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„Industrielle Revolution in Deutschland“ – Versionsunterschied

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Die '''industrielle Revolution''' war die Phase des Durchbruchs der [[Industrialisierung]] in Deutschland, deren Beginn von [[Hubert Kiesewetter]] auf 1815<ref>Hubert Kiesewetter: ''Industrielle Revolution in Deutschland 1815–1914.'' Frankfurt am Main 1989.</ref> und von [[Friedrich-Wilhelm Henning]] auf 1835 datiert wurde.<ref>Friedrich-Wilhelm Henning: ''Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914.'' Paderborn 1973, S. 111.</ref>
[[Bild:Bonn-Cölner-Eisenbahn 1844.jpg|thumb|300px|[[Bonn-Cölner Eisenbahn]] (um 1844)]]
Die '''industrielle Revolution''' meint die Phase des eigentlichen Durchbruchs der [[Industrialisierung|industriellen Entwicklung]] in Deutschland. Vorausgegangen waren die hier mitbehandelten Zeiträume der Vor- und Frühindustrialisierung. Bei allen Problemen der chronologischen Abgrenzung eines dynamischen Prozesses gelten die Jahrzehnte etwa zwischen den 1850er Jahren und 1873 als Phase des industriellen „take off“ ([[Walt Rostow]]). Gefolgt wurde die [[industrielle Revolution]] von der Phase der [[Hochindustrialisierung (Deutschland)|Hochindustrialisierung]] während des [[Deutsches Kaiserreich|Kaiserreichs]]. Die (nachholende) industrielle Revolution in Deutschland unterschied sich von der des Pionierlandes [[Großbritannien]] dadurch, dass nicht die [[Textilindustrie]] sondern die [[Montanindustrie]] und der [[Geschichte der Eisenbahn in Deutschland|Eisenbahnbau]] der eigentliche Motor der Entwicklung war. Ein weiteres Kennzeichen war der regionale Charakter der Industrialisierung. Teilweise auf dem Hintergrund älterer Traditionen, teilweise auf Basis von Rohstoffvorkommen, günstigen Verkehrsbedingungen oder anderen Gründen konzentrierte sich die industrielle Revolution auf einige [[Regionale Industrialisierung|regionale Verdichtungszonen]]. In Gewerbelandschaften, in denen die Anpassung an die neue Zeit nicht gelang, konnte es zu Deindustrialisierungprozessen kommen. Auch die soziale Bilanz ist zwispältig. Auf der einen Seite schuf die industrielle Entwicklung neue Arbeitsplätze für eine wachsenden Bevölkerung. Auf der anderen Seite verschärfte die industrielle Revolution die Krise in Handwerk und traditionellen Gewerbe und war eine Ursache für den [[Pauperismus]] des [[Vormärz]]. Im weiteren Verlauf verschoben sich die [[soziale Frage]] weg von den ländlichen Unterschichten hin zur wachsenden Arbeiterbevölkerung und ihren schlechten Arbeitsbedingungen und oftmals niedrigen Löhnen.


Vorausgegangen waren die Zeiträume der Vor- und Frühindustrialisierung. Generell gelten die Jahrzehnte zwischen den 1830er-Jahren und 1873 als Phase des industriellen „take off“ ([[Walt Rostow]]). Der [[Industrielle Revolution|industriellen Revolution]] folgte die Phase der [[Hochindustrialisierung in Deutschland|Hochindustrialisierung]] während des [[Deutsches Kaiserreich|Kaiserreichs]]. Die (nachholende) industrielle Revolution in Deutschland unterschied sich von der des Pionierlandes [[Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland|Großbritannien]] dadurch, dass nicht die [[Textilindustrie]], sondern [[Montanindustrie]] und [[Geschichte der Eisenbahn in Deutschland|Eisenbahnbau]] die Schlüsselindustrien wurden.
== Problem der chronologischen Abgrenzung ==


Ein weiteres Kennzeichen war der regionale Charakter der Industrialisierung. Teilweise vor dem Hintergrund älterer Traditionen, teilweise wegen günstiger Lage (z.&nbsp;B. an [[Handelsstraße]]n, Flüssen, Kanälen, in der Nähe von Rohstoffvorkommen oder Absatzmärkten) oder aus anderen Gründen konzentrierte sich die industrielle Revolution auf einige [[Regionale Industrialisierung|regionale Verdichtungszonen]]. In einigen älteren Gewerbelandschaften, in denen die Anpassung an die neue Zeit nicht gelang, kam es zu Deindustrialisierungsprozessen. Anfänglich war die industrielle Entwicklung zu schwach, um in nennenswertem Umfang neue Arbeitsplätze für eine [[Demografie Deutschlands#Zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer von 1800 bis 1899|wachsende Bevölkerung]] zu schaffen. Im Gegenteil verschärfte die industrielle Konkurrenz die Krise im Handwerk und in vielen traditionellen Gewerbezweigen. Das war eine der Ursachen für den [[Pauperismus]] des [[Vormärz]]. Erst mit dem Durchbruch der industriellen Revolution entstanden in größerem Umfang neue Arbeitsmöglichkeiten. Im weiteren Verlauf verschob sich die [[soziale Frage]] weg von den ländlichen Unterschichten und hin zur wachsenden Arbeiterbevölkerung mit ihren schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen bei meist niedrigen Löhnen.
Unbestritten in der Forschung ist die Ansicht, dass die industrielle Entwicklung auf teilweise lange zurückliegenden Vorbedingungen beruhte. Einige wie [[Simon Smith Kuznets]] gingen sogar soweit angesichts dieses Prozesscharakters das Konzept einer industriellen Revolution zumindest stark zu relativieren. Die meisten Forscher jedoch hielten und halten an der Vorstellung eines industriellen Durchbruchs auch in der deutschen Entwicklung fest. Umstritten bleibt jedoch die genaue Abgrenzung.
[[Datei:Bonn-Cölner-Eisenbahn 1844.jpg|mini|hochkant=2|Der Eisenbahnbau als Ausdruck der industriellen Revolution (hier die [[Bonn-Cölner Eisenbahn]] um 1844)]]

== Begriffsentwicklung ==

Der Begriff „industrielle Revolution“ entstand in Frankreich während und nach der französischen Revolution. Er war zeitweise eine [[Analogie (Rhetorik)|Analogie]], um den politischen Wandel in Frankreich und die ungefähr gleichzeitig ablaufenden Veränderungen der gewerblichen Produktionsformen in Großbritannien zu vergleichen. Ähnlich war die Verwendung auch noch in den folgenden Jahrzehnten, so z.&nbsp;B. 1827 in einem Bericht der Zeitung ''Moniteur Universel'' oder 1837, als [[Adolphe Jérôme Blanqui]] den Begriff gebrauchte, um die gewaltsame Entwicklung in Frankreich mit der friedlichen in England zu vergleichen. 1839 wurde er von [[Natalis Briavoinne]] (1799–1869) als Prozess- und Epochenbegriff genutzt. Außerhalb Frankreichs taucht er erstmals 1843 bei [[Friedrich Wilhelm Schulz|Wilhelm Schulz]] und 1845 in [[Friedrich Engels]]’ Schrift ''[[Die Lage der arbeitenden Klasse in England]]'' auf.

Auch Engels verglich die politische Revolution in Frankreich und die gewerbliche Entwicklung in Großbritannien. Für ihn war die industrielle Revolution eine Epochenzäsur. „… kaum kennt die Weltgeschichte ein Ereignis, welches in dem kurzen Zeitraum weniger Menschenalter so außerordentliche Veränderungen hervorgebracht, so gewaltsam in die Schicksale der gebildeten Völker eingegriffen hat und noch eingreifen wird, als die industrielle Revolution, in welche unsere Zeit begriffen ist.“<!-- ?? Beleg ?? -------->

Wurde der Begriff hier auf die von England ausgehende industrielle Entwicklung begrenzt, hatte schon Schulz ihn auch auf andere Epochen angewandt. Darin folgte ihm vor allem die angelsächsische Tradition etwa mit [[John Stuart Mill]] oder [[Arnold Toynbee]]. Als Epochenbezeichnung wurde gegen Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts die historische Einmaligkeit der Entstehung der Großindustrie betont, während er als Prozessbezeichnung den Umbruch noch als etwas Unabgeschlossenes deutete. Die Bedeutungsebene als Prozessbegriff verlor im 20.&nbsp;Jahrhundert gegenüber dem Begriff der Industrialisierung allerdings deutlich an Bedeutung.<ref>Darst. und Zit. nach: [[Dietrich Hilger]]: ''Industrie als Epochenbegriff: Industrialismus und industrielle Revolution''. In: ''Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland''. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. S. 286–296.</ref>

== Problem der chronologischen Abgrenzung ==


Unbestritten in der Forschung ist die Ansicht, dass die industrielle Revolution auf teilweise lang zurückliegenden Vorbedingungen beruhte. Einige – wie [[Simon Smith Kuznets]] – relativieren daher das Konzept einer Revolution im Sinne eines radikalen Umbruchs angesichts des Entwicklungscharakters stark. Kuznets betrachtete die Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein als die Epoche des „modernen Wirtschaftswachstums.“ Die meisten Forscher jedoch hielten und halten an der Vorstellung eines industriellen Durchbruchs im Sinne eines vergleichsweise rasch stark anwachsenden Wirtschaftswachstum auch in der deutschen Entwicklung fest. Umstritten bleibt jedoch die genaue Abgrenzung.
So unterscheidet [[Walter G. Hoffmann]] die Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis etwa 1830/35 als eine Zeit der Vorbereitung. Dem folgte die eigentliche Phase des „take offs“ (oder der industriellen Revolution) bis etwa 1855/60. Im Anschluss folgte eine „Entwicklung zur Reife“ bis zum Beginn des Kaiserreichs. [[Karl Heinrich Kaufhold]] meinte, dass die industrielle Revolution sich zwischen 1835 und 1873 durchgesetzt hätte, einige Zeit später datierte er den Beginn dann genauer auf etwa 1850.


Es hat sich mittlerweile in der Forschung durchgesetzt, vom eigentlichen Beginn der Industrialisierung eine „Vorbereitungsphase“ zu unterscheiden, die etwa um 1790 einsetzte und der die eigentliche Phase des „take offs“ (oder der industriellen Revolution) folgte. Dessen Anfang ist weiterhin umstritten. [[Friedrich-Wilhelm Henning]], [[Karl Heinrich Kaufhold]] oder [[Jürgen Kocka]] datieren ihren Beginn in die 1830er-Jahre. [[Reinhard Spree]], [[Richard H. Tilly]] und auch [[Hans-Ulrich Wehler]] sehen den entscheidenden Schritt hin zu einer beschleunigten industriellen Entwicklung in den 1840er-Jahren erreicht. [[Knut Borchardt]] schlug gar die 1850er-Jahre als Beginn der industriellen Revolution an.
Neuere quantitative Forschungen zur frühindustriellen Konjunktur etwa von [[Reinhard Spree]] zeigen bis in die 1830er Jahre noch eine gebremste industrielle Entwicklung. Dem folgt ein bis Mitte der 1840er Jahre anhaltender Aufschwung, der aber vor allem seit 1847 für einige Jahre ins Stocken geriet. Seit 1852 folgte dann einer erneuten Aufschwungs, der nach diesen Berechnungen als Beginn der industriellen Revolution in Deutschland anzusehen ist. Allerdings wurde von einigen Forschern kritisiert, dass dabei die doch erheblichen Entwicklungen der 1830er und 1840er Jahre unterschätzt würden.


[[Hans-Ulrich Wehler]] plädiert daher für den Beginn des „take offs“ um 1845 herum. Allerdings stützt sich diese Periodisierung vor allem auf die Leitsektoren nicht auf die wirtschaftliche Gesamtentwicklung. Bei allen Diskussionen im Detail sind sich im wesentlichen alle neueren Autoren einig, das nach einer längeren Vorlaufphase der Vor- oder Frühindustrialisierung, spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht in das Industriezeitalter eintrat. Dies gilt sowohl für die Ökonomisch wie auch für die Gesellschaft.<ref>Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S.49f., S.58-619, Siemann, Gesellschaft, S.94-97</ref>
Bei allen Detaildiskussionen sind sich die neueren Autoren im Wesentlichen einig, dass nach einer längeren Vorlaufphase der Vor- oder Frühindustrialisierung Deutschland spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht in das Industriezeitalter eintrat. Dies gilt sowohl für die Ökonomie wie auch für die Gesellschaft.<ref>Tilly, S. 184 f., Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 49 f., S. 58–61, Siemann, Gesellschaft, S. 94–97, Hahn, industrielle Revolution, S. 1.</ref>


== Vor-, Früh- und Protoindustrialisierung ==
== Vor-, Früh- und Protoindustrialisierung ==
[[Datei:Spinnmühle Meinert 1.JPG|mini|hochkant|Die Meinertsche Spinnmühle in Lugau bei Chemnitz von 1812, eines der frühesten Fabrikgebäude in Deutschland. Im August 2016 abgerissen.]]
Die Ausgangssituation für eine industrielle Revolution war in Deutschland deutlich schlechter als im Ursprungsland der Industrialisierung, in [[Geschichte des Königreiches Großbritannien|Großbritannien]]. Dazu zählen der fehlende einheitliche Markt, die Vielzahl von Zöllen, Währungen oder Gewichten und die territoriale Zersplitterung im 1806 niedergegangenen [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reich]]. Verkehrstechnisch war das Reich deutlich schlechter erschlossen als England, auch fehlte die überseeische Handels- und Kolonialexpansion. Der Rückstand gegenüber Großbritannien zeigte sich auch in dem in Deutschland wesentlich stärkeren agrarischen Sektor. Zudem hatte in diesem Bereich zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keine vergleichbare „Agrarrevolution“ stattgefunden. Es gab noch starke feudale Elemente und, sieht man einmal von [[Ostelbien]] ab, zahlreiche leistungsschwache Kleinbetriebe, die vielfach noch mit alten Methoden wirtschafteten und als [[Subsistenzwirtschaft|Subsistenzbetriebe]] kaum mit dem Markt verbunden waren. Hinzu kamen weitere Aspekte. Trotz des [[Merkantilismus]] im 18. Jahrhundert hielten etwa im Bereich des Handwerks die [[Zunft|Zünfte]] an alten wirtschaftlichen Regulierungsinstrumenten fest.<ref>Hahn, industrielle Revolution, S. 4–6.</ref>


Auch in den deutschen Ländern gab es seit der frühen Neuzeit vorbereitende Entwicklungen. [[Werner Conze]] grenzte eine vorbereitende Phase etwa auf die Zeit zwischen 1770 und 1850 ein. Dazu zählte ein in der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzendes stärkeres Bevölkerungswachstum. Das verstärkte die Nachfrage und vergrößerte das Arbeitskräftepotential.<ref>Hahn, industrielle Revolution, S. 7, Pierenkemper, S. 50.</ref>
Bereits seit der frühneuzeitlichen Zeit gab es vorbereitende wirtschaftliche Entwicklungen. [[Werner Conze]] grenzte eine vorbereitende Phase etwa auf die Zeit zwischen 1770 und 1850 ein. In den [[Manufaktur|Manufakturen]] gab es in gewissen Umfang bereits eine Art [[Massenproduktion]] mit [[Arbeitsteilung]]. Das [[Verlagssystem]] ([[Proto-Industrialisierung|Protoindustrie]]) war in einigen Regionen bereits im [[Spätmittelalter|späten Mittelalter]] und vor allem der [[frühe Neuzeit|frühen Neuzeit]] entstanden. So haben sich die landarmen Schichten in [[Ostwestfalen]] und anderen Gebieten auf die heimgewerbliche Herstellung von [[Leinenindustrie|Leinen]] spezialisiert, die von Händlern aufgekauft und auf dem überregionalen Markt vermarktet wurden. Diese und andere Entwicklungen auch im Eisen- und Metallgewerbe und anderen Bereichen haben bereits verschiedene regionale Zentren gewerblicher Verdichtung entstehen lassen. In den westlichen preußischen Provinzen [[Rheinprovinz|Rheinland]] und [[Provinz Westfalen|Westfalen]] waren dies etwa der [[bergisches Land|bergisch]]-[[Grafschaft Mark|märkische Raum]], das [[Siegerland]] mit Ausläufer ins [[Sauerland]]. Insgesamt kam es in Südwestfalen zu einer montanindustriellen Arbeitsteilung. Aus Siegerländer Erz wurden in Teilen des Sauerlandes [[Halbfertigware|Halbfertigwaren]], wie [[Stabeisen]] oder [[Blech|Bleche]] hergestellt, die im märkischen bis hin in den bergischen Raum zu [[Fertigware|Fertigwaren]] weiterverarbeitet wurden. Ähnliche Zusammenhänge gab es im Rheinland wo Eisen aus der [[Eifel]] zwischen [[Aachen]], [[Eschweiler]], [[Stolberg]] und [[Düren]] weiterverarbeitet wurden. Vor allem aber konzentrierte sich in diesem Gebiet die [[Messing]]-, [[Zink]]- und [[Blei|Bleiproduktion]]. In [[Oberschlesien]] wurden Bergbau und Verarbeitung teils vom Staat und teilweise von Großgrundbesitzern betrieben. Zu diesen gehörten die [[Henckel von Donnersmarck|Grafen von Donnersmarck]] oder die [[Haus Hohenlohe|Fürsten von Hohenlohe]]. Im [[Königreich Sachsen]] existierte ein hochdifferenziertes Gewerbe vom Land- und Stadthandwerk, über Heimgewerbetreibende in der Protoindustrie, Manufakturen, Bergbau und bald auch ersten Fabriken. Im Jahr 1820 lebten in diesem Gebiet nur noch 20% der Einwohner von der Landwirtschaft.
[[Bild:Alfred Rethel 001.jpg|thumb|Mechanische Werkstätten von Friedrich Harkort in den Ruinen der [[Burg Wetter]]]]
Im Zusammenhang von Manufakturen und Verlagen sammelte sich in den verschiedenen Gewerbelandschaften [[Handelskapital]] an, das später nicht zuletzt zur Finanzierung der neuen Fabriken eingesetzt wurde.


=== Protoindustrie und Heimgewerbe ===
Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden zudem auch in Deutschland die ersten modernen [[Fabrik|Fabriken]], die auf Maschinen beruhten. So wurde 1784 in [[Ratingen]] die erste mechanische [[Baumwolle#Geschichte|Baumwollspinnerein]] und ein Jahr später in [[Hettstedt]] die erste [[Dampfmaschine]] in Betrieb genommen. Im Jahr 1796 wurde in Oberschlesien der erste kontinuierlich produzierende [[Koks|Koksofen]] eingerichtet. Allerdings erlangten diese frühen Ansätze keine Breitenwirkung, sondern blieben isolierte Inseln.


Zwar befand sich das Zunfthandwerk um 1800 in der Krise, aber es gab im gewerblichen Bereich nicht nur stagnierende Entwicklungen. In den [[Manufaktur]]en mit etwa 100.000 Arbeitskräften gab es in gewissem Umfang eine Art [[Massenproduktion]] mit [[Arbeitsteilung]]. Das [[Verlagssystem]] ([[Proto-Industrialisierung|Protoindustrie]]) war in einigen Regionen bereits im [[Spätmittelalter|späten Mittelalter]] und vor allem der [[Frühe Neuzeit|frühen Neuzeit]] entstanden. So spezialisierten sich die landarmen Schichten in [[Ostwestfalen]], [[Schlesien]], [[Sachsen]] und anderen Gebieten auf die heimgewerbliche Herstellung von [[Leinenindustrie|Leinen]], das von Händlern aufgekauft und auf dem überregionalen Markt vermarktet wurde. Man schätzt, dass immerhin eine Million Menschen um 1800 in diesem Bereich beschäftigt waren.<ref>Zahlen nach Hahn, industrielle Revolution, S. 9.</ref>
Die meisten fabrikähnlichen Betriebe waren vor allem relativ einfache und noch keine Dampfkraft verbrauchende Anlagen. Den Anfang machten insbesondere [[Spinnen|Spinnmaschinen]] zur Garnproduktion, seit den 1830er Jahren kamen im Bereich der Textilherstellung mechanische [[Webmaschine|Webstühle]] hinzu. Aufs Ganze gesehen beruhten die frühen Industrialisierungsansätze auf der Herstellung einfacher [[Konsumgut|Konsumgüter]] und verarbeiteten Häufig Agrarprodukte (Leinen- und [[Wolle|Wollmanufakturen]], [[Brennen (Spirituose)|Branntweinbrennereien]], [[Brauerei|Brauereien]], [[Ölmühle|Ölmühlen]] oder [[Tabak|Tabakfabriken]]). Relativ früh entstanden einige größere Spinnereien in [[Baden (Land)|Baden]], so die Spinnerein in [[St. Blasien]] mit 28.000 Spindeln oder die ähnlich große [[Ettlingen|Ettlinger]] Spinnerei AG. Ein weitgehend neuer Zweig der Textilindustrie war im frühen 19. Jahrhundert die Baumwollverarbeitung. Dabei nahm Sachsen die Spitzenstellung ein, gefolgt von [[Preußen]] und Baden. Das Zentrum in Preußen war der [[Regierungsbezirk Düsseldorf]]. Allein in [[Rheydt]] und [[Gladbach]] gab es 1836 16 Spinnereien. Die Textilindustrie insgesamt war zwar eine der am frühsten industriell betriebenen Gewerbezweige. Aber anders als in England war sie kein Führungssektor der industriellen Revolution. Dazu waren ihre Dynamik und Wachstum zu gering.


Diese und andere Entwicklungen auch im Eisen- und Metallgewerbe und anderen Bereichen ließen bereits verschiedene regionale Zentren gewerblicher Verdichtung entstehen. In den westlichen preußischen Provinzen [[Rheinprovinz|Rheinland]] und [[Provinz Westfalen|Westfalen]] waren dies etwa der [[Bergisches Land|bergisch]]-[[Grafschaft Mark|märkische Raum]] und das [[Siegerland]] mit Ausläufern ins [[Sauerland]]. Ähnliche Zusammenhänge gab es im Rheinland, wo Eisen aus der [[Eifel]] zwischen [[Aachen]], [[Eschweiler]], [[Stolberg (Rheinland)|Stolberg]] und [[Düren]] weiterverarbeitet wurde. Vor allem aber konzentrierte sich in diesem Gebiet die [[Messing]]-, [[Zink]]- und [[Blei]]produktion. In [[Oberschlesien]] wurden Bergbau und Verarbeitung teils vom Staat und teils von Großgrundbesitzern betrieben. Zu diesen gehörten die [[Henckel von Donnersmarck|Grafen von Donnersmarck]] oder die [[Haus Hohenlohe|Fürsten von Hohenlohe]]. Im [[Königreich Sachsen]] existierte ein hochdifferenziertes Gewerbe vom Land- und Stadthandwerk, über Heimgewerbetreibende in der Protoindustrie, Manufakturen, Bergbau und bald auch ersten Fabriken. Weite Teile Sachsens – hier vor allem die Region um die Stadt [[Chemnitz]], die später auch „das sächsische Manchester“ genannt wurde – gehörten ebenso wie das nördliche Rheinland sogar zu den wachstumsintensivsten Regionen Europas, so Hahn.
Seit dem Ende der [[Koalitionskriege|napoleonischen Kriege]] ab 1815 erlebten die gewerbliche Wirtschaft dann im Allgemeinen und die neuen Fabriken im Besonderen in den deutschen Staaten einen Aufschwung.


[[Datei:Alfred Rethel 001.jpg|mini|Mechanische Werkstätten von Friedrich Harkort in den Ruinen der [[Burg Wetter]] (Gemälde von [[Alfred Rethel]], 1830er Jahre)]]
Ein wichtiger institutioneller Faktor für die gewerbliche Entwicklung war die Gründung des [[Zollverein|Zollvereins]] im Jahr 1834.
Im Zusammenhang von Manufakturen und Verlagen sammelte sich in den verschiedenen Gewerbelandschaften [[Handelskapital]] an, das später nicht zuletzt zur Finanzierung der neuen Fabriken eingesetzt wurde. Allerdings waren diese frühen Gewerbelandschaften nicht immer eine direkte Vorstufe der industriellen Entwicklung. Teilweise wie in Teilen Hessens oder in Niederschlesien gelang der Anschluss an die Industrialisierung nicht und in den Gebieten des ländlichen Gewerbes kam es zu wirtschaftlichen Niedergangsprozessen.<ref>Hahn: ''Industrielle Revolution'', S. 8. Pierenkemper: ''Gewerbe'', S. 51 ff., S. 100 ff. Wehler: ''Gesellschaftsgeschichte,'' Bd. 2, S. 78–81.</ref>


=== Frühindustrialisierung ===
Diese Phase des frühindustriellen Aufschwungs endete freilich bereits in der Mitte der 1840er Jahre als die Agrarkrise und die Auswirkungen der [[Märzrevolution|Revolution von 1848/49]] die Entwicklung stark beeinträchtigt haben. In die vierziger Jahre fallen der Höhepunkt des [[Vormärz|vormärzlichen]] [[Pauperismus]] und die letzte Agrarkrise „alten Typs“ ([[Wilhelm Abel]]). <ref>Kaufhold, Handwerk und Industrie, S.328-333, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.79-86, S.91-94, Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S.49-58</ref>
[[Datei:ZollvereinBIG 1834.png|mini|Der Deutsche Zollverein<br />blau: zum Zeitpunkt der Gründung<br />grün / gelb: Erweiterungen bis / nach 1866]]
Ansätze zu einer gewerblichen Expansion gab es also spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Gleichwohl ist es sinnvoll, die Frühindustrialisierung im Sinne einer unmittelbaren Vorgeschichte der industriellen Revolution in Deutschland etwa mit dem Jahr 1815 beginnen zu lassen. Seit dem Ende der [[Koalitionskriege|Napoleonischen Kriege]] und der Aufhebung der [[Kontinentalsperre]] fielen einerseits Handelsbarrieren, andererseits war die Wirtschaft in Deutschland nunmehr der direkten Konkurrenz mit der englischen Industrie ausgesetzt. Damit stieg der Anpassungsdruck deutlich an. Hinzu kam, dass der territoriale Umbruch nach dem [[Reichsdeputationshauptschluss]] zum Verschwinden zahlreicher Kleinstterritorien und zum Entstehen einer Reihe mittlerer Staaten führte. Aber noch gab es keinen einheitlichen Wirtschaftsraum. Ein wichtiger institutioneller Faktor für die gewerbliche Entwicklung war die Gründung des [[Deutscher Zollverein|Deutschen Zollvereins]] im Jahr 1834, der innerhalb des Vertragsgebiets einen zollfreien Warenaustausch ermöglichte. Dies war eine zentrale Voraussetzung für die [[Marktintegration|Integration]] der bislang regional bezogenen Märkte in einen größeren Zusammenhang. Allerdings war die direkte Förderung der industriellen Entwicklung durch den Zollverein begrenzt. Von ihm wurde die industrielle Entwicklung zwar erleichtert, es gingen aber keine entscheidenden Wachstumsimpulse von ihm aus.<ref>Botzenhart, Reform, Restauration, Krise, S. 95–104, Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 337–342.</ref> Ebenso wichtig waren zahlreiche weitere Reformen im Bereich des Staates, der Gesellschaft und Wirtschaft. Besonders bekannt sind die [[Preußische Reformen|preußischen Reformen]], die es ähnlich auch in anderen Staaten gegeben hatte. Dazu gehörten die [[Bauernbefreiung]] sowie die Reformen in der Gewerbegesetzgebung. Je nach Staat zog sich die Umsetzung allerdings bis weit in die Mitte des Jahrhunderts hin.<ref>Hahn, industrielle Revolution, S. 10 f.</ref>

Seit dem Ende des 18.&nbsp;Jahrhunderts entstanden neben Heimgewerbe und Manufakturen auch in Deutschland die ersten modernen [[Fabrik]]en. So wurde 1784 in [[Ratingen]] die erste mechanische [[Baumwollspinnerei]], die [[Textilfabrik Cromford]], und ein Jahr später in [[Hettstedt]] die erste [[Dampfmaschine]] im Bergbau in Betrieb genommen. Fast zeitgleich folgte eine Dampfmaschine im oberschlesischen Beuthen. Im Jahr 1796 wurde in der [[Königlich Preußische Eisengießerei|Königlich Preußischen Eisengießerei]] in Gleiwitz der erste kontinuierlich produzierende [[Koks]]ofen errichtet.<ref>Bernhard Neumann (1904): ''Die Metalle'', [https://books.google.de/books?id=BKcPAwAAQBAJ&pg=PA34 S. 34]; siehe auch [https://books.google.de/books?id=_poOdsvPW1UC&pg=PA88 hier].</ref>
Allerdings erlangten diese frühen Ansätze keine Breitenwirkung, sondern blieben isolierte Inseln.

