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„Philipp Lenard“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Lenard.jpg|miniatur|Philipp Lenard (um 1905)]]
'''Philipp Eduard Anton''' (de) '''Lenard''' (* [[7. Juni]] [[1862]] in [[Pressburg]]; † [[20. Mai]] [[1947]] in [[Messelhausen]]) war ein deutscher Experimentalphysiker. Ihm sind herausragende Arbeiten zur modernen [[Festkörperphysik|Festkörper-]] und [[Atomphysik]] zu verdanken, wofür er [[1905]] den [[Nobelpreis]] für Physik erhielt. In den 1920er Jahren wurde er zusammen mit [[Johannes Stark]] zum Wortführer der "[[Deutsche Physik|Deutschen Physik]]", die den "dogmatischen Formalismus" in der modernen Theoretischen Physik anprangerte. Sein Zeitgenosse Rudolf Tomaschek nannte ihn<ref>R. Tomaschek, "Philipp Lenard - Zu seinem 80. Geburtstag am 7. Juni 1942", ''Völkischer Beobachter'', 6./7. Juni 1942, Nr. 157/158, S. 5.</ref> "das weltanschauliche Gewissen der Physik".


'''Philipp Eduard Anton von Lenard''' (* [[7. Juni]] [[1862]] in [[Bratislava|Preßburg]]; † [[20. Mai]] [[1947]] in [[Messelhausen]]) war ein [[Österreich-Ungarn|österreichisch-ungarischer]], ab 1907 deutscher [[Physiker]]. Für seine grundlegenden Arbeiten über [[Kathodenstrahlen]] und die Entwicklung der Elektronentheorie wurde ihm 1905 der [[Nobelpreis für Physik]] verliehen. Ab 1907 Direktor des Instituts für Physik und Radiologie an der [[Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg]], wurde er mit dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] und im Kampf gegen die Revolutionierung der Physik durch [[Albert Einstein]] zum Propagandisten von [[Nationalismus]] und [[Geschichte des Antisemitismus bis 1945|Antisemitismus]]. Ab 1924 trat er öffentlich für die Anführer des [[Hitlerputsch]]es und die [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] ein. Mit der These: „Wissenschaft ist, wie alles was Menschen hervorbringen, [[rassisch]], blutmäßig bedingt“,<ref name="blutmäßig" /> wurde er zum Wortführer einer „[[Deutsche Physik|Deutschen Physik]]“.
[[Bild:Philipp Lenard.jpg|framed|Philipp Lenard (um 1905)]]


== Leben ==
=== Früher Werdegang ===
Philipp Lenard wurde 1862 als Sohn eines Tiroler Weinhändlers in [[Bratislava|Pressburg]] geboren. Der Familie war 1722 der erbliche Adelstitel verliehen worden, den die Nachkommen ab Ende des 19. Jahrhunderts aber nicht mehr verwendeten. Philipp Lenard besuchte das Königlich-ungarische Gymnasium in Pressburg, wo er in Ungarisch unterrichtet wurde. In seiner Jugend war Lenard ein ungarischer Nationalist. Seine bevorzugte Sprache war Ungarisch, und er weigerte sich vehement, die deutschen geographischen Bezeichnungen für die mehrheitlich ungarische Provinz, in der er lebte, zu verwenden. Seinen Namen schrieb er meist Fülöp Lenard oder auch Lenardi. Er studierte 1880 zunächst in [[Universität Budapest|Budapest]] und [[Universität Wien|Wien]] zwei Semester Naturwissenschaften, zog dann aber die Arbeit in der väterlichen Weinhandlung in Pressburg vor. 1883 setzte er seine Studien in [[Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg|Heidelberg]] bei [[Georg Hermann Quincke]] und [[Robert Bunsen]] fort. Nach einem Studiensemester bei [[Hermann von Helmholtz]] in [[Humboldt-Universität zu Berlin|Berlin]] wurde er 1886 schließlich in Heidelberg bei Georg Quincke mit einer Arbeit „Ueber die Schwingung fallender Tropfen“ promoviert. Danach war er bis 1889 Assistent bei Quincke im physikalischen Institut der [[Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg]], wo er seine Untersuchungen über [[Phosphoreszenz]] weiterführte. In den folgenden Jahrzehnten entstanden dabei wegweisende Arbeiten über die Leuchtmechanismen sogenannter [[Lenard-Phosphor]]e.


== Früher Werdegang ==
=== Kathodenstrahlen ===
Nach kurzen Zwischenstationen in [[London]] und [[Breslau]] begann er im April 1891 als Assistent von [[Heinrich Hertz]] in [[Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn|Bonn]] zu arbeiten, wo er sich 1892 mit seiner Arbeit ''Über die Elektricität der Wasserfälle'' [[Habilitation|habilitierte]]. Der [[Balloelektrizität|Wasserfallelektrizität]] und der Gewitterelektrizität widmete er in den folgenden Jahren zahlreiche Veröffentlichungen. Nach dem frühen Tod von Hertz 1894 gab er dessen gesammelte Werke, darunter die bekannten „Prinzipien der Mechanik“, heraus. In Bonn beschäftigte Lenard sich auch mit [[Kathodenstrahlen]], insbesondere mit deren Durchgang durch dünne Metallschichten. Lenard schrieb darüber eine viel beachtete Abhandlung „Ueber Katodenstrahlen in Gasen von atmosphärischem Druck und im äussersten Vacuum“, die er 1893 einreichte und die 1894 in ''Poggendorf’s Annalen der Physik'' erschien.<ref> Ph. Lenard: ''Ueber Katodenstrahlen in Gasen von atmosphärischem Druck und im äussersten Vacuum.'' In: G. und E. Wiedemann (Hrsg.): ''Annalen der Physik und Chemie.'' Begründert von Poggendorf. Bd. 51, Heft 2, S. 225–267, Leipzig 1894, Vlg. Joh. Ambrosius Barth</ref> Auf Anraten von Hertz benutzte er als Austrittsfenster seiner Röhre nicht mehr [[Glimmer]], sondern Aluminiumfolie, die allerdings 8 mal so dick war wie gewöhnliche. Er untersuchte nahezu alle Materialien, die das Labor aufwies, auf ihr Verhalten unter Einwirkung der austretenden Strahlen. Besonders hervorzuheben sind seine Beobachtungen unter Abs.&nbsp;9 „Kathodenstrahlen sind photographisch wirksam“, worin er beschrieb, dass auch abgedunkelte photographische Schichten von diesen Strahlen geschwärzt wurden und im Strahl eingebrachte Objekte auf der Photoplatte abgebildet wurden. Die magnetische Ablenkbarkeit der Strahlen ist ebenso beschrieben wie die Tatsache, dass sich in restlos evakuierten Röhren diese Strahlen nicht erzeugen ließen. Ein Restdruck sei erforderlich, was sich später auch beim Betrieb von [[Röntgenröhre]]n bestätigte. Mit der Entwicklung der nach ihm benannten [[Entladungsröhre]] 1892 sowie des „[[Lenard-Fenster]]s“ ergab sich zum ersten Mal die Möglichkeit, Kathodenstrahlen unabhängig vom [[Gasentladung|Entladungsvorgang]] zu untersuchen. Seine Experimente trugen zur Klärung der korpuskularen Natur der Kathodenstrahlen bei, wobei die Priorität der Entdeckung des Elektrons zu seiner Verbitterung 1897 bei [[Joseph John Thomson]] lag. Lenard schuf mit der Fortsetzung der von Hertz durchgeführten Kathodenstrahl-Experimente die Grundlage für die Entdeckung von [[Bremsstrahlung|Bremsstrahlen]] durch [[Wilhelm Conrad Röntgen]] im Jahr 1895.<ref>[[Gundolf Keil]]: ''Robert Koch (1843–1910). Ein Essai.'' In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 73–109, hier: S. 98.</ref> Zudem beschaffte er Röntgen eine Entladungsröhre und ein Lenard-Fenster aus seinen eigenen Beständen, die für die Entdeckung der [[Röntgenstrahlung|X-Strahlen]] ebenfalls unentbehrlich waren. Nachdem Röntgen für die Entdeckung der X-Strahlen berühmt geworden war, beschuldigte Lenard ihn, ihm die Entdeckung geraubt zu haben.<ref>Peters/Weckbecker S. 61.</ref><br>
Die Auseinandersetzung darüber schwelte noch Jahrzehnte und flammte Ende der 30er Jahre erneut auf. So sahen sich E. Brüche und A. [[Alfred Recknagel|Recknagel]] als Herausgeber der Schrift ''Elektronengeräte'',<ref>E. Brüche, A. Recknagel: ''Elektronengeräte'', Springer Vlg., 1941, S. 188 ff. </ref> die der Lenardröhre neben der Röntgenröhre gebührend Raum einräumte, zu Anmerkungen veranlasst: „Trotzdem wollen wir der grundsätzlichen Verwandtschaft zwischen Lenard- und Röntgenröhre durch gemeinsame Behandlung beider Geräte und die Unterstreichung einheitlicher Gesichtspunkte Rechnung tragen, ohne uns damit in den Streit einmischen zu wollen, der leider kürzlich über Röntgen’s große Entdeckung geführt wurde“ (S. 189). Darin aber auch: „[…]In dieser Hinsicht könnte man die Röntgenröhre als Spezialfall der Lenardröhre auffassen.“ (S. 190)


=== Lichtelektrischer Effekt ===
Lenard wurde 1862 als Sohn eines Tiroler Weinhändlers in [[Pressburg]] geboren. Der Familie wurde 1722 der erbliche Adelstitel verliehen, den die Nachkommen ab Ende des 18.&nbsp;Jahrhunderts aber nicht mehr verwendeten. Er studierte 1880 zunächst in [[Budapest]] und [[Wien]] zwei Semester Naturwissenschaften, zog dann aber die Arbeit in der väterlichen Weinhandlung in Pressburg vor. 1883 setzte er seine Studien in [[Heidelberg]] bei [[Hermann Quincke]] und [[Robert Bunsen]] fort. Nach einem Studiensemester bei [[Hermann von Helmholtz]] in [[Berlin]] promovierte er 1886 schließlich in Heidelberg mit einer Arbeit "Über die Schwingung fallender Tropfen". Danach war er bis 1889 Assistent bei Quincke im physikalischen Institut der [[Universität Heidelberg]], wo er seine Untersuchungen über [[Phosphoreszenz]] weiterführte, In den folgenden Jahrzehnten entstanden dabei wegweisende Arbeiten über die Leuchtmechanismen sogenannter "[[Lenard-Phosphore]]".
{{Hauptartikel|Photoelektrischer Effekt}}


Nach weiteren Zwischenstationen in [[Universität Breslau|Breslau]], [[RWTH Aachen|Aachen]] und Heidelberg wurde er 1898 Ordinarius an der [[Christian-Albrechts-Universität zu Kiel]]. Hier standen ihm erstmals uneingeschränkte experimentelle Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung.
== Kathodenstrahlen ==


1900 führte er dort die durch [[Heinrich Rudolf Hertz|Heinrich Hertz]] (1886) und [[Wilhelm Hallwachs (Physiker)|Wilhelm Hallwachs]] (1887 [[Hallwachs-Effekt]]) begonnenen Untersuchungen des [[Fotoelektrischer Effekt|lichtelektrischen Effekts]] fort. Im gleichen Jahr fand er aufgrund quantitativer Untersuchungen heraus, dass (1) die Zahl der austretenden Elektronen bei wachsender Lichtintensität bestrahlter blanker Metalle wächst. Nicht wächst damit jedoch (2) ihre Energie, die ausschließlich von der Frequenz des eingestrahlten Lichts abhängig ist. (3) Der lichtelektrische Effekt setzt auch bei schwächster Lichtintensität sofort in seiner vollen und endgültigen Stärke ein. (4) Bei wachsender Frequenz des Lichts setzt der Photoeffekt bei einer scharfen Grenzwellenlänge ein, die bei jedem Metall verschieden ist. - Die Deutung dieser Fakten gelang erst 1905 durch [[Albert Einstein]] mit seiner [[Photon|Lichtquantenhypothese]]. Einstein stützte sich dabei auch auf die [[Quantentheorie]] (1900) von [[Max Planck]].<ref name="WestphalKLPH" />
Nach kurzen Zwischenstationen in [[London]] und [[Breslau]] begann er im April 1891 als Assistent von [[Heinrich Hertz]] in [[Bonn]], wo er sich 1892 mit einer Arbeit "Über die Elektrizität der Wasserfälle" habilitierte. Der Wasserfallelektrizität und der Gewitterelektrizität widmete er in den folgenden Jahren zahlreiche Veröffentlichungen. Nach dem frühen Tod von Hertz 1894 gab er dessen gesammelte Werke wie der bekannten "Prinzipien der Mechanik" heraus. In Bonn beschäftigte Lenard sich auch mit den"[[Kathodenstrahlen]]", insbesondere deren Durchgang durch dünne Metallschichten. Mit der Entwicklung der nach ihm benannten [[Entladungsröhre]] 1892 sowie des "[[Lenard-Fenster|Lenard-Fensters]]" ergab sich zum ersten Mal die Möglichkeit, Kathodenstrahlen unabhängig vom [[Gasentladung|Entladungsvorgang]] zu untersuchen. Seine Experimente trugen zur Klärung der korpuskularen Natur der Kathodenstrahlen bei, wobei die Priorität der Entdeckung des Elektrons zu seiner Verbitterung 1897 bei [[Joseph John Thomson]] lag. Zudem beschaffte er [[Wilhelm Conrad Röntgen|Conrad Röntgen]] eine Entladungsröhre und ein Lenard-Fenster aus seinen eigenen Beständen, die für die Entdeckung der [[Röntgenstrahlen|X-Strahlen]] 1895 unentbehrlich waren. Dass er von Röntgen in Schriften und Vorträgen nie erwähnt wurde, konnte er ihm nie verzeihen.


