„Potemkinsches Dorf“ – Versionsunterschied
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Hinweis auf die historisch nie existenten Potemkin'schen Dörfer (Urban legend) |
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Als '''Potemkinsches Dorf''' ({{ruS|потёмкинская деревня}}) – meist im [[Plural]] als '''Potemkinsche Dörfer''', seltener auch '''Potemkin’sche Dörfer''' oder '''Potjomkinsche Dörfer''' (erlaubt ist laut [[Duden]] auch die Kleinschreibung: ''potemkinsche Dörfer'' usw.)<ref name="duden">[https://www.duden.de/rechtschreibung/Potemkinschen_Doerfer Potemkinsche Dörfer] auf [[duden]].de</ref> – wird Vorgetäuschtes bzw. die „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ bezeichnet:<ref name="duden" /> Durch materiellen und/oder organisatorischen Aufwand („[[Attrappe]]n“, Schauspieler usw.) wird die Illusion von vorweisbaren Erfolgen, Wohlstand usw. geschaffen. Die Bezeichnung geht zurück auf die unbewiesene Geschichte, [[Marschall|Feldmarschall]] [[Grigori Alexandrowitsch Potjomkin]] habe Kulissen von Dörfern aufgestellt und die vermeintlichen Bewohner von einer zur nächsten transportieren lassen, um [[Katharina die Große]] auf einer Reise durch [[Neurussland]] über die Entwicklung bzw. den Wohlstand der neubesiedelten Gegend zu täuschen. |
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Als '''potemkinsches Dorf''' wird etwas bezeichnet, das fein herausgeputzt wird, um den eigentlichen, verheerenden Zustand zu verbergen. Oberflächlich wirkt es ausgearbeitet und beeindruckend, es fehlt ihm aber an Substanz. |
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[[Datei:Castle and brewery in Kolín 2.jpg|mini|Ehemalige Schlossbrauerei in [[Kolín]], Tschechien: nur die in der Regel sichtbare Seite (zum Elbufer) wurde renoviert, der Rest blieb unberührt]] |
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Für den Namen stand [[Feldmarschall]] Fürst [[Grigori Potjomkin|Grigori Alexandrowitsch Potjomkin]] ([[1739]]–[[1791|91]]) Pate. Eine [[Urban legend]] zufolge liess der Günstling der russischen Zarin [[Katharina die Große|Katharina II.]] [[1787]] vor dem Besuch seiner Herrscherin im neu eroberten [[Krim]]gebiet entlang der Wegstrecke Dörfer aus bemalten Kulissen zum Schein errichten, um das wahre Gesicht der Gegend zu verbergen. Diese Legende wurde von Gegnern Potemkins am Hofe lanciert, die ihm seine gute Beziehung zur Katharina der Großen neideten. |
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Allgemeiner wird die Bezeichnung heute auch für gut „aussehende“ Objekte benutzt, die einen tatsächlich schlechten Zustand verbergen: Sie wirken ausgearbeitet und beeindruckend, doch fehlt es ihnen an Substanz. Insbesondere wird der Ausdruck zuweilen für Bauwerke oder [[Siedlung]]en eingesetzt, die an ihren Schauseiten attraktiv herausgeputzt werden, jenseits davon aber schäbig oder unbewohnt sind, also den Charakter einer [[Kulisse (Bühne)|Kulissenstadt]] haben. Anders als in der ursprünglichen Wortbedeutung wird dann also nicht die Existenz einer Sache vorgetäuscht, durchaus aber deren angeblich guter Zustand oder Wohlstand. |
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Darüber hinaus war Potemkin ein durchaus fähiger Gouverneur, der letzlich viel für die Entwicklung der Krimhalbinsel getan hat. |
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== Ursprung == |
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[[en:Potemkin Village]] |
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[[Datei:Grigory Potemkin.PNG|mini|[[Johann Baptist Lampi der Ältere]]: ''Grigori Alexandrowitsch Potjomkin'' (ca. 1790)]] |
