„Senfgas“ – Versionsunterschied
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{{Infobox Chemikalie |
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{{Dieser Artikel| behandelt den Kampfstoff Lost; für die gleichnamige US-amerikanische Fernsehserie siehe [[Lost (Fernsehserie)]].}} |
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| Strukturformel = [[Datei:Sulfur mustard.svg|200px|Strukturformel von Lost]] |
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'''Lost''' (benannt nach seinen Entwicklern '''Lo'''mmel und '''St'''einkopf) ist ein hautschädigender chemischer [[Kampfstoff]] („Hautkampfstoff“). |
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| Suchfunktion = C4H8Cl2S |
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| Andere Namen = * 1-Chlor-2-[(2-chlorethyl)sulfanyl]ethan ([[IUPAC-Nomenklatur|IUPAC]]) |
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* Bis(2-chlorethyl)sulfid |
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* Lost |
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* Schwefellost |
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* S-Lost |
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* HD |
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* Gelbkreuzgas |
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* Yperit |
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* Schwefelyperit |
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* Bis(2-chlorethyl)thioether |
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| Summenformel = C<sub>4</sub>H<sub>8</sub>Cl<sub>2</sub>S |
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| CAS = {{CASRN|505-60-2}} |
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| EG-Nummer = 684-527-7 |
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| ECHA-ID = 100.209.973 |
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| PubChem = 10461 |
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| ChemSpider = 21106142 |
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| Beschreibung = farblos bis gelbliche, ölige, in reiner Form fast geruchlose Flüssigkeit. In [[Stoffreinheit|technischer Reinheit]] knoblauch- bzw. senfartiger Geruch<ref name="GESTIS" /> |
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| Molare Masse = 159,07 g·mol<sup>−1</sup> |
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| Aggregat = flüssig |
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| Dichte = 1,27 g·cm<sup>−3</sup> (20 °C)<ref name="GESTIS" /> |
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| Schmelzpunkt = 13–14 [[Grad Celsius|°C]]<ref name="GESTIS" /> |
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| Siedepunkt = 217 °C<ref name="GESTIS" /> |
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| Dampfdruck = 8,7 [[Pascal (Einheit)|Pa]] (20 °C)<ref name="GESTIS" /> |
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| Löslichkeit = sehr schwer in Wasser (0,48 g·l<sup>−1</sup> bei 20 °C)<ref name="GESTIS" /> |
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| Brechungsindex = 1,5313 (20 °C)<ref name="CRC90_3_50">{{CRC Handbook|Auflage=90|Titel=Physical Constants of Organic Compounds|Kapitel=3|Startseite=50}}</ref> |
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| Quelle GHS-Kz = <ref name="GESTIS">{{GESTIS|Name=Bis(2-chlorethyl)sulfid|ZVG=510748|CAS=505-60-2|Abruf=2025-01-10}}</ref> |
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| GHS-Piktogramme = {{GHS-Piktogramme|06|08}} |
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| GHS-Signalwort = Gefahr |
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| H = {{H-Sätze|300|310|330|315|319|335|350}} |
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| EUH = {{EUH-Sätze|-}} |
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| P = {{P-Sätze|201|280|301+310+330|302+352+310|304+340+310|305+351+338}} |
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| Quelle P = <ref name="GESTIS" /> |
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| MAK = <small>Für krebserzeugende Stoffe wird generell kein MAK-Wert vergeben.</small><ref name="GESTIS" /> |
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| ToxDaten = * {{ToxDaten |Typ=LD50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=percutan |Wert=100 mg·kg<sup>−1</sup> |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="JournTox">Journal of Toxicology and Environmental Health, Part A., 59(471), 2000</ref>}} |
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* {{ToxDaten |Typ=LD50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=oral |Wert=0,7 mg·kg<sup>−1</sup> |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="JournTox" />}} |
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* {{ToxDaten |Typ=LDLo |Organismus=Mensch |Applikationsart=percutan |Wert=64 mg·kg<sup>−1</sup> |Bezeichnung= |Quelle=<ref>World Health Organization, Technical Report Series, (24), 1970.</ref>}} |
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}} |
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'''Senfgas''' ist ein [[Trivialname]] für die Chemikalie '''Bis(2-chlorethyl)sulfid''', einen [[Hautkampfstoff|hautschädigenden]] [[Chemische Waffe|chemischen Kampfstoff]] aus der Gruppe der [[Loste]]. Weitere Bezeichnungen sind '''Lost''', ''Schwefellost'', ''S-Lost'', ''[[Gelbkreuz]]<nowiki />gas'', ''Yperit'' oder ''Schwefelyperit'', im englischen Sprachgebrauch ''{{lang|en|sulfur mustard}}'', ''{{lang|en|mustard gas}}'' oder kurz ''{{lang|en|mustard}}''. Der NATO-Code lautet ''HD''. Der Name „Senfgas“ stammt vom typischen Geruch des nicht hochgereinigten Produktes nach [[Senf]] oder [[Knoblauch]].<ref>LABOR SPIEZ: {{Webarchiv|url=https://www.labor-spiez.ch/pdf/de/dok/fas/FS-Senfgas_d.pdf |wayback=20170204144114 |text=Fact-Sheet Senfgas }} (PDF; 244 kB), abgerufen am 4. Februar 2017.</ref> Loste sind in reiner Form bei Raumtemperatur farb- und geruchlose Flüssigkeiten. Die Bezeichnung als [[Gas]] für diese Substanzen trifft also nicht im strengen Sinne zu. Vermutlich wurde „[[Giftgas]]“ nach dem Ersteinsatz von [[Chlorgas]] als chemischer Waffe (1915) zunächst unterschiedslos für alle anderen chemischen Kampfstoffe übernommen. |
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Schwefellost (S-Lost; Code: HD) wird auch als '''Senfgas''', '''Yperit''' (da erstmals bei [[Ypern]] eingesetzt), '''Schwefelyperit''' oder im angloamerikanischen Sprachraum als „mustard gas“ bezeichnet. S-Lost wurde im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] bei der [[Dritte Flandernschlacht|3. Flandernschlacht]] in [[Belgien]] erstmals eingesetzt. |
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== |
== Geschichte == |
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Die Herstellung gelang erstmals im Jahr 1822 dem belgischen Chemiker [[César-Mansuète Despretz]], der beim Experimentieren mit [[Ethen]] und [[Schwefeldichlorid]] die Entstehung einer übelriechenden Flüssigkeit beobachtete. Der Franzose Alfred Riche stellte 1854 Senfgas aus [[Chlor]] und [[Diethylsulfid]] her. Im Jahr 1886 wurde die Chemikalie von dem deutschen Chemiker [[Victor Meyer]] erstmals vollständig beschrieben. Der Vorschlag zur Verwendung als Kampfstoff kam von den beiden deutschen Chemikern [[Wilhelm Lommel|Wilhelm '''Lo'''mmel]] und [[Wilhelm Steinkopf|Wilhelm '''St'''einkopf]], beides Mitarbeiter von [[Fritz Haber]] am [[Kaiser-Wilhelm-Institut]], im Jahr 1916. Der Name '''Lost''' entstand aus den beiden ersten Buchstaben ihrer Nachnamen.<ref>Markus Schnedlitz: ''Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung.'' GRIN Verlag, 2008, ISBN 978-3-640-23360-1, S. 30.</ref> |
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N-Loste (oder Stickstoffloste) gehören ebenfalls zu den Hautkampfstoffen. Im Gegensatz zum bekannteren '''S-Lost''' basiert das chemische Grundgerüst der N-Loste aber nicht auf [[Schwefel]], sondern auf [[Stickstoff]]. N-Loste korrodieren ihre Behälter nicht so leicht wie S-Loste. Im Allgemeinen verläuft die Heilung von N-Lost-Wunden besser als von S-Lost-Wunden. |
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Nach den Erinnerungen von [[Wilhelm H. Westphal (Physiker)|Wilhelm Westphal]] warnte Haber im Kriegsministerium auf einer Sitzung, bei der auch [[Erich Ludendorff]] teilnahm, ausdrücklich vor dem Einsatz von Senfgas, falls man nicht sicher sei, den Krieg in einem Jahr zu gewinnen, da der Gegner das Giftgas dann selbst entwickelt hätte, was auch so eintrat. Nach einem Gasangriff müsste, so Haber, die Kleidung gewechselt werden, was dem Gegner kein Problem bereiten würde, wohl aber den Deutschen.<ref>Wilhelm Heinrich Westphal: ''68 Jahre als Physiker in Berlin.'' In: ''Physikalische Blätter.'' 28, 1972, S. 258–265, [[doi:10.1002/phbl.19720280603]].</ref> |
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Sowohl S-Lost als auch N-Lost wurden auf Grund der Kennzeichnung der damit gefüllten Munition als [[Gelbkreuz]]kampfstoffe bezeichnet. |
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=== Erster Weltkrieg === |
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Auch wenn ein [[Exposition (Medizin)|Hauptexpositionsweg]] durch [[inhalieren|inhalatorische]] oder [[perkutan]]e Aufnahme von Dämpfen der Loste besteht, bleibt doch anzumerken, dass es sich bei keinem der Stoffe beider Substanzklassen um Gas, sondern um Flüssigkeiten handelt; N-Lost, hier HN3, wird allerdings im Allgemeinen als Hydrochlorid, also als Feststoff, eingesetzt. Diese werden durch die [[Zerlegerladung]] (bei Granaten) oder einer geeigneten Sprühvorrichtung in Form von Flüssig-[[Aerosol]]en oder, im Fall von N-Lost-Hydrochlorid, in Feststoff-Aerosole freigesetzt. |
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[[Datei:Mustard gas burns.jpg|mini|Lost-Opfer in Behandlung während des Ersten Weltkrieges]] |
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Es ist zu vermuten, dass nach dem Ersteinsatz von [[Chlorgas]] der Begriff [[Giftgas]] unterschiedslos für alle anderen Kampfstoffe übernommen wurde. |