=== Atommodell ===
== Lichtelektrischer Effekt ==
Aus Absorptionsmessungen von Kathodenstrahlen entwickelte er 1903 sein „[[Dynamidenmodell]]“ des [[Atom]]s, wonach das Atom letztlich gewichtslos sein musste und die Wirkungszentren sich nur auf einen Bruchteil des Raumes konzentrierten. Damit brach Lenard erstmals mit der damaligen Vorstellung vom Atom als einem massiven Gebilde und lieferte ein wichtiges Vorläufermodell des 1910/1911 von [[Ernest Rutherford]] durch [[Streuversuch]]e mit [[Alphastrahlung|Alphateilchen]] entwickelten [[Atommodell]]s.


=== Nobelpreis für Physik 1905 ===
Nach weiteren Zwischenstationen in [[Breslau]], [[Aachen]] und [[Heidelberg]] wurde er 1898 Ordinarius an der [[Universität Kiel]]. Hier standen ihm erstmals uneingeschränkte experimentelle Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung. 1900 führte er dort die Untersuchungen des [[Fotoelektrischer Effekt|lichtelektrischen Effekts]] durch [[Heinrich Rudolf Hertz|Heinrich Hertz]] (1886) und [[Wilhelm Hallwachs]] (1887 Hallwachseffekt) fort und entdeckte im selben Jahr die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten: Bei wachsender Lichtintensität wächst die Zahl der Elektronen, nicht jedoch ihre Geschwindigkeit, die ausschließlich von der Frequenz des eingestrahlten Lichts abhängig ist. Dessen Deutung gelang jedoch erst [[Albert Einstein]] [[1905]] durch die [[Photon|Lichtquantenhypothese]].
Die Jahre in Kiel waren die produktivsten und kreativsten in Lenards Leben. 1905 erhielt Lenard für seine Arbeiten über die [[Kathodenstrahlen]] den [[Liste der Nobelpreisträger für Physik|Nobelpreis für Physik]]. Er beschäftigte sich außerdem mit der Ionisierung der Luft durch ultraviolettes Licht ([[Ultraviolettstrahlung#Wechselwirkung|Lenard-Effekt]]), dessen Grundlagen seine früheren Arbeiten über Wasserfall- und Gewitterelektrizität waren, sowie mit Bogen- und Metallspektren und meteorologischen Themen.


=== Radiologisches Institut Heidelberg ===
== Atommodell ==
1907 übernahm er nach einer langen, schweren Krankheit die Nachfolge seines Lehrers [[Georg Hermann Quincke|Quincke]] in Heidelberg als Ordinarius der Physik und Direktor des physikalischen Instituts. 1913 baute er dort mit dem Radiologischen Institut eines der zur damaligen Zeit modernsten und größten physikalischen Institute in Deutschland auf; er leitete es bis zu seiner Emeritierung 1932. In Heidelberg verlagerte sich jedoch der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Aktivität zunehmend von der experimentellen Forschung auf das Erstellen zusammenfassender Darstellungen. In den Kriegsjahren 1914–1918 verfasste er zahlreiche Artikel für das ''Handbuch der Physik''.


Während seiner Amtszeit in Heidelberg entstand ein Großteil seiner antisemitischen Zeugnisse.<ref>Jörg Willer: ''Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik.'' In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band 34, 2015, ISBN 978-3-86888-118-9, S. 105–121, hier: S. 105.</ref>
Aus Absorptionsmessungen von Kathodenstrahlen entwickelte er [[1903]] sein "[[Dynamidenmodell]]" des [[Atom|Atoms]], wonach das Atom letztlich "leer" sein musste und die Wirkungszentren sich nur auf einen Bruchteil des Raumes konzentrierten. Damit brach Lenard erstmals mit der damaligen Vorstellung vom Atom als massives Gebilde und lieferte ein wichtiges Vorläufermodell des 1910/1911 von [[Ernest Rutherford]] durch [[Streuversuch|Streuversuche]] mit [[Alphastrahlung|Alphateilchen]] entwickelten [[Atommodell|Atommodells]].


== Nobelpreis für Physik 1905 ==
== Lenard und die Deutsche Physik ==
=== Ende der Forschungsarbeit ===
Unter dem Eindruck des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]], des [[Versailler Vertrag]]s und der [[Weimarer Republik]] wandte sich der überzeugte Monarchist, der im September 1914 das [[Manifest der 93]] unterzeichnet hatte, zunehmend antisemitischen Ansichten zu. Die [[Relativitätstheorie]] und die [[Quantenmechanik]] verstand er nicht. Er lehnte sie als abstrakt und wirklichkeitsfremd ab. Aufgrund einer verbreiteten [[Kritik an der Relativitätstheorie|Antirelativismus]]-Diskussion stand er mit dieser Haltung allerdings nicht allein. Lenard arbeitete an einer [[Äther (Physik)|Äther-Theorie]], die das [[Michelson-Morley-Experiment]] oder die [[Periheldrehung]] des Merkur, die damals mithilfe der Relativitätstheorie gedeutet wurden, im Rahmen der klassischen Physik zu deuten versuchte.<ref>Philipp Lenard: ''Über Äther und Uräther.'' 2. Auflage, mit einem Mahnwort an deutsche Naturforscher. Leipzig 1922.</ref> Er griff mit heftiger Polemik auch die Person [[Albert Einstein]]s in Zeitungsartikeln und Vorträgen an. Höhepunkt war dabei die öffentliche Auseinandersetzung mit Einstein am 23. September 1920 über die Allgemeine Relativitätstheorie auf der renommierten Tagung der [[Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte|Naturforscher und Ärzte]] in [[Bad Nauheim]], der Nauheimer Diskussion. Fortan bezeichnete Lenard die Allgemeine Relativitätstheorie als „Judenbetrug“.<ref>Sören Flachowsky: ''Lenard Philipp''. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): ''Handbuch des Antisemitismus - Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart.'' Band 2/1, de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 468f.</ref>
Lenards Heidelberger Schüler [[Emil Rupp]], der 1920 bei ihm summa cum laude promoviert wurde, wandte sich der Relativitätstheorie zu und habilitierte 1926 mit einer hinter Lenards Rücken verfassten Arbeit über [[Kanalstrahlen]], die angeblich Einsteins Theorie des [[Welle-Teilchen-Dualismus]] experimentell bestätigte. In einem Brief an [[Wilhelm Wien]] 1927<ref>Philipp Lenard an Wilhelm Wien, 9. Januar 1927, WN. (= Wien-Nachlass?), In: van Dongen: [http://philsci-archive.pitt.edu/archive/00003530/01/Rupp-final-2.pdf ''Emil Rupp, Albert Einstein and the Canal Ray Experiments on Wave-Particle Duality: Scientific Fraud and Theoretical Bias.''] (PDF-Datei; 1,07&nbsp;MB), S. 38ff.</ref> bezweifelte Lenard, dass dieses Experiment in seinem Labor überhaupt gemacht worden sei. Rupp wurde 1935 als Fälscher entlarvt.


=== Missachtung der Staatstrauer für Walther Rathenau ===
Die Jahre in Kiel waren die produktivsten und kreativsten in Lenards Leben. [[1905]] erhielt Lenard ''"für seine Arbeiten über die [[Kathodenstrahlen]]"'' den [[Liste der Nobelpreisträger für Physik|Nobelpreis für Physik]]. Er beschäftigte sich außerdem mit der Ionisierung der Luft durch ultraviolettes Licht ([[Lenard-Effekt]]), dessen Grundlagen seine früheren Arbeiten über Wasserfall- und Gewitterelektrizität waren, sowie mit Bogen- und Metallspektren und meteorologischen Themen.
Nach der Ermordung [[Walther Rathenau]]s am 24. Juni 1922 weigerte sich Lenard, die vom Land [[Baden (Land)|Baden]] angeordnete Staatstrauer und die vom Rektorat der Universität verordnete Schließung zu befolgen. Am Physikalischen Institut ließ er keine Trauerbeflaggung vornehmen, ignorierte den öffentlichen Ruhetag und hielt demonstrativ ein Seminar ab: Wegen eines toten Juden, hatte der Professor geäußert, lasse er seine Studenten nicht müßig gehen.<ref name="Zuck" >Carl Zuckmayer: ''Als wär's ein Stück von mir'', Lizenzausgabe für die Bertelsmann-Gruppe, Gütersloh, 1966, S. 302–303</ref> Als dieses in der Stadt bekannt wurde, protestierte am 27. Juni eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Institut. Sie wurde aus dem Gebäude heraus mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen angegriffen. Unter den Demonstranten befand sich auch der Sozialdemokrat [[Carlo Mierendorff]], der nach Zuckmayer mit einem Arbeitertrupp in Lenards Institut eindrang und den Professor in Schutzhaft nahm. „Das Institut wurde der Verordnung gemäß geschlossen, ohne daß sich dabei irgendeine Gewalttat ereignete, der Professor nach einigen Stunden wieder freigelassen. Außer dieser kurzen Sistierung war ihm nichts geschehen.“<ref name="Zuck" />


Gegen Mierendorff wurde danach eine gerichtliche Anklage wegen Hausfriedensbruchs erhoben, und ihm drohte kurz vor seiner Promotion die Relegation durch die Universität. „In beiden Fällen erzielte er durch seine brillante Verteidigung und die positive Stellungnahme aller freiheitlichen Professoren einen bedingungslosen Freispruch.“<ref name="Zuck" /><ref>Schriftliche Urteilsbegründung in der Disziplinarstrafsache gegen Carl Mierendorff aus Grossenhain wegen Störung der Sitte und Ordnung des akademischen Lebens, Heidelberg, den 13. August 1923 (Universitätsarchiv Heidelberg, B-8910 Mierendorff). Abgedruckt in: Peters/Weckbecker S. 70–72.</ref> Lenard dagegen wurde vom zuständigen Minister [[Willy Hellpach]] vom Dienst suspendiert. Er reagierte mit einem Entlassungsgesuch. Nach Interventionen von Kollegen und Studenten wurden Suspendierung und Rücktritt zurückgenommen.<ref>siehe hierzu auch Wilhelm Güde, Das Verfahren vor dem Disziplinargericht der Universität Heidelberg gegen Carlo Mierendorff wegen seiner Beteiligung an der Erstürmung des Physikalischen Instituts der Universität. In: Rechtshistorische und andere Rundgänge. Festschrift für Detlev Fischer. Herausgegeben von Ulrich Falk, Markus Gehrlein, Gerhard Kreft und Markus Obert. Karlsruhe 2018, S. 207–218.</ref>
== Radiologisches Institut Heidelberg ==
Im gleichen Jahr verlor Lenard infolge der [[Inflation]] sein gesamtes Vermögen und sein einziger Sohn starb. Auch der Wissenschaftsbetrieb hielt eine Enttäuschung für ihn bereit, als Albert Einstein der Nobelpreis für die quantentheoretische Deutung des lichtelektrischen Effekts zugesprochen wurde, zu der Lenard selbst auf experimenteller Ebene einen Beitrag geleistet hatte. Begeistert nahm Lenard jedoch [[Hans F. K. Günther]]s „''[[Rassenkunde des deutschen Volkes]]''“ auf und wandte sich dem [[Nationalsozialismus]] zu.