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Die Redewendung geht zurück auf eine Erzählung über den Fürsten Potjomkin, die nicht den historischen Gegebenheiten entspricht.<ref>[https://www.welt.de/kultur/history/article12607459/An-Fuerst-Potemkin-war-alles-echt-Auch-die-Doerfer.html ''Katharina die Große: An Fürst Potemkin war alles echt. Auch die Dörfer''] In: ''[[Die Welt]]'' Online, 28. Februar 2011.<br />The Straight Dope: [http://www.straightdope.com/columns/read/2479/did-potemkin-villages-really-exist ''Did “Potemkin villages” really exist?'']</ref> Potjomkin, Gouverneur Neurusslands und Liebhaber der Zarin, habe vor dem Besuch seiner Herrscherin im neu eroberten [[Neurussland]] im Jahr 1787 entlang der Wegstrecke Dörfer aus bemalten Kulissen errichten lassen, um das wahre Gesicht der Gegend zu verbergen und Aufbauerfolge vorzutäuschen. |
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Zur Entstehung dieser [[Anekdote]] vermuten manche Historiker, sie sei von Gegnern Potjomkins am Hof lanciert worden, die ihm seinen Einfluss auf Katharina geneidet hätten. Als Urheber wird der [[Kurfürstentum Sachsen|kursächsische]] Diplomat [[Georg Adolf Wilhelm von Helbig]] genannt, der sie zunächst in seinen [[Depesche]]n in Umlauf gesetzt und nach Potjomkins Tod in seiner Biografie ''Potemkin der Taurier'' (1809) verewigt habe. Helbig hatte selbst nicht an der Inspektionsreise teilgenommen.<ref>[[Simon Sebag Montefiore]]: ''Katharina die Große und Fürst Potemkin'' (Orig.: ''The Prince of Princes: The Life of Potemkin''). Frankfurt am Main 2009, S. 550 ff.</ref> |
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Der Historiker [[Serhii Plokhy]] weist darauf hin, dass Katharina sehr wohl Dörfer zu sehen bekam – die Täuschung habe aber nicht darin gelegen, dass diese nur Fassade gewesen wären, sondern dass es von den mittlerweile vertriebenen und verstreuten [[Kosaken]] und nicht auf Potjomkins Initiative errichtete Dörfer russischer Siedler gewesen seien<ref>[[Serhii Plokhy]]: ''Das Tor Europas. Die Geschichte der Ukraine.'' Hoffmann und Campe, Hamburg 2022, ISBN 978-3-455-01526-3, S. 211</ref>. |
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== Beispiele == |
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Der Historiker und ehemalige Häftling [[Stanislav Zámečník]] verglich das [[Krankenrevier (KZ Dachau)|Krankenrevier]] des [[KZ Dachau]] mit einem inszenierten Potemkinschen Dorf.<ref>Stanislav Zamecnik: ''Das war Dachau.'' Luxemburg, 2002. S. 95–99. Kapitel ''Potemkinsches Dorf''</ref> In den Anfangsjahren des Lagers erhielten einige ausgewählte Besucher die Gelegenheit, es im Rahmen einer Führung zu besichtigen, die seine vorgebliche Harmlosigkeit präsentierte. |
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[[Datei:KijongDongNorthKorea.jpg|mini|Potemkinsches Dorf? [[Kijŏng-dong]] (Nordkorea) soll nach manchen Angaben eine eigentlich unbewohnte Propagandastadt sein]] |
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Dem [[nordkorea]]nischen Dorf [[Kijŏng-dong]] wird nachgesagt, tatsächlich unbewohnt zu sein und einzig [[Propaganda]]zwecken zu dienen. In der ''[[Washington Post]]'' wurde es deswegen als „potemkinsches Dorf“ bezeichnet.<ref>Kevin Sullivan: {{Webarchiv|url=http://www.stat.ualberta.ca/people/schmu/panmunjom.htm |wayback=20110430015102 |text=''Borderline Absurdity: A Fun-Filled Tour of the Korean DMZ.'' |archiv-bot=2024-04-18 11:22:53 InternetArchiveBot }} In: ''[[The Washington Post]]'', 11. Januar 1998.</ref> |
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Übertragen genutzt wird der Ausdruck etwa von der ''[[Sächsische Zeitung|Sächsischen Zeitung]]'' in einem Artikel über Wirtschaftsbetrug ''([[Fake News]] aus der [[Infinus]]-Zentrale)'': „Seiner [des Anklägers] Ansicht zufolge haben die Manager zu spät, zu wenig oder gar nicht auf dauerhaft renditeträchtige Investments gesetzt, sondern sich mit Pseudo-Geschäften innerhalb des eigenen Firmenkonglomerats über Wasser gehalten. […] So seien potemkinsche Dörfer gebaut worden.“<ref>Ulrich Wolf: [https://www.sz-online.de/nachrichten/fake-news-aus-der-infinus-zentrale-3952240.html ''Fake News aus der Infinus-Zentrale.''] In: ''[[Sächsische Zeitung]] Online'', 9. Juni 2018.</ref> |
