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„Lateinische Paläografie“ – Versionsunterschied

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Als '''lateinische [[Paläografie]]''' (wissenschaftlich '''Paläographie''') bezeichnet man die Lehre von der Geschichte der [[Manuelles Schreiben|handgeschriebenen]] und in [[Inschrift]]en überlieferten [[Lateinisches Alphabet|lateinischen Schrift]]. Der Forschungsgegenstand umfasst sowohl lateinische [[Monumentalschrift|Monumental-]] und [[Buchschrift]]en wie auch lateinische [[Gebrauchsschrift|Gebrauchs-]], Kanzlei- und Urkundenschriften. Die Geschichte der [[Buchdruck|gedruckten]] lateinischen Schrift, vor allem [[Inkunabel]]n, ist hingegen ein Gegenstand der [[Paläotypie]].
Als '''Lateinische [[Paläografie]]''' bezeichnet man die Lehre von der Geschichte der [[lateinisches Alphabet|lateinischen Schrift]].


Das Adjektiv „lateinisch“ bezieht sich auf das [[Lateinisches Schriftsystem|lateinische Schriftsystem]] auf Basis des lateinischen Alphabets und nicht etwa auf die Sprache. Dies ist vor allem bei der lateinischen Schrift relevant, weil diese zum Schreiben sehr vieler verschiedener Sprachen verwendet wird. Diese haben oftmals länder- und sprachspezifische Anpassungen (siehe [[Liste lateinischer Alphabete]]), ohne aber dabei die Schrift grundlegend zu ändern.
== Geschichte der Lateinischen Schrift ==

== Geschichte der lateinischen Schrift ==
=== Antike ===
=== Antike ===
Die Geschichte der lateinischen Schrift beginnt mit der Übernahme des [[Phönizisches Alphabet|phönizischen Alphabets]]. Das älteste Denkmal der lateinischen Schrift ist der [[Lapis Niger]].
Die Geschichte der lateinischen Schrift beginnt mit der Übernahme eines [[Griechisches Alphabet|griechischen Alphabets]]. Eines der ältesten Denkmale der lateinischen Schrift ist der [[Lapis Niger]] (etwa 600 v. Chr. oder etwas später).


In der römischen Antike waren zunächst [[Capitalis]]-Schriften für die Bücher in Gebrauch. Für geschäftliches Schreiben (Behörden, private Verträge usw.) verwendete man die [[ältere römische Kursive|ältere]] und die [[jüngere römische Kursive]]. In der nachchristlichen Zeit entstanden aus diesen [[Kursive]]n die [[Unziale]] und die erste [[Minuskel]]schrift in der Geschichte der lateinsichen Schrift, die [[Halbunziale]].
In der römischen Antike waren zunächst [[Capitalis]]-Schriften für die Bücher in Gebrauch. Für geschäftliches Schreiben (Behörden, private Verträge usw.) verwendete man die [[ältere römische Kursive|ältere]] und die [[jüngere römische Kursive]]. In der nachchristlichen Zeit entstanden aus diesen Kursiven die [[Unziale]] und die erste [[Minuskelschrift]] in der Geschichte der lateinischen Schrift, die [[Halbunziale]].


=== Mittelalter ===
=== Mittelalter ===
Aus der jüngeren römischen Kursive entwickelten sich im [[6. Jahrhundert|6.]] bis [[8. Jahrhundert]] eine Vielfalt an regionalen Schreibstilen (sog. '[[Nationalschriften]]'). Über ganz Europa verbreitete sich seit dem Ende des [[8. Jahrhundert]]s schließlich die [[karolingische Minuskel]], die regionale Varianten wie die [[Beneventana]], die [[insulare Halbunziale]], die [[insulare Minuskel]] oder die [[Visigothica]] verdrängten.
Aus der jüngeren römischen Kursive entwickelten sich im 6. bis 8. Jahrhundert eine Vielfalt an regionalen Schreibstilen, den sogenannten „[[Nationalschriften]]“ oder „vorkarolingischen Schriften“, wie die [[Beneventana]], die [[insulare Halbunziale]], die [[insulare Minuskel]] oder die [[westgotische Schrift]]. Über ganz Europa verbreitete sich seit dem Ende des [[8. Jahrhundert]]s schließlich die [[karolingische Minuskel]], die über vier Jahrhunderte fast die einzige lateinische Buch- und Urkundenschrift blieb.<ref>{{Literatur |Autor=Karin Schneider |Titel=Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten: eine Einführung |Verlag=Max Niemeyer Verlag |Ort=Tübingen |Datum=1999 |ISBN=3-484-64009-X |Seiten=21}}</ref>


