„Mpemba-Effekt“ – Versionsunterschied
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{{Weiterleitungshinweis|Mpemba|Zum tansanischen Wissenschaftler siehe [[Erasto B. Mpemba]].}} |
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== Definition == |
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{{QS-Physik|Unerledigt=2017}} |
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Kühlt man gleiche Ausgangsmengen warmen und kalten [[Wasser|Wassers]] in gleichen nicht-geschlossenen Gefäßen unter gleichem Druck und gleichen Umgebungsbedingungen unter eine Temperatur ab, die dem Gefrierpunkt von Wasser bei diesem Druck entspricht (0° C bzw. 273,15 K bei einem Druck von 1013,25 hPa), so kann man in einem bestimmten Bereich von Abkühlungsgeschwindigkeiten beobachten, daß das zu Versuchsbeginn wärmere Wasser zu einem früheren Zeitpunkt [[Eis|gefriert]] (kristallisiert), als das ursprünglich kühlere Wasser. Dieses scheinbar paradoxe Phänomen wird auch als '''Mpemba-Effekt''' bezeichnet. |
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Als '''Mpemba-Effekt''' (nach [[Erasto B. Mpemba]]) wird eine [[Paradoxon|paradoxe]] Beobachtung bezeichnet, nach der eine heiße [[Flüssigkeit]] unter ansonsten ähnlichen Bedingungen schneller gefrieren kann als dieselbe Flüssigkeit mit geringer Ausgangstemperatur. Es besteht Uneinigkeit über die notwendigen Rahmenbedingungen und die möglichen Erklärungen für das Phänomen, bis hin zur Frage, ob der Mpemba-Effekt in der postulierten Form tatsächlich existiert oder aber einfach auf einer Fehlbeobachtung bzw. -interpretation beruht.<ref name="Elizabeth H. Oakes">{{Literatur |Autor=Elizabeth H. Oakes |Titel=Heat and Thermodynamics |Verlag=Chelsea |Datum=2012 |ISBN=978-1-4381-4141-1 |Seiten=104 |Online={{Google Buch |BuchID=kadbAgAAQBAJ |Seite=104}}}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Henry C. Burridge, Paul F. Linden |Titel=Questioning the Mpemba effect: hot water does not cool more quickly than cold |Sammelwerk=Scientific Reports |Band=6 |Nummer=1 |Datum=2016-11-24 |ISSN=2045-2322 |DOI=10.1038/srep37665 |PMID=27883034}}</ref> |
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Auch wenn der Mpemba-Effekt nach dem tansanischen Wildhüter [[Erasto B. Mpemba]] benannt ist, der ihn 1963 als Schüler wiederentdeckte, stammen die ersten Beobachtungen des Effekts aus der [[Antike]]; laut [[Aristoteles]] war der Effekt zu der Zeit bereits allgemein bekannt.<ref>Aristoteles in E. W. Webster, Meteorologica I,: Oxford University Press, 1923, S. 348b–349a</ref> |
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In vereinfachter Form kann man den '''Mbemba-Effekt''' als das spezielle Phänomen bezeichnen, bei dem heißes Wasser unter bestimmten Bedingungen schneller gefriert als kaltes Wasser. |
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Die oft als Beispiel angeführte Schneebildung kochenden Wassers in sehr kalter Luft hat wenig mit dem Mpemba-Effekt zu tun, sondern basiert hauptsächlich auf der [[Evaporation]] des heißen Wassers.<ref>{{Literatur |Autor=Rhett Allain |Titel=The Very Vortex-y Science of Making Snow From Boiling Water |Sammelwerk=Wired |Datum= |ISSN=1059-1028 |Online=https://www.wired.com/story/the-very-vortex-y-science-of-making-snow-from-boiling-water/ |Abruf=2024-03-09}}</ref> |
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Die uneingeschränkte Aussage, wonach heißes Wasser schneller gefriert als kaltes Wasser, ist jedoch falsch, da der '''Mbemba-Effekt''' nur in speziellen thermodynamischen Systemen auftritt. |
