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„Itelmenen“ – Versionsunterschied

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Die '''Itelmenen''' sind eine [[indigene Völker|indigene Bevölkerungsgruppe]] der [[Paläosibirische Völker|Paläosibirier]], die hauptsächlich im Gebiet [[Kamtschatka]] siedelt.
[[Datei:Map of Russia - Itelmenes(2008-03).png|mini|Ursprüngliches Siedlungsgebiet der Itelmenen in [[Kamtschatka]]]]
Die '''Itelmenen''' sind eine [[Indigene Völker|indigene Bevölkerungsgruppe]] der [[Paläosibirische Völker|Paläosibirier]], die hauptsächlich auf der Halbinsel [[Kamtschatka]] siedelt.


Der Name dieser ethnischen Gruppe bedeutet „hier leben“; sie umfasst 2596 Menschen <small>(2021)</small>.
Der Name dieser ethnischen Gruppe bedeutet "hier leben". Größe der Population: 16.209 Menschen <small> (1. Januar 2002) </small>. Die ursprüngliche südliche Grenze ihres Siedlungsgebietes ist [[Kap Lopatka]], die nördliche liegt am entlang des [[Tigil]]-Flusses, die westliche am [[Uka]]-Fluss, die östliche an der Ost-Küste. Die alten Itelmenen-Siedlungen lagen am Kamtschatka-Fluss (Uykoal'), Yelovka (Kooch), Bolshaya, Bystraya, [[Awatscha (Fluss)|Awatscha-Fluss]] und den Küsten der [[Awatscha (Bucht)|-Bucht]].


== Kultur ==
Im Sommer spielte sich das Leben der Itelmenen am und auf dem Wasser ab. Sie bewegten sich in baumstammähnlichen [[Kanu]]s fort, hergestellt aus einem [[Pappeln|Pappel]]-Stamm. Sie fischten mit aus Brennnesseln gewebten Netzen, harpunierten oder stellten [[Reuse]]n auf. Ein Teil des [[Speisefisch|Fisches]] wurde getrocknet, ein anderer Teil in speziellen Löchern aufbewahrt. Der Mangel an Salz erlaubte nur eine kleine Lagerhaltung. [[Jagd]] spielte ebenfalls eine große Bedeutung in ihrer Wirtschaft. Jagd auf [[Fuchs (Säugetier)|Fuchs]], [[Zobel]], Schnee-Böcke (snow-ram); an der Küste: [[Seelöwe]], [[Seehund]] und [[Seeotter]].
=== Historisch ===
Sie siedelten ursprünglich von der Südspitze ([[Kap Lopatka]]) und der Ostküste Kamtschatkas nördlich bis zum Fluss [[Tigil (Fluss)|Tigil]] und westlich bis zur [[Uka (Fluss)|Uka]]. Die alten Itelmenen-Siedlungen lagen an den Flüssen [[Kamtschatka (Pazifischer Ozean)|Kamtschatka]] (Uykoal'), [[Jelowka (Kamtschatka)|Jelowka]] (Kooch), [[Bolschaja (Kamtschatka)|Bolschaja]], [[Bolschaja (Kamtschatka)|Bystraja]], [[Awatscha (Fluss)|Awatscha]] und den Küsten der [[Awatscha-Bucht]] (nahe [[Petropawlowsk-Kamtschatski]]).
Den Wohnplatz der Itelmenen beschreibt man als [[Ostrog]], der zu Beginn aus einer Familie bestand und sich im Laufe der Zeit vergrößerte.
Die Art der Behausung war von den Jahreszeiten abhängig und unterschied sich in Winter- und Sommerwohnungen.
Die Winterwohnungen wurden [[Ambaren]] genannt und bestanden aus halb in die Erde gebauten Hütten. Man verbrachte darin die Zeit von Anfang November bis Anfang April.
Die Sommerwohnungen wurden dagegen auf Pfählen errichtet und wurden als [[Balagane]] bezeichnet. Aufgrund ihrer Höhe und der guten Belüftung wurden diese Bauten ebenso als Proviantspeicher genutzt.