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Erstmals während des Ersten Weltkriegs wurde Schwefellost von den deutschen Truppen in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1917 eingesetzt.<ref>{{Literatur | Autor=Otto Jekel | Titel=Giftwolken | TitelErg=Giftgase im Weltkrieg und heute | Sammelwerk=[[Neues Wiener Tagblatt]] | Datum=1935-06-15 | Seiten=12 |Online=[http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwt&datum=19350615&seite=12 ANNO – AustriaN Newspapers Online] | Abruf=2020-05-18}}</ref> Taktisches Ziel war, die deutsche Ausgangslage für den erwarteten [[Dritte Flandernschlacht|britischen Angriff bei Ypern]] zu verbessern (daher der Name Yperit). Schwefellost wurde wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu einer der gefürchtetsten Waffen. |
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==Geschichte== |
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{{Zitat |
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[[1860]] stellte der britische Wissenschaftler Frederic Guthrie Senfgas zum ersten Mal her. |
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|Text=Von den deutschen Gelbgasangriffen, bei denen die Truppen selbst und nicht das leere Terrain beschossen wurden, gibt ja [[Julius Meyer (Chemiker)|Professor Meyer]] selber an: »Die Wirkung des [[Gelbkreuz]]es in der Flandernschlacht von 1917 steigerte sich mehr und mehr, und es kam wiederholt vor, daß der Gegner froh war, wenn er ein Viertel seiner Mannschaft unbeschädigt halten konnte.« Die drei Viertel anderen, die Beschädigten also, mögen sich dafür mit seiner berühmten Umschreibung der Senfgaswirkung getröstet haben, die also lautet: ‚Die Verwundungen sind an und für sich nicht tödlich, werden es aber häufig dadurch, dass der [[Lungenventilation|Atmungsprozeß]] in der Lunge unterbunden wird.‘ Das heißt also, wenn man jemandem die Kehle zuschnürt, so ist das an und für sich nicht tödlich. Man stirbt nur, weil man [[Erstickung|nicht mehr atmen kann]]! – und die Ehre des Senfgases ist gerettet. |
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|Autor=[[Gertrud Woker]] |
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|Quelle=Blüten der [[Propaganda im Ersten Weltkrieg|Kampfgaspropaganda]] |
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|ref=<ref>[[Gertrud Woker]]: ''Blüten der [[Propaganda im Ersten Weltkrieg|Kampfgaspropaganda]]''. In: ''[[Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung]]''. 6.–9. Auflage. Ernst Oldenburg Verlag, Leipzig 1932, Ende des Kapitels X, S. 249, 278 Seiten mit Illustrationen.</ref>}} |
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Allerdings wurden durch das ab 1915 eingesetzte [[Phosgen]] im Ersten Weltkrieg noch mehr Soldaten getötet als durch Schwefellost.<ref>{{Der Spiegel |ID=14345551 |Titel=Todeswolken über Europa |Jahr=1982 |Nr=8 |Seiten=}}<!--"Rund 80 Prozent der Gas-Toten im Ersten Weltkrieg starben an Phosgen-Vergiftungen."--></ref> |
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Am [[12. Juli]] [[1917]] setzten die deutschen Truppen das erste Mal Senfgas ein, um die Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei [[Dritte Flandernschlacht|Ypern]] zu verbessern. Senfgas war wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des ersten Weltkriegs zu einer der gefürchtetsten Waffen geworden. Allerdings wurden durch Senfgas weitaus weniger Soldaten getötet als durch [[Phosgen]]. |
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=== Rifkrieg in Marokko (1921–1926) === |
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Während der NS-Zeit wurde bis [[1942]] in [[Halle (Saale)|Halle]]-Ammendorf S-Lost produziert, kam aber im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] nicht zum Einsatz. Neben einem Werk in der [[Lüneburger Heide]] war die Ammendorfer Firma „ORGACID“ der größte Hersteller chemischer Kampfstoffe in Deutschland. Unter dem ehemaligen Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weit verzweigte grün geflieste Zisternen, die auf Grund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der [[Wende (DDR)|Wende]] hermetisch versiegelt worden sind. Im Jahr [[1990]] wurden noch 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche transportiert. |
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Der [[Rifkrieg (1921)|Rifkrieg]] wurde von spanischen Truppen übereilt und ohne Sicherung der Nachschublinien begonnen. |
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Der Führer der [[Berber]]-Stämme, [[Mohammed Abd al-Karim]], griff darauf am 22. Juli 1921 die spanischen Stellungen bei [[Annual (Marokko)]] im nordöstlichen Marokko direkt an. In den drei Wochen der [[Schlacht von Annual]] kamen ca. 8.000 bis 10.000 spanische Soldaten ums Leben. |
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Während des Zweiten Weltkriegs wurden Senfgasbomben, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt, nämlich durch polnische Truppen zur Sprengung einer Brücke und zur Verminung einer Straßensperre in der Nähe von [[Jaslo]]. Dabei wurden am [[8. September]] [[1939]] zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen. <ref name="Gellermann1">G.W.Gellermann: ''Der Krieg, der nicht stattfand'', Bernard&Graefe Verlag</ref> |
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Danach beschlossen die Spanier unter Mitwirkung von [[Hugo Stoltzenberg]] einen großflächigen Einsatz von Senfgas in dieser Gegend. Zu diesem Zweck räumten sie das zentrale [[Rif (Gebirgszug)|Rifgebirge]] bis Anfang 1925. |
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[[Bild:Mustard_gas_burns.jpg|thumb|Lost - Opfer in Behandlung während des Ersten Weltkrieges]] Am [[2. Dezember]] [[1943]] bombardierte die deutsche [[Luftwaffe (Wehrmacht)|Luftwaffe]] den italienischen Hafen von [[Bari]]. Dabei wurde der unter anderem mit Senfgasgranaten beladene US-Frachter ''John Harvey'' getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da auf Grund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass das Giftgas von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen (vermeintlichen) ''Gegen''schlag durchführten. |
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1925 griff auch Frankreich in den Krieg ein: Der französische Kriegsminister [[Paul Painlevé]] vereinbarte am 17. Juni 1925 in Madrid mit dem Diktator [[Miguel Primo de Rivera]], eine wirksame [[Seeblockade]] zu errichten. Am 13. Juli 1925 wurde [[Philippe Pétain]] zum Oberbefehlshaber der französischen Rif-Armee ernannt. Er verfügte über mehr als hundert Bataillone, nicht gezählt die mehr als 350.000 [[Harka (Militär)|Harkas]] des [[Majzen]], der Verwaltung des [[Sultan]]s [[Mulai Yusuf]].<ref name="Souss">{{Webarchiv|url= http://www.souss.com/L-histoire-oubliee-des.html | wayback = 20080212203811 | text = L’histoire oubliée des surréalistes et la guerre du Rif}}</ref> Ab 1925 besetzten 250.000 Mann unter Pétain die fruchtbaren Gebiete in [[Französisch-Marokko]] und unterbanden die Versorgung der Rif-Republik mit Lebensmitteln. Gegen das von der Rif-Republik kontrollierte Gebiet wurden massiv [[Chemiewaffen]] aus deutscher Produktion eingesetzt. |
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[[Bild:Kopf eines Yperit Opfers.jpg|thumb|Lost - Opfer im Iran durch irakischen Lost-Einsatz 1980.]] |
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Der irakische [[Diktator]] [[Saddam Hussein]] setzte am [[16. März]] [[1988]] gegen Ende des [[Erster Golfkrieg|Ersten Golfkriegs]] Senfgas gegen die 260 km nordöstlich von [[Bagdad]] gelegene Stadt [[Halabdscha]] ein. Unter den 70.000 Einwohnern gab es in der Folge ca. 5.000 Tote und 7.000 Verletzte (siehe dazu: [[Giftgasangriff auf Halabdscha]]). |
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Es war der weltweit erste Giftgasangriff aus der Luft. Innerhalb von drei Jahren wurden tausende Giftgasbomben aus deutscher Produktion über dem Rif-Gebiet abgeworfen. Genaue Opferzahlen und umfangreiche Studien lagen bis 2023 nicht vor, aber die Krebsrate im Rif-Gebiet ist 60 % höher als im Rest Marokkos. Das Gebiet um Al-Hoceima führt auch heute noch die [[Lungenkrebs]]statistik in Marokko an. Auch im [[Rhein-Main-Gebiet]] und im [[Ruhrgebiet]], zwei Zentren der [[Migration]]sbewegung aus dem Rif-Gebiet nach Deutschland in den 1960ern, beschäftigen viele [[Epigenetik|epigenetische]] Krebsfälle die Betroffenen auch noch in späteren Generationen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ardaudiothek.de/episode/hr2-dokumentation-und-reportage/100-jahre-schweigen-deutsches-giftgas-in-marokko/hr2-kultur/94799248/ |titel=100 Jahre Schweigen. Deutsches Giftgas in Marokko |sprache=de |abruf=2023-11-17}}</ref> (Hauptartikel: [[Chemiewaffeneinsatz im Rifkrieg]]). |
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Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Senfgasbestände in der [[Ostsee]] versenkt. Da das Lost aber allmählich aus den mittlerweile lecken Fässern austritt, finden sich an Stränden der Ostsee immer wieder kleine Lost-Klumpen, die [[Bernstein]] ähnlich sehen, aber ziemlich weich sind. Bei Hautkontakt können sich Verätzungen bilden.[http://dc2.uni-bielefeld.de/dc2/kampfst/lost.htm] |
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Der Einsatz von Senfgas war ein Bruch der [[Haager Landkriegsordnung]]. Das [[Genfer Protokoll]] vom Juni 1925 verbot ausdrücklich den Gebrauch chemischer und biologischer Waffen. |
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Lost wurde in folgenden Konflikten eingesetzt: |
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* [[Spanien]] gegen [[Marokko]] in den Jahren [[1923]]-[[1926]] |
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* [[Italien]] gegen [[Äthiopien]] in den Jahren [[1935]]-[[1940]] |
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* [[Polen]] gegen [[Deutschland]] im Jahr [[1939]] (Einzelfall)<ref name="Gellermann1"/> |
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* [[Sowjetunion]] in einer [[Provinz (China)|Provinz]] der [[Republik China]] im Jahre [[1930]] |
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* [[Japan]] gegen die [[Republik China]] in den Jahren [[1937]]-[[1945]] |
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* [[Ägypten]] gegen [[Nordjemen]] in den Jahren [[1963]]-[[1967]] |
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* [[Irak]] gegen [[Iran]] in den Jahren [[1983]]-[[1988]] |
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* Irak gegen [[Kurden]] im Jahr 1988 |