=== Unterstützung der NSDAP ===
1907 übernahm er nach einer langen, schweren Krankheit die Nachfolge seines Lehreres [[Hermann Quincke|Quincke]] in Heidelberg als Ordinarius der Physik und Direktor des physikalischen Instituts. 1913 baute er dort mit dem Radiologischen Institut eines der zur damaligen Zeit modernsten und größten physikalischen Institute in Deutschland auf, das er bis zu seiner Emeritierung 1932 leiten sollte. Allerdings stagnierten seine wissenschaftlichen Arbeiten in Heidelberg zugunsten von zusammenfassenden Darstellungen wie Handbücher. Zur modernen abstrakten Physik, an deren Entwicklung er selbst beteiligt war, fand er kaum noch Zugang. Der Erste Weltkrieg war für ihn in vielerlei Hinsicht eine tragische Zäsur.
Mit [[Adolf Hitler]] nahm Lenard erstmals in einem Brief vom 27. September 1923 Kontakt auf. Darin bot er Hitler an, Kontakte zum [[Alldeutscher Verband|Alldeutschen Verband]] zu vermitteln. Dieser Brief wurde von [[Johannes Stark]] an Hitler weitergereicht.<ref>Georg Franz-Willing: ''Putsch und Verbotszeit der Hitlerbewegung, November 1923 – Februar 1925.'' [[Karl Waldemar Schütz|K.W.Schütz-Verlag]], Preußisch Oldendorf 1977, ISBN 3-87725-085-8.</ref>


Johannes Stark und Lenard waren die ersten namhaften Wissenschaftler, die öffentlich für die [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] eintraten. In ihrem gemeinsamen Aufruf „Hitlergeist und Wissenschaft“, der am 8. Mai 1924 in der „Großdeutschen Zeitung“ erschien, bekannten sie sich zum [[Parteiprogramm der NSDAP]] und zu den Anführern des sechs Monate zurückliegenden [[Hitlerputsch|Putschversuches vom 9. November 1923]]: Hitler, [[Erich Ludendorff]] und [[Ernst Pöhner]].
== Ende der Forschungsarbeit ==


1926 kam es zu einem persönlichen Zusammentreffen mit Hitler in Heidelberg. 1928 wurde Lenard ein öffentlicher Förderer der [[Völkische Bewegung|völkisch]] gesinnten, [[Geschichte des Antisemitismus bis 1945|antisemitischen]] ''Nationalsozialistischen Gesellschaft für Deutsche Kultur'', die 1931 als [[Kampfbund für deutsche Kultur]] neu gegründet wurde und zu dessen Gründungsmitgliedern auch Lenard gehörte.<ref name="Klee366">[[Ernst Klee]]: ''Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945''. 2., aktualisierte Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 366.</ref> 1929 wurde Lenard Ehrenmitglied im [[Bund völkischer Lehrer]].<ref name="Klee366" /> Nach seiner Emeritierung 1932 erhielt Lenard im [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Regime]] zahlreiche Ehrungen als führender Vertreter der Physik, darunter bereits 1933 den [[Adlerschild des Deutschen Reiches]].<ref name="Klee366" /> Allerdings nahm sein Einfluss im Zweiten Weltkrieg ab. 1935 wurde das Physikalische Institut der Universität Heidelberg in „Philipp-Lenard-Institut“ umbenannt.<ref>[[Wolfgang U. Eckart]], [[Volker Sellin]], [[Eike Wolgast]]: ''Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus'', hier zu Philipp Lenard: Charlotte Schönbeck: Physik, Springer Heidelberg Berlin 2006, S. 1087–1151, ISBN 978-3-540-21442-7. </ref> Von 1933 bis 1946 war er Mitglied des Senats der [[Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft]].
In den Kriegsjahren 1914-1918 konzentrierte sich Lenard auf zusammenfassende Darstellungen und weniger auf die experimentelle Forschung. So schrieb er zahlreiche Beiträge für das "Handbuch der Physik". Gleichzeitig entwickelte der überzeugte Monarchist unter dem Eindruck der [[Erster Weltkrieg|Kriegsereignisse]], des [[Versailler Vertrag|Versailler Vertrags]] und der [[Weimarer Republik]] eine zunehmend nationalistische Einstellung. Die abstrakten modernen physikalischen Theorien wie die [[Relativitätstheorie]] und die [[Quantenmechanik]] waren ihm suspekt - wie vielen anderen verdienten Wissenschaftlern seiner Generation. Dem modernen Trend setzte er die Fortentwicklung einer [[Äther (Physik)|Äther-Theorie]] entgegen, die beispielsweise das [[Michelson-Experiment]] oder die [[Perihelbewegung des Merkur]] klassisch zu erklären versuchte, physikalische Sachverhalte, die damals mit Hilfe der [[Relativitätstheorie]] gedeutet wurden. In Zeitungsartikeln und Vorträgen polemisierte er nicht selten gegen [[Albert Einstein|Albert Einstein]]. Höhepunkt war dabei die öffentliche Konfrontation mit Einstein auf der renommierten Tagung der Naturforscher und Ärzte in [[Bad Nauheim]] am [[23. September]] [[1920]].


Lenard wurde Mitglied des [[Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands|Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands]], wobei er als Beirat in der sogenannten „''Forschungsabteilung [[Judenfrage]]''“ tätig wurde.<ref name="Klee366" /> Er übernahm dort 1936 die Leitung des Referats ''Das Judentum in der Naturwissenschaft.''<ref>Dresdner Neueste Nachrichten vom 18. Oktober 1936, S. 13.</ref> Nach Aufhebung der Aufnahmesperre trat Lenard zum 1. Mai 1937 der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] bei (Mitgliedsnummer 4.130.000)<ref>Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/25460555</ref> und wurde mit dem [[Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP|Goldenen Parteiabzeichen]] geehrt. Die gleichgeschaltete [[Preußische Akademie der Wissenschaften]], deren korrespondierendes Mitglied er seit 1909 war, ernannte Lenard 1942 zum Ehrenmitglied. Diese Auszeichnung wurde ihm am 30. Juni 1946 aberkannt. Bereits 1909 war er zum ordentlichen Mitglied der [[Heidelberger Akademie der Wissenschaften]] gewählt worden, aus der er 1934 wieder ausgetreten war.<ref>{{Internetquelle| url=http://www.haw.uni-heidelberg.de/akademie/member.en.html?id=523| titel=Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung im Jahr 1909| titelerg=Philipp Lenard| hrsg=Heidelberger Akademie der Wissenschaften| zugriff=2016-06-23}}</ref>
== Köpenickiade mit "Don Quichotte-haftem" Nobelpreisträger ==


=== Initiator einer „arischen Physik“ ===
Im ereignisreichen Jahr [[1922]] veränderte Lenard seine Lebenseinstellung grundlegend. Sein physikalisches Institut wurde unter der Führung des sozialistischen Studentenführers [[Carlo Mierendorff|Carlo Mierendorffs]] besetzt, mit der Begründung, Lenard habe die Trauerbeflaggung zum Staatsbegräbnis von [[Walther Rathenau]] verweigert. Hintergrund war, daß Rathenau die strikte Erfüllung des von der Mehrheit der Deutschen und Österreicher abgelehnten [[Friedensvertrag von Versailles|Friedensvertrags von Versailles]] eingefordert hatte, der u.a. auch die Einrichtung des [[Polnischer Korridor|Polnischen Korridors]] durch vormals deutsches Reichsgebiet vorsah. (Lenards Berufskollege [[Albert Einstein]] hatte zur Frage des Polnischen Korridors eine mildere Haltung eingenommen und wird mit dem Satz zitiert: "Das hätte ich nicht gemacht!") Der 'Vertrag' sah außerdem das deutsch-österreichische Vereinigungsverbot vor, das der bereits demokratisch zustandegekommenen Willensbekundung der Mehrheit der Österreicher einen Riegel vorschob.
[[Datei:Bundesarchiv Bild 146-1978-069-26A, Phillipp Lenard.jpg|miniatur|Philipp Lenard (1942)]]


In den folgenden Jahren vertrat neben ihm und [[Johannes Stark]] eine Gruppe von etwa 30 Physikern die „[[Deutsche Physik]]“. Sie lehnten Teile der modernen theoretischen Physik als „dogmatisch-dialektische“ Hervorbringung ab. Nach Lenards Auffassung war Naturerkenntnis rassisch bedingt, und die arische Rasse habe hierfür die besten Voraussetzungen. In der Geschichte der Naturwissenschaften hatte gemeinhin Italien als das Geburtsland der modernen Physik gegolten.<ref>Woldemar Voigt: ''Physikalische Forschung und Lehre in Deutschland während der letzten hundert Jahre'', Festrede im Namen der Georg-August-Universität zur Jahresfeier der Universität am 5. Juni 1912, Göttingen 1912.</ref> Gefordert wurde die Anschaulichkeit der Modelle, und im Zentrum der Physik sollte das Experiment stehen. Theoretische Überlegungen sollten „auf dem festen Boden der klassischen Physik“ aufbauen. Die Quantentheorie wurde zwar von Lenard abgelehnt, aber von anderen Vertretern der „Deutschen Physik“ akzeptiert,<ref>Grimsehl-Tomaschek: ''Lehrbuch der Physik'' (Grimsehls Lehrbuch der Physik neu bearbeitet von Rudolf Tomaschek), Band II, Teil 2: ''Materie und Äther'', Leipzig/Berlin 1938, 8. Auflage, S. 229 ff.</ref> die von Albert Einstein entwickelte Relativitätstheorie dagegen weitgehend ignoriert. Die Lorentz-Kontraktion wurde jedoch von einigen Anhängern der Deutschen Physik als Erklärungsmöglichkeit für den negativen Ausgang des Michelson-Experiments in Erwägung gezogen.<ref>Grimsehl-Tomaschek: ''Lehrbuch der Physik'' (Grimsehls Lehrbuch der Physik neu herausgegeben von Rudolf Tomaschek), Band II, Teil 2: ''Materie und Äther'', Leipzig/Berlin 1938, 8. Auflage, S. 430.</ref>
Lenards Weigerung, halbmast zu flaggen, führte zu einem Menschenauflauf vor seinem Physikalischen Institut, zum Einsatz von Wasserwerfern, zu denen institutseigene Feuer-Löschvorrichtungen umfunktioniert worden waren und zu Lenards Freiheitsberaubung und Entführung in ein Gewerkschaftshaus. Angeblich, um ihn dem Zugriff von Randalierern zu entziehen, wurde er schließlich von dem Staatsanwalt H. Marx, der der Lenard <ref>H. Marx, "Der Fall Lenard", ''Rhein-Neckar-Zeitung'', 20. Nov. 1964; auch enthalten in: H. Marx, ''Werdegang eines jüdischen Staatsanwalts und Richters in Baden'', Neckar-Verlag, Villingen 1965, S. 167 ff.</ref> eine "Don Quichotte-hafte" Statur bescheinigte, in ein Gefängnis verbracht, wo er bis in die Nacht gefangengehalten wurde.


1936 erschien Lenards Lehrwerk ''Deutsche Physik in vier Bänden''. Es beschreibt nur Gebiete der [[Klassische Physik|klassischen Physik]] und behandelt weder Relativitätstheorie noch Quantenmechanik. Entdeckungen der modernen Physik werden stattdessen durch die [[Äther (Physik)|Äthertheorie]] und ein Atommodell Johannes Starks erklärt. Im Vorwort seines Lehrbuchs befindet sich die folgende Passage, die als das informelle Programm der deutschen Physik aufgefasst wird: ''„Deutsche Physik?“ wird man fragen. Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheits-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. […] In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt.''<ref name="blutmäßig" /> Innerhalb der Bewegung der ''Deutschen Physik'' blieb er – im Unterschied zu [[Johannes Stark]] – der intellektuelle Part und beteiligte sich kaum an politischen Aktivitäten.
Dem Staatsanwalt zufolge, der zunächst spontan und nach eigenem Ermessen gehandelt hatte, habe Lenard vorher noch protestiert: "Herr Staatsanwalt, Sie wissen wohl nicht, wem Sie das antun wollen. Sie können es nicht verantworten, mich ins Gefängnis bringen zu lassen." Er, Marx, habe dem Nobelpreisträger jedoch beschieden, er habe die Situation durch eigenen "Staatswiderstand" selbst verschuldet, so daß nichts anderes übrig bleibe, als die beabsichtigte Überführung ins Gefängnis durchzusetzen.