Im Sommer spielte sich das Leben der Itelmenen am und auf dem Wasser ab. Sie bewegten sich in baumstammähnlichen [[Kanu]]s fort, hergestellt aus einem [[Pappeln|Pappel]]<nowiki />stamm. Sie fischten mit aus Brennnesseln gewebten Netzen, harpunierten oder stellten [[Reuse]]n auf. Ein Teil der [[Speisefisch|Fische]] wurde getrocknet, ein anderer in speziellen Löchern aufbewahrt. Der Mangel an Salz erlaubte nur eine kleine Lagerhaltung. Die [[Jagd]] zur [[Pelz]]- und Fleischgewinnung hatte ebenfalls große wirtschaftliche Bedeutung. Bejagte Tierarten waren [[Rotfuchs]], [[Zobel]] und [[Schneeschaf]]; an der Küste [[Stellerscher Seelöwe|Seelöwe]], [[Seehund]] und [[Seeotter]].
Die Kleidung der Itelmenen wurde genäht aus Zobel, Fuchs, Schnee-Bock oder auch Hundehäuten. [[Georg Wilhelm Steller]], der Kamtschatka in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts bereiste, schrieb: "Die schönsten Kukhlyankas ([[Anorak]]) sind am Kragen dekoriert, die Ärmel und der Saum mit Hunde-Fell, der Kaftan (kurzer [[Ren]]tier-[[Overall]]) ist behängt mit Hunderten von rot angemalten Seehund-[[Quaste]]n, welche bei jeder Bewegung herumbaumeln."


Die Kleidung der Itelmenen wurde aus [[Zobelfell]]en, [[Pelzarten#Füchse|Fuchsfellen]], [[Ziegenfell|Schnee-Bock]] oder auch [[Hundefell]]en gefertigt. [[Georg Wilhelm Steller]], der Kamtschatka in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereiste, schrieb: „Die schönsten Kuchljankas ([[Anorak]]s) sind am Kragen dekoriert, die Ärmel und der Saum mit Hundefell, der Kaftan (kurzer [[Rentierfell]]-[[Overall]]) ist behängt mit Hunderten von rot angemalten [[Robbenfell|Seehundfell]]-Quasten, welche bei jeder Bewegung herumbaumeln.
Die Itelmenen benutzten viel Fisch im Essen, bevorzugt gebacken (chuprik) und Fisch-Koteletts (tael'no), aßen die Sprossen von Shelamannik ([[Riesen-Mädesüß|Filipendula kamtschatica]]), morkovnik ([[Filipendium]] maxim) und Puchka ([[Heracleum]] dulce), letzteres, bevor es brennende Eigenschaften annimmt. Gegen [[Skorbut]] wurden Zedern-Zapfen und getrockneter [[Lachs]]-[[Kaviar]] mit etwas Tee genommen. Ihr Essen wurde mit Seehund-Fett im Geschmack verbessert. Die Itelmenen-Frauen hatten den Brauch Perücken zu tragen. Die Frauen, welche die größten und schönsten Perücken trugen wurden am meisten beachtet. Deshalb trugen sie ihr eigenes Haar sehr kurz.


