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„Vergentis in senium“ – Versionsunterschied

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'''Vergentis in senium''' ist eine am [[25. März]] [[1199]] von Papst [[Innozenz III. (Papst)|Innozenz III.]] erlassene [[Dekretal|Dekretale]]. Sie war an die Kleriker, die Konsuln und insbesondere auch an die Leute in [[Viterbo]], einer Stadt im [[Kirchenstaat|Patrimonium Petri]], gerichtet, mit dem Ziel, die Ketzer in den Schoß der Kirche zurückzuführen.
'''Vergentis in senium''' ist eine am [[25. März]] [[1199]] von Papst [[Innozenz III.]] erlassene [[Dekretale]]. Sie war an den [[Klerus]], die Konsuln und insbesondere auch an die Bürger von [[Viterbo]], einer Stadt im [[Kirchenstaat|Patrimonium Petri]], gerichtet, mit dem Ziel, die [[Ketzer]] in den Schoß der [[katholische Kirche|Kirche]] zurückzuführen.


„''In den Gebieten, die unserer weltlichen Rechtssprechung unterworfen sind, ordnen wir die Konfiskation der Güter der Begünstiger, Beherberger, Verteidiger und Anhänger [von Ketzern] an ... Auf diese Weise führt die weltliche Strafe sie zurück, die die kirchliche Disziplin nicht zur Vernunft bringt ... um wie viel mehr müssen dann diejenigen ihrer weltlichen Güter beraubt werden, die durch den Abfall vom rechten Glauben Gottes Sohn Jesus Christus beleidigt haben und [daher] vom Haupt unserer Kirche, das Christus ist, durch kirchliche Strenge getrennt werden.''“ (Hagender 1979)
:„In den Gebieten, die unserer weltlichen Rechtsprechung unterworfen sind, ordnen wir die Konfiskation der Güter der Begünstiger, Beherberger, Verteidiger und Anhänger [von Ketzern] an … Auf diese Weise führt die weltliche Strafe sie zurück, die die kirchliche Disziplin nicht zur Vernunft bringt … um wie viel mehr müssen dann diejenigen ihrer weltlichen Güter beraubt werden, die durch den Abfall vom rechten Glauben Gottes Sohn Jesus Christus beleidigt haben und [daher] vom Haupt unserer Kirche, das Christus ist, durch kirchliche Strenge getrennt werden.“ (Hagender 1979)


Die Dekretale zeichnet sich demnach durch unübersehbare Härte aus. Druck, Isolation und harte Strafen sollten jene treffen, die ihr „Unrecht“ nicht einsehen wollten. Ein etwas genauerer Blick auf die Dekretale lässt allerdings erkennen, dass der Papst hier eigentlich auf Viterbo abzielen wollte.
Die Dekretale zeichnet sich demnach durch unübersehbare Härte aus. Druck, Isolation und harte Strafen sollten jene treffen, die ihr „Unrecht“ nicht einsehen wollten. Ein etwas genauerer Blick auf die Dekretale lässt allerdings erkennen, dass der Papst hier eigentlich auf Viterbo abzielen wollte.


Gegen den Willen Innozenz III. hatte sich die Kommune Viterbo 1198 dem Tuskenbund angeschlossen. Im folgenden Jahr 1199 stand Viterbo dann im offenen Kampf mit der Kommune Rom. Viterbo unterlag in den Auseinandersetzungen und musste seit 1200 [[Exkommunikation]] und [[Interdikt]] erdulden. ''Vergentis in senium'' wurde nun dafür genutzt, die autonome Macht von Viterbo zu brechen.
Gegen den Willen Innozenz’ III. hatte sich die Kommune Viterbo 1198 dem [[Tuszien|Tuskenbund]] angeschlossen. Im folgenden Jahr 1199 stand Viterbo dann im offenen Kampf mit der Kommune Rom. Viterbo unterlag in den Auseinandersetzungen und musste seit 1200 [[Exkommunikation]] und [[Interdikt (Kirchenrecht)|Interdikt]] erdulden. ''Vergentis in senium'' wurde nun dafür genutzt, die autonome Macht von Viterbo zu brechen.


