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„Tatarisches Zentrum“ – Versionsunterschied

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[[Bild:Tatar Nationalist Flag.svg|thumb|Fahne des Tatarischen Gemeinschaftlichen Zentrums, des späteren Tatarischen Zentrum Kasan (1988–1990)]]
== Vorgeschichte der türkischen Gemeinschaft ==


Das '''Tatarische Zentrum Kasan'''<ref>{{Webarchiv|url=http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=708 |wayback=20081010021405 |text=Archivierte Kopie }} Die „Eurasische Bewegung“ Russlands</ref> (TOZ) ist eine ehemalige Studenten- und Lehrerbewegung der [[Kasaner Föderale Universität|Kasaner Universität]]. Sie wurde schnell zu einer ernstzunehmenden [[Wolga-Ural-Tataren|tatarischen]] Bürgerorganisation, die auch von der tatarischen Regierung offiziell anerkannt wurde.<ref name="es153">Erhard Stölting: ''Eine Weltmacht zerbricht'', S. 153</ref>
Anfang [[1917]] wurde auf dem legendären I. Muslim-Kongress zu [[Moskau]] durch den Tatarenführer und [[Bolschewiki]] [[Mir Sultan Galijew]] folgender Vorschlag verbreitet: Alle [[Baschkiren]] und [[Tataren]] (einschließlich der [[Tschuwaschen]]) des Wolga-Ural-Gebietes sollten in einem gemeinsamen tatarischen Staat vereint werden und zu diesem Zwecke solle eine '''türkische Gemeinschaft des Wolga-Ural-Gebietes''' oder kurz: '''türkische Gemeinschaft „Wolga-Ural“''' (Selbstbezeichnung: ''Törk Orta İdel-Ural''), auch als »''tatarisch-türkische Gemeinschaft''« bekannt, geschaffen werden. Diese türkische Gemeinschaft hatte zur Hauptaufgabe, diesen »Großtatarischen Volksstaat« vorzubereiten.
(Damit hätte dieses »Groß-Tatarien« all jene turkstämmigen Volkstämme umfasst, die im Laufe der Zeit mit den [[Hunnen]], [[Awaren]], [[Hunno-Bulgaren|Bulgaren]], [[Chasaren]] und [[Mongolen]] in ihre heutigen Siedlungsgebiete gekommen waren.)
Endziel Galijews war die Schaffung eines »[[Sozialismus|sozialistischen]] [[Turan]]s«, in dem sich die türkische Gemeinschaft mit der [[Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Turkestan|Turkestanischen ASSR]] zu einem einheitlichen Staat zusammengeschlossen hätte. Dafür nahm die türkische Gemeinschaft die Zusammenarbeit mit der kasachisch-kirgisischen [[Alasch Orda]] auf.


== Geschichte und Ziel des TOZ ==
Doch dieser Vorschlag fand bei den meisten Vertretern der Baschkiren keine Gegenliebe, wurden diese doch gerade ihrer völkischen Eigenart bewusst und wollten nicht mehr zu den »Tataren« gezählt werden!
Mit dem beginnenden [[Zerfall der Sowjetunion]] schlossen sich im Juni 1988 tatarische Studenten und Lehrer der Kasaner Universität zu einem Studenten- und Lehrerbündnis zusammen, die im Wesentlichen auf den Grundsätzen des im späten 19. Jahrhundert begründeten „[[Dschadidismus]]“ fußte. Dieses Bündnis nannte sich „Tatarisches Gesellschaftliches Zentrum“<ref name="es153"/> und hatte seinen Hauptsitz in Kasan. Damaliger Vorsitzender war M. Muljukow von der Kasaner Universität.<ref name="es153"/> Diesem Bündnis schlossen sich auch schnell Schriftsteller und Journalisten an, so dass es schließlich als „nationale Opposition“<ref name="es153"/> zur tatarischen [[Kommunistische Partei|KP]] galt.
(Dafür nahmen sie sogar Verbindung zu den russisch-nationalistischen [[Ural]]-[[Kosaken]] auf und unter deren Führung entstand so eine starke antikommunistische Bewegung, die nun mit der türkisch-tatarischen Zusammenarbeit auch breite Unterstützung von Seiten konservativ-islamischen Kreisen erhielt.)