'''Musik und Tanz'''
Die Situation der Itelmenen heute: Der Fisch spielt immer noch eine Rolle. Auch die Führung von (Jagd)-Touristen trägt zu einem Einkommen bei. Grundsätzlich ist das Leben eher ärmlich, Unterstützung durch die Regierung gibt es kaum oder gar nicht.
[[Datei:Itelmenische Air.png|mini|Faksimile einer Notation eines itelmenischen Stückes durch Steller]]
[[Datei:Itelmenischeair3stimmig.mp3|mini|Dreistimmige itelmenische Air (Rekonstruktion: [[Winfried Völlger]])]]
Gemäß Steller kannten die Itelmenen verschiedene Tänze und Musikinstrumente. Laut ihm waren die itelmenischen Gesänge „cantabel und nach den Regeln der Musik, dem Takte und Kadenzen dergestalt wohl eingerichtet sind, dass man sich dergleichen bei diesem Volke nimmermehr vermuten sollte.“ Im Vergleich zu den Stücken der Itelmenen seien die [[Kantate]]n von [[Orlando di Lasso]] schlechter. Er bescheinigt ihnen „auch sehr feine und angenehme Stimmen und ganz außerordentliche Manieren, Überspringungen und Modulationen in der Gurgel, die [...] von den Italienern nicht sogleich sollten imitiert werden.“<ref>{{Literatur |Autor=Georg Wilhelm Steller |Hrsg=Erich Kasten, Michael Dürr |Titel=Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes |Verlag=Kulturstiftung Sibirien SEC Publications |Ort=Fürstenberg/Havel |Datum=2013 |Seiten=207}}</ref> Einige dieser Lieder sind seinerzeit von Steller vor Ort transkribiert und später (1774) als Faksimile gedruckt worden, zum Beispiel eine [[Air (Musik)|Air]]. Zudem erwähnt Steller in seinem Bericht auch, dass die Itelmenen den [[Spektralgesang]] beherrschen würden.<ref>{{Literatur |Autor=Georg Wilhelm Steller |Hrsg=Erich Kasten, Michael Dürr |Titel=Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes |Verlag=Kulturstiftung Sibirien SEC Publications |Ort=Fürstenberg/Havel |Datum=2013 |Seiten=209}}</ref>


{{Zitat|[...] haben alle Glieder eine besondere und contraire Bewegung gegen einander, daß man die Geschicklichkeit ihres Leibes so wenig mit Worten beschreiben, als zur Gnüge bewundern kan. Unter dem Singen imitiren sie allerhand Thier- und Vögel-Geschrey, und machen solche Bewegungen in der Kehle, die kaum nachzumachen sind, und lautet nicht anders, als wenn 2 oder 3 zugleich, verschiedene Stimmen hören ließen. Hierinnen excelliret besonders das Frauenzimmer in Nischna und am Kamtschatka-Strom.}}<ref>[[Georg Wilhelm Steller]]: ''Reisetagebuch''. 1741/42, gedruckt 1774, Frankfurt/Leipzig, Seite 340.</ref>
Politisch sind die Itelmenen der Gruppe der [[Indigene Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens|indigenen Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens]] zugeordnet, die im Dachverband [[RAIPON]] organisiert sind. Die regionale Vereinigung der Itelmenen Kamtschatkas heißt "Tchsanom" und setzt sich v.a. für die Landrechte der Ureinwohner ein.

'''Alltag'''

Die Itelmenen verwendeten viel Fisch für ihre Speisen, bevorzugt gebacken (chuprik), und Fischkoteletts (tael'no), aßen die Sprossen von ''Schelomainik'' ([[Kamtschatka-Mädesüß]]), ''Morkownik'' ([[Wiesen-Kerbel]]) und ''Putschka'' (''[[Heracleum]] maximum''), letzteres bevor es brennende Eigenschaften annimmt. Gegen [[Skorbut]] wurden [[Sibirische Zirbelkiefer|Zedernzapfen]] und getrockneter [[Lachse|Lachs]]-[[Kaviar]] mit etwas Tee genommen. Ihr Essen wurde mit Seehundfett im Geschmack verbessert. Itelmeninnen trugen üblicherweise Perücken, wohl, um mehr Beachtung zu gewinnen.

