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„Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“ – Versionsunterschied

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'''Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen''' (SbE) (in Österreich ''Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen'' oder ''SvE''),<ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.sve-psd.at/wien_sve.html |titel=SvE Peer Team des Wiener Roten Kreuzes |titelerg=Beispiel österreichischer Peers |hrsg= |werk=www.sve-psd.at |datum= |abruf=2023-03-30 |sprache= |format= |offline=1}}</ref> im englischen Sprachraum ''Critical Incident Stress Management'' (CISM), soll [[Posttraumatische Belastungsstörung|Posttraumatischen Belastungsstörungen]] bei Angehörigen der [[Rettungsdienst]]e, [[Feuerwehr]], [[Katastrophenschutz]] und [[Polizei]] vorbeugen. Ähnliche Konzepte gibt es auch bei Fluggesellschaften für ihr Personal. Das Konzept kann auf andere Gruppen übertragen werden, die beruflich bedingt gemeinsam einer potenziell traumatisierenden Situation ausgesetzt waren. Ähnliche Begriffe existieren, wie etwa ''Organisierte Personalbetreuung bei Extremeinsätzen und Nachsorge (OPEN)'' (siehe [[Notfallseelsorge]]) und die ''Psychosoziale Unterstützung für Einsatzkräfte (PSU)''. SbE leistet damit für Einsatzkräfte in etwa das Gleiche wie die [[Krisenintervention im Rettungsdienst]] für Angehörige.
{{Mehrfacheintrag|[[Critical Incident Stress Management]]|--[[Benutzer:Flominator|Flominator]] 12:20, 4. Sep 2005 (CEST)}}


Die vorbeugende Wirkung von SbE ist belegt aber weitere evidenzbasierende Forschung muss erfolgen; bei Anwendung im falschen Setting oder von nicht ausgebildeten Personen kann die Wahrscheinlichkeit für Belastungsstörungen sogar erhöht werden.<ref>McNally, Bryant, Ehlers: ''Does early psychological intervention promote recovery from post-traumatic stress?'' In: ''Psychological Science in the Public Interest.'' 4, 2003, S.&nbsp;45–79.</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Clemens, Karin; Lüdke, Christian |url=https://www.aerzteblatt.de/archiv/33652/Psychologische-Soforthilfe-Debriefing-kann-schaden |titel=Psychologische Soforthilfe: Debriefing kann schaden |werk=Deutsches Ärzteblatt |datum=2002-07-10 |sprache=de |abruf=2023-01-31}}</ref> Andere Studien belegen die Wirksamkeit des CISD hinsichtlich der Reduktion der akuten und Langzeitbelastung der Betroffenen und zeigen ein Schädigungsrisiko nur für bestimmte Risikogruppen auf.<ref>{{Literatur |Autor=Beck, T.; Kratzer, D. Mitmansgruber, H. und Andreatta, M.P. |Titel=Die Debriefing Debatte – Fragen nach der Wirksamkeit. |Sammelwerk=Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin ZPPM |Band=03 |Datum=2007 |Seiten=9–20}}</ref>
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== Konzept ==
'''SbE''' ist eine teilweise unterschiedlich interpretierte Abkürzung für:
Belastende Ereignisse im Sinne der SbE rufen so ungewöhnlich starke emotionale Reaktionen hervor, dass die Funktionsfähigkeit der mit ihr konfrontierten Person beeinträchtigt wird. Deren Reaktion ist gekennzeichnet durch „Gefühl der Ohnmacht“, „Hilflosigkeit“ oder „Schuld“, eine „Identifikation mit dem Opfer“, „massive persönliche Betroffenheit“, „hohe Ereignisintensität“ oder eine „Bedrohung von eigenem Leib und Leben“. Die individuelle [[Bewältigungsstrategie]] der betroffenen Person ist überfordert. Es kann sich eine [[akute Belastungsstörung]] entwickeln. Dauert sie länger als vier Wochen, spricht man von Posttraumatischer Belastungsstörung (kurz: [[PTBS]] oder im Englischen ''Posttraumatic Stress Disorder'', PTSD).
* ''Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen''
* ''Stressbewältigung nach belastenden Ereignissen''
* ''Stressbearbeitung nach belastenden Einsatzereignissen''
* ''Stressbewältigung nach belastenden Einsatzereignissen''