Seit dem Ende des [[11. Jahrhundert]]s verbreitet sich von Nordfrankreich ausgehend ein neuer Schreibstil, der in gitterartigen Buchstaben mit gebrochenen [[Hasta|Schäften]] geschrieben wird, die [[gotische Minuskel]]. Im [[13. Jahrhundert]] entwickelte sich für geschäftliches Schreiben auch wieder eine [[Kursive|Kursivschrift]], die [[gotische Kursive]]. Im 15. Jahrhundert gesellte sich noch eine Vielfalt an Mischschriften zwischen der gotischen Kursive und der gotischen Minuskel hinzu, die [[Bastardschrift]]en.
Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreitet sich von Nordfrankreich ausgehend ein neuer Schreibstil, der in gitterartigen Buchstaben mit gebrochenen [[Schaft (Schrift)|Schäften]] geschrieben wird, die [[gotische Minuskel]]. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich für geschäftliches Schreiben auch wieder eine [[Schreibschrift|Kursivschrift]], die [[gotische Kursive]]. Im 15. Jahrhundert gesellte sich noch eine Vielfalt an Mischschriften zwischen der gotischen Kursive und der gotischen Minuskel hinzu, die [[Bastardschrift]]en.


Anfang des [[15. Jahrhundert]]s griffen die italienischen Humanisten wieder auf ältere Schriftformen zurück und belebten die [[karolingische Minuskel]] als [[humanistische Minuskel]] wieder. Zur humanistischen Minuskel schufen sie auch eine Geschäftsschrift, die [[humanistische Kursive]].
Gegen Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts griffen die italienischen Humanisten um [[Coluccio Salutati]] wieder auf ältere Schriftformen zurück und belebten die [[karolingische Minuskel]] als [[humanistische Minuskel]] wieder. Zur humanistischen Minuskel schuf [[Niccolò Niccoli]] auch eine [[Geschäftsschrift]], die [[humanistische Kursive]].


=== Neuzeit ===
=== Neuzeit ===
Die humanistische Minuskel war die Grundlage für die [[Antiqua]]-Typen des [[Buchdruck]]s. Die Bastardschrift der [[Reichskanzlei]] war Vorbild der [[Fraktur (Schrift)|Fraktur]]. Als Schreibschrift setzte sich außerhalb Deutschlands die [[humanistische Kursive]] als [[lateinische Schreibschrift]] durch, in Deutschland die auf der [[gotische Kursive|gotischen Kursive]] beruhende [[deutsche Kurrentschrift]].
Die humanistische Minuskel war die Grundlage für die [[Antiqua]]-Typen des [[Buchdruck]]s. Die Bastardschrift der [[Reichskanzlei]] war Vorbild der [[Fraktur (Schrift)|Fraktur]]. Als Schreibschrift setzte sich außerhalb Deutschlands die auf der humanistischen Kursive beruhende [[lateinische Schreibschrift]] durch, in Deutschland die auf der [[Gotische Kursive|gotischen Kursive]] beruhende [[deutsche Kurrentschrift]].