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== Geschichte == |
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Beschrieben wurde dieses Phänomen angeblich schon von [[Aristoteles|Aristoteles]], [[Francis Bacon|Francis Bacon]] (oder war es [[Roger Bacon]]?) und [[René Descartes|René Descartes]]. [[1963]] stieß auch der [[Tansania|tansanische]] Schüler Erasto B. Mpemba auf diesen Effekt, als er [[Speiseeis]] herstellte. Zusammen mit Dr. Denis G. Osborne veröffentlichte er [[1969]] die Ergebnisse zahlreicher Versuche zu diesem Thema. Jedoch dauerte es einige Jahre, bis dieser Effekt wissenschaftlich untersucht wurde. |
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=== Frühere Beobachtungen === |
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== Ursache == |
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Von schnellerem Gefrieren erwärmten Wassers berichtete bereits im vierten vorchristlichen Jahrhundert der Philosoph [[Aristoteles]] in seiner Abhandlung ''[[Meteorologica (Aristoteles)|Meteorologica]]'' als Beispiel für die von ihm postulierte Antiperistasis ({{grcS|ἀντιπερίστασις}}), nach der eine Qualität wächst, wenn sie von einer gegensätzlichen umgeben ist: |
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Die Ursache des Mbemba-Effekts ist, daß die Menge des wärmeren Wassers beim Abkühlen in einem offenen System durch Verdunstung im Vergleich zur Menge des kühleren Wassers überproportional abnimmt. Dies liegt daran, daß der Dampfdruck einer Flüssigkeit (zu dem wiederum die Geschwindigkeit der Verdampfung proportional ist) exponentiell mit der Temperatur ansteigt. Das heißt, daß bezogen auf die gleiche Zeiteinheit mehr heißes als kaltes Wasser verdampft (Augustsche Dampfdruckformel). |
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{{Zitat |
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|Text=Zur Schnelligkeit des Gefrierens trägt es auch bei, wenn das Wasser vorher erwärmt ist; dann kühlt es nämlich schneller ab. Deshalb stellen viele Leute Wasser, das sie rasch abkühlen wollen, erst in die Sonne, und wenn die Bewohner der Pontusgegenden auf dem Eis ihre Hütten für den Fischfang aufschlagen (sie schlagen nämlich ein Loch in das Eis und fischen), dann schütten sie heißes Wasser auf ihre Angelruten, um sie rascher zu vereisen; sie benutzen nämlich Eis anstelle von Blei, um die Ruten ruhig zu stellen. |
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|Quelle={{lang|grc|Μετεωρολογικά|(Meteorologika)}} 1.12 |
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|ref=<ref>[[Julius Ludwig Ideler]] (Hrsg.): ''{{lang|grc|Άριστοτέλους μετεωρολογικά}}. Aristotelis meteorologicorum''. Band 1, Friedrich Christian Wilhelm Vogel, Leipzig 1834, [http://books.google.de/books?id=VTc1AQAAMAAJ&pg=PA44 S. 44] (griechisch mit lateinischer Übersetzung); [[Ernst Grumach]], [[Hellmut Flashar]] (Hrsg.): ''Meteorologie/Über die Welt'', [[Aristoteles (Gesamtausgabe)|Aristoteles Werke]] 12.1./2., 3. Auflage, Akademie-Verlag, Berlin 1984, [http://books.google.de/books?id=1jXnBQAAQBAJ&pg=PA36 S. 30] (deutsche Übersetzung von [[Hans Strohm]])</ref>}} |
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Im 13. Jahrhundert diskutierte dies der Mönch und Philosoph [[Roger Bacon]] (''Opus Majus'' 6.1).<ref>John Henry Bridges (Hrsg.): ''The ‘Opus Majus’ of Roger Bacon'' Band 2, Clarendon, Oxford 1897, [//archive.org/stream/opusmajusofroger02baco#page/168/mode/2up S. 169] (lateinisch); ''The Opus Majus of Roger Bacon'' Band 2, Russell & Russell, New York 1962, [http://archive.org/stream/opusmajusofroger002065mbp#page/n183/mode/2up S. 584] (englische Übersetzung von Robert Belle Burke)</ref> |