SbE/CISM soll als vorbeugende und begleitende Maßnahme die Menschen bei der Verarbeitung der Stresssymptome nach solchen besonders belastenden Ereignissen unterstützen. Es umfasst spezielle Schulungen, auf die Belastungsreaktion abgestimmte Maßnahmen, und Nachsorge. Professionelle Einsatzkräfte bleiben im Gegensatz zu Normalpersonen in aller Regel für die Dauer des Einsatzes voll handlungsfähig und arbeiten ihr trainiertes Programm ab. Sie erleben die Traumatisierung durch einen Einsatz erst in der ersten Ruhephase nach dem Einsatzgeschehen.
Oft gleichbedeutend genutzt werden die Abkürzungen:
* ''[[CISM]]'' (engl., Criticial Incident Stress Management; siehe auch [[Jeffrey Mitchell]])
* ''OPEN'' (Organisierte Personalbetreuung bei Extremeinsätzen und Nachsorge; siehe auch [[Notfallseelsorge]])
* ''PSU'' (Psychosoziale Unterstützung für Einsatzkräfte)


Daher läuft die Nachbearbeitung des Einsatzes in mehreren Phasen ab:
== Begriffserklärung ==
Die '''SbE''' bezeichnet eine Reihe von Einzel- und Gruppengesprächstechniken, die sich an Einsatzkräfte, unter anderem aus [[Rettungsdienst]]en, [[Feuerwehr]]en, [[Katastrophenschutz]] und [[Polizei]], wendet, aber auch auf andere homogene Gruppen übertragen wird, die beruflich bedingt gemeinsam einer belastenden Situation ausgesetzt waren. Sie soll den Teilnehmern die Möglichkeit geben, das Erlebte zu verarbeiten und die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung ([[PTBS]]) verhindern. SbE leistet damit für Einsatzkräfte in etwa das Gleiche wie die [[Krisenintervention im Rettungsdienst]] für Angehörige.


* Die ''Demobilization'' ''(Einsatzabschluss)'' dauert in der Regel nicht länger als zehn Minuten und informiert die Teilnehmer über das Einsatzgeschehen und eventuell auftretende physische, kognitive, [[emotion]]ale und verhaltensspezifische Symptome, sowie Stress Management. Diese Veranstaltung hat psychoedukativen Charakter und richtet sich an Gruppen von Einsatzkräften (maximal 50), die nach ihrem Einsatz abgelöst werden.
Häufig werden daher die beiden Begriffe synonym verwendet, obwohl das nicht zutrifft: Einsatzkräfte bleiben im Gegensatz zu Angehörigen in aller Regel für die Dauer des Einsatzes voll handlungsfähig und arbeiten ihr lange trainiertes Programm ab. Sie erleben die Traumatisierung durch einen Einsatz erst in der ersten Ruhephase nach dem Einsatzgeschehen.
* Ein ''Defusing'' ist eine Kurzbesprechung (nicht länger als 45&nbsp;Minuten). Es wird oft direkt nach dem Ereignis, spätestens jedoch am gleichen Tag, etwa am Ende der Dienstschicht mit einer kleineren Teilnehmerzahl durchgeführt, sodass mehr Raum für individuelle Interaktion ist.
* Das [[Debriefing]] ''(Nachbesprechung)'' stellt die intensivste und längste Form der CISM-Intervention (bis zu vier Stunden). Ein Debriefing wird erst einige Tage nach dem potenziell traumatisierenden Ereignis durchgeführt. Es benötigt ein geordnetes ''[[Setting (Psychologie)|Setting]]'' (Umgebung), in der die subjektiven Eindrücke und Erlebnisse der Teilnehmer thematisiert werden können. Diese Besprechungen werden von Teams aus psychosozialen Fachkräften und aus speziell geschulten Einsatzkräften (''Peers'') geführt. Der amerikanische Notfallmediziner Jeffrey T. Mitchell ([[University of Maryland]]), der diese Nachsorgetechniken mitentwickelt hat, empfiehlt dabei, dass die Peers aus anderen Organisationen kommen, um Vertraulichkeit zu wahren und Eigeninteressen auszublenden.
* ''One-on-One'' ist ein Gespräch zwischen einer Fachperson und einem Betroffenen. Dies ist die direkteste Form der Intervention.
Dabei stehen das Aussprechen von persönlich Erlebtem, Anerkennen und kognitive Bearbeitung von Gefühlen, und der Austausch innerhalb der Gruppe im Vordergrund. Es können auch praktische Streßbewältigungstechniken vermittelt werden.<ref>''Mit [[Hedi Sehr]] geht eine Ära zu Ende – Nach 26 Jahren gibt die Obertiefenbacherin die Leitung an ein Vorstandsteam weiter.'' In: ''Weilburger Tageblatt'' und ''Nassauische Neue Presse'', 8. April 2023</ref>


