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„Antimaterie“ – Versionsunterschied

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'''Antimaterie''' ist [[Materie]], die aus [[Antiteilchen]] aufgebaut ist, so wie die uns umgebende 'normale' Materie aus 'normalen' [[Teilchen]] besteht.
'''Antimaterie''' ist [[Materie (Physik)|Materie]], die aus [[Antiteilchen]] besteht. Anti-[[Atom]]e haben [[Atomhülle]]n aus [[Positron]]en (Antielektronen) und [[Atomkern]]e aus [[Antiproton]]en und [[Antineutron]]en.


Im weiteren Sinne bezeichnet man auch einzelne Antiteilchen als Antimaterie. Diese lassen sich experimentell erzeugen und kommen auch natürlich vor: Positronen entstehen beim radioaktiven [[Beta-Plus-Zerfall]] und bei Wechselwirkungen von [[Gammastrahlung]] mit Materie ([[Paarbildung (Physik)|Paarbildung]]). Zur Erzeugung von Antiprotonen und Antineutronen benötigt man energiereiche [[Teilchenbeschleuniger]]; sie entstehen auch durch [[kosmische Strahlung]] in der oberen Erdatmosphäre.
Bislang gibt es, außer in kosmologischen Modellrechnungen über die Frühzeit unseres [[Universum]]s, keine Belege für ein Vorkommen von Antimaterie außerhalb des kurzzeitigen Entstehens einzelner Antiteilchen bei hochenergetischer Strahlung oder hohen kinetischen Energien, wie sie in kosmischer Strahlung oder in [[Teilchenbeschleuniger]]n entstehen.


Mit aufwändigen Experimenten kann man einfachste Anti-Atome erzeugen, indem man Positronen und Antiprotonen fast vollständig abbremst und zusammenführt. Dabei entstehen [[Antiwasserstoff]]-Atome. Bei Experimenten mit den größten Teilchenbeschleunigern hat man auch leichte Anti-Atomkerne (Antideuterium, Antihelium-3 und ‑4) nachgewiesen. Anti-Atome und Anti-Atomkerne kommen aber nicht natürlich vor. Es gibt Spekulationen, aber keinerlei Hinweise darauf, dass gewisse Bereiche im Universum aus Antimaterie bestehen könnten. Würde man schwerere Antiatomkerne in kosmischer Strahlung finden, wäre dies ein Hinweis auf [[Nukleosynthese]] in Sternen aus Antimaterie.
Ein erster Durchbruch in der künstlichen Erzeugung von Antimaterie gelang einer Arbeitsgruppe unter [[Walter Oelert]] vom [[Forschungszentrum Jülich]] am [[CERN]] (LEAR) [[1995]], als sie ein [[Antiwasserstoff|Anti-Wasserstoff]]-Atom erzeugten, das aus einem negativ geladenen [[Antiproton]] und einem positiv geladenen [[Positron]] bestand. In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am [[Fermi National Accelerator Laboratory|Fermilab]] in den USA das Experiment.


Wenn ein Materieteilchen und sein Antiteilchen aufeinander treffen, können sie in einer [[Annihilation]]s-Reaktion „zerstrahlen“. Die in den Teilchen gemäß der [[Äquivalenz von Masse und Energie]] steckende Energie tritt dann in anderer Form wieder auf, als Gammastrahlung und/oder in Form anderer, leichterer Teilchen.
Die Kurzlebigkeit von Antimaterie in der von uns beobachtbaren Welt erklärt sich daraus, dass beim Aufeinandertreffen eines Teilchen-Antiteilchen-Paares sich beide gegenseitig [[Annihilation|annihilieren]]. Hierbei wird [[Energie]] freigesetzt, hauptsächlich in der Form von [[Elektromagnetische Welle|elektromagnetischer Strahlung]], als [[Gammastrahlung]]. Diese Annihilation von Antiteilchen setzt sehr viel mehr Energie frei, als es irgend ein anderer Prozess mit gleichen Materiemengen könnte wie z.B. chemische Prozesse oder auch [[Kernfusion]]. Die freiwerdende Energie läßt sich mit der [[Albert_Einstein|Einstein]]schen Formel <math>E=mc^2</math> berechnen.


== Geschichte ==
== Wirtschaftliche Nutzbarkeit der Antimaterie ==


=== Theoretische Überlegungen ===
Theoretisch könnte man mit einem Kilogramm Antiwasserstoff mehr Energie freisetzen als durch Verbrennung aller ursprünglichen irdischen Steinkohlevorräte.
1898 verwendete der Physiker [[Arthur Schuster]] erstmals den Begriff Antimaterie in zwei Zuschriften an [[Nature]]. Er spekulierte über Sternensysteme aus Antimaterie, die von unserer Materie durch Beobachtung nicht unterscheidbar wären. Schon vorher hatten [[Karl Pearson]] 1892 und [[William Mitchinson Hicks]] in den 1880er Jahren von möglicher „negativer Materie“ gesprochen.<ref>S. Sahoo, R. K. Agrawalla, M. Goswami: {{Webarchiv |url=http://physics.unipune.ernet.in/~phyed/23.4/23.4%20_Sahoo.pdf |text=''Antimatter in the Universe.'' |wayback=20070630043148}} (PDF; 72&nbsp;kB)</ref>


=== Antiteilchen ===
An eine wirtschaftliche Nutzung im Sinne eines Antimaterie-Kraftwerks ist aber nicht zu denken, da Antimateriepartikel auf der Erde nur unter immensem Energieaufwand hergestellt werden können. Selbst bei einer theoretischen, hundert Prozent effektiven Produktion von Antimaterie wäre dazu exakt die Energie nötig, die später bei der Annihilation wieder frei würde.
{{Hauptartikel|Antiteilchen}}
1928 stellte [[Paul Dirac]] auf Grundlage der Arbeit von [[Wolfgang Pauli]] die [[Dirac-Gleichung]] auf,<ref>P. A. M. Dirac: ''The quantum theory of the electron.'' In: ''Proceedings of the Royal Society.'' Bd.&nbsp;117, 1928, S.&nbsp;610, Bd.&nbsp;118, S.&nbsp;351.</ref> eine relativistische, also auf der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] beruhende [[Wellengleichung]] 1.&nbsp;Ordnung zur Beschreibung des [[Elektron]]s. Auf der Grundlage dieser Gleichung sagte Dirac die Existenz des [[Positron]]s als Antiteilchen zum Elektron voraus.