== Wissenschaftsgeschichte ==
== Wissenschaftsgeschichte ==
Die Geschichte der lateinischen Schrift wird seit dem [[17. Jahrhundert]] systematisch erforscht. Der [[Mauriner]]-Mönch [[Jean Mabillon]] (1632-1707) erstellte in seinem [[Diplomatik|diplomatischen]] Werk "De re diplomatica libri VI" eine Schriftgeschichte und gab vielen Schriften bis heute verwendete Namen. Seit dem Beginn des [[20. Jahrhundert]] konzentriert sich die paläografische Forschung darauf, die einzelnen Schreibschulen ([[Skriptorium]]) zu untersuchen, in denen die lateinische Schrift im Mittelalter gepflegt und fortentwickelt wurde. Berühmt für sein fotografisches Gedächtnis und seine umfassenden paläografischen Kenntnisse ist [[Bernhard Bischoff]] (1906-1991). Methodisch führte Bischoff die Ansätze seines Lehrstuhlvorgängers [[Ludwig Traube]] fort, der feinere Entwicklung der Schriftformen durch Zuweisung von Schriftformen an bestimmte [[Skriptorium|Skriptorien]] untersuchte.
Die Geschichte der lateinischen Schrift wird seit dem [[17. Jahrhundert]] systematisch erforscht. Der [[Mauriner]]-Mönch [[Jean Mabillon]] (1632–1707) erstellte in seinem [[Diplomatik|diplomatischen]] Werk „De re diplomatica libri VI“ eine Schriftgeschichte und gab vielen Schriften bis heute verwendete Namen. Seit dem Beginn des [[20. Jahrhundert]]s konzentriert sich die paläografische Forschung darauf, die einzelnen Schreibschulen ([[Skriptorium]]) zu untersuchen, in denen die lateinische Schrift im Mittelalter gepflegt und fortentwickelt wurde. Berühmt für sein fotografisches Gedächtnis und seine umfassenden paläografischen Kenntnisse ist [[Bernhard Bischoff]] (1906–1991). Methodisch führte Bischoff die Ansätze seines Lehrstuhlvorgängers [[Ludwig Traube (Philologe)|Ludwig Traube]] fort, der feinere Entwicklung der Schriftformen durch Zuweisung von Schriftformen an bestimmte [[Skriptorium|Skriptorien]] untersuchte.


Die Analyse der spätmittelalterlichen Schriften ist insbesondere durch das Ordnungssystem von [[Gerard Isaac Lieftinck]] befördert worden, dessen auf drei klaren Merkmalen (doppelstöckiges/einfaches a, langes/kurzes s, Schleifenbildung an den Oberlängen) aufgebautes System ebenso heftige Kritik wie erfolgreiche Weiterentwicklung von [[Johann Peter Gumbert]] und [[Albert Derolez]] gefunden hat.
Die Analyse der spätmittelalterlichen Schriften ist insbesondere durch das Ordnungssystem von [[Gerard Isaac Lieftinck]] (1902–1994) befördert worden, dessen auf drei klaren Merkmalen (doppelstöckiges/einfaches a, langes/kurzes s, Schleifenbildung an den Oberlängen) aufgebautes System ebenso heftige Kritik wie erfolgreiche Weiterentwicklung von [[Johann Peter Gumbert]] (1936–2016) und [[Albert Derolez]] gefunden hat.

== Siehe auch ==
* [[Chronologie der Lateinschrift]]
* [[Geschichte der Typografie]]
* [[Westliche Kalligrafie]]
* [[Abbreviatur (Paläografie)]]