=== Gegenwart ===
[[Datei:Itelmeni 3.JPG|mini|hochkant=1.5|Die itelmenische Tanzgruppe „Luch“ bei einer Darbietung am „Tag der Fischer“]]

Die aussterbende [[itelmenische Sprache]] bildet den kamtschadalischen Zweig der [[Tschuktscho-kamtschadalische Sprachen|tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen]]. Die über viele Jahrhunderte währende russische Einflussnahme auf die Itelmenen und andere kleine Völker Sibiriens hat kulturell zu einer weitgehenden [[Russifizierung]] geführt.<ref name="Motz" /> Demgegenüber hat jedoch bereits die [[Sowjetunion]] 1989 weitreichende Maßnahmen beschlossen, um diesen Prozess zu stoppen beziehungsweise umzukehren: So wurden muttersprachliche Schulklassen eingerichtet, um die Sprache zu erhalten. Lehrprogramme für Jagd und Pelztierzucht wurden eingeleitet. Diese Gesetze wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom russischen Staat im Dezember 1991 übernommen.<ref>[URL ''https://www.gfbv.de/de/news/indigene-voelker-im-norden-russlands-und-sibiriens-174/''.] In: Information der [[Gesellschaft für bedrohte Völker]] Südtirol, aus ''Die kleinen Völker des hohen Nordens und fernen Ostens Russlands. Ein aktueller Lagebericht mit geschichtlich-ethnographischer Einführung'', Bozen 1998, abgerufen am 15. September 2019.</ref> In der Tat wendet man sich heute wieder alten Sitten und Gebräuchen zu. Es findet eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Wurzeln der itelmenischen Kultur statt. Dennoch ist die Situation des Volkes heute aufgrund der dauerhaften Wirtschaftskrise Russlands schwierig: Grundsätzlich ist das Leben eher ärmlich, Unterstützung durch die Regierung gibt es kaum. Der Fischfang spielt (vor allem in Form der [[Subsistenzwirtschaft]]) nach wie vor eine wichtige Rolle. Möglichkeiten für Geldeinkünfte gibt es wenig; unter anderem trägt hier die Führung von (Jagd)-Touristen dazu bei.

=== Religion ===
Bis zur Christianisierung durch die [[Russisch-Orthodoxe Kirche]] (Beginn im 17. Jahrhundert, nennenswert jedoch erst ab Ende des 19. Jahrhunderts)<ref>[[Nikolai Fjodorowitsch Katanow]]: ''[http://bildungsmaterialien.com/Religion-und-Mythologie/74663-Hristianizaciya-korennyh-narodov-Sibiri.html Christianisierung der indigenen Völker Sibiriens.]'' Übersetzung der Veröffentlichung des Ministeriums für Bildung der Khakassky State University auf bildungsmaterialien.com, abgerufen am 30. Juni 2015.</ref> war der sogenannte [[Klassischer Schamanismus|„klassische Schamanismus“]] die [[ethnische Religion]] der Itelmenen. Der Ethnologe [[Klaus E. Müller]] spricht hier von „Elementarschamanismus“ und meint damit die archaischste Form dieser spirituellen Praxis, die typisch für sibirische Ethnien war, bei denen die Jagd kulturell eine herausragende Rolle spielte.<ref>Klaus E. Müller: ''Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale.'' 4. Auflage, C. H. Beck, München 2010 (Originalausgabe 1997), ISBN 978-3-406-41872-3. S. 29–33.</ref> Nach der Religion der Itelmenen wurde ein Rabe namens [[Kutka]] als der Schöpfer aller Dinge angesehen, und viele Riten, die ihre Wirtschaft beeinflussen sollten, waren ebenfalls mit Tieren verbunden. Mit den geistigen Wesen stand der Schamane in enger Verbindung. Er konnte Unheil erklären, Krankheiten heilen, Träume deuten und über die Seelen Verstorbener berichten. Wenn Erwachsene starben, setzte man sie den Hunden aus, Kinder dagegen setzte man in hohlen Bäumen bei.<ref name="Motz">Hartmut Motz: ''Sprachen und Völker der Erde – Linguistisch-ethnographisches Lexikon.'' 1. Auflage, Band 1, Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2007, ISBN 978-3-86634-368-9. S. 420.</ref>