1932 wurde das Positron als erstes Antiteilchen von [[Carl David Anderson]] in der [[Kosmische Strahlung#Teilchenschauer|kosmischen Strahlung]] nachgewiesen.<ref>Edward Robert Harrison: ''Cosmology: the science of the universe.'' 2. Auflage. Cambridge University Press, 2000, ISBN 0-521-66148-X, S.&nbsp;266, 433. ({{Google Buch |BuchID=-8PJbcA2lLoC |Linktext=online}}, abgerufen am 30. September 2009)</ref> Auch [[Antimyon]]en werden von der kosmischen Strahlung erzeugt, wenn sie in die Erdatmosphäre eindringt.
Antimaterie könnte erst dann zur Erzeugung wirtschaftlich nutzbarer Energieformen ([[Energieumwandlung und Energieerzeugung|Energiegewinnung]]) genutzt werden, wenn man größere Mengen davon im Weltall finden würde – nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist aber im Umkreis von einigen Milliarden Lichtjahren keine vorhanden.


Das [[Antiproton]] wurde 1955 bei Experimenten am [[Bevatron]]-Teilchenbeschleuniger nachgewiesen, und das [[Antineutron]] 1956.
Dazu kommt das Problem, dass Antimaterie derzeit nicht in größeren Mengen speicherfähig ist. Da Berührung mit jeglicher Form von Materie zur Annihilation führt, ist die einzig mögliche Speicherform, Antimaterie-Teilchen in einem elektromagnetischen Feld einzufangen. Das funktioniert aber nur bei Antiprotonen oder Positronen, denn Antineutronen und auch Antiwasserstoff besitzen keine Ladung. Ferner ist es heute undenkbar, eine größere Menge Antiprotonen zusammen einzufangen, da diese sich durch ihre Wechselwirkung stark voneinander abstoßen.


=== Antiatome und Antiatomkerne ===
In Area51 wurde seit den 90er Jahren versucht Antimaterie für militärische Zwecke einzusetzen. Laut einigen Quellen wurden schon erfolgreiche Versuche durchgeführt. Hierbei wurden anti-Lithium-Teilchen in einem Schwingkreis eines supraleitenden Trägers durch eine [[Railgun]] beschleunigt. Laut eines ehemaligen Mitarbeiters sei die Wirkung verherend.
Eine Arbeitsgruppe unter [[Walter Oelert]] vom [[Forschungszentrum Jülich]] wies 1995 als erste am [[Low Energy Antiproton Ring]] (LEAR) des [[CERN]] einige [[Antiwasserstoff]]-Atome nach, also gebundene Systeme aus einem Antiproton und einem Positron.<ref>[http://ikpe1101.ikp.kfa-juelich.de/ps210/home_german.html Beschreibung des Experiments]</ref> In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am [[Fermi National Accelerator Laboratory|Fermilab]] in den USA das Experiment.


2010 wurden am CERN im Projekt [[ALPHA (CERN)|ALPHA]] 38&nbsp;Antiwasserstoff-Atome nachgewiesen, die für 172 Millisekunden in einer [[Magneto-optische Falle|magnetischen Falle]] eingefangen waren. Für eine spektroskopische Untersuchung werden jedoch deutlich größere Mengen benötigt.<ref>G. B. Andresen u.&nbsp;a.: [http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature09610.html ''Trapped antihydrogen.''] In: ''Nature.'' 17. November 2010. [[doi:10.1038/nature09610]] (englisch)</ref><ref>[https://www.heise.de/newsticker/meldung/Speicher-fuer-Antimaterie-1138658.html ''Speicher für Antimaterie.''] bei: ''[[heise online]].'' vom 18.&nbsp;November 2010.</ref> Am Nachfolgeexperiment ALPHA-2 gelang 2016 schließlich eine [[Laserspektroskopie|laserspektroskopische]] Untersuchung des 1s–2s-Übergangs. Wie vom [[CPT-Theorem]] vorhergesagt, stimmen die Spektrallinien von Wasserstoff und Antiwasserstoff mit einer Genauigkeit von 2&#8239;·&#8239;10<sup>−10</sup> überein.<ref>{{Literatur |Autor=M. Ahmadi, B. X. R. Alves, C. J. Baker, W. Bertsche, E. Butler, A. Capra, C. Carruth, C. L. Cesar, M. Charlton, S. Cohen, R. Collister, S. Eriksson, A. Evans, N. Evetts, J. Fajans, T. Friesen, M. C. Fujiwara, D. R. Gill, A. Gutierrez, J. S. Hangst, W. N. Hardy, M. E. Hayden, C. A. Isaac, A. Ishida, M. A. Johnson, S. A. Jones, S. Jonsell, L. Kurchaninov, N. Madsen, M. Mathers, D. Maxwell, J. T. K. McKenna, S. Menary, J. M. Michan, T. Momose, J. J. Munich, P. Nolan, K. Olchanski, A. Olin, P. Pusa, C. Ø. Rasmussen, F. Robicheaux, R. L. Sacramento, M. Sameed, E. Sarid, D. M. Silveira, S. Stracka, G. Stutter, C. So, T. D. Tharp, J. E. Thompson, R. I. Thompson, D. P. van der Werf, J. S. Wurtele |Titel=Observation of the 1S–2S transition in trapped antihydrogen |Sammelwerk=[[Nature]] |Band=Accelerated Article Preview Published |Datum=2016-12-19 |ISSN=1476-4687 |DOI=10.1038/nature21040}}</ref>
== Antimaterie im Universum ==