1798 wurde in [[Chemnitz-Harthau]] die Spinnmühle von C. F. Bernhardt gegründet. Sie machte unter anderem den Weg frei für eine industrielle Entwicklung der Region. In den Jahren darauf entstanden in [[Chemnitz]] und im Chemnitzer Umland sowie im Erzgebirge und in der Oberlausitz unzählige Spinnereien nach dem Muster der Bernhardtschen Spinnerei.

[[Datei:Harthau, Solbrigsche Kammgarnspinnerei, 1867.jpg|mini|Spinnerei der Gebrüder Bernhard in Harthau bei [[Chemnitz]] 1867, erste sächsische Fabrik]]
[[Datei:Barmen (1870).jpg|mini|Das zusammen mit dem angrenzenden [[Elberfeld]] sehr früh industrialisierte [[Barmen]] (um 1870, Gemälde von [[August von Wille]])]]
Die meisten fabrikähnlichen Betriebe waren relativ einfache, noch keine Dampfkraft nutzende Anlagen. Den Anfang machten insbesondere [[Spinnen (Garn)|Spinnmaschinen]] zur Garnproduktion; seit den 1830er-Jahren kamen im Bereich der Textilherstellung mechanische [[Webmaschine|Webstühle]] hinzu. Aufs Ganze gesehen basierten die frühen Industrialisierungsansätze auf der Herstellung einfacher [[Konsumgut|Konsumgüter]] und der Verarbeitung von Agrarprodukten ([[Flachsfaser|Leinen-]] und [[Wolle|Wollmanufakturen]], [[Brennen (Spirituose)|Branntweinbrennereien]], [[Brauerei]]en, [[Ölmühle]]n oder [[Tabak]]fabriken). Relativ früh entstanden einige größere Spinnereien in [[Baden (Land)|Baden]], so die Spinnereien in [[St. Blasien|St.&nbsp;Blasien]] mit 28.000 Spindeln oder die ähnlich große [[Ettlingen|Ettlinger]] Spinnerei AG. Ein weitgehend neuer Zweig der Textilindustrie war im frühen 19. Jahrhundert die Baumwollverarbeitung. Dabei nahm Sachsen die Spitzenstellung ein, gefolgt von [[Preußen]] und Baden. Das Zentrum in Preußen war der [[Regierungsbezirk Düsseldorf]] und insbesondere das [[Bergisches Land|Bergische Land]], das um 1800 auf der Basis von Kleineisen- und Textilindustrie an der Schwelle der industriellen Revolution gestanden hatte. Allein in [[Rheydt]] und [[Mönchengladbach|Gladbach]] gab es 1836 16 Spinnereien, für [[Barmen]] werden 1830 „''38 Fabriken für Leinen-, Halbwoll-, Woll-, Baumwollbänder, Schnüre und Gurte, 26 Fabriken für Zeuge und Tücher aus Leinen, Baumwolle, und Halbbaumwolle, 11 Fabriken für Zwirnspitzen und Langetten, 17 Fabriken für Nähzwirn, 1 Fabrik für Zwilliche, 7 Fabriken für Seidentücher und -Bänder, 2 Fabriken für Reitpeitschen, 1 Fabrik für metallene plattierte Waren und Knöpfe, 4 Fabriken für chemische Erzeugnisse, 3 Seifensiedereien, 50 Bleichen, 50 Färbereien […]''“ aufgelistet.<ref name="Restorff">{{Beschreibung Rheinprovinz 1830}}</ref> Die Textilindustrie insgesamt war zwar eine der ersten industriell betriebenen Gewerbezweige. Anders als in England war sie aber kein Führungssektor der industriellen Revolution. Dazu waren ihre Dynamik und ihr Wachstum zu gering.

Die nach 1815 einsetzende Phase des frühindustriellen Aufschwungs endete in der Mitte der 1840er-Jahre, als die Agrarkrise und die Auswirkungen der [[Märzrevolution|Revolution von 1848/49]] die Entwicklung stark beeinträchtigten. In diese Zeit fallen der Höhepunkt des [[vormärz]]lichen [[Pauperismus]] und die letzte Agrarkrise „alten Typs“ ([[Wilhelm Abel (Historiker)|Wilhelm Abel]]).<ref>Kaufhold, Handwerk und Industrie, S. 328–333, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.&nbsp;2, S.&nbsp;79–86, S.&nbsp;91–94, Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S.&nbsp;49–58.</ref>


== Die industrielle Revolution ==
== Die industrielle Revolution ==


In etwa markiert die Revolution von 1848/49 auch die Scheidelinie zwischen Frühindustrialisierung und der Industriellen Revolution. Dazu passt auch ein Wandel vom krisengeprägten Selbstbewusstsein in den 1840er Jahren hin zu einer allgemeinen Aufbruchstimmung im folgenden Jahrzehnt. Neben diesen eher gesellschaftsgeschichtlichen Argumenten legen die quantitativ neuen wirtschaftlichen Wachstumszahlen für den Beginn der industriellen Revolution in den frühen 1850er Jahren. Etwa seit dieser Zeit nahm die gesellschaftliche Produktion pro Einwohner gegenüber der vorindustriellen Zeit um das zehnfache zu.
In etwa markiert die Revolution von 1848/49 auch die Scheidelinie zwischen Frühindustrialisierung und der Industriellen Revolution. Dazu passt auch ein Wandel vom krisengeprägten Selbstbewusstsein in den 1840er-Jahren hin zu einer allgemeinen Aufbruchstimmung im folgenden Jahrzehnt. Etwa seit dieser Zeit nahm die gesellschaftliche Produktion pro Einwohner gegenüber der vorindustriellen Zeit um das Zehnfache zu.
[[Bild:Beschäftigte1846ff.PNG|thumb|Wachstum der Beschäftigten in den Wirtschaftssektoren 1846-1871 (1871=100)]]
[[Datei:Beschäftigte1846ff.PNG|mini|Wachstum der Beschäftigtenzahlen in den Wirtschaftssektoren 1846–1871 (1871=100)]]
Ein wichtiger Indikator für den Beginn der Industriellen Revolution in den 1850er Jahren war der plötzliche Anstieg der Nutzung der [[Steinkohle]]. Dahinter standen verschiedene Wachstumsvorgänge: Eine starker Anstieg der Eisen- und vor allem Stahlherstellung, der verstärkte [[Maschinenbau|Bau von Maschinen]] nicht zuletzt von Lokomotiven und der Anstieg der Verkehrsleistungen der Eisenbahnen ließ die Energienachfrage steigen. Die wachsende Nachfrage nach Brennstoff und Industriegütern führte zu einem weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes und steigerte wiederum die Nachfrage nach neuen Lokomotiven und Schienen. Auch insgesamt war die industrielle Revolution in den 1850er und 1860er Jahren vor allem von Investitionen in den Eisenbahnbau und die [[Schwerindustrie]] geprägt.<ref>Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S.58-61</ref>
Ein wichtiger Indikator für den Beginn der Industriellen Revolution in den 1850er-Jahren war der plötzliche Anstieg der Nutzung der [[Steinkohle]]. Dahinter standen verschiedene Wachstumsvorgänge: Ein starker Anstieg der Eisen- und vor allem Stahlherstellung, der verstärkte [[Maschinenbau|Bau von Maschinen]], nicht zuletzt von Lokomotiven und der Anstieg der Verkehrsleistungen der Eisenbahnen ließen die Energienachfrage steigen. Die wachsende Nachfrage nach Brennstoff und Industriegütern führte zu einem weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes und steigerte wiederum die Nachfrage nach neuen Lokomotiven und Schienen. Auch insgesamt war die industrielle Revolution in den 1850er- und 1860er-Jahren vor allem von Investitionen in den Eisenbahnbau und die [[Schwerindustrie]] geprägt.<ref>Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S. 58–61.</ref>

=== Niedergang des alten Gewerbes ===


Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung in dieser Zeit war allerdings nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Vielmehr bedeutete der Import maschinell hergestellter Waren, vor allem aus Großbritannien und die Entstehung von Fabriken in Deutschland selbst, eine Bedrohung für die bestehenden älteren Wirtschaftsformen. Dies gilt sowohl für die mit Holzkohle hergestellten Eisenprodukte, wie auch für die in Manufakturen oder im Verlagssystem hergestellten Textilien. Insbesondere das Leinengewerbe verlor wegen der günstigeren Baumwollprodukte an Bedeutung. Damit war der wichtigste Zweig der deutschen Textilindustrie in seiner Existenz bedroht.
=== Niedergang des alten Gewerbes und Pauperismus ===


Eine Zeit lang konnten sich die älteren Produktionsmethoden halten. Dies geschah teilweise recht erfolgreich durch die Spezialisierung auf besondere Produkte (z. B. [[Krefeld]]er Samt und Seide, [[Wuppertal]]er Bandwaren, Posamente aus [[Annaberg-Buchholz]], Stofftaschentücher aus Lauban). Anderswo reagierten die Verleger mit der Senkung der Entgelte für die Heimweber. Auf längere Sicht konnten viele Gewerbe der maschinellen Konkurrenz – bis auf wenige Rückzugsgebiete – dennoch nicht standhalten. Dies hatte zur Folge, dass in den älteren Gewerberegionen, wenn diese den Übergang zur Fabrikindustrie nicht schafften, die Arbeitsmöglichkeiten fehlten und es zu Deindustrialisierungs- und Reagrarisierungsprozessen kommen konnte.
Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung in dieser Zeit war allerdings nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Vielmehr bedeutete das Eindringen von Importen maschinell hergestellter Waren vor allem aus Großbritannien und die Entstehung von Fabriken in Deutschland selbst eine Bedrohung für die bestehenden älteren Wirtschaftsformen. Dies gilt sowohl für die mit Holzkohle hergestellten Eisenprodukte, wie auch für die in Manufakturen oder im Verlagssystem hergestellten Textilien. Insbesondere das Leinengewerbe verlor wegen günstigeren Baumwollprodukte an Bedeutung. Damit war der wichtigste Zweig der deutschen Textilindustrie in seiner Existenz bedroht.


Eine Zeitlang konnten sich die älteren Produktionsmethoden halten. Dies geschah teilweise recht erfolgreich durch die Spezialisierung auf besondere Produkte (z.B. [[Krefeld|Krefelder]] Samt und Seide, [[Wuppertal|Wuppertaler]] Bandwaren). Anderswo reagierten die Verleger mit der Senkung der Entgelte für die Heimweber. Auf längere Sicht konnten viele Gewerbe der Konkurrenz allerdings bis auf einige Rückzugsgebiete dennoch nicht standhalten. Dies hatte zur Folge, dass in den älteren Gewerberegionen, wenn diese den Übergang zur Fabrikindustrie nicht schafften, die Arbeitsmöglichkeiten fehlten und es zu Deindustrialisierungs- und Reagrarisierungsprozessen kommen konnte. Ein weiterer Krisenfaktor war das Handwerk. Durch das Bevölkerungswachstum der ersten Jahrhunderthälfte nahm die Zahl der Handwerker stark zu. Einige Massenberufe wie [[Schneider]], [[Schuhmacher]] waren übersetzt, die Gesellen hatten keine Chance mehr Meister zu werden und der Ertrag auch der selbstständigen Handwerker war außerordentlich geringe. Vor allem die Handwerke, deren Produkte mit der Industrie konkurrierten, gerieten in die Krise. <ref>Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.54-64, S.72, S.93f., Kaufhold, Handwerk und Industrie, S.329f.</ref>
Ein weiterer Krisenfaktor war das [[Handwerk]]. Durch das Bevölkerungswachstum der ersten Jahrhunderthälfte nahm die Zahl der Handwerker stark zu. Einige Massenberufe wie [[Schneider]] oder [[Schuhmacher]] waren überbesetzt, die Gesellen hatten keine Chance mehr, Meister zu werden und der Ertrag auch der selbstständigen Handwerker war außerordentlich gering. Vor allem die Handwerke, deren Produkte mit der Industrie konkurrierten, gerieten von dieser Seite unter Druck<ref>Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 2, S. 54–64, S. 72, S. 93 f., Kaufhold, Handwerk und Industrie, S. 329 f.</ref>, was sich in Aufständen wie der Berliner [[Schneiderrevolution]] 1830 oder dem schlesischen [[Weberaufstand]] 1844 entlud.<ref>[[Ilja Mieck]]: ''Von der Reformzeit zur Revolution (1806–1847)''. In: [[Wolfgang Ribbe]] (Hrsg.): ''Geschichte Berlins, Erster Band''. Verlag C.H.Beck, München 1987, S.&nbsp;526–529. ISBN 3-406-31591-7.</ref>


=== Regionale Industrialisierung ===
=== Regionale Industrialisierung ===
[[Bild:Jakobi2a.jpg|thumb|Teil des [[Regierungsbezirk Arnsberg|Regierungsbezirks Arnsberg]] (Ausschnitt aus einer Gewerbekarte des Jahres 1858, zu sehen sind Teile des Ruhrgebiets und des märkischen Sauerlands)]]
Ein Kennzeichen der industriellen Entwicklung war ihre ungleiche [[Regionale Industrialisierung|regionale Verteilung]]. Die Ursachen dafür waren vielfältig. So spielte der Anschluss an das Eisenbahnnetz oder das Verfügbarkeit von Rohstoffen, Arbeitskräften oder Kapital eine Rolle.
In den folgenden Jahrzehnten passten sich einige alte gewerbliche Verdichtungszonen der industriellen Entwicklung an. So traten in [[Bielefeld]] an die Stelle der heimgewerblichen Leinenproduzenten große Textilfabriken. Auch im [[Wuppertal]] oder in [[Sachsen]] knüpfte die Industrie an alte Traditionen an. In anderen Bereichen kam es zum Wandel der gewerblichen Schwerpunkte. In [[Berlin]] etwa siedelten sich vor allem die [[Konfektionsindustrie]], der Maschinenbau sowie [[Kreditinstitut|Banken]] und [[Versicherer|Versicherungen]] an. Das [[Rheinland]] profitierte von seiner Verkehrslage. Das teils in der [[Rheinprovinz]] und teils in der [[Provinz Westfalen]] liegende [[Ruhrgebiet]] entwickelte sich rohstoffbedingt zum Zentrum der Industrie insbesondere der Montanindustrie. Weniger wichtig war die Nähe der Werke etwa im Maschinenbau, der sich an zahlreichen Standorten etablierte. So entstanden die Lokomotivfabriken häufig in den Haupt- und Residenzstädten.


Ein Kennzeichen der industriellen Entwicklung war ihre ungleiche [[Regionale Industrialisierung|regionale Verteilung]]. Die Ursachen dafür waren vielfältig. So spielte der [[Geschichte der Eisenbahn in Deutschland|Anschluss an das Eisenbahnnetz]], die Lage an einem schiffbaren [[Wasserweg]] oder die Verfügbarkeit von Rohstoffen, [[Demografie Deutschlands|Arbeitskräften]] oder Kapital eine Rolle.
Es gab aber auch Gebiete die von der industriellen Entwicklung weniger profitierten. So fiel das einst reiche Schlesien auf Grund seiner verkehrstechnisch relativ abgelegenen Lage zurück. Einige Teile des [[Sauerland|Sauerlandes]] und auch das [[Siegerland]] mit ihrer traditionsreichen Eisenproduktion konnten sich nur schwer oder gar nicht gegen die Konkurrenz des nahen Ruhrgebiets behaupten. Umgekehrt wirkte sich etwa der Bau der [[Köln-Mindener Eisenbahn|Köln-Mindener]] (1847) und der [[Bergisch-Märkische Eisenbahn|Bergisch-Märkischen Eisenbahn]] (1842) für das entstehende Ruhrgebiet förderlich aus.
[[Datei:Jakobi2a.jpg|mini|Teil des [[Regierungsbezirk Arnsberg|Regierungsbezirks Arnsberg]] (Ausschnitt aus einer Gewerbekarte des Jahres 1858, zu sehen sind Teile des Ruhrgebiets und des märkischen Sauerlands)]]
In den Jahrzehnten der Industrialisierung passten sich einige alte [[Cluster (Wirtschaft)|gewerbliche Verdichtungszonen]] der industriellen Entwicklung an. So traten in [[Bielefeld]] an die Stelle der heimgewerblichen Leinenproduzenten große [[Textilfabrik]]en. Auch in [[Wuppertal]] oder in [[Sachsen]] knüpfte die Industrie an alte Traditionen an. [[Chemnitz]] war hier der Kern der sächsischen Industrialisierung; es wurde auch ''sächsisches Manchester'' genannt und entwickelte sich zur führenden Industriestadt Deutschlands. Dabei spielten der Werkzeugmaschinenbau, der Textilmaschinenbau, die Textilindustrie, der Fahrradbau, der Motorradbau, der Fahrzeugbau, der Dampfmaschinenbau, der Lokomotivenbau und die [[chemische Industrie]] eine führende Rolle. Hilfreich war zudem der im Königreich Sachsen liegende Bevölkerungsschwerpunkt mit 171 Einwohnern pro Quadratkilometer.
In [[Berlin]] etwa siedelten sich vor allem die [[Konfektion]]sindustrie, der Maschinenbau sowie [[Kreditinstitut|Banken]] und [[Versicherer|Versicherungen]] an. Das [[Rheinland]] profitierte von seiner Verkehrslage. Das teils in der [[Rheinprovinz]] und teils in der [[Provinz Westfalen]] liegende [[Ruhrgebiet]] entwickelte sich rohstoffbedingt zum Zentrum der Industrie, insbesondere der Montanindustrie. Dort hatte es zwar zuvor bereits in einigen Orten Bergbau gegeben, aber mit der Nordwanderung der Förderung kam es in einigen Gebieten zu einer völlig neuen Entwicklung. Weniger wichtig war die Nähe der Werke zu den Rohstoffen etwa im Maschinenbau, der sich an zahlreichen Standorten etablierte. So entstanden die Lokomotivfabriken häufig in den Haupt- und Residenzstädten.


'''Verteilung der Werkzeugmaschinenfabriken im Jahr 1846 in Deutschland'''<ref>Hans J. Naumann u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Werkzeugmaschinenbau in Sachsen: von den Anfängen bis zur Gegenwart.'' Chemnitz 2003.</ref>
Am Ende der Epoche lassen sich drei Regionstypen unterscheiden. Die erste umfasst deutlich industrialisierte Gebiete wie das [[Königreich Sachsen]], das Rheinland, [[Reichsland Elsaß-Lothringen|Elsass-Lothringen]], die [[Pfalz (Region)|Rheinpfalz]] und auch das [[Großherzogtum Hessen]]. Eine zweite Gruppe umfasst solche Regionen, in denen zwar einige Branchen oder Teilregionen als Vorreiter der Industrialisierung erscheinen, das Gesamtgebiet aber nicht als industrialisiert gelten kann. Dazu zählen [[Königreich Württemberg|Württemberg]], [[Baden (Land)|Baden]], Schlesien, Westfalen, die preußische Provinz [[Provinz Sachsen|Sachsen]] und [[Hessen-Nassau|Nassau]]. In einer dritten Gruppe finden sich Regionen, in denen es zwar frühindustrielle Ansätze in einigen Städten gab, ansonsten aber eine vergleichsweise geringe gewerbliche Entwicklung aufwiesen. Dazu zählte das Königreich beziehungsweise die [[Provinz Hannover]], [[Oberfranken|Ober]]- und [[Mittelfranken]]. Hinzu kommen Gebiete die überwiegend landwirtschaftlich geprägt waren und deren Gewerbe meist handwerklich geprägt war. Dazu zählen etwa [[Ostpreußen|Ost]]- und [[Westpreußen]], [[Provinz Posen|Posen]] und [[Mecklenburg]]. <ref>Siemann, Gesellschaft, S.99f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.2, S.627</ref>
* Chemnitz/Zwickau = ca. 135 Fabriken
* Dresden = ca. 60 Fabriken
* Berlin = ca. 38 Fabriken
* Leipzig = ca. 19 Fabriken
* Köln = ca. 5 Fabriken
* Düsseldorf = ca. 5 Fabriken
* Nürnberg/Fürth = ca. 5 Fabriken

Es gab aber auch Gebiete, die von der industriellen Entwicklung weniger profitierten. So fiel das einst reiche Schlesien auf Grund seiner verkehrstechnisch relativ abgelegenen Lage zurück. Teile des [[Sauerland]]es und des [[Siegerland]]es mit ihren traditionsreichen Eisenproduktionen konnten sich nur schwer oder gar nicht gegen die Konkurrenz des nahen Ruhrgebiets behaupten. Umgekehrt wirkte sich etwa der bis 1847 ausgeführte Bau der [[Stammstrecke der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft]] und der südlich parallel laufenden Strecke der [[Bergisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft|Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft]] von 1862 für das entstehende Ruhrgebiet förderlich aus.

Am Ende der Epoche lassen sich vier Regionstypen unterscheiden. Die erste umfasst deutlich industrialisierte Gebiete wie das [[Königreich Sachsen]] (hier vornehmlich die Region um [[Chemnitz]], Glauchau und [[Zwickau]]), das Rheinland, [[Reichsland Elsaß-Lothringen|Elsass-Lothringen]], die [[Pfalz (Region)|Rheinpfalz]] und auch das [[Großherzogtum Hessen]]. Eine zweite Gruppe umfasst solche Regionen, in denen zwar einige Branchen oder Teilregionen als Vorreiter der Industrialisierung erscheinen, das Gesamtgebiet aber nicht als industrialisiert gelten kann. Dazu zählen [[Königreich Württemberg|Württemberg]], [[Baden (Land)|Baden]], Schlesien, Westfalen, und die preußischen Provinzen [[Provinz Sachsen|Sachsen]] und [[Hessen-Nassau]]. In einer dritten Gruppe finden sich Regionen, in denen es zwar frühindustrielle Ansätze in einigen Städten gab, die ansonsten aber eine vergleichsweise geringe gewerbliche Entwicklung aufwiesen. Dazu zählen das Königreich beziehungsweise die [[Provinz Hannover]], die Gebiete der thüringisch-sächsischen Fürstentümer im [[Thüringer Wald]] und in [[Südthüringen]] sowie das angrenzende [[Oberfranken|Ober-]] und [[Mittelfranken]]. Hinzu kommen Gebiete, die überwiegend landwirtschaftlich geprägt waren und deren Gewerbe meist handwerklich geprägt war. Dazu zählen etwa [[Ostpreußen|Ost-]] und [[Westpreußen]], [[Provinz Posen|Posen]], [[Pommern]] und [[Mecklenburg]].<ref>Siemann, Gesellschaft, S. 99 f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 627.</ref>


=== Leitbranchen ===
=== Leitbranchen ===


Der zentrale Wachstumsmotor für die Industrialisierung in Deutschland war der Eisenbahnbau. Die von diesem ausgehende Nachfrage Bergbau, Metallerzeugung und Maschinenbau die drei aufs engste miteinander verbundenen Leitbranchen.
Der zentrale Wachstumsmotor für die Industrialisierung in Deutschland war der Eisenbahnbau. Die von diesem ausgehende Nachfrage förderte die Entwicklungen in den drei aufs engste miteinander verbundenen Leitbranchen: dem Bergbau, der Metallerzeugung und dem Maschinenbau.
==== Eisenbahnbau ====


==== Eisenbahnbau ====
Im tertiären Sektor war die Eisenbahn der stärkste Wachstumsmotor und nahm auch insgesamt eine Schlüsselstellung ein. Das Eisenbahnzeitalter begann in Deutschland mit der sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth der [[Bayerische Ludwigsbahn|Ludwigsbahn-Gesellschaft]]. Die erste wirtschaftlich bedeutende Strecke war die auf massgebliche Initiative von [[Friedrich List]] gebaute 115 Kilometer lange Strecke zwischen Leipzig und Dresden (1837).
{{Hauptartikel|Geschichte der Eisenbahn in Deutschland}}
[[Bild:Eisenbahnkilometer1850ff.PNG|thumb|Streckenkilometer der Eisenbahnen im Gebiet des [[Deutscher Bund|Deutschen Bundes]] 1850-1873]]
Im sekundären Sektor war die Eisenbahn der stärkste Wachstumsmotor und nahm auch insgesamt eine Schlüsselstellung ein. Das Eisenbahnzeitalter begann in Deutschland mit der sechs Kilometer langen Strecke zwischen [[Nürnberg]] und [[Fürth]] der [[Ludwigseisenbahn]]-Gesellschaft. Die erste wirtschaftlich bedeutende Strecke war die auf maßgebliche Initiative von [[Friedrich List]] gebaute 115 Kilometer lange [[Bahnstrecke Leipzig–Dresden|Strecke Leipzig–Dresden]] (1837).
Der wachsende Transportbedarf führte zum Ausbau des Schienennetzes, dies wiederum verstärkte die Nachfrage nach Eisen und Kohle. Wie stark dieser Zusammenhang war, zeigt die Tatsache, dass zwischen 1850 und 1890 etwa die Hälfte der Eisenproduktion im Bereich der Eisenbahn verbraucht wurde. Mit der Ausweitung der inländischen Eisenproduktion seit den 1850er Jahren gewann auch der Eisenbahnbau neuen Schwung. Im Zuge des Ausbaus des Eisenbahnnetzes sanken kontinuierlich die Transportpreise, was sich wiederum förderlich für die Gesamtwirtschaft auswirkte. Für die Bedeutung der Eisenbahn im Rahmen der Gesamtwirtschaft spricht, dass zwischen 1850 und 1890 etwa 25% der Gesamtinvestitionen in diesen Bereich flossen. Die Investitionen in die Eisenbahnen waren lange Zeit höher als in den Bereich des produzierenden Gewerbes oder der Industrie.
[[Datei:Eisenbahnkilometer1850ff.PNG|mini|Streckenkilometer der Eisenbahnen im Gebiet des [[Deutscher Bund|Deutschen Bundes]] 1850–1873]]
Der wachsende Transportbedarf führte zum Ausbau des Schienennetzes, dies wiederum erhöhte die Nachfrage nach Eisen und Kohle. Wie stark dieser Zusammenhang war, zeigt die Tatsache, dass zwischen 1850 und 1890 etwa die Hälfte der Eisenproduktion im Bereich der Eisenbahn verbraucht wurde. Mit der Ausweitung der inländischen Eisenproduktion seit den 1850er-Jahren gewann auch der Eisenbahnbau neuen Schwung. Im Zuge des Ausbaus des Eisenbahnnetzes sanken kontinuierlich die Transportpreise, was sich wiederum förderlich für die Gesamtwirtschaft auswirkte. Für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn spricht, dass zwischen 1850 und 1890 etwa 25 % der Gesamtinvestitionen in diesen Bereich flossen. Die Investitionen in die Eisenbahnen waren lange Zeit höher als in den Bereich des produzierenden Gewerbes oder der Industrie.