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Im 17. Jahrhundert erwähnten die Philosophen und Wissenschaftler [[Francis Bacon]] (''[[Novum Organum]]'' 2.50)<ref>''Instauratio magna'' mit ''Novum Organum'', John Bill, London 1620, [http://books.google.de/books?id=SJMf6J7-fgQC&pg=PA345 S. 345] (lateinisch); ''Franz Baco’s Neues Organon'', L. Heimann, Berlin 1870, [http://books.google.de/books?id=ig1JAAAAcAAJ&pg=PA370 S. 370] (deutsche Übersetzung von [[Julius von Kirchmann|J. H. v. Kirchmann]])</ref> und [[René Descartes]] (''Les météores'' 1)<ref>''[[Discours de la méthode]]. La dioptrique. Les météores. La géométrie'', Ian Maire, Leiden 1637, [http://books.google.de/books?id=qDVp7m-3Ud0C&pg=PA164 S. 164] (französisch); ''Discourse on Method, Optics, Geometry, and Meteorology'', Hackett, Indianapolis 2001, [http://books.google.de/books?id=XKVvclclrnwC&pg=PA268 S. 268] (englische Übersetzung von Paul J. Olscamp)</ref> den Effekt. |
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Dadurch liegen beim Erreichen des Gefrierpunktes immer unterschiedliche Wassermengen vor, und zwar derart, daß die Menge des ursprünglich wärmeren Wassers immer kleiner ist als die Menge des ursprünglich kühleren Wassers. Eine geringere Wassermenge gefriert jedoch bei ansonsten gleichen Bedingungen immer schneller als eine größere Wassermenge. |
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1775 erschien eine Arbeit des schottischen Wissenschaftlers [[Joseph Black]], in der er den Effekt anhand von Experimenten beschrieb.<ref>{{cite journal|last1=Black|first1=Joseph|title=The Supposed Effect of Boiling upon Water, in Disposing It to Freeze More Readily, Ascertained by Experiments. By Joseph Black, M. D. Professor of Chemistry at Edinburgh, in a Letter to Sir John Pringle, Bart. P. R. S.|journal=Philosophical Transactions of the Royal Society of London|date=1775-01-01|volume=65|pages=124–128|doi=10.1098/rstl.1775.0014}}</ref> |
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Der Mbemba-Effekt tritt also dann (und nur dann) auf, wenn die Parameter des Systems so gewählt sind, daß die ungleichförmige Abnahme der flüssigen Wassermengen beim Abkühlen und der daraus resultierende schnellere Kristallisationsprozeß der geringeren verbleibenden Wassermenge die Geschwindigkeit des Gesamtvorgangs (Abkühlung plus Kristallisation) bestimmt. |
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1788 bemerkte der erste deutsche Professor für Experimentalphysik, [[Georg Christoph Lichtenberg]], bei eigenen Versuchen einen solchen Vorgang, konnte ihn aber nicht zuverlässig reproduzieren.<ref>[[Ludwig Christian Lichtenberg|Ludw. Christian Lichtenberg]], [[Friedrich Kries]] (Hrsg.): ''G. Ch. Lichtenberg’s vermischte Schriften'' Band 7, Ignaz Klang, Wien 1844, [http://books.google.de/books?id=ba1LAAAAcAAJ&pg=PA164 S. 164]; mit Bezug auf den Artikel ''Eis'' in [[Johann Samuel Traugott Gehler]]: ''Physikalisches Wörterbuch'' Band 1, Schwickert, Leipzig 1787, [http://archive.org/stream/bub_gb_dGdMAAAAcAAJ#page/n685/mode/2up S. 676]</ref> |
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== Mpemba-Effekt und thermodynamische Systeme == |
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=== Offenes System === |