1936<ref>Arne Schirrmacher: ''Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers. Kritische annotierte Ausgabe des Originaltyposkriptes von 1931/1943.'' 2010, S. 8.</ref> wurde Lenard von Adolf Hitler mit dem ''Preis der NSDAP für Kunst und Wissenschaft'' ausgezeichnet.<ref>Jörg Willer: ''Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik.'' In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band 34, 2015 (2016), ISBN 978-3-86888-118-9, S. 105–121, hier: S. 105.</ref>
In der Verkleidung eines Gefängnisaufsehers wurde Lenard dann später vom Gefängnis aus in ein Hotel umverlegt, wo er bis in die Morgenstunden ausharren mußte.


Im November 1940 kam es zu einer heute als „Münchner Religionsgespräch“ bezeichneten Aussprache zwischen Vertretern der ''Deutschen Physik'' ([[Rudolf Tomaschek]], der Experimentalphysiker<ref>Jörg Willer: ''Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik.'' 2015 (2016), S. 108.</ref> Alfons Bühl, Ludwig Wesch und [[Wilhelm Müller (Physiker)|Wilhelm Müller]]) und der modernen Physik (unter anderem [[Carl Ramsauer]], [[Georg Joos]], [[Hans Kopfermann]] und [[Carl Friedrich von Weizsäcker]]). Darin sollten die Vertreter der ''Deutschen Physik'' wissenschaftlich unverrückbare Tatsachen der modernen Physik öffentlich anerkennen und die politischen Angriffe dagegen einstellen. Die schriftliche Vereinbarung hielt folgendes fest:<ref>''Seefeld 1942–1943.'' Tagungsnotizen und -berichte, [[Samuel Abraham Goudsmit|Samuel A. Goudsmit]] Papers, Series IV, Box 25, Folder 12: [[Alsos-Mission]], [http://repository.aip.org/islandora/object/nbla:253079#page/46/mode/2up online] auf der Website des [[American Institute of Physics]], Niels Bohr Library & Archives.</ref>
== Weitere Ereignisse im Jahr 1922 ==
# Die [[theoretische Physik]] mit allen mathematischen Hilfsmitteln ist ein notwendiger Bestandteil der Gesamtphysik.
# Die in der speziellen Relativitätstheorie zusammengefassten Erfahrungstatsachen gehören zum festen Bestandteil der Physik. Die Sicherheit der Anwendung der speziellen Relativitätstheorie ist jedoch nicht so groß, dass eine weitere Nachprüfung unnötig wäre.
# Die vierdimensionale Darstellung von Naturvorgängen ist ein brauchbares mathematisches Hilfsmittel; sie bedeutet aber nicht die Einführung einer neuen Raum- und Zeitanschauung.
# Jede Verknüpfung der Relativitätstheorie mit einem allgemeinen Relativismus wird abgelehnt.
# Die Quanten- und Wellenmechanik ist das einzige zurzeit bekannte Hilfsmittel zur quantitativen Erfassung der Atomvorgänge. Es ist erwünscht, über den Formalismus und seine Deutungsvorschriften hinaus zu einem tieferen Verständnis der Atome vorzudringen.
Mit dieser Erklärung verlor die ''Deutsche Physik'' an Einfluss und hatte zuletzt keine Bedeutung mehr. Lenard selbst sah seine Vorstellungen nicht hinreichend vertreten und wertete die Erklärung als Verrat. Die Vertreter der modernen Physik hingegen konnten mit dieser Auflistung von Selbstverständlichkeiten leben.


1944 wurde ein Teil seines physikalischen Instituts nach [[Messelhausen]] in Baden verlagert. Lenards Bindung an das Institut war so stark, dass er mitzog. 1945 verschonten ihn die Amerikaner wegen seines hohen Alters mit [[Entnazifizierung]]smaßnahmen. Er starb 1947 in Messelhausen. Sein Nachlass lagert heute im [[Deutsches Museum|Deutschen Museum]] in München.
Lenard verlor in Folge der [[Inflation]] sein gesamtes Vermögen; schließlich starb in seinem Schicksalsjahr 1922 auch sein einziger Sohn.


== Ehrungen ==
Albert Einstein erhielt rückwirkend für 1921 den Nobelpreis für die quantentheoretische Deutung des lichtelektrischen Effekts, an der Lenard selbst auf experimenteller Ebene wesentlich mitgewirkt hatte.
Lenard wurde durch Preise zahlreicher Akademien geehrt. Er erhielt 1896 die [[Rumford-Medaille]] der [[Royal Society]] sowie die [[Matteucci-Medaille]] der [[Accademia Nazionale delle Scienze|Italienischen Gesellschaft der Wissenschaften]]. 1897 verlieh ihm die [[Académie des sciences|Französische Akademie der Wissenschaften]] den ''Prix La Caze'' und 1932 erhielt er die amerikanische [[Benjamin Franklin Medal (Franklin Institute)|Franklin-Medaille]]. 1936 erhielt er den ''Preis der NSDAP für Kunst und Wissenschaft''.


Straßen, die nach ihm benannt waren, wurden später umbenannt, so z.&nbsp;B. 1966 die Lenardstraße in der Münchener Siedlung [[Alte Heide (München)|Alte Heide]] in [[Domagkstraße]], 2006 die Philipp-Lenard-Straße in [[Lemgo]] in [[James Franck|James-Franck]]-Straße, 2008 die Philipp-Lenard-Gasse in [[Klagenfurt am Wörthersee|Klagenfurt]] in [[Karl Landsteiner|Karl-Landsteiner]]-Gasse. 2015 benannte die Stadt [[Gatineau]] in der kanadischen Provinz Quebec eine Rue Philipp Lenard in Rue Albert Einstein um.<ref>[https://ici.radio-canada.ca/nouvelle/732607/changement-noms-rues-nazisme-gatineau ''Des noms de rues associés au nazisme disparaissent à Gatineau'' (Französisch)] radio-kanada.ca, abgerufen am 15. März 2024.</ref> In [[Lübeck]] beschloss die [[Bürgerschaft (Vertretungsorgan)|Bürgerschaft]] im Januar 2019 die Umbenennung der dortigen Lenardstraße.<ref>[https://www.ln-online.de/Lokales/Luebeck/Hindenburgplatz-in-Luebeck-wird-umbenannt ''Lübecks Hindenburgplatz wird umbenannt.''] ln-online.de, 1. Februar 2019.</ref> Am 16. November 2020 wurde die Straße offiziell in [[Rosalind Franklin|Rosalind-Franklin]]-Straße umbenannt.<ref>[https://www.luebeck.de/de/stadtleben/kultur/stadtarchiv/streitsache-strassennamen/rosalind-franklin-weg.html ''Rosalind-Franklin-Weg, vormals Lenardweg''] luebeck.de, abgerufen am 15. März 2024.</ref> Eine nach Lenard benannte Straße (Lenardova ulica) gibt es in Lenards Geburtsstadt Pressburg ([[Bratislava]]) im Stadtteil [[Petržalka]].
== Hinwendung zur politischen extremen Rechten ==


Die Namensträgerschaft für den Mondkrater [[Lenard (Mondkrater)|Lenard]] wurde 2020 aberkannt.<ref>{{PlanetaryNames|14503}}</ref>
Lenard war der erste namhafte deutsche Wissenschaftler, der für die [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] eintrat. Am [[8. Mai]] [[1924]] erschien in der "Großdeutschen Zeitung" ein Artikel von ihm und [[Johannes Stark]], in dem sich beide Physiker zu [[Adolf Hitler]] und dessen Mitstreitern wie Ludendorff und [[Ernst Pöhner|Pöhner]]<ref>Ernst Pöhner (1870-1925), Polizeipräsident von [[München]].</ref> bekannten.


== Schriften ==
[[1926]] kam es zu einem persönlichen Zusammentreffen mit Hitler in [[Heidelberg]]. Nach seiner Emeritierung 1932 erhielt er im [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Regime]] zahlreiche Ehrungen als führender Vertreter der Physik, wobei sein Einfluss jedoch seit Beginn des Zweiten Weltkriegs abnahm. 1935 wurde Heidelberger Institut in "Philipp-Lenard-Institut" umbenannt.
* ''Über Kathodenstrahlen.'' 1905; 2. Auflage 1920.
* ''Quantitatives über Kathodenstrahlen aller Geschwindigkeiten.'' 1918; 2. Auflage 1925.
* ''Über Relativitätsprinzip, Äther und Gravitation.'' 1918; 2. Auflage 1921.
* ''Große Naturforscher: Eine Geschichte der Naturforschung in Lebensbeschreibungen.'' [[J.F. Lehmanns Verlag]], München 1929. [https://archive.org/details/PhilippLenardGrosseNaturforscher/page/n3/mode/2up (Digitalisat der 6. Auflage, 1943)].
* ''Deutsche Physik in vier Bänden.'' J.F. Lehmanns Verlag, München 1936–1937. (Mehrere Auflagen) [https://archive.org/details/PhilippLenardDeutschePhysikBand1 (Digitalisat der 4. Auflage, 1944)].
* ''Ideelle Kontinentalsperre.'' [[Franz-Eher-Verlag|Eher]], München 1940 (parteipolitisch motivierter Nachdruck seiner 1914 veröffentlichten Broschüre ''England und Deutschland zur Zeit des großen Krieges'').
* ''Wissenschaftliche Abhandlungen aus den Jahren 1886–1932.'' 3 Bände. Hirzel, Leipzig 1942–44.
* ''Wissenschaftliche Abhandlungen.'' Band 4. Hrsg. und kommentiert von Charlotte Schönbeck. GNT-Verlag, Diepholz/Berlin 2003, ISBN 3-928186-35-3.


== Literatur ==
== Große Naturforscher - Eine Geschichte der Naturforschung in Lebensbeschreibungen ==
* [[Andreas Kleinert (Wissenschaftshistoriker)|Andreas Kleinert]], Charlotte Schönbeck: ''Lenard und Einstein: Ihr Briefwechsel und ihr Verhältnis vor der Nauheimer Diskussion von 1920.'' In: ''[[Gesnerus (Zeitschrift)|Gesnerus]].'' Band 35, Nr. 3/4, 1973, S. 318–333.
* Ernst Brüche, Hugo Marx: ''Der Fall Philipp Lenard: Mensch und „Politiker“.'' In: ''[[Physikalische Blätter]].'' Band 23, Heft 6, 1967, S. 262–267.
* Arne Schirrmacher: ''Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers, Erinnerungen eines Naturforschers, der Kaiserreich, Judenherrschaft und Hitler erlebt hat.'' Kritische annotierte Ausgabe des Original[[typoskript]]es von 1931/1943. Springer, Berlin 2010, ISBN 978-3-540-89047-8.
* Rudolf Tomaschek: ''Philipp Lenard: Zu seinem 80. Geburtstag am 7. Juni 1942.'' In: ''Völkischer Beobachter''. 6./7. Juni 1942, Nr. 157/158, S. 5.
* Sören Flachowsky: ''Lenard Philipp''. In: [[Wolfgang Benz]] (Hrsg.): ''[[Handbuch des Antisemitismus]] – Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart.'' Band 2/1, de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 468f. teilweise auch online einsehbar [http://books.google.de/books?id=Q9DXouKcmZAC&pg=PA468 S. 468 f. books.google] zuletzt eingesehen am 16. Dezember 2013.
* Christian Peters, Arno Weckbecker: ''Auf dem Weg zur Macht. Zur Geschichte der NS-Bewegung in Heidelberg 1920–1934. Dokumente und Analysen''. Mit einem Vorwort von [[Hartmut Soell]]. Zeitsprung, Heidelberg 1983, ISBN 3-924085-00-5.
* [[Klaus Hentschel]] (Hrsg.): ''Physics and National Socialism. An Anthology of Primary Sources.'' Birkhäuser, Basel 1996, ISBN 978-3-7643-5312-4. 2. Auflage 2011.([http://www.bookmetrix.com/detail/book/3f634ad3-ee5e-452d-8ad0-1569b5b5c61c#citations Nähere Angaben zu dem Buch vom Verlag])
* Andreas Kleinert: ''Von Preßburg nach Heidelberg: Philipp Lenard und die Schwierigkeiten einer Biographie''. In: Peter Zigmann (Hrsg.): ''Die biographische Spur in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte.'' Jena 2006, ISBN 978-3-938203-45-3, S. 195–203.
* [[Klaus-Peter Schroeder]]: ''Philipp Lenard: „Zudem sehe ich mit Hitler auch wieder Menschen kommen, die mir ähnlich sind“.'' In: ders.: ''Die Universität Heidelberg auf dem Weg in das „Dritte Reich“. Arnold Paul Ruge, Philipp Lenard – Emil Julius Gumbel'', Universitätsbibliothek Heidelberg, Heidelberg 2021, ISBN 978-3-948083-37-3, S. 59–83.


