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„Thales“ – Versionsunterschied

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{{Begriffsklärungshinweis}}
'''Thales''' ''von Milet'' (* [[624 v. Chr.]] in [[Milet]], [[Kleinasien]]; † [[546 v. Chr.]]) Naturphilosoph, Staatsmann, Mathematiker, Astronom und Ingenieur.
[[Datei:Illustrerad Verldshistoria band I Ill 107.jpg|mini|Darstellung des Thales aus einem schwedischen Lexikon 1875]]
'''Thales von Milet''' ({{grcS|Θαλῆς ὁ Μιλήσιος|Thalḗs ho Milḗsios}}; * wahrscheinlich um 624/23 v. Chr. in [[Milet]]; † zwischen 548 und 544 v. Chr.<ref name="Schirren2013-182f">Thomas Schirren, Georg Rechenauer: ''Biographie.'' In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''Die Philosophie der Antike.'' Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 182 f.</ref> ebenda) war ein [[Vorsokratiker|vorsokratischer]] Naturphilosoph, Geometer und [[Astronom]] des [[Archaik|archaischen Griechenlands]].


Thales hat wahrscheinlich keine Schriften hinterlassen. Die Überlieferung fand durch andere Autoren der [[Antike]] statt. Da sich schon früh Legenden um ihn gebildet haben, kann man sich auf über ihn bekannte Details meist nicht verlassen. Es lässt sich jedoch ein grobes Bild zeichnen. Demnach hat er sich in seiner Heimatstadt Milet politisch betätigt und war jemand, der für seine große [[Weisheit]] bewundert wurde. So erachtete man ihn als einen der [[Sieben Weise von Griechenland|Sieben Weisen]] und als Begründer der [[Philosophie der Antike|antiken Naturphilosophie]], [[Astronomie der Antike|Astronomie]] und [[Griechische Mathematik|Geometrie]].
==Zur Person des Thales:==
Er gilt bereits seit der Zeit [[Platon]]s und [[Aristoteles]]' als Begründer von [[Philosophie]] und Wissenschaft, insbesondere der [[Astronomie]]. Er galt als der älteste der so genannten [[Die sieben Weisen|sieben Weisen]], in der Antike hochangesehene Politiker, Dichter und Philosophen.


== Leben ==
Deutlich geprägt wurde Thales durch seine Heimatstadt Milet, einer sehr bedeutenden Handels- und Hafenstadt in Ionien (= Kleinasien). Hier trafen die verschiedensten ethnischen Gruppen, Sprachen und Religionen aufeinander und pflegten meist eine friedliche Koexistenz. Allerdings herrschten gleichzeitig im 6. Jahrhundert v. Chr. in Milet sehr stark ausgeprägte Klassenkämpfe zwischen dem Volk und der [[Aristokratie]], wobei ein häufiger Wechsel der Sieger zu vermelden ist. Thales ist wohl zur Aristokratie zu rechnen.
Thales, dessen Eltern Examyes und Kleobuline hießen, war in der Stadt Milet an der Westküste Kleinasiens beheimatet. Ob er [[Phönizier|phönizischer]] Herkunft war oder nicht, ist umstritten. Er (oder wenigstens seine Mutter) entstammte laut [[Diogenes Laertios]] dem hochadeligen Geschlecht der Theliden.<ref>[[Diogenes Laertios]] I,22.</ref><ref name="Woehrle2015">Georg Wöhrle: ''Thales, ein Phönizier?'' In: ''[[Mnemosyne (Zeitschrift)|Mnemosyne]].'' Band 68, Nr. 3, 2015, S. 470–478, [[doi:10.1163/1568525X-12341649]].</ref> Es wird allerdings auch die Meinung vertreten, dass Thales’ Mutter griechischer, sein Vater [[Karer|karischer]] Abstammung war.<ref>Alexander Herda: ''Greek (and our) views of the Karians.'' In: Alice Mouton, [[Ian Rutherford]], Ilya Yakubovich (Hrsg.): ''Luwian Identities. Culture, Language and Religion Between Anatolia and the Aegean.'' Brill, Leiden und Boston 2013, S. 437.</ref>


Nach der ''Chronika'' des [[Apollodor von Athen (Schriftsteller)|Apollodors von Athen]] (etwa 180–110 v. Chr.<ref>Thomas Schirren, Georg Rechenauer: ''Biographie.'' In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''Die Philosophie der Antike.'' Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 175.</ref>) soll Thales im ersten Jahr der 35. Olympiade, also 640/39 v. Chr., geboren sein und ein Alter von 78 Jahren erreicht haben.<ref name=Diogenes>[[Diogenes Laertios]]: ''Leben und Lehren der Philosophen'' 1,37-38 ([https://archive.org/details/apeltdiogeneslaertios1sub/page/n45/mode/2up Digitalisat])</ref> Auch [[Eusebius von Caesarea]] setzte seine Geburt in diese Zeit.<ref>Eusebius von Caesarea: ''Chronik'' ([https://archive.org/details/eusebiuswerke05euse/page/185/mode/1up Digitalisat])</ref> Bei [[Hieronymus (Kirchenvater)|Sophronius Eusebius Hieronymus]] fällt die Geburt des Thales je nach Handschrift in das vierte Jahr der 34. oder erste Jahr der 35. Olympiade.<ref>Hieronymus: ''Chronik'' ([https://archive.org/details/eusebiuswerke71euse/page/n183/mode/2up Digitalisat])</ref> Nach dem [[Chronicon Paschale]] soll er im 4. Jahr der 55. [[Olympiade]], also 557/56 v. Chr. im Alter vom 91 Jahren gestorben sein.<ref>[[Barthold Georg Niebuhr]]: ''Corpus scriptorum historiae byzantinae.'' Bonn 1832, S. 268 ([https://archive.org/details/corpusscriptorum04nieb/page/268/mode/2up Digitalisat])</ref> Im selben Werk ist jedoch auch angegeben, dass er im 3. Jahr der 10. Olympiade, also 738/37 v. Chr. auf der Insel [[Tenedos]] gestorben sei.<ref>Barthold Georg Niebuhr: ''Corpus scriptorum historiae byzantinae.'' Bonn 1832, S. 214 ([https://archive.org/details/corpusscriptorum04nieb/page/214/mode/2up Digitalisat])</ref> Solch ein frühes Datum wie es auch bei [[John Anthony Cramer]]<ref>John Anthony Cramer: ''Anecdota graeca e codd. manuscriptis bibliothecae regiae Parisiensis'', Teil 2, Oxford 1839, S. 263 ([https://ia801309.us.archive.org/11/items/anecdotagraecaec02cram/anecdotagraecaec02cram.pdf Digitalisat])</ref> erscheint ist undenkbar und möglicherweise auf eine falsche Olympiadenzählung durch [[Phlegon von Tralleis]] zurückzuführen.<ref name=Rohde>[[Erwin Rohde]]: ''Kleine Schriften'', Band 1, Tübingen und Leipzig 1901, S. 169–170 [https://archive.org/details/kleineschriften01rohduoft/page/n201/mode/2up Digitalisat])</ref> Die Erwähnung, dass Thales auf Tenedos gestorben sei führte jedoch dazu, dass man [[Kleostratos von Tenedos]] zu seinem Schüler und Nachfolger erklärte.
Aristoteles schrieb in seiner "Politik" über Thales von Milet Folgendes:
''"Man hielt ihm seine Armut vor, vermutlich um zu beweisen, dass man mit der Philosophie nicht sehr weit käme. Wie der Erzähler fortfährt, wusste Thales aus seiner Kenntnis der Sternenwelt, obwohl es noch Winter war, dass im kommenden Jahr eine reiche Olivenernte zu erwarten sei; da er ein wenig Geld besaß, mietete er alle Olivenpressen in Chios und Milet; er bekam sie preiswert, da niemand ihn überbot. Als plötzlich zur Erntezeit alle Pressen gleichzeitig benötigt wurden, lieh er sie zu jedem in seinem Belieben stehenden Betrag aus und verdiente eine Menge Geld daran. So bewies er der Welt, dass auch Philosophen leicht reich werden können, wenn sie nur wollen, dass das aber nicht ihr Ehrgeiz ist."'' Die Anekdote zeigt, dass er in der Antike nicht nur als Philosoph, sondern auch als Kaufmann einen gewissen Ruf hatte. Sogar als Staatsmann wird er gelegentlich bezeichnet, wobei jedoch bei allen Einigkeit darüber herrscht, dass er vor allem ein Philosoph war, der zu seinen Erkenntnissen durch eine sehr genaue Beobachtung der Natur gelangt.
Bekannt wurde er, da er für den [[28. Mai]] des Jahres [[585 v. Chr.]] erfolgreich eine [[Sonnenfinsternis]] voraussagte. Dadurch soll ein Krieg zwischen den [[Lyder]]n und den [[Meder]]n beendet worden sein - beide Seiten wurden von dem Naturereignis derart erschreckt, dass sie Frieden schlossen.


