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„Nürnberger Gesetze“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Lösener-Knost Die Nürnberger Gesetze 1936 Einband.jpg|mini|Der Kommentar von [[Bernhard Lösener]] und [[Friedrich August Knost]] zu den Nürnberger Gesetzen hatte von 1936 bis 1942 fünf Auflagen]]
Die '''Nürnberger Gesetze''', auch '''Nürnberger Rassengesetze''', wurden am [[15. September]] [[1935]] vom Reichstag auf dem 7. Reichsparteitag der [[NSDAP]] (''„[[Reichsparteitage|Reichsparteitag]] der Freiheit“'') in Nürnberg einstimmig beschlossen. Mit ihnen stellten die [[Nationalsozialisten]] ihre [[Antisemitismus|antisemitische]] Ideologie auf eine juristische Grundlage.
'''Nürnberger Gesetze''' ist ein Sammelbegriff für das ''Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre''<ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1288&size=45 RGBl. I S. 1146]</ref> und das ''Reichsbürgergesetz'',<ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1288&size=45 RGBl. I S. 1146]</ref> die während des [[Reichsparteitag]]s der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] im Saal des [[Industrie- und Kulturverein Nürnberg|Industrie- und Kulturvereins Nürnberg ]] am 15. September 1935 vom [[Reichstag (Zeit des Nationalsozialismus)|Reichstag]] verabschiedet wurden. Der Reichstag war eigens zu diesem Zweck telegrafisch nach [[Nürnberg]] einberufen worden.
Sie enthielten das
* ''Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre'' (''[[Rassenschande|Blutschutzgesetz]]''),
* das ''[[Reichsbürgergesetz]]'',
* und das ''[[Reichsflaggengesetz]]''.


Ebenfalls am 15. September 1935 wurde das [[Reichsflaggengesetz]],<ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1287&size=45 RGBl. I S. 1145]</ref> verabschiedet, das die [[Hakenkreuz]]fahne zur Reichs- und Nationalflagge erklärte, und Personen [[Juden|jüdischen]] Glaubens oder auch nur jüdischer Abstammung die Verwendung verbot.<ref>Maximilian Becker: [https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/N%C3%BCrnberger_Gesetze ''Nürnberger Gesetze.''] [[Historisches Lexikon Bayerns]], 21. Juli 2020.</ref>
== „Blutschutzgesetz“ ==
Zur „Verdreckung der deutschen Brillen“, einem zentralen Bestandteil der nationalsozialistischen [[Ideologie]], verbot das ''Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre'' die [[Ehe]]schließung zwischen [[Jude]]n und [[Nichtjuden]] sowie den außerehelichen sex
zwischen ihnen. Als Strafe für sogenannte [[Rassenschande]] drohten Gefängnis und Zuchthaus. Die Strafdrohung für den außerehelichen [[Geschlechtsverkehr]] zwischen Juden und Nichtjuden richtete sich nur gegen caro, die stinkt.


Alle drei Gesetze wurden im [[Reichsgesetzblatt]] vom 16. September 1935 mit dem Zusatz „Nürnberg, den 15. September 1935, am Reichsparteitag der Freiheit“ verkündet. Sie wurden durch das alliierte [[Kontrollratsgesetz Nr. 1]] vom 20. September 1945 aufgehoben.
Es wird oft behauptet, letztere Bestimmung ginge auf eine persönliche Eingebung [[Adolf Hitler]]s zurück und zeuge von seinem Frauenbild, das die Frau als sexuell unmündig begreife. Eine nachvollziehbarere Begründung liefert der Kommentar von [[Wilhelm Stuckart]] und [[Hans Globke]]: Zur Überführung sei meist die Aussage der beteiligten Frau erforderlich und dieser stünde bei Straffreistellung ein Aussageverweigerungsrecht nicht mehr zu.


== „Reichsparteitag der Freiheit“ im September 1935 ==
Juden wurde es ferner untersagt, „deutschblütige“ Dienstmädchen unter 45 Jahren zu beschäftigen; Hintergrund war die ideologische Unterstellung, „der Jude“ würde sich sonst an diesen vergehen.
Der siebte Reichsparteitag („Reichsparteitag der Freiheit“) fand vom 10. bis zum 16. September 1935 in Nürnberg statt. Er sollte ursprünglich die Einführung der Wehrpflicht und die Befreiung von den einschränkenden Bestimmungen des [[Friedensvertrag von Versailles|Versailler Vertrags]] propagandistisch herausstellen. Daher erklärt sich der Titel „Reichsparteitag der Freiheit“.<ref>{{Internetquelle |autor=War documentary |url=https://war-documentary.info/nazi-party-rally-grounds-nuremberg/ |titel=Nazi Party Rally Grounds in Nuremberg |abruf=2024-07-06}}</ref>


Am 12. September, dem dritten Tag des Parteitags, kündigte [[Reichsärzteführer]] [[Gerhard Wagner (Mediziner)|Gerhard Wagner]] überraschend an, der nationalsozialistische Staat werde in Kürze durch ein „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes“ die weitere Vermischung von Juden und „Ariern“ verhindern.<ref name="Gruchmann" >[[Lothar Gruchmann]]: [https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/533601/blutschutzgesetz-und-justiz-entstehung-und-anwendung-des-nuernberger-gesetzes-vom-15-september-1935/ ''„Blutschutzgesetz“ und Justiz. Entstehung und Anwendung des Nürnberger Gesetzes vom 15. September 1935.''] [[Aus Politik und Zeitgeschichte]], 30. November 1985.</ref> Adolf Hitler erweiterte den Auftrag und ließ umgehend über den Reichsinnenminister [[Wilhelm Frick]] den Abteilungsleiter [[Wilhelm Stuckart]] und den Leiter des „Staatsangehörigkeitsreferates“ im Reichsinnenministerium, [[Bernhard Lösener]], und andere Verwaltungsfachleute entsprechende Gesetzesentwürfe ausarbeiten.<ref>{{Internetquelle |autor=Michael Berenbaum |url=https://www.britannica.com/topic/Nurnberg-Laws#ref73903 |titel=Nürnberg Laws |abruf=2024-07-06}}</ref> Da einige von ihnen aus Berlin anreisen mussten, konnte sich die Arbeitsgruppe erst am folgenden Abend in Nürnberg konstituieren. Wegen des Zeitdrucks verzichteten die zuständigen Minister auf Vorgaben und überließen es den Ministerialbeamten, Gesetzentwürfe auszuarbeiten.
Kurz darauf wurde am 14. November 1935 in einer ''„Ersten Verordnung zum Blutschutzgesetz“'' festgeschrieben, dass „Halbjuden“, die der jüdischen Kultusgemeinde angehörten, weder „Deutschblütige“ noch „Vierteljuden“ ehelichen durften. „Vierteljuden“ und „Deutschblütige“ durften heiraten. Dahinter stand die Überlegung, das „rassisch kostbare arische Blut“ zu bewahren, während der geringe jüdische Blutsanteil im Laufe der Generationen verblassen würde. Ungeklärt blieb die Einstufung der Kategorie von „Halbjuden“ mit christlichem Glaubensbekenntnis, die als „jüdische Mischlinge ersten Grades“ bezeichnet wurden. Ihre Anträge auf eine Heiratsgenehmigung mit „Vierteljuden“ oder „Deutschblütigen“ blieben meist erfolglos und wurden nach 1942 nicht mehr angenommen.


Wagner, der sich in Nürnberg ständig bei Hitler aufhielt, wollte eine Zwangsscheidung von „[[Mischehe (Nationalsozialismus)|Mischehen]]“ und [[Heiratsverbot]] auch für Vierteljuden einführen, während die Ministerialbürokraten auf Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung hinwiesen. Hitler selbst entschied sich schließlich für den milderen Gesetzentwurf; er konnte sich damit als gemäßigter Staatsmann darstellen, der seine Partei im Griff habe, und er vermied voraussehbare Konflikte mit der [[Römisch-katholische Kirche in Deutschland|katholischen Kirche]].
== Reichsflaggengesetz ==

Außerdem wurde Juden verboten, die durch das Reichsflaggengesetz vom [[Reichstag]] zur Reichsflagge erklärte [[Hakenkreuz]]flagge zu hissen. Zuwiderhandlung war mit Geld- oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht. - Durch das Verbot sollte verhindert werden, dass jüdische Firmen sich durch Flaggenschmuck "tarnen" konnten.
Zwar wurde der Begriff des ''Ariers'' wegen der Unklarheiten bei seiner Bestimmung in der Gesetzgebung durch den des ''deutschen oder artverwandten Blutes'' abgelöst.<ref>[[Benjamin Ortmeyer]]: ''Indoktrination. Rassismus und Antisemitismus in der Nazi-Schülerzeitschrift „Hilf mit!“ (1933–1944).'' Beltz-Verlag, 2012, S. 14, ISBN 978-3-7799-2889-8.</ref> Wesentliche Inhalte der Nürnberger Gesetze blieben damit aber entgegen dem Anschein einer genaueren Regelung unbestimmt und konnten willkürlich ausgelegt werden.

== {{Anker|Blutschutzgesetz}} Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre ==
[[Datei:Blutschutzgesetz.jpg|mini|Das „Blutschutzgesetz“]]
[[Datei:Nuremberg laws Racial Chart.jpg|mini|Bildtafel zu den Nürnberger Gesetzen (1935)]]

Das ''Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre'' („Blutschutzgesetz“) war nach seiner Präambel „durchdrungen von der Erkenntnis, dass die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes ist“, dem zentralen Ziel der [[Nationalsozialistische Rassenhygiene|nationalsozialistischen Rassenhygiene]]. Es verbot deshalb die [[Trauung|Eheschließung]] sowie den außerehelichen [[Geschlechtsverkehr]] zwischen [[Juden]] und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Dennoch geschlossene Ehen waren nichtig, die Ehegatten wurden mit Zuchthaus bestraft. Männer, die gegen das Verbot zum außerehelichen Verkehr verstießen, wurden außerdem wegen „[[Rassenschande]]“ mit [[Gefängnis]] oder [[Zuchthaus]] bestraft.

Diese Bestimmung wurde oft [[Adolf Hitler]] persönlich zugeschrieben. Sie zeuge von [[Frauen im Nationalsozialismus|seinem Frauenbild]], nach dem die Frau sexuell unmündig sei. Auch eine von Hitler gewünschte Ergänzungsverordnung vom 16. Februar 1940, nach der die Frau trotz des Vorwurfs der Begünstigung ausdrücklich straffrei bleiben sollte, weist in diese Richtung.<ref>[[Lothar Gruchmann]]: „‚Blutschutzgesetz‘ und Justiz …“, in: '' [[Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte]]'' 31 (1983), S. 441 ([http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1983_3_3_gruchmann.pdf ifz-muenchen PDF]).</ref> Die Juristen [[Wilhelm Stuckart]] und [[Hans Globke]] liefern in ihrem Gesetzeskommentar<ref name="SG">Stuckart-Globke: ''Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung.'' Band 1, München und Berlin 1936 – 1b, Zitat S. 18/19.</ref> von 1936 eine rein praktische Begründung: Zur Überführung sei meist die Aussage der beteiligten Frau erforderlich, der bei Straffreistellung ein [[Auskunftsverweigerungsrecht]] nicht mehr zustehe.

§ 3 des Gesetzes, der erst zum 1. Januar 1936 in Kraft trat, untersagte es Juden, weibliche „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ unter 45 Jahren in ihrem Haushalt zu beschäftigen. Dahinter stand die Unterstellung, „der Jude“ werde sich sonst an diesen vergehen.

Kurz nach der Verabschiedung der Rassengesetze wurde am 14. November 1935 in einer ''Ersten Verordnung'' zum Blutschutzgesetz (RGBl. I S. 1334&nbsp;f.) festgeschrieben, dass „[[Jüdischer Mischling|jüdische Mischlinge]] mit zwei jüdischen Großeltern“ nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des [[Reichsausschuss zum Schutze des deutschen Blutes|Reichsausschusses zum Schutze des deutschen Blutes]] „Deutschblütige“ oder „jüdische Mischlinge mit einem jüdischen Großelternteil“ ehelichen durften. Entsprechende Anträge blieben jedoch meist erfolglos; nach 1942 wurden sie „für die Dauer des Krieges“ nicht mehr angenommen. [[Ehe]]n zwischen zwei „Vierteljuden“ ''sollten'' nicht geschlossen werden.<ref>[[Otto Palandt]] (Herausgeber): ''Bürgerliches Gesetzbuch'', 2. Auflage, [[C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung]], München und Berlin 1939, S. 1202.</ref> „Vierteljuden“ und „Deutschblütige“ dagegen durften heiraten. Dahinter stand das rassistische Paradigma, „deutsches und artverwandtes Blut“ zu bewahren. Ein §&nbsp;6 der ''Ersten Verordnung'' weitete das Eheverbot auf andere Gruppen aus: Es sollten grundsätzlich alle Ehen unterbleiben, die die „Reinerhaltung des deutschen Blutes“ gefährdeten.<ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=1480&size=45 Erste Verordnung (Schutz Blut und Ehre), 14. November 1935], Deutsches Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1935, Teil I, S. 1334–1336. Österreichische Nationalbibliothek</ref> Ein Rundschreiben zählte dazu „[[Zigeuner]], [[Neger]] und ihre [[Bastard]]e“ auf.<ref>[[Saul Friedländer]]: ''Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939''. München 2000, ISBN 3-406-43506-8, [http://books.google.de/books?id=gwBb9eQjvIwC&pg=PA170 S. 170].</ref>

§&nbsp;4 des Gesetzes verbot den Juden, die Reichs- und Nationalflagge zu hissen oder die Reichsfarben zu zeigen. Die Strafandrohung war Gefängnis bis zu einem Jahr. Juden wurde jedoch „das Zeigen der jüdischen Farben“ gestattet.