== Weblinks ==
In seinem Geschichtswerk ''Große Naturforscher'' zeichnet Lenard die Lebensbilder namhafter internationaler Naturforscher nach. Die Erstauflage von 1929 enthält auf der Titelseite einen Sinnspruch von Adolf Hitler. Lenard bemüht sich in dem Geschichtswerk um eine wahrheitsgemäße und gerechte, Geschichtsklitterungen vermeidende Darstellung. In dem Prioritätsstreit um den deutschen Philosophen [[Gottfried Wilhelm Leibniz]] und den Engländer [[Isaac Newton]], der die von beiden mehr oder weniger gleichzeitg, jedoch nicht vollständig unabhängig voneinander entwickelte Infinitesimalrechnung betraf, nahm er eine neutrale Haltung ein<ref>Lenard, ''Große Naturforscher'' (1929), Abschnitt: ''Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Dionysius Papin (1647-1712), S. 110-116.</ref>. Er wies auf ein Versäumnis des deutschen Philosophen hin, das dazu geführt hatte, daß Newton, der Leibniz zunächst in einem Buch zitiert hatte, in einer späteren Auflage die Quellenangabe fortließ.
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* {{DNB-Portal|118779397}}
* {{Pressemappe|FID=pe/011234}}
* {{DHM-HdG|Bio=philipp-lenard|Autor=Kai-Britt Albrecht}}
* {{NDB|14|193|195|Lenard, Philipp|Charlotte Schönbeck|118779397}}
* {{nobel-ph|1905|Philipp Lenard}}
* [http://bibliothek.bbaw.de/kataloge/literaturnachweise/lenard/literatur.pdf Philipp Lenard, Ausgewählte Literaturnachweise, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin 2002] ([[PDF]]). (52 kB)
* Stefan L. Wolff: ''[http://www.deutsches-museum.de/fileadmin/Content/010_DM/050_Forschung/020_Forschung_Mitarbeiter/Wolff_01.pdf Physiker im „Krieg der Geister“]'', Münchner Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte, München 2001 (PDF-Datei; 152 kB)
* [https://academieroyale.be/fr/who-who-detail/relations/philipp-eduard-anton-von-lenard/ Philipp Eduard Anton von Lenard] Eintrag bei der [[Académie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique]] (französisch)


== Einzelnachweise ==
== Deutsche Physik in vier Bänden ==
<references>
<ref name="blutmäßig">Philipp Lenard: ''Deutsche Physik in vier Bänden'', München 1936, Bd.&nbsp;I, Vorwort S.&nbsp;IX; gleichzeitig u.&nbsp;a. auch veröffentlicht in der Zeitschrift „Volk im Werden“, Heft 7 von 1936, S. 414, Sonderheft der Heidelberger Studentenschaft zum 550-jährigen Universitätsjubiläum; vollständig wiedergegeben in Joseph Braunbeck: ''Der andere Physiker - Das Leben von Felix Ehrenhaft'', Technisches Museum Wien 2003, [http://books.google.de/books?id=W8GVSqSvSTYC&pg=PA66 S. 66 f.]
: ''„Deutsche Physik“? wird man fragen. – Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheit-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. – „Die Wissenschaft ist und bleibt international!“ wird man mir einwenden wollen.''
: ''Dem liegt aber ein Irrtum zugrunde. In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt. Ein Anschein von Internationalität kann entstehen, wenn aus der Allgemeingültigkeit der Ereignisse der Naturwissenschaft zu Unrecht auf allgemeinen Ursprung geschlossen wird oder wenn übersehen wird, dass die Völker verschiedener Länder, die Wissenschaft gleicher oder verwandter Art geliefert haben wie das deutsche Volk, dies nur deshalb und insofern konnten, weil sie ebenfalls vorwiegend nordischer Rassenmischung sind oder waren.''</ref>
<ref name="WestphalKLPH">[[Wilhelm H. Westphal (Physiker)|Wilhelm H. Westphal]]: [1948] ''Kleines Lehrbuch der Physik''. 2. Auflage, Springer Heidelberg 1953; S. 223 ff. (§§ 232–234) zu Stw. „Versagen des Wellenmodells des Lichts“.</ref>
</references>


{{Navigationsleiste Träger des Nobelpreises in Physik}}
[[1936]] erschien sein Lehrwerk ''Deutsche Physik in vier Bänden''<ref>P. Lenard, ''Deutsche Physik in vier Bänden'', Bd. 1: ''Einleitung und Mechanik'', Bd. 2: ''Akustik und Wärmelehre'', Bd. 3: ''Optik, Elektrostatik und Anfänge der Elektrodynamik'', Bd. 4: ''Magnetismus, Elekrodynamik und Anfänge von Weiterem'', Lehmann, München 1936-1937.</ref>. Das Buch war von vornherein nicht als Nachschlagewerk konzipert worden. Die Titelseite sämtlicher vier Bände enthält die Widmung: "Allen, die in wohlgegründeter Naturerkenntnis ihre geistige Ruhe suchen, zur Freude geschrieben." Es beschreibt nur Gebiete der [[Klassische Physik|klassischen Physik]] aus Sicht eines Experimentalpysikers und diskutiert schon deshalb weder Relativitätstheorie noch Quantenmechanik. Die Besprechung der Entdeckungen der modernen Physik überließ Lenard weitgehend Rudolf Tomaschek, der das Physik-Lehrbuch von Ernst Grimsehl überarbeitet und neu herausgegeben hatte<ref>R. Tomaschek (Bearbeiter), ''Grimsehls Lehrbuch der Physik'', Bd. 1: ''Mechanik, Wärmelehre'', Bd. 2: ''Elektromagnetisches Feld, Optik'', Bd. 3: ''Materie und Äther'' (später: ''Struktur der Materie'', bearbeitet von Walter Schallreuter), Teubner, Leipzig/Berlin 1932-1941, 6. - 11. Auflage.</ref>.
{{Normdaten|TYP=p|GND=118779397|LCCN=n/84/803080|VIAF=73955218}}


{{SORTIERUNG:Lenard, Philipp}}
Im Vorwort zur 1. Auflage seines Lehrbuchs heißt es: ''"'Deutsche Physik?' wird man fragen. Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheits-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. […] In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt."'' (Vgl. auch die Erläuterungen und die Dokumentation zu [[Deutsche Physik]].) In späteren Auflagen ist das Vorwort nicht mehr enthalten. Bis auf dieses Vorwort sind in seinem vierbändigen Lehrbuch sonst keine vergleichbaren Einlassungen auszumachen.
[[Kategorie:Philipp Lenard| ]]
[[Kategorie:Nobelpreisträger für Physik]]
[[Kategorie:Hochschullehrer (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)]]
[[Kategorie:Hochschullehrer (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)]]
[[Kategorie:Physiker (19. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Physiker (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften]]
[[Kategorie:Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften]]
[[Kategorie:Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Schönen Künste von Belgien]]
[[Kategorie:Person als Namensgeber für einen Mondkrater]]
[[Kategorie:Ehrenmitglied des Physikalischen Vereins]]
[[Kategorie:Ehrendoktor der Technischen Universität Dresden]]
[[Kategorie:Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP]]
[[Kategorie:NSDAP-Mitglied]]
[[Kategorie:KfdK-Mitglied]]
[[Kategorie:Ehrenbürger von Heidelberg]]
[[Kategorie:Person (Österreich-Ungarn)]]
[[Kategorie:Deutscher]]
[[Kategorie:Geboren 1862]]
[[Kategorie:Gestorben 1947]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Personendaten
Sein Programm gibt Lenard in den 19 Punkten seiner 13 Seiten langen Enleitung bekannt. Punkt 13. ''Ausbildung der Begriffe; Auffindung und Sicherung der Gesetze'' schließt mit dem Satz ab:
|NAME=Lenard, Philipp

|ALTERNATIVNAMEN=Lenard, Philipp Eduard Anton von (vollständiger Name)
: "Wer also forschend Gott in der Natur näherkommen will, der hat wohl, neben angeborenem folgerichtigen Denken und ererbtem Entzücken an der Versenkung in beobachtbare Wirklichkeiten mit dem unbändigen Drang nach Verstehen derselben, unermüdlichen Fleiß nötig, auch draufgängerischen Unternehmungsgeist, dazu die Einbildungskraft von zehn Dichtern, noch viel mehr aber grenzenlose Bescheidenheit dem großen Unbekannten gegenüber, dem allein er selbstlos mit Treue ergeben dienen will."
|KURZBESCHREIBUNG=deutscher Physiker, Nobelpreis für Physik 1905

|GEBURTSDATUM=7. Juni 1862
Punkt 15. ''Die "exakten Beweise" der Naturgesetze'' beginnt mit dem Paragraphen:
|GEBURTSORT=[[Bratislava]] (Pressburg)

|STERBEDATUM=20. Mai 1947
: "Oft findet man hervorgehoben, daß Naturerkenntnisse erst durch 'exakten, mathematischen Beweis' ihren vollen Wert erhalten. Wer so denkt, kennt Naturforschung nur von außen und steht gewöhnlich auch der Mathematik fern. Er weiß nicht, daß die Ergebnisse mathematischer Ableitungen keineswegs so richtig sind wie die gebrauchte Mathematik, sondern nur so richtig wie die der Ableitung zur Verfügung gestellten Naturerkenntnisse, von denen die Rechnung ausgeht, oder die sie unterwegs in Gestalt von Hinzufügungen aufnimmt. Die Mathematik wirkt in allen Anwendungen auf Naturvorgänge nur wie eine Mühle, die nicht im mindesten mehr Wissen von der Natur herausgibt als man in sie hineinfüllt. Allerdings kann sie vorhandenes, aus Naturbeobachtung gewonnenes Wissen manchmal in so verblüffend verändeter Form zeigen, daß man dann wohl sagen kann, sie weise Dinge auf, von denen man noch gar nicht bemerkte, daß man sie bereits wußte. Grundsätzlich kann aber Mathematik nichts anderes bieten als gewöhnliches Denken auch, und wo letzteres genügt -- was sehr oft der Fall ist --, ist der 'mathematische Beweis' überflüssige Rechenübung."

== NSDAP-Mitgliedschaft, Rassismus, Antisemitismus ==
1937 wurde Lenard Mitglied der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] und wird Träger des ''Goldenen Ehrenabzeichens''. Diese Hervorhebung verdankte er wohl gößtenteils seinem passiven Widerstand als Institutsdirektor im Zusammenhang mit der nach der Ermordung Walther Rathenaus angeordneten Staatstrauer sowie seinem gegen Regierung und Gesellschaft des Vereinigten Königreichs polemisierenden Pamphlet aus dem Jahre 1914<ref>P. Lenard, ''England und Deutschland zur Zeit des großen Krieges - Geschrieben Mitte August 1914'', publiziert im Winter 1914, Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Heidelberg.</ref>. Nach der Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs gegen Hitler-Deutschland wurde das Pamphlet vom Nationalsozialismus propagandistisch ausgenutzt und 1940 als Broschüre unter dem Titel ''Ideelle Kontinentalsperre'' neu aufgelegt<ref>P. Lenard, ''Ideelle Kontinentalsperre'', Frz. Eher Nachf., München 1940.</ref>. Dazu schrieb Lenard unter der Überschrift "Bemerkungen nach 25 Jahren (Dezember 1939)" ein zusätzliches Vorwort, das folgenden Wortlaut hat:
: "Zur Zeit der Niederschrift wußte man allgemein noch nichts von der Wichtigkeit der Rassenmischung der Völker und vom Wesen des Judentums. Dies alles klärte sich erst nach dem Kriege durch dessen Wirkung. Frühere Forschungen und Mahnungen großer Geister waren versteckt und absichtlich verdeckt worden.

:Was ich in der Schrift den Engländern vorwerfe, gebührt besonders den Juden, den grundsätzlichen Kriegshetzern und der ihrem Geiste entsprechenden Raffsucht. Aber Englands Regierungsgeist war tatsächlich schon größtenteils Judengeist (ist es heute noch sehr viel mehr), und so wird es doch gerecht getroffen.

:Meine Kenntnis von England war hauptsächlich von der naturwissenschaftlichen Seite gekommen; für mich war besonders der wissenschftlich raffsüchtige und unsauber freche J. J. Thomson[http://en.wikipedia.org/wiki/J.J._Thomson] das Beispielbild eines neuzeitlichen Engländers. Ich hatte ihn genügend kennengelernt.