Die Christianisierung hat bei vielen abgelegenen Völkern Sibiriens nur oberflächlich stattgefunden, so dass [[Synkretismus|synkretistische Mischreligionen]] heute häufig sind.<ref>[https://www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html ''Die kleinen Völker des hohen Nordens und fernen Ostens Rußlands.''] Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol, Bozen 1998.</ref>

== Politischer Status ==
Politisch sind die Itelmenen der Gruppe der [[Indigene Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens|indigenen Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens]] zugeordnet, die im Dachverband [[RAIPON]] organisiert sind. Dieser hat die Aufgabe, die Rechte und Interessen der Urvölker auf internationaler Ebene zu vertreten. Bisher wurden nur mäßige Erfolge erzielt, weshalb ethnische Eigenständigkeit und ein ökologisch intakter Lebensraum keinesfalls gesichert sind. Die ungehinderte Nutzung des Landes als Nahrungs- und Einkommensquelle ist für die Itelmenen von großer Bedeutung, da auf der Halbinsel Kamtschatka die höchsten Lebenshaltungskosten Russlands herrschen.

Die regionale Vereinigung der Itelmenen Kamtschatkas heißt „Tchsanom“ und setzt sich vor allem für die Landrechte der Ureinwohner ein.

== Siehe auch ==
* [[Itelmenische Literatur]]


== Literatur ==
== Literatur ==
* Georg Wilhelm Steller, Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck der 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg u. 1753 in Halle erstmals erschienenen Werke.
* [[Georg Wilhelm Steller]]: ''Beschreibung von dem Lande Kamtschatka''. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes ([https://dh-north.org/publikationen/beschreibung-von-dem-lande-kamtschatka PDF der Neuausgabe von 2013]).
* Erich Kasten, Lachsfang und Bärentanz: Die Itelmenen 250 Jahre nach ihrer Beschreibung durch Georg Wilhelm Steller. Bonn: Holos-Verl., 1996. ISBN 3860971395
* [[Erich Kasten (Ethnologe)|Erich Kasten]]: ''Lachsfang und Bärentanz: Die Itelmenen 250 Jahre nach ihrer Beschreibung durch Georg Wilhelm Steller''. Bonn: Holos-Verlag, 1996. ISBN 3-86097-139-5 ([http://www.siberian-studies.org/publications/PDF/kasten1996b.pdf PDF]).
* [[Erich Kasten (Ethnologe)|Erich Kasten]]: ''Steller und die Itelmenen – Die Bedeutung seines Werks für die ethnologische Forschung und für indigene Initiativen zum Erhalt von Kulturerbe bei den Itelmenen.'' In: Erich Kasten und Michael Dürr (Hg.) ''Georg Wilhelm Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka.'' 2013, Fürstenberg/Havel: Kulturstiftung Sibirien. ISBN 978-3-942883-86-3 ([http://www.siberian-studies.org/publications/PDF/stellerunditelmenen.pdf PDF]).


== Siehe auch ==
[[Kategorie:Kamtschatka]]
* [[Haplogruppe G (mtDNA)]]
* [[Tschuktscho-kamtschadalische Sprachen]]
* [[Itelmenische Sprache]]

== Weblinks ==
* [https://programm.ard.de/TV/Programm/Sender/?sendung=28724419905386 Programmhinweis zu Dokumentarfilm auf Arte] über die Itelmenen, die Ureinwohner der Halbinsel Kamtschatka
* [https://dh-north.org/ethnie/itelmenen Die Itelmenen – ein Volk von der Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten Russlands] (Links zu Multimedia und Literatur über die Itelmenen im Portal Digital Humanities of the North)

== Einzelnachweise ==
<references />

[[Kategorie:Region Kamtschatka]]
[[Kategorie:Ethnie in Asien]]
[[Kategorie:Ethnie in Asien]]
[[Kategorie:Indigenes Volk in Russland]]
[[Kategorie:Indigenes Volk in Russland]]

[[en:Itelmens]]
[[pl:Itelmeni]]

Aktuelle Version vom 1. Juni 2025, 01:59 Uhr

Itelmene
Ursprüngliches Siedlungsgebiet der Itelmenen in Kamtschatka

Die Itelmenen sind eine indigene Bevölkerungsgruppe der Paläosibirier, die hauptsächlich auf der Halbinsel Kamtschatka siedelt.