Bereits im Februar 1935 hatte die [[Geheime Staatspolizei|Gestapo]], zu dieser Zeit noch ohne gesetzliche Grundlage, den Juden die Verwendung der Hakenkreuz-Fahne verboten; im April folgte ein entsprechender Erlass des [[Reichsministerium des Innern|Reichsinnenministeriums]].<ref>[[Peter Longerich]]: ''„Davon haben wir nichts gewusst.“'' München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 76.</ref> Angeblich sollte damit der Versuch jüdischer Firmen verhindert werden, sich durch Beflaggung zu tarnen und als „arisch“ auszugeben.<ref>Hans Robinsohn: ''Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in „Rassenschandefällen“ beim [[Landgericht Hamburg]] 1936–43''. Stuttgart 1977, ISBN 3-7610-7223-6, S. 10.</ref>

Einen Sonderfall stellten, aufgrund möglicher diplomatischer Verwicklungen mit dem japanischen Bündnispartner, deutsch-japanische Ehen dar.<ref>Harumi Shidehara Furuya: ''Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik'', NOAG, 157–158, 1995, 17–75, ([https://www.uni-hamburg.de/oag/noag/noag1995_2.pdf PDF]).</ref> Diese waren unerwünscht und wurden trotz mangelnder Rechtsgrundlage häufig von deutschen Stellen verhindert. Hierzu wurden nach Recherchen des Historikers Harumi Shidehara Furuya in jedem Einzelfall intensive Untersuchungen zum Hintergrund der Betroffenen – insbesondere zur diplomatischen Relevanz – durchgeführt.<ref>Harumi Shidehara Furuya: ''Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik'', NOAG, 157–158, 1995, S. 65.</ref> In Japan bemühten sich die Auslandsvertretungen, nach außen hin den Eindruck zu erwecken, Japaner seien „Ehren-Arier“, und bezeichneten den Begriff des „Ariers“ als „vielleicht wissenschaftlich nicht einwandfrei“. Praktisch bedeute „er einfach: Nichtjude“.<ref>Harumi Shidehara Furuya: ''Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik'', NOAG, 157–158, 1995, S. 64, Fn 190.</ref> Intern wies die Deutsche Botschaft in Tokio im Februar 1939 aber darauf hin, dass „eine grundsätzliche Regelung getroffen werden“ müsse, wobei „der japanische Rassenstolz und die japanische Empfindlichkeit“ geschont werden müsse.<ref>Harumi Shidehara Furuya: ''Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik'', NOAG, 157–158, 1995, S. 61, Fn 174.</ref> Hitler selbst vertrat im September 1940 die Auffassung, „daß es doch richtiger sei, im Interesse der Reinerhaltung der deutschen Rasse solche Eheschließungen in Zukunft nicht zu gestatten, selbst wenn außenpolitische Gründe für eine Genehmigung sprächen“. Der Chef der Reichskanzlei, [[Hans Heinrich Lammers]], überzeugte ihn jedoch davon, „von jetzt ab alle ähnlichen Anträge durch [[dilatorisch]]e Behandlung auf mindestens 1 Jahr zurückzustellen, um alsdann zu Ablehnungen überzugehen“. Diesem Vorschlag stimmte Hitler zu.<ref>Harumi Shidehara Furuya: ''Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik'', NOAG, 157–158, 1995, S. 59, Fn 166.</ref>

Allein bis zum Jahresende 1940 wurden 1.911 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt.<ref name="Gruchmann" />


== Reichsbürgergesetz ==
== Reichsbürgergesetz ==
[[Datei:Stuckart10.pdf|mini|[[Wilhelm Stuckart]], [[Hans Globke]]: Kommentar zum ''Reichsbürgergesetz'', ''Blutschutzgesetz'' und ''[[Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes|Ehegesundheitsgesetz]]'' (1936)]]
Im Reichsbürgergesetz wurde festgelegt, dass nur ''„[[Staatsangehörigkeit|Staatsangehörige]] deutschen oder artverwandten Blutes“'' Reichsbürger sein konnten. Das Gesetz hatte zur Folge, dass kein Jude mehr ein [[öffentliches Amt]] innehaben durfte. Die jüdischen [[Beamter|Beamten]] mussten zum [[31. Dezember]] [[1935]] den Dienst quittieren. Außerdem verloren Juden das politische Wahlrecht.
{{Hauptartikel|Reichsbürgergesetz}}

Das ''Reichsbürgergesetz'' schuf zwei Kategorien im Staatsangehörigkeitsrecht: den Staatsangehörigen, der „dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist“, und den Reichsbürger, der „der alleinige Träger der vollen [[Politische Rechte (Recht)|politischen Rechte]]“ war. Reichsbürger konnte nur „der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ sein.

Dieser müsse – zunächst – Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein und durch sein Verhalten beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Das Reichsbürgerrecht sollte durch einen Reichsbürgerbrief verliehen werden (§&nbsp;2 Abs.&nbsp;2 RBG), wozu es aber nie kam.<ref>[[Ingo von Münch]]: ''Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft.'' De Gruyter Recht, Berlin 2007, ISBN 978-3-89949-433-4, S. 65.</ref>

Auf diese Weise wurde rechtlich eine Zweiteilung vorbereitet:
# „Reichsbürger“ (§&nbsp;2 RBG), die dies allerdings nur unter der „Maßgabe der Gesetze“ sind (§&nbsp;2 Abs.&nbsp;3 RBG)
# „Staatsangehörige“ (zwar mit Verweis auf das [[Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz]] von 1913, der jedoch dem Staat „dafür besonders verpflichtet ist“ (§&nbsp;1 Abs.&nbsp;1 Halbsatz&nbsp;2 RBG)).

Die „Reichsbürgerbriefe“ (§ 2 Abs. 2 RBG) hätten selbst den Deutschen als Staatsbürger in solche, „die durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“ (§&nbsp;2 Abs.&nbsp;1 Halbsatz&nbsp;2 RBG), die also „Reichsbürger“ hätten werden können und damit „alleinige Träger der vollen politischen Rechte“ (§ 2 Abs. 3 RBG) sind – und die, die dieses nicht erreichen konnten oder wollten – klassifizieren müssen.

Von der aus diesem Gesetz vorgegebenen „Zweiteilung“ wurde praktisch nur gegen diejenigen, die nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ sind, Gebrauch gemacht: Der § 3 des Reichsbürgergesetzes ermöglichte auf dem Verwaltungsweg jedwede – juristisch-formale – Verwaltungsvorschrift zur Auslegung dieses Gesetzes mit Bezug auf Personen, die nicht „[[Staatsangehörigkeit|Staatsangehörige]] deutschen oder artverwandten Blutes“ sind.


So wurde z.&nbsp;B. den assimilierten „[[Jüdischer Mischling|jüdischen Mischlingen]]“ nur das Wahlrecht und eine „vorläufige Reichsbürgerschaft“ zugestanden. Infolge des Reichsbürgergesetzes durfte – auf dem Verordnungsweg – kein Jude mehr ein [[öffentliches Amt]] innehaben. Auch die jüdischen [[Beamtentum|Beamten]], die bislang durch das so genannte [[Frontkämpferprivileg]] im [[Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums]] 1933 von der Entlassung verschont geblieben waren, mussten zum 31. Dezember 1935 den Dienst quittieren. Außerdem verloren Juden das politische [[Wahlrecht]]. Durch weitere Verordnungen zum Reichsbürgergesetz wurde 1938 jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten die Zulassung entzogen (4. Verordnung zum RBG vom 25. Juli 1938 und 5. Verordnung zum RBG vom 30. November 1938). Bedeutsam wurde schließlich die von Hitler initiierte 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941. Deutschen Juden wurde damit die [[Deutsche Staatsangehörigkeit|Staatsangehörigkeit]] aberkannt, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland nahmen. Bei [[Deportation deutscher Juden|Deportation]] verloren Juden mit dem Grenzübertritt ihre Staatsangehörigkeit, zugleich gingen ihr gesamtes [[Eigentum]] und [[Vermögen (Wirtschaft)|Vermögen]] einschließlich ihrer Ansprüche aus Lebens- und Rentenversicherungen förmlich an den Staat über.
Die Rechtsqualität einer den jüdischen Mischlingen zugestandenen "vorläufigen Reichsbürgerschaft" blieb lange Jahre unbestimmt. Bedeutsam wurde schließlich die von Hitler initiierte 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941. Deutschen Juden wurden damit beim Verlassen des Reichsgebietes die Staatsangehörigkeit aberkannt. Bei Deportation fiel ihr beschlagnahmtes Vermögen mit dem Grenzübertritt förmlich an den Staat.


=== Einstufung ===
=== Einstufung ===
Die ''Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz'' vom 14. November 1935<ref>{{Webarchiv|url=http://www.verfassungen.de/de/de33-45/reichsbuerger35-v1.htm |wayback=20111207071001 |text=Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz (1935)}}.</ref> definierte, wer als „jüdischer Mischling“ Reichsbürger bleiben könne und wer als „Jude“ davon ausgeschlossen sei:
In einer ''Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz'' vom 14. November 1935 definierten die Nationalsozialisten, welche Personen von „teilweiser jüdischer Abstammung“ den menschenrechtswidrigen Nürnberger Gesetzen unterliegen sollten. Dort wurde geregelt, wer nach nationalsozialistischer Auffassung ''„Volljude“'' oder ''"jüdischer Mischling"'' (''„Halb“-'' oder ''„Vierteljude“'') war.
* Personen mit mindestens drei jüdischen Großeltern galten als „Volljude“.
* Personen mit mindestens drei jüdischen Großeltern galten als (Voll-)„Jude“.
* Personen mit einem jüdischen Elternteil oder zwei jüdischen Großeltern galten als „Mischling ersten Grades“ („Halbjude“)
* Personen mit einem jüdischen Elternteil oder zwei jüdischen Großeltern galten als „Mischling ersten Grades“.
* Personen mit einem jüdischen Großeltern-Teil wurden als „Mischling zweiten Grades“ eingestuft („Vierteljude“)
* Personen mit einem jüdischen Großeltern-Teil wurden als „Mischling zweiten Grades“ eingestuft.


„Mischlinge ersten Grades“, die der jüdischen Kultusgemeinde angehörten oder mit einem Juden verheiratet waren, wurden als „Juden“ eingestuft. Für sie kam später der Begriff „[[Geltungsjude]]“ auf. Alle weiteren „[[Halbjude]]n“ und „Vierteljuden“ wurden amtlich als „[[Jüdischer Mischling|jüdische Mischlinge]]“ bezeichnet.<ref>Siehe auch "Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. Juli 1938 (Reichsgesetzblatt I 809)", Quelle: [[Otto Palandt]] (Herausgeber): "[[Bürgerliches Gesetzbuch]]", 2. Auflage, [[C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung]], München und Berlin 1939, Seiten 1186 bis 1341. Hier: "Begriff des Juden und jüdischen Mischlings" im "Anhang II zu § 4 Ehegesetz", Seiten 1200 ff.</ref>
Im § 5 (2) der ''Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz'' wurden die „Mischlinge ersten Grades“ in zwei Kategorien unterteilt:
* Den "Volljuden" gleichgestellt wurden diejenigen "Mischlinge ersten Grades", die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten oder die mit einem Juden verheiratet waren. Nach dem 31. Juli 1936 geborene Kinder, die aus einer illegitimen Beziehung zwischen einem jüdischen und einem arischen Partner hervorgingen, sollten ebenfalls rechtlich als Juden gelten. - Für diesen Personenkreis kam später die Bezeichnung "[[Geltungsjude]]" auf.


=== Ausnahmebestimmungen ===
* Der ''"gesetzliche Begriff des jüdischen Mischlings"'' wurde ''"auf den nicht zum Judentum tendierenden Teil der Halbjuden und auf die Vierteljuden beschränkt".''{{Ref|ZI}} Wer als "Halbjude" in einer „[[Mischehe]]“ aufwuchs, bei der der jüdische Elternteil sich von der jüdischen Konfession losgesagt hatte, und als Kind christlich erzogen wurde, war demnach rechtlich besser gestellt als ein aus gleichen Verhältnissen stammender "Halbjude" jüdischen Glaubens: Er durfte zwar nicht Beamter oder Offizier werden, erhielt aber das "vorläufige Reichsbürgerrecht" mit dem politischen Wahlrecht. - Die vorgeblich biologisch begründete rassistische Ideologie der Nationalsozialisten widerlegt sich selbst durch diese Auslegung, an der auch der später in der Bundesrepublik als Staatssekretär amtierende Hans Globke maßgeblich mitgewirkt hatte.
{{Siehe auch|Deutschblütigkeitserklärung}}
In §&nbsp;7 der ''Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz'' behielt sich Hitler persönlich die Zustimmung für Ausnahmen vor: „Der Führer und Reichskanzler kann Befreiungen von den Vorschriften der Ausführungsverordnungen erteilen“.<ref>Diese Bestimmung war bereits in einer Besprechung über die besondere Judengesetzgebung am 20. Dezember 1934 schriftlich fixiert: Wolf Gruner (Bearb.): ''[[Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945]]'', Bd. 1. ''Deutsches Reich 1933–1937.'' München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, Dok. 146, S. 392.</ref> Der oft verkürzt zitierte Ausspruch „Wer bei mir Jude ist, bestimme ich!“ wird [[Hermann Göring]] bezüglich [[Martin Wronsky]] von der [[Luft Hansa]] zugeschrieben,<ref>siehe [[Gerd R. Ueberschär]] (Hrsg.): ''Der Nationalsozialismus vor Gericht''. Frankfurt a.&nbsp;M. 1999, ISBN 3-596-13589-3, [https://books.google.de/books?hl=de&id=QGUOAQAAMAAJ&focus=searchwithinvolume&q=Wronsky S. 89]. „Wer a Jud ist, bestimm i!“ wird auch [[Karl Lueger]] zugeschrieben; vgl. Brigitte Hamann: ''Hitlers Wien.'' München 1996, S. 417.</ref> trifft aber nicht den Sachverhalt.