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=== Deutsch-sowjetische Giftgasproduktion und -Erprobung === |
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== Toxizität == |
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Im Rahmen der deutsch-sowjetischen Militärkooperation von 1921 bis 1933 wurde ab 1924 gezielte Forschungsentwicklung und ab 1926 die Produktion, industriemäßige Entwicklung und der gefechtsnahe Einsatz dieser verbotenen Waffensysteme auf sowjetischem Territorium betrieben. Initiator dafür waren das Truppenamt im Reichswehrministerium und die deutsche Chemiefirma Stolzenberg.<ref>Olaf Groehler, Selbstmörderische Allianz. Deutsch-russische Militärbeziehungen 1920–1941, Visia Verlag Berlin 1992, S. 46ff.</ref> |
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Lost ist ein starkes Hautgift und wahrscheinlich krebserregend ([[carcinogen]]). |
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Die Wirkung auf die [[Haut]] ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder [[Verätzung]]en. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die [[Zellteilung]] gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die [[Bronchien]] zerstört. |
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Eine Entgiftung der Haut kann durch eine sofortige Behandlung durch Abwaschen mit starker Seifenlauge oder durch Besprühen der betroffenen Stellen mit [[Chlorkalk]] erfolgen. Ein Abdecken der betroffenen Körperregionen, beispielsweise durch Kleidung oder Decken, ohne vorherige Entgiftung verschlimmert die Symptome zusätzlich. |
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=== Abessinienkrieg === |
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Die toxische Wirkung beider Lost-Varianten kommt durch die Bildung von hochreaktiven Verbindungen durch einen intramolekularen [[Nukleophile Substitution|S<sub>N</sub>2-Angriff]]s des Stickstoffs oder Schwefels auf das mit Chlor verbundene Kohlenstoffatom (Nachbargruppenbeteiligung oder anchimere Unterstützung) zustande. Dabei bildet sich im Falle von N-Lost ein [[Aziridin]] oder [[Thiiran]] im Falle des S-Lost. |
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Am 3. Oktober 1935 brach der [[Italienischer Faschismus|faschistische]] Diktator [[Benito Mussolini|Mussolini]] den [[Abessinienkrieg]] los. Etwa 200.000 italienische Soldaten rückten in [[Äthiopien]] vor. Als der Vormarsch nach einiger Zeit ins Stocken geriet, verwendete die faschistische Kriegsleitung Giftgas und großangelegte Luftbombardements, um den Krieg rasch zu gewinnen. Es kam zu massiven Luftangriffen mit Senfgas, das unter den schlecht ausgerüsteten und leicht gekleideten äthiopischen Soldaten zu hohen Verlusten führte.<ref>Lina Grip, John Hart: '' {{Webarchiv|text=The use of chemical weapons in the 1935–36 Italo-Ethiopian War. (PDF) |url=http://www.sipri.org/research/disarmament/chemical/publications/ethiopiapaper/at_download/file |wayback=20150924115402}}'' [[Stockholm International Peace Research Institute|SIPRI]] Arms Control and Non-proliferation Programme, Oktober 2009.</ref> Der Kampfstoff wurde aber nicht nur gegen äthiopische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Des Weiteren wurden landwirtschaftliche Anbauflächen mit Senfgas kontaminiert.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/mit-giftgas-zum-imperium-1439425.html |titel=Mit Giftgas zum Imperium |autor=Frankfurter Allgemeine Zeitung |werk=[[Frankfurter Allgemeine Zeitung#FAZ.NET|FAZ.net]] |datum=2007-04-19 |zugriff=2010-07-19}}</ref> |
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Die italienischen Verbände bombardierten mit Senfgas zudem gezielt Lazarette des [[Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung|Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes]]. Dazu nutzten sie kartographisches Material, welches das Rote Kreuz bei Kriegsbeginn an Rom übermittelt hatte, um so (versehentlichen) Angriffen auf Hospitäler vorzubeugen. |
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Die gezielten Attacken machten international Schlagzeilen. Zu einer wesentlichen Verschärfung der Sanktionen kam es nicht; Frankreich und Großbritannien waren bestrebt, Mussolini nicht in die Arme Hitlers zu drängen. Vergeblich trat Kaiser [[Haile Selassie]] persönlich vor dem [[Völkerbund]] auf und forderte Unterstützung. Am 5. Mai 1936 zog der italienische Feldmarschall [[Pietro Badoglio]] schließlich in der äthiopischen Hauptstadt [[Addis Abeba]] ein. Italien nahm die Proteste zum Anlass, aus dem Völkerbund auszutreten. |
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Das Auge reagiert am empfindlichsten auf S-Lostdampf. Die Folge ist eine im glimpflichen Fall vorübergehende Erblindung, da das massive Lidödem eine aktive Augenöffnung verhindert. Da die Augen bis zu einem gewissen Grad jedoch in der Lage sind, sich zu regenerieren, bestehen oftmals nach einer Dauer von einigen Monaten gute Heilungschancen und Aussicht auf das Wiedererlangen der Sehkraft. |
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In dem danach bis zum Ende der italienischen Besatzung 1941 andauernden Guerillakrieg wurde der Einsatz von Giftgas sogar noch gesteigert. Wie beim [[Massaker von Zeret]] im April 1939 wurde dabei Senfgas rücksichtslos gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um den äthiopischen Widerstand zu brechen. |
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Lost durchdringt poröses Material und bestimmte Gummi- und Kunststoffarten. |
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Teilweise werden die Kampfstoffe mit Wachsen, Harzen oder Kunststoffen angereichert, um „Zäh-Lost“ zu schaffen, welches an Materialien haften bleibt und somit schwieriger zu entgiften ist. |
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{{Siehe auch|Italienische Kriegsverbrechen in Afrika}} |
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==Lager== |
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Stand 2003 ([http://www.labor-spiez.ch/ AC-Schutzzentrum Spiez]): |
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*Russland: 40.000 t (Militärisch nicht mehr einsetzbar; Vernichtungsprogramm in den Anfängen) |
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*USA: 31.500 t (davon ca. 25 % zerstört) |
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*Indien: mehrere tausend Tonnen (Aktives Vernichtungsprogramm) |
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*Iran: mehrere hundert Tonnen |
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*Südkorea: mehrere tausend Tonnen (Aktives Vernichtungsprogramm) |
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*Nordkorea: mehrere tausend Tonnen |
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=== Zweiter Weltkrieg === |
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==Eigenschaften== |
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[[Datei:"Mustard gas smells like garlic..." (OHA 365), National Museum of Health and Medicine (5404772407).jpg|mini|Amerikanisches Plakat während des Zweiten Weltkriegs]] |
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===Schwefelloste (S-Lost)=== |
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Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Bomben munitionierter Schwefellost, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt. Dies geschah bei der Sprengung einer Brücke und dem Verminen einer Straßensperre durch polnische Truppen in der Nähe von [[Jasło]]. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen.<ref name="Gellermann1">[[Günther W. Gellermann]]: ''Der Krieg, der nicht stattfand'' Bernard & Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6, S. 135–137 sowie Anhang S. 227–232.</ref> |
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Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche [[Luftwaffe (Wehrmacht)|Luftwaffe]] den Hafen von [[Bari]] in Italien. Dabei wurde der unter anderem mit Schwefellost-Granaten beladene US-Frachter ''John Harvey'' getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da aufgrund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass der Kampfstoff von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen „Gegenschlag“ durchführten.<ref>Günther W. Gellermann: ''Der Krieg, der nicht stattfand.'' Bernard & Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6, S. 160–165.</ref><ref>[[Robert Harris]], Jeremy Paxman: ''Der lautlose Tod – Die Geschichte der biologischen und chemischen Waffen'', [[Heyne Verlag]], 2002, S. 191–197.</ref> |
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====Senfgas (Standard-Schwefellost)==== |
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Bis(2-chlorethyl)sulfid<br> |
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CAS: 505-60-2<br> |
|||
[[Schmelzpunkt]]: 14,4 °C (760 mm Hg)<br> |
|||
[[Siedepunkt]]: 217.°C (760 mm Hg)<br> |
|||
Gasförmig ab: 15 mm Hg bei 105-108 °C<br> |
|||
[[Geruch]]: [[senf|senfartig]], [[meerrettich|meerettichähnlich]]<br> |
|||
Wirkungsdauer bei 15 °C: 3-5 Tage<br> |
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Während der [[Zeit des Nationalsozialismus]] wurde S-Lost in Deutschland bis 1942 in [[Munster]]<ref name="Munster">geschichtsspuren.de: [http://www.geschichtsspuren.de/cms/content/view/108/33/ Kampfstoff in Munster-Nord – Heeresversuchsstelle Raubkammer].</ref> sowie in [[Ammendorf/Beesen|Ammendorf]] bei [[Halle (Saale)|Halle]] von der Firma [[ORGACID GmbH]] produziert, kam aber im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] nicht mehr zum Einsatz. Unter dem ehemaligen Ammendorfer Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weitverzweigte grüngeflieste [[Zisterne]]n, die aufgrund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der [[Wende (DDR)|Wende]] [[Hermetischer Verschluss|hermetisch versiegelt]] wurden. Dennoch gelangten nach 1990 noch 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche. |
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Neben dem normalen S-Lost wurde auch das sogenannte Winterlost hergestellt. Um den [[Gefrierpunkt]] zu senken, gab man dem S-Lost [[Arsinöl]] zu. Reines S-Lost ist geruchlos; der typische knoblauchähnliche Geruch entsteht, da S-Lost im Allgemeinen aus praktischen Gründen nur in technischer Qualität synthetisiert wird und die hierin in Spuren vorhandenenen Neben/Zersetzungsprodukte geruchlich dem Duftstoff von Knoblauch ([[Allicin]]) ähneln. |