:Den für Deutschland beschämenden internationalen naturwissenschaftlichen Literaturzustand vor dem damaligen Kriege habe ich geschildert. Inzwischen ist die wissenschaftliche Verjudung in England jetzt zum fertigen Sieg gelangt. Man sehe z.B. das Vortragsprogramm der einst vornehmen, arischen "Royal Institution" (London)[http://de.wikipedia.org/wiki/Royal_Society][http://en.wikipedia.org/wiki/Royal_Society] -- vorwiegend Juden. Es wäre längst schon an der Zeit gewesen, das Hervorziehen englischer Autoren gegenüber den deutschen (das mir zeitlebens entgegengetreten ist) abzustellen in deutschen Schriften. Die geistige Internationalität deutscher physikalischer Gesellschaften war geistige Verjudung, was auch durch die unausgesetzte Huldigung an den Einsteingeist erwiesen ist.

:Nun haben wir den zweiten großen Krieg von England gegen uns!

:Heidelberg, den 1. Februar 1940. P.L."

1944 wurde ein Teil des Physikalischen Instituts Lenards nach [[Messelhausen]] in Baden verlagert. Lenards Bindung an das Institut war so stark, dass er mitzog. 1945 verschonten ihn die Amerikaner wegen seines hohen Alters von [[Entnazifizierung|Entnazifizierungsmaßnahmen]]. Er starb [[1947]] in Messelhausen, sein Nachlass lagert heute im [[Deutsches Museum|Deutschen Museum]] in München.

Das Vorwort seines Lehrbuchs, das Vorwort zur Neuauflage seines politischen Pamphlets sowie sein trotziges Verhalten anläßlich des Todes von Walther Rathenau haben Lenard den Ruf eines 'Antisemiten' eingetragen.

Lenards Werke ''Große Naturforscher'' und ''Deutsche Physik'' waren in München von dem gebürtigen Schweizer Julius Friedrich Lehmann (1865-1935) verlegt worden - einer schillernden Figur der zeitgenössischen rechtsextremistischen Szene -, der Mitglied des Germanenordens und der rassistischen Thule-Gesellschaft<ref>R. von Sebottendorff, ''Bevor Hitler kam - Urkundliches aus der Frühzeit der Nationalsozialistischen Bewegung'', Deukula-Verlag & Co., München 1933.</ref> gewesen war. (Im selben Verlag war erschienen: Gerhard Kowalewski, ''Große Mathematiker - Eine Wanderung durch die Geschichte der Mathematik vom Altertum bis zur Neuzeit'', Lehmann, Berlin 1939.)

== Schlußbemerkung ==
Das Vorwort zum vierbändigen Lehrwerk: Philipp Lenard, ''Deutsche Physik in vier Bänden'', München 1936, das im Abschnitt "Deutsche Physik in vier Bänden" dieses Wikipedia-Artikels auszugweise widergegeben ist, wurde gleichzeitig veröffentlicht in der Zeitschrift "Volk im Werden", Heft 7 von [[1936]] S. 414, einem Sonderheft der Heidelberger Studentenschaft, herausgegeben zum 550jährigen Universitätsjubiläum.

Das fragwürdige Vorwort war nur in den ersten Auflagen des Lenardschen Lehrbuchs vorhanden und wurde später gestrichen. Das Lehrbuch, in dem sonst keine vergleichbaren Einlassungen auszumachen sind, gehörte in Deutschland zu keiner Zeit zu den gängigen Physik-Lehrbüchern<ref>V. Freise, "Die Schweigende Mehrheit der Physiker" (Leserbrief), ''Süddeutsche Zeitung'', 28.29. April 1979.</ref>. Als Nachschlagewerke wurden das Lehrbuch von Tomaschek/Grimsehl und anderere verbreitete Bücher bevorzugt.

== Referenzen ==
* Philipp Lenard, ''Wissenschaftliche Abhandungen, Band 4'', GNT-Verlag, Diepholz/Berlin 2003 (posthum). ISBN 3928186353.[http://www.gnt-verlag.de/programm/35/]
* Philipp Lenard, ''Große Naturforscher - Eine Geschichte der Naturforschung in Lebensbeschreibungen'', Lehmann, München 1929.
* Rudolf Georg Weigel (Herausgeber), ''Philipp Lenard, der Vorkämpfer der deutschen Physik - Reden und Ansprachen bei der Feierstunde anläßlich der Vollendung seines 75. Lebensjahrs am 7. Juni 1937'', C.F. Müller, Karlsruhe 1937 (Karlsruher Akademische Reden, 17).

== Fußnoten ==
<references/>

== Weblinks ==
* {{nobel-ph|1905|Philipp Lenard}}
* {{PND|118779397}}
*[http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/LenardPhilipp/ Kurzbiografie des Deutschen Historischen Museum, Berlin]
*[http://homepages.uni-regensburg.de/~foc15945/aufsaetze/dt-phys.pdf Seminararbeit "Deutsche Physik", Uni Regensburg, Christian Forstner 14.7.1999]

[[Kategorie:Mann|Lenard, Philipp]]
[[Kategorie:Physiker|Lenard, Philipp]]
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Aktuelle Version vom 21. Juli 2025, 18:22 Uhr

Philipp Lenard (um 1905)

Philipp Eduard Anton von Lenard (* 7. Juni 1862 in Preßburg; † 20. Mai 1947 in Messelhausen) war ein österreichisch-ungarischer, ab 1907 deutscher Physiker. Für seine grundlegenden Arbeiten über Kathodenstrahlen und die Entwicklung der Elektronentheorie wurde ihm 1905 der Nobelpreis für Physik verliehen. Ab 1907 Direktor des Instituts für Physik und Radiologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wurde er mit dem Ersten Weltkrieg und im Kampf gegen die Revolutionierung der Physik durch Albert Einstein zum Propagandisten von Nationalismus und Antisemitismus. Ab 1924 trat er öffentlich für die Anführer des Hitlerputsches und die NSDAP ein. Mit der These: „Wissenschaft ist, wie alles was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt“,[1] wurde er zum Wortführer einer „Deutschen Physik“.

Früher Werdegang

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Philipp Lenard wurde 1862 als Sohn eines Tiroler Weinhändlers in Pressburg geboren. Der Familie war 1722 der erbliche Adelstitel verliehen worden, den die Nachkommen ab Ende des 19. Jahrhunderts aber nicht mehr verwendeten. Philipp Lenard besuchte das Königlich-ungarische Gymnasium in Pressburg, wo er in Ungarisch unterrichtet wurde. In seiner Jugend war Lenard ein ungarischer Nationalist. Seine bevorzugte Sprache war Ungarisch, und er weigerte sich vehement, die deutschen geographischen Bezeichnungen für die mehrheitlich ungarische Provinz, in der er lebte, zu verwenden. Seinen Namen schrieb er meist Fülöp Lenard oder auch Lenardi. Er studierte 1880 zunächst in Budapest und Wien zwei Semester Naturwissenschaften, zog dann aber die Arbeit in der väterlichen Weinhandlung in Pressburg vor. 1883 setzte er seine Studien in Heidelberg bei Georg Hermann Quincke und Robert Bunsen fort. Nach einem Studiensemester bei Hermann von Helmholtz in Berlin wurde er 1886 schließlich in Heidelberg bei Georg Quincke mit einer Arbeit „Ueber die Schwingung fallender Tropfen“ promoviert. Danach war er bis 1889 Assistent bei Quincke im physikalischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wo er seine Untersuchungen über Phosphoreszenz weiterführte. In den folgenden Jahrzehnten entstanden dabei wegweisende Arbeiten über die Leuchtmechanismen sogenannter Lenard-Phosphore.

Kathodenstrahlen

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Nach kurzen Zwischenstationen in London und Breslau begann er im April 1891 als Assistent von Heinrich Hertz in Bonn zu arbeiten, wo er sich 1892 mit seiner Arbeit Über die Elektricität der Wasserfälle habilitierte. Der Wasserfallelektrizität und der Gewitterelektrizität widmete er in den folgenden Jahren zahlreiche Veröffentlichungen. Nach dem frühen Tod von Hertz 1894 gab er dessen gesammelte Werke, darunter die bekannten „Prinzipien der Mechanik“, heraus. In Bonn beschäftigte Lenard sich auch mit Kathodenstrahlen, insbesondere mit deren Durchgang durch dünne Metallschichten. Lenard schrieb darüber eine viel beachtete Abhandlung „Ueber Katodenstrahlen in Gasen von atmosphärischem Druck und im äussersten Vacuum“, die er 1893 einreichte und die 1894 in Poggendorf’s Annalen der Physik erschien.[2] Auf Anraten von Hertz benutzte er als Austrittsfenster seiner Röhre nicht mehr Glimmer, sondern Aluminiumfolie, die allerdings 8 mal so dick war wie gewöhnliche. Er untersuchte nahezu alle Materialien, die das Labor aufwies, auf ihr Verhalten unter Einwirkung der austretenden Strahlen. Besonders hervorzuheben sind seine Beobachtungen unter Abs. 9 „Kathodenstrahlen sind photographisch wirksam“, worin er beschrieb, dass auch abgedunkelte photographische Schichten von diesen Strahlen geschwärzt wurden und im Strahl eingebrachte Objekte auf der Photoplatte abgebildet wurden. Die magnetische Ablenkbarkeit der Strahlen ist ebenso beschrieben wie die Tatsache, dass sich in restlos evakuierten Röhren diese Strahlen nicht erzeugen ließen. Ein Restdruck sei erforderlich, was sich später auch beim Betrieb von Röntgenröhren bestätigte. Mit der Entwicklung der nach ihm benannten Entladungsröhre 1892 sowie des „Lenard-Fensters“ ergab sich zum ersten Mal die Möglichkeit, Kathodenstrahlen unabhängig vom Entladungsvorgang zu untersuchen. Seine Experimente trugen zur Klärung der korpuskularen Natur der Kathodenstrahlen bei, wobei die Priorität der Entdeckung des Elektrons zu seiner Verbitterung 1897 bei Joseph John Thomson lag. Lenard schuf mit der Fortsetzung der von Hertz durchgeführten Kathodenstrahl-Experimente die Grundlage für die Entdeckung von Bremsstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895.[3] Zudem beschaffte er Röntgen eine Entladungsröhre und ein Lenard-Fenster aus seinen eigenen Beständen, die für die Entdeckung der X-Strahlen ebenfalls unentbehrlich waren. Nachdem Röntgen für die Entdeckung der X-Strahlen berühmt geworden war, beschuldigte Lenard ihn, ihm die Entdeckung geraubt zu haben.[4]
Die Auseinandersetzung darüber schwelte noch Jahrzehnte und flammte Ende der 30er Jahre erneut auf. So sahen sich E. Brüche und A. Recknagel als Herausgeber der Schrift Elektronengeräte,[5] die der Lenardröhre neben der Röntgenröhre gebührend Raum einräumte, zu Anmerkungen veranlasst: „Trotzdem wollen wir der grundsätzlichen Verwandtschaft zwischen Lenard- und Röntgenröhre durch gemeinsame Behandlung beider Geräte und die Unterstreichung einheitlicher Gesichtspunkte Rechnung tragen, ohne uns damit in den Streit einmischen zu wollen, der leider kürzlich über Röntgen’s große Entdeckung geführt wurde“ (S. 189). Darin aber auch: „[…]In dieser Hinsicht könnte man die Röntgenröhre als Spezialfall der Lenardröhre auffassen.“ (S. 190)

Lichtelektrischer Effekt

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Nach weiteren Zwischenstationen in Breslau, Aachen und Heidelberg wurde er 1898 Ordinarius an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Hier standen ihm erstmals uneingeschränkte experimentelle Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung.

1900 führte er dort die durch Heinrich Hertz (1886) und Wilhelm Hallwachs (1887 Hallwachs-Effekt) begonnenen Untersuchungen des lichtelektrischen Effekts fort. Im gleichen Jahr fand er aufgrund quantitativer Untersuchungen heraus, dass (1) die Zahl der austretenden Elektronen bei wachsender Lichtintensität bestrahlter blanker Metalle wächst. Nicht wächst damit jedoch (2) ihre Energie, die ausschließlich von der Frequenz des eingestrahlten Lichts abhängig ist. (3) Der lichtelektrische Effekt setzt auch bei schwächster Lichtintensität sofort in seiner vollen und endgültigen Stärke ein. (4) Bei wachsender Frequenz des Lichts setzt der Photoeffekt bei einer scharfen Grenzwellenlänge ein, die bei jedem Metall verschieden ist. - Die Deutung dieser Fakten gelang erst 1905 durch Albert Einstein mit seiner Lichtquantenhypothese. Einstein stützte sich dabei auch auf die Quantentheorie (1900) von Max Planck.[6]

Aus Absorptionsmessungen von Kathodenstrahlen entwickelte er 1903 sein „Dynamidenmodell“ des Atoms, wonach das Atom letztlich gewichtslos sein musste und die Wirkungszentren sich nur auf einen Bruchteil des Raumes konzentrierten. Damit brach Lenard erstmals mit der damaligen Vorstellung vom Atom als einem massiven Gebilde und lieferte ein wichtiges Vorläufermodell des 1910/1911 von Ernest Rutherford durch Streuversuche mit Alphateilchen entwickelten Atommodells.