Von mehr als 10.000 Anträgen zur Besserstellung, die durch mehrere Vorinstanzen geprüft und gefiltert wurden, waren nur wenige erfolgreich. Dabei waren die Teilnahme der Bittsteller am [[Erster Weltkrieg|Weltkrieg]] und politische Verdienste um die „Bewegung“, ihr „rassisches Erscheinungsbild“ und ihre charakterliche Beurteilung wesentliche Kriterien. Nur in zwei Fällen wurden „Volljuden“ begünstigt. Bis zum Jahre 1941 erreichten 260 „Mischlinge ersten Grades“ ihre Gleichstellung mit einem „Deutschblütigen“ („Bescheinigung über die Einordnung im Sinne der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“). In 1.300 Fällen wurden Bittsteller vom „Geltungsjuden“ zum „jüdischen Mischling“ umgestuft.<ref>John M. Steiner/Jobst F. v. Cornberg: „Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen“, in: ''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte'' 46 (1998), S. 149 bzw. 151 spricht von 6 % Erfolg. Beate Meyer: ''„Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945'', Hamburg 1999, ISBN 3-933374-22-7, S. 105, 108 und 157; hält höhere Zahlen für wahrscheinlich.</ref>
=== Ausnahmebestimmungen ===
Nach § 7 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz hatte sich Hitler persönlich die Zustimmung für Ausnahmen vorbehalten. Der Ausspruch ''„Wer Jude ist, bestimme ich!“'' wird [[Hermann Göring]] zugeschrieben, trifft aber nicht den Sachverhalt.


Nach einem Erlass des [[Oberkommando der Wehrmacht|Oberkommandos der Wehrmacht]] vom 8. April 1940 sollten die „Mischlinge ersten Grades“ sowie die „[[jüdisch versippt|jüdisch Versippten]]“ (die „deutschblütigen“ Ehepartner in sogenannten [[Mischehe (Nationalsozialismus)|Mischehen]]) aus der [[Wehrmacht]] entlassen werden.<ref>Beate Meyer: ''„Jüdische Mischlinge“'', ISBN 3-933374-22-7, S. 231.</ref> Ausnahmen waren ausschließlich mit persönlicher Genehmigung Hitlers bis 1942 möglich, im Ausnahmefall aber noch weiter geduldet.<ref>[[Bryan Mark Rigg]]: ''Hitlers jüdische Soldaten'', Paderborn 2003, ISBN 3-506-70115-0, bildet vor S. 1 als Dokument eine Liste „aktive[r] [[Offizier]]e, die selbst oder deren Ehefrau jüdische Mischlinge sind und vom Führer für deutschblütig erklärt wurden“ ab, bei der Ernennungen noch 1943 erfolgten.</ref> Im Juni 1944 sollten auch die „Mischlinge zweiten Grades“ vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen werden.<ref>Uwe Dietrich Adam: ''Judenpolitik im Dritten Reich''. Unveränd. Nachdruck von 1972, Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 233.</ref> Mit stillschweigender Unterstützung ihrer Vorgesetzten verblieben einige dieser für wehrunwürdig erklärten Soldaten dennoch in der Wehrmacht.<ref>Beate Meyer: ''„Jüdische Mischlinge“'', ISBN 3-933374-22-7, S.&nbsp;232&nbsp;f.; nach nicht-repräsentativer Erhebung: 4 von 43.</ref> Nach dem [[Attentat vom 20. Juli 1944]] widerrief Hitler seine Ausnahmegenehmigungen für Offiziere, die als „Mischlinge ersten Grades“ galten; zugleich wurden auch alle „jüdisch versippten“ Offiziere zum Jahresende 1944 entlassen.<ref>Uwe Dietrich Adam: ''Judenpolitik im Dritten Reich'', unveränd. Nachdruck von 1972, Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 228–233; Bryan Mark Rigg: ''Hitlers jüdische Soldaten'', Paderborn 2003, ISBN 3-506-70115-0, S. 290.</ref> In der Realität dienten einzelne Soldaten, denen frühzeitig eine „Deutschblütigkeitserklärung“ ausgestellt worden war, teilweise bis Kriegsende weiter.<ref>So etwa Kapitän z.&nbsp;S. [[Georg Langheld]], vgl. Georg F. Langheld: ''Georg Langheld. Ein jüdischer Marineoffizier in der deutschen Wehrmacht'', Berlin 2017.</ref>
Von mehr als 10.000 Anträgen, die durch mehrere Vorinstanzen geprüft und gefiltert wurden, erreichten nur 339 das gewünschte Ziel einer Besserstellung. Nur in zwei Fällen wurden Volljuden begünstigt. Selten erreichte ein "Mischling ersten Grades" seine Gleichstellung mit einem "Arier", häufiger wurde ein sogenannter „Geltungsjude“ günstiger eingestuft.


Mitglieder der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]], Mannschaften und Unterführer der [[SS]] sowie Bauern im Sinne des [[Reichserbhofgesetz]]es waren noch weit strengeren Kriterien unterworfen. Sie mussten einen Großen Ahnenpaß vulgo [[Ariernachweis#„Großer Ariernachweis“|Großer Ariernachweis]] erbringen, welcher einen durchgehend „deutschblütigen“ Stammbaum bis zum Stichjahr 1800 auswies. Für Führer der SS galt das Stichjahr 1750.
Nach einem Erlass des [[Oberkommando der Wehrmacht|Oberkommandos der Wehrmacht]] vom 8. April 1940 wurden die "Mischlinge ersten Grades" aus der Wehrmacht entlassen; Ausnahmen waren nur mit persönlicher Genehmigung Hitlers möglich. Höherrangige Mitglieder der NSDAP waren weit strengeren Kriterien unterworfen. Auch Mischlinge „fünften Grades“ wurden nicht geduldet. Ausnahmegenehmigungen hatte sich auch hier der “Führer“ selbst vorbehalten.


Die [[Enzyklopädie des Nationalsozialismus]] spricht von einer „Ernennung zum Ehrenarier“ und nimmt dabei Bezug auf die Ausnahmebestimmung des §&nbsp;7 der ''Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz'', die diesen Begriff jedoch nicht verwendet.<ref>[[Wolfgang Benz]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Enzyklopädie des Nationalsozialismus.'' 5. Auflage, München 2007, ISBN 978-3-423-34408-1, S. 483.</ref> Beate Meyer verwendet das Wort „Ehrenarier“ nur in Anführungszeichen und beiläufig für Ausnahmefälle, bei denen sich „verdiente Weggefährten“ mit jüdischem Hintergrund direkt an die [[Parteikanzlei]] und Hitler wandten und ohne förmliches Verfahren eine Statusverbesserung erreichten.<ref>Beate Meyer: ''„Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945.'' 2. Aufl., Hamburg 2002, ISBN 3-933374-22-7, S. 152.</ref> Steiner/Cornberg weisen darauf hin, dass es den Begriff „Ehrenarier“ amtlich nicht gab und er nur [[Umgangssprache|umgangssprachlich]] gebräuchlich war.<ref>John M. Steiner/Jobst F. v. Cornberg: ''„Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen“.'' In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 162 ([http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1998_2.pdf PDF]).</ref>
== Hintergründe ==
Der siebte [[Reichsparteitage|Reichsparteitag]], der vom 10. bis zum 16. September 1935 in Nürnberg stattfand, war ursprünglich unter dem Motto ''Parteitag der Freiheit'' geplant worden und sollte die Einführung der Wehrpflicht und die Befreiung von den einschränkenden Bestimmungen des [[Versailler Vertrag]]s propagandistisch herausstellen.


== Zeitgenösssiche Reaktionen ==
Reichsärzteführer [[Gerhard Wagner]] hielt am 12. September 1935 eine Rede, in der er überraschend ankündigte, der nationalsozialistische Staat werde in Kürze durch ein ''Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes'' die weitere Vermischung von Juden und "Ariern" verhindern. [[Adolf Hitler]] erweiterte den Auftrag und ließ umgehend den Ministerialdirigenten Wilhelm Stuckart und andere Verwaltungsfachleute, die wie der Judenreferent im Reichsinnenministerium, [[Bernhard Lösener]], am Abend des 13. September aus Berlin herbei gerufen wurden, entsprechende Gesetzentwürfe ausarbeiten. Durch den Zeitdruck wurden die zuständigen Minister ausgeschaltet. ''Wagner'', der sich in Nürnberg ständig bei Hitler aufhielt, wollte eine Zwangsscheidung von [[Mischehe]]n und Heiratsverbot auch für Vierteljuden einführen, während die Ministerialbürokraten auf Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung hinwiesen. Hitler selbst entschied sich schließlich für den milderen Gesetzentwurf; er konnte sich damit als gemäßigter Staatsmann darstellen, der seine Partei im Griff habe. Wesentliche Inhalte dieser ''Nürnberger Gesetze'' blieben unbestimmt und konnten beliebig weiter ausgestaltet werden. Beim ''Blutschutzgesetz'' war bis zum November 1935 unklar, wer im Sinne des Gesetzes als ''Jude'' galt. Keine Aussage gab es zur ''Strafdauer''. Gänzlich unausgeformt waren die Rechtsqualität von “''Staatsangehörigen”'' und “''vorläufiger Reichsbürgerschaft''”.
Nach [[Gestapo-Berichte]]n wurden die Nürnberger Gesetze in der Bevölkerung „größtenteils mit Genugtuung aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil es psychologisch mehr als die unerfreulichen Einzelaktionen die erwünschte Isolierung des Judentums herbeiführen wird“. In katholischen Kreisen fänden sie allerdings „keinen Beifall; begrüßt wird lediglich, daß die Juden-Gesetzgebung Auswüchse in der antisemitischen Propaganda und Ausschreitungen unterbindet“.<ref>Otto Dov Kulka: „Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte“, in: ''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte'' 32 (1984), S. 602 f. Differenzierter bei Peter Longerich: ''„Davon haben wir nichts gewusst.“'' München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 85–92.</ref> Es muss offenbleiben, ob diese Äußerungen repräsentativ waren und ob diese Teilkritik nur der Vorsicht geschuldet war, denn diese von [[Sicherheitsdienst des Reichsführers SS|SD]]-Mitarbeitern mitgehörten Äußerungen stammten aus öffentlich geführten Gesprächen.


Die unter anderem in der [[Jüdische Rundschau|Jüdischen Rundschau]] veröffentlichte Erklärung der [[Reichsvertretung der Juden in Deutschland]] vom 24. September 1935 begann mit den Worten: „Die vom Reichstag in Nürnberg beschlossenen Gesetze haben die Juden in Deutschland aufs Schwerste betroffen. Sie sollen aber eine Ebene schaffen, auf der ein erträgliches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volke möglich ist. […] Voraussetzung für ein erträgliches Verhältnis ist die Hoffnung, daß den Juden und jüdischen Gemeinden in Deutschland durch Beendigung ihrer Diffamierung und Boykottierung die moralische und wirtschaftliche Existenzmöglichkeit gelassen wird.“<ref>Erklärung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland vom 24. September 1935 (VEJ 1/201) =&nbsp;''Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945''. Band 1: ''Deutsches Reich 1933–1937'', hrsg. von Wolf Gruner, München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, [http://books.google.de/books?id=9fmnJr68lXMC&pg=PA499 S. 499].</ref>
Am Abend des 15. September 1935 wurden die ''Nürnberger Gesetze'' von den telegrafisch herbeigerufenen Mitgliedern des Reichstages einstimmig beschlossen.


Vertreter des [[Wladimir Zeev Jabotinsky|revisionistischen Flügels]] der [[Zionismus|Zionisten]] wie [[Georg Kareski]] (der als Vorsitzender der Staatszionistischen Vereinigung dem ''[[Der Angriff|Angriff]]'' ein – weitgehend auf Ablehnung stoßendes – Interview gab)<ref>[[Alexandra Przyrembel]]: ''›Rassenschande‹. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus.'' Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7, [http://books.google.de/books?id=4G4CaJFe-e4C&pg=PA147 S. 147].</ref> befürworteten hingegen eine „vollständige Trennung von Juden und Ariern.“<ref>Francis R. Nicosia: ''Ein nützlicher Feind – Zionismus im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1939.'' In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37(1989) [http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1989_3.pdf Heft 3 (PDF)], S. 380.</ref> Einige [[Orthodoxes Judentum|orthodoxe Juden]] begrüßten das Verbot der „Mischehe“. Den „Assimilanten“ sei damit in Deutschland jede Grundlage entzogen.<ref>Willy Cohn: ''Kein Recht, nirgends – Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933–1941'', Bd. 1. Böhlau 2006, ISBN 978-3-412-32905-1, S. 276–277.</ref> Andere jüdische Bürger meinten, dass nun eine dauerhafte und gesetzlich geregelte Lösung für ein Zusammenleben gefunden sei. Dabei übersahen sie, dass die Nürnberger Gesetze nur einen leeren Rahmen darstellten. Zur Beruhigung trug bei, dass in der Bekanntmachung absichtlich der Eindruck erweckt wurde, diese Vorschriften beträfen „nur Volljuden“; diesen Vermerk hatte Hitler zuvor eigenhändig gestrichen,<ref>Jeremy Noakes: ''Wohin gehören die „Judenmischlinge“? …'', ISBN 3-7672-0963-2, S. 72/73.</ref> den Text aber in der Fassung des Entwurfs zur Veröffentlichung freigegeben.
Überwiegend wird in der Literatur dargestellt, dass die Rassegesetze völlig überraschend kamen und spontan entstanden. Diesem Eindruck steht entgegen, dass bereits am 26. Juli 1935 Standesbeamte angewiesen wurden, Aufgebote für Mischehen wegen einer anstehenden Neuregelung nicht zu bearbeiten. {{Ref|RR}} Umstritten ist heute auch die Darstellung der beigezogenen Referenten, die ihre Mitwirkung als mäßigenden Einfluss oder gar Widerstand stilisierten.