Jede dieser Interventionen ist vertraulich. Die Vorgesetzten erfahren nicht die Inhalte der Gespräche. Es gilt die [[Verschwiegenheitspflicht|Schweigepflicht]] nach §203 StGB. Es handelt sich um vorbeugende Interventionen, nicht um [[Psychotherapie]]. SbE wird in manchen Diensten intern angeboten, andernorts auch extern im Rahmen einer kirchlichen Notfallseelsorge. Die [[Feuerwehr München]] zum Beispiel hat einen eigenen Peer-Berater-Dienst etabliert, Einige [[Diözese]]n (katholische Verwaltungseinheiten) haben eigene Mitarbeiter für die Seelsorge im Feuerwehr- und Rettungsdienst. Bei der Polizei wird diese Aufgabe häufig vom polizeipsychologischen Dienst übernommen. Für fliegendes Personal organisiert die [[Stiftung Mayday]] [[Critical Incident Stress Management|CISM]]-Kurse und unterhält ein Betreuungsnetz, das durchschnittlich drei Einsätze pro Woche mit Flugbesatzungen im deutschen Sprachraum absolviert.
Daher läuft die Nachbearbeitung des Einsatzes in mehreren Phasen ab: Noch am oder in der Nähe des Einsatzortes kann ein Einsatzabschluss (Demobilization) durchgeführt werden, bei dem vor allem Informationen über das Einsatzgeschehen und über mögliche Stressreaktionen im Vordergrund stehen. Diese Veranstaltung, die hauptsächlich psychoedukativen Charakter hat, richtet sich an größere Gruppen von Einsatzkräften (maximal 50), die nach ihrem Einsatz aus dem Dienst ausgelöst werden. Alternativ hierzu gibt es die Kurzbesprechung, die einige Stunden nach Ende des Einsatzes, zum Beispiel am Ende einer Dienstschicht, mit einer kleineren Zahl von Teilnehmern durchgeführt werden kann und in der mehr Raum für individuelle Interaktion ist. Nach einigen Tagen sollte bei gegebener Indikation eine Nachbesprechung (Debriefing) in einem geordneten [[Setting]] (Umgebung) erfolgen, in der die subjektiven Eindrücke und Erlebnisse der Teilnehmer thematisiert werden können. Diese Besprechungen werden von Teams aus psychosozialen Fachkräften und aus speziell geschulten Einsatzkräften (Peers) geführt.


== Siehe auch ==
[[Jeffrey Mitchell]], der diese Nachsorgetechniken entwickelt hat, empfiehlt dabei, dass diese Person keiner der am Einsatz beteiligten Organisationen angehört, um höhere Vertraulichkeit zu wahren und zudem Eigeninteressen der Organisationen in der Nachbesprechung auszublenden.
* [[Peer für Einsatzkräfte]]