Im April 2011 gelang es am CERN, 309 Antiwasserstoffatome bei einer Temperatur von etwa einem [[Kelvin]] fast 17 Minuten lang einzufangen, also 5800-mal so lang wie im November 2010.<ref name="arxivorg2011">{{Literatur |Autor=CERN, Makoto C. Fujiwara u.&nbsp;a. |Titel=Cornell University Library: Confinement of antihydrogen for 1000 seconds |Datum= |Sprache=en |arXiv=1104.4982}}</ref><ref name="SPON2011">{{Internetquelle |autor=Markus Becker |url=http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,760355,00.html |titel=Physik-Rekord – Forscher fangen Antimaterie minutenlang ein |abruf=2011-05-04}}</ref> Dies wurde von den Forschern des CERN und Kommentatoren allgemein als bedeutender Durchbruch beurteilt, der neue Möglichkeiten eröffnet, die Eigenschaften von Antimaterie zu erforschen. Dabei geht es zum Beispiel um mögliche Verletzungen von Symmetrien in der [[Teilchenphysik]]. Dies betrifft die Frage, warum nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie entstand.
In [[Teilchenbeschleuniger]]reaktionen zeigt sich, dass reine [[Energie]] ([[Photonenstrahlung]], [[Bewegungsenergie]] …) immer paarweise zu gleichen Mengen in [[Materie]] und Antimaterie umgewandelt wird. Auch nach den bisher gefundenen theoretischen Gesetzen macht die Natur keinen Unterschied zwischen [[Materie]] und Antimaterie und behandelt beide vollkommen gleichwertig.


Der bislang schwerste beobachtete Antimaterie-Atomkern ist der am [[Relativistic Heavy Ion Collider]] erzeugte Antihyperwasserstoff-4 (den Anti-[[Hyperkern]] <math>\overline{{}^4_\Lambda\mathrm{H}}</math>),<ref>{{Internetquelle |autor=Welt der Physik |url=https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2024/antihyperwasserstoff-4-rhic-rekord-schwerster-atomkern-aus-antimaterie/ |titel=Rekord für schwersten Atomkern aus Antimaterie |datum=2024-08-21 |sprache=de |abruf=2024-08-21}}</ref> gefolgt vom ebenfalls dort im April 2011 erzeugten Anti-[[Helium|<sup>4</sup>He]].<ref>{{Internetquelle |autor=Nina Weber |url=http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,758838,00.html |titel=Forscher erzeugen Rekord-Antimaterie |titelerg=Teilchenphysik-Durchbruch |werk=Spiegel Online |datum=2011-04-24 |abruf=2011-04-25}}</ref><ref>The STAR Collaboration. Observation of the antimatter helium-4 nucleus. Nature 473, 353–356 (2011). [[doi:10.1038/nature10079]]</ref>
Somit sollte man erwarten, dass nach dem heißen und dichten Anfangszustand des [[Universum]]s ([[Urknall]]) [[Materie]] und Antimaterie in gleichen Mengenverhältnissen entstanden und noch heute vorzufinden sind. Trotzdem zeigen alle bisherigen Beobachtungen im [[Kosmos]] nur eine Form, willkürlich [[Materie]] genannt. Dieses offensichtliche Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der [[Elementarteilchenphysik]] und [[Kosmologie]]; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise [[Stringtheorie]], [[M-Theorie]], [[Supersymmetrie]]) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden.


Eine rund fünfzigköpfige Gruppe um den Amerikaner [[Jeffrey Hangst]], Physikprofessor an der [[Universität Aarhus]] in Dänemark, hat 2023 im Rahmen der [[Antiproton Decelerator#ALPHA (AD-5)|Alpha-Kollaboration]] am [[CERN]] nachgewiesen, dass auch Antimaterie der Schwerkraft unterliegt, was zuvor empirisch offen war.<ref>[[Ulf von Rauchhaupt]], [https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/gravitation-antimaterie-faellt-nach-unten-wie-gewoehnliche-materie-19203190.html ''Gravitation: Auch Antimaterie fällt nach unten''], faz.net vom 27. September 2023</ref><ref>[https://www.nature.com/articles/s41586-023-06527-1#Abs1 ''Observation of the effect of gravity on the motion of antimatter''], Nature 621, 716–722 (2023) vom 27. September 2023</ref>
Frühere Vermutungen, dass das [[Universum]] in einigen Bereichen mit [[Materie]], in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine [[Annihilation]]sstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen.


== Energiebilanz bei Reaktionen ==
Das Ungleichgewicht von [[Materie]] und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität unseres [[Universum]]s, und somit auch für das [[Leben]] auf der [[Erde]]. Hätte sich ein genaues Gleichgewicht von [[Materie]] und Antimaterie ergeben, so wäre alle [[Materie]] nach der Abkühlung des [[Universum]]s wieder mit der Antimaterie in [[Strahlung]] umgewandelt worden.
Die Vernichtung (Annihilation) setzt die bei der Paarbildung als Masse gespeicherte [[Energie]] wieder frei. Bei der Elektron-Positron-Annihilation tritt diese als [[Elektromagnetische Welle|elektromagnetische Strahlung]] auf, im Fall schwerer Teilchen (Proton-Antiproton) teilweise auch in Form anderer Teilchen mit hoher Bewegungsenergie. Dabei wird die gesamte [[Masse (Physik)|Masse]] des Teilchen-Antiteilchen-Paares umgesetzt und nicht nur, wie bei [[Kernspaltung]] und [[Kernfusion]], ein kleiner Bruchteil (siehe [[Massendefekt]]). Die Annihilation einer gegebenen Masse bestehend je zur Hälfte aus Materie und aus Antimaterie würde reichlich hundert Mal mehr Energie freisetzen als die Reaktion einer gleich großen Masse von Fusionsreaktor-Brennstoff. Beispielsweise würde die Annihilation eines Wasserstoffatoms mit einem Anti-Wasserstoffatom die Energie 1,88 [[Elektronenvolt|GeV]] liefern; die Fusion eines [[Deuterium]]kerns mit einem [[Tritium]]kern liefert dagegen nur 17,6 MeV, also etwa ein Hundertstel.