Alle anderen Quellen legen das Todesjahr in die 58. Olympiade (548–545 v. Chr.).<ref>[[Kyrill von Alexandria]]: ''Gegen Julian'', Teil 1, S. 12 ([https://archive.org/details/bub_gb_H3DM4zz1lOQC/page/n17/mode/2up Digitalisat])</ref> Eusebius von Caesarea datierte dies ins erste Jahr der 58. Olympiade (548/47 v. Chr.).<ref>Eusebius von Caesarea: ''Chronik'' ([https://archive.org/details/eusebiuswerke05euse/page/189/mode/1up Digitalisat])</ref> Je nach Handschrift fällt es bei Hieronymus ins 4. Jahr der 57. oder ins erste Jahr der 58. Olympiade. [[Sosikrates von Rhodos]] (etwa 200–128 v. Chr.) gab an, dass Thales im Alter von 90 Jahren während der 58. Olympiade starb.<ref name=Diogenes/> Die überlieferten Daten scheinen nahezulegen, dass Thales 639 v. Chr. geboren wurde und 548 v. Chr. im Alter von 91 Jahren starb. [[Hermann Diels]] vermutete jedoch, dass Thales’ [[Akme]] mit der Voraussage der Sonnenfinsternis 585 v. Chr. zusammenfiel und er zu diesem Zeitpunkt um die 40 Jahre war. Er ging deshalb davon aus, dass die Angabe der Olympiade für Thales’ Geburt verdorben und Apollodors Angabe zum Sterbealter korrekt war. Diels korrigierte das Geburtsdatum auf das erste Jahr der 39. Olympiade (624/23 v. Chr.) und seinen Tod ins dritte Jahr der 58. Olympiade (546/45 v. Chr.).<ref name=Rohde/><ref>Hermann Diels, [[Walther Kranz]]: ''Die Fragmente der Vorsokratiker'', Band 1, Berlin 1960, S. 71–72 ([https://archive.org/details/diefragmenteder001/page/n81/mode/2up Digitalisat])</ref>


Über Thales’ Familiensituation gibt es widersprüchliche Informationen. Möglicherweise hatte er eine Frau und ein Kind, nach anderen Aussagen war er unverheiratet und hat den Sohn seiner Schwester adoptiert.<ref>Diogenes Laertios I,25 f.</ref>


Diogenes Laertios berichtet, Thales sei von niemandem angeleitet worden, abgesehen von den Ägyptern und den Priestern.<ref>Diogenes Laertios I,27.</ref> Er zitiert [[Pamphile von Epidaurus|Pamphile]], Thales habe von den [[Altes Ägypten|Ägyptern]] die Geometrie gelernt.<ref>[[Diogenes Laertios]] I,24.</ref> Vermutlich hielt er sich eine Zeit lang zu Forschungszwecken in Ägypten (und auch [[Kreta]]) auf und lernte dort von Priestern und Astronomen auf den Gebieten der Mathematik und Astronomie.<ref>[[Diogenes Laertios]] I,24; I,27; I,43.</ref>
Von Thales selbst ist nichts Aufgeschriebenes überliefert, ja, man ist sich nicht einmal sicher, ob er selbst jemals etwas schriftlich fixiert hat.
Daher verwundert es auch nicht, wenn nur wenig aus seinem Leben bekannt ist und noch weniger als wirklich gesichert angesehen werden kann. Daraus folgt auch verständlicherweise, dass es sehr unsicher ist, welche ihm zugeschriebenen Erkenntnisse auch wirklich von ihm stammen. Die wenigen Quellenfragmente, die angeblich von ihm aufgestellte Erkenntnisse aufführen, stammen meist aus den Darstellungen von Platon oder Aristoteles. Außerdem berichtet noch der griechische Philosoph [[Proklos]] (412 - 485 n. Chr.) von den angeblichen mathematischen Erkenntnissen des Thales - allerdings mit einem beachtlichen Abstand von rund 1000 Jahren!


== Politisches Wirken ==
Er war mit [[Anaximander]] und [[Anaximenes]] Vertreter der [[Ionische Philosophie|Ionischen Philosophie]], der ältesten Richtung der griechischen Philosophie und zählt somit zu den so genannten [[Vorsokratiker]]n.
Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass Thales in Milet einen gewissen politischen Einfluss hatte. Spätestens seit [[Platon]]<ref>Platon, ''[[Protagoras (Platon)|Protagoras]]'' 342e ff.</ref> wurde meist Thales als Erster der Sieben Weisen genannt,<ref>Georg Wöhrle (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 17.</ref> zu denen sonst vor allem Staatsmänner wie der berühmte athenische Gesetzgeber [[Solon]] zählten.


Es gibt auch Berichte darüber, dass Thales als politischer Berater hervortrat: [[Herodot]] berichtete etwa, Thales habe den [[Ionier]]n den guten Rat gegeben, „ein gemeinsames Versammlungshaus zu errichten, und zwar in Teos, denn Teos sei der Mittelpunkt Ioniens, die anderen Städte sollten aber nach wie vor als eigenständige Kommunen gelten“.<ref>Herodot, ''Historiae'' I,170; deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 35.</ref> Dies erscheint [[Plausibilität|unplausibel]], da dieser [[Zentralismus|zentralistische]] Gedanke eher in [[Perikles]]’ als in Thales’ Zeit gehört.<ref>M. Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): ''Die Vorsokratiker.'' Band 1, Artemis & Winkler, Mannheim 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 22.</ref>
==(Angebliche) Mathematische Erkenntnisse und Lehrsätze des Thales:==
Anhand von Thales wird deutlich, dass der Weg des Wissens über [[Ägypten]] und [[Babylon]] ins griechische [[Kleinasien]] und von dort nach [[Griechenland]] gelangte. So soll Thales beispielsweise von einer seiner Reisen aus Ägypten[[Geometrie| geometrische Fertigkeiten]] nach Griechenland mit gebracht haben. Folgendes wird von ihm berichtet im Zusammenhang mit mathematischen Lehrsätzen oder Erkenntnissen (Es sei jedoch nochmals darauf hingewiesene, dass keineswegs sicher ist, ob diese Überlieferungen stimmen oder nicht!):
* Berühmt ist die Legende, wie er in Ägypten die Höhe der [[Pyramide]]n gemessen haben soll: Er nahm einen Stab von bekannter Länge und verglich diesen mit der Länge des von jenem geworfenen Schattens. Bei gleichem Sonnenstand müsse nun, so die angebliche Überlegung des Thales, die Länge des Schattens der Pyramide, den er nachmessen konnte, zur Höhe der Pyramide im gleichen Verhältnis wie Stab zu Stabschatten stehen. Wenn Thales - falls die Geschichte zutreffen sollte - den Augenblick wählte, da Stab- und Schattenlänge übereinstimmte, dann hätte er eine einfache Rechnung gehabt. Tat er das nicht, so hätte er Proportionen kennen müssen.
* Ähnliches soll er berechnet haben bei Entfernungen von Schiffen auf See. Hierzu ist jedoch keine entsprechend genauere Anweisung überliefert wie bei der Höhenmessung der Pyramide.
* Er soll gewusst haben, dass ein Kreis durch jeden Durchmesser in zwei gleiche Teile geteilt wird.
* Ihm war angeblich bekannt, das ein gleichschenkliges Dreieck (also ein Dreieck mit zwei gleich langen Seiten) an der dritten Seite, der so genannten Basis, zwei gleiche Winkel besitzt.
* Wenn sich zwei Geraden schneiden,so sind die einander gegenüberliegenden Winkel paarweise gleich - auch das soll Thales gewusst haben.
* Ein Dreieck, so soll er bereits erkannt haben, ist dadurch vollständig bestimmt, dass die Basis und die beiden Winkel an ihren Enden gegeben sind.
* Bekannt ist vor allem der nach ihm benannte [[Satz des Thales]], also dass ein in einen Halbkreis eingeschriebener Winkel immer ein rechter ist.
* Er soll erkannt haben, dass die von den Ägyptern gefundenen Regeln zur Vermessung ihrer Felder (auf empirischem Wege) eine allgemeingültige Grundlage hatten. Stimmt dies, so legte er damit den Grundstein für die ''reine'' Geometrie als Wissenschaft.
* Ganz in diesem Sinne beschäftigte sich Thales der Überlieferung nach im Gegensatz zu den Ägyptern wohl weniger mit Flächen und Rauminhalten, sondern eher mit Linien und Kurven. Hierdurch erreichte er logischerweise einen höheren Abstraktionsgrad.


Außerdem erzählt Diogenes Laertios, er habe den Milesiern abgeraten, ein Bündnis mit [[Krösus|Kroisos]], dem [[Lyder]]könig einzugehen, was die Milesier angesichts des Sieges [[Kyros II.|Kyros’]], des [[Perser (Volk)|Perserkönigs]], später gerettet habe.<ref>[[Diogenes Laertios]] I,25.</ref> Dies ist ein Widerspruch zu der [[Anekdote]] bei Herodot, Thales habe den Fluss [[Kızılırmak|Halys]] umgeleitet, damit Kroisos’ Heer ihn habe überqueren können.<ref>[[Herodot]], ''[[Historien des Herodot|Historiae]]'' I,75.</ref>
Einen [[Deduktion|deduktiven]] Beweis kannte er allerdings damals noch nicht.


Im Einzelnen mögen die Berichte erdichtet sein. Im Ganzen erscheint es jedoch plausibel, dass Thales eine Rolle in der milesischen Politik spielte.
==Die philosophische Lehre des Thales:==


== Philosophie und Wissenschaft ==
1. Die [[Philosophie]] von Thales basiert zum einen auf der Behauptung, dass alles aus [[Wasser]] entstanden sei. Bei seinen Überlegungen ging Thales wohl von der Frage nach dem Urgrund allen Seins und allen Geschehens aus. Da er einen Kreislauf des Werdens zu erkennen glaubte, musste der gesuchte Urstoff ein nicht nur allgemein verbreiteter Stoff, sondern auch ein wandlungsfähiger zugleich sein. Das Wasser erfüllte den Anspruch allem zugrundezuliegen und jegliche Gestalt annehmen zu können scheinbar perfekt: Wasser benötigt jedes Lebewesen zur Existenz und Wasser tritt in verschiedenen Formen des Seins auf, etwa als Dampf oder als Eis oder eben flüssig.
{{Klappleiste|float=right|style=width:50%;
|TITEL=Textstellen zur Philosophie des Thales
|INHALT=
{{Zitat
|Text=Thales lehrte, […] der Kosmos sei beseelt und voller Gottheiten.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,27}}


{{Zitat
Diese [[Hypothese]] war auch am Anfang des [[20. Jahrhundert]]s beliebt, als man annahm, dass sich alles aus [[Wasserstoff]] entwickelt hat.
|Text=Thales glaubte, dass alles von Göttern voll sei.
Ihm wird der Ausspruch ''"Das Wasser ist das Beste"'' (griechisch "Ariston men hydor") zugeschrieben.
|Autor=Aristoteles
|Quelle=''[[De anima]]'' 411a8f.}}


{{Zitat
2. Der zweite, ihm zugedachte Satz lautet: "In allem sind die Götter!" Damit behauptet Thales, dass es nicht auf das Sichtbare der Welt ankommt, sondern auf das, was im Innern der Dinge wohnt, also im Grunde auf das Unsichtbare, welches jedoch das Sichtbare erst zu dem macht, was es '''an sich''' ist.
|Text=Von allen Wesenheiten ist Gott die älteste, denn er ist ungeworden. Die schönste der Kosmos, weil Gottes Werk. Die größte der Raum, weil er alles umfasst. Die schnellste der Geist, da er alles durchläuft. Die stärkste die Notwendigkeit, die alles beherrscht. Die weiseste die Zeit, die alles aufdeckt.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,35}}