In den 1840er Jahren erlebte der Eisenbahnbau einen ersten Höhepunkt. Im Jahr 1840 gab es etwa 580 Kilometer, um 1850 bereits über 7000 Kilometer und 1870 fast 25.000 Streckenkilometer. Gleichzeitig waren beim Bau der Eisenbahnen und beim Betrieb bereits über 42.000 Personen beschäftigt, das war mehr als im Steinkohlebergbau. Diese Zahl wuchs in den nächsten Jahren weiter an und betrug 1846 immerhin fast 180.000 Arbeitskräfte. Nur ein kleiner Teil von etwa 26.000 waren ständig im Betrieb beschäftigt, die übrigen waren beim Bau der Strecken beschäftigt.<ref>Kellenbenz, Verkehrs- und Nachrrichtenwesen, S.370-373, Wehler, Bd.3, S.67-74.</ref>
In den 1840er-Jahren erlebte der Eisenbahnbau eine erste Hochphase. Im Jahr 1840 gab es etwa 580 Kilometer, um 1850 bereits über 7000 Kilometer und 1870 fast 25.000 Streckenkilometer. Auch waren 1840 beim Bau der Eisenbahnen und beim Betrieb über 42.000 Personen beschäftigt, das waren mehr als im Steinkohlebergbau. Diese Zahl wuchs in den nächsten Jahren weiter an und betrug 1846 fast 180.000 Arbeitskräfte. Nur ein kleiner Teil von etwa 26.000 Arbeitern war ständig im Betrieb beschäftigt, die übrigen waren beim Bau der Strecken tätig.<ref>[[Rainer Fremdling]]: ''Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840–1879.'' Dortmund 1975; Kellenbenz, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, S. 370–373, Wehler, Bd. 3, S. 67–74.</ref>


==== Metallverarbeitung ====
==== Metallverarbeitung ====
[[Datei:Maschinenbau-Anstalt Borsig, Berlin Chausseestraße, 1847, Karl Eduard Biermann.jpg|mini|[[Borsig (Unternehmen)|Lokomotivfabrik von August Borsig]] (um 1847)]]
Um 1800 wurden in Deutschland die ersten dampfbetriebenen Maschinen gebaut und eingesetzt. Im Jahr 1807 bauten die Brüder [[Franz Dinnendahl|Franz]] und [[Johann Dinnendahl]] in [[Essen]] erste [[Dampfmaschine]]n. Diese dienten in erster Linie zum Abpumpen von Wasser in Zechen des Ruhrgebiets. [[Friedrich Harkort]] gründete 1817 in [[Wetter (Ruhr)|Wetter]] seine [[Mechanische Werkstätten Harkort & Co.|Mechanische Werkstätte]]. Im Aachener Raum gab es 1836 neun Maschinenbaubetriebe mit zusammen tausend Arbeitern. In ganz Preußen gab es 1832 210 Dampfmaschinen. Im [[Königreich Hannover]] wurde 1831 die erste in Gang gesetzt.


Mit dem Beginn des [[Geschichte der Eisenbahn in Deutschland|Eisenbahnzeitalters]] 1835 wuchs die Nachfrage nach Schienen und Lokomotiven. Seit den 1830er Jahren wuchs die Zahl der Hersteller von Dampfmaschinen und Lokomotiven. Dazu zählten die [[Maschinenfabrik Esslingen]], die [[Sächsische Maschinenfabrik]] in [[Chemnitz]], [[August Borsig]] in [[Berlin]], in [[Breslau]] [[Kemna (Unternehmen)|J.&nbsp;Kemna]], die [[Union Gießerei Königsberg]], die später so genannte Firma [[Hanomag]] in [[Hannover]], [[Henschel-Werke|Henschel]] in [[Kassel]], in [[Karlsruhe]] [[Emil Keßler|Emil Kessler]], in [[München]] [[Lokomotiven- und Maschinenfabrik J.A. Maffei|J.A. Maffei]] sowie die [[Eisengießerei Klett & Comp.|Eisengießerei und Maschinenfabrik Klett & Comp.]] in [[Nürnberg]]. An der Spitze stand unbestritten die [[Borsig (Unternehmen)|Firma Borsig]], die 1841 ihre erste und bereits 1858 die tausendste Lokomotive herstellte und mit 1100 Beschäftigten zur drittgrößten Lokomotivfabrik der Welt aufstieg. Deren Aufstieg wiederum vergrößerte den Bedarf an Produkten der Montanindustrie.
Bereits um die Jahrhundertwende wurden in Deutschland die ersten dampfbetriebenen Maschinen gebaut und eingesetzt. Im Jahr 1807 bauten die Brüder [[Franz Dinnendahl|Franz]] und [[Johann Dinnendahl|Dinnendahl]] in [[Essen]] erste [[Dampfmaschine|Dampfmaschinen]]. Diese dienten in erster Linie zur Abpumpen von Wasser in den Zechen des Ruhrgebiets. [[Friedrich Harkort]] hatte 1817 in [[Wetter (Ruhr)|Wetter]] seine „Mechanische Werkstatt“ gegründet. Im Aachener Raum gab es 1836 bereits neun Maschinenbaubetriebe mit zusammen tausend Arbeitern. Allerdings blieb die Zahl der Dampfmaschinen zunächst noch begrenzt. In ganz Preußen gab es 1832 erst 210 Dampfmaschinen. Im [[Königreich Hannover]] wurde 1831 erst die erste in Gang gesetzt.


Im Bereich der [[Metallverarbeitung]] hatte der [[Maschinenbau]] als modernster und wachstumsintensivster Bereich eine Leitfunktion. Neben einigen Großbetrieben gab es in diesem Bereich zahlreiche kleinere und mittlere Unternehmen, nicht selten in Familienbesitz. Hauptstandorte waren [[Chemnitz]] und [[Zwickau]], weiterhin Berlin, Dresden, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim und Nürnberg. [[Johann von Zimmermann]] gründete im Jahr 1848 in Chemnitz die erste Werkzeugmaschinenfabrik Deutschlands. Daneben zogen die Auftraggeber etwa in der Schwer- oder Textilindustrie Betriebe dieser Art an. Der Maschinenbau in Deutschland profitierte von der Gründung verschiedener [[Berufsschule|Gewerbeschulen]], die teilweise später zu [[Technische Hochschule|technischen Hochschulen]] wurden. Während man in England im Bereich des Maschinenbaus neue Produkte noch aufgrund [[Empirie|empirischer Erfahrungen]] entwickelte, setzte sich in Deutschland bereits die ingenieurmäßige Berechnung durch. Hatte man in den 1860er Jahren vor allem Dampfmaschinen produziert, verteilten sich die Produktionsschwerpunkte 1871 etwa gleichmäßig auf Textilmaschinen, Dampfmaschinen und Landmaschinen. 1846 hatte es im Gebiet des Zollvereins erst 1518 Dampfmaschinen gegeben, 1861 waren es 8695 Stück. Allein in Preußen gab es 1873 25.000 Anlagen.<ref>[[Hermann Kellenbenz]], ''Verkehrs- und Nachrichtenwesen'', S. 370–373, Siemann, Gesellschaft, S. 108–111, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 2, S. 77, S. 81, S. 614, S. 628, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 68, vergl. [[Rainer Fremdling]]: ''Modernisierung und Wachstum der Schwerindustrie in Deutschland 1830–1860''. In: Geschichte und Gesellschaft, 5. Jg. 1979, S. 201–227.</ref>
Mit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters in der Mitte der 1830er Jahre wuchs die Nachfrage nach Schienen und Lokomotiven. Seit den 1830er Jahren vermehrte sich daher die Zahl der Hersteller von Dampfmaschinen und Lokomotiven. Dazu zählte die [[Maschinenfabrik Esslingen]], die [[Sächsische Maschinenfabrik]] in [[Chemnitz]], [[August Borsig]] in [[Berlin]], in [[München]] [[Joseph Anton von Maffei|Josef Anton Maffei]], die später so genannte Firma [[Hanomag]] in [[Hannover]], [[Henschel-Werke|Henschel]] in [[Kassel]] und in [[Karlsruhe]] [[Emil Kessler]]. An der Spitze stand unbestritten die Firma Borsig, die 1841 ihre erste und 1858 bereits die tausendste Lokomotive herstellte und mit 1100 Beschäftigten zur drittgrößten Lokomotivfabrik der Welt aufstieg. Deren Aufstieg wiederum vergrößerte den Bedarf an Produkten der Montanindustrie.
[[Bild:Borsig 1847.jpg|thumb|Lokomotivfabrik von August Borsig (um 1847)]]
Im Bereich der Metallverarbeitung besaß der Maschinenbau als modernster und wachstumsintensivster Bereich eine Leitfunktion. Neben einigen Großbetrieben gab es in diesem Bereich zahlreiche kleinere und mittlere Unternehmen nicht selten in Familienbesitz. Hauptstandorte waren Chemnitz, Berlin, Hannover, Leipzig Mannheim und Köln. Daneben zogen die Auftraggeber etwa in der Schwer- oder Textilindustrie Betriebe dieser Art an. Der Maschinenbau in Deutschland profitierte von der Gründung verschiedener [[Gewerbeschule|Gewerbeschulen]], die teilweise später zu [[technische Hochschule|technischen Hochschulen]] wurden. Während man in England im Bereich des Maschinenbaus neue Produkte noch aufgrund empirischer Erfahrungen entwickelte, setzte sich in Deutschland bereits die ingenieurmäßige Berechnung durch. Hatte man in den 1860er Jahren vor allem Dampfmaschinen produziert, verteilten sich die Produktionsschwerpunkte 1871 etwa gleichmäßig auf Textilmaschinen, Dampfmaschinen und Landmaschinen. Hatte es im Gebiet des Zollvereins 1846 erst 1518 Dampfmaschinen gegeben, waren es 1861 bereits 8695 Stück. Allein in Preußen gab es 1873 25.000 Anlagen. <ref>Kellenbenz, Verkehrs- und Nachrrichtenwesen, S.370-373, Siemann, Gesellschaft, S.108-111, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.77, S.81, S.614, S.628, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S.68, vergl. Rainer Fremdling: Modernisierung und Wachstum der Schwerindustrie in Deutschland 1830-1860. In: Geschichte und Gesellschaft 5.Jg. 1979 S.201-227.</ref>


==== Bergbau ====
==== Bergbau ====


Der Abbau von Erzen oder Kohle unterlag bis ins 19. Jahrhundert hinein dem fürstlichen [[Bergregal]]. Im [[Saarland|Saargebiet]] übernahm der preußische Staat die Kohlegruben bis auf eine Ausnahme in Staatsbesitz. In den preußischen Westgebieten wurde seit 1766 das sogenannte Direktionalprinzip eingeführt. Seit der Gründung der Provinzen Rheinland und Westfalen wurde seit 1815 der Oberbergamtbezirk Dortmund geschaffen, dieser reichte von [[Emmerich]] im Westen bis [[Minden]] im Osten, von [[Ibbenbüren]] im Norden bis [[Lüdenscheid]] im Süden. Die Bergbehörden regulierten Abbau, Arbeitsbedingungen und Bezahlung der „Bergknappen.“ Dies bedeutete einen beachtlichen Schutz der Beschäftigten, schränkte aber auch die unternehmerischen Entscheidungen ein. Obwohl sich die Förderung zwischen 1790 und 1815 von 177.000 auf 513.000 Tonnen erheblich steigerte, blieb die wirtschaftliche Bedeutung doch noch recht bescheiden. So waren 1815 etwa erst 3400 Bergknappen beschäftigt. Durch den Einsatz von Dampfmaschinen zur Entwässerung konnten der Abbau in größeren Tiefen erfolgen. Entscheident war allerdings die Möglichkeit mit den sogenannten [[Tiefbauzeche|Tiefbauzechen]] eine Mergelschicht zu durchbrechen. Als einer der ersten Unternehmer ließ [[Franz Haniel]] (Miteigentümer der [[Gutehoffnungshütte]]) seit 1830 bei [[Essen]] solche Zechen anlegen. In den folgenden Jahren nahm die Zahl der Tiefbauzechen auf 48 mit 95 Dampfmaschinen (1845) zu.
Der Abbau von Erzen oder Kohle unterlag bis ins 19. Jahrhundert hinein dem fürstlichen [[Bergregal]]. Im [[Saarland|Saargebiet]] übernahm der preußische Staat die Kohlegruben bis auf eine Ausnahme in Staatsbesitz. In den preußischen Westgebieten wurde seit 1766 das sogenannte [[Direktionsprinzip]] eingeführt. Durch die [[Ruhrschifffahrt|Schiffbarmachung der Ruhr]] in der Endphase der Regierungszeit von [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich&nbsp;II.]] wurde der Kohlenexport deutlich erleichtert. Nach der Gründung der Provinzen Rheinland und Westfalen wurde 1815 der Oberbergamtsbezirk Dortmund geschaffen. Dieser reichte von [[Emmerich am Rhein|Emmerich]] im Westen bis [[Minden]] im Osten, von [[Ibbenbüren]] im Norden bis [[Lüdenscheid]] im Süden. Die Bergbehörde regulierte Abbau, Arbeitsbedingungen und Bezahlung der „Bergknappen.“ Dies bedeutete einen beachtlichen Schutz der Beschäftigten, schränkte aber auch die unternehmerischen Entscheidungen ein. Obwohl sich die Förderung zwischen 1790 und 1815 von 177.000 auf 513.000 Tonnen erheblich steigerte, blieb die wirtschaftliche Bedeutung doch noch recht bescheiden. So waren 1815 etwa erst 3400 Bergknappen beschäftigt. Ein Beispiel für die Möglichkeit, trotz der obrigkeitlichen Aufsicht im Bergbau erfolgreich zu sein, war etwa [[Mathias Stinnes]] aus der Hafenstadt [[Mülheim an der Ruhr|Mülheim]]. Dieser baute ab 1818 systematisch ein Kohletransportunternehmen mit Abnehmern im Rheinland und Holland auf. Stinnes verfügte bald über zahlreiche Frachtkähne und setzte als einer der ersten auch dampfbetriebene Schleppschiffe ein. Mit dem Gewinn kaufte er [[Kuxe|Anteile von Bergbauunternehmen]]. In seinem Todesjahr war er mit vier eigenen Zechen und Anteilen an 36 weiteren Gruben der wichtigste Bergbauunternehmer des Reviers.


Durch den Einsatz von Dampfmaschinen zur Entwässerung konnte der Abbau in größeren Tiefen erfolgen. Entscheidend war allerdings die Möglichkeit, mit den sogenannten [[Tiefbau (Bergbau)|Tiefbauzechen]] die [[Mergel]]schicht zu durchbrechen. Als einer der ersten Unternehmer ließ [[Franz Haniel]] (Miteigentümer der [[Gutehoffnungshütte]]) seit 1830 bei [[Essen]] solche Zechen anlegen. In den folgenden Jahren nahm die Zahl der Tiefbauzechen auf 48 mit 95 Dampfmaschinen (1845) zu. Bis 1840 stieg die Fördermenge im Oberbergamtsbezirk auf 1,2 Millionen Tonnen und die Beschäftigtenzahl auf immerhin fast 9000 Mann an. Auch in anderen Revieren wurde die Kohleförderung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verstärkt. Dazu zählte etwa das [[Aachener Revier]] im Bergamt [[Düren]]. In dieser Region gab es 1836 immerhin 36 Zechen.
Bis 1840 stieg die Fördermenge im Oberbergamtsbezirk auf 1,2 Millionen Tonnen und einer Beschäftigtenzahl von immerhin fast 9000 Mann an. Durch die Schiffbarmachung der Ruhr in der Endphase der Regierungszeit von [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich II.]] wurde der Kohlenexport deutlich erleichtert. Ein Beispiel für die Möglichkeit trotz der obrigkeitlichen Aufsicht im Bergbau erfolgreich zu sein war etwa [[Mathias Stinnes]] aus der Hafenstadt [[Mülheim an der Ruhr|Mülheim]]. Dieser baute ab 1818 systematisch ein Kohletransportunternehmen mit Abnehmern im Rheinland und Holland auf. Stinnes verfügte bald über zahlreiche Frachtkähne und setzte als einer der ersten auch dampfbetriebene Schleppschiffe ein. Mit dem Gewinn kaufte er Anteil von Bergbauunternehmen. In seinem Todesjahr war er mit vier eigenen Zechen und Anteilen an 36 weiteren Gruben der wichtigste Bergbauunternehmer des Reviers.
[[Datei:Kohle1817ff.PNG|mini|Steinkohleförderung in Preußen 1817–1870 (in 1000&nbsp;t)]]
Vor allem die durch den Eisenbahnbau ausgelöste Nachfrage nach Eisenprodukten wirkte sich seit den 1840er-Jahren förderlich auf den Bergbau aus. Hinzu kamen Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehörte insbesondere seit 1851 die allmähliche Aufgabe der obrigkeitlichen Kontrolle des Bergbaus. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung freilich erst mit der preußischen [[Berggesetz|Bergrechtsreform]] von 1861. Dies war eine der Ursachen für den Aufschwung des privatwirtschaftlichen Bergbaus an der Ruhr oder in Schlesien. Viele deutsche Staaten griffen auf das preußische Bergrecht von 1865 zurück. Das Königreich Sachsen (mit seiner bedeutenden Bergbautradition) verkündete 1868 ein eigenständiges Bergrecht.


Die Bergrechtsänderungen erleichterten nicht zuletzt die Durchsetzung der modernen [[Aktiengesellschaft]] als Unternehmensform auch im Bergbau. Der Ire [[William Thomas Mulvany]] schuf 1854 die [[Hibernia AG]] und 1856 gründeten verschiedene Aktionäre die [[Harpener Bergbau AG]]. Beide stiegen in den folgenden Jahrzehnten zu führenden Bergbauunternehmen des Reviers auf. In den 1850er-Jahren wurden im Ruhrgebiet zahlreiche neue Zechen angelegt. Im Jahr 1860 erreichte ihre Zahl mit 277 Unternehmen ihren Höhepunkt. Damit verbunden war ein erheblicher Zuwachs der Fördermengen. In den Folgejahren ging die Zahl der Zechen zurück, die Förderkapazitäten wurden durch die Fusion kleinerer Zechen zu größeren Einheiten dagegen weiter gesteigert. Am erfolgreichsten war am Ende der industriellen Revolution [[Friedrich Grillo]] 1873 mit seiner [[Gelsenkirchener Bergwerks-AG|Gelsenkirchener Bergwerks AG]].<ref>Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk, S. 544–548, Siemann, Gesellschaft, S. 105 f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 73–82, S. 626.</ref>
Auch in anderen Revieren wurde die Kohleförderung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verstärkt. Dazu zählte etwa das [[Aachener Revier]] im Bergamt [[Düren]]. In dieser Region gab 1836 immerhin 36 Zechen.
[[Bild:Kohle1817ff.PNG|thumb|Steinkohleförderung in Preußen 1817-1870 (in 1000 t)]]
Vor allem die durch den Eisenbahnbau ausgelöste Nachfrage nach Eisenprodukten wirkte sich seit den 1840er Jahren auch förderlich auf den Bergbau aus. Hinzu kamen Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Förderlich für die unternehmerische Initiative war auch, dass in Preußen die obrigkeitliche Kontrolle des Bergbaus ab 1851 aufgegeben. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung freilich erst mit der preußischen [[Berggesetz|Bergrechtsreform]] von 1861. Dies war eine der Ursachen für den Aufschwung des privatwirtschaftlichen Bergbaus an der Ruhr oder in Schlesien.

Im Bereich des Bergbaus setzte sich in dieser Zeit die moderne Aktiengesellschaft als Unternehmensform durch. Der Ire [[William Thomas Mulvany]] begründete 1854 die [[Hibernia AG]], im Jahr 1856 gründeten verschiedene Aktionäre die [[Harpener Bergbau AG]]. In den 1850er Jahren wurden im Ruhrgebiet zahlreiche neue Zechen angelegt. Im Jahr 1860 erreichte ihre Zahl mit 277 Unternehmen ihren Höhepunkt. Damit verbunden war ein erheblicher Zuwachs der Fördermengen. In den Folgejahren ging die Zahl der Zechen zurück, ohne dass dadurch die Kapazitäten zurückgegangen waren. Vielmehr wurden verschiedene Zechen zu größeren Einheiten fusioniert. Am erfolgreichsten war am Ende der industriellen Revolution [[Friedrich Grillo]] 1873 mit seiner [[Gelsenkirchener Bergwerks-AG|Gelsenkirchener Bergwerks AG]]. <ref> Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk, S.544-548, Siemann, Gesellschaft, S.105f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd,2, S.73-82, S.626</ref>


==== Eisen- und Stahlproduktion ====
==== Eisen- und Stahlproduktion ====
[[Bild:Krupp-Werke in Essen 1864.jpeg|thumb|Krupp-Werk Essen um 1864]]
Auch die Anfänge einer Reihe von später führenden schwerindustriellen Unternehmen fallen in die Zeit der Frühindustrialisierung. An der Saar spielte die [[Carl Ferdinand von Stumm-Halberg]] und seine Familie in der Schwerindustrie die führende Rolle, vor allem als sie seit 1827 den Konkurrenten [[Dillinger Hütte]] kontrollierte. In [[Sterkrade]] bei [[Oberhausen]] gründeten 1810 verschiedene Unternehmen die [[Gutehoffnungshütte]]. Hatte das Unternehmen um 1830 herum erst 340 Arbeiter waren es Anfang der 1840er Jahre bereits etwa 2000. [[Friedrich Krupp]] hatte 1811 in Essen die Gußstahlproduktion aufgenommen, hinterließ seinem Sohn [[Alfred Krupp|Alfred]] 1826 allerdings eine hochverschuldete Firma. Die Lage des Unternehmens blieb problematisch, bis in den 1840er Jahren der Eisenbahnbau die Nachfrage ankurbelte.


Auch die Anfänge einer Reihe von später führenden schwerindustriellen Unternehmen fallen in die Zeit der Frühindustrialisierung. An der Saar spielten [[Carl Ferdinand von Stumm-Halberg]] und seine Familie in der Schwerindustrie die führende Rolle, vor allem als sie seit 1827 den Konkurrenten [[Geschichte der Dillinger Hütte|Dillinger Hütte]] kontrollierte. In [[Sterkrade]] bei [[Oberhausen]] gründeten 1810 verschiedene Unternehmen die [[Gutehoffnungshütte]]. Hatte das Unternehmen um 1830 herum erst 340 Arbeiter, waren es Anfang der 1840er-Jahre bereits etwa 2000. [[Friedrich Krupp]] hatte 1811 in Essen die Gussstahlproduktion aufgenommen, hinterließ seinem Sohn [[Alfred Krupp|Alfred]] 1826 allerdings eine hochverschuldete Firma. Die Lage des Unternehmens blieb problematisch, bis in den 1840er-Jahren der Eisenbahnbau die Nachfrage ankurbelte.
Eine wichtige technische Innovation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die Errichtung von [[Puddelverfahren|Puddelwerken]], die unter Einsatz von Holzkohle wesentlich produktiver und kostengünstiger waren als die alten Hütten auf Holzkohlebasis. 1824 wurde das Verfahren bei einer Hütte in [[Neuwied]] eingeführt, 1825 folgte bei Düren die [[Lendersdorf|Lendersdorfer]] Hütte von [[Eberhard Hoesch]], ein Jahr später folgte Harkorts Werk. In den folgenden beiden Jahrzehnten folgten weitere Umbauten oder Neugründungen. Teilweise wie etwa im Fall der [[Hüstener Gewerkschaft]] wurden weitere Betriebsabteilungen wie Walzwerke, Drahtziehereien oder Maschinenbauabteilungen gegründet. Der Ausbau der Eisenbahn ließ den Badarf an Eisen und Schienen und sonstigen montanindustriellen Produkten innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schnellen.
[[Datei:Krupp-Werke in Essen 1864.jpeg|mini|Krupp-Werk Essen um 1864]]
[[Bild:Eisen1800ff.PNG|thumb|Eisen- und Stahlproduktion in Preußen 1800-1870 (in 1000 t)]]
Eine wichtige technische Innovation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die Errichtung von [[Puddelverfahren|Puddelwerken]], die unter Einsatz von Steinkohle wesentlich produktiver und kostengünstiger waren als die alten Hütten auf Holzkohlebasis. 1824 wurde das Verfahren bei einer Hütte in [[Neuwied]] eingeführt, 1825 folgte bei Düren die [[Lendersdorf]]er Hütte von [[Eberhard Hoesch (Industrieller, 1827)|Eberhard Hoesch]], ein Jahr später folgte Harkorts Werk. Die in den folgenden beiden Jahrzehnten erfolgten Umbauten und Neugründungen führten – wie etwa im Fall der [[Hüstener Gewerkschaft]] – zu weiteren Betriebsabteilungen wie Walzwerken, Drahtziehereien und Maschinenbauabteilungen. Der Ausbau der Eisenbahn ließ den Bedarf an Eisen und Schienen und sonstigen montanindustriellen Produkten innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schnellen.
Innerhalb der Metallerzeugung sorgten technische Innovationen für einen erheblichen Produktionsfortschritt, wie die erwähnte Erzeugung von Eisen mit Koks statt wie bisher mit der teuren Holzkohle. Wurden 1850 erst 25% des Eisens mit Koks hergestellt, waren es nur drei Jahre später bereits 63%! In den 1860er Jahren setzte sich in der Stahlerzeugung das Bessemerverfahren durch. Dadurch konnte auf industriellem Wege aus flüssigen Roheisen Stahl hergestellt werden.