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Ähnlich hieß es 2018 in einer Rezension im ''[[Deutschlandfunk]]'': „Mit Halbwahrheiten und angeblichen Fakten werden Theoriegebäude erschaffen, die wie Potemkinsche Dörfer dem flüchtigen Betrachter als Realitätsbeweis genügen.“<ref>Ralph Gerstenberg: {{Webarchiv|url=https://www.deutschlandfunk.de/roger-schawinski-verschwoerung.1310.de.html?dram:article_id=420341Roger |wayback=20180903114933 |text=Schwawinski: ''Verschwörung!''}}, [[Deutschlandfunk]], 25. Juni 2018.</ref> |
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„Der Begriff ‚Potemkinsche Dörfer‘ wird [heute] immer dann angewendet, wenn Politikern vorgeworfen wird, dem Bürger etwas vorzumachen,“ übersetzt die ''[[Frankfurter Neue Presse]]'' den Begriff in die Moderne.<ref>[https://www.fnp.de/politik/moskau-setzt-frueheren-zeiten-illusionstheater-10462426.html ''Moskau setzt wie in früheren Zeiten auf Illusionstheater.''] In: ''[[Frankfurter Neue Presse]]'', 26. Juni 2017.</ref> |
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Gleichfalls wird der Begriff verwendet, um die Vorgehensweise bei Staatsbesuchen zu beschreiben, Innenstädte oder einzelne Straßenzüge herauszuputzen, um einen positiven Eindruck zu erzeugen. |
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* So besuchte Bundeskanzler [[Helmut Schmidt]] anlässlich eines Staatsbesuchs in der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] zusammen mit [[Erich Honecker]] im Dezember 1981 die Stadt [[Güstrow]]. Sie wurden durch [[Ministerium für Staatssicherheit|Stasi]]-Mitarbeiter von den Bewohnern Güstrows völlig abgeschirmt. Gemäß den Vorstellungen Honeckers wurde das Bild „eines glücklichen Volkes in heimeliger Adventsstimmung“ inszeniert.<ref>Stefan Wolle: ''Die heile Welt der Diktatur.'' 2. Auflage, Bonn 1999, S. 168 f.</ref> Die meisten „Besucher des Weihnachtsmarktes“ waren in Zivil gekleidete Mitarbeiter des [[Ministerium für Staatssicherheit|Ministeriums für Staatssicherheit]] (MfS) mit dem Auftrag, eine festliche Atmosphäre zu verbreiten und Erich Honecker zuzujubeln. 35.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz: 14.000 vom MfS, 21.000 von der [[Deutsche Volkspolizei|Volkspolizei]]. Es gab 81 [[Haftbefehl]]e, 11.000 Personen standen drei Tage lang unter Kontrolle, 4.500 [[Hausdurchsuchung |Wohnungsuntersuchungen]] wurden durchgeführt.<ref>Jan Eik, [[Klaus Behling]]: ''13. Dezember 1981: Geisterstadt Güstrow.'' In: ''Verschlusssache. Die größten Geheimnisse der DDR.'' Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-360-01944-8, S. 204 f.</ref> Für die Stunden des Schmidt-Besuches wurde die Stadt in ein Potemkinsches Dorf verwandelt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.mdr.de/zeitreise/stoebern/damals/schmidt-in-der-ddr102.html |titel=Ein Kanzler zu Besuch beim Staatsratsvorsitzenden |datum=2022-01-04 |abruf=2024-12-25 |werk=www.mdr.de |titelerg=Innerdeutscher Gipfel 1981 }}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.stasi-unterlagen-archiv.de/informationen-zur-stasi/themen/beitrag/helmut-schmidt-in-guestrow/ |titel=Helmut Schmidt in Güstrow |offline=2024-12-25 |abruf=2020-11-07 |werk=www.stasi-unterlagen-archiv.de }}</ref> Die eigentlichen politischen Gespräche hatten zuvor im Schloss [[Hubertusstock]] stattgefunden. |
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* Beim Staatsbesuch von [[Nicolae Ceaușescu]] 1988 in [[Erfurt]] wurde die der Straße zugewandte Seite des [[Erfurter Opernhaus]]es gestrichen, während die nicht sichtbaren Seiten der Oper in ihrem schlechten Zustand verblieben. |