Vertreter der [[Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland]] hatten Bedenken wegen möglicher Auswirkungen im Ausland. Die befürchteten Sanktionen waren jedoch kaum spürbar. Da nach den Gesetzen die „jüdischen Mischlinge“ [[Rudi Ball]] (Eishockey) und [[Helene Mayer]] (Fechten) an den im Deutschen Reich ausgetragenen [[Olympische Sommerspiele 1936|Olympischen Sommer-]] und [[Olympische Winterspiele 1936|Winterspielen 1936]] teilnehmen durften, sie im Ausland auch als ''Juden'' wahrgenommen wurden, wurde geplanten Sanktionen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen (vor allem von Seiten der USA) der Boden entzogen.<ref>[[Arnd Krüger]]: ''Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung: ihre außenpolitische Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der USA.'' Bartels & Wernitz, Berlin 1972 (=&nbsp;''Sportwissenschaftliche Arbeiten'', Bd. 7), ISBN 3-87039-925-2.</ref>
== Reaktionen ==
Nach den geheimen SD-Berichten, die die Stimmung der Bevölkerung wiedergaben, wurden die Nürnberger Gesetze ''"mit Genugtuung aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil unerfreuliche Einzelaktionen''" aufhören würden. In katholischen Kreisen wurden danach die neuen Gesetze "''nicht begeistert aufgenommen''", aber die Erwartung geäußert, dass es nun nicht mehr zu antisemitischen Ausschreitungen käme. - Es muss offen bleiben, ob diese Äußerungen repräsentativ sind und ob diese Teilkritik nur der Vorsicht geschuldet war.


Die Berichte der sozialdemokratischen [[Sopade]] bezeichnen die Nürnberger Gesetze als politische Ausnahmegesetze mit „sexualpathologischem Charakter“, durch die den Juden eine Stellung „außerhalb der Menschheit“ zugewiesen werde. Der ''[[Führer]]'' sei der „Gefangene seiner Banditen“ und müsse ihren terroristischen Forderungen nachgeben.<ref>Deutschland-Berichte der Sopade. (Ausgabe Zweitausendeins) Salzhausen und Frankfurt am Main 1980, 2. Jg. 1935, S. 996.</ref>
Begrüßt wurde teilweise sogar von jüdischen Bürgern, dass nun eine dauerhafte und gesetzlich geregelte Lösung für ein Zusammenleben gefunden sei. Dabei wurde übersehen, dass die Nürnberger Gesetze nur einen leeren Rahmen darstellten. Zur Beruhigung trug bei, dass in der Bekanntmachung absichtlich der Eindruck erweckt wurde, diese Vorschriften beträfen "nur Volljuden"; diesen Vermerk hatte Hitler zuvor eigenhändig gestrichen, den Text aber in der Fassung des Entwurfs zur Veröffentlichung freigegeben.


== Folgen während der Zeit des Nationalsozialismus ==
In Kreisen, die der Wirtschaft nahe standen, gab es Bedenken wegen möglicher Auswirkungen im Ausland. Die befürchteten Sanktionen waren jedoch kaum spürbar.
Bis zum Ende des [[NS-Staat]]es wurde die Rechtsstellung der Juden durch eine Vielzahl weiterer Gesetze und [[Verordnung]]en weiter beschränkt, die fast alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens betrafen.<ref>{{Internetquelle |autor=Holocaust Encyclopedia |url=https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/antisemitic-legislation-1933-1939 |titel=Antisemitic Legislation 1933–1939 |abruf=2024-07-06}}</ref>


Nachdem 1939 der [[Judenstern]] im [[Deutsche Besetzung Polens 1939–1945|besetzten Polen]] eingeführt worden war, mussten ihn ab dem 19. September 1941 auch Juden im Reichsgebiet tragen. Dabei wurde auch der männliche jüdische Teil einer „Mischehe“ zum Tragen des Sterns verpflichtet, sofern die Ehe kinderlos geblieben war.
== Spätere Folgen ==
In der Folgezeit bis zum Ende des [[Zeit des Nationalsozialismus|Dritten Reiches]] wurde die Rechtsstellung der Juden durch eine Vielzahl weiterer Gesetze und [[Verordnung]]en weiter beschränkt, die fast alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens betrafen. Den ideologischen Hintergrund der N. Gesetze zeigt sehr gut die [[Himmler]]-Schrift ''[[Der Untermensch]]'' von 1935.


Die jüdischen Partner aus Mischehen wie auch die „jüdisch Versippten“, wie die „deutschblütigen“ Ehemänner aus Mischehen genannt wurden, wurden im Laufe des Krieges zu [[Geschlossener Arbeitseinsatz|Zwangsarbeit]] verpflichtet und häufig in [[Sonderkommando J|Sonderkommandos]] kaserniert. In Berlin wurden kurz vor Ende des Krieges auch die „deutschblütigen“ Ehefrauen entsprechend eingesetzt.
1939 wurde der [[Judenstern]] eingeführt und dabei auch der männliche jüdische Teil einer kinderlosen „Mischehe“ zum Tragen des Sterns verpflichtet. Nur wenn das Ehepaar einen „jüdischen Mischling“ (in der o.a. Definition) als Kind hatte, war der jüdische Partner in dieser dann „privilegierten Mischehe“ davon befreit.


Nicht zur Ausführung gelangten die 1942 im [[:Datei:Besprechungsprotokoll Wannseekonferenz - Minutes of the Wannsee Conference - Berlin, 20. Januar 1942.pdf|Protokoll]] der [[Wannseekonferenz]] genannten und die in zwei Folgekonferenzen von Referenten erörterten Pläne, in denen die Zwangsscheidung von Mischehen mit anschließender Deportation sowie die [[Zwangssterilisation]] von jüdischen Mischlingen als Ziele genannt wurden.
Die jüdischen Partner in Mischehen wurden im Laufe des Krieges zu Zwangsarbeit verpflichtet und häufig in Lagern kaserniert. Auch die „deutschblütigen Ehemänner“ in Mischehen wurden als „jüdisch Versippte“ ab 1944 zur Zwangsarbeit verpflichtet und oft in Arbeitslager eingewiesen. In Berlin wurden kurz vor Ende des Krieges auch die „arischen“ Ehefrauen entsprechend eingesetzt.


In Deutschland fielen die drei Nürnberger Gesetze am 20. September 1945 mit ihren Verordnungen unter das [[Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht]].
Nicht zur Ausführung gelangten die 1942 während der [[Wannsee-Konferenz]] erörterten Pläne. Danach wurden die Zwangsscheidung von Mischehen und die Zwangssterilisation von jüdischen Mischlingen als Ziel genannt. Viele „jüdische Mischlinge ersten Grades“ wurden noch kurz vor Kriegsende in den Osten deportiert, dort aber nicht mehr umgebracht.

== Kontroverse Deutungen in der wissenschaftlichen Literatur ==
Umstritten war unter den Historikern die Frage, ob es sich bei den Nürnberger Gesetzen um eine spontane Entscheidung handelte oder ob damit ein lange gehegter Plan umgesetzt wurde.

Überwiegend wird in der älteren Fachliteratur dargestellt, dass die Rassengesetze völlig überraschend entstanden und spontan erlassen wurden.<ref name="Adam">Beispielhaft bei Uwe Dietrich Adam: ''Judenpolitik im dritten Reich''. Düsseldorf 2003; erstmals 1972.</ref> Dem widerspricht, dass bereits am 26. Juli 1935 [[Standesbeamter|Standesbeamte]] angewiesen worden waren, [[Aufgebot (Eherecht)|Aufgebote]] für Mischehen wegen einer anstehenden Neuregelung nicht zu bearbeiten.<ref name="RR">Reinhard Rürup: ''Das Ende der Emanzipation. Die antijüdische Politik in Deutschland …'', in: [[Arnold Paucker]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Die Juden im Nationalsozialistischen Deutschland''. Tübingen 1986, ISBN 3-16-745103-3, S.&nbsp;111&nbsp;f.</ref> Auch lassen sich Gedankenspiele Hitlers um ein neues Staatsbürgergesetz und Denkschriften [[Hanns Kerrl]]s und [[Roland Freisler]]s zum Ehegesetz schon für 1933 nachweisen.<ref>Saul Friedländer: ''Das Dritte Reich …'', München 2000, ISBN 3-406-43506-8, [http://books.google.de/books?id=gwBb9eQjvIwC&pg=PA163 S. 163], 171.</ref> Der nicht umgesetzte Entwurf eines Gesetzes „zur Regelung der Stellung der Juden“, den [[Rudolf Heß]] am 6. April 1933 an [[Julius Streicher]] schickte, nimmt im §&nbsp;15 die Bestimmungen des späteren „Blutschutzgesetzes“ vorweg und enthält schärfere Regelungen als das Reichsbürgergesetz.<ref>Wolf Gruner (Bearb.): ''Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945'', Bd. 1. ''Deutsches Reich 1933–1937.'' München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, Dok. 27, S. 123–129.</ref>

Die Historikerin [[Alexandra Przyrembel]] bezeichnet die 37. Sitzung der Strafrechtskommission am 5. Juni 1934 als „erstes bedeutendes Brainstorming […], das die Konzeption der Nürnberger Gesetze sowie seine Ausführungsbestimmungen in wesentlichen Aspekten vorbereitete“.<ref>Alexandra Przyrembel: ''›Rassenschande‹: Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus''. Göttingen 2003, [https://books.google.it/books?id=4G4CaJFe-e4C&pg=PA138&dq=false#v=onepage&q&f=false S. 138]; vgl. Entwurf des Protokolls der Sitzung (BArch R22/852, Bl. 75).</ref> An der Sitzung nahm neben Roland Freisler und [[Fritz Grau (Jurist)|Fritz Grau]] auch der spätere Widerstandskämpfer [[Hans von Dohnanyi]] in seiner Eigenschaft als Referent des NS-Reichsjustizministers [[Franz Gürtner]] teil.<ref>Zu den weiteren Teilnehmern siehe Wolf Gruner: ''Deutsches Reich 1933-1937'', München 2008, [https://books.google.it/books?id=ETNJAAAAQBAJ&pg=PA346&lpg=PA346&dq=false S. 346], Anm. 4.</ref> Er kritisierte, dass mit dem dort ausgearbeiteten Gesetzentwurf nicht das übergeordnete Ziel der „Rassengesetzgebung“ erreicht würde, nämlich die Garantie eines grundsätzlichen „Rassenschutzes“.<ref>Alexandra Przyrembel: ''›Rassenschande‹: Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus''. Göttingen 2003, [https://books.google.it/books?id=4G4CaJFe-e4C&pg=PA142&dq=false#v=onepage&q&f=false S. 142].</ref>

Kontrovers wird beurteilt, inwieweit Forderungen der Parteibasis und Vorfälle wie der [[Kurfürstendamm-Krawall von 1935]] die gesetzliche Regelung beschleunigten oder gar veranlassten. Die „Gewalt von unten“, der von Parteigliederungen inszenierte „Volkszorn“, wurde zumindest von einzelnen einflussreichen Nationalsozialisten wie [[Reinhard Heydrich]] und Gerhard Wagner genutzt, um schärfere Gesetze gegen Juden zu fordern. Andere befürchteten einen Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, wenn die entfesselte Gewalt die Ruhe und Ordnung störten und das Gewaltmonopol des Staates unterlaufen wurde.<ref>[[Michael Wildt]]: ''Gewaltpolitik. Volksgemeinschaft und Judenverfolgung in der deutschen Provinz'', in: ''[[Werkstatt Geschichte]]'' 12 (2003) H. 35, S. 36&nbsp;f.</ref> Nach [[Saul Friedländer]] sollten die Nürnberger Gesetze „allen kundtun, dass die Rolle der Partei alles andere als ausgespielt war […] So würde die Masse der Parteimitglieder beruhigt, individuelle Gewaltakte gegen Juden würden durch die Aufstellung klarer ‚legaler‘ Richtlinien beendet, und der politische Aktivismus würde auf wohldefinierte Ziele“ hingelenkt werden.<ref>Saul Friedländer: ''Das Dritte Reich …'', München 2000, ISBN 3-406-43506-8, [http://books.google.de/books?id=gwBb9eQjvIwC&pg=PA164 S. 164].</ref>

Neuerdings wird die in der Fachliteratur weitverbreitete<ref name="Adam" /> Darstellung Löseners hinterfragt, der [[Wilhelm Frick]] als desinteressiert und uninformiert beschreibt. Longerich<ref name="LO">Peter Longerich: ''Politik der Vernichtung'', München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 104, sowie Günter Neliba: ''Wilhelm Frick: Der Legalist des Unrechtsstaates''. Schöningh, Paderborn [u.&nbsp;a.] 1992, ISBN 3-506-77486-7.</ref> verweist auf eine Tagebucheintragung bei [[Joseph Goebbels|Goebbels]] vom 14. September 1935:
<blockquote>„Frick und Heß auch da. Gesetze durchberaten. Neues Staatsbürgergesetz… Verbot jüdischer Ehen… Wir feilen noch daran. Aber so wird es beschlossen. Wird die Reinigung erhalten.“</blockquote>

Umstritten ist heute auch die Selbstdarstellung der beigezogenen Ministerialbeamten, die ihre Mitwirkung als mäßigenden Einfluss oder gar Widerstand stilisierten. Zumindest lassen sich angeblich vorgebrachte Maximalforderungen, wie Sterilisationen durchzuführen oder auch „Achteljuden“ wie „Volljuden“ zu behandeln, in keinem der sechs aufgefundenen Entwürfe nachweisen.<ref>Jeremy Noakes: ''„Wohin gehören die ‘Judenmischlinge’?“ Die Entstehung der ersten Durchführungsverordnung zu den Nürnberger Gesetzen'', in: [[Ursula Büttner]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Das Unrechtsregime …, Band 2: Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn.'' Hamburg 1986, ISBN 3-7672-0963-2, S. 73.</ref>


== Statistische Angaben ==
== Statistische Angaben ==
=== Im Deutschen Reich lebende Juden ===
Die Anzahl der Glaubensjuden wird für das Jahr 1933 auf 505.000 bis 525.000 geschätzt, zu denen nach Definition der Nationalsozialisten weitere 180.000 assimilierte Juden zu addieren wären.
Die Anzahl der „Glaubensjuden“ wird für das Jahr 1933 auf 505.000 bis 525.000 geschätzt, zu denen nach Definition der Nationalsozialisten weitere 180.000 assimilierte Juden zu addieren wären. Norbert Frei geht von 562.000 Menschen aus, die 1935 gemäß der ''Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz'' als Juden galten.<ref>Norbert Frei: ''Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945'', München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8, S. 148.</ref>


[[Yehuda Bauer]] gibt für das nationalsozialistische Deutsche Reich mit Lutz Eugen Reutter und [[Joint Distribution Committee|JDC]]-Dokumenten als Quelle für 1933 499.682 gelistete Juden an, 2.000 „Dreivierteljuden“, 210.000 „Halbjuden“ und 80.000 „Vierteljuden“, zusammen 790.000 Verfolgte aufgrund jüdischer Herkunft, so die Historiker I. Lorenz und J. Berkemann, die hinzufügen: „Die Zahlen sind sehr unzuverlässig.“<ref>Zit. n. Andreas Brämer; Miriam Rürup (Hrsg.), Ina Lorenz, Jörg Berkemann, ''Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39: Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden'', Göttingen, 2016, [http://www.igdj-hh.de/files/IGDJ/pdf/hamburger-beitraege/lorenz-berkemann_hamburger-juden-im-ns-staat-1.pdf S. 114&nbsp;f. m. Anm. 84].</ref> Nach den NS-Einmärschen in Österreich und dem Sudetenland erhöhte sich die Anzahl entsprechend. In Österreich waren es 185.246 Juden und mindestens 150.000 sogenannte Mischlinge. Die Fluchtbewegung ab 1933 reduzierte die jüdische Bevölkerung in Mitteleuropa bis 1939 gleichzeitig um 440.000.
Nach der Volkszählung von 1939 wurde die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung mit 213.390 Personen ermittelt. Außerdem lebten 72.738 "Mischlinge ersten Grades" und 42.811 "Mischlinge zweiten Grades" im Reichsgebiet.