Innerhalb der Metallerzeugung sorgten technische Innovationen für einen erheblichen Produktionsfortschritt, wie die erwähnte Erzeugung von Eisen mit [[Koks]]kohle statt wie bisher mit der teuren [[Holzkohle]]. Wurden 1850 erst 25 % des Eisens mit Koks hergestellt, waren es nur drei Jahre später 63 %. In den 1860er-Jahren setzte sich in der Stahlerzeugung das [[Bessemerbirne|Bessemerverfahren]] durch. Dadurch konnte auf industriellem Wege aus flüssigem Roheisen Stahl hergestellt werden.
Insgesamt waren um 1850 zu Beginn der eigentlichen industriellen Revolution im Gebiet des deutschen Bundes erst 13500 Arbeiter im Bereich der Roheisenerzeugung beschäftigt und ihre Produktionsmenge lag bei rund 214.000 Tonnen. In den folgenden zehn Jahren wuchs die Produktion um 150%, in den sechziger Jahren noch einmal um 160% und auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution von 1870 bis 1873 um 350%. In dieser Zeit waren die Arbeiterzahlen lediglich um 100% gewachsen. Die Gründe lagen in der technischen Verbesserung der Produktion (Koksöfen) aber auch der Entstehung einer erfahrenen Facharbeiterschaft. Die technisch aufwendigere Stahlproduktion expandierte noch stärker und hatte bereits 1850 die Eisenherstellung fast eingeholt. Zu diesem Zeitpunkt wurden etwa 200.000 Tonnen mit etwa 20.000 Arbeitern produziert. Im Jahr 1873 lag die Produktion bei 1,6 Millionen Tonnen bei 79.000 Beschäftigten. <ref>Siemann, S.106f., Wehler, Bd2, S.76f-78, 82f., Wehler, Bd.3, S.75-77, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S.72 </ref>
[[Datei:Eisen1800ff.PNG|mini|Eisen- und Stahlproduktion in Preußen 1800–1870 (in 1000&nbsp;t)]]
Insgesamt waren um 1850 zu Beginn der eigentlichen industriellen Revolution im Gebiet des deutschen Bundes erst 13500 Arbeiter im Bereich der Roheisenerzeugung beschäftigt und ihre Produktionsmenge lag bei rund 214.000 Tonnen. In den folgenden zehn Jahren wuchs die Produktion um 150 %, in den Sechzigerjahren noch einmal um 160 % und auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution von 1870 bis 1873 um 350 %. In dieser Zeit waren die Arbeiterzahlen lediglich um 100 % gewachsen. Die Gründe lagen in der technischen Verbesserung der Produktion, aber auch in der Entstehung einer erfahrenen Facharbeiterschaft. Die technisch aufwendigere Stahlproduktion expandierte noch stärker und hatte 1850 die Eisenherstellung fast eingeholt. Zu diesem Zeitpunkt wurden etwa 200.000 Tonnen mit etwa 20.000 Arbeitern produziert. Im Jahr 1873 lag die Produktion bei 1,6 Millionen Tonnen bei 79.000 Beschäftigten.<ref>Siemann, S. 106 f., Wehler, Bd. 2, S. 76–78, 82 f., Wehler, Bd. 3, S. 75–77, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 72.</ref>


=== Konzernbildung ===
=== Konzernbildung ===


Waren die schwerindustriellen Unternehmen zu Beginn der industriellen Revolution nicht selten noch Kleinbetriebe wuchsen sie im Laufe dieser Periode teilweise zu Riesenbetrieben an. Bei Krupp arbeiteten 1835 67 Personen, 1871 waren es bereits 9000 und 1873 knapp 12.000 Arbeitskräfte. Gleichzeitig setzten sich die Aktiengesellschaften von Ausnahmen wie Krupp oder einigen oberschlesischen Familienbetrieben als dominante Unternehmensform durch.
Waren die schwerindustriellen Unternehmen zu Beginn der industriellen Revolution nicht selten noch Kleinbetriebe, wuchsen sie im Laufe dieser Periode teilweise zu Riesenbetrieben an. Bei Krupp arbeiteten 1835 67 Personen, 1871 waren es 9000 und 1873 knapp 13.000 Arbeitskräfte. Gleichzeitig setzten sich die Aktiengesellschaften von Ausnahmen wie Krupp oder einigen oberschlesischen Familienbetrieben abgesehen – als dominante Unternehmensform durch.


Ausserdem entstanden insbesondere in der Schwerindustrie bereits in dieser Phase vertikal und horizontal verbundene [[Konzern|Konzerne]]. Dabei wurden beispielsweise Bergwerke, die Eisenherstellung und Stahlproduktion, Walzwerke und Maschinenbaubetriebe vereint. In diese Richtung entwickelte sich etwa die Gutehoffnungshütte in [[Oberhausen]], der [[Bochumer Verein]], die Firmen [[Hoesch]] und [[Thyssen]], der [[Hörder Bergwerks- und Hütten-Verein|Hoerder Verein]] aber auch Familienunternehmen wie die der Henckel von Donnersmarck in Oberschlesien. Während die meisten Unternehmen sich erst allmählich in diese Richtung entwickelten, wurde die [[Dortmunder Union]] 1872 gleich als diverzifizierter Unternehmensverband gegründet. Dasselbe gilt für die Gelsenkirchner Bergwerks AG (1873). Beide Projekte wurden massgeblich von [[Friedrich Grillo]] vorangetrieben und durch die von [[Adolph von Hansemann]] geleitete [[Disconto-Gesellschaft]] finanziert. <ref>Wehler, Bd.3, S.85-87</ref>
Außerdem entstanden insbesondere in der Schwerindustrie in dieser Phase vertikal und horizontal verbundene [[Konzern]]e. Dabei wurden beispielsweise Bergwerke, die Eisenherstellung und Stahlproduktion, Walzwerke und Maschinenbaubetriebe vereint. In diese Richtung entwickelten sich etwa die Gutehoffnungshütte in [[Oberhausen]], der [[Bochumer Verein]], die Firmen [[Hoesch AG|Hoesch]] und [[ThyssenKrupp|Thyssen]], der [[Hörder Bergwerks- und Hütten-Verein|Hoerder Verein]] aber auch Familienunternehmen wie die der [[Hugo Henckel von Donnersmarck|Henckel von Donnersmarck]] in Oberschlesien. Während die meisten Unternehmen sich erst allmählich in diese Richtung entwickelten, wurde die [[Union, AG für Bergbau, Eisen- und Stahl-Industrie|Dortmunder Union]] 1872 gleich als diversifizierter Unternehmensverband gegründet. Dasselbe gilt für die Gelsenkirchener Bergwerks AG (1873). Beide Projekte wurden maßgeblich von [[Friedrich Grillo]] vorangetrieben und durch die von [[Adolph von Hansemann]] geleitete [[Disconto-Gesellschaft]] finanziert.<ref>Wehler, Bd. 3, S. 85–87.</ref>

=== Industriefinanzierung und Bankwesen ===
[[Datei:DavidHansemann1848.jpg|mini|hochkant=.8|[[David Hansemann]] beschäftigte sich im Vormärz mit der Finanzierung des Eisenbahnbaus und war in den 1850er-Jahren der Gründer der [[Disconto-Gesellschaft]] ([[Lithografie|Lithographie]] von 1848)]]
Nicht selten beruhte die Finanzierung der ersten industriellen Unternehmen auf Eigenkapital oder dem Geld der Familien. Auf längere Sicht war zur Gründung und Weiterentwicklung von Unternehmen die Bereitstellung des benötigten Kapitals durch Banken notwendig. In den ersten Jahrzehnten waren dies überwiegend Privatbankiers. Daneben begann bereits vor 1870 die Entwicklung von Aktienbanken und des für die spätere Entwicklung in Deutschland typischen Systems der Universalbanken. Insbesondere bei der Finanzierung des gewinnträchtigen Eisenbahnbaus spielten die Privatbanken anfangs eine zentrale Rolle. Sie waren Ausgabestellen für die entsprechenden Aktien und die Leiter der Banken saßen vielfach in den Leitungsgremien oder Aufsichtsräten der Eisenbahngesellschaften. Besonders gut dokumentiert ist die Rolle der Privatbanken bei der [[Rheinische Eisenbahngesellschaft|Rheinischen Eisenbahngesellschaft]]. Die zu Beginn führende Kraft war [[Ludolf Camphausen]]. Hinzu kamen aus dem [[Kölner Bankwesen]] [[A. Schaaffhausen’scher Bankverein|A.&nbsp;Schaaffhausen]], [[Abraham Oppenheim]] sowie eine Gruppe aus Aachen um [[David Hansemann]]. Später wurde Oppenheim der Hauptanteilseigner. Von Bedeutung war das Eisenbahngeschäft auch als Brücke zur Investition in Bergbau und Schwerindustrie. Allerdings war die Finanzierung der Eisenbahnen auch sehr risikobehaftet. Daher entstanden in den Kreisen der westdeutschen Privatbankiers schon in den 1840er-Jahren Pläne für die Gründung von Aktienbanken, die allerdings an der preußischen Staatsbürokratie scheiterten. Als Reaktion auf die akute Krise der Schaafhausenschen Bank wurde 1848 als Gläubigerunternehmen der A. Schaaffhausen’sche Bankverein als erste Aktienbank gegründet. Es folgte 1853 die auch Darmstädter Bank genannte [[Darmstädter Bank für Handel und Industrie]], an der sich unter anderem [[Gustav Mevissen]] beteiligte, 1856 die zur Aktiengesellschaft umgewandelte [[Disconto-Gesellschaft]] von David Hansemann und im gleichen Jahr die [[Berliner Handels-Gesellschaft]]. Diese Aktiengesellschaften konzentrierten sich auf die Finanzierung industrieller und anderer Unternehmungen mit einem hohen Kapitalbedarf. In der Folge kam es, anders als etwa in Großbritannien, zu einer Arbeitsteilung. Die Ausgabe von Banknoten blieb in den Händen (halb-)staatlicher Einrichtungen. Dabei spielte bald die [[Preußische Bank]] eine zentrale Rolle. Dagegen konzentrierten sich Privat- und Aktienbanken auf die Gründungs- und Emissionsaktivitäten industrieller Aktiengesellschaften.<ref>Tilly, S. 59–66.</ref>


== Wirtschaftliche Wechsellagen ==
== Wirtschaftliche Wechsellagen ==
Bezogen auf die Wirtschaft in diesem Zeitraum insgesamt waren die Wachstumsraten nicht überdurchschnittlich. Die durchschnittliche Steigerung des Nettosozialprodukts pro Jahr lag zwischen 1850 und 1857 bei 2,36 % und stieg in der Zeit von 1863 bis 1871 auf etwa 3,31 % an.<ref>Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 3, S. 83.</ref>
Ein anderes Bild ergibt sich bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Wirtschaftssektoren. Das mit Abstand größte Wachstum wies der industrielle Bereich auf. Diese Entwicklung war das eigentlich Neue. Innerhalb der Industrie dominierte zunächst die Konsumgüterproduktion, insbesondere die [[Textilindustrie]]. Die Konjunkturentwicklung im industriellen Bereich war damit noch stark von der Reallohnentwicklung abhängig. Dies änderte sich nach 1840 deutlich, als Eisenbahnen und Schwerindustrie zu industriellen Führungssektoren aufstiegen. Die industrielle konjunkturelle Entwicklung folgte nun primär den eigenen Gewinnerwartungen.<ref>Tilly, S. 29.</ref>


Betrachtet man die Wirtschaft in diesem Zeitraum insgesamt waren die Wachstumsraten nicht sehr beeindruckend. Anders sieht die Sache aus, wenn man die verschiedenen Wirtschaftsektoren getrennt betrachtet. Das mit Abstand größte Wachstum wies der industrielle Bereich auf. Es war diese Entwicklung, die für die Zeitgenossen das eigentlich neue darstellte. Allerdings war der sekundäre Sektor noch nicht stark genug um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu dominieren. Erst gegen Ende der industriellen Revolution um 1870 herum übernahm er die Führungsrolle eindeutig. Bis dahin wies die Entwicklung der Landwirtschaft also der Hauptbestandteil des primären Sektors noch eine eigene Dynamik auf. Damit hängt zusammen, dass gesamtwirtschaftliche [[Konjunktur|Konjunkturzyklen]] im heutigen Sinn erst seit dem Beginn des Kaiserreichs zu beobachten sind. Bis dahin mischten sich in den „wirtschaftlichen Wechsellagen“ ältere agrarisch geprägte Auf und Abschwünge mit industriellen Einflüssen. Die agrarischen Wirtschaftskrisen älteren Typs hingen dabei in erster Linie mit den Ernteausfällen also natürlichen Bedingungen zusammen. Gute Ernten machten die Ernährung billiger, ein zu hoher Preisverfall allerdings führte zur Not bei den Landwirten mit erheblichen Auswirkungen auf die Nachfrage von gewerblichen Produkten. Umgekehrt führten schlechte Ernten zu einem extremen ansteigen der Ernährungskosten. Agrarkrisen dieser Art gab es 1805/06, 1816/17, 1829/30 und die schlimmste war die von 1846/47 mit katastrophalen Folgen.
Allerdings war der sekundäre Sektor noch nicht stark genug, um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu dominieren. Erst gegen Ende der industriellen Revolution um 1870 herum übernahm er die Führungsrolle eindeutig. Bis dahin wies die Entwicklung der Landwirtschaft, also der Hauptbestandteil des primären Sektors, noch eine eigene Dynamik auf. Das ist auch einer der Gründe, warum gesamtwirtschaftliche [[Konjunktur]]zyklen im heutigen Sinn erst seit dem Beginn des Kaiserreichs auftraten. Bis dahin mischten sich in den „wirtschaftlichen Wechsellagen“ ältere agrarisch geprägte Auf- und Abschwünge mit industriellen Einflüssen.
[[Bild:Aktienindex1840ff.PNG|thumb|Aktienindex Deutscher Börsen 1840-1870]]
Der industrielle Typ der Konjunktur lässt sich in Deutschland erstmals in der Mitte der 1840er Jahre nachweisen. Das Nachlassen dieses Aufschwungs hing mit der Agrarkrise von 1847 zusammen und verstärkte diese noch einmal. Zur Lebensmittelteuerung und Hungerkrise kamen Arbeitslosigkeit und Verdienstausfall. Dies hat die vorrevolutionäre Entwicklung auch in den unteren Schichten noch einmal verstärkt.


Die agrarischen Wirtschaftskrisen älteren Typs hingen in erster Linie mit Ernteausfällen, also natürlichen Einflüssen, zusammen. Gute Ernten machten die Lebensmittel billiger, ein hoher Preisverfall allerdings führte zu Einkommensverlusten der Landwirte mit wiederum erheblichen Auswirkungen auf die Nachfrage nach gewerblichen Produkten. Umgekehrt führten schlechte Ernten zu einem extremen Ansteigen der Lebensmittelpreise. Agrarkrisen dieser Art gab es 1805/06, 1816/17 ([[Jahr ohne Sommer]]), 1829/30<ref>Johannes Bracht: ''Geldlose Zeiten und überfüllte Kassen.'' 2013, S. 49 ([https://books.google.de/books?id=uGeqZ9MX8xcC&pg=PA49 online]).</ref> und die schlimmste war die von 1846/47<ref>[https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/alltagsleben/die-krisenjahre-184647.html dhm.de]</ref> (→&nbsp;[[Kartoffelrevolution]]).
Für eine grundsätzliche Wende spricht, dass die agrarischen Ernteausfälle etwa in den frühen 1850er Jahren sich nur noch regional auswirkten, da insbesondere die Eisenbahn für einen innereuropäischen Ausgleich sorgte. In diese Zeit fielen Investitionen in alle gewerblichen Bereiche aber vor allem in die Eisenbahn. Der Aufstieg der Industrie wurde 1857-1859 durch einen massiven Konjunkturabschwung, der vielfach auch als „[[Wirtschaftskrise von 1857|erste Weltwirtschaftskrise]]“ ([[Hans Rosenberg]]) bezeichnet wurde, unterbrochen. Im Kern handelte es sich dabei um eine Handels-, Spekulations- und Bankenkrise ausgehend vor allem von Hamburg. Zur Krise kam es, als die mit Bankwechseln finanzierten Handels- und Rüstungsgeschäfte zwischen Hamburg, Amerika, England und [[Skandinavien]] platzten. Der Ursprung lag dabei in den USA, wo der Zusammenbruch einer Bank eine Art Kettenreaktion und den Zusammenbruch zahlreicher weiterer Kreditinstitute auslöste. Allerdings gab es auch Faktoren im industriellen Bereich. So wurden vielerorts Produktionskapazitäten aufgebaut, die mit der Nachfrage nicht Schritt hielten. Die Krise war allerdings wesentlich kürzer und die Auswirkungen weniger gravierend als die „[[Gründerzeit|Gründerkrise]]“ nach 1873.
[[Datei:Aktienindex1840ff.PNG|mini|Aktienindex Deutscher Börsen 1840–1870]]
Der industrielle Typ der Konjunktur lässt sich in Deutschland erstmals in der Mitte der 1840er-Jahre nachweisen. In den Jahren 1841 bis 1845 kam es zu einem regelrechten Investitionsboom bei den Eisenbahnen, der innerhalb kürzester Zeit in bislang unbekannter Höhe Kapital anzog, dann aber rasch wieder abbrach.


Das Nachlassen dieses Aufschwungs hing mit der Agrarkrise von 1847 zusammen und verstärkte diese zusätzlich. Zu Lebensmittelteuerung und Hungerkrise kamen Arbeitslosigkeit und Verdienstausfall. Dies hat die vorrevolutionäre Entwicklung auch in den unteren Schichten zusätzlich verstärkt. Das Konjunkturtief endete erst Ende 1849 oder Anfang 1850.<ref>Tilly, S. 29 f.</ref>
Im Vergleich zur ersten Hälfte der 1850er Jahre blieb die Konjunktur in der ersten Hälfte der 1860er Jahre vergleichsweise schwach. Dies lag vor allem an äußeren Einflüssen, wie den amerikanischen Bürgerkrieg. Durch Ausbleiben von Baumwolllieferungen aus dem Süden litt vor allem die Textilindustrie. Im Übrigen hielten sich die Unternehmen nach den Erfahrungen der Jahre 1857-59 mit Investitionen zurück. Nach der Mitte der 1860er Jahre erfolgte erneut ein beachtlicher wirtschaftlicher Aufschwung, der in den „Gründerboom“ überging. Dieser wurde nicht mehr allein von der Schwerindustrie getragen, sondern fast ebenso deutlich wuchsen die Textilindustrie und die Landwirtschaft. Nur kurz gebremst durch den Krieg von 1870/71 setzte sich das Wachstum bis zum Beginn der Gründerkrise 1873 fort. Waren die wirtschaftlichen Wechsellagen noch in der Mitte des Jahrhunderts auch agrarisch bestimmt, dominierte nunmehr eindeutig die Industrie. <ref>Borchardt, Wirtschaftliches Wachstum, S.198-210, S.255-275, Siemann, Gesellschaft, S.102-104, S.115-123, vergl. Reinhard Spree: Veränderungen der Muster zyklischen Wachstums der deutschen Wirtschaft von der Früh- zur Hochindustrialisierung. In: Geschichte und Gesellschaft 5. Jg. 1979 S.228-250.</ref>


Für eine grundsätzliche Wende spricht nach Ansicht von Historikern, dass die Ernteausfälle etwa in den frühen 1850er-Jahren sich nur noch regional auswirkten, da insbesondere der Transport per Eisenbahn für einen innereuropäischen Ausgleich sorgte. In diese Zeit fielen Investitionen in alle gewerblichen Bereiche, vor allem in die Eisenbahn. Der Aufstieg der Industrie wurde von 1857 bis 1859 durch einen massiven Konjunkturabschwung, der vielfach auch als „[[Wirtschaftskrise von 1857|erste Weltwirtschaftskrise]]“ ([[Hans Rosenberg (Historiker)|Hans Rosenberg]]) bezeichnet wurde, unterbrochen. Im Kern handelte es sich dabei um eine Handels-, Spekulations- und Bankenkrise, ausgehend vor allem von Hamburg. Zur Krise kam es, als die mit Bankwechseln finanzierten Handels- und Rüstungsgeschäfte zwischen Hamburg, Amerika, England und [[Skandinavien]] platzten. Der Ursprung lag dabei in den USA, wo der Zusammenbruch einer Bank eine Art Kettenreaktion und den Zusammenbruch zahlreicher weiterer Kreditinstitute auslöste. Allerdings gab es auch Faktoren im industriellen Bereich. So hielten vielerorts die Produktionskapazitäten mit der Nachfrage nicht Schritt. Die Krise war allerdings wesentlich kürzer und die Auswirkungen weniger gravierend als die [[Gründerzeit|Gründerkrise]] nach 1873.
== Wandel der Gesellschaft ==


Im Vergleich zur ersten Hälfte der 1850er-Jahre blieb die Konjunktur in der ersten Hälfte der 1860er-Jahre vergleichsweise schwach. Dies lag vor allem an äußeren Einflüssen wie dem [[Sezessionskrieg|Amerikanischen Bürgerkrieg]]. Durch das [[Baumwollhungersnot|Ausbleiben von Baumwolllieferungen]] aus dem Süden litt vor allem die [[Textilindustrie]]. Im Übrigen hielten sich die Unternehmen nach den Erfahrungen der Jahre 1857–1859 mit Investitionen zurück. Nach der Mitte der 1860er-Jahre erfolgte erneut ein beachtlicher wirtschaftlicher Aufschwung, der in den „Gründerboom“ überging. Dieser wurde nicht mehr allein von der [[Schwerindustrie]] getragen, sondern fast ebenso deutlich wuchsen die Textilindustrie und die Landwirtschaft. Nur kurz gebremst durch den Krieg von 1870/71 setzte sich das Wachstum bis zum Beginn der Gründerkrise 1873 fort. Waren die wirtschaftlichen Wechsellagen noch in der Mitte des Jahrhunderts auch agrarisch bestimmt, dominierte nunmehr eindeutig die Industrie.<ref>Knut Borchardt, Wirtschaftliches Wachstum, S. 198–210, S. 255–275, Siemann, Gesellschaft, S. 102–104, S. 115–123, vergl. [[Reinhard Spree]]: ''Veränderungen der Muster zyklischen Wachstums der deutschen Wirtschaft von der Früh- zur Hochindustrialisierung''. In: [[Geschichte und Gesellschaft]], 5. Jg. 1979, S. 228–250.</ref>
Während der Jahrzehnte der industrielle Revolution begann sich nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Gesellschaft stark zu verändern. Ähnlich wie im wirtschaftlichen Raum ältere Gewerbeformen neben der modernen Industrie standen, mischten sich auch ältere und neuere Lebensweisen, soziale Gruppen und gesellschaftliche Problemlagen.

== Wandel der Gesellschaft und soziale Frage ==

Während der Jahrzehnte der industriellen Revolution änderte sich neben der Wirtschaft auch die Gesellschaft stark. Ähnlich wie im wirtschaftlichen Raum ältere Gewerbeformen neben die moderne Industrie traten, mischten sich auch ältere und neuere Lebensweisen, soziale Gruppen und gesellschaftliche Problemlagen. Die Entstehung [[Sozialismus|sozialistischer]] Staatssysteme war eine Antwort auf Defizite bisheriger [[Systemtheorie (Luhmann)|Organisationssysteme]] und prägen die politische Landschaft.<ref>{{Literatur |Autor=H Meyer |Titel=Global Player China: auf dem Weg zur Weltmacht |Sammelwerk=_The German Journal on Contemporary Asia |Datum=2008 |Seiten=109-112 |Online=https://hasp.ub.uni-heidelberg.de/journals/asien/article/download/15579/15149/32702}}</ref>


=== Bürgertum ===
=== Bürgertum ===
Das 19. Jahrhundert gilt als Zeit des Durchbruchs der [[bürgerliche Gesellschaft|bürgerlichen Gesellschaft]]. Die Bürger stellten quantitativ allerdings nie die Mehrheit der Gesellschaft. Anfangs überwog die ländliche Gesellschaft und am Ende war die Industriearbeiterschaft im Begriff, die Bürger zahlenmäßig zu überholen. Die bürgerliche Lebensweise, ihre Werte und ihre Normen wurden prägend für das 19. Jahrhundert. Zwar behaupteten Monarchen und Adel zunächst noch ihre Führungsrolle in der Politik, aber diese wurde allein durch die neuen nationalen und bürgerlichen Bewegungen mitgeprägt und herausgefordert.
[[Datei:Brökelmann1.jpg|mini|Ölgemälde der Familie des Unternehmers [[Friedrich Wilhelm Brökelmann|Brökelmann]] von [[Engelbert Seibertz (Maler)|Engelbert Seibertz]] aus dem Jahr 1850]]
Allerdings war das Bürgertum keine homogene Gruppe, sondern bestand aus verschiedenen Teilen. In einer Kontinuität mit dem Bürgertum der frühen Neuzeit stand das alte [[Stadtbürgertum]] der Handwerker, Gastwirte oder Händler. Nach unten ging dieses allmählich in das [[Kleinbürgertum]] der kleinen Gewerbetreibenden, Einzelmeister oder Händler über. Die Zahl der Vollbürger lag bis ins 19. Jahrhundert hinweg zwischen 15 und 30 % der Einwohner. Die Exklusivität des Bürgerstatus verloren sie nach den Reformen in den Rheinbundstaaten, in Preußen und später auch in den anderen deutschen Staaten durch den [[staatsbürger]]lichen Gleichheitsbegriff und der allmählichen Durchsetzung der [[Einwohnergemeinde]]n. Von Ausnahmen abgesehen, verharrte die Gruppe der alten Stadtbürger im frühen 19. Jahrhundert in den überkommenen Lebensformen. Im Stadtbürgertum zählte ständische Tradition, Familienrang, vertraute Geschäftsformen, schichtenspezifischer Aufwandkonsum. Dagegen stand diese Gruppe der raschen aber risikoreichen industriellen Entwicklung skeptisch gegenüber. Numerisch bildete diese Gruppe bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts die größte Bürgergruppe.

Jenseits des alten Bürgerstandes stiegen seit dem 18. Jahrhundert neue Bürgergruppen auf. Dazu zählen vor allem das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Den Kern des [[Bildungsbürgertum]]s im Gebiet des Deutschen Bundes bildeten vorwiegend die höheren Beschäftigten im Staatsdienst, in der Justiz und dem im 19. Jahrhundert expandierenden höheren Bildungswesen der Gymnasien und Universitäten. Neben dem beamteten Bildungsbürgertum gewannen freie akademische Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Notare oder Architekten erst seit den 1830/40er-Jahren zahlenmäßig an Gewicht. Konstituierend war für diese Gruppe, dass die Zugehörigkeit nicht auf ständischen Vorrechten, sondern auf Leistungsqualifikationen beruhte.