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* Für den [[G-8-Gipfel]] im [[Nordirland|nordirischen]] [[Enniskillen]] im Juni 2013 ließ die britische Regierung leerstehende Geschäftslokale mit [[Fototapete]]n bekleben, um geschäftiges Treiben vorzuspiegeln.<ref>[http://www.rte.ie/news/2013/0604/454399-g8-fake-shop-fronts/ ''Fake shop fronts used to make towns seem neater for G8.''] Artikel der ''[[Raidió Teilifís Éireann|RTE]]'' vom 6. Juni 2013.</ref> |
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* 2020 ist laut Medienangaben bekannt geworden, dass der Ex-[[Wirecard#Bilanzskandal und Insolvenzantrag|Wirecard]]-Vorstand [[Jan Marsalek]] Wirtschaftsprüfer mit Kulissen von Bankzweigstellen und Schauspielern getäuscht haben soll.<ref>{{Internetquelle |autor=Katharina Slodczyk, Jonas Rest, Dietmar Palan, manager magazin |url=https://www.manager-magazin.de/finanzen/wirecard-jan-marsalek-soll-pruefer-von-ey-mit-schauspielern-getaeuscht-haben-a-c7759077-bc4d-40c2-9822-2508cec1c215 |titel=Wirecard-Skandal: Jan Marsalek soll EY-Prüfer mit Schauspielern getäuscht haben - manager magazin - Finanzen |abruf=2020-08-22 |sprache=de}}</ref> |
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== In der Popkultur und Fotografie == |
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Die kanadische Punkband [[Propagandhi]] veröffentlichte 2005 ein Album mit dem Titel ''Potemkin City Limits'' (dt. „Potemkinsche Stadtgrenzen“), welches auf Potemkinsche Dörfer wortspielreich Bezug nimmt. Das Cover zeigt dementsprechend spielende Kinder auf einer Stadtkulisse, welche mit Straßenkreide auf Asphalt gemalt wurde. Ein gleichnamiger Song erschien 2009 auf dem Nachfolgealbum ''Supporting Caste''. |
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Neuere Arbeiten der [[Fotokunst]] greifen das Thema ''Potemkinsche Dörfer'' ebenfalls auf.<ref>Vgl. ''[https://www.seirer-photography.com/blog/2018/3/1/wie-man-potemkinsche-doerfer-fotografiert-gregor-sailer Wie man Potemkinsche Dörfer fotografiert]'', auf seirer-photography.com; ''[https://pragmatika.media/de/potemkinskie-derevni-zahari-godrijo-rua/ „Potemkinsche Dörfer“ des Franzosen Zachary Gaudrillo-Roy]'', auf pragmatika.media; beide abgerufen am 28. April 2024.</ref> |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie:Grigori Alexandrowitsch Potjomkin]] |
Aktuelle Version vom 8. März 2025, 20:01 Uhr
Als Potemkinsches Dorf (russisch потёмкинская деревня) – meist im Plural als Potemkinsche Dörfer, seltener auch Potemkin’sche Dörfer oder Potjomkinsche Dörfer (erlaubt ist laut Duden auch die Kleinschreibung: potemkinsche Dörfer usw.)[1] – wird Vorgetäuschtes bzw. die „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ bezeichnet:[1] Durch materiellen und/oder organisatorischen Aufwand („Attrappen“, Schauspieler usw.) wird die Illusion von vorweisbaren Erfolgen, Wohlstand usw. geschaffen. Die Bezeichnung geht zurück auf die unbewiesene Geschichte, Feldmarschall Grigori Alexandrowitsch Potjomkin habe Kulissen von Dörfern aufgestellt und die vermeintlichen Bewohner von einer zur nächsten transportieren lassen, um Katharina die Große auf einer Reise durch Neurussland über die Entwicklung bzw. den Wohlstand der neubesiedelten Gegend zu täuschen.

Allgemeiner wird die Bezeichnung heute auch für gut „aussehende“ Objekte benutzt, die einen tatsächlich schlechten Zustand verbergen: Sie wirken ausgearbeitet und beeindruckend, doch fehlt es ihnen an Substanz. Insbesondere wird der Ausdruck zuweilen für Bauwerke oder Siedlungen eingesetzt, die an ihren Schauseiten attraktiv herausgeputzt werden, jenseits davon aber schäbig oder unbewohnt sind, also den Charakter einer Kulissenstadt haben. Anders als in der ursprünglichen Wortbedeutung wird dann also nicht die Existenz einer Sache vorgetäuscht, durchaus aber deren angeblich guter Zustand oder Wohlstand.