Unter dem Einfluss der TOZ wurde nun die tatarische Geschichte aus dem „nationalen Gesichtspunkt“ aufgearbeitet und die tatarische ASSR rehabilitierte somit nicht nur die „bürgerlichen Nationalisten“ wie [[İsmail Gasprinski]] und Ajas Ischaki, sondern auch [[Mir Sultan Galijew]]. So veranstaltete die TOZ am 10. Oktober 1989 erstmals eine Demonstration zum Gedenken an die Russische Eroberung des Kasaner Khanates durch den russischen Staat von 1552; und es tauchten bei den Tataren auch wieder die grünen Fahnen des Islam auf.<ref name="es153"/>
Dennoch setzte Galijew durch, dass diese türkische Gemeinschaft unter seiner Führung am [[12. Dezember]] [[1917]] geschaffen wurde und noch am gleichen Tag wurde durch Galijew der - von Russland unabhängige - "Staat Wolga-Ural" mit Sadrí Maqsudí Arsal als Präsidenten ausgerufen. Die Zusammenarbeit mit der Alasch Orda wurde jedoch 1919 wieder beendet, als diese nach ihrer Niederlage gegen die [[Rote Armee|roten Armee]] begannen, eine Zusammenarbeit im Rahmen der KPdSU anzustreben.


Neben der Erneuerung des „Dschadidismus“ setzte sich das TOZ auch aktiv für den Umweltschutz ein. So verhinderte es auch den Bau eines [[Atomkraftwerk]]es bei Neftekamsk.<ref name="es153"/> Das TOZ vertritt die Gleichberechtigung der Frau in einem modernen neuzeitlichen Islam. Es trat auch für die völlige Gleichberechtigung aller ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen in der tatarischen ASSR ein. Gerade das TOZ forderte die Herausgabe [[Tschuwaschen|tschuwaschischer]] Zeitungen in der ASSR.<ref name="es154">Stölting: ''Weltmacht'', S. 154</ref> Aber die von der tatarischen Regierung anerkannte „Führungsrolle“ der TOZ wurde nicht von allen Tataren geteilt. So war das TOZ bei Wahlen auf die Stimmen anderer Volksgruppen angewiesen.<ref name="es154"/>
Die türkische Gemeinschaft bestand bis [[1936]], bevor sie auf einen direkten Befehl des ehemaligen „Nationalitätenkommissars der KPdSU“, [[Josef Stalin]], aufgelöst wurde.


Festzustellen ist aber, dass das TOZ sich zusammen mit anderen damaligen Bürgerbewegungen an den größeren Zusammenhängen der tatarischen Geschichte orientierte. So sehen sich die Tataren mit den [[Baschkiren]] und [[Krimtataren]] als Erben der [[Goldene Horde|Goldenen Horde]].<ref name="es155">Stölting: ''Weltmacht'', S. 155</ref>
== Neuere Geschichte der türkischen Gemeinschaft ==


== Anmerkung ==
Mit dem Zusammenbruch der UdSSR schlossen sich die Baschkiren mit den Tataren und Teilen der Tschuwaschen [[1988]] erneut zu einer »türkischen Gemeinschaft des Wolga-Ural-Gebietes« zusammen und benutzten dabei fast identische Flaggen, die von den in dieser Union zusammengeschlossenen Unabhängigkeitsbewegungen geführt wurden:
Die Tataren in den benachbarten Republiken [[Baschkortostan]] und [[Tschuwaschien]] gründeten 1988/89 ähnliche „Volksbewegungen“, die sich stark an den Zielen des TOZ orientierten.<ref name="es157">Stölting: ''Weltmacht'', S. 157</ref>
Ein diagonal geteiltes Tuch in den Farben Rot-Grün und in dessen Mitte ein weißer Halbmond mit Stern. Die Fahne der Türkischen Gemeinschaft [[Baschkortostan]]s ist, wie die [[Tschuwaschien]]s, eine Abart der Tatarischen Unabhängigkeitsbewegung, des „Tatarischen Zentrums“.