== Literatur ==
Die Leistung SbE wird dabei teilweise von eigenen Organisationseinheiten angeboten, teilweise aber auch im Rahmen einer [[Notfallseelsorge]] angeboten. Einige [[Diözese]]n (Verwaltungen) haben eigene Mitarbeiter, die ausschließlich für eine Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst zuständig sind. Bei der Polizei wird diese Aufgabe häufig vom polizeipsychologischen Dienst übernommen.
* Richard J. McNally: ''Remembering Trauma''. Harvard University Press, Cambridge. ISBN 0-674-01802-8.
* Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly und Andreas Igl, Joachim Müller-Lange (Hrsg. d. dt. Ausgabe): ''Streßbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Zur Prävention psychischer Traumatisierung''. Stumpf & Kossendey, Edewecht 1998, ISBN 3-923124-72-4.
* George S. Everly, Jeffrey T. Mitchell: ''CISM - Stressmanagement nach kritischen Ereignissen - ein neuer Versorgungsstandard bei Notfällen, Krisen und Katastrophen.'' Facultas-Univ.-Verl., Wien 2002, ISBN 3-85076-560-1.
* Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly, Joachim Müller-Lange: ''Handbuch Einsatznachsorge.'' Stumpf & Kossendey, Edewecht 2005, ISBN 3-932750-91-8.
* Gisela Perren-Klingler: ''Debriefing - Erste Hilfe durch das Wort''. Verlag Paul Haupt, Bern 2001, ISBN 3-258-05994-2.
* Gisela Perren-Klingler: ''Trauma - Vom Schrecken des Einzelnen zu den Ressourcen der Gruppe''. Verlag Paul Haupt, Bern 2000, ISBN 3-258-05164-X.
* Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly: ''Critical Incident Stress Management (CISM): A Practical Review'', ICISF - International Critical Incident Stress Foundation, Inc., 2017, ISBN 978-1-943001-02-6.


== Weblinks ==
Die [[Berufsfeuerwehr]] [[München]] z. B. hat einen eigenen Peer-Berater-Dienst etabliert, der in kleinerem Rahmen ähnliche Aufgaben wahrnimmt.
* [https://www.stiftung-mayday.de/ Website der Stiftung Mayday]
* [https://icisf.org/ Website der International Critical Incident Stress Foundation]
* [http://www.sbe-ev.de Website der Bundesvereinigung SbE Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e.&nbsp;V.]
* [http://www.mayday-austria.at Website von Mayday Austria]


== Einzelnachweise ==
In der Anfangszeit wurde SbE vor allem von Einsatzkräften aus Angst um das Images des "harten Kerls und Retters" kritisch betrachtet. Mittlerweile ist SbE nicht mehr wegzudenken, obwohl im Markt einige zweifelhafte Anbieter operieren.
<references />

== SBE in der Luftfahrt ==

Zwischenzeitlich wurden auch bei mehreren Airlines, so z. B. bei [[Lufthansa]], Kriseninterventionsteams gebildet und eingesetzt. Das letzte Mal betreuten diese Teams von der Tsunamikatastrophe in Asien zurückgeholte Touristen, sowie eigene Kollegen, welche auf diesen Flügen als Crew eingesetzt waren. Auch bei dem [[Concorde]]-Absturz der [[Air France]] unterstützten Lufthansa-Reliefteams die französischen Kollegen bei der Betreuung der überwiegend deutschen Angehörigen.

Federführend in der deutschen Luftfahrt ist die [[Stiftung Mayday]], welche in Not geratene Piloten und deren Angehörigen unbürokratisch weiterhilft. Die Stiftung organisiert u. a. auch [[CISM]]-Kurse. Gemeinsam mit Psychologen und Betroffenen unterhält die Stiftung Mayday ein Betreuungsnetz, das Flugbesatzungen nach kritischen und stark belastenden Vor- oder Unfällen zur Seite steht ([[CISM]] - Critical Incident Stress Management).

== Literatur ==
* [[Jeffrey T. Mitchell]], George S. Everly und Andreas Igl, Joachim Müller-Lange (Hrsg. d. dt. Ausgabe): ''Streßbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Zur Prävention psychischer Traumatisierung''. Stumpf & Kossendey Verlag, Edewecht 1998, ISBN 3-923124-72-4
* Gisela Perren-Klingler: ''Debriefing - Erste Hilfe durch das Wort''. Verlag Paul Haupt, Bern 2001, ISBN 3-258-05994-2
* Dr. med Gisela Perren-Klingler: ''Trauma - Vom Schrecken des Einzelnen zu den Ressourcen der Gruppe''. Verlag Paul Haupt, Bern 2000, ISBN 3-258-05164-X

''Siehe auch:''
* [[Peer für Einsatzkräfte]]
* [[Krisenintervention im Rettungsdienst]]


[[Kategorie:Notfallseelsorge]]
[[Kategorie:Psychosoziale Notfallversorgung]]
[[Kategorie:Psychosoziale Notfallversorgung]]
[[Kategorie:Flugmedizin]]

