß der Zivilisation|Prozess der Zivilisation]], in dem zunehmend Fremdzwänge zu Selbstzwängen wurden. [[Pierre Bourdieu]] sieht in den Tischsitten inkorporiertes [[kulturelles Kapital]], mit dem privilegierte [[Soziale Klasse|Klassen]] sich mittels feiner Unterschiede von anderen [[Distinktion (Soziologie)|distinguieren]].


Nach Ulrich Tolksdorf entwickelten sich Tischsitten in drei Phasen:<ref>Tolksdorf 1994, S. 240</ref>
==Verhalten des Gastes==


# Das [[Mittelalter]], in dem weitgehend ohne Regeln und mit bloßen Händen gegessen wurde,
===Einnehmen und Verlassen des Platzes===
# eine zweite Phase zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, in der sich ein umfassender [[Verhaltenskodex]] ausformte,
# eine dritte Phase im 19. und 20. Jahrhundert, in der der erreichte Standard nur unwesentlich verändert wurde.


Im sogenannten [[Benimmunterricht]] werden neben Tischsitten auch [[Höflichkeit]] und [[Umgangsformen]] vermittelt. Weniger als oft vermutet befasste sich jedoch [[Adolph Freiherr Knigge]] mit den Tischsitten.
Eine evtl. vorgegebene [[Sitzordnung]] (z.B. Tischkärtchen) weist dem [[Gast]] seinen persönlichen Sitzplatz zu. Der Gast nimmt gewöhnlich erst Platz, nachdem der [[Gastgeber]] sich gesetzt hat oder dazu bittet. Wenn ein Herr eine Tischdame hat, rückt er dieser beim Hinsetzen den Stuhl zurecht (hilfsweise tut dies das Personal). Beim Verlassen des Platzes entschuldigt sich der Gast zuvor. Begriffe wie ''Toilette'' o. ä. werden nicht genannt, sondern höchstens umschrieben. Die Tafel gilt erst als aufgehoben, sobald der [[Gastgeber]] dies erklärt.


== Gründe für Tischsitten ==
===Geräusche===
Tischsitten stellen einen Verhaltenskodex dar, der dazu dient, den gemeinsamen Genuss von Speisen allen Anwesenden gesittet und so angenehm wie möglich zu gestalten, indem störende Geräusche und Anblicke vermieden werden. Durch die Einhaltung von Tischsitten wird Rücksichtnahme und Wertschätzung demonstriert.
Trink- und Essgeräusche wie Schmatzen, Schlürfen oder Gurgeln, Interjektionen wie "Ah!" nach dem Trinken und lautes Hantieren mit Besteck werden vermieden. Als besonders unangebracht gelten [[Aufstoßen]] oder ein [[Flatus]]. Der [[Schluckauf]] wird oft ebenfalls als störend empfunden.


== Beispiele für Tischsitten in Westeuropa und USA ==
===Das Speisen===
=== Allgemein ===
Grundsätzlich wird bei Tisch [[Besteck]] oder Werkzeug (z.B. Zangen) verwendet. Bis auf wenige Ausnahmen wie [[Austern]] oder [[Hähnchen]]schenkel wird in der Regel nichts mit der Hand gegessen. Bei genannter Ausnahme sind meist Reinigungsmöglichkeiten am Tisch bereitgestellt (z.B. Feuchttücher, eine sogenannte Fingerschale mit Wasser, welche sich links neben dem Teller befindet und z. B. durch eine Zitronenscheibe oder ein Rosenblatt parfümiert werden kann, etc.). Bei dem Umgang mit Besteck wird darauf geachtet, dass es von den Tischnachbarn nicht als bedrohlich empfunden werden könnte. Deswegen werden beispielsweise [[Ei]]er nicht mit dem Messer durchgehackt, sondern mit einem Löffel abgeklopft und die Schale abgehoben. Als unschicklich wird es auch angesehen, seinen Arm vor dem Tischnachbarn auszustrecken.
[[Datei:Dan Hadani collection (990044456330205171).jpg|mini|Mann mit vollem Mund]]
Die Aufnahme großer Portionen in den Mund und das Sprechen mit vollem Mund sollten vermieden werden. Laute Essgeräusche, Rülpsen und Klirren mit Besteck und Essgeschirr sind verpönt. Abgesehen von Brot werden Speisen nur dann mit den Fingern berührt, wenn dies vom Gastgeber ausdrücklich vorgegeben wird. Üblicherweise werden dann [[Fingerschale]]n mit Wasser und Zitrone zum Säubern der Finger bereitgestellt. Durch eine aufrechte und gerade Körperhaltung wird den Tischpartnern Interesse und Respekt angezeigt. Diese Körperhaltung wird auch während des Essens aufrechterhalten, so dass die Speise zum Mund geführt wird und nicht der Mund zum Teller. Das Auflegen der Ellenbogen auf den Tisch sollte vermieden werden. Sowohl der Beginn als auch das Ende einer Mahlzeit und das Entfernen vom Tisch wird jeweils von der Gastgeberin oder vom Gastgeber eingeleitet.