Wegen dieser hohen Energiedichte ist über Nutzungen von Antimaterie (in Form von Positronen) für Waffenzwecke nachgedacht worden.<ref>Keay Davidson: {{Webarchiv |url=http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?file=%2Fc%2Fa%2F2004%2F10%2F04%2FMNGM393GPK1.DTL |text=''Air Force pursuing antimatter weapons / Program was touted publicly, then came official gag order.'' |wayback=20120609101650}} In: ''San Francisco Chronicle.'' 4. Oktober 2004. (englisch)</ref> In der Raumfahrt wurde mehrfach über den möglichen Nutzen für [[Antriebsmethoden für die Raumfahrt#Antimaterieantrieb|Antriebssysteme]] diskutiert.<ref>[http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/1999/prop12apr99_1/ Reaching for the Stars]; [http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/prop06apr99_1a/ Far Out Space Propulsion Conference Blasts Off] science.nasa.gov, abgerufen am 25. Mai 2012.</ref><ref>[http://www.daviddarling.info/encyclopedia/A/antimatterprop.html antimatter propulsion] daviddarling.info</ref> Wissenschaftler an der [[Pennsylvania State University]] untersuchten in den Projekten ''AIMStar'' und ''ICAN-II'' in den 1990er Jahren theoretische Konzepte.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.engr.psu.edu/antimatter/introduction2.html |text=Antimatter propulsion at Penn State University |archive-is=20120728202108}}; [[:en:AIMStar|AIMStar]], [[:en:ICAN-II|ICAN-II]], en.wp</ref><ref>K. F. Long: ''Deep Space Propulsion: A Roadmap to Interstellar Flight.'' Springer, 2011, S.&nbsp;229&nbsp;ff. ({{Google Buch |BuchID=EAD2-GrarkEC |Seite=229 |Hervorhebung=deep space propulsion Long a roadmap Aimstar |Linktext=online}}, abgerufen am 25. Mai 2012)</ref> Bislang gibt es jedoch kein realistisches Konzept, wie für solche technischen Zwecke genügende Mengen von Antimaterie hergestellt, gelagert und transportiert werden könnten. Am CERN wird für das Jahr 2023 ein Antimaterie-Transport per LKW über eine Distanz von einigen hundert Metern geplant.<ref>{{Internetquelle |url=https://home.cern/news/news/physics/puma-project-antimatter-goes-nomad |titel=The PUMA project: Antimatter goes nomad |sprache=en |abruf=2021-06-08}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://home.cern/science/experiments/puma |titel=PUMA |datum=2023-03-23 |sprache=en |abruf=2023-05-19}}</ref>
Die sogenannte [[kosmische Hintergrundstrahlung]] lässt sich sehr gut mit der [[Urknall]]theorie als Relikt aus der zeitlichen [[Epoche]] deuten, als die beim [[Urknall]] entstandene [[Materie]] mit der Antimaterie wieder vernichtet wurde. Der Vergleich von Modellrechnungen und [[astronomisch]] gemessenen Daten ([[primordiale Nukleosynthese]], [[WMAP]]) untermauern diejenige These, nach der es anfänglich ein fast gleiches Verhältnis von [[Materie]] und Antimaterie gegeben haben muss. Lediglich ein winziges Ungleichgewicht von 1.000.000.001 Teilchen über 1.000.000.000 [[Antiteilchen]] bewirkte, dass ein Rest an [[Materie]] übrig blieb, der unser heutiges [[Universum]] ausmacht.


Eine Energie-''Ressource'' kann Antimaterie niemals sein, denn in nutzbarer Form kommt sie im Universum nicht vor, und ihre künstliche Herstellung erfordert mindestens die Energie, die aus ihr wieder gewonnen werden könnte.
Neueste Untersuchungen bestätigen die Bevorzugung der [[Materie]] im [[Universum]]. Am [[SLAC]] wurden 200 Millionen [[B-Meson]]-Anti-[[B-Meson]]-Paare erzeugt und untersucht wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die [[B-Mesonen]] etwa zwei Mal weniger in ein [[Pion]] und ein [[Kaon]] zerfallen als deren Antiteilchen. In der Vergangenheit wurde dieser Effekt, der [[CP-Verletzung]] genannt wird, schon bei [[Kaon|Kaonen]] untersucht. Allerdings liegt der Unterschied dort bei 4 in einer Million.


== Antimaterie im Universum ==
==Verarbeitung in fiktionalen Werken==
Die Raumschiffe der Filmreihe ''[[Star Trek]]'' werden mit Antimaterie angetrieben. Ebenso wird Antimaterie in Teilen des Waffensystems (Photonentorpedos) verwendet. [[Dan Brown]] verarbeitet das Thema in seinem [[Thriller]] ''[[Illuminati (Buch)|Illuminati]]''. Paul Hood, der jugendliche Protagonist in Ang Lees Drama ''[[The Ice Storm]]'' ''(dt. Der Eissturm)'', benutzt die Materie / Anti-Materie Diskussion der Comicreihe Die Fantastischen Vier, um eine Analogie zur Familie herzustellen, die, laut Paul, jedermans persönliche Antimaterie ist.


Die bisherigen Experimente und Theorien ergeben weitgehend identisches Verhalten von Materie und Antimaterie (siehe [[CP-Verletzung]]). Demnach sind nach dem heißen und dichten Anfangszustand des [[Universum]]s, dem [[Urknall]], Materie und Antimaterie in näherungsweise gleichen Mengen entstanden und kurz darauf wieder durch gegenseitige Vernichtung „zerstrahlt“ worden.<ref>{{Literatur |Autor=Kellenbauer |Titel=Antimaterie im Labor |Verlag=Physik Journal |Datum= |Seiten=27 |Online=https://www.pro-physik.de/restricted-files/89541}}</ref>
== Literatur ==