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Bernhard Bischoff]]: ''Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters''. (Grundlagen der Germanistik, Bd.&nbsp;24.) Berlin 1986.
** Bernhard Bischoff: ''Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters.'' Mit einer Auswahlbibliographie 1986–2008 von Walter Koch. 4., durchgesehene und erweiterte Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-503-09884-2, (''Grundlagen der Germanistik'' 24).
* [[Émile Chatelain]]: ''[http://images.library.uiuc.edu/projects/classics/index.asp Paléographie des classiques latins]'', 2 Bde., Paris 1884/1900.
* [[Hans Foerster (Historiker)|Hans Foerster]], [[Thomas Frenz]]: ''Abriss der lateinischen Paläographie''. (Bibliothek des Buchwesens, Bd. 15.) 3. überarb. Auflage, Stuttgart: Hiersemann, 2004. ISBN 3-7772-0410-2.
* [[Jacques Stiennon]]: ''Paléographie du Moyen Âge.'' Armand Colin, Paris 1991, ISBN 2-200-31278-4.
* [[Franz Steffens (Paläograf)|Franz Steffens]]: ''Lateinische Paläographie.'' 2., vermehrte Auflage, Trier 1909 (125 Tafeln mit Transkription, Erläuterungen und systematischer Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift), [http://www.paleography.unifr.ch/schrifttafeln.htm Online].


'''Abkürzungslexika'''
*Bernhard Bischoff: ''Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters.'' (Grundlagen der Germanistik, Bd 24.) Berlin 1986. (Auch div. fremdsprachige Ausgaben, mit Abb.)
* [[Adriano Cappelli]]: ''Dizionario di abbreviature latine ed italiane. Lexicon abbreviaturarum.'' 1899; 6. Auflage. Manuali Hoepli, Mailand 1961 (Nachdrucke bis 2008).
*Hans Foerster, Thomas Frenz: ''Abriss der lateinischen Paläographie''. (Bibliothek des Buchwesens, Bd. 15.) 3. überarb. Auflage, Stuttgart: Hiersemann, 2004. ISBN 3-7772-0410-2.
* [[Kurt Dülfer]]: ''Gebräuchliche Abkürzungen des 16.–20.&nbsp;Jahrhunderts.'' (= ''Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft.'' Band 1) Marburg 1966.
*Jacques Stiennon: ''Paléographie du Moyen Âge.'' Paris: Armand Colin, 1991. ISBN 2-200-31278-4.
* Paul Arnold Grun: ''Schlüssel zu alten und neuen Abkürzungen. Wörterbuch lateinischer und deutscher Abkürzungen des späten Mittelalters und der Neuzeit mit historischer und systematischer Einführung für Archivbenutzer, Studierende, Heimat- und Familienforscher u.&nbsp;a.'' (Grundriß der Genealogie 6) Limburg a.d. Lahn 1966.
*Franz Steffens: ''[http://www.archivi.beniculturali.it/Biblioteca/indexSteffens.html Lateinische Paläographie.]'' 125 Tafeln in Lichtdruck mit gegenüberstehender Transkription nebst Erläuterungen und einer systematischen Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift. Berlin 1910, 1929.
* Olaf Pluta: ''[[Abbreviationes]].'' Version 2.1 (CD-ROM), 2002.

=== Abkürzungslexika ===

*Adriano Cappelli: ''Dizionario di abbreviature latine ed italiane. Lexicon abbreviaturarum'', 6. ed. corr., rist. Auflage, Mailand 1998 (Manuali Hoepli).
*Kurt Dülfer: ''Gebräuchliche Abkürzungen des 16.-20. Jahrhunderts'', Marburg 1966 (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft 1).
*Paul Arnold Grun: ''Schlüssel zu alten und neuen Abkürzungen. Wörterbuch lateinischer und deutscher Abkürzungen des späten Mittelalters und der Neuzeit mit historischer und systematischer Einführung für Archivbenutzer, Studierende, Heimat- und Familienforscher u.a.'', Limburg a.d. Lahn 1966 (Grundriß der Genealogie 6).
*''Abbreviationes, Version 2.1'', erstellt v. Pluta, Olaf, CD-ROM 2002.