=== Umgang mit dem Besteck ===
Brot wird nicht im Ganzen bestrichen oder abgebissen, sondern in mundgerechte Stücke gebrochen. Belegtes Brot (Butter, Schmalz, Auflage, ...) wird in besonders gehobenen Kreisen mit Messer und Gabel gegessen. Das Eintunken von Brot wird häufig als stillos wahrgenommen.
[[Datei:Cutlery.jpg|miniatur|Stäbchen, Porzellanlöffel, Teelöffel, Esslöffel, Gabel, Messer, Fischmesser]]
Messer, Gabel und Löffel sollten nicht mit der Faust umschlossen, sondern ähnlich dem Umgang mit Schreibwerkzeug behandelt werden. Messer und Gabel werden an den Spitzen gekreuzt auf den Teller gelegt, wenn eine Pause während der Mahlzeit eingelegt wird. Werden Messer und Gabel parallel zueinander auf den Teller gelegt, signalisiert es, dass man fertig mit der Mahlzeit ist. Benutztes Besteck darf nicht auf dem Tisch abgelegt werden. Gestikulieren mit dem Besteck in der Hand gehört ebenfalls nicht zu guten Tischsitten. Dabei ist es nicht wichtig, in welcher Hand die Gabel und in welcher das Messer ist, meistens hält man das Messer als Rechtshänder in der rechten Hand.


In den USA ist die ''Zickzack-Methode'' verbreitet:<ref name=":0">{{Internetquelle |url=http://www.zeit.de/2017/26/us-essmanieren-gabel-zickzack-methode-stimmts |titel=Halten die Amerikaner beim Essen immer eine Hand unterm Tisch, um schneller zur Waffe greifen zu können? |archiv-url=https://archive.md/20240124225737/https://www.zeit.de/2017/26/us-essmanieren-gabel-zickzack-methode-stimmts |abruf=2024-11-02}}</ref> Man hält zunächst Messer und Gabel wie ein Europäer. Nachdem man ein Stück vom Essen abgeschnitten hat, legt man das Messer ab, die Gabel wandert in die rechte Hand und schiebt das Essen in den Mund. Dann wandert sie wieder nach links. Viele schneiden ihr Essen ganz in mundgerechte Happen. Dann hat die linke Hand nichts mehr zu tun und wandert unter den Tisch. Die Zickzack-Methode kam im frühen 18. Jahrhundert in Frankreich als Sitte auf, die Amerikaner zogen nach. Als die Europäer um 1850 umschwenkten, wurde die Sitte in den USA beibehalten.<ref name=":0" />
Bei der Wahl des gedeckten [[Besteck]]s wird eine [[Menü]]folge beachtet: Es wird immer das Besteck verwendet, das sich mit dem größten Abstand zum Teller (außen) befindet. Messer und Gabel werden nicht in die Höhe gehalten. [[Spaghetti]] wird nicht zerschnitten oder in den Mund gesaugt. Beim kurzfristigen Ablegen von Besteck wird darauf geachtet, dass die Unterseiten nach oben auf dem Teller liegen. Teller werden immer auf dem Tisch gelassen und nicht hochgehalten. Man steht nicht auf, um sich vom Tisch zu bedienen und beugt sich auch nicht über den Teller hinüber. Die Teller werden weder eigenhändig zur Seite gestellt noch gestapelt. Getrunken wird nicht aus Flaschen, Karaffen, Kannen, Schüsseln oder Krügen, sondern aus den am Platz bereitgestellten Gläsern, Tassen und Bechern. Strohhalme werden, wenn überhaupt, nur für Getränke in Gläsern verwendet. Getrunken wird nicht hastig und nicht mit vollem Mund. Nicht mundgerechte Stücke werden nicht im Ganzen vorzerkleinert, sondern nur das jeweils unmittelbar zu essende Stück wird abgetrennt.