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=== Nach 1945 === |
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Ein weiteres taktisches Gemisch bestand aus Lost, gemischt mit Lewisit. |
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[[Datei:155mmMustardGasShells.jpg|mini|155-mm-Senfgasgranaten in einem Lager der US-Streitkräfte in [[Colorado]] um 2009]] |
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Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Restbestände an Schwefellost in der [[Ostsee]] versenkt. Da der Lost aber allmählich aus den mittlerweile undichten Fässern austritt, ist es möglich, dass die Senfgasklumpen an den Küsten der Ostseeanrainer, insbesondere in Schweden, Polen und Deutschland, angeschwemmt werden. Diese Anschwemmungen gab es vermehrt in den 1960er und 1970er Jahren und weitere Anschwemmungen sind zukünftig nicht auszuschließen. Bei der Beschädigung des lederartigen Mantels, der sich durch Hydrolyse und im Lost enthaltene Verdickungsmittel gebildet hat, entfalten diese Anschwemmungen ihre volle Wirkung als Kampfstoff. Der nicht versenkte Teil wird seit einigen Jahren durch die [[GEKA|Gesellschaft des Bundes für Kampfmittelbeseitigung (GEKA)]] in einer Delaborierungs- und Verbrennungsanlage in [[Munster]] entsorgt. |
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[[Bild:S-Lost.png|S-Lost]] |
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=== Einsätze in weiteren Konflikten === |
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====Sesqui-Yperit (Q)==== |
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Lost wurde in folgenden Konflikten eingesetzt:<ref name="Einsatz">{{Internetquelle |url=http://www.fas.org/bwc/papers/review/cwtable.htm |titel=Uses of CW since the First World War |werk=fas.org |archiv-url=https://web.archive.org/web/20100822165939/http://www.fas.org:80/bwc/papers/review/cwtable.htm |archiv-datum=2010-08-22 |abruf=2020-05-19 |sprache=en}}</ref> |
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1,2-Bis-(2-chlorethylthio)-ethan<br> |
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* [[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland|Großbritannien]] während einer Intervention im [[Russischer Bürgerkrieg|Russischen Bürgerkrieg]] im Jahre 1919 |
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CAS: 3563-36-8<br> |
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* [[Italien]] gegen [[Libyen]] im [[Zweiter Italienisch-Libyscher Krieg|Zweiten Italienisch-Libyschen Krieg]] (1922–1932) |
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* [[Sowjetunion]] in [[Xinjiang]], einer Provinz der [[Republik China (1912-1949)|Republik China]], im Jahre 1934 gegen muslimische und nationalchinesische Aufständische |
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* [[Italien]] gegen [[Äthiopien]] im [[Abessinienkrieg]] (1935–1941) |
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* [[Japan]] gegen die [[Republik China (1912-1949)|Republik China]] in den Jahren 1937 bis 1945 |
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* [[Ägypten]] gegen die [[Jemenitische Arabische Republik]] in den Jahren 1963 bis 1967 |
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* [[Irak]] gegen [[Iran]] in den Jahren 1983 bis 1988, zu Langzeitfolgen siehe<ref>S. M. Razavi, M. Ghanei, P. Salamati, M. Safiabadi: ''Long-term effects of mustard gas on respiratory system of Iranian veterans after Iraq-Iran war: a review.'' Chin J Traumatol. 2013 Jun 1;16(3):163-8, PMID 23735551.</ref> |
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* Irak gegen [[Kurden|die Angehörigen der kurdischen Minderheit]] bei dem [[Giftgasangriff auf Halabdscha]] im Jahre 1988 |
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* vermuteter Einsatz in Syrien gegen [[Kurden]] bei dem Angriff auf einen kleinen Ort nahe [[Kobane]] am 12. Juli 2014<ref>MERIA Report: {{Webarchiv|url=http://www.gloria-center.org/2014/10/meria-special-report-did-isis-use-chemical-weapons-against-the-kurds-in-kobani-warning-graphic-content/ |wayback=20141102172142 |text=Did ISIS Use Chemical Weapons Against the Kurds in Kobani? }} vom 12. Oktober 2014 (englisch), WARNUNG: enthaltene Bilder können verstörend wirken.</ref> |
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* bestätigter Einsatz gegen syrische Kurden bei Kämpfen in [[al-Hasaka]] durch die Terrormiliz Islamischer Staat im Sommer 2015<ref>[http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/11805235/Islamic-State-confirmed-to-have-used-mustard-gas-against-Kurds-in-Syria.html Islamic State confirmed to have used mustard gas against Kurds in Syria].</ref><ref>[https://www.foxnews.com/world/us-reportedly-sees-possible-pattern-in-isis-chemical-weapons-attacks.amp US reportedly sees possible pattern in ISIS chemical weapons attacks].</ref> |
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* bestätigter Einsatz gegen irakische Kurden in [[Machmur]] durch die Terrormiliz [[Islamischer Staat (Organisation)|Islamischer Staat]] Anfang August 2015<ref>[http://rudaw.net/NewsDetails.aspx?pageid=151359 BREAKING: Tests prove ISIS using mustard gas against Kurds].</ref><ref>[http://www.wsj.com/articles/islamic-state-suspected-of-using-chemical-weapon-u-s-says-1439499549 Islamic State Suspected of Using Chemical Weapon, U.S. Says].</ref> |
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* Nach Meldungen nicht nur des US-Verteidigungsministeriums schlug am 20. September 2016 eine durch die Terrormiliz Islamischer Staat abgeschossene Senfgasgranate auf dem [[Qāʿidat al-Qayyāra al-dschawwiyya|Luftwaffenstützpunkt al-Qayyara West]] ein. Opfer sind keine bekannt.<ref name="nzz">{{Internetquelle |url=http://www.nzz.ch/newsticker/pentagon-islamisten-feuern-senfgasgranate-auf-stuetzpunkt-im-irak-ld.118092 |titel=Islamisten feuern Senfgasgranate auf Stützpunkt im Irak |autor= |hrsg=nzz.ch |werk=Neue Zürcher Zeitung |datum=2016-09-22 |archiv-url= |archiv-datum= |zugriff=2016-09-22}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=http://www.n-tv.de/politik/IS-soll-Giftgas-eingesetzt-haben-article18698891.html |titel=Angriff auf US-Streitkräfte: IS soll Giftgas eingesetzt haben |autor= |hrsg=ntv.de |werk=[[n-tv]] |datum=2016-09-22 |archiv-url= |archiv-datum= |zugriff=2016-11-01}}</ref> |
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== Herstellung von S-Lost == |
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[[Bild:Sesqui-Yperit.png|Sesqui-Yperit]] |
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=== Ursprüngliche Verfahren === |
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In Deutschland wurde S-Lost in beiden Weltkriegen durch ein von [[Victor Meyer]] entwickeltes Verfahren durch Umsetzung von [[Thiodiglycol]] mit trockenem [[Chlorwasserstoff]] bei 50 °C produziert.<ref name="Siegfried Franke">{{Literatur |Autor=Siegfried Franke |Titel=Lehrbuch der Militärchemie Band 1 |Verlag= |Datum= |ISBN= |Seiten=280}}</ref> |
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:<math>\mathrm{S(CH_2CH_2OH)_2 + 2 \ HCl \longrightarrow S(CH_2CH_2Cl)_2 + 2 \ H_2O}</math> |
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Die Alliierten wählten im Ersten Weltkrieg als Synthese die [[elektrophile Addition]] von Schwefelchloriden an [[Ethen]]. Anfangs wurden Mischungen aus [[Dischwefeldichlorid]] und [[Schwefeldichlorid]] verwendet, wobei ein stark mit anderen Thioethern verunreinigtes Produkt entstand, welches man als Reinstoff ansah. Später wurde die Reaktion auch mit den Reinstoffen Dischwefeldichlorid (erste Synthese von S-Lost 1822 durch [[César-Mansuète Despretz]]<ref name="P. David Josephy, Bengt Mannervik">{{Literatur |Autor=P. David Josephy, Bengt Mannervik |Titel=Molecular Toxicology |Verlag=Oxford University Press |Datum=2006 |ISBN=978-0-19-517620-9 |Seiten=468 |Online={{Google Buch | BuchID=mKQNHM9sg_EC | Seite=468}}}}</ref>) oder Schwefeldichlorid (1922 von [[William Jackson Pope]] eingeführt<ref>F. G. Mann u. W. J. Pope, J. Chem. Soc. 121, 1052 (1922).</ref>) ausgeführt.<ref name="Siegfried Franke" /> |
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====Oxol-Lost (T)==== |
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[[Datei:Mustard gas synth 1.svg|zentriert|600px]] |
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Bis-(2-chlorethylthioethyl)-ether<br> |
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CAS: 63918-89-8 |
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Je nach Ausgangsstoff wird das Verfahren auch Levinstein-Prozess oder Depretz-Methode genannt.<ref name="Mark Anthony Benvenuto">{{Literatur |Autor=Mark Anthony Benvenuto |Titel=Industrial Inorganic Chemistry |Verlag=Walter de Gruyter GmbH & Co KG |Datum=2015 |ISBN=978-3-11-033033-5 |Seiten=196 |Online={{Google Buch | BuchID=t5sLCwAAQBAJ | Seite=196}}}}</ref> Bei der Reaktion mit Dischwefeldichlorid bildet sich Schwefel als Nebenprodukt, was als Zwischenreaktion von Dischwefeldichlorid zu Schwefeldichlorid angesehen wurde. Bei der Reaktion von reinem Schwefeldichlorid bildet sich ebenfalls Schwefel, da es gewöhnlich in Monochlorid und Schwefel gespalten ist und sich chemisch wie eine Lösung von Chlor in einem Schwefelmonochlorid- und Schwefeldichloridgemisch verhält. Das Rohprodukt (Prochlerit) ist jahrelang lagerfähig und enthält etwa 70 % S-Lost, geringe Mengen von Dithio-, Polythioethern (Levinsteinyperite) und weitere Verunreinigungen. Bei neueren Prozessverfahren entstehen etwa 92 % S-Lost.<ref name="Siegfried Franke" /> |
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[[Bild:O-Lost.png|O-Lost]] |
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Bei der großtechnischen Herstellung benutzte man größtenteils gusseiserne, mit Blei ausgekleidete Behälter mit eingebautem Rührwerk. Man füllte sie mit S<sub>2</sub>Cl<sub>2</sub> und blies durch ein Rohr am Boden unter Rührung Ethen ein. Nach Beendigung der Reaktion ließ man das Dichlordiethylsulfid durch ein Absetzbecken laufen, um den entstandenen Schwefel zu entfernen. Eine weitere Konzentrierung fand nicht statt.<ref name="Siegfried Franke" /> |