{{Zitat
Diese beiden philosophischen Ideen stehen offenkundig im Widerspruch zueinander, da Thales einerseits davon ausgeht, dass der Urgrund allen Seins etwas Stoffliches, nämlich das Wasser, darstellt, andererseits jedoch behauptet, dass die Wirklichkeit, also alles Stoffliche, im Grunde göttlich, also nicht stofflich ist.
|Text=Thales sei der erste gewesen, der die Seelen unsterblich genannt habe.
Wilhelm Weischedel bemerkt in seinem bekannten Buch 'Die philosophische Hintertreppe' dazu an: ''"Noch in der Gegenwart geht es in den philosophischen Diskussionen entscheiden darum, ob die Welt von einem rein materiellen Prinzip her zu verstehen ist, oder ob wir annehmen sollen, die Dinge seien sichtbare Zeichen eines Tieferen, die Welt sei Ausdruck eines in ihr waltenden göttlichen Prinzips, vielleicht gar das Geschöpf eines schaffenden Gottes." (S. 15)
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,24}}


{{Zitat
Diese Überlegung Weischedel berücksichtigend wird deutlich, warum ausgerechnet Thales einen Ruhm als ''Vater der Philosophie'' erwerben konnte: Er gilt der Legende nach als derjenige, der sich zuerst die entscheidenden Fragen zu stellen getraute und er war angeblich der erste, der zwei denkbare Antworten gab, die - leider oder auch glücklicherweise - in scheinbar unvereinbarem Widerstreit zu einanderstehen, damit jedoch die beiden Urerklärungsmodelle des Vorhandenseins jeglichen Seins implizieren.
|Text=Nach der Überlieferung zu urteilen hat es den Anschein, dass auch Thales die Seele als Bewegungsursache betrachtet hat. Er behauptete jedenfalls, der Magnetstein habe, weil er das Eisen bewege, eine Seele.
|Autor=Aristoteles
|Quelle=''De anima'' 405a19f.}}


{{Zitat
|Text=Aristoteles und Hippias geben an, er habe unter Hinweis auf Magneteisen und Bernstein auch dem Unbelebten eine Seele zugeschrieben.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,24}}

{{Zitat
|Text=Von ihm rührt auch das ‚Erkenne dich selbst‘ her.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,40<ref>Vgl. auch Diogenes Laertios I,36.</ref>}}

{{Zitat
|Text=Er hat auch behauptet, zwischen Leben und Tod sei kein Unterschied. ‚Warum stirbst du dann nicht?‘ fragte ihn jemand. Und er: ‚Weil es egal ist!‘
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,35}}
}}

=== Naturphilosophie ===
==== Wasser als ''archḗ'' ====
Wasser war neben anderen Begriffen schon lange vor Thales ein Begriff, der in [[Kosmogonie]]n des [[Alter Orient|Alten Orients]] dazu benutzt wurde, die Herkunft der Welt zu erklären. Die Vorstellung eines kosmischen Urozeans, innerhalb dessen Himmel und Erde entstanden sein sollen, findet sich unter der Bezeichnung [[Apsu]] bereits in der [[sumer]]ischen Mythologie und gelangte von dort aus wahrscheinlich sowohl nach [[Babylonien]] wie ins [[Altes Ägypten|Alte Ägypten]]. Auch in der ''[[Ilias]]'', die im 8. Jahrhundert v. Chr. von [[Homer]] gedichtet wurde, wird von dem Flussgott [[Okeanos]] gesagt, er sei der „Ursprung der Götter“<ref>[[Homer]], ''[[Ilias]]'' 14,201.</ref> und der „Ursprung von allem.“<ref>[[Homer]], ''[[Ilias]]'' 14,246.</ref> Im 7. Jahrhundert v. Chr. schrieb der Dichter [[Alkman]] eine Weltentstehungsgeschichte, an deren Anfang die Gewässer stehen.<ref>[[Jaap Mansfeld]] (Hrsg.): ''Die Vorsokratiker I.'' Griechisch/Deutsch, Reclam, Stuttgart 1998, S. 40.</ref> Es kann angenommen werden, dass einige dieser alten Vorstellungen Thales beeinflusst haben. Jedenfalls ist dieser in die Philosophiegeschichte eingegangen, weil er das Wasser als den Anfang oder Urgrund aller Dinge bezeichnet haben soll:

[[Datei:Deggendorf-Thales.jpg|mini|hochkant=1.4|Ein Thales-Denkmal in [[Deggendorf]]]]

{{Zitat
|Text=Thales […] bezeichnet als […] Ursprung ''<nowiki>[</nowiki>[[Archē|archḗ]]]'' das Wasser ''[hýdōr].'' Auch das Land, lehrte er deshalb, ruhe auf dem Wasser. Den Anlass zu dieser Ansicht bot ihm wohl die Beobachtung, dass die Nahrung aller Wesen feucht ist, dass die Wärme selber daraus entsteht und davon lebt; woraus aber jegliches wird, das ist der Ursprung von allem. War dies der eine Anlass zu seiner Ansicht, so war ein andrer wohl der Umstand, dass die Samen aller Wesen von feuchter Beschaffenheit sind, das Wasser aber das Prinzip für die Natur des Feuchten ausmacht. Manche nun sind der Meinung, dass schon die Uralten, die lange Zeit vor dem gegenwärtigen Zeitalter gelebt und als die ersten in mythischer Form nachgedacht haben, die gleiche Annahme über die Substanz gehegt hätten. Diese bezeichneten Okeanos und Tethys als die Urheber der Weltentstehung und das Wasser als das, wobei die Götter schwören. […] Ob nun darin wirklich eine so ursprüngliche Ansicht über die Substanz zu finden ist, das mag vielleicht nicht auszumachen sein. Jedenfalls von Thales wird berichtet, dass er diese Ansicht von der obersten Ursache aufgestellt habe.
|Autor=Aristoteles
|Quelle=''[[Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysica]]'' 983b20f.}}

Nach Aristoteles war Thales der erste Philosoph, der die Frage nach einem Urgrund aller Dinge stellte.<ref>Aristoteles, ''[[Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysica]]'' 983b20f.</ref> Aristoteles unterscheidet die Ansichten der Vorsokratiker nach Anzahl und Beschaffenheit des angenommenen Ursprungs aller Dinge (''archḗ''). Thales habe nicht mehrere Ursprünge angenommen&nbsp;– wie [[Empedokles]], der von den vier Ursprüngen Feuer, Wasser, Luft und Erde ausging&nbsp;–, sondern nur einen, der zudem „materieller“ Natur gewesen sei, also nicht „immateriell“ wie etwa „das Unbegrenzte“ seines Schülers [[Anaximander]].<ref>Aristoteles, ''[[Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysica]]'' 983b; vgl. auch ''[[Physik (Aristoteles)|Physica]]'' 184b.</ref> Ähnliches wie Aristoteles berichten auch [[Hippolyt von Rom]] und Diogenes Laertios, wobei Hippolyt von Rom im folgenden Zitat auch die Theologie und Astronomie des Thales, sowie eine Anekdote erwähnt:

{{Zitat
|Text=Thales aus Milet, einer der sieben Weisen, soll sich zuerst mit Naturwissenschaft befaßt haben. Er behauptete, Ursprung und Ende des Alls sei das Wasser; denn aus Wasser, sei es in festem, sei es in flüssigem Zustande, bestehe das Universum, und es schwebe auf dem Wasser; hiervon kämen auch die Erdbeben, die Wechsel der Winde und die Bewegungen der Gestirne; alles sei in der Schwebe und im Flusse, wie es die Natur der ersten Werdensursache mit sich bringe; das, was weder Anfang noch Ende habe, sei Gott. Thales widmete sich auch der Lehre und der Forschung über die Gestirne und ist so für die Griechen der erste Begründer der diesbezüglichen Wissenschaft. Da er eines Tages zum Himmel hinaufschaute, um die Dinge oben genau beobachten zu können, wie er sagte, fiel er in einen Brunnen. Eine Magd, namens Thratta, lachte ihn aus und sagte: ‚Da er die Dinge am Himmel sehen will, übersieht er, was vor seinen Füßen ist.‘ Thales lebte zur Zeit des Krösus.
|Autor=[[Hippolyt von Rom]]
|Quelle=''[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1764.htm Refutatio omnium haeresium]'' I,1}}

{{Zitat
|Text=Thales lehrte, der Ursprung aller Dinge sei das Wasser.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,27}}

{{Siehe auch|Vier-Elemente-Lehre}}

==== Sonstiges ====
Aristoteles berichtet, Thales habe die Ruhelage der Erde damit erklärt, dass die Erde auf Wasser schwimme.<ref>[[Aristoteles]], ''[[Über den Himmel]]'' II,13,294a28–b6; vgl. Aristoteles, ''[[Metaphysik (Aristoteles)|Metaphysica]]'' 983b20.</ref>

Als Grund für die jährliche Überschwemmung des [[Nil]]s soll Thales die [[Etesien]] genannt haben, denn diese Sommerwinde, die der nördlichen Fließrichtung des Nils entgegengesetzt sind, würden das Abfließen ins Mittelmeer verhindern.<ref>[[Herodot]], ''[[Historien des Herodot|Historiae]]'' II,20 (ohne Nennung Thales’); [[Diogenes Laertios]] I,37.</ref>

=== Mathematik ===
[[Datei:01 Satz des Thales.gif|mini|hochkant=1.4|Veranschaulichung des Satzes des Thales]]
[[Datei:Thales Theorem 6.svg|mini|hochkant=1.4|Hier steht die Sonne so, dass der Schatten eines Stabes (B) genauso lang ist, wie der Stab selbst (A) und die Länge des Schattens einer Pyramide plus deren halbe Seitenlänge (ergibt C) genauso lang ist, wie die Höhe der Pyramide (D). Thales hat den Schatten und die Seitenlänge der Pyramide abgemessen und so sagen können, wie hoch sie ist.]]