Doch mit dem aufkommenden Nationalitätenkonflikt, zwischen den Baschkiren auf der einen und den Tataren auf der anderen Seite, beklagten sich zahlreiche Tataren bei der TOZ: Auf sie werde von Seiten der baschkirischen Regierung ein Druck ausgeübt, sich nun zu „Baschkiren“ zu erklären und das Unabhängigkeitsbestreben der baschkirischen ASSR zu unterstützen. Die dort lebenden Tataren unterstützen auch diesen Wunsch. Aber sie wollten, dass dieser neue Staat dann den Namen „Baschkirisch-Tatarische SSR“ tragen solle. Denn auch die offizielle TOZ-Position war, das Baschkiren und Tataren zwei Nationen verschiedener Herkunft seien.<ref name="es157"/>
== Heutige Mitglieder der türkischen Gemeinschaft „Wolga-Ural“ ==


Neben der TOZ bestand auch noch die sogenannte ''Bolgarische Bewegung'' (''Bolgar-i Cedid'' = „Neues Bolgar“), die seit 1989 einen radikal eigenständig-nationalistischen Weg gehen wollte: Nach ihrem Willen sollten sich die Tataren wieder als „Erben der [[Wolgabolgaren]]“ betrachten, die mit den Mongolen und deren [[Khanat]]en nichts gemeinsam hätten. So seien vor allem die Tataren des Wolga-Gebietes „[[Rassismus|ethnisch rein]]“ geblieben. Aber diese Bolgarische Bewegung bildete jedoch immer nur eine kleine Minderheit unter den Tataren.<ref name="es155"/>
Die heutige Türkische Gemeinschaft besteht aus drei Republiken:
::# [[Tatarstan]],
::# [[Baschkortostan]] und
::# [[Tschuwaschien]]


== Siehe auch ==
* [[Islam in Russland]]


== Quellen ==
[[1990]] wurde die Tätigkeiten der türkischen Gemeinschaft eingestellt, aber die Organisation wurde nicht aufgelöst, sondern blieb als solche bestehen.
<references/>

== Bedeutung der verschiedenen »Gemeinschaftsfahnen« (1917-1990) ==

[[Bild:Fahnen der Türkischen Gemeinschaft 'Wolga-Ural'.PNG|thumb|250px|Die Fahnen der türkischen Gemeinschaft „Wolga-Ural“ (1917-1990)]]

Die erste Gemeinschaftsfahne bestand aus einem himmelblauen Tuch, in dem im oberen fliegenden Ende ein goldenes [[Klan|Tamgas]]abzeichen dargestellt wurde. Das blaue Tuch symbolisierte die [[Turkvölker]] und das Goldene Klanabzeichen die Zugehörigkeit zur ehemaligen [[Goldene Horde|Goldenen Horde]].

Die Bedeutung der Fahnen von 1988/90 ist folgende: Die Farbe Rot steht für die turkstämmige Bevölkerung des Ural-Wolga-Gebietes und die Farbe Grün für die Wälder des Landstriches. Halbmond und Stern stehen für den islamischen Glauben der Tataren und Baschkiren.

==Siehe auch==
*[[Islam in Russland]]


== Literatur ==
== Literatur ==
*Ernst Stölting: ''Eine Weltmacht zerbricht Nationalitäten und Religionen in der UdSSR'', 1990
* Erhard Stölting: ''Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR'', Eichborn Verlag 1990, ISBN 3-8218-1132-3


== Web-Links ==
== Weblinks ==
*[http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=708 Die "Eurasische Bewegung" Russlands]
* [https://web.archive.org/web/20070929083837/http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=708 Die „Eurasische Bewegung“ Russlands]


[[Kategorie:Russische Geschichte]]
[[Kategorie:Historische Organisation (Russland)]]
[[Kategorie:Politische Bewegung]]
[[Kategorie:Soziale Bewegung]]
[[Kategorie:Islam in Russland]]
[[Kategorie:Muslimische Organisation (Russland)]]
[[Kategorie:Tataren]]
[[Kategorie:Gegründet 1988]]

Aktuelle Version vom 5. November 2022, 03:41 Uhr

Fahne des Tatarischen Gemeinschaftlichen Zentrums, des späteren Tatarischen Zentrum Kasan (1988–1990)

Das Tatarische Zentrum Kasan[1] (TOZ) ist eine ehemalige Studenten- und Lehrerbewegung der Kasaner Universität. Sie wurde schnell zu einer ernstzunehmenden tatarischen Bürgerorganisation, die auch von der tatarischen Regierung offiziell anerkannt wurde.[2]

Geschichte und Ziel des TOZ

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Mit dem beginnenden Zerfall der Sowjetunion schlossen sich im Juni 1988 tatarische Studenten und Lehrer der Kasaner Universität zu einem Studenten- und Lehrerbündnis zusammen, die im Wesentlichen auf den Grundsätzen des im späten 19. Jahrhundert begründeten „Dschadidismus“ fußte. Dieses Bündnis nannte sich „Tatarisches Gesellschaftliches Zentrum“[2] und hatte seinen Hauptsitz in Kasan. Damaliger Vorsitzender war M. Muljukow von der Kasaner Universität.[2] Diesem Bündnis schlossen sich auch schnell Schriftsteller und Journalisten an, so dass es schließlich als „nationale Opposition“[2] zur tatarischen KP galt.