=== Umgang mit der Serviette ===
Während es in [[Deutschland]] üblich ist, auf ein nicht ausgetrunkenes Weinglas nachzuschenken, gilt dies in [[Österreich]] und manchen Nachbarländern (z.B. [[Tschechien]]) als unhöflich.
Unabhängig davon, ob Stoff- oder Papierservietten ausliegen, gilt, dass diese ausschließlich für die Lippen bestimmt sind. Diese sollten abgetupft werden, bevor das Glas benutzt wird, um so Ränder von Fett, Lippenstift oder Speisen am Glas zu vermeiden. Servietten werden auf den Schoß gelegt und dienen nicht als Lätzchenersatz. Nach Beendigung der Mahlzeit soll die Serviette links neben den Teller abgelegt werden.
Unmotiviertes Stochern im Essen oder Spielen wird nicht gern gesehen. Eine Speise wird vom Tischnachbarn erst nach Rückfrage gekostet. Das Einpacken von Speisen für den Heimgebrauch wird üblicherweise nur vom Personal vorgenommen, bei Geschäftsessen oder Empfängen ist dies gänzlich verpönt.


===Kommunikation===
== Siehe auch ==
* [[Esskultur_im_Römischen_Reich#Tischkultur|Tischkultur im Römischen Reich]]
Bei strengen Tischmanieren wird nicht mit vollem Mund gesprochen. Lautes Reden, z.B. mit einem entfernt sitzenden Tischnachbarn, kann als belästigend wahrgenommen werden. Bedienungen werden nicht mit lautem Rufen oder gar Fingerschnipsen herbeigebeten. Zur Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts klingelte man bei Tisch dezent eine Glocke, um das Hauspersonal herbeizubitten. Hiermit sollte man heutzutage jedoch vorsichtig sein, weil das Läuten einer Glocke in vielen Gaststätten bedeutet, eine Lokalrunde spendieren zu wollen oder vom Personal als unhöfliche Serviceaufforderung verstanden werden kann.
* [[Esskultur im Mittelalter#Tischsitten|Tischsitten im Mittelalter]] | [[Tischzuchten]]
* [[Sitzordnung]] | [[Tischgedeck]] | [[Essbesteck]]


== Literatur ==
Bei Ansprachen gilt es als unschicklich, sich zu unterhalten, zu Essen oder den Raum zu verlassen. Unfeine Worte oder Themen werden vermieden.
* Norbert Elias: ''[[Über den Prozeß der Zivilisation]], Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen''. 2 Bände, 32. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2013 (Erstausgabe 1932), ISBN 3-518-27758-8 (Band 1: ''Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes''); ISBN 3-518-27759-6 (Band 2: ''Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation'').
* [[Günther Schiedlausky]]: ''Essen und Trinken. Tafelsitten bis zum Ausgang des Mittelalters'' (= ''Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte.'' Band 4). München 1956.
* Thomas Schürmann: ''Tisch- und Grußsitten im Zivilisationsprozeß''. (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland; 82). Waxmann, Münster u. a. 1994, ISBN 3-89325-233-9 ([http://www.lwl.org/voko-download/BilderNEU/422_082Schuermann.pdf Volltext als PDF])
* {{Literatur |Autor=Ulrich Tolksdorf |Titel=Nahrungsforschung |Sammelwerk=Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie |Herausgeber=Rolf W. Brednich |Ort=Berlin |Jahr=1994}}


== Weblinks ==
Die oft beschriebene Kommunikation durch Bestecklage wird nicht immer verstanden (z.B. "Besteck in 5-Uhr-Stellung" (Messer oberhalb der Gabel mit der Schneide nach unten) = „kein Appetit mehr“).
{{Commonscat|Table manners}}
{{Wikibooks|Umgangsformen: Essen}}
{{Wiktionary|Tischmanieren}}
*[http://www.magellanworld.net/deutschland_essen_trinken_esskultur.htm Esskultur auf www.magellanworld.net]
*[http://www.antike-tischkultur.de/tischsitten.html Tischsitten in der Antike]
*[http://www.knigge.de/themen/bei-tisch/die-tischmanieren-2044.htm Tischsitten in Deutschland auf knigge.de]


== Einzelnachweise ==
===Portionen===
<references/>
Bei ausgeprägten Tischsitten nimmt man keine übergroßen Portionen und beugt sich nicht zum Tisch herunter. Für andere Personen wird ohne Rücksprache keine Speisebestellung abgegeben. Bei [[Buffet]]s gilt es als verpönt, die Teller ganz voll zu beladen oder sich gleich mehrere Teller zu nehmen. Ein [[Buffet]] wird meist erst offiziell eröffnet, bevor sich die Gäste davon bedienen. Drängeln, Vordrängeln oder Schubsen gilt als überaus unhöflich. Ebenfalls wird nicht am Buffet gegessen oder sich an das Buffet gesetzt.