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===Stickstoffloste (N-Lost)=== |
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In den USA wurde S-Lost auch durch eine radikalische Addition von [[Schwefelwasserstoff]] an [[Vinylchlorid]] unter UV-Licht mit organischen Peroxiden als Katalysator hergestellt.<ref name="Siegfried Franke" /> |
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====HN1==== |
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:<math>\mathrm{2 \ ClCH=CH_2 + H_2S \longrightarrow S(CH_2CH_2Cl)_2}</math> |
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Bis-(2-chlorethyl)-ethylamin<br> |
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CAS: 538-07-8<br> |
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[[Schmelzpunkt]]: -34 °C<br> |
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[[Siedepunkt]]: 85 °C<br> |
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[[Maximale Arbeitsplatz-Konzentration|MAK]]: 0.003 mg/m<sup>3</sup><br> |
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[[Geruch]]: schwach fischig, [[tran|tranartig]]<br> |
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=== Modernes Verfahren === |
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[[Bild:HN-1.png|HN-1]] |
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Durch die Umsetzung von [[Natriumhydrogensulfid]] mit [[Ethylenoxid]] entsteht als Zwischenprodukt [[Thiodiglycol]]. Dieses wird dann mit [[Thionylchlorid]] (SOCl<sub>2</sub>) in einem weiteren Reaktionsschritt zu Lost chloriert. |
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[[Datei:Mustard gas synth 2.svg|zentriert|650px]] |
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HN-1 wurde Anfang der [[1930er]] Jahre als Warzenentferner entwickelt, erst später stellte sich seine militärische Nutzbarkeit heraus. |
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== |
== Toxizität == |
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{{Hauptartikel|Loste}} |
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Bis-(2-chlorethyl)-methylamin<br> |
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CAS: 51-75-2<br> |
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[[Schmelzpunkt]]: -65 °C<br> |
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[[Siedepunkt]]: 75 °C<br> |
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[[Geruch]]: in hoher Konzentration fruchtartig, in niedriger eher seifig und fischig<br> |
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[[Exposition (Medizin)|Hauptexpositionswege]] sind die [[perkutan]]e oder die [[Inhalieren|inhalatorische]] Aufnahme von Dämpfen. Lost ist ein starkes [[Kontaktgift|Hautgift]] und erwiesenermaßen [[Karzinogen|krebserregend]]. Die Wirkung auf die [[Haut]] ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder [[Verätzung]]en. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die [[Zellteilung]] gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die [[Bronchialsystem|Bronchien]] zerstört. |
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[[Bild:HN-2.png|HN-2]] |
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== Schutzmaßnahmen == |
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HN-2 wurde als Kampfstoff entwickelt. Später stellte man daraus ein Medikament gegen Lymphknotenkrebs her.(HN-2 HCl, CAS: 55-86-7, [http://www.tiscali.co.uk/lifestyle/healthfitness/health_advice/netdoctor/archive/100001771.html Mustine]) |
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Wegen der hohen Hautgängigkeit und des verzögerten Wirkungseintritts kommt dem Schutz der Körperoberfläche besondere Bedeutung zu. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht. |
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Schwefellost kann, sowohl flüssig als auch in der Gasphase, handelsübliche Textilien relativ schnell durchdringen; diese Fähigkeit, verbunden mit der langen Latenzzeit vor Wirkungseintritt, erhöht die von Schwefellost ausgehende Gefährdung stark. Die bei den meisten Streitkräften eingeführten gängigen Schutzmittel – Maske, Schutzhandschuhe, Überschuhe und Schutzanzug – bieten jedoch über einen Zeitraum von derzeit mindestens sechs Stunden sicheren Schutz vor der Einwirkung. Künftig ist z. B. für die Deutsche [[Bundeswehr]] ein sicherer Schutz über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden gefordert. |
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====HN3==== |
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Tris-(2-chlorethyl)-amin<br> |
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CAS: 555-77-1<br> |
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[[Molmasse]]: 204,54 g/[[mol]]<br> |
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[[Dichte]]: 1,24<br> |
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[[Schmelzpunkt]]: -3,7 °C<br> |
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[[Siedepunkt]]: 256 °C (Zersetzung)<br> |
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[[LCt50]]: inhal. ca. 1500 mg min/m <sup>3</sup>, perkutan ca. 10000 mg min/m<sup>3</sup><br> |
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[[ICt50]]: 200 mg min/m<sup>3</sup>(Auge), 2500 mg min/m<sup>3</sup> perkutan<br> |
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Dekontamination: Chlorkalk (Kalziumhypochlorit)<br> |
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[[Geruch]]: [[Butter]], [[Mandel]] ähnlich<br> |
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Wirkungsdauer bei 15 °C: 1-2 Monate<br> |
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Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. [[Chlorkalk]] oder [[Calciumhypochlorit]] – letzteres im Ersten und Zweiten Weltkrieg in den deutschen Streitkräften unter der Bezeichnung ''Losantin''), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, z. B. Aminoalkoholate, verwendet werden, da Lost zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln ist und zum anderen die [[Hydrolyse]] einmal gelösten Losts sehr schnell verläuft. |
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[[Bild:HN-3.png|HN-3]] |
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== |
== Analytik == |
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Die zuverlässige Bestimmung von Senfgas in Luftproben gelingt durch speziell ausgestattete [[Massenspektrometer]].<ref>T. Urabe, K. Takahashi, M. Kitagawa, T. Sato, T. Kondo, S. Enomoto, M. Kidera, Y. Seto: ''Development of portable mass spectrometer with electron cyclotron resonance ion source for detection of chemical warfare agents in air.'' Spectrochim Acta A Mol Biomol Spectrosc. 2013 Oct 22;120C: S. 437–444. PMID 24211802.</ref> |
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===S-Lost=== |
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====Ursprüngliches Verfahren==== |
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CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-Cl |
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/ |
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SCl<sub>2</sub> + 2H<sub>2</sub>C=CH<sub>2</sub> -----> S |
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\ |
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CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-Cl |
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[[Schwefeldichlorid|Schwefel-]] [[Ethen]] S-Lost |
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[[Schwefeldichlorid|dichlorid]] |
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== Internationale Kontrollen == |
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Reines Ethen wird bei 35 °C durch [[Dischwefeldichlorid]] oder [[Schwefeldichlorid]] geleitet. Danach bekommt man zwei Fraktionen, wobei die obere Dichlorodietylsulfid und die untere das Dischwefeldichlorid beziehungsweise das Schwefeldichlorid ist. Nun werden beide Fraktion getrennt und das S-Lost mittels [[Vakuumdestillation]] aus dem [[Dichlorodietylsulfid]] herausdestilliert. Das S-Lost entsteht bei dieser Reaktion durch die elektrophile Addition von SCl<sub>2</sub> an Ethen. (Das S<sub>2</sub>Cl<sub>2</sub> wird zu SCl<sub>2</sub> und Schwefel). Mit Hilfe dieser Reaktion wurde das S-Lost von den Alliierten im Ersten Weltkrieg hergestellt. |
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S-Lost wird als Chemikalie der Liste 1 im internationalen Abrüstungsvertrages [[CWÜ]] von der hierfür zuständigen UN-Behörde [[OPCW]] mit Sitz in Den Haag kontrolliert. Die Entwicklung oder der Besitz zu militärischen Zwecken ist verboten. In Deutschland muss jeder zivile Umgang mit S-Lost von dem [[Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle]] (BAFA) genehmigt und der OPCW gemeldet werden. |
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== Literatur == |
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Eine weitere Methode besteht darin, eine Mischung von Dischwefeldichlorid und Schwefeldichlorid im Verhältnis 1 zu 3 fein verteilt in eine Atmosphäre von Ethen zu sprühen. Dieses Verfahren besitzt eine Ausbeute von 93 %. |
|||
* K. Kehe, L. Szinicz: ''Medical aspects of sulphur mustard poisoning''. In: ''[[Toxicology]]'' 214(3), 2005, S. 198–209. PMID 16084004. |
|||
* Henning Sietz: [http://www.zeit.de/2006/26/A-Tomka ''Es riecht nach Senf! Auf Einladung der Sowjets erprobten deutsche Militärs zwischen 1926 und 1933 an der Wolga chemische Kampfstoffe''.] In: ''[[Die Zeit]]'', Nr. 26/2006. |
|||
* Holger Schulz, Martin Weber: [https://www.gtfch.org/cms/images/stories/media/tk/tk82_1/Schulz.pdf ''100 Jahre Chemische Kampfstoffe als Mittel der Kriegsführung – Rückblick und aktueller Stand der Erkenntnisse zu Toxikologie und Forensik des Schwefel-Lost''.] (PDF; 1,9 MB) In: ''Toxichem Krimtech'', 2015, 82(1), S. 5 |
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== Weblinks == |
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{{Commonscat|Sulfur mustard|Senfgas}} |
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{{Wiktionary}} |
|||
* [https://www.psgcabo.com/hottop.html#mustard ''Mustard: An Ambiguous Term''] (englisch, PDF) |
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* [https://simonjoneshistorian.com/2014/02/04/yellow-cross-the-advent-of-mustard-gas-in-1917/ Simon Jones: '' Yellow Cross: the advent of Mustard Gas in 1917''] (englisch) |