[[Diogenes Laertios]] hat uns zwei mathematische Erkenntnisse des Thales überliefert. So sage Pamphile, Thales habe „als Erster das rechtwinklige Dreieck in den Kreis eingetragen.“<ref>[[Diogenes Laertios]] I,24; deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 197.</ref> Üblicherweise wird diese Stelle bei Diogenes Laertios so interpretiert, dass hier der [[Satz des Thales]] gemeint ist. Der Satz des Thales ist ein mathematischer Lehrsatz, nach dem ein Dreieck, von dem eine Seite dem Durchmesser seines [[Umkreis]]es entspricht, ein rechtwinkliges Dreieck ist. Man kann die Stelle aber auch so interpretieren, dass Thales das zum Kreis flächengleiche rechtwinklige Dreieck gezeichnet habe, dabei ergibt sich 3 als Näherung für die [[Kreiszahl]].<ref>Vgl. [[Fritz Krafft]]: ''Geschichte der Naturwissenschaften I'', Rombach, Freiburg 1971, S. 90 f.</ref> Die zweite Stelle lautet: „Auch berichtet [[Hieronymos von Rhodos|Hieronymos]], er habe die Höhe der [[Pyramide (Bauwerk)#Ägyptische Pyramiden|Pyramiden]] gemessen vermittelst ihres Schattens, den er genau in dem Zeitpunkt abmaß, wo unser Schatten und unser Leib die gleiche Länge haben.“<ref>Diogenes Laertios I,27.</ref> Dieses Messverfahren kann als früher Vorläufer eines späteren [[Strahlensatz]]es angesehen werden, der Wahrheitsgehalt der überlieferten Stelle ist jedoch umstritten. So ist das beschriebene Messverfahren nicht zur Messung der Höhe von jeder Pyramide geeignet (einige haben einen zu flachen [[Steigung]]s&shy;winkel), bei einer geeigneten stand auch nur bei günstigem Sonnenstand, also an ein oder zwei Tagen im Jahr, die Spitze des Pyramidenschattens genau senkrecht über einer Pyramidenkante, sodass dieser direkt messbar war.<ref>[[Helmuth Gericke]]: ''Mathematik in Antike und Orient.'' S. 75.</ref> Diese Methode war für die Messung von Pyramidenhöhen also kaum praktisch verwendbar und auch nicht besonders eindrucksvoll, denn die Ägypter konnten die Höhe einer Pyramide ohne Schwierigkeit berechnen.<ref>[[Helmuth Gericke]]: ''Mathematik in Antike und Orient.'' S. 60 f.</ref>

Weitere mathematische Erkenntnisse des Thales gibt [[Proklos]] in seinem Kommentar zu [[Euklid]]s ''[[Elemente (Euklid)|Elementen]]'' an: „Dass der Kreis durch den Durchmesser halbiert wird, soll zuerst Thales bewiesen haben.“<ref>[[Proklos]], ''In primum Euclidis elementorum librum commentarii'' 157,10 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): ''Die Fragmente der Vorsokratiker'' 11A20).</ref> Weiter schreibt Proklos: „Es wird gesagt, er habe als erster gewusst und gesagt, dass in jedem gleichschenkligen Dreieck die Winkel an der Grundlinie gleich sind, wobei er in altertümlicher Weise die gleichen [ἴσας, d.&nbsp;h. maßgleich] Winkel ähnlich [ὁμοίας, d.&nbsp;h. gestaltgleich] nannte.“<ref>[[Proklos]], ''In primum Euclidis elementorum librum commentarii'' 250,22 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): ''Die Fragmente der Vorsokratiker'' 11A20).</ref> Nach [[Eudemos von Rhodos|Eudemos]] soll Thales auch zuerst gefunden haben, dass [[Scheitelwinkel]] gleich sind, aber erst Euklid habe einen Beweis für erforderlich gehalten.<ref>[[Proklos]], ''In primum Euclidis elementorum librum commentarii'' 299,1 (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): ''Die Fragmente der Vorsokratiker'' 11A20).</ref> Eine weitere Stelle lautet: „Eudemos führt in seiner ''Geschichte der Geometrie'' diesen Satz [den dritten [[Kongruenzsatz]]] auf Thales zurück. Er sagt, die Methode, nach der er die Entfernung der Schiffe auf dem Meer errechnete, müsse notwendig auf Verwendung dieses Satzes beruhen.“<ref>[[Proklos]], ''In primum Euclidis elementorum librum commentarii'' 352,14 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): ''Die Fragmente der Vorsokratiker'' 11A20).</ref> Es ist jedoch bis heute unklar, wie Thales dies durchgeführt haben soll, antike Messverfahren waren dafür kaum geeignet.<ref>[[Helmuth Gericke]]: ''Mathematik in Antike und Orient.'' S. 76 f.</ref> Eudemos nahm zudem nur an, dass Thales diesen Satz kannte.

=== Astronomie ===
Herodot berichtet, Thales habe das Jahr einer Verfinsterung korrekt vorhergesagt, welche plötzlich während einer [[Schlacht am Halys|Schlacht zwischen Lydern und Medern]] eingetreten sei.<ref>[[Herodot]], ''Historiae'' I,74.</ref> Häufig wird dies so gedeutet, dass damit eine totale Sonnenfinsternis gemeint ist. [[Plinius der Ältere]] berichtete dass Thales der erste Grieche war, der eine Sonnenfinsternis voraussagte und datierte dieses Ereignis in das vierte Jahr der 48. Olympiade, also in das Jahr 485/84 v. Chr.<ref>Plinius, ''[[Naturalis historia]]'' 2, 12 ([https://archive.org/details/bub_gb_LZ9AAAAAcAAJ/page/13/mode/1up Digitalisat]).</ref> Eusebius von Caesarea setzt die von Thales vorhergesagte „Verfinsterung der Sonne“ in das 2. Jahr der 49. Olympiade, 483/82 v. Chr.<ref>Eusebius von Caesarea: ''Chronik'' ([https://archive.org/details/eusebiuswerke05euse/page/187/mode/1up Digitalisat])</ref> und Sophronius Eusebius Hieronymus das „Verschwinden der Sonne“, je nach Handschrift, zwischen 588/87 und 585/4 v. Chr.<ref>Hieronymus: ''Chronik'' ([https://archive.org/details/eusebiuswerke71euse/page/n191/mode/2up Digitalisat])</ref> [[Georgios Synkellos]], der kein genaues Datum angibt, legt die „Sonnenfinsternis“ zeitlich vor die ersten [[Pythische Spiele|Pythischen]] (582 v. Chr.) und ersten [[Isthmische Spiele|Isthmischen Spiele]] (580 v. Chr.).<ref>Georgios Synkellos: ''Chronographia'' p. 239 ([[Wilhelm Dindorf]] (Hrsg.): ''Georgius Syncellus et [[Nikephoros I. (Patriarch)|Nicephorus Cp.]]'' Band 1, Bonn 1829 (= ''[[Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae]].'' Band 22), S. 453 ([https://archive.org/details/bub_gb_MM4GAAAAQAAJ/page/452/mode/2up?view=theater&q=thales Digitalisat]))</ref>

Rückwirkend wurde berechnet, dass am ehesten die [[Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. Chr.]] zu diesen Angaben passe. Herodots Zitat lässt jedoch offen, um was für eine Verfinsterung es sich handelte. Totale Sonnenfinsternisse geschehen äußerst selten, eine [[Okkultation|atmosphärische Verfinsterung]] ist viel wahrscheinlicher. Die späteren Autoren scheinen von einer totalen Sonnenfinsternis zu berichten. Mit dem Kenntnisstand zu Thales’ Zeit war es zudem nicht möglich, den Zeitpunkt einer Sonnenfinsternis im Voraus zu berechnen. Wahrscheinlich ist, dass Thales etwas anderes vorhergesagt hat, das nachträglich von Herodot mit der Verfinsterung bei jener Schlacht identifiziert wurde.<ref>[[Otta Wenskus]]: ''Die angebliche Vorhersage einer Sonnenfinsternis durch Thales von Milet. Warum sich diese Legende so hartnäckig hält und warum es wichtig ist, ihr nicht zu glauben.'' In: ''[[Hermes (Zeitschrift)|Hermes]].'' Band 144, Nr. 1, 2016, S. 2–17.</ref> Der Astronom Miguel Querejeta möchte Thales’ Voraussage der Sonnenfinsternis mittels eines Zyklus, ähnlich dem [[Saroszyklus]], nicht vollständig ausschließen, dass diese Vorhersage zutraf war jedoch ein Zufall und ist kaum auf wissenschaftliche Erkenntnis zurückzuführen.<ref>{{Literatur |Autor=Miguel Querejeta |Titel=On the Eclipse of Thales, Cycles and Probabilities |Sammelwerk=Culture and Cosmos |Band=15 |Nummer=01 |Datum=2011-06 |Seiten=5–16 |Online=http://www.cultureandcosmos.org/pdfs/15-1/15-1_Querejeta_Eclipse_Thales.pdf |Format=PDF |KBytes= |Abruf=2021-06-01 |DOI=10.46472/CC.0115.0203}}</ref>

Folgendes hat Diogenes Laertios zur Astronomie des Thales überliefert:

{{Zitat
|Text=Manche Autoren geben an, er habe als erster Astronomie getrieben, Sonnenfinsternisse vorhergesagt und die Sonnenwenden festgelegt.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,23}}

{{Zitat
|Text= Auch bestimmte er zuerst die Sonnenbahn von Wende zu Wende, nach anderen auch das Verhältnis von Sonnen- und Monddurchmesser zum jeweiligen Bahnumfang als 1:720. Als erster hat er den monatsletzten Tag mit ‚der Dreißigste‘ bezeichnet und [[Naturtheorie|naturtheoretische]] Probleme erörtert.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,24}}

{{Zitat
|Text=Er soll die Jahreszeiten eingeführt und das Jahr in 365 Tage geteilt haben.
|Autor=Diogenes Laertios
|Quelle=I,27}}

Der Mondkrater [[Thales (Mondkrater)|Thales]] ist nach ihm benannt.