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Der Mbemba-Effekt tritt nur in offenen physikalischen Systemen auf. Charakteristisch für offene Systeme ist ein möglicher Stoff- und Wärmeaustausch des Systems mit seiner Umgebung, wobei die Umgebung im Falle eines offenen Systems per Definition nicht in die Betrachtung einbezogen wird (oder anders ausgedrückt: die Umgebung ist kein Bestandteil des offenen Systems). Thermodynamisch gesehen werden bei Experimenten in offenen Systemen mehrere intensive (massenunabhängige) und extensive (massenabhängige) Größen gleichzeitig verändert, wodurch die Messung und Interpretation von beobachteten Effekten naturgemäß erschwert wird. |
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=== Mpembas Entdeckung und darauf aufbauende Forschungen === |
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=== Geschlossenes System === |
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1963 stieß der tansanische Schüler Erasto B. Mpemba auf das Phänomen, als er [[Speiseeis]] herstellte. Zusammen mit Denis G. Osborne veröffentlichte er 1969 die Ergebnisse zahlreicher Versuche zu diesem Thema.<ref name="MpembaOsborne1969">{{Literatur |Autor=Erasto B. Mpemba, Denis G. Osborne |Hrsg=Institute of Physics IOP |Titel=Cool? |Sammelwerk=Physics Education |Band=4 |Nummer=3 |Verlag=IOP Publishing |Datum=1969-05-01 |ISSN=1361-6552 |Seiten=172–175 |Online=http://stacks.iop.org/0031-9120/4/i=3/a=312?key=crossref.00afbcef3e3f3962b5a6151946fc6e33 |DOI=10.1088/0031-9120/4/3/312}}</ref> Jedoch dauerte es einige Jahre, bis der Effekt weiter wissenschaftlich untersucht wurde.<ref name="rsc">''{{Webarchiv |url=http://www.rsc.org/mpemba-competition/mpemba-competition-history.asp |text=The Mpemba Effect: A brief history. |wayback=20130603224848}}'' Royal Society of Chemistry, 2013</ref> |
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In geschlossenen physikalischen Systemen kann der Mbemba-Effekt nicht auftreten, sofern die Wassermenge in der flüssigen Phase nicht vernachlässigbar klein im Vergleich zum Gesamtvolumen des Systems ist (oder anders ausgedrückt: das geschlossene System darf einem offenen System nicht zu sehr ähneln). |
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Allerdings bereitete es in der Folgezeit große Schwierigkeiten, die Daten von Mpemba und Osborne zu reproduzieren, was eine Reihe von Wissenschaftlern an deren Glaubwürdigkeit zweifeln ließ. |
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In einem geschlossenen System kann das bei höherer Temperatur vermehrt verdampfende Wasser dem System nicht entweichen, sondern kondensiert beim Abkühlen wieder in dem Maße, wie es seinem Dampfdruck bei der jeweiligen im System herrschenden Temperatur und dem jeweiligen herrschenden Druck entspricht. Die Wassermengen bleiben in beiden Teilsystemen (wärmeres und kühleres Wasser) konstant, lediglich das Verhältnis von flüssigem zu gasförmigem Wasser ist zeitweise unterschiedlich. Die zur Verdampfung des Wassers notwendige Verdampfungswärme, die dem flüssigen Wasser selbst entzogen wird, entweicht dem System nicht (wie im Falle des offenen Systems) sondern wird beim Abkühlen und Kondensieren in Form von Kondensationswärme wieder frei. |