== Siehe auch ==

* insbesondere mit Bildern: [[Geschichte der Typografie]], [[Westliche Kalligrafie]]
*[[Kalligrafie]], [[Typografie]]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.vl-ghw.lmu.de/palaeographie.html Virtual Library Geschichtliche Hilfswissenschaften der Uni München] (Sektion Paläographie)
* [http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/netzwerk/site/browse.php?arttyp=a&l1=3&l2=1082&l3=1092 Hilfswissenschaftliche Netzwerke – Kontext 'Paläographie'] (Studentische Arbeit zur Wissenschaftsgeschichte der Paläografie)
* [[Georg Vogeler]]: [http://www.hgw-online.net/GHWBibliographie/systematik.php?Ubergeordnet=306 Literatur zur lateinischen Paläografie in der Bibliographischen Datenbank von Georg Vogeler]


== Einzelnachweise ==
* [http://www.vl-ghw.lmu.de/palaeographie.html Virtual Library Geschichtliche Hilfswissenschaften der Uni München] (Sektion Paläografie)
<references />


[[Kategorie:Geschichtswissenschaft]]
[[Kategorie:Latein]]
[[Kategorie:Schrift]]
[[Kategorie:Paläografie|!]]
[[Kategorie:Paläografie|!]]
[[Kategorie:Historische Hilfswissenschaften]]

Aktuelle Version vom 26. Dezember 2024, 09:56 Uhr

Als lateinische Paläografie (wissenschaftlich Paläographie) bezeichnet man die Lehre von der Geschichte der handgeschriebenen und in Inschriften überlieferten lateinischen Schrift. Der Forschungsgegenstand umfasst sowohl lateinische Monumental- und Buchschriften wie auch lateinische Gebrauchs-, Kanzlei- und Urkundenschriften. Die Geschichte der gedruckten lateinischen Schrift, vor allem Inkunabeln, ist hingegen ein Gegenstand der Paläotypie.

Das Adjektiv „lateinisch“ bezieht sich auf das lateinische Schriftsystem auf Basis des lateinischen Alphabets und nicht etwa auf die Sprache. Dies ist vor allem bei der lateinischen Schrift relevant, weil diese zum Schreiben sehr vieler verschiedener Sprachen verwendet wird. Diese haben oftmals länder- und sprachspezifische Anpassungen (siehe Liste lateinischer Alphabete), ohne aber dabei die Schrift grundlegend zu ändern.

Geschichte der lateinischen Schrift

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Die Geschichte der lateinischen Schrift beginnt mit der Übernahme eines griechischen Alphabets. Eines der ältesten Denkmale der lateinischen Schrift ist der Lapis Niger (etwa 600 v. Chr. oder etwas später).

In der römischen Antike waren zunächst Capitalis-Schriften für die Bücher in Gebrauch. Für geschäftliches Schreiben (Behörden, private Verträge usw.) verwendete man die ältere und die jüngere römische Kursive. In der nachchristlichen Zeit entstanden aus diesen Kursiven die Unziale und die erste Minuskelschrift in der Geschichte der lateinischen Schrift, die Halbunziale.

Aus der jüngeren römischen Kursive entwickelten sich im 6. bis 8. Jahrhundert eine Vielfalt an regionalen Schreibstilen, den sogenannten „Nationalschriften“ oder „vorkarolingischen Schriften“, wie die Beneventana, die insulare Halbunziale, die insulare Minuskel oder die westgotische Schrift. Über ganz Europa verbreitete sich seit dem Ende des 8. Jahrhunderts schließlich die karolingische Minuskel, die über vier Jahrhunderte fast die einzige lateinische Buch- und Urkundenschrift blieb.[1]

Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreitet sich von Nordfrankreich ausgehend ein neuer Schreibstil, der in gitterartigen Buchstaben mit gebrochenen Schäften geschrieben wird, die gotische Minuskel. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich für geschäftliches Schreiben auch wieder eine Kursivschrift, die gotische Kursive. Im 15. Jahrhundert gesellte sich noch eine Vielfalt an Mischschriften zwischen der gotischen Kursive und der gotischen Minuskel hinzu, die Bastardschriften.

Gegen Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts griffen die italienischen Humanisten um Coluccio Salutati wieder auf ältere Schriftformen zurück und belebten die karolingische Minuskel als humanistische Minuskel wieder. Zur humanistischen Minuskel schuf Niccolò Niccoli auch eine Geschäftsschrift, die humanistische Kursive.