Unter dem Einfluss der TOZ wurde nun die tatarische Geschichte aus dem „nationalen Gesichtspunkt“ aufgearbeitet und die tatarische ASSR rehabilitierte somit nicht nur die „bürgerlichen Nationalisten“ wie İsmail Gasprinski und Ajas Ischaki, sondern auch Mir Sultan Galijew. So veranstaltete die TOZ am 10. Oktober 1989 erstmals eine Demonstration zum Gedenken an die Russische Eroberung des Kasaner Khanates durch den russischen Staat von 1552; und es tauchten bei den Tataren auch wieder die grünen Fahnen des Islam auf.[2]

Neben der Erneuerung des „Dschadidismus“ setzte sich das TOZ auch aktiv für den Umweltschutz ein. So verhinderte es auch den Bau eines Atomkraftwerkes bei Neftekamsk.[2] Das TOZ vertritt die Gleichberechtigung der Frau in einem modernen neuzeitlichen Islam. Es trat auch für die völlige Gleichberechtigung aller ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen in der tatarischen ASSR ein. Gerade das TOZ forderte die Herausgabe tschuwaschischer Zeitungen in der ASSR.[3] Aber die von der tatarischen Regierung anerkannte „Führungsrolle“ der TOZ wurde nicht von allen Tataren geteilt. So war das TOZ bei Wahlen auf die Stimmen anderer Volksgruppen angewiesen.[3]

Festzustellen ist aber, dass das TOZ sich zusammen mit anderen damaligen Bürgerbewegungen an den größeren Zusammenhängen der tatarischen Geschichte orientierte. So sehen sich die Tataren mit den Baschkiren und Krimtataren als Erben der Goldenen Horde.[4]

Die Tataren in den benachbarten Republiken Baschkortostan und Tschuwaschien gründeten 1988/89 ähnliche „Volksbewegungen“, die sich stark an den Zielen des TOZ orientierten.[5]

Doch mit dem aufkommenden Nationalitätenkonflikt, zwischen den Baschkiren auf der einen und den Tataren auf der anderen Seite, beklagten sich zahlreiche Tataren bei der TOZ: Auf sie werde von Seiten der baschkirischen Regierung ein Druck ausgeübt, sich nun zu „Baschkiren“ zu erklären und das Unabhängigkeitsbestreben der baschkirischen ASSR zu unterstützen. Die dort lebenden Tataren unterstützen auch diesen Wunsch. Aber sie wollten, dass dieser neue Staat dann den Namen „Baschkirisch-Tatarische SSR“ tragen solle. Denn auch die offizielle TOZ-Position war, das Baschkiren und Tataren zwei Nationen verschiedener Herkunft seien.[5]

Neben der TOZ bestand auch noch die sogenannte Bolgarische Bewegung (Bolgar-i Cedid = „Neues Bolgar“), die seit 1989 einen radikal eigenständig-nationalistischen Weg gehen wollte: Nach ihrem Willen sollten sich die Tataren wieder als „Erben der Wolgabolgaren“ betrachten, die mit den Mongolen und deren Khanaten nichts gemeinsam hätten. So seien vor allem die Tataren des Wolga-Gebietes „ethnisch rein“ geblieben. Aber diese Bolgarische Bewegung bildete jedoch immer nur eine kleine Minderheit unter den Tataren.[4]

  1. Archivierte Kopie (Memento vom 10. Oktober 2008 im Internet Archive) Die „Eurasische Bewegung“ Russlands
  2. a b c d e f Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht, S. 153
  3. a b Stölting: Weltmacht, S. 154
  4. a b Stölting: Weltmacht, S. 155
  5. a b Stölting: Weltmacht, S. 157
  • Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR, Eichborn Verlag 1990, ISBN 3-8218-1132-3