Andererseits zeigen aber alle bisherigen Beobachtungen im Kosmos nur die „normale“ Materie.<ref>{{cite journal |last=Canetti |first=L. |display-authors=et al. |date=2012 |title=Matter and Antimatter in the Universe |journal=New J. Phys. |volume=14 |issue=9 |pages=095012 |arxiv=1204.4186 |doi=10.1088/1367-2630/14/9/095012 |bibcode=2012NJPh...14i5012C|s2cid=119233888 }}</ref> Sie muss das Überbleibsel eines geringen Ungleichgewichts zu Beginn des Universums sein. Frühere Vermutungen, dass das Universum in einigen Bereichen mit Materie, in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine Annihilationsstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen. Die direkte Suche nach Anti-Helium-Atomkernen in der [[Kosmische Strahlung|kosmischen Strahlung]], die 1998 mit einem [[Alpha-Magnet-Spektrometer]] an Bord eines [[Space Shuttle]] erfolgte, blieb ergebnislos: es wurden etwa drei Millionen Heliumkerne nachgewiesen, darunter befand sich aber kein einziger Antikern.<ref>{{Literatur |Autor=J. Alcaraz, D. Alvisi, B. Alpat, G. Ambrosi, H. Anderhub |Titel=Search for antihelium in cosmic rays |Sammelwerk=Physics Letters B |Band=461 |Nummer=4 |Datum=1999-09 |Seiten=387–396 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0370269399008746 |Abruf=2020-05-11 |DOI=10.1016/S0370-2693(99)00874-6}}</ref>
*[[Dieter B. Herrmann]]: ''Antimaterie. Auf der Suche nach der Gegenwelt''. 2. Auflage. Beck, München 2004, ISBN 3-406-44504-7 (Kurzeinführung in das Thema)

Der Vergleich von Modellrechnungen im Rahmen der Urknalltheorie und astronomischen Messdaten ([[primordiale Nukleosynthese]], [[Wilkinson Microwave Anisotropy Probe|WMAP]]) spricht dafür, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie anfangs fast 1 zu 1 war. Ein winziges Ungleichgewicht – etwa 1 Teilchen Überschuss auf 1 Milliarde Teilchen-Antiteilchen-Paare – bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist. Dieses Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität des Universums und somit auch für das Leben auf der Erde. Bei genauem Gleichgewicht wären Materie und Antimaterie im Verlauf der Abkühlung des Universums vollständig in Strahlung umgewandelt worden.

Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der [[Elementarteilchenphysik]] und [[Kosmologie]]; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise [[Stringtheorie]], [[M-Theorie]], [[Supersymmetrie]]) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden. Eine der Voraussetzungen für ein Übergewicht von Materie ist die [[CP-Verletzung]] (siehe [[Baryogenese]]). Diese wurde zuerst bei [[Kaon]]en in den 1960er Jahren entdeckt. In den 1990er Jahren wurden am [[Stanford Linear Accelerator Center|SLAC]] in den USA 200 Millionen [[B-Meson]]-Anti-B-Meson-Paare erzeugt und untersucht, wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die B-Mesonen etwa zweimal seltener in ein [[Pion]] und ein Kaon zerfallen als ihre Antiteilchen. Beim vorher untersuchten Kaonensystem lag der Unterschied bei vier zu einer Million.

== Antimaterie in der Science-Fiction ==
Antimaterie kommt in vielen Romanen und Filmen vor, wo ihre physikalischen Eigenschaften von den wirklichen abweichen können. In der Welt von ''[[Star Trek]]'' dient eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den fiktiven [[Warp-Antrieb]] zur Erzeugung einer Warpblase und auch als Waffe. In der [[Heftroman]]serie ''[[Perry Rhodan]]'' wird Antimaterie vielfältig benutzt, etwa um [[Gravitationswelle|Gravitations]]-[[Stoßwelle|Schockwellen]] abzustrahlen und so eine Nachricht zu übermitteln, vor allem aber als Basis für fortgeschrittene Waffensysteme und zur Energieerzeugung. Im Roman ''[[Illuminati (Roman)|Illuminati]]'' von [[Dan Brown]] haben fiktive Wissenschaftler des CERN sichtbare Mengen der Substanz hergestellt und längerfristig in einer Magnetfalle gelagert.

== Literatur ==
* Alban Kellerbauer: ''Antimaterie im Labor.'' In: ''Physik Journal.'' 13 (Juli 2014) 27, [https://www.pro-physik.de/restricted-files/89541 Physik Journal – Antimaterie im Labor – pro-physik.de]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2014/Kellerbauer_PhysikJournal_13-7_(2014)_27 Artikel (PDF; 1,2&nbsp;MB)].
* Alban Kellerbauer: ''Das Antimaterie-Rätsel.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 43 (Juli 2012) 174. [[doi:10.1002/piuz.201201305]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2012/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_43_(2012)_174.pdf Artikel (PDF; 803&nbsp;kB)].
* Helen R. Quinn, Yossi Nir: ''The mystery of the missing antimatter.'' Princeton Univ. Press, Princeton 2008, ISBN 978-0-691-13309-6.
* Alban Kellerbauer: ''Antimaterie – Spiegelbild oder Zerrbild.'' In: ''Physik in Unserer Zeit.'' 38 (Juli 2007) 168, [[doi:10.1002/piuz.200601134]]<br />Direkter Download vom Autor: [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168.pdf Artikel] (PDF; 536&nbsp;kB), [http://www.mpi-hd.mpg.de/kellerbauer/en/articles/2007/Kellerbauer_PhysUnsererZeit_38_(2007)_168_Webtext.pdf zus. Kapitel] (PDF; 45&nbsp;kB).
* Dieter Grzonka, [[Walter Oelert]], Jochen Walz: ''Experimente mit der „Antiwelt“.'' In: ''Physik Journal.'' 5 Nr.&nbsp;3 (März 2006) 37, [http://www.pro-physik.de/details/articlePdf/1106075/issue.html (PDF; 0,9&nbsp;MB)]
* [[Dieter B. Herrmann]]: ''Antimaterie. Auf der Suche nach der Gegenwelt.'' 4. Auflage. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-44504-0.
* Gordon Fraser: ''Antimatter – the ultimate mirror.'' Cambridge Univ. Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-89309-7.
* [[Hannes Alfvén]]: ''Kosmologie und Antimaterie.'' Umschau-Verlag, Frankfurt am Main 1969
* [[Frank Close]]: ''Antimaterie.'' Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8274-2531-7.
* Kapitel: ''Materie/Antimaterie-Antrieb.'' In: [[Eugen Reichl]]: ''Typenkompass: Zukunftsprojekte der Raumfahrt'', Motorbuch Verlag, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-613-03462-4, S. 37–41