Die humanistische Minuskel war die Grundlage für die Antiqua-Typen des Buchdrucks. Die Bastardschrift der Reichskanzlei war Vorbild der Fraktur. Als Schreibschrift setzte sich außerhalb Deutschlands die auf der humanistischen Kursive beruhende lateinische Schreibschrift durch, in Deutschland die auf der gotischen Kursive beruhende deutsche Kurrentschrift.

Wissenschaftsgeschichte

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Die Geschichte der lateinischen Schrift wird seit dem 17. Jahrhundert systematisch erforscht. Der Mauriner-Mönch Jean Mabillon (1632–1707) erstellte in seinem diplomatischen Werk „De re diplomatica libri VI“ eine Schriftgeschichte und gab vielen Schriften bis heute verwendete Namen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts konzentriert sich die paläografische Forschung darauf, die einzelnen Schreibschulen (Skriptorium) zu untersuchen, in denen die lateinische Schrift im Mittelalter gepflegt und fortentwickelt wurde. Berühmt für sein fotografisches Gedächtnis und seine umfassenden paläografischen Kenntnisse ist Bernhard Bischoff (1906–1991). Methodisch führte Bischoff die Ansätze seines Lehrstuhlvorgängers Ludwig Traube fort, der feinere Entwicklung der Schriftformen durch Zuweisung von Schriftformen an bestimmte Skriptorien untersuchte.

Die Analyse der spätmittelalterlichen Schriften ist insbesondere durch das Ordnungssystem von Gerard Isaac Lieftinck (1902–1994) befördert worden, dessen auf drei klaren Merkmalen (doppelstöckiges/einfaches a, langes/kurzes s, Schleifenbildung an den Oberlängen) aufgebautes System ebenso heftige Kritik wie erfolgreiche Weiterentwicklung von Johann Peter Gumbert (1936–2016) und Albert Derolez gefunden hat.

  • Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters. (Grundlagen der Germanistik, Bd. 24.) Berlin 1986.
    • Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters. Mit einer Auswahlbibliographie 1986–2008 von Walter Koch. 4., durchgesehene und erweiterte Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-503-09884-2, (Grundlagen der Germanistik 24).
  • Émile Chatelain: Paléographie des classiques latins, 2 Bde., Paris 1884/1900.
  • Hans Foerster, Thomas Frenz: Abriss der lateinischen Paläographie. (Bibliothek des Buchwesens, Bd. 15.) 3. überarb. Auflage, Stuttgart: Hiersemann, 2004. ISBN 3-7772-0410-2.
  • Jacques Stiennon: Paléographie du Moyen Âge. Armand Colin, Paris 1991, ISBN 2-200-31278-4.
  • Franz Steffens: Lateinische Paläographie. 2., vermehrte Auflage, Trier 1909 (125 Tafeln mit Transkription, Erläuterungen und systematischer Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift), Online.

Abkürzungslexika

  • Adriano Cappelli: Dizionario di abbreviature latine ed italiane. Lexicon abbreviaturarum. 1899; 6. Auflage. Manuali Hoepli, Mailand 1961 (Nachdrucke bis 2008).
  • Kurt Dülfer: Gebräuchliche Abkürzungen des 16.–20. Jahrhunderts. (= Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft. Band 1) Marburg 1966.
  • Paul Arnold Grun: Schlüssel zu alten und neuen Abkürzungen. Wörterbuch lateinischer und deutscher Abkürzungen des späten Mittelalters und der Neuzeit mit historischer und systematischer Einführung für Archivbenutzer, Studierende, Heimat- und Familienforscher u. a. (Grundriß der Genealogie 6) Limburg a.d. Lahn 1966.
  • Olaf Pluta: Abbreviationes. Version 2.1 (CD-ROM), 2002.

Einzelnachweise

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  1. Karin Schneider: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten: eine Einführung. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, ISBN 3-484-64009-X, S. 21.