Nach der [[Volkszählung 1939|Volkszählung von 1939]] gab es nach NS-Definition 330.539 Juden (davon 297.407 Glaubensjuden), 71.126 „jüdische Mischlinge ersten Grades“ (darunter 6.600 mosaischen Bekenntnisses) und 41.454 „jüdische Mischlinge zweiten Grades“.<ref>hier Summen im Gebietsstand vom 17. Mai 1939 (Deutschland, Österreich, Sudetendeutsche Gebiete, jedoch ohne Memelland) nach ''Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich'', in: ''Volkszählung. Die Bevölkerung des Deutschen Reiches nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939.'' Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 552, H. 4, Berlin 1944.</ref>
Am 1. April 1943 lebten im Großreich offiziell nur noch 31.910 Juden. Ungefähr die Hälfte von ihnen musste den [[Judenstern]] tragen: Die jüdischen Partner in "nichtprivilegierten Mischehen" sowie "Geltungsjuden".


Am 1. April 1943 lebten im [[Großdeutsches Reich|Großdeutschen Reich]] offiziell nur noch 31.910 Juden. Ungefähr die Hälfte von ihnen musste den [[Judenstern]] tragen; hierzu waren auch die jüdischen Partner in [[Mischehe (Nationalsozialismus)#„Privilegierte“ und „nichtprivilegierte Mischehe“|„nichtprivilegierten Mischehen“]] verpflichtet.
Nach der Reichskriminalstatistik des Jahres 1937 wurden 512 Männer wegen "[[Rassenschande]]" verurteilt, darunter waren 355 Juden. Zwischen 1936 bis 1940 wurden 1911 Männer wegen "Rassenschande" verurteilt. - Die Auswertung der von 1936 bis 1943 in Hamburg gefällten Urteile ergibt, dass jüdischen Männer deutlich schärfer bestraft wurden als "Deutschblütige". Rund ein Drittel der jüdischen Justizopfer erhielt Zuchthausstrafen zwischen zwei und vier Jahren; knapp ein Viertel wurde noch strenger bestraft. Die Höchststrafe betrug 15 Jahre. In wenigen Ausnahmefällen wie beim berüchtigten Urteil gegen [[Leo Katzenberger]] konstruierten Richter sogar ein Todesurteil.


=== Verurteilungen nach dem Blutschutzgesetz ===
=== Fußnoten ===
Nach der Reichskriminalstatistik des Jahres 1937 wurden 512 Männer wegen „[[Rassenschande]]“ verurteilt, darunter waren 355 Juden. Zwischen 1936 und 1940 wurden 1.911 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt. Die Auswertung der von 1936 bis 1943 in [[Hamburg im Dritten Reich und Zweiten Weltkrieg|Hamburg]] gefällten Urteile ergibt, dass jüdische Männer deutlich schärfer bestraft wurden als „Deutschblütige“. Rund ein Drittel der jüdischen Justizopfer erhielt Zuchthausstrafen zwischen zwei und vier Jahren; knapp ein Viertel wurde noch strenger bestraft. Die Höchststrafe betrug 15 Jahre. In mindestens fünfzehn Fällen verhängten die Richter mit juristischen Kunstgriffen trotzdem [[Todesstrafe|Todesurteile]], die auch [[Hinrichtung|vollstreckt]] wurden (z.&nbsp;B. gegen [[Leo Katzenberger]] und [[Werner Holländer]]).<ref>Alexandra Przyrembel nennt in ihrem Buch ''›Rassenschande‹ – Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus'' (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, [https://books.google.de/books?id=4G4CaJFe-e4C&pg=PA414 S. 414&nbsp;ff.]) für [[Berlin]] vier Todesurteile im Jahr 1943 sowie ein weiteres, dem zugrunde lag, dass ein als Sittlichkeitsverbrecher vorbestrafter Mann sich an einem 13-jährigen Jungen vergriffen habe, für Leipzig je eines am 6. Juni 1942 und am 25. August 1942, je ein weiteres in Hamburg am 24. April 1941 und am 12. September 1942 sowie in Kassel, Nürnberg, Köln und Stettin, ferner in Hamburg am 2. August 1940, wobei es auch um Fälschung von [[Lebensmittelkarte]]n ging, in Leipzig im März 1942 wegen Rassenschande und Fahrraddiebstahl sowie in Danzig im Januar 1940, wo die Todesstrafe damit begründet wurde, dass der Beschuldigte seine jüdische Identität zu verheimlichen gesucht und dazu Urkundenfälschung und Betrug begangen habe.</ref>
#{{Fußnote|ZI| Stuckart-Globke: ''Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung.'' Band 1, München und Berlin 1936 Seite 18/19}}

#{{Fußnote|RR|Reinhard Rürup: ''Das Ende der Emanzipation. Die antijüdische Politik in Deutschland ...'' in: Arnold Paucker u.a.(Hrsg.): ''Die Juden im Nationalsozialistischen Deutschland.'' Tübingen 1986. ISBN 3-16-745103-3 Seite 111f}}
== Wiedergutmachung ==
=== Bundesrepublik Deutschland ===
Ab dem 23. Juni 1950 konnte nach dem ''Bundesgesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter''<ref>{{BGBl|1950n I S. 226}}</ref> der Verbindung von [[Verlobung|Verlobten]], denen aus rassischen Gründen die [[standesamt]]liche Eheschließung unmöglich gemacht worden war, auf Antrag rückwirkend die Rechtswirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkannt werden, wenn der Tod des einen Teils die Nachholung der standesamtlichen Trauung verhindert hatte. Es war der Tag festzusetzen, der als Tag der Eheschließung zu gelten hatte, etwa der Tag einer [[Kirchliche Trauung|kirchlichen Trauung]] oder der Tag, an dem die Erklärung, eine dauernde Verbindung einzugehen, vor Angehörigen oder auf andere Weise ernstlich bekundet worden war.

Anders als bei der während des Zweiten Weltkriegs möglichen [[Deutsches Eherecht im Zweiten Weltkrieg#„Leichentrauung“|Leichentrauung]] von Frauen „mit gefallenen oder im Felde verstorbenen Wehrmachtsangehörigen“ wurde jedoch keine Möglichkeit zur nachträglichen Eheschließung geschaffen, sondern eine auf einem [[Ehekonsens]] beruhende, tatsächlich geschlossene und durchgeführte Ehe „nachträglich von der wieder zur Vernunft gelangten Gesetzesordnung anerkannt“.<ref>[[Cornelia Essner]], Edouard Conte: ''„Fernehe“, „Leichentrauung“ und „Totenscheidung“. Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich'', in: ''[[Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte]].'' Jahrgang 44 (1996), Heft 2, S. 227 ([http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1996_2.pdf PDF]; 7 MB).</ref>

Bis 1963 wurden 1.823 entsprechende Anträge gestellt, von denen 1.255 bewilligt wurden.<ref>Beate Meyer: ''„Jüdische Mischlinge“'', Hamburg 2002, ISBN 3-933374-22-7, S. 469.</ref>

=== Österreich ===
Das ''Bundesgesetz vom 16. Dezember 1953 über die Anerkennung des Zustandekommens von Ehen rassisch oder politisch verfolgter Verlobter''<ref>[https://ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1954_14_0/1954_14_0.pdf BGBl. 1954, S. 62]</ref> sah für Verlobte, denen es in der Zeit vom [[Anschluss Österreichs|13. März 1938]] bis 31. März 1945 nur aus rassischen oder politischen Gründen unmöglich gewesen war, die Ehe miteinander zu schließen, ein Antragsrecht bis zum 31. Dezember 1954 vor. Das [[Oberlandesgericht Wien]] konnte auf Antrag aussprechen, dass eine Ehe dennoch als zustande gekommen galt, wenn ein Standesbeamter die Trauung wegen eines Ehehindernisses nach dem ''Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre'' oder dessen erster Ausführungsverordnung verweigert hatte.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Liste antijüdischer Rechtsvorschriften im Deutschen Reich 1933–1945]]
* [[Rassenhygiene]] - [[Mischehe]] - [[Ehegesetz]] - [[Geltungsjude]]
* [[Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden]]
* [[Rechtsberatungsgesetz]]
* ''[[Die Unwertigen]]'', Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009 von Renate Günther-Greene


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Cornelia Essner]]: ''Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933–1945.'' Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-72260-3 (Zugleich [[Habilitationsschrift]] an der [[TU Berlin]] 2000, Kritik an Selbstdarstellung Löseners und Mitwirkung der Staatsbürokratie).
*Jeremy Noakes: ''Wohin gehören die "Judenmischlinge"? Die Entstehung der ersten Durchführungsverordnung zu den Nürnberger Gesetzen.'' In: ''Ursula Büttner u.a. (Hrsg.): Das Unrechtsregime.... Band 2: Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn.'' Hamburg 1986 ISBN 3-7672-0963-2
* [[Otto Dov Kulka]]: ''Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte.'' In: ''[[Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte]]'' 32 (1984), S. 582–636 ([http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1984_4_4_kulka.pdf PDF]).
* Hans Robinsohn: ''Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in „Rasseschandefällen“ beim Landgericht Hamburg 1936-1943.'' Stuttgart 1977. ISBN 3-421-01817-0
* Jeremy Noakes: ''„Wohin gehören die ‚Judenmischlinge‘?“ Die Entstehung der ersten Durchführungsverordnung zu den Nürnberger Gesetzen.'' In: [[Ursula Büttner]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Das Unrechtsregime …'' Band 2: ''Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn.'' Christians, Hamburg 1986, ISBN 3-7672-0963-2.
* John M. Steiner / Jobst F. von Cornberg: ''Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen.'' In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 46 (1998) Seite 143-187
* Uwe Dietrich Adam: ''Judenpolitik im Dritten Reich.'' Unv. Nachdruck, Königstein 1979. ISBN 3-7610-7223-6 (Entstehungsgeschichte der Nürnberger Gesetze)
* Jan Kershaw: ''Hitler 1889-1936.'' Stuttgart 1998, ISBN 3-421-05131-3 (im 13. Kapitel, bes. S. 711, Belege für planvolle Vorbereitungen)
* Otto Dov Kulka: ''Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte.'' In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 32(1984) S. 582-636
* Cornelia Essner: ''Die 'Nürnberger Gesetze' oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945.'' Paderborn 2002. ISBN 3-506-72260-3 (Diss./ Kritik an Selbstdarstellung Löseners und Mitwirkung der Staatsbürokratie)
* Rezension zu Essner in Sehepunkte 4 (2004) Nr. 7/8 (15.07.2004)[http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/07/1321.html]
* Arnold Paucker ''Deutsche Juden im Kampf um Recht und Freiheit. Studien zu Abwehr, Selbstbehauptung und Widerstand der dt. Juden seit dem Ende des 19. Jh.'' Bearb. Barbara Suchy. Teetz: Hentrich u.H., 2003, ISBN 393347146x


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Nuremberg Laws|Nürnberger Gesetze|S}}
* [http://www.documentarchiv.de/ns/1935/flaggen1935_ges.html Originaltext des Reichsflaggengesetzes vom 15. September 1935] (<small>documentarchiv.de</small>)
{{Wikisource}}
* [http://www.documentarchiv.de/ns/nbgesetze01.html Originaltext des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Blutschutzgesetz“) vom 15. September 1935] (<small>documentarchiv.de</small>)
* [http://www.verfassungen.de/de/de33-45/reichsbuerger35-v11.htm Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941]
* [http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/nuernberg/ Die Nürnberger Gesetze] (<small>[[Deutsches Historisches Museum|LeMO]]</small>)
* [http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/nuernberg/ Die Nürnberger Gesetze], in: [[Deutsches Historisches Museum|LeMO]]
* [http://www.shoa.de/nuernberger_rassengesetze.html Die Nürnberger Rassengesetze] (<small>[[Shoa.de]]</small>) Link Defekt. Verlinkt zur Startseite www.shoa.de
* [http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0007_nue&l=de Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Nürnberger Gesetze“), 15. September 1935, und die beiden ersten Ausführungsbestimmungen, 14. November 1935], in: [[1000dokumente.de]]
* [http://www.documentarchiv.de/da/fs-antijuedische-verordnungen.html Sammlung einiger antijüdischen Gesetze und Rechtsverordnungen im Originalwortlaut]
* [http://web.nli.org.il/sites/NLI/English/collections/personalsites/Israel-Germany/Israel-Deutschland/Zweite-Weltkrieg/Pages/N%C3%BCrnberger-Gesetze.aspx Die NS-Rassegesetze („Nürnberger Gesetze“)]
* Maximilian Becker: [https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nürnberger_Gesetze ''Nürnberger Gesetze''], in: [[Historisches Lexikon Bayerns]], 21. Juli 2020

== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 16. Mai 2025, 01:08 Uhr

Der Kommentar von Bernhard Lösener und Friedrich August Knost zu den Nürnberger Gesetzen hatte von 1936 bis 1942 fünf Auflagen

Nürnberger Gesetze ist ein Sammelbegriff für das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre[1] und das Reichsbürgergesetz,[2] die während des Reichsparteitags der NSDAP im Saal des Industrie- und Kulturvereins Nürnberg am 15. September 1935 vom Reichstag verabschiedet wurden. Der Reichstag war eigens zu diesem Zweck telegrafisch nach Nürnberg einberufen worden.