Die Ketzerei betreffend, sollte bei Delikten die Infamie verhängt werden. Dies bedeutete den Verlust des aktiven wie des passiven Wahlrechts, den Verlust des Bürgerrechts und das Unvermögen, öffentlich Ämter auszuüben. Den Besitz der Häretiker galt es zu konfiszieren. Auffällig sind die Parallelen zur Bulle Lucius III. "Ad abolendam" von 1184. Neu ist bei Innozenz, dass auch die Söhne nicht auf den konfiszierten Besitz zurückgreifen können.
Die Ketzerei betreffend, sollte bei Delikten die [[Infamie]] verhängt werden. Dies bedeutete den Verlust des aktiven wie des passiven Wahlrechts, den Verlust des Bürgerrechts und das Unvermögen, öffentlich Ämter auszuüben. Den Besitz der Häretiker galt es zu konfiszieren. Auffällig sind die Parallelen zur Bulle Lucius’ III. ''[[Ad Abolendam|Ad abolendam]]'' von 1184. Neu ist bei Innozenz, dass auch die Söhne nicht auf den konfiszierten Besitz zurückgreifen können. Überdies wurde in ''Vergentis in senium'' erstmals das Verbrechen der [[Häresie]] in Anlehnung an das weltliche Recht jenem der [[Majestätsbeleidigung]] gleichgesetzt. Aufgrund dieser Bestimmungen gilt die Dekretale als wichtiges Dokument in der Entstehungsgeschichte der [[Inquisition]].


Der Empfängerkreis wird deutlich. Es sollte die besitzenden Kreise treffen und nicht die Unterschichten - die besitzenden Kreise in den Städten. Dies ist nun jener Teil der Dekretale, welchen der Papst gezielt gegen die Autonomiebestrebungen der Kommune einsetzen konnte (sowie später auch gegen die Kommune [[Orvieto]]).
Der Empfängerkreis wird deutlich. Es sollte nicht die Unterschichten, sondern die besitzenden Kreise in den Städten treffen. Dies ist jener Teil der Dekretale, welchen der Papst gezielt gegen die Autonomiebestrebungen Viterbos sowie später auch gegen die Kommune [[Orvieto]] einsetzen konnte.


Die Bedeutung Innozenz bei der Ketzerverfolgung kann kaum überschätzt werden. Er schuf die rechtliche Basis und suchte, durch Strafandrohungen den weltlichen Arm miteinzubeziehen.
Die Bedeutung Innozenz’ bei der Ketzerverfolgung kann kaum überschätzt werden. Er schuf die rechtliche Basis und suchte durch Strafandrohungen den weltlichen Arm miteinzubeziehen.


==Literatur==
== Literatur ==


*Malcolm Lambert: ''The Cathars'', Blackwell, Oxford 1998, ISBN 063120959X
* Malcolm Lambert: ''The Cathars.'' Blackwell, Oxford u. a. 1998, ISBN 0-631-20959-X.
*Othmar Hageneder, Werner Maleczek u. Alfred Strnad [Bearb.]: ''Die Register Innocenz' III.'', Bd. 2,1: Pontifikatsjahr, 1199/1200, Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom, Rom/Wien 1979
* [[Othmar Hageneder]], [[Werner Maleczek]], Alfred Strnad: ''Die Register Innocenz’ III.'' Band 2, 2: ''Pontifikatsjahr, 1199/1200. Texte.'' Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1979, ISBN 3-7001-0291-7 (''Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom.'' 2. Abteilung: ''Quellen.'' 1. Reihe).
* Peter Segl [Hrsg.]: ''Bayreuther Historische Kolloquien. Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich'', Bd. 7, Böhlau, Köln 1993, ISBN 3412033928
* Peter Segl (Hrsg.): ''Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich.'' Böhlau, Köln u. a. 1993, ISBN 3-412-03392-8 (''Bayreuther Historische Kolloquien'' 7).
* Leandro Duarte Rust: ''[https://www.revistas.usp.br/revhistoria/article/viewFile/48532/52451 Bulas Inquisitoriais: Ad Abolendam (1184) e Vergentis in Senium (1199)].'' Revista de História, São Paulo, n. 166 (2012), S. 129–161. Enthält den lateinischen Text mit portugiesischer Übersetzung.