===Kleidung===
Die Kleidung kann in der Einladung vorgegeben sein. [[Krawatte]]n werden nicht über die Schulter gelegt oder abgelegt. Das [[Sakko]] wird erst ausgezogen, wenn es auch der [[Gastgeber]] ablegt. Ärmel krempelt man normalerweise nicht um und auch Schuhe werden nicht ausgezogen.

===Serviettengebrauch===
Die [[Serviette]] wird nicht in den [[Kragen]] gesteckt, sondern auf den Schoß gelegt. Akzeptiert ist es, sie ein kleines Stück weit in den Hosenbund zu stecken. Sie dient in gehobenen Kreisen nur dem Abwischen des [[Mund]]es (nicht der [[Finger]], des Bestecks oder gar zum Naseputzen). Nach Beendigung des Speisens wird sie nicht auf den Teller gelegt, sondern links davon abgelegt oder ggfs. in den Serviettenring zurückgesteckt.

Der Mund wird vor dem Trinken mit der Serviette von links gesäubert, damit keine Speisereste am Glas verbleiben. Nach dem Trinken wird der Mund normalerweise nicht abgewischt.

===Sonstiges===
Körperpflege am Tisch ist verpönt (Haare kämmen, Schminken, Fingernägel säubern). Das Schnäuzen am Tisch ist auch außerhalb von Europa unerwünscht. Niesen wird daher oft unterdrückt oder zumindest gedämpft. Beim [[Husten]] oder beim [[Niesen]] wird die Hand oder die Serviette vor das [[Gesicht]] gehalten. Zahnstocher am Tisch zu benutzen, ist oft nicht erwünscht. Daher wird der Zahnstocher nach dem Mahl oft mit auf die Toilette genommen und dort verwendet.

Dem Personal wird grundsätzlich nach jeder Tätigkeit gedankt (verbal oder nonverbal). Die Gabe von [[Trinkgeld]] ist bei geschlossenen Gesellschaften oder bei privaten Festivitäten durch einzelne Gäste unüblich.

[[Rauchen|Geraucht]] wird aus Rücksichtnahme erst, nachdem alle das Essen beendet haben und die Tischnachbarn um Erlaubnis gefragt wurden. Verpönt ist es, in benutzte Speise- oder Trinkbehälter abzuaschen. Übermäßiger oder zu schneller Konsum des Essens oder Trinkens (Alkohol!) wird meist nicht gern gesehen. Man sitzt normal und gerade, nicht lässig zurückgelehnt, mit überschlagenen Beinen oder gar mit einem Bein auf einem Stuhl. Die Hände werden in Europa immer über dem Tisch gehalten, dabei liegen die Handgelenke auf der Tischkante. Die Armbanduhr berührt das Tischtuch nicht. Auf- oder Abstützen mit den [[Ellenbogen]] gilt als ungehobelt. [[Haustier]]e werden normalerweise nicht unter dem Tisch gefüttert. In manchen Kulturkreisen, z.B. asiatischen, sollte der Teller nicht restlos leer gegessen werden, weil dem Gastgeber sonst vermittelt werden würde, dass das Essen nicht ausreichte.

==Verhalten des Gastgebers==
Werden die Gäste vorher schriftlich eingeladen, erwartet der Gastgeber bei den Zusätzen ''R. S. V. P.'' (Répondez s'il vous plaît) oder ''U.A.w.g.'' (Um Antwort wird gebeten) eine Zu- oder Absage. Manchmal hält der Gastgeber eine [[Rede|Ansprache]] zum Anlass der Veranstaltung. Sie wird meistens durch mehrfaches Anklingen eines Trinkglases mit Besteck angekündigt.