Zwar war die Selbstrekrutierung hoch, aber das Bildungsbürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war durchaus aufnahmebereit für soziale Aufsteiger. Etwa 15–20 % stammte aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen und schaffte den Aufstieg über das Abitur und ein Studium. Die unterschiedliche Herkunft wurde durch die Ausbildung und ähnliche soziale Verkehrskreise angeglichen.
[[Datei:Familienglück.jpg|mini|Idealisierte Darstellung des bürgerlichen Familienbildes (Neuruppiner [[Bilderbogen]] etwa 1860–1870)]]
Das Bildungsbürgertum, das einen beträchtlichen Teil der bürokratischen und juristischen Funktionselite stellte, war politisch die sicherlich einflussreichste bürgerliche Teilgruppe. Gleichzeitig setzte sie aber auch kulturelle Normen, die mehr oder weniger von anderen bürgerlichen Gruppen bis hin in die Arbeiterklasse und selbst vom Adel teilweise adaptiert wurden. Dazu gehört etwa das bis ins 20. Jahrhundert hinein dominierende bürgerliche Familienbild des öffentlich tätigen Mannes und der Haus und Kinder versorgenden Ehefrau. Das Bildungsbürgertum stützte sich auf ein neuhumanistisches Bildungsideal. Dieses diente zur Abgrenzung sowohl gegenüber dem auf Privilegien beruhenden Adel als auch gegenüber den ungebildeten Schichten.


Im [[Bürgertum]] trat neben das [[Bildungsbürgertum]] mit der industriellen Entwicklung ein neues Wirtschaftsbürgertum (die deutsche Form der [[Bourgeoisie]]) also der Gruppe der Unternehmer. Bis zur Mitte des Jahrhundert schätzt die Forschung, dass hierzu einige hundert Unternehmerfamilien zu rechnen seien. In den folgenden Jahrzehnten bis 1873 nahm ihre Zahl zwar auf einige tausend Familien zu, aber das Wirtschaftsbürgertum war zahlenmäßig die kleinste bürgerliche Teilgruppe. Zu ihnen gehörten neben den Industriellen auch Bankiers, Kapitalbesitzer zunehmend auch angestellte Manager.
Mit der industriellen Entwicklung trat neben Stadt- und Bildungsbürger zunehmend ein neues Wirtschaftsbürgertum. Die deutsche Form der [[Bourgeoisie]] entstammte der Gruppe der Unternehmer. Die Forschung schätzt, dass bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hierzu einige hundert Unternehmerfamilien zu rechnen waren. Bis 1873 nahm ihre Zahl zwar auf einige tausend Familien zu, aber das Wirtschaftsbürgertum war zahlenmäßig die kleinste bürgerliche Teilgruppe. Zu ihnen gehörten neben den Industriellen auch Bankiers, Kapitalbesitzer und zunehmend die angestellten Manager.


Die soziale Herkunft der Wirtschaftsbürger war unterschiedlich. Einige von ihnen wie August Borsig waren soziale Aufsteiger aus Handwerkerkreisen, ein beträchtlicher Teil stammte wie etwa die Krupps aus angesehenen, lang eingesessenen und wohlhabenden stadtbürgerlichen Kaufmannsfamilien. Es wird geschätzt, dass etwa 54% der Industriellen aus Unternehmerfamilien stammten, 26% kamen aus Familien von Landwirten, selbstständigen Handwerkern oder kleineren Händlern, die übrigen 20% kamen aus dem Bildungsbürgertum, aus Offiziers-, Großgrundbesitzerfamilie. Aus Arbeiterfamilien oder der ländlichen Unterschicht kam so gut wie kein Industrieller. Bereits während der industriellen Revolution verlor der Typus des sozialen Aufsteigers an Gewicht. Während etwa 1851 erst 1,4% der Unternehmer akademisch gebildet waren, hatten 1870 37% aller Unternehmer eine Hochschule besucht. Seit den 1850er Jahren begann sich das Wirtschaftsbürgertum durch seinen Lebensstil etwa durch den Bau von repräsentativen Villen oder den Kauf von Landbesitz sich von den übrigen bürgerlichen Gruppen abzusondern. Teilweise begannen diese sich in ihrem Lebensstil am [[Adel]] zu orientieren. Die Möglichkeiten dazu hatten allerdings die Besitzer von Großbetrieben. Daneben gab es eine mittlere Schicht von Unternehmern, die wie die Familie [[Bassermann]], sich vom Adel abgrenzte und einer ausgesprochenen Mittelstandsideologie folgte. <ref>Wehler, Bd.3, 112-125, Siemann, Gesellschaft, S.157-159</ref>
Die soziale Herkunft der Wirtschaftsbürger war unterschiedlich. Einige von ihnen, wie August Borsig, waren soziale Aufsteiger aus Handwerkerkreisen, ein beträchtlicher Teil stammte wie etwa die Krupps aus angesehenen, lang eingesessenen und wohlhabenden stadtbürgerlichen Kaufmannsfamilien. Es wird geschätzt, dass etwa 54 % der Industriellen aus Unternehmerfamilien stammten, 26 % kamen aus Familien von Landwirten, selbstständigen Handwerkern oder kleineren Händlern, die übrigen 20 % kamen aus dem Bildungsbürgertum, aus Offiziers- und Großgrundbesitzerfamilien. Aus Arbeiterfamilien oder der ländlichen Unterschicht kam so gut wie kein Industrieller. Bereits während der industriellen Revolution verlor der Typus des sozialen Aufsteigers an Gewicht. Während etwa 1851 erst 1,4 % der Unternehmer akademisch gebildet waren, hatten 1870 37 % aller Unternehmer eine Hochschule besucht. Seit den 1850er-Jahren begann sich das Wirtschaftsbürgertum durch seinen Lebensstil etwa durch den Bau von repräsentativen Villen oder den Kauf von Landbesitz von den übrigen bürgerlichen Gruppen abzusondern. Teilweise begannen diese, sich in ihrem Lebensstil am [[Adel]] zu orientieren. Die Möglichkeiten dazu hatten allerdings nur die Besitzer von Großbetrieben. Daneben gab es eine mittlere Schicht von Unternehmern, wie die Familie [[Bassermann (Familie)|Bassermann]], die sich vom Adel abgrenzte und einer ausgesprochenen Mittelstandsideologie folgte.<ref>Hans-Ulrich Wehler: ''Bürger, Arbeiter und das Problem der Klassenbildung 1800–1870.'' In: Ders.: ''Aus der Geschichte lernen?'' München 1988, ISBN 3-406-33001-0, S. 161–190; Wehler, Bd. 3, 112–125, Siemann, Gesellschaft, S. 157–159.</ref>


=== Pauperismus ===
=== Pauperismus ===
{{Hauptartikel|Pauperismus}}


So beeindruckend das Wachstum der neuen Industrie in einigen Gegenden auch war, waren diese Impulse lange Zeit nicht ausreichend um eine wachsende Bevölkerung ausreichend zu beschäftigen und zu ernähren. Hinzu kam, dass der Zusammenbruch des alten Gewerbes und die Krise des Handwerks die soziale Not noch verschärfte. Davon betroffen war vor allem das vielfach übersetze produzierende Handwerk. Auf mittlere Sicht allerdings gelang es den Handwerkern sich an die industriekapitalistischen Bedingungen anzupassen. So profitierte das Bauhandwerk vom Wachstum der Städte und andere Gewerbebereichen konzentrierten sich zunehmend auf die Reparatur statt auf die Produktion.
Das Wachstum der neuen Industrie war in einigen Gegenden beeindruckend; diese Impulse reichten aber lange Zeit nicht aus, um die wachsende Bevölkerung vernünftig zu beschäftigen und zu ernähren. Hinzu kam, dass der Zusammenbruch alter Gewerbe und die Krise des Handwerks die soziale Not noch verschärften. Davon betroffen war vor allem das vielfach überbesetzte produzierende Handwerk. Auf mittlere Sicht allerdings gelang es den Handwerkern, sich an die industriekapitalistischen Bedingungen anzupassen. So profitierte das Bauhandwerk vom Wachstum der Städte und andere Handwerksbereiche konzentrierten sich zunehmend auf die Reparatur statt auf die Produktion.
[[Bild:Weber1846.jpg|thumb|Die schlesischen Weber (Gemälde [[Carl Wilhelm Hübner]], 1846)]]
[[Datei:Die schlesischen Weber (1846).jpg|mini|''[[Die schlesischen Weber (Gemälde)|Die schlesischen Weber]]'' (Gemälde von [[Carl Wilhelm Hübner]], 1846)]]
In der ländlichen Gesellschaft hatten sich seit dem 18. Jahrhundert die Zahl der unter- oder kleinbäuerlichen Schichten mit nur wenig oder gar keinem Ackerland stark vermehrt. Dazu hatten nicht zuletzt die gewerblichen Erwerbsmöglichkeiten sei es im Landhandwerk oder im Heimgewerbe stark zugenommen. Mit der Krise des Handwerks und dem Niedergang des Heimgewerbes gerieten erhebliche Teile dieser Gruppen in Existenznöte. Diese Entwicklungen trugen zum Pauperismus des Vormärz nicht unwesentlich bei. Mittelfristig kamen aus diesen Gruppen große Teile der Fabrikarbeiter, aber für eine längere Übergangszeit bedeutete die Industrialisierung eine Verarmung von zahlreichen Menschen. Zunächst gingen mit den Gewinnmöglichkeiten der Lebensstandard zurück ehe ein Großteil etwa der Heimgewerbetreibenden erwerbslos wurde. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die schlesischen [[Weberaufstand|Weber]]. <ref>Siemann, Gesellschaft, S.150-52, S.162f.</ref>
In der ländlichen Gesellschaft hatte seit dem 18. Jahrhundert die Zahl der Betriebe in unter- oder kleinbäuerlichen Schichten mit nur wenig oder gar keinem Ackerland stark zugenommen. Dazu hatten die gewerblichen Erwerbsmöglichkeiten sei es im Landhandwerk oder im Heimgewerbe stark beigetragen. Mit der Krise des Handwerks und dem Niedergang des Heimgewerbes gerieten erhebliche Teile dieser Gruppen in Existenznöte. Diese Entwicklungen trugen zum Pauperismus des Vormärz nicht unwesentlich bei. Mittelfristig kamen aus diesen Gruppen große Teile der Fabrikarbeiter, aber für eine längere Übergangszeit bedeutete die Industrialisierung eine Verarmung von zahlreichen Menschen. Zunächst ging mit den Gewinnmöglichkeiten der Lebensstandard zurück, ehe ein Großteil etwa der Heimgewerbetreibenden erwerbslos wurde. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die schlesischen [[Weberaufstand|Weber]].<ref>Siemann, Gesellschaft, S. 150–152, S. 162 f., zum Weberaufstand vergl. etwa Hardtwig, Vormärz, S. 27–32.</ref>


=== Auswanderung ===
=== Auswanderung ===


Da die meisten der neuen Industrien zunächst die lokalen Unterschichten Arbeit gaben, spielte die [[Binnenwanderung]] in den ersten Jahrzehnten noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen schien die [[Deutsche Überseewanderung|Auswanderung]] eine Möglichkeit zu sein, die soziale Not zu überwinden. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war der quantitative Umfang dieser Art von Wanderungsbewegung noch begrenzt. Zwischen 1820 und 1830 schwankte die Zahl der Auswanderer zwischen 3000 und 5000 Personen pro Jahr. Seit den 1830er Jahren begannen die Zahlen deutlich anzusteigen. Hier wirkte sich vor allem die Hauptphase des Pauperismus und der Agrarkrise von 1846/47 aus. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Bewegung daher auch 1847 mit 80.000 Auswanderern pro Jahr.
Da die meisten der neuen Industrien zunächst den lokalen Unterschichten Arbeit gaben, spielte die [[Binnenwanderung]] in den ersten Jahrzehnten noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen schien die [[Deutsche Überseewanderung|Auswanderung]] eine Möglichkeit zu sein, die soziale Not zu überwinden. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war der quantitative Umfang dieser Art von Wanderungsbewegung noch begrenzt. Zwischen 1820 und 1830 schwankte die Zahl der Auswanderer zwischen 3000 und 5000 Personen pro Jahr. Seit den 1830er-Jahren begannen die Zahlen deutlich anzusteigen. Hier wirkte sich vor allem die Hauptphase des Pauperismus und der Agrarkrise von 1846/47 aus. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Bewegung daher auch 1847 mit 80.000 Auswanderern.
[[Bild:GermanEmigrantsBoardingAShipInHamburg.jpg|thumb|Deutsche Auswanderer im [[Hamburger Hafen]] (um 1850)]]
[[Datei:GermanEmigrantsBoardingAShipInHamburg.jpg|mini|Deutsche Auswanderer im [[Hamburger Hafen]] (um 1850)]]
Die Auswanderung selbst nahm organisierte Formen zunächst durch Auswanderungsvereine und zunehmend durch kommerziell orientierte Agenten an, die nicht selten mit anrüchigen Methoden arbeiteten und ihr Klientel betrogen. Teilweise vor allem in [[Südwestdeutschland]] insbesondere in Baden wurde die Auswanderung von den Regierungen gefördert, um so die soziale Krise zu entschärfen.
Die Auswanderung selbst nahm organisierte Formen zunächst durch Auswanderungsvereine und zunehmend durch kommerziell orientierte Agenten an, die nicht selten mit anrüchigen Methoden arbeiteten und ihre Klientel betrogen. Teilweise, vor allem in [[Südwestdeutschland]] und insbesondere in Baden, wurde die Auswanderung von den Regierungen gefördert, um so die soziale Krise zu entschärfen.


In den frühen 1850er Jahren stieg die Zahl der Auswanderer weiter an und lag 1854 bei 239.000 Menschen pro Jahr. Dabei mischten sich soziale, wirtschaftliche und auch latent politische Motive. Insgesamt wanderten zwischen 1850 und 1860 etwa 1,1 Millionen Personen aus, davon kamen allein ein Viertel aus den Realteilungsgebieten Südwestdeutschlands.<ref>Siemann, Gesellschaft, S.123-136.</ref>
In den frühen 1850er-Jahren stieg die Zahl der Auswanderer weiter an und lag 1854 bei 239.000 Menschen pro Jahr. Dabei mischten sich soziale, wirtschaftliche und auch latent politische Motive. Insgesamt wanderten zwischen 1850 und 1860 etwa 1,1 Millionen Personen aus, davon kamen allein ein Viertel aus den [[Realteilung]]sgebieten Südwestdeutschlands.<ref>Siemann, Gesellschaft, S. 123–136.</ref>


=== Entstehung der Arbeiterschaft ===
=== Entstehung der Arbeiterschaft ===


Seit etwa der Mitte der 1840er Jahre begann sich die Zusammensetzung und der Charakter der unteren Gesellschaftsschichten zu wandeln. Ein Indikator dafür ist, dass etwa seit dieser Zeit der Begriff [[Proletariat]] im zeitgenössischen gesellschaftlichen [[Diskurs]] eine immer wichtigere Rolle spielte und den Pauperismusbegriff bis in die 1860er Jahre verdrängte. Wie differenziert diese Gruppe im Übergang von der traditionellen zur industriellen Gesellschaft war, zeigen zeitgenössischen Definitionen. Dazu zählten Handarbeiter und Tagelöhner, die Handwerksgesellen und Gehilfen, schließlich die Fabrik- und industriellen Lohnarbeiter. Diese „arbeitenden Klassen“ im weitesten Sinn stellten in Preußen 1849 etwa 82% aller Erwerbstätigen und zusammen mit ihren Angehörigen machten sie 67% der Gesamtbevölkerung aus.
Seit etwa der Mitte der 1840er-Jahre begannen sich die Zusammensetzung und der Charakter der unteren Gesellschaftsschichten zu wandeln. Ein Indikator dafür ist, dass etwa seit dieser Zeit der Begriff [[Proletariat]] im zeitgenössischen gesellschaftlichen [[Diskurs]] eine immer wichtigere Rolle spielte und den Pauperismusbegriff bis in die 1860er-Jahre verdrängte. Wie differenziert diese Gruppe im Übergang von der traditionellen zur industriellen Gesellschaft war, zeigen zeitgenössische Definitionen. Dazu zählten Handarbeiter und [[Tagelöhner]], die Handwerksgesellen und Gehilfen, schließlich die Fabrik- und industriellen Lohnarbeiter. Diese „arbeitenden Klassen“ im weitesten Sinn stellten in Preußen 1849 etwa 82 % aller Erwerbstätigen und zusammen mit ihren Angehörigen machten sie 67 % der Gesamtbevölkerung aus.


Rein quantitativ zählte man in Preußen (einschließlich der Beschäftigten in den Manufakturen) im Jahr 1849 270.000 Fabrikarbeiter. Unter Einschluss der 54.000 Bergleute kommt man insgesamt auf die noch recht geringe Zahl von 326.000 Arbeitern. Diese Zahl stieg bis 1861 auf 541.000 an. Noch immer war die Industriearbeiter eine zwar strategisch wichtige, aber zahlenmäßig eher kleine Gruppe der arbeitenden Klassen. Am Ende der industriellen Revolution zu Beginn der 1870er Jahre zählten die Statistiker in Preußen 885.000 Industriearbeiter und 396.000 Bergleute. Auf einer etwas anderen Datengrundlage zählte das neue Statistische Reichsamt 1871 bereits 32% der Erwerbstätigen zum Bereich von Bergbau, Industrie, Hütten- und Bauwesen. Hoch war noch immer die Zahl der Handarbeiter und Dienstboten außerhalb der Industrie und Landwirtschaft mit immerhin noch 15,5%. In Hinblick auf die industriell-bergbauliche Beschäftigung lag hochentwickelte Sachsen mit 49% der Erwerbstätigen klar an der Spitze.
Unter diesen bildeten die modernen [[Fabriksarbeiter]] zunächst noch eine kleine Minderheit. Rein quantitativ zählte man in Preußen (einschließlich der Beschäftigten in den [[Manufaktur]]en) im Jahr 1849 270.000 Fabrikarbeiter. Unter Einschluss der 54.000 [[Bergleute]] kommt man insgesamt auf die noch recht geringe Zahl von 326.000 Arbeitern. Diese Zahl stieg bis 1861 auf 541.000 an. Noch immer waren die Industriearbeiter eine zwar strategisch wichtige, aber zahlenmäßig eher kleine Gruppe der arbeitenden Klassen. Am Ende der industriellen Revolution zu Beginn der 1870er-Jahre zählten die Statistiker in Preußen 885.000 Industriearbeiter und 396.000 Bergleute. Auf einer etwas anderen Datengrundlage zählte das neue Statistische Reichsamt 1871 bereits 32 % der Erwerbstätigen zum Bereich von [[Bergbau]], [[Industrie]], [[Metallurgie|Hütten-]] und [[Bauwesen]]. Hoch war noch immer die Zahl der Handarbeiter und Dienstboten außerhalb der Industrie und [[Landwirtschaft]] mit immerhin noch 15,5 %. In Hinblick auf die industriell-bergbauliche Beschäftigung lag das hochentwickelte Sachsen mit 49 % der Erwerbstätigen klar an der Spitze.
[[Bild:Arbeitermagistrat.jpg|thumb|Arbeiter vor dem Magistrat während der [[Märzrevolution|Revolution von 1848]] (Gemälde von [[Johann Peter Hasenclever]])]]
[[Datei:Arbeitermagistrat.jpg|mini|Arbeiter vor dem Magistrat während der [[Märzrevolution|Revolution von 1848]] (Gemälde von [[Johann Peter Hasenclever]])]]
Es unterschieden sich in ihren Verdienstmöglichkeiten nicht etwa nur die ländlichen Tagelöhner und die städtischen Industriearbeiter, sondern auch innerhalb dieser Gruppe gab es deutliche Differenzierungen. Die Organisation der Arbeit in Großbetrieben führte etwa zu einer ausgeprägten Betriebshierarchie aus gelernten, angelernten und ungelernten Beschäftigten. Der Kern der Facharbeiter stammte vor allem aus den Gesellen und Meistern des krisengeschüttelten Handwerks. Noch einmal deutlich abgehoben waren spezialisierte Berufsgruppen wie Drucker oder Setzer. Diese verfügten nicht selten über ein erhebliches Mass an Bildung, organisierten sich frühzeitig und fühlten sich als „Avantgarde“ der qualifizierten Arbeiterschaft. Nicht zufällig kam mit [[Stephan Born]] der Gründer und viele Anhänger der [[Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung]] aus diesem Umfeld. Die ungelernten und angelernten Arbeiter stammten meist aus den städtischen Unterschichten oder aus den umliegenden ländlichen Gebieten.In den Jahrzehnten der industriellen Revolution also seit den 1850er Jahren begann die wachsende Industrie nunmehr auch vermehrt Binnenwanderer anzuziehen.
Es unterschieden sich in ihren Verdienstmöglichkeiten nicht etwa nur die ländlichen Tagelöhner und die städtischen Industriearbeiter, sondern auch innerhalb dieser Gruppen gab es deutliche Differenzierungen. Die Organisation der Arbeit in Großbetrieben führte etwa zu einer ausgeprägten Betriebshierarchie aus gelernten, angelernten und ungelernten Beschäftigten. Der Kern der Facharbeiter stammte vor allem aus den Gesellen und Meistern des krisengeschüttelten Handwerks. Noch einmal deutlich abgehoben waren spezialisierte Berufsgruppen wie Drucker oder Setzer. Diese verfügten nicht selten über ein erhebliches Maß an Bildung, organisierten sich frühzeitig und fühlten sich als [[Avantgarde]] der qualifizierten Arbeiterschaft. Nicht zufällig kamen mit [[Stephan Born]] der Gründer und viele Anhänger der [[Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung|Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung]] aus diesem Umfeld. Die ungelernten und angelernten Arbeiter stammten meist aus den städtischen Unterschichten oder aus den umliegenden ländlichen Gebieten. In den Jahrzehnten der industriellen Revolution, also seit den 1850er-Jahren, begann die wachsende Industrie nunmehr auch vermehrt [[Binnenwanderer]] anzuziehen.


Frauenarbeit war und blieb in einigen Branchen wie der Textilindustie weit verbreitet, im Bergbau oder der Schwerindustrie waren Frauen allerdings kaum beschäftigt. Vor allem in den ersten Jahrzehnten gab es gerade in der Textilindustrie auch [[Kinderarbeit]]. Allerdings war das Ausmaß deutlich geringer als in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung in England. Außerdem blieb sie ein vorübergehendes Phänomen. Kinder- und Frauenarbeit blieb allerdings in der Landwirtschaft und im Heimgewerbe eine weit verbreitete Erscheinung.
Frauenarbeit war und blieb in einigen Branchen wie der Textilindustrie weit verbreitet, im Bergbau oder der Schwerindustrie waren Frauen allerdings kaum beschäftigt. Vor allem in den ersten Jahrzehnten gab es gerade in der Textilindustrie auch [[Kinderarbeit]]. Allerdings war das Ausmaß deutlich geringer als in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung in England. Außerdem blieb sie ein vorübergehendes Phänomen. Kinder- und Frauenarbeit blieb allerdings in der Landwirtschaft und im Heimgewerbe eine weit verbreitete Erscheinung.


Das Verschmelzen der anfang sehr heterogenen Gruppen zu einer Arbeiterschaft mit einem mehr oder weniger gemeinsamen Selbstverständnis erfolgte zunächst in den Städten und war nicht zuletzt ein Ergebnis der Zuwanderung von ländlichen Unterschichten. Die Angehörigen der pauperisierten Schichten des Vormärz hofften in den Städten dauerhaftere und besser entlohnte Verdienste zu finden. Im Laufe der Zeit wuchs die Anfangs sehr heterogene Schicht der „arbeitenden Klassen“ zusammen, es entwickelte sich gefördert durch das enge Zusammenleben in den engen Arbeiterquartieren ein dauerhaftes [[soziales Milieu]].
Das Verschmelzen der anfangs sehr heterogenen Gruppen zu einer Arbeiterschaft mit einem mehr oder weniger gemeinsamen Selbstverständnis erfolgte zunächst in den Städten und war nicht zuletzt ein Ergebnis der Zuwanderung von ländlichen Unterschichten. Die Angehörigen der pauperisierten Schichten des Vormärz hofften in den Städten dauerhaftere und besser entlohnte Verdienste zu finden. Im Laufe der Zeit wuchs die anfangs sehr heterogene Schicht der „arbeitenden Klassen“ zusammen, es entwickelte sich gefördert durch das enge Zusammenleben in den engen Arbeiterquartieren ein dauerhaftes [[soziales Milieu]].