Der Name dieser ethnischen Gruppe bedeutet „hier leben“; sie umfasst 2596 Menschen (2021).

Sie siedelten ursprünglich von der Südspitze (Kap Lopatka) und der Ostküste Kamtschatkas nördlich bis zum Fluss Tigil und westlich bis zur Uka. Die alten Itelmenen-Siedlungen lagen an den Flüssen Kamtschatka (Uykoal'), Jelowka (Kooch), Bolschaja, Bystraja, Awatscha und den Küsten der Awatscha-Bucht (nahe Petropawlowsk-Kamtschatski). Den Wohnplatz der Itelmenen beschreibt man als Ostrog, der zu Beginn aus einer Familie bestand und sich im Laufe der Zeit vergrößerte. Die Art der Behausung war von den Jahreszeiten abhängig und unterschied sich in Winter- und Sommerwohnungen. Die Winterwohnungen wurden Ambaren genannt und bestanden aus halb in die Erde gebauten Hütten. Man verbrachte darin die Zeit von Anfang November bis Anfang April. Die Sommerwohnungen wurden dagegen auf Pfählen errichtet und wurden als Balagane bezeichnet. Aufgrund ihrer Höhe und der guten Belüftung wurden diese Bauten ebenso als Proviantspeicher genutzt.

Im Sommer spielte sich das Leben der Itelmenen am und auf dem Wasser ab. Sie bewegten sich in baumstammähnlichen Kanus fort, hergestellt aus einem Pappelstamm. Sie fischten mit aus Brennnesseln gewebten Netzen, harpunierten oder stellten Reusen auf. Ein Teil der Fische wurde getrocknet, ein anderer in speziellen Löchern aufbewahrt. Der Mangel an Salz erlaubte nur eine kleine Lagerhaltung. Die Jagd zur Pelz- und Fleischgewinnung hatte ebenfalls große wirtschaftliche Bedeutung. Bejagte Tierarten waren Rotfuchs, Zobel und Schneeschaf; an der Küste Seelöwe, Seehund und Seeotter.

Die Kleidung der Itelmenen wurde aus Zobelfellen, Fuchsfellen, Schnee-Bock oder auch Hundefellen gefertigt. Georg Wilhelm Steller, der Kamtschatka in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereiste, schrieb: „Die schönsten Kuchljankas (Anoraks) sind am Kragen dekoriert, die Ärmel und der Saum mit Hundefell, der Kaftan (kurzer Rentierfell-Overall) ist behängt mit Hunderten von rot angemalten Seehundfell-Quasten, welche bei jeder Bewegung herumbaumeln.“

Musik und Tanz

Faksimile einer Notation eines itelmenischen Stückes durch Steller
Dreistimmige itelmenische Air (Rekonstruktion: Winfried Völlger)

Gemäß Steller kannten die Itelmenen verschiedene Tänze und Musikinstrumente. Laut ihm waren die itelmenischen Gesänge „cantabel und nach den Regeln der Musik, dem Takte und Kadenzen dergestalt wohl eingerichtet sind, dass man sich dergleichen bei diesem Volke nimmermehr vermuten sollte.“ Im Vergleich zu den Stücken der Itelmenen seien die Kantaten von Orlando di Lasso schlechter. Er bescheinigt ihnen „auch sehr feine und angenehme Stimmen und ganz außerordentliche Manieren, Überspringungen und Modulationen in der Gurgel, die [...] von den Italienern nicht sogleich sollten imitiert werden.“[1] Einige dieser Lieder sind seinerzeit von Steller vor Ort transkribiert und später (1774) als Faksimile gedruckt worden, zum Beispiel eine Air. Zudem erwähnt Steller in seinem Bericht auch, dass die Itelmenen den Spektralgesang beherrschen würden.[2]