Ursprung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Redewendung geht zurück auf eine Erzählung über den Fürsten Potjomkin, die nicht den historischen Gegebenheiten entspricht.[2] Potjomkin, Gouverneur Neurusslands und Liebhaber der Zarin, habe vor dem Besuch seiner Herrscherin im neu eroberten Neurussland im Jahr 1787 entlang der Wegstrecke Dörfer aus bemalten Kulissen errichten lassen, um das wahre Gesicht der Gegend zu verbergen und Aufbauerfolge vorzutäuschen.
Zur Entstehung dieser Anekdote vermuten manche Historiker, sie sei von Gegnern Potjomkins am Hof lanciert worden, die ihm seinen Einfluss auf Katharina geneidet hätten. Als Urheber wird der kursächsische Diplomat Georg Adolf Wilhelm von Helbig genannt, der sie zunächst in seinen Depeschen in Umlauf gesetzt und nach Potjomkins Tod in seiner Biografie Potemkin der Taurier (1809) verewigt habe. Helbig hatte selbst nicht an der Inspektionsreise teilgenommen.[3]
Der Historiker Serhii Plokhy weist darauf hin, dass Katharina sehr wohl Dörfer zu sehen bekam – die Täuschung habe aber nicht darin gelegen, dass diese nur Fassade gewesen wären, sondern dass es von den mittlerweile vertriebenen und verstreuten Kosaken und nicht auf Potjomkins Initiative errichtete Dörfer russischer Siedler gewesen seien[4].
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Historiker und ehemalige Häftling Stanislav Zámečník verglich das Krankenrevier des KZ Dachau mit einem inszenierten Potemkinschen Dorf.[5] In den Anfangsjahren des Lagers erhielten einige ausgewählte Besucher die Gelegenheit, es im Rahmen einer Führung zu besichtigen, die seine vorgebliche Harmlosigkeit präsentierte.

Dem nordkoreanischen Dorf Kijŏng-dong wird nachgesagt, tatsächlich unbewohnt zu sein und einzig Propagandazwecken zu dienen. In der Washington Post wurde es deswegen als „potemkinsches Dorf“ bezeichnet.[6]
Übertragen genutzt wird der Ausdruck etwa von der Sächsischen Zeitung in einem Artikel über Wirtschaftsbetrug (Fake News aus der Infinus-Zentrale): „Seiner [des Anklägers] Ansicht zufolge haben die Manager zu spät, zu wenig oder gar nicht auf dauerhaft renditeträchtige Investments gesetzt, sondern sich mit Pseudo-Geschäften innerhalb des eigenen Firmenkonglomerats über Wasser gehalten. […] So seien potemkinsche Dörfer gebaut worden.“[7]
Ähnlich hieß es 2018 in einer Rezension im Deutschlandfunk: „Mit Halbwahrheiten und angeblichen Fakten werden Theoriegebäude erschaffen, die wie Potemkinsche Dörfer dem flüchtigen Betrachter als Realitätsbeweis genügen.“[8]
„Der Begriff ‚Potemkinsche Dörfer‘ wird [heute] immer dann angewendet, wenn Politikern vorgeworfen wird, dem Bürger etwas vorzumachen,“ übersetzt die Frankfurter Neue Presse den Begriff in die Moderne.[9]
Gleichfalls wird der Begriff verwendet, um die Vorgehensweise bei Staatsbesuchen zu beschreiben, Innenstädte oder einzelne Straßenzüge herauszuputzen, um einen positiven Eindruck zu erzeugen.
- So besuchte Bundeskanzler Helmut Schmidt anlässlich eines Staatsbesuchs in der DDR zusammen mit Erich Honecker im Dezember 1981 die Stadt Güstrow. Sie wurden durch Stasi-Mitarbeiter von den Bewohnern Güstrows völlig abgeschirmt. Gemäß den Vorstellungen Honeckers wurde das Bild „eines glücklichen Volkes in heimeliger Adventsstimmung“ inszeniert.[10] Die meisten „Besucher des Weihnachtsmarktes“ waren in Zivil gekleidete Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem Auftrag, eine festliche Atmosphäre zu verbreiten und Erich Honecker zuzujubeln. 35.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz: 14.000 vom MfS, 21.000 von der Volkspolizei. Es gab 81 Haftbefehle, 11.000 Personen standen drei Tage lang unter Kontrolle, 4.500 Wohnungsuntersuchungen wurden durchgeführt.[11] Für die Stunden des Schmidt-Besuches wurde die Stadt in ein Potemkinsches Dorf verwandelt.[12][13] Die eigentlichen politischen Gespräche hatten zuvor im Schloss Hubertusstock stattgefunden.