Innerhalb der „arbeitenden Klassen“ vollzog sich ein tiefgreifender [[Mentalitätswandel]]. Hatten die städtischen und ländlichen Unterschichten ihre Not noch weitgehend als unabänderlich angesehen, führten die neuen Verdienstmöglichkeiten in der Industrie zu Verstärkung des Veränderungswillens. Die Betroffenen sahen ihr Lage als ungerecht an und drängten auf Veränderungen. Dies war eine der sozialen Fundamente für die entstehende [[Arbeiterbewegung]]. <ref>Wehler, Bd.3, S.141-166, Siemann, Gesellschaft, S.163-171</ref>
Innerhalb der „arbeitenden Klassen“ vollzog sich ein tiefgreifender Mentalitätswandel. Hatten die städtischen und ländlichen Unterschichten ihre Not noch weitgehend als unabänderlich angesehen, führten die neuen Verdienstmöglichkeiten in der Industrie zur Verstärkung des Veränderungswillens. Die Betroffenen sahen ihre Lage als ungerecht an und drängten auf Veränderungen. Dies war eines der sozialen Fundamente für die entstehende [[Arbeiterbewegung]].<ref>Wehler, Bd. 3, S. 141–166, Siemann, Gesellschaft, S. 163–171.</ref> Die auf wachsende Bevölkerungsgruppen abhängig Arbeitender sich ausbreitenden sozialen Missstände wurden als ''[[Soziale Frage]]'' diskutiert, für die [[Sozialreform]]er, [[Kathedersozialismus|Kathedersozialisten]] und [[Frühsozialismus|Frühsozialisten]] unterschiedliche Lösungen entwickelten.<ref>Gerhard Taddey (Hrsg.): ''Lexikon der deutschen Geschichte bis 1945'', Eintrag: ''Sozialpolitik''. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 1189.</ref><ref>Jürgen Reulecke: ''Die Anfänge der organisierten Sozialreform in Deutschland''. In: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.): ''Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland''. Beck, München 1985, S. 21 ff.</ref>


== Anmerkungen ==
=== Soziale Frage ===
{{Hauptartikel|Soziale Frage}}
<references />
Die zunehmende Ansiedlung von Arbeitern in den Städten und deren starke Abhängigkeit von der Lohnarbeit führte in Verbindung mit der durch [[Haber-Bosch-Verfahren|industrielle Produktionsmittel]] bedingte Bevölkerungsexplosion zu vielfältigen Problemen. Alkoholismus, Wohnungsnot, Krankheiten und vor allem Ausbeutung führten zur Entstehung von neuen Bewegungen und Philosophien. [[Gewerkschaft]]en, eine Vielfalt an Parteien und allem voran der [[Manifest der Kommunistischen Partei|Kommunismus nach Marx und Engels]] versuchten die Probleme der neuen Gesellschaftsordnung und deren Strukturwandel zu organisieren.<ref>{{Literatur |Autor=Karl Marx |Titel=Manifest der kommunistischen Partei |Ort=Hamburg |Datum=2009 |ISBN=978-3-86820-033-1}}</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Knut Borchardt]]: ''Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3-525-33421-4.
* [[Christoph Buchheim]]: ''Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee.'' dtv, München 1994, ISBN 3-423-04622-8.
* [[Wolfram Fischer]], Jochen Krengel, Jutta Wietog: ''Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch''. Bd. 1: ''Materialien zur Geschichte des Deutschen Bundes 1815–1870''. München 1982, ISBN 3-406-04023-3.
* [[Rainer Fremdling]]: ''Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840–1879''. Dortmund 1975.
* [[Hans-Werner Hahn]]: ''Die industrielle Revolution in Deutschland''. München 2005, ISBN 3-486-57669-0.
* Hans-Werner Hahn: ''Zwischen Fortschritt und Krisen. Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts als Durchbruchsphase der deutschen Industrialisierung'' (=&nbsp;Schriften des [[Historisches Kolleg|Historischen Kollegs]]. Vorträge 38). München 1995 ([https://www.historischeskolleg.de/fileadmin/pdf/vortraege_pdf/Vortraege38_hahn.pdf Digitalisat]).
* [[Wolfgang Hardtwig]]: ''Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum''. dtv, München 1998, ISBN 3-423-04502-7.
* Friedrich-Wilhelm Henning: ''Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914''. Schöningh, Paderborn 1973.
* [[Jürgen Kocka]]: ''Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert''. Bonn 1990.
* [[Toni Pierenkemper]]: ''Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert''. München 1994, ISBN 3-486-55015-2 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd.&nbsp;29).
* [[Wolfram Siemann]]: ''Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849–1871.'' Frankfurt 1990, ISBN 3-518-11537-5.
* [[Oskar Stillich]]: ''Eisen- und Stahlindustrie'' (= ''Nationalökonomische Forschungen auf dem Gebiete der großindustriellen Unternehmung'', Band&nbsp;1). Franz Siemeroth, Berlin 1904, {{OCLC|631629843}}.
* Oskar Stillich: ''Steinkohlenindustrie'' (= ''Nationalökonomische Forschungen auf dem Gebiete der großindustriellen Unternehmung'', Band&nbsp;2). Jäh & Schunke, Leipzig 1906, {{OCLC|16399750}}.
* Oskar Stillich: ''Geld- und Bankwesen. Ein Lehr- und Lesebuch.'' Verlag K. Curtius, Berlin 1909.
* Oskar Stillich: ''Die Börse und ihre Geschäfte''. Verlag K. Curtius, Berlin 1909.
* [[Richard H. Tilly]]: ''Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914''. dtv, München 1990, ISBN 3-423-04506-X.
* [[Hans-Ulrich Wehler]]: ''Deutsche Gesellschaftsgeschichte''. Bd. 2: ''Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Deutschen Doppelrevolution 1815–1845/49''. München 1989.
* Hans-Ulrich Wehler: ''Deutsche Gesellschaftsgeschichte''. Bd. 3: ''Von der Deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des ersten Weltkrieges''. München 1995.
* Wolfgang Zorn (Hrsg.): ''Handbuch der Deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte''. Bd. 2: ''Das 19. und 20. Jahrhundert''. Stuttgart 1976, ISBN 3-12-900140-9. Darin u.&nbsp;a.:
** [[Knut Borchardt]]: ''Wirtschaftliches Wachstum und Wechsellagen''. S. 198–275.
** [[Karl Heinrich Kaufhold]]: ''Handwerk und Industrie 1800–1850''. S. 321–368.
** [[Hermann Kellenbenz]]: ''Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel-, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen''. S. 369–425.
** Wolfram Fischer: ''Bergbau, Industrie und Handwerk 1850–1914''. S. 527–562.
** Richard Tilly: ''Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen 1850–1914''. S. 563–596.
* Dieter Ziegler: ''Die Industrielle Revolution''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005.


== Zeitschriftenartikel ==
*Christoph Buchheim: ''Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee''. München, 1994: dtv wissenschaft. ISBN 3-423-04622-8
* {{IllustrZ |Autor= |Wikisource=Die heutige Lage der gewerblichen Industrie in Deutschland |Titel= |Nummer=2 |Datum=1843-07-08 |Seiten=22–23}}
*Jürgen Kocka: ''Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert''. Bonn, 1990.
*Toni Pierenkemper: ''Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert''. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd.29). München, 1994. ISBN 3-489-55015-2
*Wolfram Siemann: ''Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849-1871''. Frankfurt, 1990.
*Wolfram Fischer, Jochen Krengel, Jutta Wietog: ''Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Bd.1: Materialien zur Geschichte des Deutschen Bundes 1815-1870''. München, 1982. ISBN 3-406-04023-3
*Hans-Ulrich Wehler: ''Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd.2 Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Deutschen Doppelrevolution 1815-1845/49''. München, 1989.
*Hans-Ulrich Wehler: ''Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd.3 Von der Deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des ersten Weltkrieges''. München, 1995
*Wolfgang Zorn (Hrsg.): ''Handbuch der Deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd.2: Das 19. und 20. Jahrhundert''. Stuttgart, 1976. ISBN 3-12-90014-9
:Darin u.a.:
:Knut Borchardt: ''Wirtschaftliches Wachstum und Wechsellagen''. S.198-275.
:Karl Heinrich Kaufhold: ''Handwerk und Industrie 1800-1850''. S.321-368.
:Hermann Kellenbenz: ''Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel-, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen''. S.369-425
:Wolfram Fischer: ''Bergbau, Industrie und Handwerk 1850-1914''. S.527-562.
:Richard Tilly: ''Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen 1850-1914'', S.563-596

== Weblinks ==
*[http://www.politische-bildung-brandenburg.de/programm/projekte/denkmal/richter/indurev.htm Industrielle Revolution in Preußen (Politische Bildung Brandenburg)]
*[http://www.unc.edu/courses/2002spring/germ/022/assign2/Lesson30.htm Industrielle Revolution in Deutschland (University of North Carolina)]


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Industriegeschichte]]


== Fußnoten ==
* [[Industrielle Revolution]]
<references />
* [[Industrialisierung]]
* [[Hochindustrialisierung (Deutschland)]]


[[Kategorie:Deutsche Geschichte (19. Jh.)]]
[[Kategorie:Deutsche Geschichte (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Industrielle Revolution]]
[[Kategorie:Industrielle Revolution]]
[[Kategorie:Industriegeschichte (Deutschland)| ]]

{{Lesenswert|5. Februar 2007|27381896}}

Aktuelle Version vom 2. Juni 2025, 22:44 Uhr

Die industrielle Revolution war die Phase des Durchbruchs der Industrialisierung in Deutschland, deren Beginn von Hubert Kiesewetter auf 1815[1] und von Friedrich-Wilhelm Henning auf 1835 datiert wurde.[2]

Vorausgegangen waren die Zeiträume der Vor- und Frühindustrialisierung. Generell gelten die Jahrzehnte zwischen den 1830er-Jahren und 1873 als Phase des industriellen „take off“ (Walt Rostow). Der industriellen Revolution folgte die Phase der Hochindustrialisierung während des Kaiserreichs. Die (nachholende) industrielle Revolution in Deutschland unterschied sich von der des Pionierlandes Großbritannien dadurch, dass nicht die Textilindustrie, sondern Montanindustrie und Eisenbahnbau die Schlüsselindustrien wurden.

Ein weiteres Kennzeichen war der regionale Charakter der Industrialisierung. Teilweise vor dem Hintergrund älterer Traditionen, teilweise wegen günstiger Lage (z. B. an Handelsstraßen, Flüssen, Kanälen, in der Nähe von Rohstoffvorkommen oder Absatzmärkten) oder aus anderen Gründen konzentrierte sich die industrielle Revolution auf einige regionale Verdichtungszonen. In einigen älteren Gewerbelandschaften, in denen die Anpassung an die neue Zeit nicht gelang, kam es zu Deindustrialisierungsprozessen. Anfänglich war die industrielle Entwicklung zu schwach, um in nennenswertem Umfang neue Arbeitsplätze für eine wachsende Bevölkerung zu schaffen. Im Gegenteil verschärfte die industrielle Konkurrenz die Krise im Handwerk und in vielen traditionellen Gewerbezweigen. Das war eine der Ursachen für den Pauperismus des Vormärz. Erst mit dem Durchbruch der industriellen Revolution entstanden in größerem Umfang neue Arbeitsmöglichkeiten. Im weiteren Verlauf verschob sich die soziale Frage weg von den ländlichen Unterschichten und hin zur wachsenden Arbeiterbevölkerung mit ihren schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen bei meist niedrigen Löhnen.

Der Eisenbahnbau als Ausdruck der industriellen Revolution (hier die Bonn-Cölner Eisenbahn um 1844)

Begriffsentwicklung

Der Begriff „industrielle Revolution“ entstand in Frankreich während und nach der französischen Revolution. Er war zeitweise eine Analogie, um den politischen Wandel in Frankreich und die ungefähr gleichzeitig ablaufenden Veränderungen der gewerblichen Produktionsformen in Großbritannien zu vergleichen. Ähnlich war die Verwendung auch noch in den folgenden Jahrzehnten, so z. B. 1827 in einem Bericht der Zeitung Moniteur Universel oder 1837, als Adolphe Jérôme Blanqui den Begriff gebrauchte, um die gewaltsame Entwicklung in Frankreich mit der friedlichen in England zu vergleichen. 1839 wurde er von Natalis Briavoinne (1799–1869) als Prozess- und Epochenbegriff genutzt. Außerhalb Frankreichs taucht er erstmals 1843 bei Wilhelm Schulz und 1845 in Friedrich Engels’ Schrift Die Lage der arbeitenden Klasse in England auf.

Auch Engels verglich die politische Revolution in Frankreich und die gewerbliche Entwicklung in Großbritannien. Für ihn war die industrielle Revolution eine Epochenzäsur. „… kaum kennt die Weltgeschichte ein Ereignis, welches in dem kurzen Zeitraum weniger Menschenalter so außerordentliche Veränderungen hervorgebracht, so gewaltsam in die Schicksale der gebildeten Völker eingegriffen hat und noch eingreifen wird, als die industrielle Revolution, in welche unsere Zeit begriffen ist.“

Wurde der Begriff hier auf die von England ausgehende industrielle Entwicklung begrenzt, hatte schon Schulz ihn auch auf andere Epochen angewandt. Darin folgte ihm vor allem die angelsächsische Tradition etwa mit John Stuart Mill oder Arnold Toynbee. Als Epochenbezeichnung wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts die historische Einmaligkeit der Entstehung der Großindustrie betont, während er als Prozessbezeichnung den Umbruch noch als etwas Unabgeschlossenes deutete. Die Bedeutungsebene als Prozessbegriff verlor im 20. Jahrhundert gegenüber dem Begriff der Industrialisierung allerdings deutlich an Bedeutung.[3]

Problem der chronologischen Abgrenzung

Unbestritten in der Forschung ist die Ansicht, dass die industrielle Revolution auf teilweise lang zurückliegenden Vorbedingungen beruhte. Einige – wie Simon Smith Kuznets – relativieren daher das Konzept einer Revolution im Sinne eines radikalen Umbruchs angesichts des Entwicklungscharakters stark. Kuznets betrachtete die Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein als die Epoche des „modernen Wirtschaftswachstums.“ Die meisten Forscher jedoch hielten und halten an der Vorstellung eines industriellen Durchbruchs im Sinne eines vergleichsweise rasch stark anwachsenden Wirtschaftswachstum auch in der deutschen Entwicklung fest. Umstritten bleibt jedoch die genaue Abgrenzung.

Es hat sich mittlerweile in der Forschung durchgesetzt, vom eigentlichen Beginn der Industrialisierung eine „Vorbereitungsphase“ zu unterscheiden, die etwa um 1790 einsetzte und der die eigentliche Phase des „take offs“ (oder der industriellen Revolution) folgte. Dessen Anfang ist weiterhin umstritten. Friedrich-Wilhelm Henning, Karl Heinrich Kaufhold oder Jürgen Kocka datieren ihren Beginn in die 1830er-Jahre. Reinhard Spree, Richard H. Tilly und auch Hans-Ulrich Wehler sehen den entscheidenden Schritt hin zu einer beschleunigten industriellen Entwicklung in den 1840er-Jahren erreicht. Knut Borchardt schlug gar die 1850er-Jahre als Beginn der industriellen Revolution an.

Bei allen Detaildiskussionen sind sich die neueren Autoren im Wesentlichen einig, dass nach einer längeren Vorlaufphase der Vor- oder Frühindustrialisierung Deutschland spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht in das Industriezeitalter eintrat. Dies gilt sowohl für die Ökonomie wie auch für die Gesellschaft.[4]

Vor-, Früh- und Protoindustrialisierung

Die Meinertsche Spinnmühle in Lugau bei Chemnitz von 1812, eines der frühesten Fabrikgebäude in Deutschland. Im August 2016 abgerissen.

Die Ausgangssituation für eine industrielle Revolution war in Deutschland deutlich schlechter als im Ursprungsland der Industrialisierung, in Großbritannien. Dazu zählen der fehlende einheitliche Markt, die Vielzahl von Zöllen, Währungen oder Gewichten und die territoriale Zersplitterung im 1806 niedergegangenen Heiligen Römischen Reich. Verkehrstechnisch war das Reich deutlich schlechter erschlossen als England, auch fehlte die überseeische Handels- und Kolonialexpansion. Der Rückstand gegenüber Großbritannien zeigte sich auch in dem in Deutschland wesentlich stärkeren agrarischen Sektor. Zudem hatte in diesem Bereich zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keine vergleichbare „Agrarrevolution“ stattgefunden. Es gab noch starke feudale Elemente und, sieht man einmal von Ostelbien ab, zahlreiche leistungsschwache Kleinbetriebe, die vielfach noch mit alten Methoden wirtschafteten und als Subsistenzbetriebe kaum mit dem Markt verbunden waren. Hinzu kamen weitere Aspekte. Trotz des Merkantilismus im 18. Jahrhundert hielten etwa im Bereich des Handwerks die Zünfte an alten wirtschaftlichen Regulierungsinstrumenten fest.[5]

Auch in den deutschen Ländern gab es seit der frühen Neuzeit vorbereitende Entwicklungen. Werner Conze grenzte eine vorbereitende Phase etwa auf die Zeit zwischen 1770 und 1850 ein. Dazu zählte ein in der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzendes stärkeres Bevölkerungswachstum. Das verstärkte die Nachfrage und vergrößerte das Arbeitskräftepotential.[6]

Protoindustrie und Heimgewerbe

Zwar befand sich das Zunfthandwerk um 1800 in der Krise, aber es gab im gewerblichen Bereich nicht nur stagnierende Entwicklungen. In den Manufakturen mit etwa 100.000 Arbeitskräften gab es in gewissem Umfang eine Art Massenproduktion mit Arbeitsteilung. Das Verlagssystem (Protoindustrie) war in einigen Regionen bereits im späten Mittelalter und vor allem der frühen Neuzeit entstanden. So spezialisierten sich die landarmen Schichten in Ostwestfalen, Schlesien, Sachsen und anderen Gebieten auf die heimgewerbliche Herstellung von Leinen, das von Händlern aufgekauft und auf dem überregionalen Markt vermarktet wurde. Man schätzt, dass immerhin eine Million Menschen um 1800 in diesem Bereich beschäftigt waren.[7]

Diese und andere Entwicklungen auch im Eisen- und Metallgewerbe und anderen Bereichen ließen bereits verschiedene regionale Zentren gewerblicher Verdichtung entstehen. In den westlichen preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen waren dies etwa der bergisch-märkische Raum und das Siegerland mit Ausläufern ins Sauerland. Ähnliche Zusammenhänge gab es im Rheinland, wo Eisen aus der Eifel zwischen Aachen, Eschweiler, Stolberg und Düren weiterverarbeitet wurde. Vor allem aber konzentrierte sich in diesem Gebiet die Messing-, Zink- und Bleiproduktion. In Oberschlesien wurden Bergbau und Verarbeitung teils vom Staat und teils von Großgrundbesitzern betrieben. Zu diesen gehörten die Grafen von Donnersmarck oder die Fürsten von Hohenlohe. Im Königreich Sachsen existierte ein hochdifferenziertes Gewerbe vom Land- und Stadthandwerk, über Heimgewerbetreibende in der Protoindustrie, Manufakturen, Bergbau und bald auch ersten Fabriken. Weite Teile Sachsens – hier vor allem die Region um die Stadt Chemnitz, die später auch „das sächsische Manchester“ genannt wurde – gehörten ebenso wie das nördliche Rheinland sogar zu den wachstumsintensivsten Regionen Europas, so Hahn.

Mechanische Werkstätten von Friedrich Harkort in den Ruinen der Burg Wetter (Gemälde von Alfred Rethel, 1830er Jahre)

Im Zusammenhang von Manufakturen und Verlagen sammelte sich in den verschiedenen Gewerbelandschaften Handelskapital an, das später nicht zuletzt zur Finanzierung der neuen Fabriken eingesetzt wurde. Allerdings waren diese frühen Gewerbelandschaften nicht immer eine direkte Vorstufe der industriellen Entwicklung. Teilweise wie in Teilen Hessens oder in Niederschlesien gelang der Anschluss an die Industrialisierung nicht und in den Gebieten des ländlichen Gewerbes kam es zu wirtschaftlichen Niedergangsprozessen.[8]

Frühindustrialisierung

Der Deutsche Zollverein
blau: zum Zeitpunkt der Gründung
grün / gelb: Erweiterungen bis / nach 1866

Ansätze zu einer gewerblichen Expansion gab es also spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Gleichwohl ist es sinnvoll, die Frühindustrialisierung im Sinne einer unmittelbaren Vorgeschichte der industriellen Revolution in Deutschland etwa mit dem Jahr 1815 beginnen zu lassen. Seit dem Ende der Napoleonischen Kriege und der Aufhebung der Kontinentalsperre fielen einerseits Handelsbarrieren, andererseits war die Wirtschaft in Deutschland nunmehr der direkten Konkurrenz mit der englischen Industrie ausgesetzt. Damit stieg der Anpassungsdruck deutlich an. Hinzu kam, dass der territoriale Umbruch nach dem Reichsdeputationshauptschluss zum Verschwinden zahlreicher Kleinstterritorien und zum Entstehen einer Reihe mittlerer Staaten führte. Aber noch gab es keinen einheitlichen Wirtschaftsraum. Ein wichtiger institutioneller Faktor für die gewerbliche Entwicklung war die Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahr 1834, der innerhalb des Vertragsgebiets einen zollfreien Warenaustausch ermöglichte. Dies war eine zentrale Voraussetzung für die Integration der bislang regional bezogenen Märkte in einen größeren Zusammenhang. Allerdings war die direkte Förderung der industriellen Entwicklung durch den Zollverein begrenzt. Von ihm wurde die industrielle Entwicklung zwar erleichtert, es gingen aber keine entscheidenden Wachstumsimpulse von ihm aus.[9] Ebenso wichtig waren zahlreiche weitere Reformen im Bereich des Staates, der Gesellschaft und Wirtschaft. Besonders bekannt sind die preußischen Reformen, die es ähnlich auch in anderen Staaten gegeben hatte. Dazu gehörten die Bauernbefreiung sowie die Reformen in der Gewerbegesetzgebung. Je nach Staat zog sich die Umsetzung allerdings bis weit in die Mitte des Jahrhunderts hin.[10]

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entstanden neben Heimgewerbe und Manufakturen auch in Deutschland die ersten modernen Fabriken. So wurde 1784 in Ratingen die erste mechanische Baumwollspinnerei, die Textilfabrik Cromford, und ein Jahr später in Hettstedt die erste Dampfmaschine im Bergbau in Betrieb genommen. Fast zeitgleich folgte eine Dampfmaschine im oberschlesischen Beuthen. Im Jahr 1796 wurde in der Königlich Preußischen Eisengießerei in Gleiwitz der erste kontinuierlich produzierende Koksofen errichtet.[11] Allerdings erlangten diese frühen Ansätze keine Breitenwirkung, sondern blieben isolierte Inseln.

1798 wurde in Chemnitz-Harthau die Spinnmühle von C. F. Bernhardt gegründet. Sie machte unter anderem den Weg frei für eine industrielle Entwicklung der Region. In den Jahren darauf entstanden in Chemnitz und im Chemnitzer Umland sowie im Erzgebirge und in der Oberlausitz unzählige Spinnereien nach dem Muster der Bernhardtschen Spinnerei.

Spinnerei der Gebrüder Bernhard in Harthau bei Chemnitz 1867, erste sächsische Fabrik
Das zusammen mit dem angrenzenden Elberfeld sehr früh industrialisierte Barmen (um 1870, Gemälde von August von Wille)

Die meisten fabrikähnlichen Betriebe waren relativ einfache, noch keine Dampfkraft nutzende Anlagen. Den Anfang machten insbesondere Spinnmaschinen zur Garnproduktion; seit den 1830er-Jahren kamen im Bereich der Textilherstellung mechanische Webstühle hinzu. Aufs Ganze gesehen basierten die frühen Industrialisierungsansätze auf der Herstellung einfacher Konsumgüter und der Verarbeitung von Agrarprodukten (Leinen- und Wollmanufakturen, Branntweinbrennereien, Brauereien, Ölmühlen oder Tabakfabriken). Relativ früh entstanden einige größere Spinnereien in Baden, so die Spinnereien in St. Blasien mit 28.000 Spindeln oder die ähnlich große Ettlinger Spinnerei AG. Ein weitgehend neuer Zweig der Textilindustrie war im frühen 19. Jahrhundert die Baumwollverarbeitung. Dabei nahm Sachsen die Spitzenstellung ein, gefolgt von Preußen und Baden. Das Zentrum in Preußen war der Regierungsbezirk Düsseldorf und insbesondere das Bergische Land, das um 1800 auf der Basis von Kleineisen- und Textilindustrie an der Schwelle der industriellen Revolution gestanden hatte. Allein in Rheydt und Gladbach gab es 1836 16 Spinnereien, für Barmen werden 1830 „38 Fabriken für Leinen-, Halbwoll-, Woll-, Baumwollbänder, Schnüre und Gurte, 26 Fabriken für Zeuge und Tücher aus Leinen, Baumwolle, und Halbbaumwolle, 11 Fabriken für Zwirnspitzen und Langetten, 17 Fabriken für Nähzwirn, 1 Fabrik für Zwilliche, 7 Fabriken für Seidentücher und -Bänder, 2 Fabriken für Reitpeitschen, 1 Fabrik für metallene plattierte Waren und Knöpfe, 4 Fabriken für chemische Erzeugnisse, 3 Seifensiedereien, 50 Bleichen, 50 Färbereien […]“ aufgelistet.[12] Die Textilindustrie insgesamt war zwar eine der ersten industriell betriebenen Gewerbezweige. Anders als in England war sie aber kein Führungssektor der industriellen Revolution. Dazu waren ihre Dynamik und ihr Wachstum zu gering.

Die nach 1815 einsetzende Phase des frühindustriellen Aufschwungs endete in der Mitte der 1840er-Jahre, als die Agrarkrise und die Auswirkungen der Revolution von 1848/49 die Entwicklung stark beeinträchtigten. In diese Zeit fallen der Höhepunkt des vormärzlichen Pauperismus und die letzte Agrarkrise „alten Typs“ (Wilhelm Abel).[13]

Die industrielle Revolution

In etwa markiert die Revolution von 1848/49 auch die Scheidelinie zwischen Frühindustrialisierung und der Industriellen Revolution. Dazu passt auch ein Wandel vom krisengeprägten Selbstbewusstsein in den 1840er-Jahren hin zu einer allgemeinen Aufbruchstimmung im folgenden Jahrzehnt. Etwa seit dieser Zeit nahm die gesellschaftliche Produktion pro Einwohner gegenüber der vorindustriellen Zeit um das Zehnfache zu.

Wachstum der Beschäftigtenzahlen in den Wirtschaftssektoren 1846–1871 (1871=100)

Ein wichtiger Indikator für den Beginn der Industriellen Revolution in den 1850er-Jahren war der plötzliche Anstieg der Nutzung der Steinkohle. Dahinter standen verschiedene Wachstumsvorgänge: Ein starker Anstieg der Eisen- und vor allem Stahlherstellung, der verstärkte Bau von Maschinen, nicht zuletzt von Lokomotiven und der Anstieg der Verkehrsleistungen der Eisenbahnen ließen die Energienachfrage steigen. Die wachsende Nachfrage nach Brennstoff und Industriegütern führte zu einem weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes und steigerte wiederum die Nachfrage nach neuen Lokomotiven und Schienen. Auch insgesamt war die industrielle Revolution in den 1850er- und 1860er-Jahren vor allem von Investitionen in den Eisenbahnbau und die Schwerindustrie geprägt.[14]

Niedergang des alten Gewerbes

Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung in dieser Zeit war allerdings nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Vielmehr bedeutete der Import maschinell hergestellter Waren, vor allem aus Großbritannien und die Entstehung von Fabriken in Deutschland selbst, eine Bedrohung für die bestehenden älteren Wirtschaftsformen. Dies gilt sowohl für die mit Holzkohle hergestellten Eisenprodukte, wie auch für die in Manufakturen oder im Verlagssystem hergestellten Textilien. Insbesondere das Leinengewerbe verlor wegen der günstigeren Baumwollprodukte an Bedeutung. Damit war der wichtigste Zweig der deutschen Textilindustrie in seiner Existenz bedroht.

Eine Zeit lang konnten sich die älteren Produktionsmethoden halten. Dies geschah teilweise recht erfolgreich durch die Spezialisierung auf besondere Produkte (z. B. Krefelder Samt und Seide, Wuppertaler Bandwaren, Posamente aus Annaberg-Buchholz, Stofftaschentücher aus Lauban). Anderswo reagierten die Verleger mit der Senkung der Entgelte für die Heimweber. Auf längere Sicht konnten viele Gewerbe der maschinellen Konkurrenz – bis auf wenige Rückzugsgebiete – dennoch nicht standhalten. Dies hatte zur Folge, dass in den älteren Gewerberegionen, wenn diese den Übergang zur Fabrikindustrie nicht schafften, die Arbeitsmöglichkeiten fehlten und es zu Deindustrialisierungs- und Reagrarisierungsprozessen kommen konnte.