Nobelpreis für Physik 1905

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Die Jahre in Kiel waren die produktivsten und kreativsten in Lenards Leben. 1905 erhielt Lenard für seine Arbeiten über die Kathodenstrahlen den Nobelpreis für Physik. Er beschäftigte sich außerdem mit der Ionisierung der Luft durch ultraviolettes Licht (Lenard-Effekt), dessen Grundlagen seine früheren Arbeiten über Wasserfall- und Gewitterelektrizität waren, sowie mit Bogen- und Metallspektren und meteorologischen Themen.

Radiologisches Institut Heidelberg

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1907 übernahm er nach einer langen, schweren Krankheit die Nachfolge seines Lehrers Quincke in Heidelberg als Ordinarius der Physik und Direktor des physikalischen Instituts. 1913 baute er dort mit dem Radiologischen Institut eines der zur damaligen Zeit modernsten und größten physikalischen Institute in Deutschland auf; er leitete es bis zu seiner Emeritierung 1932. In Heidelberg verlagerte sich jedoch der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Aktivität zunehmend von der experimentellen Forschung auf das Erstellen zusammenfassender Darstellungen. In den Kriegsjahren 1914–1918 verfasste er zahlreiche Artikel für das Handbuch der Physik.

Während seiner Amtszeit in Heidelberg entstand ein Großteil seiner antisemitischen Zeugnisse.[7]

Lenard und die Deutsche Physik

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Ende der Forschungsarbeit

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Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, des Versailler Vertrags und der Weimarer Republik wandte sich der überzeugte Monarchist, der im September 1914 das Manifest der 93 unterzeichnet hatte, zunehmend antisemitischen Ansichten zu. Die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik verstand er nicht. Er lehnte sie als abstrakt und wirklichkeitsfremd ab. Aufgrund einer verbreiteten Antirelativismus-Diskussion stand er mit dieser Haltung allerdings nicht allein. Lenard arbeitete an einer Äther-Theorie, die das Michelson-Morley-Experiment oder die Periheldrehung des Merkur, die damals mithilfe der Relativitätstheorie gedeutet wurden, im Rahmen der klassischen Physik zu deuten versuchte.[8] Er griff mit heftiger Polemik auch die Person Albert Einsteins in Zeitungsartikeln und Vorträgen an. Höhepunkt war dabei die öffentliche Auseinandersetzung mit Einstein am 23. September 1920 über die Allgemeine Relativitätstheorie auf der renommierten Tagung der Naturforscher und Ärzte in Bad Nauheim, der Nauheimer Diskussion. Fortan bezeichnete Lenard die Allgemeine Relativitätstheorie als „Judenbetrug“.[9] Lenards Heidelberger Schüler Emil Rupp, der 1920 bei ihm summa cum laude promoviert wurde, wandte sich der Relativitätstheorie zu und habilitierte 1926 mit einer hinter Lenards Rücken verfassten Arbeit über Kanalstrahlen, die angeblich Einsteins Theorie des Welle-Teilchen-Dualismus experimentell bestätigte. In einem Brief an Wilhelm Wien 1927[10] bezweifelte Lenard, dass dieses Experiment in seinem Labor überhaupt gemacht worden sei. Rupp wurde 1935 als Fälscher entlarvt.

Missachtung der Staatstrauer für Walther Rathenau

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Nach der Ermordung Walther Rathenaus am 24. Juni 1922 weigerte sich Lenard, die vom Land Baden angeordnete Staatstrauer und die vom Rektorat der Universität verordnete Schließung zu befolgen. Am Physikalischen Institut ließ er keine Trauerbeflaggung vornehmen, ignorierte den öffentlichen Ruhetag und hielt demonstrativ ein Seminar ab: Wegen eines toten Juden, hatte der Professor geäußert, lasse er seine Studenten nicht müßig gehen.[11] Als dieses in der Stadt bekannt wurde, protestierte am 27. Juni eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Institut. Sie wurde aus dem Gebäude heraus mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen angegriffen. Unter den Demonstranten befand sich auch der Sozialdemokrat Carlo Mierendorff, der nach Zuckmayer mit einem Arbeitertrupp in Lenards Institut eindrang und den Professor in Schutzhaft nahm. „Das Institut wurde der Verordnung gemäß geschlossen, ohne daß sich dabei irgendeine Gewalttat ereignete, der Professor nach einigen Stunden wieder freigelassen. Außer dieser kurzen Sistierung war ihm nichts geschehen.“[11]

Gegen Mierendorff wurde danach eine gerichtliche Anklage wegen Hausfriedensbruchs erhoben, und ihm drohte kurz vor seiner Promotion die Relegation durch die Universität. „In beiden Fällen erzielte er durch seine brillante Verteidigung und die positive Stellungnahme aller freiheitlichen Professoren einen bedingungslosen Freispruch.“[11][12] Lenard dagegen wurde vom zuständigen Minister Willy Hellpach vom Dienst suspendiert. Er reagierte mit einem Entlassungsgesuch. Nach Interventionen von Kollegen und Studenten wurden Suspendierung und Rücktritt zurückgenommen.[13] Im gleichen Jahr verlor Lenard infolge der Inflation sein gesamtes Vermögen und sein einziger Sohn starb. Auch der Wissenschaftsbetrieb hielt eine Enttäuschung für ihn bereit, als Albert Einstein der Nobelpreis für die quantentheoretische Deutung des lichtelektrischen Effekts zugesprochen wurde, zu der Lenard selbst auf experimenteller Ebene einen Beitrag geleistet hatte. Begeistert nahm Lenard jedoch Hans F. K. GünthersRassenkunde des deutschen Volkes“ auf und wandte sich dem Nationalsozialismus zu.

Unterstützung der NSDAP

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Mit Adolf Hitler nahm Lenard erstmals in einem Brief vom 27. September 1923 Kontakt auf. Darin bot er Hitler an, Kontakte zum Alldeutschen Verband zu vermitteln. Dieser Brief wurde von Johannes Stark an Hitler weitergereicht.[14]

Johannes Stark und Lenard waren die ersten namhaften Wissenschaftler, die öffentlich für die NSDAP eintraten. In ihrem gemeinsamen Aufruf „Hitlergeist und Wissenschaft“, der am 8. Mai 1924 in der „Großdeutschen Zeitung“ erschien, bekannten sie sich zum Parteiprogramm der NSDAP und zu den Anführern des sechs Monate zurückliegenden Putschversuches vom 9. November 1923: Hitler, Erich Ludendorff und Ernst Pöhner.

1926 kam es zu einem persönlichen Zusammentreffen mit Hitler in Heidelberg. 1928 wurde Lenard ein öffentlicher Förderer der völkisch gesinnten, antisemitischen Nationalsozialistischen Gesellschaft für Deutsche Kultur, die 1931 als Kampfbund für deutsche Kultur neu gegründet wurde und zu dessen Gründungsmitgliedern auch Lenard gehörte.[15] 1929 wurde Lenard Ehrenmitglied im Bund völkischer Lehrer.[15] Nach seiner Emeritierung 1932 erhielt Lenard im nationalsozialistischen Regime zahlreiche Ehrungen als führender Vertreter der Physik, darunter bereits 1933 den Adlerschild des Deutschen Reiches.[15] Allerdings nahm sein Einfluss im Zweiten Weltkrieg ab. 1935 wurde das Physikalische Institut der Universität Heidelberg in „Philipp-Lenard-Institut“ umbenannt.[16] Von 1933 bis 1946 war er Mitglied des Senats der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Lenard wurde Mitglied des Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands, wobei er als Beirat in der sogenannten „Forschungsabteilung Judenfrage“ tätig wurde.[15] Er übernahm dort 1936 die Leitung des Referats Das Judentum in der Naturwissenschaft.[17] Nach Aufhebung der Aufnahmesperre trat Lenard zum 1. Mai 1937 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 4.130.000)[18] und wurde mit dem Goldenen Parteiabzeichen geehrt. Die gleichgeschaltete Preußische Akademie der Wissenschaften, deren korrespondierendes Mitglied er seit 1909 war, ernannte Lenard 1942 zum Ehrenmitglied. Diese Auszeichnung wurde ihm am 30. Juni 1946 aberkannt. Bereits 1909 war er zum ordentlichen Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gewählt worden, aus der er 1934 wieder ausgetreten war.[19]

Initiator einer „arischen Physik“

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Philipp Lenard (1942)

In den folgenden Jahren vertrat neben ihm und Johannes Stark eine Gruppe von etwa 30 Physikern die „Deutsche Physik“. Sie lehnten Teile der modernen theoretischen Physik als „dogmatisch-dialektische“ Hervorbringung ab. Nach Lenards Auffassung war Naturerkenntnis rassisch bedingt, und die arische Rasse habe hierfür die besten Voraussetzungen. In der Geschichte der Naturwissenschaften hatte gemeinhin Italien als das Geburtsland der modernen Physik gegolten.[20] Gefordert wurde die Anschaulichkeit der Modelle, und im Zentrum der Physik sollte das Experiment stehen. Theoretische Überlegungen sollten „auf dem festen Boden der klassischen Physik“ aufbauen. Die Quantentheorie wurde zwar von Lenard abgelehnt, aber von anderen Vertretern der „Deutschen Physik“ akzeptiert,[21] die von Albert Einstein entwickelte Relativitätstheorie dagegen weitgehend ignoriert. Die Lorentz-Kontraktion wurde jedoch von einigen Anhängern der Deutschen Physik als Erklärungsmöglichkeit für den negativen Ausgang des Michelson-Experiments in Erwägung gezogen.[22]

1936 erschien Lenards Lehrwerk Deutsche Physik in vier Bänden. Es beschreibt nur Gebiete der klassischen Physik und behandelt weder Relativitätstheorie noch Quantenmechanik. Entdeckungen der modernen Physik werden stattdessen durch die Äthertheorie und ein Atommodell Johannes Starks erklärt. Im Vorwort seines Lehrbuchs befindet sich die folgende Passage, die als das informelle Programm der deutschen Physik aufgefasst wird: „Deutsche Physik?“ wird man fragen. Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheits-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. […] In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt.[1] Innerhalb der Bewegung der Deutschen Physik blieb er – im Unterschied zu Johannes Stark – der intellektuelle Part und beteiligte sich kaum an politischen Aktivitäten.

1936[23] wurde Lenard von Adolf Hitler mit dem Preis der NSDAP für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.[24]

Im November 1940 kam es zu einer heute als „Münchner Religionsgespräch“ bezeichneten Aussprache zwischen Vertretern der Deutschen Physik (Rudolf Tomaschek, der Experimentalphysiker[25] Alfons Bühl, Ludwig Wesch und Wilhelm Müller) und der modernen Physik (unter anderem Carl Ramsauer, Georg Joos, Hans Kopfermann und Carl Friedrich von Weizsäcker). Darin sollten die Vertreter der Deutschen Physik wissenschaftlich unverrückbare Tatsachen der modernen Physik öffentlich anerkennen und die politischen Angriffe dagegen einstellen. Die schriftliche Vereinbarung hielt folgendes fest:[26]

  1. Die theoretische Physik mit allen mathematischen Hilfsmitteln ist ein notwendiger Bestandteil der Gesamtphysik.
  2. Die in der speziellen Relativitätstheorie zusammengefassten Erfahrungstatsachen gehören zum festen Bestandteil der Physik. Die Sicherheit der Anwendung der speziellen Relativitätstheorie ist jedoch nicht so groß, dass eine weitere Nachprüfung unnötig wäre.
  3. Die vierdimensionale Darstellung von Naturvorgängen ist ein brauchbares mathematisches Hilfsmittel; sie bedeutet aber nicht die Einführung einer neuen Raum- und Zeitanschauung.
  4. Jede Verknüpfung der Relativitätstheorie mit einem allgemeinen Relativismus wird abgelehnt.
  5. Die Quanten- und Wellenmechanik ist das einzige zurzeit bekannte Hilfsmittel zur quantitativen Erfassung der Atomvorgänge. Es ist erwünscht, über den Formalismus und seine Deutungsvorschriften hinaus zu einem tieferen Verständnis der Atome vorzudringen.