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Angesichts der weitgehend fruchtlosen Bemühungen, den Mpemba-Effekt überhaupt eindeutig nachweisen zu können, wurde 1995 konstatiert, dass er offenbar viel seltener auftritt als zuvor angenommen, da viele der diesbezüglichen Experimente erhebliche Fehlerquellen aufwiesen. So wurde z. B. gezeigt, dass unterkühlte Proben, bei denen lediglich eine dünne Wasserschicht an den Gefäßwänden tatsächlich schon zu Eis erstarrt ist, vollständig durchgefrorenen Proben täuschend ähnlich sehen und daher leicht falsch zugeordnet werden können.<ref name="Auerbach1995">{{Literatur |Autor=David Auerbach |Hrsg=American Association of Physics Teachers |Titel=Supercooling and the Mpemba effect: When hot water freezes quicker than cold |Sammelwerk=American Journal of Physics |Band=63 |Nummer=10 |Verlag=AIP Publishing |Datum=1995-10 |ISSN=0002-9505 |Seiten=882–885 |Online=http://robot-tag.com/evan/ajp-mpemba.pdf |DOI=10.1119/1.18059}}</ref> |
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Dadurch benötigt das anfänglich wärmere Wasser in einem geschlossenen System immer länger zu seiner Abkühlung als das anfänglich kühlere Wasser, d.h. das wärmere Wasser kann das kühlere bei der Abkühlung nicht „überholen“, wie es das im Falle des offenen Systems tut. Das anfänglich kühlere Wasser gefriert damit immer vor oder wenigstens zeitgleich mit dem wärmeren Wasser (je nachdem, wie steil die Abkühlungskurve ist) und der Mbemba-Effekt tritt nicht auf. |
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2016 analysierten Henry C. Burridge und Paul F. Linden die bis dahin vorliegenden experimentellen Studien zu dem Thema und führten darüber hinaus selbst sehr sorgfältig geplante Experimente durch. Dabei kamen sie zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sämtliche Arbeiten, die angeblich den Mpemba-Effekt nachwiesen, unter methodischen Mängeln litten und keine einzige davon (mit Ausnahme von Mpembas eigener Originalarbeit) Datenmaterial lieferte, das die Existenz des Mpemba-Effektes stützte. Auch die eigenen Experimente der beiden Autoren blieben in dieser Hinsicht völlig ergebnislos. Sie schlossen daraus, dass der Mpemba-Effekt in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert, sondern auf einem wissenschaftlichen Irrtum beruht.<ref>{{Literatur |Autor=Henry C. Burridge, Paul F. Linden |Titel=Questioning the Mpemba effect: hot water does not cool more quickly than cold |Sammelwerk=Scientific Reports |Band=6 |Nummer=1 |Datum=2016-11-24 |ISSN=2045-2322 |Seiten=37665 |Online=https://www.nature.com/articles/srep37665 |Abruf=2021-01-13 |DOI=10.1038/srep37665}}</ref> |
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== Wesentliche Einflußparameter == |
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Folgende Parameter sind in einem offenen System von wesentlicher Bedeutung: |
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== Frühere Erklärungsversuche == |
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=== Menge === |
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Unabhängig von der weiterhin ungeklärten Frage, inwieweit es sich beim von Mpemba beschriebenen Effekt überhaupt um ein real existierendes Phänomen handelt, wurden zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten dafür erörtert und z. T. auch experimentell überprüft. |
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Die anfänglichen absoluten Wassermengen. Diese dürfen natürlich nicht zu klein sein, damit das Wasser nicht vollständig verdunstet ist, bevor es den Gefrierpunkt erreicht hat. |