[[Kategorie:Päpstliche Bulle]]
[[Kategorie:Religion (Viterbo)]]
[[Kategorie:Dekretale]]
[[Kategorie:Innozenz III.]]
[[Kategorie:1199]]
[[Kategorie:Häresiegeschichte (Mittelalter)]]
[[Kategorie:Rechtsquelle (12. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Christentum (Latium)]]

Aktuelle Version vom 6. November 2022, 09:31 Uhr

Vergentis in senium ist eine am 25. März 1199 von Papst Innozenz III. erlassene Dekretale. Sie war an den Klerus, die Konsuln und insbesondere auch an die Bürger von Viterbo, einer Stadt im Patrimonium Petri, gerichtet, mit dem Ziel, die Ketzer in den Schoß der Kirche zurückzuführen.

„In den Gebieten, die unserer weltlichen Rechtsprechung unterworfen sind, ordnen wir die Konfiskation der Güter der Begünstiger, Beherberger, Verteidiger und Anhänger [von Ketzern] an … Auf diese Weise führt die weltliche Strafe sie zurück, die die kirchliche Disziplin nicht zur Vernunft bringt … um wie viel mehr müssen dann diejenigen ihrer weltlichen Güter beraubt werden, die durch den Abfall vom rechten Glauben Gottes Sohn Jesus Christus beleidigt haben und [daher] vom Haupt unserer Kirche, das Christus ist, durch kirchliche Strenge getrennt werden.“ (Hagender 1979)

Die Dekretale zeichnet sich demnach durch unübersehbare Härte aus. Druck, Isolation und harte Strafen sollten jene treffen, die ihr „Unrecht“ nicht einsehen wollten. Ein etwas genauerer Blick auf die Dekretale lässt allerdings erkennen, dass der Papst hier eigentlich auf Viterbo abzielen wollte.

Gegen den Willen Innozenz’ III. hatte sich die Kommune Viterbo 1198 dem Tuskenbund angeschlossen. Im folgenden Jahr 1199 stand Viterbo dann im offenen Kampf mit der Kommune Rom. Viterbo unterlag in den Auseinandersetzungen und musste seit 1200 Exkommunikation und Interdikt erdulden. Vergentis in senium wurde nun dafür genutzt, die autonome Macht von Viterbo zu brechen.

Die Ketzerei betreffend, sollte bei Delikten die Infamie verhängt werden. Dies bedeutete den Verlust des aktiven wie des passiven Wahlrechts, den Verlust des Bürgerrechts und das Unvermögen, öffentlich Ämter auszuüben. Den Besitz der Häretiker galt es zu konfiszieren. Auffällig sind die Parallelen zur Bulle Lucius’ III. Ad abolendam von 1184. Neu ist bei Innozenz, dass auch die Söhne nicht auf den konfiszierten Besitz zurückgreifen können. Überdies wurde in Vergentis in senium erstmals das Verbrechen der Häresie in Anlehnung an das weltliche Recht jenem der Majestätsbeleidigung gleichgesetzt. Aufgrund dieser Bestimmungen gilt die Dekretale als wichtiges Dokument in der Entstehungsgeschichte der Inquisition.

Der Empfängerkreis wird deutlich. Es sollte nicht die Unterschichten, sondern die besitzenden Kreise in den Städten treffen. Dies ist jener Teil der Dekretale, welchen der Papst gezielt gegen die Autonomiebestrebungen Viterbos sowie später auch gegen die Kommune Orvieto einsetzen konnte.

Die Bedeutung Innozenz’ bei der Ketzerverfolgung kann kaum überschätzt werden. Er schuf die rechtliche Basis und suchte durch Strafandrohungen den weltlichen Arm miteinzubeziehen.

  • Malcolm Lambert: The Cathars. Blackwell, Oxford u. a. 1998, ISBN 0-631-20959-X.
  • Othmar Hageneder, Werner Maleczek, Alfred Strnad: Die Register Innocenz’ III. Band 2, 2: Pontifikatsjahr, 1199/1200. Texte. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1979, ISBN 3-7001-0291-7 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom. 2. Abteilung: Quellen. 1. Reihe).
  • Peter Segl (Hrsg.): Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich. Böhlau, Köln u. a. 1993, ISBN 3-412-03392-8 (Bayreuther Historische Kolloquien 7).
  • Leandro Duarte Rust: Bulas Inquisitoriais: Ad Abolendam (1184) e Vergentis in Senium (1199). Revista de História, São Paulo, n. 166 (2012), S. 129–161. Enthält den lateinischen Text mit portugiesischer Übersetzung.