Aktuelle Version vom 8. Januar 2025, 21:00 Uhr

Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) (in Österreich Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen oder SvE),[1] im englischen Sprachraum Critical Incident Stress Management (CISM), soll Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Angehörigen der Rettungsdienste, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Polizei vorbeugen. Ähnliche Konzepte gibt es auch bei Fluggesellschaften für ihr Personal. Das Konzept kann auf andere Gruppen übertragen werden, die beruflich bedingt gemeinsam einer potenziell traumatisierenden Situation ausgesetzt waren. Ähnliche Begriffe existieren, wie etwa Organisierte Personalbetreuung bei Extremeinsätzen und Nachsorge (OPEN) (siehe Notfallseelsorge) und die Psychosoziale Unterstützung für Einsatzkräfte (PSU). SbE leistet damit für Einsatzkräfte in etwa das Gleiche wie die Krisenintervention im Rettungsdienst für Angehörige.

Die vorbeugende Wirkung von SbE ist belegt aber weitere evidenzbasierende Forschung muss erfolgen; bei Anwendung im falschen Setting oder von nicht ausgebildeten Personen kann die Wahrscheinlichkeit für Belastungsstörungen sogar erhöht werden.[2][3] Andere Studien belegen die Wirksamkeit des CISD hinsichtlich der Reduktion der akuten und Langzeitbelastung der Betroffenen und zeigen ein Schädigungsrisiko nur für bestimmte Risikogruppen auf.[4]

Belastende Ereignisse im Sinne der SbE rufen so ungewöhnlich starke emotionale Reaktionen hervor, dass die Funktionsfähigkeit der mit ihr konfrontierten Person beeinträchtigt wird. Deren Reaktion ist gekennzeichnet durch „Gefühl der Ohnmacht“, „Hilflosigkeit“ oder „Schuld“, eine „Identifikation mit dem Opfer“, „massive persönliche Betroffenheit“, „hohe Ereignisintensität“ oder eine „Bedrohung von eigenem Leib und Leben“. Die individuelle Bewältigungsstrategie der betroffenen Person ist überfordert. Es kann sich eine akute Belastungsstörung entwickeln. Dauert sie länger als vier Wochen, spricht man von Posttraumatischer Belastungsstörung (kurz: PTBS oder im Englischen Posttraumatic Stress Disorder, PTSD).

SbE/CISM soll als vorbeugende und begleitende Maßnahme die Menschen bei der Verarbeitung der Stresssymptome nach solchen besonders belastenden Ereignissen unterstützen. Es umfasst spezielle Schulungen, auf die Belastungsreaktion abgestimmte Maßnahmen, und Nachsorge. Professionelle Einsatzkräfte bleiben im Gegensatz zu Normalpersonen in aller Regel für die Dauer des Einsatzes voll handlungsfähig und arbeiten ihr trainiertes Programm ab. Sie erleben die Traumatisierung durch einen Einsatz erst in der ersten Ruhephase nach dem Einsatzgeschehen.

Daher läuft die Nachbearbeitung des Einsatzes in mehreren Phasen ab:

  • Die Demobilization (Einsatzabschluss) dauert in der Regel nicht länger als zehn Minuten und informiert die Teilnehmer über das Einsatzgeschehen und eventuell auftretende physische, kognitive, emotionale und verhaltensspezifische Symptome, sowie Stress Management. Diese Veranstaltung hat psychoedukativen Charakter und richtet sich an Gruppen von Einsatzkräften (maximal 50), die nach ihrem Einsatz abgelöst werden.
  • Ein Defusing ist eine Kurzbesprechung (nicht länger als 45 Minuten). Es wird oft direkt nach dem Ereignis, spätestens jedoch am gleichen Tag, etwa am Ende der Dienstschicht mit einer kleineren Teilnehmerzahl durchgeführt, sodass mehr Raum für individuelle Interaktion ist.
  • Das Debriefing (Nachbesprechung) stellt die intensivste und längste Form der CISM-Intervention (bis zu vier Stunden). Ein Debriefing wird erst einige Tage nach dem potenziell traumatisierenden Ereignis durchgeführt. Es benötigt ein geordnetes Setting (Umgebung), in der die subjektiven Eindrücke und Erlebnisse der Teilnehmer thematisiert werden können. Diese Besprechungen werden von Teams aus psychosozialen Fachkräften und aus speziell geschulten Einsatzkräften (Peers) geführt. Der amerikanische Notfallmediziner Jeffrey T. Mitchell (University of Maryland), der diese Nachsorgetechniken mitentwickelt hat, empfiehlt dabei, dass die Peers aus anderen Organisationen kommen, um Vertraulichkeit zu wahren und Eigeninteressen auszublenden.
  • One-on-One ist ein Gespräch zwischen einer Fachperson und einem Betroffenen. Dies ist die direkteste Form der Intervention.