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Es gibt Hypothesen, welche zum einen die wesentliche Ursache darin sehen, dass die Menge des wärmeren Wassers beim Abkühlen in einem offenen System durch [[Verdunstung]] im Vergleich zur Menge des kühleren Wassers überproportional abnimmt. Dies liegt daran, dass der [[Dampfdruck]] einer Flüssigkeit (zu dem wiederum die Geschwindigkeit der Verdampfung proportional ist) exponentiell mit der Temperatur ansteigt. Das heißt, dass bezogen auf dieselbe Zeitspanne mehr heißes als kaltes Wasser verdampft ([[Augustsche Dampfdruckformel]]). Dadurch liegen – wenn beim Versuch offene Gefäße verwendet werden – beim Erreichen des Gefrierpunktes unterschiedliche Wassermengen vor, und zwar derart, dass die Menge des ursprünglich wärmeren Wassers kleiner ist als die Menge des ursprünglich kühleren Wassers, und eine geringere Wassermenge gefriert bei ansonsten gleichen Bedingungen immer schneller als eine größere Wassermenge. Allerdings trat in [[Jugend forscht|Jugend-forscht]]-Versuchen mit geschlossenen Gefäßen der Mpemba-Effekt unter ansonsten identischen Randbedingungen mit vergleichbarer Häufigkeit auf,<ref name="Schneider">{{Literatur |Autor=Julian Schneider |Hrsg=Physikalisch-Technische Bundesanstalt PTB |Titel=Der Mpemba-Effekt und seine Ursache |TitelErg=Untersuchungen zur Temperaturschichtung und zum Strömungsverhalten in gefrierenden Wasserproben |Sammelwerk=JungeWissenschaft |WerkErg=Jugend forscht in Natur und Technik |Band=110 |Verlag=Verlag Junge Wissenschaft |Ort=Düsseldorf |Datum=2016 |Seiten=58–69 |Sprache=de |Kommentar=[https://www.junge-wissenschaft.ptb.de/fileadmin/hefte/bis_2017/JuWi_110_2016.pdf Junge Wissenschaft Nr. 110 online] |Online=https://www.junge-wissenschaft.ptb.de/fileadmin/paper/bis_2017/pdf/juwi-110-2016-05.pdf |Format=PDF |KBytes=1275 |Abruf=2019-06-14}}</ref> was gegen Verdunstung als wesentliche Ursache spricht. |
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=== Temperatur === |
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Die anfänglichen absoluten Temperaturen der jeweiligen Wassermengen. Dabei begünstigt eine große Temperaturdifferenz zwischen wärmerem und kälterem Wasser den Mbemba-Effekt dadurch, daß überproportional mehr wärmeres Wasser verdampfen kann. Allerdings darf die Temperatur des kühleren Wassers auch nicht zu nahe am Gefrierpunkt liegen, da das heißere System sonst nicht die Möglichkeit hat, das kühlere beim Abkühlen zu "überholen". |
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Zum anderen gibt es die Hypothese, dass im Wasser gelöste Salze (vor allem [[Hydrogencarbonate]]) bei hohen Temperaturen [[Fällungsreaktion|ausfallen]] (z. B. als [[Carbonate]]) und so keinen Einfluss mehr auf den Gefrierpunkt haben. Im kalten Wasser wächst die Konzentration der Salze im nach Kristallisationsbeginn noch flüssigen Wasser. Dies führt zu einer [[Gefrierpunktserniedrigung]]. Aber auch in Versuchen mit entsalztem Wasser trat der Mpemba-Effekt unter ansonsten identischen Randbedingungen etwa ebenso häufig auf, so dass gelöste Salze nicht die wesentliche Ursache sein können.<ref name="Schneider" /> |
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=== Oberfläche === |
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Die Größe der Phasengrenzfläche zwischen flüssiger und gasförmiger Phase bestimmt die pro Zeiteinheit verdampfende Wassermenge (Verdampfungsgeschwindigkeit), da diese der Größe der Oberfläche proportional ist, sofern das Wasser nicht siedet. Die Oberflächengröße wiederum ist von der Gefäßform abhängig. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist eine große Oberfläche, die zu einem hohen Stoffmengenverlust durch Verdampfung führt, günstig. |
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Neuere Experimente deuteten darauf hin, dass im Wasser gelöste Gase oder die bessere Wärmezirkulation bzw. -abgabe im heißen Wasser eine wesentliche Rolle spielen könnten, aber auch hier konnte letztendlich kein schlüssiger Beweis geliefert werden.<ref name="Schneider" /> |