Ebenfalls am 15. September 1935 wurde das Reichsflaggengesetz,[3] verabschiedet, das die Hakenkreuzfahne zur Reichs- und Nationalflagge erklärte, und Personen jüdischen Glaubens oder auch nur jüdischer Abstammung die Verwendung verbot.[4]

Alle drei Gesetze wurden im Reichsgesetzblatt vom 16. September 1935 mit dem Zusatz „Nürnberg, den 15. September 1935, am Reichsparteitag der Freiheit“ verkündet. Sie wurden durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehoben.

„Reichsparteitag der Freiheit“ im September 1935

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Der siebte Reichsparteitag („Reichsparteitag der Freiheit“) fand vom 10. bis zum 16. September 1935 in Nürnberg statt. Er sollte ursprünglich die Einführung der Wehrpflicht und die Befreiung von den einschränkenden Bestimmungen des Versailler Vertrags propagandistisch herausstellen. Daher erklärt sich der Titel „Reichsparteitag der Freiheit“.[5]

Am 12. September, dem dritten Tag des Parteitags, kündigte Reichsärzteführer Gerhard Wagner überraschend an, der nationalsozialistische Staat werde in Kürze durch ein „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes“ die weitere Vermischung von Juden und „Ariern“ verhindern.[6] Adolf Hitler erweiterte den Auftrag und ließ umgehend über den Reichsinnenminister Wilhelm Frick den Abteilungsleiter Wilhelm Stuckart und den Leiter des „Staatsangehörigkeitsreferates“ im Reichsinnenministerium, Bernhard Lösener, und andere Verwaltungsfachleute entsprechende Gesetzesentwürfe ausarbeiten.[7] Da einige von ihnen aus Berlin anreisen mussten, konnte sich die Arbeitsgruppe erst am folgenden Abend in Nürnberg konstituieren. Wegen des Zeitdrucks verzichteten die zuständigen Minister auf Vorgaben und überließen es den Ministerialbeamten, Gesetzentwürfe auszuarbeiten.

Wagner, der sich in Nürnberg ständig bei Hitler aufhielt, wollte eine Zwangsscheidung von „Mischehen“ und Heiratsverbot auch für Vierteljuden einführen, während die Ministerialbürokraten auf Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung hinwiesen. Hitler selbst entschied sich schließlich für den milderen Gesetzentwurf; er konnte sich damit als gemäßigter Staatsmann darstellen, der seine Partei im Griff habe, und er vermied voraussehbare Konflikte mit der katholischen Kirche.

Zwar wurde der Begriff des Ariers wegen der Unklarheiten bei seiner Bestimmung in der Gesetzgebung durch den des deutschen oder artverwandten Blutes abgelöst.[8] Wesentliche Inhalte der Nürnberger Gesetze blieben damit aber entgegen dem Anschein einer genaueren Regelung unbestimmt und konnten willkürlich ausgelegt werden.

Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre

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Das „Blutschutzgesetz“
Bildtafel zu den Nürnberger Gesetzen (1935)

Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Blutschutzgesetz“) war nach seiner Präambel „durchdrungen von der Erkenntnis, dass die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes ist“, dem zentralen Ziel der nationalsozialistischen Rassenhygiene. Es verbot deshalb die Eheschließung sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Dennoch geschlossene Ehen waren nichtig, die Ehegatten wurden mit Zuchthaus bestraft. Männer, die gegen das Verbot zum außerehelichen Verkehr verstießen, wurden außerdem wegen „Rassenschande“ mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft.

Diese Bestimmung wurde oft Adolf Hitler persönlich zugeschrieben. Sie zeuge von seinem Frauenbild, nach dem die Frau sexuell unmündig sei. Auch eine von Hitler gewünschte Ergänzungsverordnung vom 16. Februar 1940, nach der die Frau trotz des Vorwurfs der Begünstigung ausdrücklich straffrei bleiben sollte, weist in diese Richtung.[9] Die Juristen Wilhelm Stuckart und Hans Globke liefern in ihrem Gesetzeskommentar[10] von 1936 eine rein praktische Begründung: Zur Überführung sei meist die Aussage der beteiligten Frau erforderlich, der bei Straffreistellung ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht mehr zustehe.

§ 3 des Gesetzes, der erst zum 1. Januar 1936 in Kraft trat, untersagte es Juden, weibliche „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ unter 45 Jahren in ihrem Haushalt zu beschäftigen. Dahinter stand die Unterstellung, „der Jude“ werde sich sonst an diesen vergehen.

Kurz nach der Verabschiedung der Rassengesetze wurde am 14. November 1935 in einer Ersten Verordnung zum Blutschutzgesetz (RGBl. I S. 1334 f.) festgeschrieben, dass „jüdische Mischlinge mit zwei jüdischen Großeltern“ nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des Reichsausschusses zum Schutze des deutschen Blutes „Deutschblütige“ oder „jüdische Mischlinge mit einem jüdischen Großelternteil“ ehelichen durften. Entsprechende Anträge blieben jedoch meist erfolglos; nach 1942 wurden sie „für die Dauer des Krieges“ nicht mehr angenommen. Ehen zwischen zwei „Vierteljuden“ sollten nicht geschlossen werden.[11] „Vierteljuden“ und „Deutschblütige“ dagegen durften heiraten. Dahinter stand das rassistische Paradigma, „deutsches und artverwandtes Blut“ zu bewahren. Ein § 6 der Ersten Verordnung weitete das Eheverbot auf andere Gruppen aus: Es sollten grundsätzlich alle Ehen unterbleiben, die die „Reinerhaltung des deutschen Blutes“ gefährdeten.[12] Ein Rundschreiben zählte dazu „Zigeuner, Neger und ihre Bastarde“ auf.[13]

§ 4 des Gesetzes verbot den Juden, die Reichs- und Nationalflagge zu hissen oder die Reichsfarben zu zeigen. Die Strafandrohung war Gefängnis bis zu einem Jahr. Juden wurde jedoch „das Zeigen der jüdischen Farben“ gestattet.

Bereits im Februar 1935 hatte die Gestapo, zu dieser Zeit noch ohne gesetzliche Grundlage, den Juden die Verwendung der Hakenkreuz-Fahne verboten; im April folgte ein entsprechender Erlass des Reichsinnenministeriums.[14] Angeblich sollte damit der Versuch jüdischer Firmen verhindert werden, sich durch Beflaggung zu tarnen und als „arisch“ auszugeben.[15]

Einen Sonderfall stellten, aufgrund möglicher diplomatischer Verwicklungen mit dem japanischen Bündnispartner, deutsch-japanische Ehen dar.[16] Diese waren unerwünscht und wurden trotz mangelnder Rechtsgrundlage häufig von deutschen Stellen verhindert. Hierzu wurden nach Recherchen des Historikers Harumi Shidehara Furuya in jedem Einzelfall intensive Untersuchungen zum Hintergrund der Betroffenen – insbesondere zur diplomatischen Relevanz – durchgeführt.[17] In Japan bemühten sich die Auslandsvertretungen, nach außen hin den Eindruck zu erwecken, Japaner seien „Ehren-Arier“, und bezeichneten den Begriff des „Ariers“ als „vielleicht wissenschaftlich nicht einwandfrei“. Praktisch bedeute „er einfach: Nichtjude“.[18] Intern wies die Deutsche Botschaft in Tokio im Februar 1939 aber darauf hin, dass „eine grundsätzliche Regelung getroffen werden“ müsse, wobei „der japanische Rassenstolz und die japanische Empfindlichkeit“ geschont werden müsse.[19] Hitler selbst vertrat im September 1940 die Auffassung, „daß es doch richtiger sei, im Interesse der Reinerhaltung der deutschen Rasse solche Eheschließungen in Zukunft nicht zu gestatten, selbst wenn außenpolitische Gründe für eine Genehmigung sprächen“. Der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, überzeugte ihn jedoch davon, „von jetzt ab alle ähnlichen Anträge durch dilatorische Behandlung auf mindestens 1 Jahr zurückzustellen, um alsdann zu Ablehnungen überzugehen“. Diesem Vorschlag stimmte Hitler zu.[20]

Allein bis zum Jahresende 1940 wurden 1.911 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt.[6]

Reichsbürgergesetz

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Wilhelm Stuckart, Hans Globke: Kommentar zum Reichsbürgergesetz, Blutschutzgesetz und Ehegesundheitsgesetz (1936)

Das Reichsbürgergesetz schuf zwei Kategorien im Staatsangehörigkeitsrecht: den Staatsangehörigen, der „dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist“, und den Reichsbürger, der „der alleinige Träger der vollen politischen Rechte“ war. Reichsbürger konnte nur „der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ sein.

Dieser müsse – zunächst – Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein und durch sein Verhalten beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Das Reichsbürgerrecht sollte durch einen Reichsbürgerbrief verliehen werden (§ 2 Abs. 2 RBG), wozu es aber nie kam.[21]

Auf diese Weise wurde rechtlich eine Zweiteilung vorbereitet:

  1. „Reichsbürger“ (§ 2 RBG), die dies allerdings nur unter der „Maßgabe der Gesetze“ sind (§ 2 Abs. 3 RBG)
  2. „Staatsangehörige“ (zwar mit Verweis auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, der jedoch dem Staat „dafür besonders verpflichtet ist“ (§ 1 Abs. 1 Halbsatz 2 RBG)).

Die „Reichsbürgerbriefe“ (§ 2 Abs. 2 RBG) hätten selbst den Deutschen als Staatsbürger in solche, „die durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“ (§ 2 Abs. 1 Halbsatz 2 RBG), die also „Reichsbürger“ hätten werden können und damit „alleinige Träger der vollen politischen Rechte“ (§ 2 Abs. 3 RBG) sind – und die, die dieses nicht erreichen konnten oder wollten – klassifizieren müssen.

Von der aus diesem Gesetz vorgegebenen „Zweiteilung“ wurde praktisch nur gegen diejenigen, die nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ sind, Gebrauch gemacht: Der § 3 des Reichsbürgergesetzes ermöglichte auf dem Verwaltungsweg jedwede – juristisch-formale – Verwaltungsvorschrift zur Auslegung dieses Gesetzes mit Bezug auf Personen, die nicht „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ sind.

So wurde z. B. den assimilierten „jüdischen Mischlingen“ nur das Wahlrecht und eine „vorläufige Reichsbürgerschaft“ zugestanden. Infolge des Reichsbürgergesetzes durfte – auf dem Verordnungsweg – kein Jude mehr ein öffentliches Amt innehaben. Auch die jüdischen Beamten, die bislang durch das so genannte Frontkämpferprivileg im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 von der Entlassung verschont geblieben waren, mussten zum 31. Dezember 1935 den Dienst quittieren. Außerdem verloren Juden das politische Wahlrecht. Durch weitere Verordnungen zum Reichsbürgergesetz wurde 1938 jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten die Zulassung entzogen (4. Verordnung zum RBG vom 25. Juli 1938 und 5. Verordnung zum RBG vom 30. November 1938). Bedeutsam wurde schließlich die von Hitler initiierte 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941. Deutschen Juden wurde damit die Staatsangehörigkeit aberkannt, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland nahmen. Bei Deportation verloren Juden mit dem Grenzübertritt ihre Staatsangehörigkeit, zugleich gingen ihr gesamtes Eigentum und Vermögen einschließlich ihrer Ansprüche aus Lebens- und Rentenversicherungen förmlich an den Staat über.

Die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935[22] definierte, wer als „jüdischer Mischling“ Reichsbürger bleiben könne und wer als „Jude“ davon ausgeschlossen sei:

  • Personen mit mindestens drei jüdischen Großeltern galten als (Voll-)„Jude“.
  • Personen mit einem jüdischen Elternteil oder zwei jüdischen Großeltern galten als „Mischling ersten Grades“.
  • Personen mit einem jüdischen Großeltern-Teil wurden als „Mischling zweiten Grades“ eingestuft.

„Mischlinge ersten Grades“, die der jüdischen Kultusgemeinde angehörten oder mit einem Juden verheiratet waren, wurden als „Juden“ eingestuft. Für sie kam später der Begriff „Geltungsjude“ auf. Alle weiteren „Halbjuden“ und „Vierteljuden“ wurden amtlich als „jüdische Mischlinge“ bezeichnet.[23]

Ausnahmebestimmungen

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In § 7 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz behielt sich Hitler persönlich die Zustimmung für Ausnahmen vor: „Der Führer und Reichskanzler kann Befreiungen von den Vorschriften der Ausführungsverordnungen erteilen“.[24] Der oft verkürzt zitierte Ausspruch „Wer bei mir Jude ist, bestimme ich!“ wird Hermann Göring bezüglich Martin Wronsky von der Luft Hansa zugeschrieben,[25] trifft aber nicht den Sachverhalt.