Dabei stehen das Aussprechen von persönlich Erlebtem, Anerkennen und kognitive Bearbeitung von Gefühlen, und der Austausch innerhalb der Gruppe im Vordergrund. Es können auch praktische Streßbewältigungstechniken vermittelt werden.[5]

Jede dieser Interventionen ist vertraulich. Die Vorgesetzten erfahren nicht die Inhalte der Gespräche. Es gilt die Schweigepflicht nach §203 StGB. Es handelt sich um vorbeugende Interventionen, nicht um Psychotherapie. SbE wird in manchen Diensten intern angeboten, andernorts auch extern im Rahmen einer kirchlichen Notfallseelsorge. Die Feuerwehr München zum Beispiel hat einen eigenen Peer-Berater-Dienst etabliert, Einige Diözesen (katholische Verwaltungseinheiten) haben eigene Mitarbeiter für die Seelsorge im Feuerwehr- und Rettungsdienst. Bei der Polizei wird diese Aufgabe häufig vom polizeipsychologischen Dienst übernommen. Für fliegendes Personal organisiert die Stiftung Mayday CISM-Kurse und unterhält ein Betreuungsnetz, das durchschnittlich drei Einsätze pro Woche mit Flugbesatzungen im deutschen Sprachraum absolviert.

  • Richard J. McNally: Remembering Trauma. Harvard University Press, Cambridge. ISBN 0-674-01802-8.
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly und Andreas Igl, Joachim Müller-Lange (Hrsg. d. dt. Ausgabe): Streßbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Zur Prävention psychischer Traumatisierung. Stumpf & Kossendey, Edewecht 1998, ISBN 3-923124-72-4.
  • George S. Everly, Jeffrey T. Mitchell: CISM - Stressmanagement nach kritischen Ereignissen - ein neuer Versorgungsstandard bei Notfällen, Krisen und Katastrophen. Facultas-Univ.-Verl., Wien 2002, ISBN 3-85076-560-1.
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly, Joachim Müller-Lange: Handbuch Einsatznachsorge. Stumpf & Kossendey, Edewecht 2005, ISBN 3-932750-91-8.
  • Gisela Perren-Klingler: Debriefing - Erste Hilfe durch das Wort. Verlag Paul Haupt, Bern 2001, ISBN 3-258-05994-2.
  • Gisela Perren-Klingler: Trauma - Vom Schrecken des Einzelnen zu den Ressourcen der Gruppe. Verlag Paul Haupt, Bern 2000, ISBN 3-258-05164-X.
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly: Critical Incident Stress Management (CISM): A Practical Review, ICISF - International Critical Incident Stress Foundation, Inc., 2017, ISBN 978-1-943001-02-6.

Einzelnachweise

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  1. SvE Peer Team des Wiener Roten Kreuzes. Beispiel österreichischer Peers. In: www.sve-psd.at. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 30. März 2023.@1@2Vorlage:Toter Link/www.sve-psd.at (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  2. McNally, Bryant, Ehlers: Does early psychological intervention promote recovery from post-traumatic stress? In: Psychological Science in the Public Interest. 4, 2003, S. 45–79.
  3. Clemens, Karin; Lüdke, Christian: Psychologische Soforthilfe: Debriefing kann schaden. In: Deutsches Ärzteblatt. 10. Juli 2002, abgerufen am 31. Januar 2023.
  4. Beck, T.; Kratzer, D. Mitmansgruber, H. und Andreatta, M.P.: Die Debriefing Debatte – Fragen nach der Wirksamkeit. In: Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin ZPPM. Band 03, 2007, S. 9–20.
  5. Mit Hedi Sehr geht eine Ära zu Ende – Nach 26 Jahren gibt die Obertiefenbacherin die Leitung an ein Vorstandsteam weiter. In: Weilburger Tageblatt und Nassauische Neue Presse, 8. April 2023