Mit dieser Erklärung verlor die Deutsche Physik an Einfluss und hatte zuletzt keine Bedeutung mehr. Lenard selbst sah seine Vorstellungen nicht hinreichend vertreten und wertete die Erklärung als Verrat. Die Vertreter der modernen Physik hingegen konnten mit dieser Auflistung von Selbstverständlichkeiten leben.

1944 wurde ein Teil seines physikalischen Instituts nach Messelhausen in Baden verlagert. Lenards Bindung an das Institut war so stark, dass er mitzog. 1945 verschonten ihn die Amerikaner wegen seines hohen Alters mit Entnazifizierungsmaßnahmen. Er starb 1947 in Messelhausen. Sein Nachlass lagert heute im Deutschen Museum in München.

Lenard wurde durch Preise zahlreicher Akademien geehrt. Er erhielt 1896 die Rumford-Medaille der Royal Society sowie die Matteucci-Medaille der Italienischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1897 verlieh ihm die Französische Akademie der Wissenschaften den Prix La Caze und 1932 erhielt er die amerikanische Franklin-Medaille. 1936 erhielt er den Preis der NSDAP für Kunst und Wissenschaft.

Straßen, die nach ihm benannt waren, wurden später umbenannt, so z. B. 1966 die Lenardstraße in der Münchener Siedlung Alte Heide in Domagkstraße, 2006 die Philipp-Lenard-Straße in Lemgo in James-Franck-Straße, 2008 die Philipp-Lenard-Gasse in Klagenfurt in Karl-Landsteiner-Gasse. 2015 benannte die Stadt Gatineau in der kanadischen Provinz Quebec eine Rue Philipp Lenard in Rue Albert Einstein um.[27] In Lübeck beschloss die Bürgerschaft im Januar 2019 die Umbenennung der dortigen Lenardstraße.[28] Am 16. November 2020 wurde die Straße offiziell in Rosalind-Franklin-Straße umbenannt.[29] Eine nach Lenard benannte Straße (Lenardova ulica) gibt es in Lenards Geburtsstadt Pressburg (Bratislava) im Stadtteil Petržalka.

Die Namensträgerschaft für den Mondkrater Lenard wurde 2020 aberkannt.[30]

  • Über Kathodenstrahlen. 1905; 2. Auflage 1920.
  • Quantitatives über Kathodenstrahlen aller Geschwindigkeiten. 1918; 2. Auflage 1925.
  • Über Relativitätsprinzip, Äther und Gravitation. 1918; 2. Auflage 1921.
  • Große Naturforscher: Eine Geschichte der Naturforschung in Lebensbeschreibungen. J.F. Lehmanns Verlag, München 1929. (Digitalisat der 6. Auflage, 1943).
  • Deutsche Physik in vier Bänden. J.F. Lehmanns Verlag, München 1936–1937. (Mehrere Auflagen) (Digitalisat der 4. Auflage, 1944).
  • Ideelle Kontinentalsperre. Eher, München 1940 (parteipolitisch motivierter Nachdruck seiner 1914 veröffentlichten Broschüre England und Deutschland zur Zeit des großen Krieges).
  • Wissenschaftliche Abhandlungen aus den Jahren 1886–1932. 3 Bände. Hirzel, Leipzig 1942–44.
  • Wissenschaftliche Abhandlungen. Band 4. Hrsg. und kommentiert von Charlotte Schönbeck. GNT-Verlag, Diepholz/Berlin 2003, ISBN 3-928186-35-3.
  • Andreas Kleinert, Charlotte Schönbeck: Lenard und Einstein: Ihr Briefwechsel und ihr Verhältnis vor der Nauheimer Diskussion von 1920. In: Gesnerus. Band 35, Nr. 3/4, 1973, S. 318–333.
  • Ernst Brüche, Hugo Marx: Der Fall Philipp Lenard: Mensch und „Politiker“. In: Physikalische Blätter. Band 23, Heft 6, 1967, S. 262–267.
  • Arne Schirrmacher: Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers, Erinnerungen eines Naturforschers, der Kaiserreich, Judenherrschaft und Hitler erlebt hat. Kritische annotierte Ausgabe des Originaltyposkriptes von 1931/1943. Springer, Berlin 2010, ISBN 978-3-540-89047-8.
  • Rudolf Tomaschek: Philipp Lenard: Zu seinem 80. Geburtstag am 7. Juni 1942. In: Völkischer Beobachter. 6./7. Juni 1942, Nr. 157/158, S. 5.
  • Sören Flachowsky: Lenard Philipp. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus – Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2/1, de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 468f. teilweise auch online einsehbar S. 468 f. books.google zuletzt eingesehen am 16. Dezember 2013.
  • Christian Peters, Arno Weckbecker: Auf dem Weg zur Macht. Zur Geschichte der NS-Bewegung in Heidelberg 1920–1934. Dokumente und Analysen. Mit einem Vorwort von Hartmut Soell. Zeitsprung, Heidelberg 1983, ISBN 3-924085-00-5.
  • Klaus Hentschel (Hrsg.): Physics and National Socialism. An Anthology of Primary Sources. Birkhäuser, Basel 1996, ISBN 978-3-7643-5312-4. 2. Auflage 2011.(Nähere Angaben zu dem Buch vom Verlag)
  • Andreas Kleinert: Von Preßburg nach Heidelberg: Philipp Lenard und die Schwierigkeiten einer Biographie. In: Peter Zigmann (Hrsg.): Die biographische Spur in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Jena 2006, ISBN 978-3-938203-45-3, S. 195–203.
  • Klaus-Peter Schroeder: Philipp Lenard: „Zudem sehe ich mit Hitler auch wieder Menschen kommen, die mir ähnlich sind“. In: ders.: Die Universität Heidelberg auf dem Weg in das „Dritte Reich“. Arnold Paul Ruge, Philipp Lenard – Emil Julius Gumbel, Universitätsbibliothek Heidelberg, Heidelberg 2021, ISBN 978-3-948083-37-3, S. 59–83.
Commons: Philipp Lenard – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Philipp Lenard: Deutsche Physik in vier Bänden, München 1936, Bd. I, Vorwort S. IX; gleichzeitig u. a. auch veröffentlicht in der Zeitschrift „Volk im Werden“, Heft 7 von 1936, S. 414, Sonderheft der Heidelberger Studentenschaft zum 550-jährigen Universitätsjubiläum; vollständig wiedergegeben in Joseph Braunbeck: Der andere Physiker - Das Leben von Felix Ehrenhaft, Technisches Museum Wien 2003, S. 66 f.
    „Deutsche Physik“? wird man fragen. – Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheit-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. – „Die Wissenschaft ist und bleibt international!“ wird man mir einwenden wollen.
    Dem liegt aber ein Irrtum zugrunde. In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt. Ein Anschein von Internationalität kann entstehen, wenn aus der Allgemeingültigkeit der Ereignisse der Naturwissenschaft zu Unrecht auf allgemeinen Ursprung geschlossen wird oder wenn übersehen wird, dass die Völker verschiedener Länder, die Wissenschaft gleicher oder verwandter Art geliefert haben wie das deutsche Volk, dies nur deshalb und insofern konnten, weil sie ebenfalls vorwiegend nordischer Rassenmischung sind oder waren.
  2. Ph. Lenard: Ueber Katodenstrahlen in Gasen von atmosphärischem Druck und im äussersten Vacuum. In: G. und E. Wiedemann (Hrsg.): Annalen der Physik und Chemie. Begründert von Poggendorf. Bd. 51, Heft 2, S. 225–267, Leipzig 1894, Vlg. Joh. Ambrosius Barth
  3. Gundolf Keil: Robert Koch (1843–1910). Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 73–109, hier: S. 98.
  4. Peters/Weckbecker S. 61.
  5. E. Brüche, A. Recknagel: Elektronengeräte, Springer Vlg., 1941, S. 188 ff.
  6. Wilhelm H. Westphal: [1948] Kleines Lehrbuch der Physik. 2. Auflage, Springer Heidelberg 1953; S. 223 ff. (§§ 232–234) zu Stw. „Versagen des Wellenmodells des Lichts“.
  7. Jörg Willer: Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015, ISBN 978-3-86888-118-9, S. 105–121, hier: S. 105.
  8. Philipp Lenard: Über Äther und Uräther. 2. Auflage, mit einem Mahnwort an deutsche Naturforscher. Leipzig 1922.
  9. Sören Flachowsky: Lenard Philipp. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus - Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2/1, de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 468f.
  10. Philipp Lenard an Wilhelm Wien, 9. Januar 1927, WN. (= Wien-Nachlass?), In: van Dongen: Emil Rupp, Albert Einstein and the Canal Ray Experiments on Wave-Particle Duality: Scientific Fraud and Theoretical Bias. (PDF-Datei; 1,07 MB), S. 38ff.
  11. a b c Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir, Lizenzausgabe für die Bertelsmann-Gruppe, Gütersloh, 1966, S. 302–303
  12. Schriftliche Urteilsbegründung in der Disziplinarstrafsache gegen Carl Mierendorff aus Grossenhain wegen Störung der Sitte und Ordnung des akademischen Lebens, Heidelberg, den 13. August 1923 (Universitätsarchiv Heidelberg, B-8910 Mierendorff). Abgedruckt in: Peters/Weckbecker S. 70–72.
  13. siehe hierzu auch Wilhelm Güde, Das Verfahren vor dem Disziplinargericht der Universität Heidelberg gegen Carlo Mierendorff wegen seiner Beteiligung an der Erstürmung des Physikalischen Instituts der Universität. In: Rechtshistorische und andere Rundgänge. Festschrift für Detlev Fischer. Herausgegeben von Ulrich Falk, Markus Gehrlein, Gerhard Kreft und Markus Obert. Karlsruhe 2018, S. 207–218.
  14. Georg Franz-Willing: Putsch und Verbotszeit der Hitlerbewegung, November 1923 – Februar 1925. K.W.Schütz-Verlag, Preußisch Oldendorf 1977, ISBN 3-87725-085-8.
  15. a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2., aktualisierte Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 366.
  16. Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin, Eike Wolgast: Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, hier zu Philipp Lenard: Charlotte Schönbeck: Physik, Springer Heidelberg Berlin 2006, S. 1087–1151, ISBN 978-3-540-21442-7.
  17. Dresdner Neueste Nachrichten vom 18. Oktober 1936, S. 13.
  18. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/25460555
  19. Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung im Jahr 1909. Philipp Lenard. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 23. Juni 2016.
  20. Woldemar Voigt: Physikalische Forschung und Lehre in Deutschland während der letzten hundert Jahre, Festrede im Namen der Georg-August-Universität zur Jahresfeier der Universität am 5. Juni 1912, Göttingen 1912.
  21. Grimsehl-Tomaschek: Lehrbuch der Physik (Grimsehls Lehrbuch der Physik neu bearbeitet von Rudolf Tomaschek), Band II, Teil 2: Materie und Äther, Leipzig/Berlin 1938, 8. Auflage, S. 229 ff.
  22. Grimsehl-Tomaschek: Lehrbuch der Physik (Grimsehls Lehrbuch der Physik neu herausgegeben von Rudolf Tomaschek), Band II, Teil 2: Materie und Äther, Leipzig/Berlin 1938, 8. Auflage, S. 430.
  23. Arne Schirrmacher: Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers. Kritische annotierte Ausgabe des Originaltyposkriptes von 1931/1943. 2010, S. 8.
  24. Jörg Willer: Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015 (2016), ISBN 978-3-86888-118-9, S. 105–121, hier: S. 105.
  25. Jörg Willer: Fachdidaktik im Dritten Reich am Beispiel der Physik. 2015 (2016), S. 108.
  26. Seefeld 1942–1943. Tagungsnotizen und -berichte, Samuel A. Goudsmit Papers, Series IV, Box 25, Folder 12: Alsos-Mission, online auf der Website des American Institute of Physics, Niels Bohr Library & Archives.
  27. Des noms de rues associés au nazisme disparaissent à Gatineau (Französisch) radio-kanada.ca, abgerufen am 15. März 2024.
  28. Lübecks Hindenburgplatz wird umbenannt. ln-online.de, 1. Februar 2019.
  29. Rosalind-Franklin-Weg, vormals Lenardweg luebeck.de, abgerufen am 15. März 2024.
  30. Philipp Lenard im Gazetteer of Planetary Nomenclature der IAU (WGPSN) / USGS