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Antimatter|Antimaterie}}
{{Wiktionary}}
* [http://www.drillingsraum.de/room-antimaterie/antimaterie.html Was ist Antimaterie? Populäre Erklärung mit Bildern]
* [https://sciencev1.orf.at/science/news/54687 Informationsangebot des orf]
* [http://www.mpe.mpg.de/18261/News_20110110 Satellit entdeckt Antimaterie über Gewitterwolken] (Pressemitteilung des [[Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik|Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik]])


== Einzelnachweise ==
* [http://kworkquark.net/lexikon/antimaterie/wissensdurst3.html KworkQuark.net (DESY)]
<references />
* [http://livefromcern.web.cern.ch/livefromcern/antimatter/ Antimatter: Mirror of the Universe (CERN) (english)]
* [http://www.ta7.de/txt/wissensc/wiss0003.htm Antimaterie ist nichts Geheimnisvolles]
* [http://public.web.cern.ch/Public/Content/Chapters/Spotlight/SpotlightAandD-en.html Spotlight on Technology mentioned in "Angels and Demons" (CERN) (english)]


[[Kategorie:Teilchenphysik]]
[[Kategorie:Teilchenphysik]]

[[bg:Антиматерия]]
[[ca:Antimatèria]]
[[cs:Antihmota]]
[[da:Antistof (fysik)]]
[[el:Αντιύλη]]
[[en:Antimatter]]
[[es:Antimateria]]
[[fa:ضدماده]]
[[fi:Antimateria]]
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Aktuelle Version vom 5. April 2025, 18:53 Uhr

Antimaterie ist Materie, die aus Antiteilchen besteht. Anti-Atome haben Atomhüllen aus Positronen (Antielektronen) und Atomkerne aus Antiprotonen und Antineutronen.

Im weiteren Sinne bezeichnet man auch einzelne Antiteilchen als Antimaterie. Diese lassen sich experimentell erzeugen und kommen auch natürlich vor: Positronen entstehen beim radioaktiven Beta-Plus-Zerfall und bei Wechselwirkungen von Gammastrahlung mit Materie (Paarbildung). Zur Erzeugung von Antiprotonen und Antineutronen benötigt man energiereiche Teilchenbeschleuniger; sie entstehen auch durch kosmische Strahlung in der oberen Erdatmosphäre.

Mit aufwändigen Experimenten kann man einfachste Anti-Atome erzeugen, indem man Positronen und Antiprotonen fast vollständig abbremst und zusammenführt. Dabei entstehen Antiwasserstoff-Atome. Bei Experimenten mit den größten Teilchenbeschleunigern hat man auch leichte Anti-Atomkerne (Antideuterium, Antihelium-3 und ‑4) nachgewiesen. Anti-Atome und Anti-Atomkerne kommen aber nicht natürlich vor. Es gibt Spekulationen, aber keinerlei Hinweise darauf, dass gewisse Bereiche im Universum aus Antimaterie bestehen könnten. Würde man schwerere Antiatomkerne in kosmischer Strahlung finden, wäre dies ein Hinweis auf Nukleosynthese in Sternen aus Antimaterie.

Wenn ein Materieteilchen und sein Antiteilchen aufeinander treffen, können sie in einer Annihilations-Reaktion „zerstrahlen“. Die in den Teilchen gemäß der Äquivalenz von Masse und Energie steckende Energie tritt dann in anderer Form wieder auf, als Gammastrahlung und/oder in Form anderer, leichterer Teilchen.

Theoretische Überlegungen

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1898 verwendete der Physiker Arthur Schuster erstmals den Begriff Antimaterie in zwei Zuschriften an Nature. Er spekulierte über Sternensysteme aus Antimaterie, die von unserer Materie durch Beobachtung nicht unterscheidbar wären. Schon vorher hatten Karl Pearson 1892 und William Mitchinson Hicks in den 1880er Jahren von möglicher „negativer Materie“ gesprochen.[1]

1928 stellte Paul Dirac auf Grundlage der Arbeit von Wolfgang Pauli die Dirac-Gleichung auf,[2] eine relativistische, also auf der speziellen Relativitätstheorie beruhende Wellengleichung 1. Ordnung zur Beschreibung des Elektrons. Auf der Grundlage dieser Gleichung sagte Dirac die Existenz des Positrons als Antiteilchen zum Elektron voraus.

1932 wurde das Positron als erstes Antiteilchen von Carl David Anderson in der kosmischen Strahlung nachgewiesen.[3] Auch Antimyonen werden von der kosmischen Strahlung erzeugt, wenn sie in die Erdatmosphäre eindringt.

Das Antiproton wurde 1955 bei Experimenten am Bevatron-Teilchenbeschleuniger nachgewiesen, und das Antineutron 1956.

Antiatome und Antiatomkerne

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Eine Arbeitsgruppe unter Walter Oelert vom Forschungszentrum Jülich wies 1995 als erste am Low Energy Antiproton Ring (LEAR) des CERN einige Antiwasserstoff-Atome nach, also gebundene Systeme aus einem Antiproton und einem Positron.[4] In den beiden folgenden Jahren wiederholten Forscher am Fermilab in den USA das Experiment.

2010 wurden am CERN im Projekt ALPHA 38 Antiwasserstoff-Atome nachgewiesen, die für 172 Millisekunden in einer magnetischen Falle eingefangen waren. Für eine spektroskopische Untersuchung werden jedoch deutlich größere Mengen benötigt.[5][6] Am Nachfolgeexperiment ALPHA-2 gelang 2016 schließlich eine laserspektroskopische Untersuchung des 1s–2s-Übergangs. Wie vom CPT-Theorem vorhergesagt, stimmen die Spektrallinien von Wasserstoff und Antiwasserstoff mit einer Genauigkeit von 2 · 10−10 überein.[7]

Im April 2011 gelang es am CERN, 309 Antiwasserstoffatome bei einer Temperatur von etwa einem Kelvin fast 17 Minuten lang einzufangen, also 5800-mal so lang wie im November 2010.[8][9] Dies wurde von den Forschern des CERN und Kommentatoren allgemein als bedeutender Durchbruch beurteilt, der neue Möglichkeiten eröffnet, die Eigenschaften von Antimaterie zu erforschen. Dabei geht es zum Beispiel um mögliche Verletzungen von Symmetrien in der Teilchenphysik. Dies betrifft die Frage, warum nach dem Urknall mehr Materie als Antimaterie entstand.