„[...] haben alle Glieder eine besondere und contraire Bewegung gegen einander, daß man die Geschicklichkeit ihres Leibes so wenig mit Worten beschreiben, als zur Gnüge bewundern kan. Unter dem Singen imitiren sie allerhand Thier- und Vögel-Geschrey, und machen solche Bewegungen in der Kehle, die kaum nachzumachen sind, und lautet nicht anders, als wenn 2 oder 3 zugleich, verschiedene Stimmen hören ließen. Hierinnen excelliret besonders das Frauenzimmer in Nischna und am Kamtschatka-Strom.“

[3]

Alltag

Die Itelmenen verwendeten viel Fisch für ihre Speisen, bevorzugt gebacken (chuprik), und Fischkoteletts (tael'no), aßen die Sprossen von Schelomainik (Kamtschatka-Mädesüß), Morkownik (Wiesen-Kerbel) und Putschka (Heracleum maximum), letzteres bevor es brennende Eigenschaften annimmt. Gegen Skorbut wurden Zedernzapfen und getrockneter Lachs-Kaviar mit etwas Tee genommen. Ihr Essen wurde mit Seehundfett im Geschmack verbessert. Itelmeninnen trugen üblicherweise Perücken, wohl, um mehr Beachtung zu gewinnen.

Die itelmenische Tanzgruppe „Luch“ bei einer Darbietung am „Tag der Fischer“

Die aussterbende itelmenische Sprache bildet den kamtschadalischen Zweig der tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen. Die über viele Jahrhunderte währende russische Einflussnahme auf die Itelmenen und andere kleine Völker Sibiriens hat kulturell zu einer weitgehenden Russifizierung geführt.[4] Demgegenüber hat jedoch bereits die Sowjetunion 1989 weitreichende Maßnahmen beschlossen, um diesen Prozess zu stoppen beziehungsweise umzukehren: So wurden muttersprachliche Schulklassen eingerichtet, um die Sprache zu erhalten. Lehrprogramme für Jagd und Pelztierzucht wurden eingeleitet. Diese Gesetze wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom russischen Staat im Dezember 1991 übernommen.[5] In der Tat wendet man sich heute wieder alten Sitten und Gebräuchen zu. Es findet eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Wurzeln der itelmenischen Kultur statt. Dennoch ist die Situation des Volkes heute aufgrund der dauerhaften Wirtschaftskrise Russlands schwierig: Grundsätzlich ist das Leben eher ärmlich, Unterstützung durch die Regierung gibt es kaum. Der Fischfang spielt (vor allem in Form der Subsistenzwirtschaft) nach wie vor eine wichtige Rolle. Möglichkeiten für Geldeinkünfte gibt es wenig; unter anderem trägt hier die Führung von (Jagd)-Touristen dazu bei.

Bis zur Christianisierung durch die Russisch-Orthodoxe Kirche (Beginn im 17. Jahrhundert, nennenswert jedoch erst ab Ende des 19. Jahrhunderts)[6] war der sogenannte „klassische Schamanismus“ die ethnische Religion der Itelmenen. Der Ethnologe Klaus E. Müller spricht hier von „Elementarschamanismus“ und meint damit die archaischste Form dieser spirituellen Praxis, die typisch für sibirische Ethnien war, bei denen die Jagd kulturell eine herausragende Rolle spielte.[7] Nach der Religion der Itelmenen wurde ein Rabe namens Kutka als der Schöpfer aller Dinge angesehen, und viele Riten, die ihre Wirtschaft beeinflussen sollten, waren ebenfalls mit Tieren verbunden. Mit den geistigen Wesen stand der Schamane in enger Verbindung. Er konnte Unheil erklären, Krankheiten heilen, Träume deuten und über die Seelen Verstorbener berichten. Wenn Erwachsene starben, setzte man sie den Hunden aus, Kinder dagegen setzte man in hohlen Bäumen bei.[4]