Von mehr als 10.000 Anträgen zur Besserstellung, die durch mehrere Vorinstanzen geprüft und gefiltert wurden, waren nur wenige erfolgreich. Dabei waren die Teilnahme der Bittsteller am Weltkrieg und politische Verdienste um die „Bewegung“, ihr „rassisches Erscheinungsbild“ und ihre charakterliche Beurteilung wesentliche Kriterien. Nur in zwei Fällen wurden „Volljuden“ begünstigt. Bis zum Jahre 1941 erreichten 260 „Mischlinge ersten Grades“ ihre Gleichstellung mit einem „Deutschblütigen“ („Bescheinigung über die Einordnung im Sinne der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“). In 1.300 Fällen wurden Bittsteller vom „Geltungsjuden“ zum „jüdischen Mischling“ umgestuft.[26]

Nach einem Erlass des Oberkommandos der Wehrmacht vom 8. April 1940 sollten die „Mischlinge ersten Grades“ sowie die „jüdisch Versippten“ (die „deutschblütigen“ Ehepartner in sogenannten Mischehen) aus der Wehrmacht entlassen werden.[27] Ausnahmen waren ausschließlich mit persönlicher Genehmigung Hitlers bis 1942 möglich, im Ausnahmefall aber noch weiter geduldet.[28] Im Juni 1944 sollten auch die „Mischlinge zweiten Grades“ vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen werden.[29] Mit stillschweigender Unterstützung ihrer Vorgesetzten verblieben einige dieser für wehrunwürdig erklärten Soldaten dennoch in der Wehrmacht.[30] Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 widerrief Hitler seine Ausnahmegenehmigungen für Offiziere, die als „Mischlinge ersten Grades“ galten; zugleich wurden auch alle „jüdisch versippten“ Offiziere zum Jahresende 1944 entlassen.[31] In der Realität dienten einzelne Soldaten, denen frühzeitig eine „Deutschblütigkeitserklärung“ ausgestellt worden war, teilweise bis Kriegsende weiter.[32]

Mitglieder der NSDAP, Mannschaften und Unterführer der SS sowie Bauern im Sinne des Reichserbhofgesetzes waren noch weit strengeren Kriterien unterworfen. Sie mussten einen Großen Ahnenpaß vulgo Großer Ariernachweis erbringen, welcher einen durchgehend „deutschblütigen“ Stammbaum bis zum Stichjahr 1800 auswies. Für Führer der SS galt das Stichjahr 1750.

Die Enzyklopädie des Nationalsozialismus spricht von einer „Ernennung zum Ehrenarier“ und nimmt dabei Bezug auf die Ausnahmebestimmung des § 7 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die diesen Begriff jedoch nicht verwendet.[33] Beate Meyer verwendet das Wort „Ehrenarier“ nur in Anführungszeichen und beiläufig für Ausnahmefälle, bei denen sich „verdiente Weggefährten“ mit jüdischem Hintergrund direkt an die Parteikanzlei und Hitler wandten und ohne förmliches Verfahren eine Statusverbesserung erreichten.[34] Steiner/Cornberg weisen darauf hin, dass es den Begriff „Ehrenarier“ amtlich nicht gab und er nur umgangssprachlich gebräuchlich war.[35]

Zeitgenösssiche Reaktionen

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Nach Gestapo-Berichten wurden die Nürnberger Gesetze in der Bevölkerung „größtenteils mit Genugtuung aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil es psychologisch mehr als die unerfreulichen Einzelaktionen die erwünschte Isolierung des Judentums herbeiführen wird“. In katholischen Kreisen fänden sie allerdings „keinen Beifall; begrüßt wird lediglich, daß die Juden-Gesetzgebung Auswüchse in der antisemitischen Propaganda und Ausschreitungen unterbindet“.[36] Es muss offenbleiben, ob diese Äußerungen repräsentativ waren und ob diese Teilkritik nur der Vorsicht geschuldet war, denn diese von SD-Mitarbeitern mitgehörten Äußerungen stammten aus öffentlich geführten Gesprächen.

Die unter anderem in der Jüdischen Rundschau veröffentlichte Erklärung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland vom 24. September 1935 begann mit den Worten: „Die vom Reichstag in Nürnberg beschlossenen Gesetze haben die Juden in Deutschland aufs Schwerste betroffen. Sie sollen aber eine Ebene schaffen, auf der ein erträgliches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volke möglich ist. […] Voraussetzung für ein erträgliches Verhältnis ist die Hoffnung, daß den Juden und jüdischen Gemeinden in Deutschland durch Beendigung ihrer Diffamierung und Boykottierung die moralische und wirtschaftliche Existenzmöglichkeit gelassen wird.“[37]

Vertreter des revisionistischen Flügels der Zionisten wie Georg Kareski (der als Vorsitzender der Staatszionistischen Vereinigung dem Angriff ein – weitgehend auf Ablehnung stoßendes – Interview gab)[38] befürworteten hingegen eine „vollständige Trennung von Juden und Ariern.“[39] Einige orthodoxe Juden begrüßten das Verbot der „Mischehe“. Den „Assimilanten“ sei damit in Deutschland jede Grundlage entzogen.[40] Andere jüdische Bürger meinten, dass nun eine dauerhafte und gesetzlich geregelte Lösung für ein Zusammenleben gefunden sei. Dabei übersahen sie, dass die Nürnberger Gesetze nur einen leeren Rahmen darstellten. Zur Beruhigung trug bei, dass in der Bekanntmachung absichtlich der Eindruck erweckt wurde, diese Vorschriften beträfen „nur Volljuden“; diesen Vermerk hatte Hitler zuvor eigenhändig gestrichen,[41] den Text aber in der Fassung des Entwurfs zur Veröffentlichung freigegeben.

Vertreter der Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland hatten Bedenken wegen möglicher Auswirkungen im Ausland. Die befürchteten Sanktionen waren jedoch kaum spürbar. Da nach den Gesetzen die „jüdischen Mischlinge“ Rudi Ball (Eishockey) und Helene Mayer (Fechten) an den im Deutschen Reich ausgetragenen Olympischen Sommer- und Winterspielen 1936 teilnehmen durften, sie im Ausland auch als Juden wahrgenommen wurden, wurde geplanten Sanktionen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen (vor allem von Seiten der USA) der Boden entzogen.[42]

Die Berichte der sozialdemokratischen Sopade bezeichnen die Nürnberger Gesetze als politische Ausnahmegesetze mit „sexualpathologischem Charakter“, durch die den Juden eine Stellung „außerhalb der Menschheit“ zugewiesen werde. Der Führer sei der „Gefangene seiner Banditen“ und müsse ihren terroristischen Forderungen nachgeben.[43]

Folgen während der Zeit des Nationalsozialismus

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Bis zum Ende des NS-Staates wurde die Rechtsstellung der Juden durch eine Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen weiter beschränkt, die fast alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens betrafen.[44]

Nachdem 1939 der Judenstern im besetzten Polen eingeführt worden war, mussten ihn ab dem 19. September 1941 auch Juden im Reichsgebiet tragen. Dabei wurde auch der männliche jüdische Teil einer „Mischehe“ zum Tragen des Sterns verpflichtet, sofern die Ehe kinderlos geblieben war.

Die jüdischen Partner aus Mischehen wie auch die „jüdisch Versippten“, wie die „deutschblütigen“ Ehemänner aus Mischehen genannt wurden, wurden im Laufe des Krieges zu Zwangsarbeit verpflichtet und häufig in Sonderkommandos kaserniert. In Berlin wurden kurz vor Ende des Krieges auch die „deutschblütigen“ Ehefrauen entsprechend eingesetzt.

Nicht zur Ausführung gelangten die 1942 im Protokoll der Wannseekonferenz genannten und die in zwei Folgekonferenzen von Referenten erörterten Pläne, in denen die Zwangsscheidung von Mischehen mit anschließender Deportation sowie die Zwangssterilisation von jüdischen Mischlingen als Ziele genannt wurden.

In Deutschland fielen die drei Nürnberger Gesetze am 20. September 1945 mit ihren Verordnungen unter das Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht.

Kontroverse Deutungen in der wissenschaftlichen Literatur

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Umstritten war unter den Historikern die Frage, ob es sich bei den Nürnberger Gesetzen um eine spontane Entscheidung handelte oder ob damit ein lange gehegter Plan umgesetzt wurde.

Überwiegend wird in der älteren Fachliteratur dargestellt, dass die Rassengesetze völlig überraschend entstanden und spontan erlassen wurden.[45] Dem widerspricht, dass bereits am 26. Juli 1935 Standesbeamte angewiesen worden waren, Aufgebote für Mischehen wegen einer anstehenden Neuregelung nicht zu bearbeiten.[46] Auch lassen sich Gedankenspiele Hitlers um ein neues Staatsbürgergesetz und Denkschriften Hanns Kerrls und Roland Freislers zum Ehegesetz schon für 1933 nachweisen.[47] Der nicht umgesetzte Entwurf eines Gesetzes „zur Regelung der Stellung der Juden“, den Rudolf Heß am 6. April 1933 an Julius Streicher schickte, nimmt im § 15 die Bestimmungen des späteren „Blutschutzgesetzes“ vorweg und enthält schärfere Regelungen als das Reichsbürgergesetz.[48]

Die Historikerin Alexandra Przyrembel bezeichnet die 37. Sitzung der Strafrechtskommission am 5. Juni 1934 als „erstes bedeutendes Brainstorming […], das die Konzeption der Nürnberger Gesetze sowie seine Ausführungsbestimmungen in wesentlichen Aspekten vorbereitete“.[49] An der Sitzung nahm neben Roland Freisler und Fritz Grau auch der spätere Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi in seiner Eigenschaft als Referent des NS-Reichsjustizministers Franz Gürtner teil.[50] Er kritisierte, dass mit dem dort ausgearbeiteten Gesetzentwurf nicht das übergeordnete Ziel der „Rassengesetzgebung“ erreicht würde, nämlich die Garantie eines grundsätzlichen „Rassenschutzes“.[51]

Kontrovers wird beurteilt, inwieweit Forderungen der Parteibasis und Vorfälle wie der Kurfürstendamm-Krawall von 1935 die gesetzliche Regelung beschleunigten oder gar veranlassten. Die „Gewalt von unten“, der von Parteigliederungen inszenierte „Volkszorn“, wurde zumindest von einzelnen einflussreichen Nationalsozialisten wie Reinhard Heydrich und Gerhard Wagner genutzt, um schärfere Gesetze gegen Juden zu fordern. Andere befürchteten einen Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, wenn die entfesselte Gewalt die Ruhe und Ordnung störten und das Gewaltmonopol des Staates unterlaufen wurde.[52] Nach Saul Friedländer sollten die Nürnberger Gesetze „allen kundtun, dass die Rolle der Partei alles andere als ausgespielt war […] So würde die Masse der Parteimitglieder beruhigt, individuelle Gewaltakte gegen Juden würden durch die Aufstellung klarer ‚legaler‘ Richtlinien beendet, und der politische Aktivismus würde auf wohldefinierte Ziele“ hingelenkt werden.[53]

Neuerdings wird die in der Fachliteratur weitverbreitete[45] Darstellung Löseners hinterfragt, der Wilhelm Frick als desinteressiert und uninformiert beschreibt. Longerich[54] verweist auf eine Tagebucheintragung bei Goebbels vom 14. September 1935:

„Frick und Heß auch da. Gesetze durchberaten. Neues Staatsbürgergesetz… Verbot jüdischer Ehen… Wir feilen noch daran. Aber so wird es beschlossen. Wird die Reinigung erhalten.“

Umstritten ist heute auch die Selbstdarstellung der beigezogenen Ministerialbeamten, die ihre Mitwirkung als mäßigenden Einfluss oder gar Widerstand stilisierten. Zumindest lassen sich angeblich vorgebrachte Maximalforderungen, wie Sterilisationen durchzuführen oder auch „Achteljuden“ wie „Volljuden“ zu behandeln, in keinem der sechs aufgefundenen Entwürfe nachweisen.[55]

Statistische Angaben

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Im Deutschen Reich lebende Juden

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Die Anzahl der „Glaubensjuden“ wird für das Jahr 1933 auf 505.000 bis 525.000 geschätzt, zu denen nach Definition der Nationalsozialisten weitere 180.000 assimilierte Juden zu addieren wären. Norbert Frei geht von 562.000 Menschen aus, die 1935 gemäß der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz als Juden galten.[56]

Yehuda Bauer gibt für das nationalsozialistische Deutsche Reich mit Lutz Eugen Reutter und JDC-Dokumenten als Quelle für 1933 499.682 gelistete Juden an, 2.000 „Dreivierteljuden“, 210.000 „Halbjuden“ und 80.000 „Vierteljuden“, zusammen 790.000 Verfolgte aufgrund jüdischer Herkunft, so die Historiker I. Lorenz und J. Berkemann, die hinzufügen: „Die Zahlen sind sehr unzuverlässig.“[57] Nach den NS-Einmärschen in Österreich und dem Sudetenland erhöhte sich die Anzahl entsprechend. In Österreich waren es 185.246 Juden und mindestens 150.000 sogenannte Mischlinge. Die Fluchtbewegung ab 1933 reduzierte die jüdische Bevölkerung in Mitteleuropa bis 1939 gleichzeitig um 440.000.

Nach der Volkszählung von 1939 gab es nach NS-Definition 330.539 Juden (davon 297.407 Glaubensjuden), 71.126 „jüdische Mischlinge ersten Grades“ (darunter 6.600 mosaischen Bekenntnisses) und 41.454 „jüdische Mischlinge zweiten Grades“.[58]

Am 1. April 1943 lebten im Großdeutschen Reich offiziell nur noch 31.910 Juden. Ungefähr die Hälfte von ihnen musste den Judenstern tragen; hierzu waren auch die jüdischen Partner in „nichtprivilegierten Mischehen“ verpflichtet.