=== Technik ===
Auch von einer möglichen Ingenieursleistung des Thales wurde berichtet. So habe er den Fluss [[Kızılırmak|Halys]] zumindest teilweise umgeleitet, damit ihn das Heer des Kroisos habe überqueren können.<ref>[[Diogenes Laertios]] I,38.</ref> Herodot bezweifelte dies und ließ das Heer den Fluss auf bestehenden Brücken überqueren.<ref>[[Herodot]], ''[[Historien des Herodot|Historiae]]'' I,75.</ref>

== Anekdoten ==
Bekannt geworden sind vor allem zwei Anekdoten über Thales. Nach der ersten soll er aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse eine große Olivenernte prognostiziert und daraufhin gewinnbringend in Ölpressen investiert haben:
{{Zitat
|Text=Man hielt ihm […] aufgrund seiner Armut vor, dass die Philosophie eine nutzlose Beschäftigung sei. Da er nun infolge seiner Sternbeobachtung erkannt hatte, dass es eine reiche Olivenernte geben werde, soll er noch im Winter […] für alle Ölpressen in Milet und Chios Anzahlungen hinterlegt und sie, da niemand dagegenhielt, für einen geringen Betrag gemietet haben. Als aber der rechte Augenblick gekommen war, und gleichzeitig und plötzlich ein hoher Bedarf an Ölpressen entstand, habe er sie zu seinen Bedingungen vermietet und viel Geld dabei gemacht. Er habe damit bewiesen, dass es für Philosophen leicht sei, reich zu werden, wenn sie nur wollten, es jedoch dies nicht sei, wonach sie strebten.
|Autor=[[Aristoteles]]
|Quelle=''[[Politik (Aristoteles)|Politica]]'' 1259a
|ref=<ref>Deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 49.</ref><ref>Vgl. [[Diogenes Laertios]] I,26.</ref>
}}

Nach der zweiten soll er von einer Magd verspottet worden sein, weil er beim Sterneschauen in einen Brunnen gefallen sei:
{{Zitat
|Text=Thales […] fiel, als er sich mit den Sternen beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen. Da soll ihn eine witzige und reizende thrakische Magd verspottet haben, weil er zwar die Dinge am Himmel zu erkennen begehre, ihm aber, was ihm vor den Füßen liege, entgehe.
|Autor=[[Platon]]
|Quelle=''[[Theaitetos]]'' 174a
|ref=<ref>Deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 40.</ref>
}}

Siehe dazu auch [[Liste griechischer Phrasen/Sigma#Σὺ τὰ ἐν οὐρανῷ βλέπειν πειρώμενος τὰ ἐπὶ τῆς γῆς οὐχ ὁρᾷς;|{{lang|grc|Σὺ τὰ ἐν οὐρανῷ βλέπειν πειρώμενος τὰ ἐπὶ τῆς γῆς οὐχ ὁρᾷς;}}]] in der ''Liste griechischer Phrasen''.

Eine häufig rezipierte Anekdote ist, dass Thales einen [[Dreifuß]] erhalten habe, welcher als Preis für den weisesten aller Menschen gedacht gewesen sei. Es existieren einige widersprüchliche Fassungen dieser Geschichte.<ref>Diogenes Laertios I,27–33.</ref>

== Überlieferung ==
Fast alle Forscher gehen davon aus, dass Thales kein Schriftsteller war.<ref>Niels Christian Dührsen: ''Thales.'' In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''Die Philosophie der Antike.'' Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 239.</ref> Was von ihm bekannt ist, wurde durch andere antike Autoren überliefert.<ref>Niels Christian Dührsen: ''Thales.'' In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''Die Philosophie der Antike.'' Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 237.</ref> Eine der Hauptquellen zu seinem Leben und Werk ist der antike Schriftsteller [[Diogenes Laertios]], der allerdings etwa 800 Jahre nach Thales gelebt hat. Schon dieser war auf manchmal widersprüchliche Quellen angewiesen. Frühere Autoren, die über Thales berichten, sind der Geschichtsschreiber Herodot sowie die Philosophen [[Platon]] und vor allem [[Aristoteles]].

== Ehrung ==
Nach Thales ist die Pflanzengattung ''Thalesia'' {{Person|Bronner}} aus der Familie der [[Weinrebengewächse]] (Vitaceae) benannt.<ref>Lotte Burkhardt: ''Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen – Erweiterte Edition.'' Teil I und II. Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-26-5 [[doi:10.3372/epolist2018]].</ref>

== Quellensammlungen ==
* [[Hermann Diels]], [[Walther Kranz]] (Hrsg.): ''[[Die Fragmente der Vorsokratiker]].'' 6. Auflage. Band 1, Berlin 1951, S. 67–81 (nur teilweise mit deutscher Übersetzung; zahlreiche Neuauflagen).
* M. Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): ''Die Vorsokratiker.'' Band 1, Artemis & Winkler, Mannheim 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 6–31 (mit deutscher Übersetzung, Erläuterungen sowie Einführung zu Leben und Werk).
* [[Jaap Mansfeld]] (Hrsg.): ''Die Vorsokratiker.'' Band 1, Reclam, Stuttgart 1983, S. 44–55 (nur deutsche Übersetzung; zahlreiche Neuauflagen).
* [[Georg Wöhrle]] (Hrsg.): ''Thales'' (= ''Traditio Praesocratica. Die Milesier.'' Band 1). De Gruyter, Berlin 2009 (mit deutscher Übersetzung).


== Literatur ==
== Literatur ==
'''Übersichtsdarstellungen in Handbüchern'''
* M. Cantor: ''Vorlesungen über Geschichte der Mathematik'',Band 1, Verlag Teubner, Leipzig 1908.
* Dmitri Panchenko: ''Thalès de Milet.'' In: Richard Goulet (Hrsg.): ''Dictionnaire des philosophes antiques.'' Band 6, CNRS Éditions, Paris 2016, ISBN 978-2-271-08989-2, S. 771–793.
* B. Russell: ''Philosophie des Abendlandes'' Europa Verlag Hamburg/Wien 1950.
* [[Hellmut Flashar]] u. a. (Hrsg.): ''Frühgriechische Philosophie'' (= ''Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike.'' Band 1). Halbband 1, Schwabe, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 182–184 ([[Thomas Schirren]]: Biographie des Thales) und S. 237–262 (Niels Christian Dührsen: Werk, Lehre, Rezeption).
* B. Russell: ''Denker des Abendlandes'' Belser Verlag Stuttgart 1962 oder dtv München 1991.
* {{DictSciBiogr |Autor=James Longrigg |Lemma=Thales |Band=13 |Seiten=295–298 |Kommentar=}}
* J. Burnet: ''Die Anfänge der griechischen Philosophie'' Verlag Teubner, Leipzig und Berlin. 1913
* R. Flood, R. Wilson: ''Thales.'' In: ''The Great Mathematicians.'' Arcturus, London 2012, ISBN 978-1-84858-843-1, S. 30–33.
* Wilhlem Weischedel: ''Die philosophische Hintertreppe. 34 große Philosophen in Alltag und Denken'', dtv, 21. Auflage, München 1995, S. 11 - 18.
* {{RE|V A,1|1210|1212|Thales 1|[[Wilhelm Nestle]]||[https://elexikon.ch/RE/VA,1_1209 Digitalisat]}}
* Hans Joachim Störig: ''Kleine Weltgeschichte der Philosophie'' Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1996.
* {{RE|S X|930|947|Thales 1|[[Carl Joachim Classen]]||[https://elexikon.ch/RE/SX_929 Digitalisat]}}
* Hans Joachim Störig: ''Weltgeschichte der Wissenschaft'', Augsburg 1992, 1. Band, S. 81 f.
* {{KlP|5|644|645|Thales|[[Heinrich Dörrie]]}}
* Dieter Göbel, ''Glanzlichter der Philosophie. Große Denker von Aristoteles bis Popper'', Augsburg 1998, S. 13 - 21.

'''Gesamtdarstellungen und Untersuchungen'''
* [[Hans Blumenberg]]: ''Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie.'' Frankfurt 1987.
* [[Helmuth Gericke]]: ''Mathematik in Antike und Orient.'' Springer, Berlin 1984.
* [[Willy Hartner]]: ''Eclipse Periods and Thales’ Prediction of a Solar Eclipse. Historic Truth and Modern Myth.'' In: ''Centaurus.'' Band 14, 1969, S. 60–71.
* Pietro Mazzeo: ''Talete, il primo filosofo.'' Editrice Tipografica, Bari 2010.
* [[Bruno Snell]]: ''Die Nachrichten über die Lehren des Thales und die Anfänge der griechischen Philosophie- und Literaturgeschichte.'' In: ''[[Philologus]].'' Band 96, 1944, S. 170 ff. (auch in: Bruno Snell: ''Gesammelte Schriften.'' Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966, S. 119–128; sowie in: Carl Joachim Classen (Hrsg.): ''Sophistik.'' Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976, S. 478–490).
* Patricia F. O’Grady: ''Thales of Miletus: The Beginnings of Western Science and Philosophy''. Taylor & Francis, 2017, ISBN 978-1-351-89537-8.
* [[Gotthard Strohmaier]] (Hrsg.): ''Die Milesier: Thales''. Walter de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-019669-6.

'''Rezeption'''
* {{DNP|Suppl. 8|971|976|Thales|Gero Guttzeit}}

== Weblinks ==
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/thales|Thales|Patricia O’Grady}}
* {{MacTutor|id=Thales|title=Thales of Miletus}}
* Karl Bormann: ''[http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?tx_gbwbphilosophie_main%5Bentry%5D=52&tx_gbwbphilosophie_main%5Baction%5D=show&tx_gbwbphilosophie_main%5Bcontroller%5D=Lexicon&no_cache=1 Thales von Milet.]'' In: ''UTB-Online-Wörterbuch Philosophie.''
* Peter Adamson: 1. Folge aus seinem Podcast: „The History of Philosophy Without any Gaps“, https://historyofphilosophy.net/thales
* Diogenes Laertios: [https://archive.org/stream/apeltdiogeneslaertios1sub#page/n0/mode/2up Leben und Meinungen berühmter Philosophen], übersetzt und erläutert von [[Otto Apelt]], Erster Band Buch I – VI, Leipzig 1921


==Weblinks:==
== Fußnoten ==
<references />
* http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Auditorium/BeGriRoe/SO9/DiogThal.htm
* http://www.anderegg-web.ch/phil/thales.htm


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{{Personendaten
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[[en:Thales]]
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|ALTERNATIVNAMEN=Thales von Milet
[[es:Tales]]
|KURZBESCHREIBUNG=griechischer Philosoph, Mathematiker, Astronom; angeblich erster Philosoph
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Aktuelle Version vom 12. April 2025, 14:41 Uhr

Darstellung des Thales aus einem schwedischen Lexikon 1875

Thales von Milet (altgriechisch Θαλῆς ὁ Μιλήσιος Thalḗs ho Milḗsios; * wahrscheinlich um 624/23 v. Chr. in Milet; † zwischen 548 und 544 v. Chr.[1] ebenda) war ein vorsokratischer Naturphilosoph, Geometer und Astronom des archaischen Griechenlands.