|||
* [http://gsb.download.bva.bund.de/BBK/z-f-23.pdf ''Zivilschutz-Forschung – Das Verhalten von Umweltchemikalien in Boden und Grundwasser''.] (PDF, 9,36 MB) Bundesamt für Zivilschutz |
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== Einzelnachweise == |
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====Modernes Verfahren==== |
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1. |
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CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-OH |
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CH<sub>2</sub> - CH<sub>2</sub> / |
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NaHS + 2 \ / -----> S |
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O \ |
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CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-OH |
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[[Natriumhydrogensulfid|Natrium-]] [[Ethylenoxid]] [[Thiodiglycol]] |
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[[Natriumhydrogensulfid|hydrogen-]] |
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[[Natriumhydrogensulfid|sulfid]] |
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2. |
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Durch Erwärmen mit [[Thionylchlorid]] in benzolischer Lösung wird das Thiodiglycol zu Lost chloriert. |
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[[Thionylchlorid]] |
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CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-OH CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-Cl |
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/ +SOCl<sub>2</sub> / |
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S --------------> S |
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\ -H<sub>2</sub>SO<sub>3</sub> \ |
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CH<sub>2</sub>-Ch<sub>2</sub>-OH CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-Cl |
|||
[[Thiodiglycol]] S-Lost |
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== Schutzmaßnahmen == |
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Wegen der hohen Reaktivität gibt es nur wenig Schutz gegen Hautkampfstoffe vom Typ Lost. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht. |
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Die Fähigkeit, durch Kleidung und bei längerem Kontakt auch durch Schutzanzüge zu diffundieren, macht diese Stoffe besonders gefährlich. Die gängigen Schutzmittel - Maske und Schutzanzug - sind nur kurzzeitig verwendbar. Lost muss sofort und vollständig von der Kleidung entfernt werden. Dazu nimmt man [[Chlorkalk]], [[Chloramine]], Benzin oder alkoholische [[Natriumsulfid]]-Lösungen. |
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Siehe auch: [[Gelbkreuz]], [[Liste chemischer Kampfstoffe]], [[Chemische Waffe]] |
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== Nutzung von Lost-Derivaten in der Medizin == |
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Die Erfahrungen mit der die Zellteilung hemmenden Wirkung von Senfgas führten dazu, dass nach dem Ersten Weltkrieg die ersten [[Zytostatikum|Zytostatika]] auf der Basis von Stickstofflost entwickelt und in der [[Krebstherapie]] eingesetzt wurden. Allerdings waren die originalen Kampfgase für die medizinische Verwendung noch viel zu giftig. Beispiele für erfolgreiche Krebsmedikamente auf Lost-Basis sind [[Cyclophosphamid]], [[Ifosfamid]] und [[Chlorambucil]]. |
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==Quellen== |
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<references /> |
<references /> |
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{{Normdaten|TYP=s|GND=4168174-5}} |
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== Weblinks == |
|||
*[http://www.labor-spiez.ch/de/dok/fa/pdf/FS-Senfgas_d.pdf Fact-Sheet (LABOR SPIEZ)] |
|||
*[http://web.archive.org/web/20041028035700/http://www.medicine-worldwide.de/pharmakologie/giftstoffe/senfgas.html Senfgas in Medicine-Worldwide (Archiv)] |
|||
*[http://eyeball-series.org/tooele-eyeball.htm Eyeballing the Tooele Army Depot and Deseret Chemical Depot] |
|||
*[http://www.psgcabo.com/hottop.html#mustard ''Mustard: An Ambiguous Term''] |
|||
*[http://www.castleviewuk.com/Frameless/Safe/msds/ex/MSDS_mustard.htm Material Safety Data Sheet (Englisch)] |
|||
*[http://chppm-www.apgea.army.mil/dts/docs/dethn1.pdf Beschreibung von Stickstofflosten (Englisch)] |
|||
*[http://www.mvnet.de/wa_bo_ab/phpUNI/unistatisch/9/62/d/endbericht-pruefwerte-kampfstoffe-jan05-v2.pdf Abbauprodukte für die Wirkungspfade Boden-Mensch und Boden-Gewässer] |
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*[http://gsb.download.bva.bund.de/BBK/z-f-23.pdf] |
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[[Kategorie:Thioether]] |
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[[Kategorie:Chloralkan]] |
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[[Kategorie:Chemische Waffe]] |
[[Kategorie:Chemische Waffe]] |
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[[Kategorie: |
[[Kategorie:Gaskrieg im Ersten Weltkrieg]] |
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[[Kategorie:chemische Verbindung]] |
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[[cs:Yperit]] |
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[[da:Sennepsgas]] |
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[[en:Sulfur mustard]] |
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[[es:Gas mostaza]] |
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[[et:Ipriit]] |
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[[fi:Sinappikaasu]] |
|||
[[fr:Gaz moutarde]] |
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[[it:Iprite]] |
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[[ja:マスタードガス]] |
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[[lv:Iprīts]] |
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[[nl:Mosterdgas]] |
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[[no:Sennepsgass]] |
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[[pl:Iperyt]] |
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[[pt:Gás Mostarda]] |
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[[ru:Иприт]] |
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[[sk:Yperit]] |
|||
[[sv:Senapsgas]] |
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[[vls:Yperiet]] |
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[[zh:芥子毒气]] |
Aktuelle Version vom 7. August 2025, 06:55 Uhr
Strukturformel | |||||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
![]() | |||||||||||||||||||
Allgemeines | |||||||||||||||||||
Name | Senfgas | ||||||||||||||||||
Andere Namen |
| ||||||||||||||||||
Summenformel | C4H8Cl2S | ||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farblos bis gelbliche, ölige, in reiner Form fast geruchlose Flüssigkeit. In technischer Reinheit knoblauch- bzw. senfartiger Geruch[1] | ||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||||||||
| |||||||||||||||||||
Eigenschaften | |||||||||||||||||||
Molare Masse | 159,07 g·mol−1 | ||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig | ||||||||||||||||||
Dichte |
1,27 g·cm−3 (20 °C)[1] | ||||||||||||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||||||||||||
Siedepunkt |
217 °C[1] | ||||||||||||||||||
Dampfdruck | |||||||||||||||||||
Löslichkeit |
sehr schwer in Wasser (0,48 g·l−1 bei 20 °C)[1] | ||||||||||||||||||
Brechungsindex |
1,5313 (20 °C)[2] | ||||||||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||||||||
| |||||||||||||||||||
MAK |
Für krebserzeugende Stoffe wird generell kein MAK-Wert vergeben.[1] | ||||||||||||||||||
Toxikologische Daten | |||||||||||||||||||
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C |
Senfgas ist ein Trivialname für die Chemikalie Bis(2-chlorethyl)sulfid, einen hautschädigenden chemischen Kampfstoff aus der Gruppe der Loste. Weitere Bezeichnungen sind Lost, Schwefellost, S-Lost, Gelbkreuzgas, Yperit oder Schwefelyperit, im englischen Sprachgebrauch sulfur mustard, mustard gas oder kurz mustard. Der NATO-Code lautet HD. Der Name „Senfgas“ stammt vom typischen Geruch des nicht hochgereinigten Produktes nach Senf oder Knoblauch.[5] Loste sind in reiner Form bei Raumtemperatur farb- und geruchlose Flüssigkeiten. Die Bezeichnung als Gas für diese Substanzen trifft also nicht im strengen Sinne zu. Vermutlich wurde „Giftgas“ nach dem Ersteinsatz von Chlorgas als chemischer Waffe (1915) zunächst unterschiedslos für alle anderen chemischen Kampfstoffe übernommen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Herstellung gelang erstmals im Jahr 1822 dem belgischen Chemiker César-Mansuète Despretz, der beim Experimentieren mit Ethen und Schwefeldichlorid die Entstehung einer übelriechenden Flüssigkeit beobachtete. Der Franzose Alfred Riche stellte 1854 Senfgas aus Chlor und Diethylsulfid her. Im Jahr 1886 wurde die Chemikalie von dem deutschen Chemiker Victor Meyer erstmals vollständig beschrieben. Der Vorschlag zur Verwendung als Kampfstoff kam von den beiden deutschen Chemikern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf, beides Mitarbeiter von Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut, im Jahr 1916. Der Name Lost entstand aus den beiden ersten Buchstaben ihrer Nachnamen.[6]
Nach den Erinnerungen von Wilhelm Westphal warnte Haber im Kriegsministerium auf einer Sitzung, bei der auch Erich Ludendorff teilnahm, ausdrücklich vor dem Einsatz von Senfgas, falls man nicht sicher sei, den Krieg in einem Jahr zu gewinnen, da der Gegner das Giftgas dann selbst entwickelt hätte, was auch so eintrat. Nach einem Gasangriff müsste, so Haber, die Kleidung gewechselt werden, was dem Gegner kein Problem bereiten würde, wohl aber den Deutschen.[7]
Erster Weltkrieg
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Erstmals während des Ersten Weltkriegs wurde Schwefellost von den deutschen Truppen in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1917 eingesetzt.[8] Taktisches Ziel war, die deutsche Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei Ypern zu verbessern (daher der Name Yperit). Schwefellost wurde wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu einer der gefürchtetsten Waffen.