Verurteilungen nach dem Blutschutzgesetz

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Nach der Reichskriminalstatistik des Jahres 1937 wurden 512 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt, darunter waren 355 Juden. Zwischen 1936 und 1940 wurden 1.911 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt. Die Auswertung der von 1936 bis 1943 in Hamburg gefällten Urteile ergibt, dass jüdische Männer deutlich schärfer bestraft wurden als „Deutschblütige“. Rund ein Drittel der jüdischen Justizopfer erhielt Zuchthausstrafen zwischen zwei und vier Jahren; knapp ein Viertel wurde noch strenger bestraft. Die Höchststrafe betrug 15 Jahre. In mindestens fünfzehn Fällen verhängten die Richter mit juristischen Kunstgriffen trotzdem Todesurteile, die auch vollstreckt wurden (z. B. gegen Leo Katzenberger und Werner Holländer).[59]

Wiedergutmachung

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Bundesrepublik Deutschland

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Ab dem 23. Juni 1950 konnte nach dem Bundesgesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter[60] der Verbindung von Verlobten, denen aus rassischen Gründen die standesamtliche Eheschließung unmöglich gemacht worden war, auf Antrag rückwirkend die Rechtswirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkannt werden, wenn der Tod des einen Teils die Nachholung der standesamtlichen Trauung verhindert hatte. Es war der Tag festzusetzen, der als Tag der Eheschließung zu gelten hatte, etwa der Tag einer kirchlichen Trauung oder der Tag, an dem die Erklärung, eine dauernde Verbindung einzugehen, vor Angehörigen oder auf andere Weise ernstlich bekundet worden war.

Anders als bei der während des Zweiten Weltkriegs möglichen Leichentrauung von Frauen „mit gefallenen oder im Felde verstorbenen Wehrmachtsangehörigen“ wurde jedoch keine Möglichkeit zur nachträglichen Eheschließung geschaffen, sondern eine auf einem Ehekonsens beruhende, tatsächlich geschlossene und durchgeführte Ehe „nachträglich von der wieder zur Vernunft gelangten Gesetzesordnung anerkannt“.[61]

Bis 1963 wurden 1.823 entsprechende Anträge gestellt, von denen 1.255 bewilligt wurden.[62]

Das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1953 über die Anerkennung des Zustandekommens von Ehen rassisch oder politisch verfolgter Verlobter[63] sah für Verlobte, denen es in der Zeit vom 13. März 1938 bis 31. März 1945 nur aus rassischen oder politischen Gründen unmöglich gewesen war, die Ehe miteinander zu schließen, ein Antragsrecht bis zum 31. Dezember 1954 vor. Das Oberlandesgericht Wien konnte auf Antrag aussprechen, dass eine Ehe dennoch als zustande gekommen galt, wenn ein Standesbeamter die Trauung wegen eines Ehehindernisses nach dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre oder dessen erster Ausführungsverordnung verweigert hatte.

  • Cornelia Essner: Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933–1945. Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-72260-3 (Zugleich Habilitationsschrift an der TU Berlin 2000, Kritik an Selbstdarstellung Löseners und Mitwirkung der Staatsbürokratie).
  • Otto Dov Kulka: Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32 (1984), S. 582–636 (PDF).
  • Jeremy Noakes: „Wohin gehören die ‚Judenmischlinge‘?“ Die Entstehung der ersten Durchführungsverordnung zu den Nürnberger Gesetzen. In: Ursula Büttner u. a. (Hrsg.): Das Unrechtsregime … Band 2: Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn. Christians, Hamburg 1986, ISBN 3-7672-0963-2.
Commons: Nürnberger Gesetze – Sammlung von Bildern
Wikisource: Nürnberger Gesetze – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. RGBl. I S. 1146
  2. RGBl. I S. 1146
  3. RGBl. I S. 1145
  4. Maximilian Becker: Nürnberger Gesetze. Historisches Lexikon Bayerns, 21. Juli 2020.
  5. War documentary: Nazi Party Rally Grounds in Nuremberg. Abgerufen am 6. Juli 2024.
  6. a b Lothar Gruchmann: „Blutschutzgesetz“ und Justiz. Entstehung und Anwendung des Nürnberger Gesetzes vom 15. September 1935. Aus Politik und Zeitgeschichte, 30. November 1985.
  7. Michael Berenbaum: Nürnberg Laws. Abgerufen am 6. Juli 2024.
  8. Benjamin Ortmeyer: Indoktrination. Rassismus und Antisemitismus in der Nazi-Schülerzeitschrift „Hilf mit!“ (1933–1944). Beltz-Verlag, 2012, S. 14, ISBN 978-3-7799-2889-8.
  9. Lothar Gruchmann: „‚Blutschutzgesetz‘ und Justiz …“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31 (1983), S. 441 (ifz-muenchen PDF).
  10. Stuckart-Globke: Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung. Band 1, München und Berlin 1936 – 1b, Zitat S. 18/19.
  11. Otto Palandt (Herausgeber): Bürgerliches Gesetzbuch, 2. Auflage, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München und Berlin 1939, S. 1202.
  12. Erste Verordnung (Schutz Blut und Ehre), 14. November 1935, Deutsches Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1935, Teil I, S. 1334–1336. Österreichische Nationalbibliothek
  13. Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. München 2000, ISBN 3-406-43506-8, S. 170.
  14. Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst.“ München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 76.
  15. Hans Robinsohn: Justiz als politische Verfolgung. Die Rechtsprechung in „Rassenschandefällen“ beim Landgericht Hamburg 1936–43. Stuttgart 1977, ISBN 3-7610-7223-6, S. 10.
  16. Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik, NOAG, 157–158, 1995, 17–75, (PDF).
  17. Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik, NOAG, 157–158, 1995, S. 65.
  18. Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik, NOAG, 157–158, 1995, S. 64, Fn 190.
  19. Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik, NOAG, 157–158, 1995, S. 61, Fn 174.
  20. Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese: Ideology vs. Realpolitik, NOAG, 157–158, 1995, S. 59, Fn 166.
  21. Ingo von Münch: Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. De Gruyter Recht, Berlin 2007, ISBN 978-3-89949-433-4, S. 65.
  22. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz (1935) (Memento vom 7. Dezember 2011 im Internet Archive).
  23. Siehe auch "Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. Juli 1938 (Reichsgesetzblatt I 809)", Quelle: Otto Palandt (Herausgeber): "Bürgerliches Gesetzbuch", 2. Auflage, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München und Berlin 1939, Seiten 1186 bis 1341. Hier: "Begriff des Juden und jüdischen Mischlings" im "Anhang II zu § 4 Ehegesetz", Seiten 1200 ff.
  24. Diese Bestimmung war bereits in einer Besprechung über die besondere Judengesetzgebung am 20. Dezember 1934 schriftlich fixiert: Wolf Gruner (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 1. Deutsches Reich 1933–1937. München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, Dok. 146, S. 392.
  25. siehe Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Frankfurt a. M. 1999, ISBN 3-596-13589-3, S. 89. „Wer a Jud ist, bestimm i!“ wird auch Karl Lueger zugeschrieben; vgl. Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 1996, S. 417.
  26. John M. Steiner/Jobst F. v. Cornberg: „Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 149 bzw. 151 spricht von 6 % Erfolg. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, Hamburg 1999, ISBN 3-933374-22-7, S. 105, 108 und 157; hält höhere Zahlen für wahrscheinlich.
  27. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“, ISBN 3-933374-22-7, S. 231.
  28. Bryan Mark Rigg: Hitlers jüdische Soldaten, Paderborn 2003, ISBN 3-506-70115-0, bildet vor S. 1 als Dokument eine Liste „aktive[r] Offiziere, die selbst oder deren Ehefrau jüdische Mischlinge sind und vom Führer für deutschblütig erklärt wurden“ ab, bei der Ernennungen noch 1943 erfolgten.
  29. Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten Reich. Unveränd. Nachdruck von 1972, Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 233.
  30. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“, ISBN 3-933374-22-7, S. 232 f.; nach nicht-repräsentativer Erhebung: 4 von 43.
  31. Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten Reich, unveränd. Nachdruck von 1972, Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 228–233; Bryan Mark Rigg: Hitlers jüdische Soldaten, Paderborn 2003, ISBN 3-506-70115-0, S. 290.
  32. So etwa Kapitän z. S. Georg Langheld, vgl. Georg F. Langheld: Georg Langheld. Ein jüdischer Marineoffizier in der deutschen Wehrmacht, Berlin 2017.
  33. Wolfgang Benz u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 5. Auflage, München 2007, ISBN 978-3-423-34408-1, S. 483.
  34. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. 2. Aufl., Hamburg 2002, ISBN 3-933374-22-7, S. 152.
  35. John M. Steiner/Jobst F. v. Cornberg: „Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen“. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 162 (PDF).
  36. Otto Dov Kulka: „Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32 (1984), S. 602 f. Differenzierter bei Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst.“ München 2006, ISBN 3-88680-843-2, S. 85–92.
  37. Erklärung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland vom 24. September 1935 (VEJ 1/201) = Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Band 1: Deutsches Reich 1933–1937, hrsg. von Wolf Gruner, München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, S. 499.
  38. Alexandra Przyrembel: ›Rassenschande‹. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7, S. 147.
  39. Francis R. Nicosia: Ein nützlicher Feind – Zionismus im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1939. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37(1989) Heft 3 (PDF), S. 380.
  40. Willy Cohn: Kein Recht, nirgends – Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933–1941, Bd. 1. Böhlau 2006, ISBN 978-3-412-32905-1, S. 276–277.
  41. Jeremy Noakes: Wohin gehören die „Judenmischlinge“? …, ISBN 3-7672-0963-2, S. 72/73.
  42. Arnd Krüger: Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung: ihre außenpolitische Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der USA. Bartels & Wernitz, Berlin 1972 (= Sportwissenschaftliche Arbeiten, Bd. 7), ISBN 3-87039-925-2.
  43. Deutschland-Berichte der Sopade. (Ausgabe Zweitausendeins) Salzhausen und Frankfurt am Main 1980, 2. Jg. 1935, S. 996.
  44. Holocaust Encyclopedia: Antisemitic Legislation 1933–1939. Abgerufen am 6. Juli 2024.
  45. a b Beispielhaft bei Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im dritten Reich. Düsseldorf 2003; erstmals 1972.
  46. Reinhard Rürup: Das Ende der Emanzipation. Die antijüdische Politik in Deutschland …, in: Arnold Paucker u. a. (Hrsg.): Die Juden im Nationalsozialistischen Deutschland. Tübingen 1986, ISBN 3-16-745103-3, S. 111 f.
  47. Saul Friedländer: Das Dritte Reich …, München 2000, ISBN 3-406-43506-8, S. 163, 171.
  48. Wolf Gruner (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 1. Deutsches Reich 1933–1937. München 2008, ISBN 978-3-486-58480-6, Dok. 27, S. 123–129.
  49. Alexandra Przyrembel: ›Rassenschande‹: Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003, S. 138; vgl. Entwurf des Protokolls der Sitzung (BArch R22/852, Bl. 75).
  50. Zu den weiteren Teilnehmern siehe Wolf Gruner: Deutsches Reich 1933-1937, München 2008, S. 346, Anm. 4.
  51. Alexandra Przyrembel: ›Rassenschande‹: Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003, S. 142.
  52. Michael Wildt: Gewaltpolitik. Volksgemeinschaft und Judenverfolgung in der deutschen Provinz, in: Werkstatt Geschichte 12 (2003) H. 35, S. 36 f.
  53. Saul Friedländer: Das Dritte Reich …, München 2000, ISBN 3-406-43506-8, S. 164.
  54. Peter Longerich: Politik der Vernichtung, München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 104, sowie Günter Neliba: Wilhelm Frick: Der Legalist des Unrechtsstaates. Schöningh, Paderborn [u. a.] 1992, ISBN 3-506-77486-7.
  55. Jeremy Noakes: „Wohin gehören die ‘Judenmischlinge’?“ Die Entstehung der ersten Durchführungsverordnung zu den Nürnberger Gesetzen, in: Ursula Büttner u. a. (Hrsg.): Das Unrechtsregime …, Band 2: Verfolgung, Exil, Belasteter Neubeginn. Hamburg 1986, ISBN 3-7672-0963-2, S. 73.
  56. Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 2013, ISBN 978-3-406-64449-8, S. 148.
  57. Zit. n. Andreas Brämer; Miriam Rürup (Hrsg.), Ina Lorenz, Jörg Berkemann, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39: Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Göttingen, 2016, S. 114 f. m. Anm. 84.
  58. hier Summen im Gebietsstand vom 17. Mai 1939 (Deutschland, Österreich, Sudetendeutsche Gebiete, jedoch ohne Memelland) nach Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich, in: Volkszählung. Die Bevölkerung des Deutschen Reiches nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939. Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 552, H. 4, Berlin 1944.
  59. Alexandra Przyrembel nennt in ihrem Buch ›Rassenschande‹ – Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 414 ff.) für Berlin vier Todesurteile im Jahr 1943 sowie ein weiteres, dem zugrunde lag, dass ein als Sittlichkeitsverbrecher vorbestrafter Mann sich an einem 13-jährigen Jungen vergriffen habe, für Leipzig je eines am 6. Juni 1942 und am 25. August 1942, je ein weiteres in Hamburg am 24. April 1941 und am 12. September 1942 sowie in Kassel, Nürnberg, Köln und Stettin, ferner in Hamburg am 2. August 1940, wobei es auch um Fälschung von Lebensmittelkarten ging, in Leipzig im März 1942 wegen Rassenschande und Fahrraddiebstahl sowie in Danzig im Januar 1940, wo die Todesstrafe damit begründet wurde, dass der Beschuldigte seine jüdische Identität zu verheimlichen gesucht und dazu Urkundenfälschung und Betrug begangen habe.
  60. BGBl. S. 226
  61. Cornelia Essner, Edouard Conte: „Fernehe“, „Leichentrauung“ und „Totenscheidung“. Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jahrgang 44 (1996), Heft 2, S. 227 (PDF; 7 MB).
  62. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“, Hamburg 2002, ISBN 3-933374-22-7, S. 469.
  63. BGBl. 1954, S. 62