Thales hat wahrscheinlich keine Schriften hinterlassen. Die Überlieferung fand durch andere Autoren der Antike statt. Da sich schon früh Legenden um ihn gebildet haben, kann man sich auf über ihn bekannte Details meist nicht verlassen. Es lässt sich jedoch ein grobes Bild zeichnen. Demnach hat er sich in seiner Heimatstadt Milet politisch betätigt und war jemand, der für seine große Weisheit bewundert wurde. So erachtete man ihn als einen der Sieben Weisen und als Begründer der antiken Naturphilosophie, Astronomie und Geometrie.

Thales, dessen Eltern Examyes und Kleobuline hießen, war in der Stadt Milet an der Westküste Kleinasiens beheimatet. Ob er phönizischer Herkunft war oder nicht, ist umstritten. Er (oder wenigstens seine Mutter) entstammte laut Diogenes Laertios dem hochadeligen Geschlecht der Theliden.[2][3] Es wird allerdings auch die Meinung vertreten, dass Thales’ Mutter griechischer, sein Vater karischer Abstammung war.[4]

Nach der Chronika des Apollodors von Athen (etwa 180–110 v. Chr.[5]) soll Thales im ersten Jahr der 35. Olympiade, also 640/39 v. Chr., geboren sein und ein Alter von 78 Jahren erreicht haben.[6] Auch Eusebius von Caesarea setzte seine Geburt in diese Zeit.[7] Bei Sophronius Eusebius Hieronymus fällt die Geburt des Thales je nach Handschrift in das vierte Jahr der 34. oder erste Jahr der 35. Olympiade.[8] Nach dem Chronicon Paschale soll er im 4. Jahr der 55. Olympiade, also 557/56 v. Chr. im Alter vom 91 Jahren gestorben sein.[9] Im selben Werk ist jedoch auch angegeben, dass er im 3. Jahr der 10. Olympiade, also 738/37 v. Chr. auf der Insel Tenedos gestorben sei.[10] Solch ein frühes Datum wie es auch bei John Anthony Cramer[11] erscheint ist undenkbar und möglicherweise auf eine falsche Olympiadenzählung durch Phlegon von Tralleis zurückzuführen.[12] Die Erwähnung, dass Thales auf Tenedos gestorben sei führte jedoch dazu, dass man Kleostratos von Tenedos zu seinem Schüler und Nachfolger erklärte.

Alle anderen Quellen legen das Todesjahr in die 58. Olympiade (548–545 v. Chr.).[13] Eusebius von Caesarea datierte dies ins erste Jahr der 58. Olympiade (548/47 v. Chr.).[14] Je nach Handschrift fällt es bei Hieronymus ins 4. Jahr der 57. oder ins erste Jahr der 58. Olympiade. Sosikrates von Rhodos (etwa 200–128 v. Chr.) gab an, dass Thales im Alter von 90 Jahren während der 58. Olympiade starb.[6] Die überlieferten Daten scheinen nahezulegen, dass Thales 639 v. Chr. geboren wurde und 548 v. Chr. im Alter von 91 Jahren starb. Hermann Diels vermutete jedoch, dass Thales’ Akme mit der Voraussage der Sonnenfinsternis 585 v. Chr. zusammenfiel und er zu diesem Zeitpunkt um die 40 Jahre war. Er ging deshalb davon aus, dass die Angabe der Olympiade für Thales’ Geburt verdorben und Apollodors Angabe zum Sterbealter korrekt war. Diels korrigierte das Geburtsdatum auf das erste Jahr der 39. Olympiade (624/23 v. Chr.) und seinen Tod ins dritte Jahr der 58. Olympiade (546/45 v. Chr.).[12][15]

Über Thales’ Familiensituation gibt es widersprüchliche Informationen. Möglicherweise hatte er eine Frau und ein Kind, nach anderen Aussagen war er unverheiratet und hat den Sohn seiner Schwester adoptiert.[16]

Diogenes Laertios berichtet, Thales sei von niemandem angeleitet worden, abgesehen von den Ägyptern und den Priestern.[17] Er zitiert Pamphile, Thales habe von den Ägyptern die Geometrie gelernt.[18] Vermutlich hielt er sich eine Zeit lang zu Forschungszwecken in Ägypten (und auch Kreta) auf und lernte dort von Priestern und Astronomen auf den Gebieten der Mathematik und Astronomie.[19]

Politisches Wirken

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Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass Thales in Milet einen gewissen politischen Einfluss hatte. Spätestens seit Platon[20] wurde meist Thales als Erster der Sieben Weisen genannt,[21] zu denen sonst vor allem Staatsmänner wie der berühmte athenische Gesetzgeber Solon zählten.

Es gibt auch Berichte darüber, dass Thales als politischer Berater hervortrat: Herodot berichtete etwa, Thales habe den Ioniern den guten Rat gegeben, „ein gemeinsames Versammlungshaus zu errichten, und zwar in Teos, denn Teos sei der Mittelpunkt Ioniens, die anderen Städte sollten aber nach wie vor als eigenständige Kommunen gelten“.[22] Dies erscheint unplausibel, da dieser zentralistische Gedanke eher in Perikles’ als in Thales’ Zeit gehört.[23]

Außerdem erzählt Diogenes Laertios, er habe den Milesiern abgeraten, ein Bündnis mit Kroisos, dem Lyderkönig einzugehen, was die Milesier angesichts des Sieges Kyros’, des Perserkönigs, später gerettet habe.[24] Dies ist ein Widerspruch zu der Anekdote bei Herodot, Thales habe den Fluss Halys umgeleitet, damit Kroisos’ Heer ihn habe überqueren können.[25]

Im Einzelnen mögen die Berichte erdichtet sein. Im Ganzen erscheint es jedoch plausibel, dass Thales eine Rolle in der milesischen Politik spielte.

Philosophie und Wissenschaft

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Textstellen zur Philosophie des Thales

„Thales lehrte, […] der Kosmos sei beseelt und voller Gottheiten.“

Diogenes Laertios: I,27

„Thales glaubte, dass alles von Göttern voll sei.“

Aristoteles: De anima 411a8f.

„Von allen Wesenheiten ist Gott die älteste, denn er ist ungeworden. Die schönste der Kosmos, weil Gottes Werk. Die größte der Raum, weil er alles umfasst. Die schnellste der Geist, da er alles durchläuft. Die stärkste die Notwendigkeit, die alles beherrscht. Die weiseste die Zeit, die alles aufdeckt.“

Diogenes Laertios: I,35

„Thales sei der erste gewesen, der die Seelen unsterblich genannt habe.“

Diogenes Laertios: I,24

„Nach der Überlieferung zu urteilen hat es den Anschein, dass auch Thales die Seele als Bewegungsursache betrachtet hat. Er behauptete jedenfalls, der Magnetstein habe, weil er das Eisen bewege, eine Seele.“

Aristoteles: De anima 405a19f.

„Aristoteles und Hippias geben an, er habe unter Hinweis auf Magneteisen und Bernstein auch dem Unbelebten eine Seele zugeschrieben.“

Diogenes Laertios: I,24

„Von ihm rührt auch das ‚Erkenne dich selbst‘ her.“

Diogenes Laertios: I,40[26]

„Er hat auch behauptet, zwischen Leben und Tod sei kein Unterschied. ‚Warum stirbst du dann nicht?‘ fragte ihn jemand. Und er: ‚Weil es egal ist!‘“

Diogenes Laertios: I,35

Naturphilosophie

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Wasser als archḗ

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Wasser war neben anderen Begriffen schon lange vor Thales ein Begriff, der in Kosmogonien des Alten Orients dazu benutzt wurde, die Herkunft der Welt zu erklären. Die Vorstellung eines kosmischen Urozeans, innerhalb dessen Himmel und Erde entstanden sein sollen, findet sich unter der Bezeichnung Apsu bereits in der sumerischen Mythologie und gelangte von dort aus wahrscheinlich sowohl nach Babylonien wie ins Alte Ägypten. Auch in der Ilias, die im 8. Jahrhundert v. Chr. von Homer gedichtet wurde, wird von dem Flussgott Okeanos gesagt, er sei der „Ursprung der Götter“[27] und der „Ursprung von allem.“[28] Im 7. Jahrhundert v. Chr. schrieb der Dichter Alkman eine Weltentstehungsgeschichte, an deren Anfang die Gewässer stehen.[29] Es kann angenommen werden, dass einige dieser alten Vorstellungen Thales beeinflusst haben. Jedenfalls ist dieser in die Philosophiegeschichte eingegangen, weil er das Wasser als den Anfang oder Urgrund aller Dinge bezeichnet haben soll:

Ein Thales-Denkmal in Deggendorf

„Thales […] bezeichnet als […] Ursprung [archḗ] das Wasser [hýdōr]. Auch das Land, lehrte er deshalb, ruhe auf dem Wasser. Den Anlass zu dieser Ansicht bot ihm wohl die Beobachtung, dass die Nahrung aller Wesen feucht ist, dass die Wärme selber daraus entsteht und davon lebt; woraus aber jegliches wird, das ist der Ursprung von allem. War dies der eine Anlass zu seiner Ansicht, so war ein andrer wohl der Umstand, dass die Samen aller Wesen von feuchter Beschaffenheit sind, das Wasser aber das Prinzip für die Natur des Feuchten ausmacht. Manche nun sind der Meinung, dass schon die Uralten, die lange Zeit vor dem gegenwärtigen Zeitalter gelebt und als die ersten in mythischer Form nachgedacht haben, die gleiche Annahme über die Substanz gehegt hätten. Diese bezeichneten Okeanos und Tethys als die Urheber der Weltentstehung und das Wasser als das, wobei die Götter schwören. […] Ob nun darin wirklich eine so ursprüngliche Ansicht über die Substanz zu finden ist, das mag vielleicht nicht auszumachen sein. Jedenfalls von Thales wird berichtet, dass er diese Ansicht von der obersten Ursache aufgestellt habe.“

Aristoteles: Metaphysica 983b20f.