==Verhalten des Bedienungspersonals==
Es wird üblicherweise immer rechts des Gastes [[Servieren|serviert]]. Es schickt sich, wenn die Bedienung die ungenutzte Hand mit dem Handrücken auf den Rücken legt. [[Wein]]e werden erst mit einem Schluck befüllt, damit der Gast diesen zunächst [[Degustation|degustieren]] kann. Gläser werden zum Befüllen lediglich am Stiel in die Hand genommen, bei Tassen wird der Unterteller in die Hand genommen. Bei Banketten und Großveranstaltungen übernimmt das Degustieren der vom Gastgeber ausgesuchten und bestellten Weine der Sommelier (im Office, für den Gast nicht sichtbar). Beim Wechsel von Rot- auf Weißwein wird das Glas gewechselt, da verschiedene Glasgrößen für unterschiedliche Weinsorten üblich sind. In der gehobenen Gastronomie wird Wein aus Flaschen mit einer umwickelten Serviette eingeschenkt.

Das Essen oder die Getränke abzuräumen, während der Gast diese noch konsumiert, kann im Extremfall als Beleidigung wahrgenommen werden. Beim Abräumen fragt die Bedienung den Gast üblicherweise, ob ihm die Speise geschmeckt hat, um zu implizieren, dass ihr das Wohlergehen des Gastes am Herzen liegt.

==Literatur==
*Alexandra Cavelius und Antje Brudereck: ''Ess-Knigge'', Econ Ullstein List Verlag, 116 S., ISBN 3-517-06377-0
*Ute Witt: ''Ess- und Tisch-Knigge'', Gräfe und Unzer, 128 S., ISBN 3774264805

==Siehe auch:==
* [[Esskultur]]
* [[Trinkkultur]]
* [[Umgangsformen]]
* [[Benimmunterricht]]
* [[Etikette]]
* [[Ritteressen]]
* [[Adolph Freiherr Knigge]]
* [[Höflichkeit]]
* [[Fest]]
* [[Ernährungssoziologie]]

==Weblinks==
*http://www.magellanworld.net/deutschland_essen_trinken_esskultur.htm


[[Kategorie:Esskultur]]
[[Kategorie:Esskultur]]
[[Kategorie:Gastronomie]]
[[Kategorie:Gastronomie als Thema]]
[[Kategorie:Umgangsform]]
[[Kategorie:Umgangsform]]

[[en:Formal dinner]]

Aktuelle Version vom 2. November 2024, 09:48 Uhr

Formelles Abendessen (St. John’s College)

Unter Tischsitten oder Tafelsitten versteht man Umgangsformen bei Tisch, genauer beim Einnehmen von Speisen und Getränken in Gesellschaft.

Spätmittelalterliche Tischsitten: Eine Seite der Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus in einer 1470/1480 angefertigten Handschrift aus Flandern, deren Illustration den Kontrast von Ausschweifung und Mäßigung in den Tischsitten veranschaulicht. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. Rep. I.11b, Bd. 1, fol. 137v

Die Ernährungssoziologie befasst sich wissenschaftlich mit Tischsitten, Esskultur und Trinkkultur. Nach Norbert Elias entwickelten sich die europäischen Tischsitten im Prozess der Zivilisation, in dem zunehmend Fremdzwänge zu Selbstzwängen wurden. Pierre Bourdieu sieht in den Tischsitten inkorporiertes kulturelles Kapital, mit dem privilegierte Klassen sich mittels feiner Unterschiede von anderen distinguieren.

Nach Ulrich Tolksdorf entwickelten sich Tischsitten in drei Phasen:[1]

  1. Das Mittelalter, in dem weitgehend ohne Regeln und mit bloßen Händen gegessen wurde,
  2. eine zweite Phase zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, in der sich ein umfassender Verhaltenskodex ausformte,
  3. eine dritte Phase im 19. und 20. Jahrhundert, in der der erreichte Standard nur unwesentlich verändert wurde.

Im sogenannten Benimmunterricht werden neben Tischsitten auch Höflichkeit und Umgangsformen vermittelt. Weniger als oft vermutet befasste sich jedoch Adolph Freiherr Knigge mit den Tischsitten.

Gründe für Tischsitten

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Tischsitten stellen einen Verhaltenskodex dar, der dazu dient, den gemeinsamen Genuss von Speisen allen Anwesenden gesittet und so angenehm wie möglich zu gestalten, indem störende Geräusche und Anblicke vermieden werden. Durch die Einhaltung von Tischsitten wird Rücksichtnahme und Wertschätzung demonstriert.