„Von den deutschen Gelbgasangriffen, bei denen die Truppen selbst und nicht das leere Terrain beschossen wurden, gibt ja Professor Meyer selber an: »Die Wirkung des Gelbkreuzes in der Flandernschlacht von 1917 steigerte sich mehr und mehr, und es kam wiederholt vor, daß der Gegner froh war, wenn er ein Viertel seiner Mannschaft unbeschädigt halten konnte.« Die drei Viertel anderen, die Beschädigten also, mögen sich dafür mit seiner berühmten Umschreibung der Senfgaswirkung getröstet haben, die also lautet: ‚Die Verwundungen sind an und für sich nicht tödlich, werden es aber häufig dadurch, dass der Atmungsprozeß in der Lunge unterbunden wird.‘ Das heißt also, wenn man jemandem die Kehle zuschnürt, so ist das an und für sich nicht tödlich. Man stirbt nur, weil man nicht mehr atmen kann! – und die Ehre des Senfgases ist gerettet.“
Allerdings wurden durch das ab 1915 eingesetzte Phosgen im Ersten Weltkrieg noch mehr Soldaten getötet als durch Schwefellost.[10]
Rifkrieg in Marokko (1921–1926)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Rifkrieg wurde von spanischen Truppen übereilt und ohne Sicherung der Nachschublinien begonnen.
Der Führer der Berber-Stämme, Mohammed Abd al-Karim, griff darauf am 22. Juli 1921 die spanischen Stellungen bei Annual (Marokko) im nordöstlichen Marokko direkt an. In den drei Wochen der Schlacht von Annual kamen ca. 8.000 bis 10.000 spanische Soldaten ums Leben.
Danach beschlossen die Spanier unter Mitwirkung von Hugo Stoltzenberg einen großflächigen Einsatz von Senfgas in dieser Gegend. Zu diesem Zweck räumten sie das zentrale Rifgebirge bis Anfang 1925.
1925 griff auch Frankreich in den Krieg ein: Der französische Kriegsminister Paul Painlevé vereinbarte am 17. Juni 1925 in Madrid mit dem Diktator Miguel Primo de Rivera, eine wirksame Seeblockade zu errichten. Am 13. Juli 1925 wurde Philippe Pétain zum Oberbefehlshaber der französischen Rif-Armee ernannt. Er verfügte über mehr als hundert Bataillone, nicht gezählt die mehr als 350.000 Harkas des Majzen, der Verwaltung des Sultans Mulai Yusuf.[11] Ab 1925 besetzten 250.000 Mann unter Pétain die fruchtbaren Gebiete in Französisch-Marokko und unterbanden die Versorgung der Rif-Republik mit Lebensmitteln. Gegen das von der Rif-Republik kontrollierte Gebiet wurden massiv Chemiewaffen aus deutscher Produktion eingesetzt.
Es war der weltweit erste Giftgasangriff aus der Luft. Innerhalb von drei Jahren wurden tausende Giftgasbomben aus deutscher Produktion über dem Rif-Gebiet abgeworfen. Genaue Opferzahlen und umfangreiche Studien lagen bis 2023 nicht vor, aber die Krebsrate im Rif-Gebiet ist 60 % höher als im Rest Marokkos. Das Gebiet um Al-Hoceima führt auch heute noch die Lungenkrebsstatistik in Marokko an. Auch im Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet, zwei Zentren der Migrationsbewegung aus dem Rif-Gebiet nach Deutschland in den 1960ern, beschäftigen viele epigenetische Krebsfälle die Betroffenen auch noch in späteren Generationen.[12] (Hauptartikel: Chemiewaffeneinsatz im Rifkrieg).
Der Einsatz von Senfgas war ein Bruch der Haager Landkriegsordnung. Das Genfer Protokoll vom Juni 1925 verbot ausdrücklich den Gebrauch chemischer und biologischer Waffen.
Deutsch-sowjetische Giftgasproduktion und -Erprobung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Rahmen der deutsch-sowjetischen Militärkooperation von 1921 bis 1933 wurde ab 1924 gezielte Forschungsentwicklung und ab 1926 die Produktion, industriemäßige Entwicklung und der gefechtsnahe Einsatz dieser verbotenen Waffensysteme auf sowjetischem Territorium betrieben. Initiator dafür waren das Truppenamt im Reichswehrministerium und die deutsche Chemiefirma Stolzenberg.[13]
Abessinienkrieg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 3. Oktober 1935 brach der faschistische Diktator Mussolini den Abessinienkrieg los. Etwa 200.000 italienische Soldaten rückten in Äthiopien vor. Als der Vormarsch nach einiger Zeit ins Stocken geriet, verwendete die faschistische Kriegsleitung Giftgas und großangelegte Luftbombardements, um den Krieg rasch zu gewinnen. Es kam zu massiven Luftangriffen mit Senfgas, das unter den schlecht ausgerüsteten und leicht gekleideten äthiopischen Soldaten zu hohen Verlusten führte.[14] Der Kampfstoff wurde aber nicht nur gegen äthiopische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Des Weiteren wurden landwirtschaftliche Anbauflächen mit Senfgas kontaminiert.[15] Die italienischen Verbände bombardierten mit Senfgas zudem gezielt Lazarette des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes. Dazu nutzten sie kartographisches Material, welches das Rote Kreuz bei Kriegsbeginn an Rom übermittelt hatte, um so (versehentlichen) Angriffen auf Hospitäler vorzubeugen.
Die gezielten Attacken machten international Schlagzeilen. Zu einer wesentlichen Verschärfung der Sanktionen kam es nicht; Frankreich und Großbritannien waren bestrebt, Mussolini nicht in die Arme Hitlers zu drängen. Vergeblich trat Kaiser Haile Selassie persönlich vor dem Völkerbund auf und forderte Unterstützung. Am 5. Mai 1936 zog der italienische Feldmarschall Pietro Badoglio schließlich in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ein. Italien nahm die Proteste zum Anlass, aus dem Völkerbund auszutreten.
In dem danach bis zum Ende der italienischen Besatzung 1941 andauernden Guerillakrieg wurde der Einsatz von Giftgas sogar noch gesteigert. Wie beim Massaker von Zeret im April 1939 wurde dabei Senfgas rücksichtslos gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um den äthiopischen Widerstand zu brechen.
Zweiter Weltkrieg
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Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Bomben munitionierter Schwefellost, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt. Dies geschah bei der Sprengung einer Brücke und dem Verminen einer Straßensperre durch polnische Truppen in der Nähe von Jasło. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen.[16]
Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe den Hafen von Bari in Italien. Dabei wurde der unter anderem mit Schwefellost-Granaten beladene US-Frachter John Harvey getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da aufgrund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass der Kampfstoff von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen „Gegenschlag“ durchführten.[17][18]
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde S-Lost in Deutschland bis 1942 in Munster[19] sowie in Ammendorf bei Halle von der Firma ORGACID GmbH produziert, kam aber im Zweiten Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz. Unter dem ehemaligen Ammendorfer Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weitverzweigte grüngeflieste Zisternen, die aufgrund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der Wende hermetisch versiegelt wurden. Dennoch gelangten nach 1990 noch 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche.
Nach 1945
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Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Restbestände an Schwefellost in der Ostsee versenkt. Da der Lost aber allmählich aus den mittlerweile undichten Fässern austritt, ist es möglich, dass die Senfgasklumpen an den Küsten der Ostseeanrainer, insbesondere in Schweden, Polen und Deutschland, angeschwemmt werden. Diese Anschwemmungen gab es vermehrt in den 1960er und 1970er Jahren und weitere Anschwemmungen sind zukünftig nicht auszuschließen. Bei der Beschädigung des lederartigen Mantels, der sich durch Hydrolyse und im Lost enthaltene Verdickungsmittel gebildet hat, entfalten diese Anschwemmungen ihre volle Wirkung als Kampfstoff. Der nicht versenkte Teil wird seit einigen Jahren durch die Gesellschaft des Bundes für Kampfmittelbeseitigung (GEKA) in einer Delaborierungs- und Verbrennungsanlage in Munster entsorgt.
Einsätze in weiteren Konflikten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Lost wurde in folgenden Konflikten eingesetzt:[20]
- Großbritannien während einer Intervention im Russischen Bürgerkrieg im Jahre 1919
- Italien gegen Libyen im Zweiten Italienisch-Libyschen Krieg (1922–1932)
- Sowjetunion in Xinjiang, einer Provinz der Republik China, im Jahre 1934 gegen muslimische und nationalchinesische Aufständische
- Italien gegen Äthiopien im Abessinienkrieg (1935–1941)
- Japan gegen die Republik China in den Jahren 1937 bis 1945
- Ägypten gegen die Jemenitische Arabische Republik in den Jahren 1963 bis 1967
- Irak gegen Iran in den Jahren 1983 bis 1988, zu Langzeitfolgen siehe[21]
- Irak gegen die Angehörigen der kurdischen Minderheit bei dem Giftgasangriff auf Halabdscha im Jahre 1988
- vermuteter Einsatz in Syrien gegen Kurden bei dem Angriff auf einen kleinen Ort nahe Kobane am 12. Juli 2014[22]
- bestätigter Einsatz gegen syrische Kurden bei Kämpfen in al-Hasaka durch die Terrormiliz Islamischer Staat im Sommer 2015[23][24]
- bestätigter Einsatz gegen irakische Kurden in Machmur durch die Terrormiliz Islamischer Staat Anfang August 2015[25][26]
- Nach Meldungen nicht nur des US-Verteidigungsministeriums schlug am 20. September 2016 eine durch die Terrormiliz Islamischer Staat abgeschossene Senfgasgranate auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Qayyara West ein. Opfer sind keine bekannt.[27][28]
Herstellung von S-Lost
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ursprüngliche Verfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Deutschland wurde S-Lost in beiden Weltkriegen durch ein von Victor Meyer entwickeltes Verfahren durch Umsetzung von Thiodiglycol mit trockenem Chlorwasserstoff bei 50 °C produziert.[29]
Die Alliierten wählten im Ersten Weltkrieg als Synthese die elektrophile Addition von Schwefelchloriden an Ethen. Anfangs wurden Mischungen aus Dischwefeldichlorid und Schwefeldichlorid verwendet, wobei ein stark mit anderen Thioethern verunreinigtes Produkt entstand, welches man als Reinstoff ansah. Später wurde die Reaktion auch mit den Reinstoffen Dischwefeldichlorid (erste Synthese von S-Lost 1822 durch César-Mansuète Despretz[30]) oder Schwefeldichlorid (1922 von William Jackson Pope eingeführt[31]) ausgeführt.[29]

Je nach Ausgangsstoff wird das Verfahren auch Levinstein-Prozess oder Depretz-Methode genannt.[32] Bei der Reaktion mit Dischwefeldichlorid bildet sich Schwefel als Nebenprodukt, was als Zwischenreaktion von Dischwefeldichlorid zu Schwefeldichlorid angesehen wurde. Bei der Reaktion von reinem Schwefeldichlorid bildet sich ebenfalls Schwefel, da es gewöhnlich in Monochlorid und Schwefel gespalten ist und sich chemisch wie eine Lösung von Chlor in einem Schwefelmonochlorid- und Schwefeldichloridgemisch verhält. Das Rohprodukt (Prochlerit) ist jahrelang lagerfähig und enthält etwa 70 % S-Lost, geringe Mengen von Dithio-, Polythioethern (Levinsteinyperite) und weitere Verunreinigungen. Bei neueren Prozessverfahren entstehen etwa 92 % S-Lost.[29]
Bei der großtechnischen Herstellung benutzte man größtenteils gusseiserne, mit Blei ausgekleidete Behälter mit eingebautem Rührwerk. Man füllte sie mit S2Cl2 und blies durch ein Rohr am Boden unter Rührung Ethen ein. Nach Beendigung der Reaktion ließ man das Dichlordiethylsulfid durch ein Absetzbecken laufen, um den entstandenen Schwefel zu entfernen. Eine weitere Konzentrierung fand nicht statt.[29]
In den USA wurde S-Lost auch durch eine radikalische Addition von Schwefelwasserstoff an Vinylchlorid unter UV-Licht mit organischen Peroxiden als Katalysator hergestellt.[29]
Modernes Verfahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch die Umsetzung von Natriumhydrogensulfid mit Ethylenoxid entsteht als Zwischenprodukt Thiodiglycol. Dieses wird dann mit Thionylchlorid (SOCl2) in einem weiteren Reaktionsschritt zu Lost chloriert.