Der bislang schwerste beobachtete Antimaterie-Atomkern ist der am Relativistic Heavy Ion Collider erzeugte Antihyperwasserstoff-4 (den Anti-Hyperkern ),[10] gefolgt vom ebenfalls dort im April 2011 erzeugten Anti-4He.[11][12]

Eine rund fünfzigköpfige Gruppe um den Amerikaner Jeffrey Hangst, Physikprofessor an der Universität Aarhus in Dänemark, hat 2023 im Rahmen der Alpha-Kollaboration am CERN nachgewiesen, dass auch Antimaterie der Schwerkraft unterliegt, was zuvor empirisch offen war.[13][14]

Energiebilanz bei Reaktionen

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Die Vernichtung (Annihilation) setzt die bei der Paarbildung als Masse gespeicherte Energie wieder frei. Bei der Elektron-Positron-Annihilation tritt diese als elektromagnetische Strahlung auf, im Fall schwerer Teilchen (Proton-Antiproton) teilweise auch in Form anderer Teilchen mit hoher Bewegungsenergie. Dabei wird die gesamte Masse des Teilchen-Antiteilchen-Paares umgesetzt und nicht nur, wie bei Kernspaltung und Kernfusion, ein kleiner Bruchteil (siehe Massendefekt). Die Annihilation einer gegebenen Masse bestehend je zur Hälfte aus Materie und aus Antimaterie würde reichlich hundert Mal mehr Energie freisetzen als die Reaktion einer gleich großen Masse von Fusionsreaktor-Brennstoff. Beispielsweise würde die Annihilation eines Wasserstoffatoms mit einem Anti-Wasserstoffatom die Energie 1,88 GeV liefern; die Fusion eines Deuteriumkerns mit einem Tritiumkern liefert dagegen nur 17,6 MeV, also etwa ein Hundertstel.

Wegen dieser hohen Energiedichte ist über Nutzungen von Antimaterie (in Form von Positronen) für Waffenzwecke nachgedacht worden.[15] In der Raumfahrt wurde mehrfach über den möglichen Nutzen für Antriebssysteme diskutiert.[16][17] Wissenschaftler an der Pennsylvania State University untersuchten in den Projekten AIMStar und ICAN-II in den 1990er Jahren theoretische Konzepte.[18][19] Bislang gibt es jedoch kein realistisches Konzept, wie für solche technischen Zwecke genügende Mengen von Antimaterie hergestellt, gelagert und transportiert werden könnten. Am CERN wird für das Jahr 2023 ein Antimaterie-Transport per LKW über eine Distanz von einigen hundert Metern geplant.[20][21]

Eine Energie-Ressource kann Antimaterie niemals sein, denn in nutzbarer Form kommt sie im Universum nicht vor, und ihre künstliche Herstellung erfordert mindestens die Energie, die aus ihr wieder gewonnen werden könnte.

Antimaterie im Universum

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Die bisherigen Experimente und Theorien ergeben weitgehend identisches Verhalten von Materie und Antimaterie (siehe CP-Verletzung). Demnach sind nach dem heißen und dichten Anfangszustand des Universums, dem Urknall, Materie und Antimaterie in näherungsweise gleichen Mengen entstanden und kurz darauf wieder durch gegenseitige Vernichtung „zerstrahlt“ worden.[22]

Andererseits zeigen aber alle bisherigen Beobachtungen im Kosmos nur die „normale“ Materie.[23] Sie muss das Überbleibsel eines geringen Ungleichgewichts zu Beginn des Universums sein. Frühere Vermutungen, dass das Universum in einigen Bereichen mit Materie, in anderen mit Antimaterie gefüllt sei, gelten heute als unwahrscheinlich. Es wurde bislang keine Annihilationsstrahlung, die an den Grenzgebieten entstehen sollte, nachgewiesen. Die direkte Suche nach Anti-Helium-Atomkernen in der kosmischen Strahlung, die 1998 mit einem Alpha-Magnet-Spektrometer an Bord eines Space Shuttle erfolgte, blieb ergebnislos: es wurden etwa drei Millionen Heliumkerne nachgewiesen, darunter befand sich aber kein einziger Antikern.[24]

Der Vergleich von Modellrechnungen im Rahmen der Urknalltheorie und astronomischen Messdaten (primordiale Nukleosynthese, WMAP) spricht dafür, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie anfangs fast 1 zu 1 war. Ein winziges Ungleichgewicht – etwa 1 Teilchen Überschuss auf 1 Milliarde Teilchen-Antiteilchen-Paare – bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist. Dieses Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie ist eine der Voraussetzungen für die Stabilität des Universums und somit auch für das Leben auf der Erde. Bei genauem Gleichgewicht wären Materie und Antimaterie im Verlauf der Abkühlung des Universums vollständig in Strahlung umgewandelt worden.

Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist eines der großen Rätsel der Elementarteilchenphysik und Kosmologie; es wird vermutet, dass erst vereinheitlichende Theorien (beispielsweise Stringtheorie, M-Theorie, Supersymmetrie) diese ungleiche Verteilung zufriedenstellend erklären werden. Eine der Voraussetzungen für ein Übergewicht von Materie ist die CP-Verletzung (siehe Baryogenese). Diese wurde zuerst bei Kaonen in den 1960er Jahren entdeckt. In den 1990er Jahren wurden am SLAC in den USA 200 Millionen B-Meson-Anti-B-Meson-Paare erzeugt und untersucht, wie diese wieder zerfallen. Bei der Auswertung wurde festgestellt, dass die B-Mesonen etwa zweimal seltener in ein Pion und ein Kaon zerfallen als ihre Antiteilchen. Beim vorher untersuchten Kaonensystem lag der Unterschied bei vier zu einer Million.