Nach Aristoteles war Thales der erste Philosoph, der die Frage nach einem Urgrund aller Dinge stellte.[30] Aristoteles unterscheidet die Ansichten der Vorsokratiker nach Anzahl und Beschaffenheit des angenommenen Ursprungs aller Dinge (archḗ). Thales habe nicht mehrere Ursprünge angenommen – wie Empedokles, der von den vier Ursprüngen Feuer, Wasser, Luft und Erde ausging –, sondern nur einen, der zudem „materieller“ Natur gewesen sei, also nicht „immateriell“ wie etwa „das Unbegrenzte“ seines Schülers Anaximander.[31] Ähnliches wie Aristoteles berichten auch Hippolyt von Rom und Diogenes Laertios, wobei Hippolyt von Rom im folgenden Zitat auch die Theologie und Astronomie des Thales, sowie eine Anekdote erwähnt:

„Thales aus Milet, einer der sieben Weisen, soll sich zuerst mit Naturwissenschaft befaßt haben. Er behauptete, Ursprung und Ende des Alls sei das Wasser; denn aus Wasser, sei es in festem, sei es in flüssigem Zustande, bestehe das Universum, und es schwebe auf dem Wasser; hiervon kämen auch die Erdbeben, die Wechsel der Winde und die Bewegungen der Gestirne; alles sei in der Schwebe und im Flusse, wie es die Natur der ersten Werdensursache mit sich bringe; das, was weder Anfang noch Ende habe, sei Gott. Thales widmete sich auch der Lehre und der Forschung über die Gestirne und ist so für die Griechen der erste Begründer der diesbezüglichen Wissenschaft. Da er eines Tages zum Himmel hinaufschaute, um die Dinge oben genau beobachten zu können, wie er sagte, fiel er in einen Brunnen. Eine Magd, namens Thratta, lachte ihn aus und sagte: ‚Da er die Dinge am Himmel sehen will, übersieht er, was vor seinen Füßen ist.‘ Thales lebte zur Zeit des Krösus.“

„Thales lehrte, der Ursprung aller Dinge sei das Wasser.“

Diogenes Laertios: I,27

Aristoteles berichtet, Thales habe die Ruhelage der Erde damit erklärt, dass die Erde auf Wasser schwimme.[32]

Als Grund für die jährliche Überschwemmung des Nils soll Thales die Etesien genannt haben, denn diese Sommerwinde, die der nördlichen Fließrichtung des Nils entgegengesetzt sind, würden das Abfließen ins Mittelmeer verhindern.[33]

Veranschaulichung des Satzes des Thales
Hier steht die Sonne so, dass der Schatten eines Stabes (B) genauso lang ist, wie der Stab selbst (A) und die Länge des Schattens einer Pyramide plus deren halbe Seitenlänge (ergibt C) genauso lang ist, wie die Höhe der Pyramide (D). Thales hat den Schatten und die Seitenlänge der Pyramide abgemessen und so sagen können, wie hoch sie ist.

Diogenes Laertios hat uns zwei mathematische Erkenntnisse des Thales überliefert. So sage Pamphile, Thales habe „als Erster das rechtwinklige Dreieck in den Kreis eingetragen.“[34] Üblicherweise wird diese Stelle bei Diogenes Laertios so interpretiert, dass hier der Satz des Thales gemeint ist. Der Satz des Thales ist ein mathematischer Lehrsatz, nach dem ein Dreieck, von dem eine Seite dem Durchmesser seines Umkreises entspricht, ein rechtwinkliges Dreieck ist. Man kann die Stelle aber auch so interpretieren, dass Thales das zum Kreis flächengleiche rechtwinklige Dreieck gezeichnet habe, dabei ergibt sich 3 als Näherung für die Kreiszahl.[35] Die zweite Stelle lautet: „Auch berichtet Hieronymos, er habe die Höhe der Pyramiden gemessen vermittelst ihres Schattens, den er genau in dem Zeitpunkt abmaß, wo unser Schatten und unser Leib die gleiche Länge haben.“[36] Dieses Messverfahren kann als früher Vorläufer eines späteren Strahlensatzes angesehen werden, der Wahrheitsgehalt der überlieferten Stelle ist jedoch umstritten. So ist das beschriebene Messverfahren nicht zur Messung der Höhe von jeder Pyramide geeignet (einige haben einen zu flachen Steigungs­winkel), bei einer geeigneten stand auch nur bei günstigem Sonnenstand, also an ein oder zwei Tagen im Jahr, die Spitze des Pyramidenschattens genau senkrecht über einer Pyramidenkante, sodass dieser direkt messbar war.[37] Diese Methode war für die Messung von Pyramidenhöhen also kaum praktisch verwendbar und auch nicht besonders eindrucksvoll, denn die Ägypter konnten die Höhe einer Pyramide ohne Schwierigkeit berechnen.[38]

Weitere mathematische Erkenntnisse des Thales gibt Proklos in seinem Kommentar zu Euklids Elementen an: „Dass der Kreis durch den Durchmesser halbiert wird, soll zuerst Thales bewiesen haben.“[39] Weiter schreibt Proklos: „Es wird gesagt, er habe als erster gewusst und gesagt, dass in jedem gleichschenkligen Dreieck die Winkel an der Grundlinie gleich sind, wobei er in altertümlicher Weise die gleichen [ἴσας, d. h. maßgleich] Winkel ähnlich [ὁμοίας, d. h. gestaltgleich] nannte.“[40] Nach Eudemos soll Thales auch zuerst gefunden haben, dass Scheitelwinkel gleich sind, aber erst Euklid habe einen Beweis für erforderlich gehalten.[41] Eine weitere Stelle lautet: „Eudemos führt in seiner Geschichte der Geometrie diesen Satz [den dritten Kongruenzsatz] auf Thales zurück. Er sagt, die Methode, nach der er die Entfernung der Schiffe auf dem Meer errechnete, müsse notwendig auf Verwendung dieses Satzes beruhen.“[42] Es ist jedoch bis heute unklar, wie Thales dies durchgeführt haben soll, antike Messverfahren waren dafür kaum geeignet.[43] Eudemos nahm zudem nur an, dass Thales diesen Satz kannte.

Herodot berichtet, Thales habe das Jahr einer Verfinsterung korrekt vorhergesagt, welche plötzlich während einer Schlacht zwischen Lydern und Medern eingetreten sei.[44] Häufig wird dies so gedeutet, dass damit eine totale Sonnenfinsternis gemeint ist. Plinius der Ältere berichtete dass Thales der erste Grieche war, der eine Sonnenfinsternis voraussagte und datierte dieses Ereignis in das vierte Jahr der 48. Olympiade, also in das Jahr 485/84 v. Chr.[45] Eusebius von Caesarea setzt die von Thales vorhergesagte „Verfinsterung der Sonne“ in das 2. Jahr der 49. Olympiade, 483/82 v. Chr.[46] und Sophronius Eusebius Hieronymus das „Verschwinden der Sonne“, je nach Handschrift, zwischen 588/87 und 585/4 v. Chr.[47] Georgios Synkellos, der kein genaues Datum angibt, legt die „Sonnenfinsternis“ zeitlich vor die ersten Pythischen (582 v. Chr.) und ersten Isthmischen Spiele (580 v. Chr.).[48]

Rückwirkend wurde berechnet, dass am ehesten die Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. Chr. zu diesen Angaben passe. Herodots Zitat lässt jedoch offen, um was für eine Verfinsterung es sich handelte. Totale Sonnenfinsternisse geschehen äußerst selten, eine atmosphärische Verfinsterung ist viel wahrscheinlicher. Die späteren Autoren scheinen von einer totalen Sonnenfinsternis zu berichten. Mit dem Kenntnisstand zu Thales’ Zeit war es zudem nicht möglich, den Zeitpunkt einer Sonnenfinsternis im Voraus zu berechnen. Wahrscheinlich ist, dass Thales etwas anderes vorhergesagt hat, das nachträglich von Herodot mit der Verfinsterung bei jener Schlacht identifiziert wurde.[49] Der Astronom Miguel Querejeta möchte Thales’ Voraussage der Sonnenfinsternis mittels eines Zyklus, ähnlich dem Saroszyklus, nicht vollständig ausschließen, dass diese Vorhersage zutraf war jedoch ein Zufall und ist kaum auf wissenschaftliche Erkenntnis zurückzuführen.[50]

Folgendes hat Diogenes Laertios zur Astronomie des Thales überliefert:

„Manche Autoren geben an, er habe als erster Astronomie getrieben, Sonnenfinsternisse vorhergesagt und die Sonnenwenden festgelegt.“

Diogenes Laertios: I,23

„Auch bestimmte er zuerst die Sonnenbahn von Wende zu Wende, nach anderen auch das Verhältnis von Sonnen- und Monddurchmesser zum jeweiligen Bahnumfang als 1:720. Als erster hat er den monatsletzten Tag mit ‚der Dreißigste‘ bezeichnet und naturtheoretische Probleme erörtert.“

Diogenes Laertios: I,24

„Er soll die Jahreszeiten eingeführt und das Jahr in 365 Tage geteilt haben.“

Diogenes Laertios: I,27

Der Mondkrater Thales ist nach ihm benannt.