Die Christianisierung hat bei vielen abgelegenen Völkern Sibiriens nur oberflächlich stattgefunden, so dass synkretistische Mischreligionen heute häufig sind.[8]

Politischer Status

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Politisch sind die Itelmenen der Gruppe der indigenen Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens zugeordnet, die im Dachverband RAIPON organisiert sind. Dieser hat die Aufgabe, die Rechte und Interessen der Urvölker auf internationaler Ebene zu vertreten. Bisher wurden nur mäßige Erfolge erzielt, weshalb ethnische Eigenständigkeit und ein ökologisch intakter Lebensraum keinesfalls gesichert sind. Die ungehinderte Nutzung des Landes als Nahrungs- und Einkommensquelle ist für die Itelmenen von großer Bedeutung, da auf der Halbinsel Kamtschatka die höchsten Lebenshaltungskosten Russlands herrschen.

Die regionale Vereinigung der Itelmenen Kamtschatkas heißt „Tchsanom“ und setzt sich vor allem für die Landrechte der Ureinwohner ein.

  • Georg Wilhelm Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes (PDF der Neuausgabe von 2013).
  • Erich Kasten: Lachsfang und Bärentanz: Die Itelmenen 250 Jahre nach ihrer Beschreibung durch Georg Wilhelm Steller. Bonn: Holos-Verlag, 1996. ISBN 3-86097-139-5 (PDF).
  • Erich Kasten: Steller und die Itelmenen – Die Bedeutung seines Werks für die ethnologische Forschung und für indigene Initiativen zum Erhalt von Kulturerbe bei den Itelmenen. In: Erich Kasten und Michael Dürr (Hg.) Georg Wilhelm Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. 2013, Fürstenberg/Havel: Kulturstiftung Sibirien. ISBN 978-3-942883-86-3 (PDF).

Einzelnachweise

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  1. Georg Wilhelm Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes. Hrsg.: Erich Kasten, Michael Dürr. Kulturstiftung Sibirien SEC Publications, Fürstenberg/Havel 2013, S. 207.
  2. Georg Wilhelm Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. Unveränd. Neudruck des 1774 in Frankfurt, 1793 in St. Petersburg erstmals erschienenen Werkes. Hrsg.: Erich Kasten, Michael Dürr. Kulturstiftung Sibirien SEC Publications, Fürstenberg/Havel 2013, S. 209.
  3. Georg Wilhelm Steller: Reisetagebuch. 1741/42, gedruckt 1774, Frankfurt/Leipzig, Seite 340.
  4. a b Hartmut Motz: Sprachen und Völker der Erde – Linguistisch-ethnographisches Lexikon. 1. Auflage, Band 1, Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2007, ISBN 978-3-86634-368-9. S. 420.
  5. [URL https://www.gfbv.de/de/news/indigene-voelker-im-norden-russlands-und-sibiriens-174/.] In: Information der Gesellschaft für bedrohte Völker Südtirol, aus Die kleinen Völker des hohen Nordens und fernen Ostens Russlands. Ein aktueller Lagebericht mit geschichtlich-ethnographischer Einführung, Bozen 1998, abgerufen am 15. September 2019.
  6. Nikolai Fjodorowitsch Katanow: Christianisierung der indigenen Völker Sibiriens. Übersetzung der Veröffentlichung des Ministeriums für Bildung der Khakassky State University auf bildungsmaterialien.com, abgerufen am 30. Juni 2015.
  7. Klaus E. Müller: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale. 4. Auflage, C. H. Beck, München 2010 (Originalausgabe 1997), ISBN 978-3-406-41872-3. S. 29–33.
  8. Die kleinen Völker des hohen Nordens und fernen Ostens Rußlands. Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol, Bozen 1998.