Toxizität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hauptexpositionswege sind die perkutane oder die inhalatorische Aufnahme von Dämpfen. Lost ist ein starkes Hautgift und erwiesenermaßen krebserregend. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die Zellteilung gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die Bronchien zerstört.
Schutzmaßnahmen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wegen der hohen Hautgängigkeit und des verzögerten Wirkungseintritts kommt dem Schutz der Körperoberfläche besondere Bedeutung zu. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht.
Schwefellost kann, sowohl flüssig als auch in der Gasphase, handelsübliche Textilien relativ schnell durchdringen; diese Fähigkeit, verbunden mit der langen Latenzzeit vor Wirkungseintritt, erhöht die von Schwefellost ausgehende Gefährdung stark. Die bei den meisten Streitkräften eingeführten gängigen Schutzmittel – Maske, Schutzhandschuhe, Überschuhe und Schutzanzug – bieten jedoch über einen Zeitraum von derzeit mindestens sechs Stunden sicheren Schutz vor der Einwirkung. Künftig ist z. B. für die Deutsche Bundeswehr ein sicherer Schutz über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden gefordert.
Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. Chlorkalk oder Calciumhypochlorit – letzteres im Ersten und Zweiten Weltkrieg in den deutschen Streitkräften unter der Bezeichnung Losantin), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, z. B. Aminoalkoholate, verwendet werden, da Lost zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln ist und zum anderen die Hydrolyse einmal gelösten Losts sehr schnell verläuft.
Analytik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die zuverlässige Bestimmung von Senfgas in Luftproben gelingt durch speziell ausgestattete Massenspektrometer.[33]
Internationale Kontrollen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]S-Lost wird als Chemikalie der Liste 1 im internationalen Abrüstungsvertrages CWÜ von der hierfür zuständigen UN-Behörde OPCW mit Sitz in Den Haag kontrolliert. Die Entwicklung oder der Besitz zu militärischen Zwecken ist verboten. In Deutschland muss jeder zivile Umgang mit S-Lost von dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) genehmigt und der OPCW gemeldet werden.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- K. Kehe, L. Szinicz: Medical aspects of sulphur mustard poisoning. In: Toxicology 214(3), 2005, S. 198–209. PMID 16084004.
- Henning Sietz: Es riecht nach Senf! Auf Einladung der Sowjets erprobten deutsche Militärs zwischen 1926 und 1933 an der Wolga chemische Kampfstoffe. In: Die Zeit, Nr. 26/2006.
- Holger Schulz, Martin Weber: 100 Jahre Chemische Kampfstoffe als Mittel der Kriegsführung – Rückblick und aktueller Stand der Erkenntnisse zu Toxikologie und Forensik des Schwefel-Lost. (PDF; 1,9 MB) In: Toxichem Krimtech, 2015, 82(1), S. 5
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Mustard: An Ambiguous Term (englisch, PDF)
- Simon Jones: Yellow Cross: the advent of Mustard Gas in 1917 (englisch)
- Zivilschutz-Forschung – Das Verhalten von Umweltchemikalien in Boden und Grundwasser. (PDF, 9,36 MB) Bundesamt für Zivilschutz
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e f g h i Eintrag zu Bis(2-chlorethyl)sulfid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 10. Januar 2025. (JavaScript erforderlich)
- ↑ David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-50.
- ↑ a b Journal of Toxicology and Environmental Health, Part A., 59(471), 2000
- ↑ World Health Organization, Technical Report Series, (24), 1970.
- ↑ LABOR SPIEZ: Fact-Sheet Senfgas ( vom 4. Februar 2017 im Internet Archive) (PDF; 244 kB), abgerufen am 4. Februar 2017.
- ↑ Markus Schnedlitz: Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung. GRIN Verlag, 2008, ISBN 978-3-640-23360-1, S. 30.
- ↑ Wilhelm Heinrich Westphal: 68 Jahre als Physiker in Berlin. In: Physikalische Blätter. 28, 1972, S. 258–265, doi:10.1002/phbl.19720280603.
- ↑ Otto Jekel: Giftwolken. Giftgase im Weltkrieg und heute. In: Neues Wiener Tagblatt. 15. Juni 1935, S. 12 (ANNO – AustriaN Newspapers Online [abgerufen am 18. Mai 2020]).
- ↑ Gertrud Woker: Blüten der Kampfgaspropaganda. In: Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung. 6.–9. Auflage. Ernst Oldenburg Verlag, Leipzig 1932, Ende des Kapitels X, S. 249, 278 Seiten mit Illustrationen.
- ↑ Todeswolken über Europa. In: Der Spiegel. Nr. 8, 1982 (online).
- ↑ L’histoire oubliée des surréalistes et la guerre du Rif ( vom 12. Februar 2008 im Internet Archive)
- ↑ 100 Jahre Schweigen. Deutsches Giftgas in Marokko. Abgerufen am 17. November 2023.
- ↑ Olaf Groehler, Selbstmörderische Allianz. Deutsch-russische Militärbeziehungen 1920–1941, Visia Verlag Berlin 1992, S. 46ff.
- ↑ Lina Grip, John Hart: The use of chemical weapons in the 1935–36 Italo-Ethiopian War. (PDF) ( vom 24. September 2015 im Internet Archive) SIPRI Arms Control and Non-proliferation Programme, Oktober 2009.
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung: Mit Giftgas zum Imperium. In: FAZ.net. 19. April 2007, abgerufen am 19. Juli 2010.
- ↑ Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand Bernard & Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6, S. 135–137 sowie Anhang S. 227–232.
- ↑ Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand. Bernard & Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6, S. 160–165.
- ↑ Robert Harris, Jeremy Paxman: Der lautlose Tod – Die Geschichte der biologischen und chemischen Waffen, Heyne Verlag, 2002, S. 191–197.
- ↑ geschichtsspuren.de: Kampfstoff in Munster-Nord – Heeresversuchsstelle Raubkammer.
- ↑ Uses of CW since the First World War. In: fas.org. Archiviert vom am 22. August 2010; abgerufen am 19. Mai 2020 (englisch).
- ↑ S. M. Razavi, M. Ghanei, P. Salamati, M. Safiabadi: Long-term effects of mustard gas on respiratory system of Iranian veterans after Iraq-Iran war: a review. Chin J Traumatol. 2013 Jun 1;16(3):163-8, PMID 23735551.
- ↑ MERIA Report: Did ISIS Use Chemical Weapons Against the Kurds in Kobani? ( vom 2. November 2014 im Internet Archive) vom 12. Oktober 2014 (englisch), WARNUNG: enthaltene Bilder können verstörend wirken.
- ↑ Islamic State confirmed to have used mustard gas against Kurds in Syria.
- ↑ US reportedly sees possible pattern in ISIS chemical weapons attacks.
- ↑ BREAKING: Tests prove ISIS using mustard gas against Kurds.
- ↑ Islamic State Suspected of Using Chemical Weapon, U.S. Says.
- ↑ Islamisten feuern Senfgasgranate auf Stützpunkt im Irak. In: Neue Zürcher Zeitung. nzz.ch, 22. September 2016, abgerufen am 22. September 2016.
- ↑ Angriff auf US-Streitkräfte: IS soll Giftgas eingesetzt haben. In: n-tv. ntv.de, 22. September 2016, abgerufen am 1. November 2016.
- ↑ a b c d e Siegfried Franke: Lehrbuch der Militärchemie Band 1. S. 280.
- ↑ P. David Josephy, Bengt Mannervik: Molecular Toxicology. Oxford University Press, 2006, ISBN 978-0-19-517620-9, S. 468 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ F. G. Mann u. W. J. Pope, J. Chem. Soc. 121, 1052 (1922).
- ↑ Mark Anthony Benvenuto: Industrial Inorganic Chemistry. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2015, ISBN 978-3-11-033033-5, S. 196 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ T. Urabe, K. Takahashi, M. Kitagawa, T. Sato, T. Kondo, S. Enomoto, M. Kidera, Y. Seto: Development of portable mass spectrometer with electron cyclotron resonance ion source for detection of chemical warfare agents in air. Spectrochim Acta A Mol Biomol Spectrosc. 2013 Oct 22;120C: S. 437–444. PMID 24211802.