Beispiele für Tischsitten in Westeuropa und USA

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Mann mit vollem Mund

Die Aufnahme großer Portionen in den Mund und das Sprechen mit vollem Mund sollten vermieden werden. Laute Essgeräusche, Rülpsen und Klirren mit Besteck und Essgeschirr sind verpönt. Abgesehen von Brot werden Speisen nur dann mit den Fingern berührt, wenn dies vom Gastgeber ausdrücklich vorgegeben wird. Üblicherweise werden dann Fingerschalen mit Wasser und Zitrone zum Säubern der Finger bereitgestellt. Durch eine aufrechte und gerade Körperhaltung wird den Tischpartnern Interesse und Respekt angezeigt. Diese Körperhaltung wird auch während des Essens aufrechterhalten, so dass die Speise zum Mund geführt wird und nicht der Mund zum Teller. Das Auflegen der Ellenbogen auf den Tisch sollte vermieden werden. Sowohl der Beginn als auch das Ende einer Mahlzeit und das Entfernen vom Tisch wird jeweils von der Gastgeberin oder vom Gastgeber eingeleitet.

Umgang mit dem Besteck

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Stäbchen, Porzellanlöffel, Teelöffel, Esslöffel, Gabel, Messer, Fischmesser

Messer, Gabel und Löffel sollten nicht mit der Faust umschlossen, sondern ähnlich dem Umgang mit Schreibwerkzeug behandelt werden. Messer und Gabel werden an den Spitzen gekreuzt auf den Teller gelegt, wenn eine Pause während der Mahlzeit eingelegt wird. Werden Messer und Gabel parallel zueinander auf den Teller gelegt, signalisiert es, dass man fertig mit der Mahlzeit ist. Benutztes Besteck darf nicht auf dem Tisch abgelegt werden. Gestikulieren mit dem Besteck in der Hand gehört ebenfalls nicht zu guten Tischsitten. Dabei ist es nicht wichtig, in welcher Hand die Gabel und in welcher das Messer ist, meistens hält man das Messer als Rechtshänder in der rechten Hand.

In den USA ist die Zickzack-Methode verbreitet:[2] Man hält zunächst Messer und Gabel wie ein Europäer. Nachdem man ein Stück vom Essen abgeschnitten hat, legt man das Messer ab, die Gabel wandert in die rechte Hand und schiebt das Essen in den Mund. Dann wandert sie wieder nach links. Viele schneiden ihr Essen ganz in mundgerechte Happen. Dann hat die linke Hand nichts mehr zu tun und wandert unter den Tisch. Die Zickzack-Methode kam im frühen 18. Jahrhundert in Frankreich als Sitte auf, die Amerikaner zogen nach. Als die Europäer um 1850 umschwenkten, wurde die Sitte in den USA beibehalten.[2]

Umgang mit der Serviette

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Unabhängig davon, ob Stoff- oder Papierservietten ausliegen, gilt, dass diese ausschließlich für die Lippen bestimmt sind. Diese sollten abgetupft werden, bevor das Glas benutzt wird, um so Ränder von Fett, Lippenstift oder Speisen am Glas zu vermeiden. Servietten werden auf den Schoß gelegt und dienen nicht als Lätzchenersatz. Nach Beendigung der Mahlzeit soll die Serviette links neben den Teller abgelegt werden.

  • Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bände, 32. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2013 (Erstausgabe 1932), ISBN 3-518-27758-8 (Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes); ISBN 3-518-27759-6 (Band 2: Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation).
  • Günther Schiedlausky: Essen und Trinken. Tafelsitten bis zum Ausgang des Mittelalters (= Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte. Band 4). München 1956.
  • Thomas Schürmann: Tisch- und Grußsitten im Zivilisationsprozeß. (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland; 82). Waxmann, Münster u. a. 1994, ISBN 3-89325-233-9 (Volltext als PDF)
  • Ulrich Tolksdorf: Nahrungsforschung. In: Rolf W. Brednich (Hrsg.): Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin 1994.
Commons: Table manners – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikibooks: Umgangsformen: Essen – Lern- und Lehrmaterialien
Wiktionary: Tischmanieren – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Tolksdorf 1994, S. 240
  2. a b Halten die Amerikaner beim Essen immer eine Hand unterm Tisch, um schneller zur Waffe greifen zu können? Archiviert vom Original; abgerufen am 2. November 2024.