Ein weiterer Krisenfaktor war das Handwerk. Durch das Bevölkerungswachstum der ersten Jahrhunderthälfte nahm die Zahl der Handwerker stark zu. Einige Massenberufe wie Schneider oder Schuhmacher waren überbesetzt, die Gesellen hatten keine Chance mehr, Meister zu werden und der Ertrag auch der selbstständigen Handwerker war außerordentlich gering. Vor allem die Handwerke, deren Produkte mit der Industrie konkurrierten, gerieten von dieser Seite unter Druck[15], was sich in Aufständen wie der Berliner Schneiderrevolution 1830 oder dem schlesischen Weberaufstand 1844 entlud.[16]

Regionale Industrialisierung

Ein Kennzeichen der industriellen Entwicklung war ihre ungleiche regionale Verteilung. Die Ursachen dafür waren vielfältig. So spielte der Anschluss an das Eisenbahnnetz, die Lage an einem schiffbaren Wasserweg oder die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Arbeitskräften oder Kapital eine Rolle.

Teil des Regierungsbezirks Arnsberg (Ausschnitt aus einer Gewerbekarte des Jahres 1858, zu sehen sind Teile des Ruhrgebiets und des märkischen Sauerlands)

In den Jahrzehnten der Industrialisierung passten sich einige alte gewerbliche Verdichtungszonen der industriellen Entwicklung an. So traten in Bielefeld an die Stelle der heimgewerblichen Leinenproduzenten große Textilfabriken. Auch in Wuppertal oder in Sachsen knüpfte die Industrie an alte Traditionen an. Chemnitz war hier der Kern der sächsischen Industrialisierung; es wurde auch sächsisches Manchester genannt und entwickelte sich zur führenden Industriestadt Deutschlands. Dabei spielten der Werkzeugmaschinenbau, der Textilmaschinenbau, die Textilindustrie, der Fahrradbau, der Motorradbau, der Fahrzeugbau, der Dampfmaschinenbau, der Lokomotivenbau und die chemische Industrie eine führende Rolle. Hilfreich war zudem der im Königreich Sachsen liegende Bevölkerungsschwerpunkt mit 171 Einwohnern pro Quadratkilometer. In Berlin etwa siedelten sich vor allem die Konfektionsindustrie, der Maschinenbau sowie Banken und Versicherungen an. Das Rheinland profitierte von seiner Verkehrslage. Das teils in der Rheinprovinz und teils in der Provinz Westfalen liegende Ruhrgebiet entwickelte sich rohstoffbedingt zum Zentrum der Industrie, insbesondere der Montanindustrie. Dort hatte es zwar zuvor bereits in einigen Orten Bergbau gegeben, aber mit der Nordwanderung der Förderung kam es in einigen Gebieten zu einer völlig neuen Entwicklung. Weniger wichtig war die Nähe der Werke zu den Rohstoffen etwa im Maschinenbau, der sich an zahlreichen Standorten etablierte. So entstanden die Lokomotivfabriken häufig in den Haupt- und Residenzstädten.

Verteilung der Werkzeugmaschinenfabriken im Jahr 1846 in Deutschland[17]

  • Chemnitz/Zwickau = ca. 135 Fabriken
  • Dresden = ca. 60 Fabriken
  • Berlin = ca. 38 Fabriken
  • Leipzig = ca. 19 Fabriken
  • Köln = ca. 5 Fabriken
  • Düsseldorf = ca. 5 Fabriken
  • Nürnberg/Fürth = ca. 5 Fabriken

Es gab aber auch Gebiete, die von der industriellen Entwicklung weniger profitierten. So fiel das einst reiche Schlesien auf Grund seiner verkehrstechnisch relativ abgelegenen Lage zurück. Teile des Sauerlandes und des Siegerlandes mit ihren traditionsreichen Eisenproduktionen konnten sich nur schwer oder gar nicht gegen die Konkurrenz des nahen Ruhrgebiets behaupten. Umgekehrt wirkte sich etwa der bis 1847 ausgeführte Bau der Stammstrecke der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft und der südlich parallel laufenden Strecke der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft von 1862 für das entstehende Ruhrgebiet förderlich aus.

Am Ende der Epoche lassen sich vier Regionstypen unterscheiden. Die erste umfasst deutlich industrialisierte Gebiete wie das Königreich Sachsen (hier vornehmlich die Region um Chemnitz, Glauchau und Zwickau), das Rheinland, Elsass-Lothringen, die Rheinpfalz und auch das Großherzogtum Hessen. Eine zweite Gruppe umfasst solche Regionen, in denen zwar einige Branchen oder Teilregionen als Vorreiter der Industrialisierung erscheinen, das Gesamtgebiet aber nicht als industrialisiert gelten kann. Dazu zählen Württemberg, Baden, Schlesien, Westfalen, und die preußischen Provinzen Sachsen und Hessen-Nassau. In einer dritten Gruppe finden sich Regionen, in denen es zwar frühindustrielle Ansätze in einigen Städten gab, die ansonsten aber eine vergleichsweise geringe gewerbliche Entwicklung aufwiesen. Dazu zählen das Königreich beziehungsweise die Provinz Hannover, die Gebiete der thüringisch-sächsischen Fürstentümer im Thüringer Wald und in Südthüringen sowie das angrenzende Ober- und Mittelfranken. Hinzu kommen Gebiete, die überwiegend landwirtschaftlich geprägt waren und deren Gewerbe meist handwerklich geprägt war. Dazu zählen etwa Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern und Mecklenburg.[18]

Leitbranchen

Der zentrale Wachstumsmotor für die Industrialisierung in Deutschland war der Eisenbahnbau. Die von diesem ausgehende Nachfrage förderte die Entwicklungen in den drei aufs engste miteinander verbundenen Leitbranchen: dem Bergbau, der Metallerzeugung und dem Maschinenbau.

Eisenbahnbau

Im sekundären Sektor war die Eisenbahn der stärkste Wachstumsmotor und nahm auch insgesamt eine Schlüsselstellung ein. Das Eisenbahnzeitalter begann in Deutschland mit der sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth der Ludwigseisenbahn-Gesellschaft. Die erste wirtschaftlich bedeutende Strecke war die auf maßgebliche Initiative von Friedrich List gebaute 115 Kilometer lange Strecke Leipzig–Dresden (1837).

Streckenkilometer der Eisenbahnen im Gebiet des Deutschen Bundes 1850–1873

Der wachsende Transportbedarf führte zum Ausbau des Schienennetzes, dies wiederum erhöhte die Nachfrage nach Eisen und Kohle. Wie stark dieser Zusammenhang war, zeigt die Tatsache, dass zwischen 1850 und 1890 etwa die Hälfte der Eisenproduktion im Bereich der Eisenbahn verbraucht wurde. Mit der Ausweitung der inländischen Eisenproduktion seit den 1850er-Jahren gewann auch der Eisenbahnbau neuen Schwung. Im Zuge des Ausbaus des Eisenbahnnetzes sanken kontinuierlich die Transportpreise, was sich wiederum förderlich für die Gesamtwirtschaft auswirkte. Für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn spricht, dass zwischen 1850 und 1890 etwa 25 % der Gesamtinvestitionen in diesen Bereich flossen. Die Investitionen in die Eisenbahnen waren lange Zeit höher als in den Bereich des produzierenden Gewerbes oder der Industrie.

In den 1840er-Jahren erlebte der Eisenbahnbau eine erste Hochphase. Im Jahr 1840 gab es etwa 580 Kilometer, um 1850 bereits über 7000 Kilometer und 1870 fast 25.000 Streckenkilometer. Auch waren 1840 beim Bau der Eisenbahnen und beim Betrieb über 42.000 Personen beschäftigt, das waren mehr als im Steinkohlebergbau. Diese Zahl wuchs in den nächsten Jahren weiter an und betrug 1846 fast 180.000 Arbeitskräfte. Nur ein kleiner Teil von etwa 26.000 Arbeitern war ständig im Betrieb beschäftigt, die übrigen waren beim Bau der Strecken tätig.[19]

Metallverarbeitung

Lokomotivfabrik von August Borsig (um 1847)

Um 1800 wurden in Deutschland die ersten dampfbetriebenen Maschinen gebaut und eingesetzt. Im Jahr 1807 bauten die Brüder Franz und Johann Dinnendahl in Essen erste Dampfmaschinen. Diese dienten in erster Linie zum Abpumpen von Wasser in Zechen des Ruhrgebiets. Friedrich Harkort gründete 1817 in Wetter seine Mechanische Werkstätte. Im Aachener Raum gab es 1836 neun Maschinenbaubetriebe mit zusammen tausend Arbeitern. In ganz Preußen gab es 1832 210 Dampfmaschinen. Im Königreich Hannover wurde 1831 die erste in Gang gesetzt.

Mit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters 1835 wuchs die Nachfrage nach Schienen und Lokomotiven. Seit den 1830er Jahren wuchs die Zahl der Hersteller von Dampfmaschinen und Lokomotiven. Dazu zählten die Maschinenfabrik Esslingen, die Sächsische Maschinenfabrik in Chemnitz, August Borsig in Berlin, in Breslau J. Kemna, die Union Gießerei Königsberg, die später so genannte Firma Hanomag in Hannover, Henschel in Kassel, in Karlsruhe Emil Kessler, in München J.A. Maffei sowie die Eisengießerei und Maschinenfabrik Klett & Comp. in Nürnberg. An der Spitze stand unbestritten die Firma Borsig, die 1841 ihre erste und bereits 1858 die tausendste Lokomotive herstellte und mit 1100 Beschäftigten zur drittgrößten Lokomotivfabrik der Welt aufstieg. Deren Aufstieg wiederum vergrößerte den Bedarf an Produkten der Montanindustrie.

Im Bereich der Metallverarbeitung hatte der Maschinenbau als modernster und wachstumsintensivster Bereich eine Leitfunktion. Neben einigen Großbetrieben gab es in diesem Bereich zahlreiche kleinere und mittlere Unternehmen, nicht selten in Familienbesitz. Hauptstandorte waren Chemnitz und Zwickau, weiterhin Berlin, Dresden, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim und Nürnberg. Johann von Zimmermann gründete im Jahr 1848 in Chemnitz die erste Werkzeugmaschinenfabrik Deutschlands. Daneben zogen die Auftraggeber etwa in der Schwer- oder Textilindustrie Betriebe dieser Art an. Der Maschinenbau in Deutschland profitierte von der Gründung verschiedener Gewerbeschulen, die teilweise später zu technischen Hochschulen wurden. Während man in England im Bereich des Maschinenbaus neue Produkte noch aufgrund empirischer Erfahrungen entwickelte, setzte sich in Deutschland bereits die ingenieurmäßige Berechnung durch. Hatte man in den 1860er Jahren vor allem Dampfmaschinen produziert, verteilten sich die Produktionsschwerpunkte 1871 etwa gleichmäßig auf Textilmaschinen, Dampfmaschinen und Landmaschinen. 1846 hatte es im Gebiet des Zollvereins erst 1518 Dampfmaschinen gegeben, 1861 waren es 8695 Stück. Allein in Preußen gab es 1873 25.000 Anlagen.[20]

Bergbau

Der Abbau von Erzen oder Kohle unterlag bis ins 19. Jahrhundert hinein dem fürstlichen Bergregal. Im Saargebiet übernahm der preußische Staat die Kohlegruben bis auf eine Ausnahme in Staatsbesitz. In den preußischen Westgebieten wurde seit 1766 das sogenannte Direktionsprinzip eingeführt. Durch die Schiffbarmachung der Ruhr in der Endphase der Regierungszeit von Friedrich II. wurde der Kohlenexport deutlich erleichtert. Nach der Gründung der Provinzen Rheinland und Westfalen wurde 1815 der Oberbergamtsbezirk Dortmund geschaffen. Dieser reichte von Emmerich im Westen bis Minden im Osten, von Ibbenbüren im Norden bis Lüdenscheid im Süden. Die Bergbehörde regulierte Abbau, Arbeitsbedingungen und Bezahlung der „Bergknappen.“ Dies bedeutete einen beachtlichen Schutz der Beschäftigten, schränkte aber auch die unternehmerischen Entscheidungen ein. Obwohl sich die Förderung zwischen 1790 und 1815 von 177.000 auf 513.000 Tonnen erheblich steigerte, blieb die wirtschaftliche Bedeutung doch noch recht bescheiden. So waren 1815 etwa erst 3400 Bergknappen beschäftigt. Ein Beispiel für die Möglichkeit, trotz der obrigkeitlichen Aufsicht im Bergbau erfolgreich zu sein, war etwa Mathias Stinnes aus der Hafenstadt Mülheim. Dieser baute ab 1818 systematisch ein Kohletransportunternehmen mit Abnehmern im Rheinland und Holland auf. Stinnes verfügte bald über zahlreiche Frachtkähne und setzte als einer der ersten auch dampfbetriebene Schleppschiffe ein. Mit dem Gewinn kaufte er Anteile von Bergbauunternehmen. In seinem Todesjahr war er mit vier eigenen Zechen und Anteilen an 36 weiteren Gruben der wichtigste Bergbauunternehmer des Reviers.

Durch den Einsatz von Dampfmaschinen zur Entwässerung konnte der Abbau in größeren Tiefen erfolgen. Entscheidend war allerdings die Möglichkeit, mit den sogenannten Tiefbauzechen die Mergelschicht zu durchbrechen. Als einer der ersten Unternehmer ließ Franz Haniel (Miteigentümer der Gutehoffnungshütte) seit 1830 bei Essen solche Zechen anlegen. In den folgenden Jahren nahm die Zahl der Tiefbauzechen auf 48 mit 95 Dampfmaschinen (1845) zu. Bis 1840 stieg die Fördermenge im Oberbergamtsbezirk auf 1,2 Millionen Tonnen und die Beschäftigtenzahl auf immerhin fast 9000 Mann an. Auch in anderen Revieren wurde die Kohleförderung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verstärkt. Dazu zählte etwa das Aachener Revier im Bergamt Düren. In dieser Region gab es 1836 immerhin 36 Zechen.

Steinkohleförderung in Preußen 1817–1870 (in 1000 t)

Vor allem die durch den Eisenbahnbau ausgelöste Nachfrage nach Eisenprodukten wirkte sich seit den 1840er-Jahren förderlich auf den Bergbau aus. Hinzu kamen Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehörte insbesondere seit 1851 die allmähliche Aufgabe der obrigkeitlichen Kontrolle des Bergbaus. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung freilich erst mit der preußischen Bergrechtsreform von 1861. Dies war eine der Ursachen für den Aufschwung des privatwirtschaftlichen Bergbaus an der Ruhr oder in Schlesien. Viele deutsche Staaten griffen auf das preußische Bergrecht von 1865 zurück. Das Königreich Sachsen (mit seiner bedeutenden Bergbautradition) verkündete 1868 ein eigenständiges Bergrecht.

Die Bergrechtsänderungen erleichterten nicht zuletzt die Durchsetzung der modernen Aktiengesellschaft als Unternehmensform auch im Bergbau. Der Ire William Thomas Mulvany schuf 1854 die Hibernia AG und 1856 gründeten verschiedene Aktionäre die Harpener Bergbau AG. Beide stiegen in den folgenden Jahrzehnten zu führenden Bergbauunternehmen des Reviers auf. In den 1850er-Jahren wurden im Ruhrgebiet zahlreiche neue Zechen angelegt. Im Jahr 1860 erreichte ihre Zahl mit 277 Unternehmen ihren Höhepunkt. Damit verbunden war ein erheblicher Zuwachs der Fördermengen. In den Folgejahren ging die Zahl der Zechen zurück, die Förderkapazitäten wurden durch die Fusion kleinerer Zechen zu größeren Einheiten dagegen weiter gesteigert. Am erfolgreichsten war am Ende der industriellen Revolution Friedrich Grillo 1873 mit seiner Gelsenkirchener Bergwerks AG.[21]

Eisen- und Stahlproduktion

Auch die Anfänge einer Reihe von später führenden schwerindustriellen Unternehmen fallen in die Zeit der Frühindustrialisierung. An der Saar spielten Carl Ferdinand von Stumm-Halberg und seine Familie in der Schwerindustrie die führende Rolle, vor allem als sie seit 1827 den Konkurrenten Dillinger Hütte kontrollierte. In Sterkrade bei Oberhausen gründeten 1810 verschiedene Unternehmen die Gutehoffnungshütte. Hatte das Unternehmen um 1830 herum erst 340 Arbeiter, waren es Anfang der 1840er-Jahre bereits etwa 2000. Friedrich Krupp hatte 1811 in Essen die Gussstahlproduktion aufgenommen, hinterließ seinem Sohn Alfred 1826 allerdings eine hochverschuldete Firma. Die Lage des Unternehmens blieb problematisch, bis in den 1840er-Jahren der Eisenbahnbau die Nachfrage ankurbelte.

Krupp-Werk Essen um 1864

Eine wichtige technische Innovation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die Errichtung von Puddelwerken, die unter Einsatz von Steinkohle wesentlich produktiver und kostengünstiger waren als die alten Hütten auf Holzkohlebasis. 1824 wurde das Verfahren bei einer Hütte in Neuwied eingeführt, 1825 folgte bei Düren die Lendersdorfer Hütte von Eberhard Hoesch, ein Jahr später folgte Harkorts Werk. Die in den folgenden beiden Jahrzehnten erfolgten Umbauten und Neugründungen führten – wie etwa im Fall der Hüstener Gewerkschaft – zu weiteren Betriebsabteilungen wie Walzwerken, Drahtziehereien und Maschinenbauabteilungen. Der Ausbau der Eisenbahn ließ den Bedarf an Eisen und Schienen und sonstigen montanindustriellen Produkten innerhalb kurzer Zeit in die Höhe schnellen.

Innerhalb der Metallerzeugung sorgten technische Innovationen für einen erheblichen Produktionsfortschritt, wie die erwähnte Erzeugung von Eisen mit Kokskohle statt wie bisher mit der teuren Holzkohle. Wurden 1850 erst 25 % des Eisens mit Koks hergestellt, waren es nur drei Jahre später 63 %. In den 1860er-Jahren setzte sich in der Stahlerzeugung das Bessemerverfahren durch. Dadurch konnte auf industriellem Wege aus flüssigem Roheisen Stahl hergestellt werden.

Eisen- und Stahlproduktion in Preußen 1800–1870 (in 1000 t)

Insgesamt waren um 1850 zu Beginn der eigentlichen industriellen Revolution im Gebiet des deutschen Bundes erst 13500 Arbeiter im Bereich der Roheisenerzeugung beschäftigt und ihre Produktionsmenge lag bei rund 214.000 Tonnen. In den folgenden zehn Jahren wuchs die Produktion um 150 %, in den Sechzigerjahren noch einmal um 160 % und auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution von 1870 bis 1873 um 350 %. In dieser Zeit waren die Arbeiterzahlen lediglich um 100 % gewachsen. Die Gründe lagen in der technischen Verbesserung der Produktion, aber auch in der Entstehung einer erfahrenen Facharbeiterschaft. Die technisch aufwendigere Stahlproduktion expandierte noch stärker und hatte 1850 die Eisenherstellung fast eingeholt. Zu diesem Zeitpunkt wurden etwa 200.000 Tonnen mit etwa 20.000 Arbeitern produziert. Im Jahr 1873 lag die Produktion bei 1,6 Millionen Tonnen bei 79.000 Beschäftigten.[22]

Konzernbildung

Waren die schwerindustriellen Unternehmen zu Beginn der industriellen Revolution nicht selten noch Kleinbetriebe, wuchsen sie im Laufe dieser Periode teilweise zu Riesenbetrieben an. Bei Krupp arbeiteten 1835 67 Personen, 1871 waren es 9000 und 1873 knapp 13.000 Arbeitskräfte. Gleichzeitig setzten sich die Aktiengesellschaften – von Ausnahmen wie Krupp oder einigen oberschlesischen Familienbetrieben abgesehen – als dominante Unternehmensform durch.

Außerdem entstanden – insbesondere in der Schwerindustrie – in dieser Phase vertikal und horizontal verbundene Konzerne. Dabei wurden beispielsweise Bergwerke, die Eisenherstellung und Stahlproduktion, Walzwerke und Maschinenbaubetriebe vereint. In diese Richtung entwickelten sich etwa die Gutehoffnungshütte in Oberhausen, der Bochumer Verein, die Firmen Hoesch und Thyssen, der Hoerder Verein aber auch Familienunternehmen wie die der Henckel von Donnersmarck in Oberschlesien. Während die meisten Unternehmen sich erst allmählich in diese Richtung entwickelten, wurde die Dortmunder Union 1872 gleich als diversifizierter Unternehmensverband gegründet. Dasselbe gilt für die Gelsenkirchener Bergwerks AG (1873). Beide Projekte wurden maßgeblich von Friedrich Grillo vorangetrieben und durch die von Adolph von Hansemann geleitete Disconto-Gesellschaft finanziert.[23]

Industriefinanzierung und Bankwesen

David Hansemann beschäftigte sich im Vormärz mit der Finanzierung des Eisenbahnbaus und war in den 1850er-Jahren der Gründer der Disconto-Gesellschaft (Lithographie von 1848)

Nicht selten beruhte die Finanzierung der ersten industriellen Unternehmen auf Eigenkapital oder dem Geld der Familien. Auf längere Sicht war zur Gründung und Weiterentwicklung von Unternehmen die Bereitstellung des benötigten Kapitals durch Banken notwendig. In den ersten Jahrzehnten waren dies überwiegend Privatbankiers. Daneben begann bereits vor 1870 die Entwicklung von Aktienbanken und des für die spätere Entwicklung in Deutschland typischen Systems der Universalbanken. Insbesondere bei der Finanzierung des gewinnträchtigen Eisenbahnbaus spielten die Privatbanken anfangs eine zentrale Rolle. Sie waren Ausgabestellen für die entsprechenden Aktien und die Leiter der Banken saßen vielfach in den Leitungsgremien oder Aufsichtsräten der Eisenbahngesellschaften. Besonders gut dokumentiert ist die Rolle der Privatbanken bei der Rheinischen Eisenbahngesellschaft. Die zu Beginn führende Kraft war Ludolf Camphausen. Hinzu kamen aus dem Kölner Bankwesen A. Schaaffhausen, Abraham Oppenheim sowie eine Gruppe aus Aachen um David Hansemann. Später wurde Oppenheim der Hauptanteilseigner. Von Bedeutung war das Eisenbahngeschäft auch als Brücke zur Investition in Bergbau und Schwerindustrie. Allerdings war die Finanzierung der Eisenbahnen auch sehr risikobehaftet. Daher entstanden in den Kreisen der westdeutschen Privatbankiers schon in den 1840er-Jahren Pläne für die Gründung von Aktienbanken, die allerdings an der preußischen Staatsbürokratie scheiterten. Als Reaktion auf die akute Krise der Schaafhausenschen Bank wurde 1848 als Gläubigerunternehmen der A. Schaaffhausen’sche Bankverein als erste Aktienbank gegründet. Es folgte 1853 die auch Darmstädter Bank genannte Darmstädter Bank für Handel und Industrie, an der sich unter anderem Gustav Mevissen beteiligte, 1856 die zur Aktiengesellschaft umgewandelte Disconto-Gesellschaft von David Hansemann und im gleichen Jahr die Berliner Handels-Gesellschaft. Diese Aktiengesellschaften konzentrierten sich auf die Finanzierung industrieller und anderer Unternehmungen mit einem hohen Kapitalbedarf. In der Folge kam es, anders als etwa in Großbritannien, zu einer Arbeitsteilung. Die Ausgabe von Banknoten blieb in den Händen (halb-)staatlicher Einrichtungen. Dabei spielte bald die Preußische Bank eine zentrale Rolle. Dagegen konzentrierten sich Privat- und Aktienbanken auf die Gründungs- und Emissionsaktivitäten industrieller Aktiengesellschaften.[24]

Wirtschaftliche Wechsellagen

Bezogen auf die Wirtschaft in diesem Zeitraum insgesamt waren die Wachstumsraten nicht überdurchschnittlich. Die durchschnittliche Steigerung des Nettosozialprodukts pro Jahr lag zwischen 1850 und 1857 bei 2,36 % und stieg in der Zeit von 1863 bis 1871 auf etwa 3,31 % an.[25] Ein anderes Bild ergibt sich bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Wirtschaftssektoren. Das mit Abstand größte Wachstum wies der industrielle Bereich auf. Diese Entwicklung war das eigentlich Neue. Innerhalb der Industrie dominierte zunächst die Konsumgüterproduktion, insbesondere die Textilindustrie. Die Konjunkturentwicklung im industriellen Bereich war damit noch stark von der Reallohnentwicklung abhängig. Dies änderte sich nach 1840 deutlich, als Eisenbahnen und Schwerindustrie zu industriellen Führungssektoren aufstiegen. Die industrielle konjunkturelle Entwicklung folgte nun primär den eigenen Gewinnerwartungen.[26]

Allerdings war der sekundäre Sektor noch nicht stark genug, um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu dominieren. Erst gegen Ende der industriellen Revolution um 1870 herum übernahm er die Führungsrolle eindeutig. Bis dahin wies die Entwicklung der Landwirtschaft, also der Hauptbestandteil des primären Sektors, noch eine eigene Dynamik auf. Das ist auch einer der Gründe, warum gesamtwirtschaftliche Konjunkturzyklen im heutigen Sinn erst seit dem Beginn des Kaiserreichs auftraten. Bis dahin mischten sich in den „wirtschaftlichen Wechsellagen“ ältere agrarisch geprägte Auf- und Abschwünge mit industriellen Einflüssen.

Die agrarischen Wirtschaftskrisen älteren Typs hingen in erster Linie mit Ernteausfällen, also natürlichen Einflüssen, zusammen. Gute Ernten machten die Lebensmittel billiger, ein hoher Preisverfall allerdings führte zu Einkommensverlusten der Landwirte mit wiederum erheblichen Auswirkungen auf die Nachfrage nach gewerblichen Produkten. Umgekehrt führten schlechte Ernten zu einem extremen Ansteigen der Lebensmittelpreise. Agrarkrisen dieser Art gab es 1805/06, 1816/17 (Jahr ohne Sommer), 1829/30[27] und die schlimmste war die von 1846/47[28] (→ Kartoffelrevolution).

Aktienindex Deutscher Börsen 1840–1870

Der industrielle Typ der Konjunktur lässt sich in Deutschland erstmals in der Mitte der 1840er-Jahre nachweisen. In den Jahren 1841 bis 1845 kam es zu einem regelrechten Investitionsboom bei den Eisenbahnen, der innerhalb kürzester Zeit in bislang unbekannter Höhe Kapital anzog, dann aber rasch wieder abbrach.