Auch von einer möglichen Ingenieursleistung des Thales wurde berichtet. So habe er den Fluss Halys zumindest teilweise umgeleitet, damit ihn das Heer des Kroisos habe überqueren können.[51] Herodot bezweifelte dies und ließ das Heer den Fluss auf bestehenden Brücken überqueren.[52]

Bekannt geworden sind vor allem zwei Anekdoten über Thales. Nach der ersten soll er aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse eine große Olivenernte prognostiziert und daraufhin gewinnbringend in Ölpressen investiert haben:

„Man hielt ihm […] aufgrund seiner Armut vor, dass die Philosophie eine nutzlose Beschäftigung sei. Da er nun infolge seiner Sternbeobachtung erkannt hatte, dass es eine reiche Olivenernte geben werde, soll er noch im Winter […] für alle Ölpressen in Milet und Chios Anzahlungen hinterlegt und sie, da niemand dagegenhielt, für einen geringen Betrag gemietet haben. Als aber der rechte Augenblick gekommen war, und gleichzeitig und plötzlich ein hoher Bedarf an Ölpressen entstand, habe er sie zu seinen Bedingungen vermietet und viel Geld dabei gemacht. Er habe damit bewiesen, dass es für Philosophen leicht sei, reich zu werden, wenn sie nur wollten, es jedoch dies nicht sei, wonach sie strebten.“

Nach der zweiten soll er von einer Magd verspottet worden sein, weil er beim Sterneschauen in einen Brunnen gefallen sei:

„Thales […] fiel, als er sich mit den Sternen beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen. Da soll ihn eine witzige und reizende thrakische Magd verspottet haben, weil er zwar die Dinge am Himmel zu erkennen begehre, ihm aber, was ihm vor den Füßen liege, entgehe.“

Siehe dazu auch Σὺ τὰ ἐν οὐρανῷ βλέπειν πειρώμενος τὰ ἐπὶ τῆς γῆς οὐχ ὁρᾷς; in der Liste griechischer Phrasen.

Eine häufig rezipierte Anekdote ist, dass Thales einen Dreifuß erhalten habe, welcher als Preis für den weisesten aller Menschen gedacht gewesen sei. Es existieren einige widersprüchliche Fassungen dieser Geschichte.[56]

Fast alle Forscher gehen davon aus, dass Thales kein Schriftsteller war.[57] Was von ihm bekannt ist, wurde durch andere antike Autoren überliefert.[58] Eine der Hauptquellen zu seinem Leben und Werk ist der antike Schriftsteller Diogenes Laertios, der allerdings etwa 800 Jahre nach Thales gelebt hat. Schon dieser war auf manchmal widersprüchliche Quellen angewiesen. Frühere Autoren, die über Thales berichten, sind der Geschichtsschreiber Herodot sowie die Philosophen Platon und vor allem Aristoteles.

Nach Thales ist die Pflanzengattung Thalesia Bronner aus der Familie der Weinrebengewächse (Vitaceae) benannt.[59]

Quellensammlungen

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  • Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker. 6. Auflage. Band 1, Berlin 1951, S. 67–81 (nur teilweise mit deutscher Übersetzung; zahlreiche Neuauflagen).
  • M. Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Band 1, Artemis & Winkler, Mannheim 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 6–31 (mit deutscher Übersetzung, Erläuterungen sowie Einführung zu Leben und Werk).
  • Jaap Mansfeld (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Band 1, Reclam, Stuttgart 1983, S. 44–55 (nur deutsche Übersetzung; zahlreiche Neuauflagen).
  • Georg Wöhrle (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009 (mit deutscher Übersetzung).

Übersichtsdarstellungen in Handbüchern

Gesamtdarstellungen und Untersuchungen

  • Hans Blumenberg: Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie. Frankfurt 1987.
  • Helmuth Gericke: Mathematik in Antike und Orient. Springer, Berlin 1984.
  • Willy Hartner: Eclipse Periods and Thales’ Prediction of a Solar Eclipse. Historic Truth and Modern Myth. In: Centaurus. Band 14, 1969, S. 60–71.
  • Pietro Mazzeo: Talete, il primo filosofo. Editrice Tipografica, Bari 2010.
  • Bruno Snell: Die Nachrichten über die Lehren des Thales und die Anfänge der griechischen Philosophie- und Literaturgeschichte. In: Philologus. Band 96, 1944, S. 170 ff. (auch in: Bruno Snell: Gesammelte Schriften. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966, S. 119–128; sowie in: Carl Joachim Classen (Hrsg.): Sophistik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976, S. 478–490).
  • Patricia F. O’Grady: Thales of Miletus: The Beginnings of Western Science and Philosophy. Taylor & Francis, 2017, ISBN 978-1-351-89537-8.
  • Gotthard Strohmaier (Hrsg.): Die Milesier: Thales. Walter de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-019669-6.

Rezeption

  1. Thomas Schirren, Georg Rechenauer: Biographie. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Die Philosophie der Antike. Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 182 f.
  2. Diogenes Laertios I,22.
  3. Georg Wöhrle: Thales, ein Phönizier? In: Mnemosyne. Band 68, Nr. 3, 2015, S. 470–478, doi:10.1163/1568525X-12341649.
  4. Alexander Herda: Greek (and our) views of the Karians. In: Alice Mouton, Ian Rutherford, Ilya Yakubovich (Hrsg.): Luwian Identities. Culture, Language and Religion Between Anatolia and the Aegean. Brill, Leiden und Boston 2013, S. 437.
  5. Thomas Schirren, Georg Rechenauer: Biographie. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Die Philosophie der Antike. Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 175.
  6. a b Diogenes Laertios: Leben und Lehren der Philosophen 1,37-38 (Digitalisat)
  7. Eusebius von Caesarea: Chronik (Digitalisat)
  8. Hieronymus: Chronik (Digitalisat)
  9. Barthold Georg Niebuhr: Corpus scriptorum historiae byzantinae. Bonn 1832, S. 268 (Digitalisat)
  10. Barthold Georg Niebuhr: Corpus scriptorum historiae byzantinae. Bonn 1832, S. 214 (Digitalisat)
  11. John Anthony Cramer: Anecdota graeca e codd. manuscriptis bibliothecae regiae Parisiensis, Teil 2, Oxford 1839, S. 263 (Digitalisat)
  12. a b Erwin Rohde: Kleine Schriften, Band 1, Tübingen und Leipzig 1901, S. 169–170 Digitalisat)
  13. Kyrill von Alexandria: Gegen Julian, Teil 1, S. 12 (Digitalisat)
  14. Eusebius von Caesarea: Chronik (Digitalisat)
  15. Hermann Diels, Walther Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, Band 1, Berlin 1960, S. 71–72 (Digitalisat)
  16. Diogenes Laertios I,25 f.
  17. Diogenes Laertios I,27.
  18. Diogenes Laertios I,24.
  19. Diogenes Laertios I,24; I,27; I,43.
  20. Platon, Protagoras 342e ff.
  21. Georg Wöhrle (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 17.
  22. Herodot, Historiae I,170; deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 35.
  23. M. Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Band 1, Artemis & Winkler, Mannheim 2007, ISBN 978-3-7608-1735-4, S. 22.
  24. Diogenes Laertios I,25.
  25. Herodot, Historiae I,75.
  26. Vgl. auch Diogenes Laertios I,36.
  27. Homer, Ilias 14,201.
  28. Homer, Ilias 14,246.
  29. Jaap Mansfeld (Hrsg.): Die Vorsokratiker I. Griechisch/Deutsch, Reclam, Stuttgart 1998, S. 40.
  30. Aristoteles, Metaphysica 983b20f.
  31. Aristoteles, Metaphysica 983b; vgl. auch Physica 184b.
  32. Aristoteles, Über den Himmel II,13,294a28–b6; vgl. Aristoteles, Metaphysica 983b20.
  33. Herodot, Historiae II,20 (ohne Nennung Thales’); Diogenes Laertios I,37.
  34. Diogenes Laertios I,24; deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 197.
  35. Vgl. Fritz Krafft: Geschichte der Naturwissenschaften I, Rombach, Freiburg 1971, S. 90 f.
  36. Diogenes Laertios I,27.
  37. Helmuth Gericke: Mathematik in Antike und Orient. S. 75.
  38. Helmuth Gericke: Mathematik in Antike und Orient. S. 60 f.
  39. Proklos, In primum Euclidis elementorum librum commentarii 157,10 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker 11A20).
  40. Proklos, In primum Euclidis elementorum librum commentarii 250,22 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker 11A20).
  41. Proklos, In primum Euclidis elementorum librum commentarii 299,1 (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker 11A20).
  42. Proklos, In primum Euclidis elementorum librum commentarii 352,14 f. (= Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker 11A20).
  43. Helmuth Gericke: Mathematik in Antike und Orient. S. 76 f.
  44. Herodot, Historiae I,74.
  45. Plinius, Naturalis historia 2, 12 (Digitalisat).
  46. Eusebius von Caesarea: Chronik (Digitalisat)
  47. Hieronymus: Chronik (Digitalisat)
  48. Georgios Synkellos: Chronographia p. 239 (Wilhelm Dindorf (Hrsg.): Georgius Syncellus et Nicephorus Cp. Band 1, Bonn 1829 (= Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae. Band 22), S. 453 (Digitalisat))
  49. Otta Wenskus: Die angebliche Vorhersage einer Sonnenfinsternis durch Thales von Milet. Warum sich diese Legende so hartnäckig hält und warum es wichtig ist, ihr nicht zu glauben. In: Hermes. Band 144, Nr. 1, 2016, S. 2–17.
  50. Miguel Querejeta: On the Eclipse of Thales, Cycles and Probabilities. In: Culture and Cosmos. Band 15, Nr. 01, Juni 2011, S. 5–16, doi:10.46472/CC.0115.0203 (cultureandcosmos.org [PDF; abgerufen am 1. Juni 2021]).
  51. Diogenes Laertios I,38.
  52. Herodot, Historiae I,75.
  53. Deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 49.
  54. Vgl. Diogenes Laertios I,26.
  55. Deutsche Übersetzung von Georg Wöhrle in: derselbe (Hrsg.): Thales (= Traditio Praesocratica. Die Milesier. Band 1). De Gruyter, Berlin 2009, S. 40.
  56. Diogenes Laertios I,27–33.
  57. Niels Christian Dührsen: Thales. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Die Philosophie der Antike. Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 239.
  58. Niels Christian Dührsen: Thales. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Die Philosophie der Antike. Band 1). Schwabe Verlag, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 237.
  59. Lotte Burkhardt: Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen – Erweiterte Edition. Teil I und II. Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-26-5 doi:10.3372/epolist2018.