- Beim Staatsbesuch von Nicolae Ceaușescu 1988 in Erfurt wurde die der Straße zugewandte Seite des Erfurter Opernhauses gestrichen, während die nicht sichtbaren Seiten der Oper in ihrem schlechten Zustand verblieben.
- Für den G-8-Gipfel im nordirischen Enniskillen im Juni 2013 ließ die britische Regierung leerstehende Geschäftslokale mit Fototapeten bekleben, um geschäftiges Treiben vorzuspiegeln.[14]
- 2020 ist laut Medienangaben bekannt geworden, dass der Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek Wirtschaftsprüfer mit Kulissen von Bankzweigstellen und Schauspielern getäuscht haben soll.[15]
In der Popkultur und Fotografie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die kanadische Punkband Propagandhi veröffentlichte 2005 ein Album mit dem Titel Potemkin City Limits (dt. „Potemkinsche Stadtgrenzen“), welches auf Potemkinsche Dörfer wortspielreich Bezug nimmt. Das Cover zeigt dementsprechend spielende Kinder auf einer Stadtkulisse, welche mit Straßenkreide auf Asphalt gemalt wurde. Ein gleichnamiger Song erschien 2009 auf dem Nachfolgealbum Supporting Caste.
Neuere Arbeiten der Fotokunst greifen das Thema Potemkinsche Dörfer ebenfalls auf.[16]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Potemkinsche Dörfer auf duden.de
- ↑ Katharina die Große: An Fürst Potemkin war alles echt. Auch die Dörfer In: Die Welt Online, 28. Februar 2011.
The Straight Dope: Did “Potemkin villages” really exist? - ↑ Simon Sebag Montefiore: Katharina die Große und Fürst Potemkin (Orig.: The Prince of Princes: The Life of Potemkin). Frankfurt am Main 2009, S. 550 ff.
- ↑ Serhii Plokhy: Das Tor Europas. Die Geschichte der Ukraine. Hoffmann und Campe, Hamburg 2022, ISBN 978-3-455-01526-3, S. 211
- ↑ Stanislav Zamecnik: Das war Dachau. Luxemburg, 2002. S. 95–99. Kapitel Potemkinsches Dorf
- ↑ Kevin Sullivan: Borderline Absurdity: A Fun-Filled Tour of the Korean DMZ. ( des vom 30. April 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: The Washington Post, 11. Januar 1998.
- ↑ Ulrich Wolf: Fake News aus der Infinus-Zentrale. In: Sächsische Zeitung Online, 9. Juni 2018.
- ↑ Ralph Gerstenberg: Schwawinski: Verschwörung! ( vom 3. September 2018 im Internet Archive), Deutschlandfunk, 25. Juni 2018.
- ↑ Moskau setzt wie in früheren Zeiten auf Illusionstheater. In: Frankfurter Neue Presse, 26. Juni 2017.
- ↑ Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. 2. Auflage, Bonn 1999, S. 168 f.
- ↑ Jan Eik, Klaus Behling: 13. Dezember 1981: Geisterstadt Güstrow. In: Verschlusssache. Die größten Geheimnisse der DDR. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-360-01944-8, S. 204 f.
- ↑ Ein Kanzler zu Besuch beim Staatsratsvorsitzenden. Innerdeutscher Gipfel 1981. In: www.mdr.de. 4. Januar 2022, abgerufen am 25. Dezember 2024.
- ↑ Helmut Schmidt in Güstrow. In: www.stasi-unterlagen-archiv.de. Ehemals im ; abgerufen am 7. November 2020. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) (nicht mehr online verfügbar)
- ↑ Fake shop fronts used to make towns seem neater for G8. Artikel der RTE vom 6. Juni 2013.
- ↑ Katharina Slodczyk, Jonas Rest, Dietmar Palan, manager magazin: Wirecard-Skandal: Jan Marsalek soll EY-Prüfer mit Schauspielern getäuscht haben - manager magazin - Finanzen. Abgerufen am 22. August 2020.
- ↑ Vgl. Wie man Potemkinsche Dörfer fotografiert, auf seirer-photography.com; „Potemkinsche Dörfer“ des Franzosen Zachary Gaudrillo-Roy, auf pragmatika.media; beide abgerufen am 28. April 2024.