Das Nachlassen dieses Aufschwungs hing mit der Agrarkrise von 1847 zusammen und verstärkte diese zusätzlich. Zu Lebensmittelteuerung und Hungerkrise kamen Arbeitslosigkeit und Verdienstausfall. Dies hat die vorrevolutionäre Entwicklung auch in den unteren Schichten zusätzlich verstärkt. Das Konjunkturtief endete erst Ende 1849 oder Anfang 1850.[29]

Für eine grundsätzliche Wende spricht nach Ansicht von Historikern, dass die Ernteausfälle etwa in den frühen 1850er-Jahren sich nur noch regional auswirkten, da insbesondere der Transport per Eisenbahn für einen innereuropäischen Ausgleich sorgte. In diese Zeit fielen Investitionen in alle gewerblichen Bereiche, vor allem in die Eisenbahn. Der Aufstieg der Industrie wurde von 1857 bis 1859 durch einen massiven Konjunkturabschwung, der vielfach auch als „erste Weltwirtschaftskrise“ (Hans Rosenberg) bezeichnet wurde, unterbrochen. Im Kern handelte es sich dabei um eine Handels-, Spekulations- und Bankenkrise, ausgehend vor allem von Hamburg. Zur Krise kam es, als die mit Bankwechseln finanzierten Handels- und Rüstungsgeschäfte zwischen Hamburg, Amerika, England und Skandinavien platzten. Der Ursprung lag dabei in den USA, wo der Zusammenbruch einer Bank eine Art Kettenreaktion und den Zusammenbruch zahlreicher weiterer Kreditinstitute auslöste. Allerdings gab es auch Faktoren im industriellen Bereich. So hielten vielerorts die Produktionskapazitäten mit der Nachfrage nicht Schritt. Die Krise war allerdings wesentlich kürzer und die Auswirkungen weniger gravierend als die Gründerkrise nach 1873.

Im Vergleich zur ersten Hälfte der 1850er-Jahre blieb die Konjunktur in der ersten Hälfte der 1860er-Jahre vergleichsweise schwach. Dies lag vor allem an äußeren Einflüssen wie dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Durch das Ausbleiben von Baumwolllieferungen aus dem Süden litt vor allem die Textilindustrie. Im Übrigen hielten sich die Unternehmen nach den Erfahrungen der Jahre 1857–1859 mit Investitionen zurück. Nach der Mitte der 1860er-Jahre erfolgte erneut ein beachtlicher wirtschaftlicher Aufschwung, der in den „Gründerboom“ überging. Dieser wurde nicht mehr allein von der Schwerindustrie getragen, sondern fast ebenso deutlich wuchsen die Textilindustrie und die Landwirtschaft. Nur kurz gebremst durch den Krieg von 1870/71 setzte sich das Wachstum bis zum Beginn der Gründerkrise 1873 fort. Waren die wirtschaftlichen Wechsellagen noch in der Mitte des Jahrhunderts auch agrarisch bestimmt, dominierte nunmehr eindeutig die Industrie.[30]

Wandel der Gesellschaft und soziale Frage

Während der Jahrzehnte der industriellen Revolution änderte sich neben der Wirtschaft auch die Gesellschaft stark. Ähnlich wie im wirtschaftlichen Raum ältere Gewerbeformen neben die moderne Industrie traten, mischten sich auch ältere und neuere Lebensweisen, soziale Gruppen und gesellschaftliche Problemlagen. Die Entstehung sozialistischer Staatssysteme war eine Antwort auf Defizite bisheriger Organisationssysteme und prägen die politische Landschaft.[31]

Bürgertum

Das 19. Jahrhundert gilt als Zeit des Durchbruchs der bürgerlichen Gesellschaft. Die Bürger stellten quantitativ allerdings nie die Mehrheit der Gesellschaft. Anfangs überwog die ländliche Gesellschaft und am Ende war die Industriearbeiterschaft im Begriff, die Bürger zahlenmäßig zu überholen. Die bürgerliche Lebensweise, ihre Werte und ihre Normen wurden prägend für das 19. Jahrhundert. Zwar behaupteten Monarchen und Adel zunächst noch ihre Führungsrolle in der Politik, aber diese wurde allein durch die neuen nationalen und bürgerlichen Bewegungen mitgeprägt und herausgefordert.

Ölgemälde der Familie des Unternehmers Brökelmann von Engelbert Seibertz aus dem Jahr 1850

Allerdings war das Bürgertum keine homogene Gruppe, sondern bestand aus verschiedenen Teilen. In einer Kontinuität mit dem Bürgertum der frühen Neuzeit stand das alte Stadtbürgertum der Handwerker, Gastwirte oder Händler. Nach unten ging dieses allmählich in das Kleinbürgertum der kleinen Gewerbetreibenden, Einzelmeister oder Händler über. Die Zahl der Vollbürger lag bis ins 19. Jahrhundert hinweg zwischen 15 und 30 % der Einwohner. Die Exklusivität des Bürgerstatus verloren sie nach den Reformen in den Rheinbundstaaten, in Preußen und später auch in den anderen deutschen Staaten durch den staatsbürgerlichen Gleichheitsbegriff und der allmählichen Durchsetzung der Einwohnergemeinden. Von Ausnahmen abgesehen, verharrte die Gruppe der alten Stadtbürger im frühen 19. Jahrhundert in den überkommenen Lebensformen. Im Stadtbürgertum zählte ständische Tradition, Familienrang, vertraute Geschäftsformen, schichtenspezifischer Aufwandkonsum. Dagegen stand diese Gruppe der raschen aber risikoreichen industriellen Entwicklung skeptisch gegenüber. Numerisch bildete diese Gruppe bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts die größte Bürgergruppe.

Jenseits des alten Bürgerstandes stiegen seit dem 18. Jahrhundert neue Bürgergruppen auf. Dazu zählen vor allem das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Den Kern des Bildungsbürgertums im Gebiet des Deutschen Bundes bildeten vorwiegend die höheren Beschäftigten im Staatsdienst, in der Justiz und dem im 19. Jahrhundert expandierenden höheren Bildungswesen der Gymnasien und Universitäten. Neben dem beamteten Bildungsbürgertum gewannen freie akademische Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Notare oder Architekten erst seit den 1830/40er-Jahren zahlenmäßig an Gewicht. Konstituierend war für diese Gruppe, dass die Zugehörigkeit nicht auf ständischen Vorrechten, sondern auf Leistungsqualifikationen beruhte.

Zwar war die Selbstrekrutierung hoch, aber das Bildungsbürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war durchaus aufnahmebereit für soziale Aufsteiger. Etwa 15–20 % stammte aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen und schaffte den Aufstieg über das Abitur und ein Studium. Die unterschiedliche Herkunft wurde durch die Ausbildung und ähnliche soziale Verkehrskreise angeglichen.

Idealisierte Darstellung des bürgerlichen Familienbildes (Neuruppiner Bilderbogen etwa 1860–1870)

Das Bildungsbürgertum, das einen beträchtlichen Teil der bürokratischen und juristischen Funktionselite stellte, war politisch die sicherlich einflussreichste bürgerliche Teilgruppe. Gleichzeitig setzte sie aber auch kulturelle Normen, die mehr oder weniger von anderen bürgerlichen Gruppen bis hin in die Arbeiterklasse und selbst vom Adel teilweise adaptiert wurden. Dazu gehört etwa das bis ins 20. Jahrhundert hinein dominierende bürgerliche Familienbild des öffentlich tätigen Mannes und der Haus und Kinder versorgenden Ehefrau. Das Bildungsbürgertum stützte sich auf ein neuhumanistisches Bildungsideal. Dieses diente zur Abgrenzung sowohl gegenüber dem auf Privilegien beruhenden Adel als auch gegenüber den ungebildeten Schichten.

Mit der industriellen Entwicklung trat neben Stadt- und Bildungsbürger zunehmend ein neues Wirtschaftsbürgertum. Die deutsche Form der Bourgeoisie entstammte der Gruppe der Unternehmer. Die Forschung schätzt, dass bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hierzu einige hundert Unternehmerfamilien zu rechnen waren. Bis 1873 nahm ihre Zahl zwar auf einige tausend Familien zu, aber das Wirtschaftsbürgertum war zahlenmäßig die kleinste bürgerliche Teilgruppe. Zu ihnen gehörten neben den Industriellen auch Bankiers, Kapitalbesitzer und zunehmend die angestellten Manager.

Die soziale Herkunft der Wirtschaftsbürger war unterschiedlich. Einige von ihnen, wie August Borsig, waren soziale Aufsteiger aus Handwerkerkreisen, ein beträchtlicher Teil stammte wie etwa die Krupps aus angesehenen, lang eingesessenen und wohlhabenden stadtbürgerlichen Kaufmannsfamilien. Es wird geschätzt, dass etwa 54 % der Industriellen aus Unternehmerfamilien stammten, 26 % kamen aus Familien von Landwirten, selbstständigen Handwerkern oder kleineren Händlern, die übrigen 20 % kamen aus dem Bildungsbürgertum, aus Offiziers- und Großgrundbesitzerfamilien. Aus Arbeiterfamilien oder der ländlichen Unterschicht kam so gut wie kein Industrieller. Bereits während der industriellen Revolution verlor der Typus des sozialen Aufsteigers an Gewicht. Während etwa 1851 erst 1,4 % der Unternehmer akademisch gebildet waren, hatten 1870 37 % aller Unternehmer eine Hochschule besucht. Seit den 1850er-Jahren begann sich das Wirtschaftsbürgertum durch seinen Lebensstil – etwa durch den Bau von repräsentativen Villen oder den Kauf von Landbesitz – von den übrigen bürgerlichen Gruppen abzusondern. Teilweise begannen diese, sich in ihrem Lebensstil am Adel zu orientieren. Die Möglichkeiten dazu hatten allerdings nur die Besitzer von Großbetrieben. Daneben gab es eine mittlere Schicht von Unternehmern, wie die Familie Bassermann, die sich vom Adel abgrenzte und einer ausgesprochenen Mittelstandsideologie folgte.[32]

Pauperismus

Das Wachstum der neuen Industrie war in einigen Gegenden beeindruckend; diese Impulse reichten aber lange Zeit nicht aus, um die wachsende Bevölkerung vernünftig zu beschäftigen und zu ernähren. Hinzu kam, dass der Zusammenbruch alter Gewerbe und die Krise des Handwerks die soziale Not noch verschärften. Davon betroffen war vor allem das vielfach überbesetzte produzierende Handwerk. Auf mittlere Sicht allerdings gelang es den Handwerkern, sich an die industriekapitalistischen Bedingungen anzupassen. So profitierte das Bauhandwerk vom Wachstum der Städte und andere Handwerksbereiche konzentrierten sich zunehmend auf die Reparatur statt auf die Produktion.

Die schlesischen Weber (Gemälde von Carl Wilhelm Hübner, 1846)

In der ländlichen Gesellschaft hatte seit dem 18. Jahrhundert die Zahl der Betriebe in unter- oder kleinbäuerlichen Schichten mit nur wenig oder gar keinem Ackerland stark zugenommen. Dazu hatten die gewerblichen Erwerbsmöglichkeiten – sei es im Landhandwerk oder im Heimgewerbe – stark beigetragen. Mit der Krise des Handwerks und dem Niedergang des Heimgewerbes gerieten erhebliche Teile dieser Gruppen in Existenznöte. Diese Entwicklungen trugen zum Pauperismus des Vormärz nicht unwesentlich bei. Mittelfristig kamen aus diesen Gruppen große Teile der Fabrikarbeiter, aber für eine längere Übergangszeit bedeutete die Industrialisierung eine Verarmung von zahlreichen Menschen. Zunächst ging mit den Gewinnmöglichkeiten der Lebensstandard zurück, ehe ein Großteil etwa der Heimgewerbetreibenden erwerbslos wurde. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die schlesischen Weber.[33]

Auswanderung

Da die meisten der neuen Industrien zunächst den lokalen Unterschichten Arbeit gaben, spielte die Binnenwanderung in den ersten Jahrzehnten noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen schien die Auswanderung eine Möglichkeit zu sein, die soziale Not zu überwinden. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war der quantitative Umfang dieser Art von Wanderungsbewegung noch begrenzt. Zwischen 1820 und 1830 schwankte die Zahl der Auswanderer zwischen 3000 und 5000 Personen pro Jahr. Seit den 1830er-Jahren begannen die Zahlen deutlich anzusteigen. Hier wirkte sich vor allem die Hauptphase des Pauperismus und der Agrarkrise von 1846/47 aus. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Bewegung daher auch 1847 mit 80.000 Auswanderern.

Deutsche Auswanderer im Hamburger Hafen (um 1850)

Die Auswanderung selbst nahm organisierte Formen zunächst durch Auswanderungsvereine und zunehmend durch kommerziell orientierte Agenten an, die nicht selten mit anrüchigen Methoden arbeiteten und ihre Klientel betrogen. Teilweise, vor allem in Südwestdeutschland und insbesondere in Baden, wurde die Auswanderung von den Regierungen gefördert, um so die soziale Krise zu entschärfen.

In den frühen 1850er-Jahren stieg die Zahl der Auswanderer weiter an und lag 1854 bei 239.000 Menschen pro Jahr. Dabei mischten sich soziale, wirtschaftliche und auch latent politische Motive. Insgesamt wanderten zwischen 1850 und 1860 etwa 1,1 Millionen Personen aus, davon kamen allein ein Viertel aus den Realteilungsgebieten Südwestdeutschlands.[34]

Entstehung der Arbeiterschaft

Seit etwa der Mitte der 1840er-Jahre begannen sich die Zusammensetzung und der Charakter der unteren Gesellschaftsschichten zu wandeln. Ein Indikator dafür ist, dass etwa seit dieser Zeit der Begriff Proletariat im zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs eine immer wichtigere Rolle spielte und den Pauperismusbegriff bis in die 1860er-Jahre verdrängte. Wie differenziert diese Gruppe im Übergang von der traditionellen zur industriellen Gesellschaft war, zeigen zeitgenössische Definitionen. Dazu zählten Handarbeiter und Tagelöhner, die Handwerksgesellen und Gehilfen, schließlich die Fabrik- und industriellen Lohnarbeiter. Diese „arbeitenden Klassen“ im weitesten Sinn stellten in Preußen 1849 etwa 82 % aller Erwerbstätigen und zusammen mit ihren Angehörigen machten sie 67 % der Gesamtbevölkerung aus.

Unter diesen bildeten die modernen Fabriksarbeiter zunächst noch eine kleine Minderheit. Rein quantitativ zählte man in Preußen (einschließlich der Beschäftigten in den Manufakturen) im Jahr 1849 270.000 Fabrikarbeiter. Unter Einschluss der 54.000 Bergleute kommt man insgesamt auf die noch recht geringe Zahl von 326.000 Arbeitern. Diese Zahl stieg bis 1861 auf 541.000 an. Noch immer waren die Industriearbeiter eine zwar strategisch wichtige, aber zahlenmäßig eher kleine Gruppe der arbeitenden Klassen. Am Ende der industriellen Revolution zu Beginn der 1870er-Jahre zählten die Statistiker in Preußen 885.000 Industriearbeiter und 396.000 Bergleute. Auf einer etwas anderen Datengrundlage zählte das neue Statistische Reichsamt 1871 bereits 32 % der Erwerbstätigen zum Bereich von Bergbau, Industrie, Hütten- und Bauwesen. Hoch war noch immer die Zahl der Handarbeiter und Dienstboten außerhalb der Industrie und Landwirtschaft mit immerhin noch 15,5 %. In Hinblick auf die industriell-bergbauliche Beschäftigung lag das hochentwickelte Sachsen mit 49 % der Erwerbstätigen klar an der Spitze.

Arbeiter vor dem Magistrat während der Revolution von 1848 (Gemälde von Johann Peter Hasenclever)

Es unterschieden sich in ihren Verdienstmöglichkeiten nicht etwa nur die ländlichen Tagelöhner und die städtischen Industriearbeiter, sondern auch innerhalb dieser Gruppen gab es deutliche Differenzierungen. Die Organisation der Arbeit in Großbetrieben führte etwa zu einer ausgeprägten Betriebshierarchie aus gelernten, angelernten und ungelernten Beschäftigten. Der Kern der Facharbeiter stammte vor allem aus den Gesellen und Meistern des krisengeschüttelten Handwerks. Noch einmal deutlich abgehoben waren spezialisierte Berufsgruppen wie Drucker oder Setzer. Diese verfügten nicht selten über ein erhebliches Maß an Bildung, organisierten sich frühzeitig und fühlten sich als Avantgarde der qualifizierten Arbeiterschaft. Nicht zufällig kamen mit Stephan Born der Gründer und viele Anhänger der Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung aus diesem Umfeld. Die ungelernten und angelernten Arbeiter stammten meist aus den städtischen Unterschichten oder aus den umliegenden ländlichen Gebieten. In den Jahrzehnten der industriellen Revolution, also seit den 1850er-Jahren, begann die wachsende Industrie nunmehr auch vermehrt Binnenwanderer anzuziehen.

Frauenarbeit war und blieb in einigen Branchen wie der Textilindustrie weit verbreitet, im Bergbau oder der Schwerindustrie waren Frauen allerdings kaum beschäftigt. Vor allem in den ersten Jahrzehnten gab es gerade in der Textilindustrie auch Kinderarbeit. Allerdings war das Ausmaß deutlich geringer als in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung in England. Außerdem blieb sie ein vorübergehendes Phänomen. Kinder- und Frauenarbeit blieb allerdings in der Landwirtschaft und im Heimgewerbe eine weit verbreitete Erscheinung.

Das Verschmelzen der anfangs sehr heterogenen Gruppen zu einer Arbeiterschaft mit einem mehr oder weniger gemeinsamen Selbstverständnis erfolgte zunächst in den Städten und war nicht zuletzt ein Ergebnis der Zuwanderung von ländlichen Unterschichten. Die Angehörigen der pauperisierten Schichten des Vormärz hofften in den Städten dauerhaftere und besser entlohnte Verdienste zu finden. Im Laufe der Zeit wuchs die anfangs sehr heterogene Schicht der „arbeitenden Klassen“ zusammen, es entwickelte sich gefördert durch das enge Zusammenleben in den engen Arbeiterquartieren ein dauerhaftes soziales Milieu.

Innerhalb der „arbeitenden Klassen“ vollzog sich ein tiefgreifender Mentalitätswandel. Hatten die städtischen und ländlichen Unterschichten ihre Not noch weitgehend als unabänderlich angesehen, führten die neuen Verdienstmöglichkeiten in der Industrie zur Verstärkung des Veränderungswillens. Die Betroffenen sahen ihre Lage als ungerecht an und drängten auf Veränderungen. Dies war eines der sozialen Fundamente für die entstehende Arbeiterbewegung.[35] Die auf wachsende Bevölkerungsgruppen abhängig Arbeitender sich ausbreitenden sozialen Missstände wurden als Soziale Frage diskutiert, für die Sozialreformer, Kathedersozialisten und Frühsozialisten unterschiedliche Lösungen entwickelten.[36][37]

Soziale Frage

Die zunehmende Ansiedlung von Arbeitern in den Städten und deren starke Abhängigkeit von der Lohnarbeit führte in Verbindung mit der durch industrielle Produktionsmittel bedingte Bevölkerungsexplosion zu vielfältigen Problemen. Alkoholismus, Wohnungsnot, Krankheiten und vor allem Ausbeutung führten zur Entstehung von neuen Bewegungen und Philosophien. Gewerkschaften, eine Vielfalt an Parteien und allem voran der Kommunismus nach Marx und Engels versuchten die Probleme der neuen Gesellschaftsordnung und deren Strukturwandel zu organisieren.[38]

Literatur

  • Knut Borchardt: Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3-525-33421-4.
  • Christoph Buchheim: Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee. dtv, München 1994, ISBN 3-423-04622-8.
  • Wolfram Fischer, Jochen Krengel, Jutta Wietog: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Bd. 1: Materialien zur Geschichte des Deutschen Bundes 1815–1870. München 1982, ISBN 3-406-04023-3.
  • Rainer Fremdling: Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840–1879. Dortmund 1975.
  • Hans-Werner Hahn: Die industrielle Revolution in Deutschland. München 2005, ISBN 3-486-57669-0.
  • Hans-Werner Hahn: Zwischen Fortschritt und Krisen. Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts als Durchbruchsphase der deutschen Industrialisierung (= Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 38). München 1995 (Digitalisat).
  • Wolfgang Hardtwig: Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum. dtv, München 1998, ISBN 3-423-04502-7.
  • Friedrich-Wilhelm Henning: Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914. Schöningh, Paderborn 1973.
  • Jürgen Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert. Bonn 1990.
  • Toni Pierenkemper: Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert. München 1994, ISBN 3-486-55015-2 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 29).
  • Wolfram Siemann: Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849–1871. Frankfurt 1990, ISBN 3-518-11537-5.
  • Oskar Stillich: Eisen- und Stahlindustrie (= Nationalökonomische Forschungen auf dem Gebiete der großindustriellen Unternehmung, Band 1). Franz Siemeroth, Berlin 1904, OCLC 631629843.
  • Oskar Stillich: Steinkohlenindustrie (= Nationalökonomische Forschungen auf dem Gebiete der großindustriellen Unternehmung, Band 2). Jäh & Schunke, Leipzig 1906, OCLC 16399750.
  • Oskar Stillich: Geld- und Bankwesen. Ein Lehr- und Lesebuch. Verlag K. Curtius, Berlin 1909.
  • Oskar Stillich: Die Börse und ihre Geschäfte. Verlag K. Curtius, Berlin 1909.
  • Richard H. Tilly: Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914. dtv, München 1990, ISBN 3-423-04506-X.
  • Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Deutschen Doppelrevolution 1815–1845/49. München 1989.
  • Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der Deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. München 1995.
  • Wolfgang Zorn (Hrsg.): Handbuch der Deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1976, ISBN 3-12-900140-9. Darin u. a.:
    • Knut Borchardt: Wirtschaftliches Wachstum und Wechsellagen. S. 198–275.
    • Karl Heinrich Kaufhold: Handwerk und Industrie 1800–1850. S. 321–368.
    • Hermann Kellenbenz: Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel-, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen. S. 369–425.
    • Wolfram Fischer: Bergbau, Industrie und Handwerk 1850–1914. S. 527–562.
    • Richard Tilly: Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Handel, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen 1850–1914. S. 563–596.
  • Dieter Ziegler: Die Industrielle Revolution. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005.

Zeitschriftenartikel

  • Die heutige Lage der gewerblichen Industrie in Deutschland. In: Illustrirte Zeitung. Nr. 2. J. J. Weber, Leipzig 8. Juli 1843, S. 22–23 (Wikisource).

Siehe auch

Fußnoten

  1. Hubert Kiesewetter: Industrielle Revolution in Deutschland 1815–1914. Frankfurt am Main 1989.
  2. Friedrich-Wilhelm Henning: Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914. Paderborn 1973, S. 111.
  3. Darst. und Zit. nach: Dietrich Hilger: Industrie als Epochenbegriff: Industrialismus und industrielle Revolution. In: Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. S. 286–296.
  4. Tilly, S. 184 f., Pierenkemper, Gewerbe und Industrie, S. 49 f., S. 58–61, Siemann, Gesellschaft, S. 94–97, Hahn, industrielle Revolution, S. 1.
  5. Hahn, industrielle Revolution, S. 4–6.
  6. Hahn, industrielle Revolution, S. 7, Pierenkemper, S. 50.
  7. Zahlen nach Hahn, industrielle Revolution, S. 9.
  8. Hahn: Industrielle Revolution, S. 8. Pierenkemper: Gewerbe, S. 51 ff., S. 100 ff. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 78–81.
  9. Botzenhart, Reform, Restauration, Krise, S. 95–104, Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 337–342.
  10. Hahn, industrielle Revolution, S. 10 f.
  11. Bernhard Neumann (1904): Die Metalle, S. 34; siehe auch hier.
  12. Friedrich von Restorff: Topographisch-Statistische Beschreibung der Königlich Preußischen Rheinprovinzen. Nicolaische Buchhandlung, Berlin/Stettin 1830 (Digitalisat).
  13. Kaufhold, Handwerk und Industrie, S. 328–333, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 2, S. 79–86, S. 91–94, Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S. 49–58.
  14. Pierenkemper, Industrie und Gewerbe, S. 58–61.
  15. Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 2, S. 54–64, S. 72, S. 93 f., Kaufhold, Handwerk und Industrie, S. 329 f.
  16. Ilja Mieck: Von der Reformzeit zur Revolution (1806–1847). In: Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlins, Erster Band. Verlag C.H.Beck, München 1987, S. 526–529. ISBN 3-406-31591-7.
  17. Hans J. Naumann u. a. (Hrsg.): Werkzeugmaschinenbau in Sachsen: von den Anfängen bis zur Gegenwart. Chemnitz 2003.
  18. Siemann, Gesellschaft, S. 99 f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 627.
  19. Rainer Fremdling: Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840–1879. Dortmund 1975; Kellenbenz, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, S. 370–373, Wehler, Bd. 3, S. 67–74.
  20. Hermann Kellenbenz, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, S. 370–373, Siemann, Gesellschaft, S. 108–111, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 2, S. 77, S. 81, S. 614, S. 628, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 68, vergl. Rainer Fremdling: Modernisierung und Wachstum der Schwerindustrie in Deutschland 1830–1860. In: Geschichte und Gesellschaft, 5. Jg. 1979, S. 201–227.
  21. Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk, S. 544–548, Siemann, Gesellschaft, S. 105 f., Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 73–82, S. 626.
  22. Siemann, S. 106 f., Wehler, Bd. 2, S. 76–78, 82 f., Wehler, Bd. 3, S. 75–77, Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 72.
  23. Wehler, Bd. 3, S. 85–87.
  24. Tilly, S. 59–66.
  25. Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd. 3, S. 83.
  26. Tilly, S. 29.
  27. Johannes Bracht: Geldlose Zeiten und überfüllte Kassen. 2013, S. 49 (online).
  28. dhm.de
  29. Tilly, S. 29 f.
  30. Knut Borchardt, Wirtschaftliches Wachstum, S. 198–210, S. 255–275, Siemann, Gesellschaft, S. 102–104, S. 115–123, vergl. Reinhard Spree: Veränderungen der Muster zyklischen Wachstums der deutschen Wirtschaft von der Früh- zur Hochindustrialisierung. In: Geschichte und Gesellschaft, 5. Jg. 1979, S. 228–250.
  31. H Meyer: Global Player China: auf dem Weg zur Weltmacht. In: _The German Journal on Contemporary Asia. 2008, S. 109–112 (uni-heidelberg.de).
  32. Hans-Ulrich Wehler: Bürger, Arbeiter und das Problem der Klassenbildung 1800–1870. In: Ders.: Aus der Geschichte lernen? München 1988, ISBN 3-406-33001-0, S. 161–190; Wehler, Bd. 3, 112–125, Siemann, Gesellschaft, S. 157–159.
  33. Siemann, Gesellschaft, S. 150–152, S. 162 f., zum Weberaufstand vergl. etwa Hardtwig, Vormärz, S. 27–32.
  34. Siemann, Gesellschaft, S. 123–136.
  35. Wehler, Bd. 3, S. 141–166, Siemann, Gesellschaft, S. 163–171.
  36. Gerhard Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte bis 1945, Eintrag: Sozialpolitik. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 1189.
  37. Jürgen Reulecke: Die Anfänge der organisierten Sozialreform in Deutschland. In: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.): Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland. Beck, München 1985, S. 21 ff.
  38. Karl Marx: Manifest der kommunistischen Partei. Hamburg 2009, ISBN 978-3-86820-033-1.