Antimaterie in der Science-Fiction

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Antimaterie kommt in vielen Romanen und Filmen vor, wo ihre physikalischen Eigenschaften von den wirklichen abweichen können. In der Welt von Star Trek dient eine Materie-Antimaterie-Reaktion als Energiequelle für den fiktiven Warp-Antrieb zur Erzeugung einer Warpblase und auch als Waffe. In der Heftromanserie Perry Rhodan wird Antimaterie vielfältig benutzt, etwa um Gravitations-Schockwellen abzustrahlen und so eine Nachricht zu übermitteln, vor allem aber als Basis für fortgeschrittene Waffensysteme und zur Energieerzeugung. Im Roman Illuminati von Dan Brown haben fiktive Wissenschaftler des CERN sichtbare Mengen der Substanz hergestellt und längerfristig in einer Magnetfalle gelagert.

Commons: Antimaterie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Antimaterie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. S. Sahoo, R. K. Agrawalla, M. Goswami: Antimatter in the Universe. (Memento vom 30. Juni 2007 im Internet Archive) (PDF; 72 kB)
  2. P. A. M. Dirac: The quantum theory of the electron. In: Proceedings of the Royal Society. Bd. 117, 1928, S. 610, Bd. 118, S. 351.
  3. Edward Robert Harrison: Cosmology: the science of the universe. 2. Auflage. Cambridge University Press, 2000, ISBN 0-521-66148-X, S. 266, 433. (online in der Google-Buchsuche, abgerufen am 30. September 2009)
  4. Beschreibung des Experiments
  5. G. B. Andresen u. a.: Trapped antihydrogen. In: Nature. 17. November 2010. doi:10.1038/nature09610 (englisch)
  6. Speicher für Antimaterie. bei: heise online. vom 18. November 2010.
  7. M. Ahmadi, B. X. R. Alves, C. J. Baker, W. Bertsche, E. Butler, A. Capra, C. Carruth, C. L. Cesar, M. Charlton, S. Cohen, R. Collister, S. Eriksson, A. Evans, N. Evetts, J. Fajans, T. Friesen, M. C. Fujiwara, D. R. Gill, A. Gutierrez, J. S. Hangst, W. N. Hardy, M. E. Hayden, C. A. Isaac, A. Ishida, M. A. Johnson, S. A. Jones, S. Jonsell, L. Kurchaninov, N. Madsen, M. Mathers, D. Maxwell, J. T. K. McKenna, S. Menary, J. M. Michan, T. Momose, J. J. Munich, P. Nolan, K. Olchanski, A. Olin, P. Pusa, C. Ø. Rasmussen, F. Robicheaux, R. L. Sacramento, M. Sameed, E. Sarid, D. M. Silveira, S. Stracka, G. Stutter, C. So, T. D. Tharp, J. E. Thompson, R. I. Thompson, D. P. van der Werf, J. S. Wurtele: Observation of the 1S–2S transition in trapped antihydrogen. In: Nature. Accelerated Article Preview Published, 19. Dezember 2016, ISSN 1476-4687, doi:10.1038/nature21040.
  8. CERN, Makoto C. Fujiwara u. a.: Cornell University Library: Confinement of antihydrogen for 1000 seconds. arxiv:1104.4982 (englisch).
  9. Markus Becker: Physik-Rekord – Forscher fangen Antimaterie minutenlang ein. Abgerufen am 4. Mai 2011.
  10. Welt der Physik: Rekord für schwersten Atomkern aus Antimaterie. 21. August 2024, abgerufen am 21. August 2024.
  11. Nina Weber: Forscher erzeugen Rekord-Antimaterie. Teilchenphysik-Durchbruch. In: Spiegel Online. 24. April 2011, abgerufen am 25. April 2011.
  12. The STAR Collaboration. Observation of the antimatter helium-4 nucleus. Nature 473, 353–356 (2011). doi:10.1038/nature10079
  13. Ulf von Rauchhaupt, Gravitation: Auch Antimaterie fällt nach unten, faz.net vom 27. September 2023
  14. Observation of the effect of gravity on the motion of antimatter, Nature 621, 716–722 (2023) vom 27. September 2023
  15. Keay Davidson: Air Force pursuing antimatter weapons / Program was touted publicly, then came official gag order. (Memento vom 9. Juni 2012 im Internet Archive) In: San Francisco Chronicle. 4. Oktober 2004. (englisch)
  16. Reaching for the Stars; Far Out Space Propulsion Conference Blasts Off science.nasa.gov, abgerufen am 25. Mai 2012.
  17. antimatter propulsion daviddarling.info
  18. Antimatter propulsion at Penn State University (Memento vom 28. Juli 2012 im Webarchiv archive.today); AIMStar, ICAN-II, en.wp
  19. K. F. Long: Deep Space Propulsion: A Roadmap to Interstellar Flight. Springer, 2011, S. 229 ff. (online in der Google-Buchsuche, abgerufen am 25. Mai 2012)
  20. The PUMA project: Antimatter goes nomad. Abgerufen am 8. Juni 2021 (englisch).
  21. PUMA. 23. März 2023, abgerufen am 19. Mai 2023 (englisch).
  22. Kellenbauer: Antimaterie im Labor. Physik Journal, S. 27 (pro-physik.de).
  23. L. Canetti: Matter and Antimatter in the Universe. In: New J. Phys. 14. Jahrgang, Nr. 9, 2012, S. 095012, doi:10.1088/1367-2630/14/9/095012, arxiv:1204.4186, bibcode:2012NJPh...14i5012C.
  24. J. Alcaraz, D. Alvisi, B. Alpat, G. Ambrosi, H. Anderhub: Search for antihelium in cosmic rays. In: Physics Letters B. Band 461, Nr. 4, September 1999, S. 387–396, doi:10.1016/S0370-2693(99)00874-6 (elsevier.com [abgerufen am 11. Mai 2020]).