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=== Umgebungstemperatur === |
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Die Umgebungstemperatur, die auch als Temperatur des Wärmereservoirs bezeichnet wird. Die absolute Temperaturdifferenz zwischen den anfänglichen Wassermengen und dem Reservoir bestimmt den Verlauf der Abkühlungskurve. Je größer die Differenz, desto steiler verlaufen die Abkühlungskurven, d.h. um so schneller kühlen die Proben allein durch Wärmeleitung und Wärmestrahlung ab und um so geringer ist der Stoffmengenverlust durch Verdampfung. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist deshalb eine Temperatur des Reservoirs knapp unterhalb des Gefrierpunkts von Wasser günstig, da die Reservoirtemperatur so für das Gefrieren ausreicht und die Abkühlungskurven der flüssigen Phasen hinreichend flach verlaufen. |
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== Neuestes Erklärungsmodell == |
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=== Wärmeleitfähigkeit === |
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Im Jahre 2022 präsentierte Ren Tier von der [[Ohio State University]] ein (bisher nur als Vorabdruck vorliegendes) verhältnismäßig einfaches und jedenfalls in sich schlüssiges Erklärungsmodell, das er mit einer [[Computersimulation]] und einem einfachen Versuch untermauerte.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Ren Tier |Titel=Mpemba Effect Demystified |Verlag=Engineering Archive |Datum=2022-01-18 |Online=https://engrxiv.org/preprint/view/2104 |Abruf=2023-03-20 |DOI=10.31224/osf.io/3ejnh}}</ref> Es weist dem [[Wärmestrom]] im Bereich der [[Grenzschicht]] zwischen Becherboden und der Stellfläche im Gefrierschrank eine entscheidende Rolle zu. Hierbei ist ein bisher unberücksichtigt gebliebenes, aber aus der Alltagserfahrung geläufiges Detail wesentlich: Auf der inneren Oberfläche eines Gefrierschrankes bildet sich regelmäßig eine (zunächst mikroskopisch dünne) Schicht aus Eiskristallen; dies ist die zwangsläufige Folge von [[Kondensation|Kondensations-]] und Vereisungsvorgängen, wie sie sich aus den Luftwechseln beim Öffnen und Schließen des Kühlschranks ergeben (und irgendwann das Abtauen erforderlich machen). Aufgrund dieser Eiskristalle können die Stellflächen des Gefrierschranks jedenfalls nie völlig eben sein, und dies hat Folgen für die Wärmeleitfähigkeit. |
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Der Wärmeleitfähigkeitskoeffizient des Gefäßes. Dieser bestimmt, in welchem Maße die Abkühlung des Wassers über die Gefäßwand erfolgen kann. Je größer der Koeffizient, um so schneller kühlt das Wasser durch Wärmeableitung und Wärmestrahlung über das Gefäß ab. Für die Beobachtung des Mbemba-Effekts ist ein geringer Wärmeleitfähigkeitskoeffizient des Gefäßes insofern günstig, da dann mehr Wasser während des Abkühlens der flüssigen Phasen verdampfen kann, andererseits erschwert ein zu geringer Wärmeleitfähigkeitskoeffizient die Wärmeabführung der Kristallisationswärme über die Gefäßwand beim Gefrieren, was den Effekt wieder vermindert. Im praktischen Versuch sollten also beispielsweise keine Isoliergefäße verwendet werden. |
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Wird nämlich ein kaltes Becherglas in den Gefrierschrank gestellt, so sorgen die minimalen Unebenheiten auf den Berührflächen dafür, dass eine Wärmeübertragung nicht großflächig, sondern nur über (zahlreiche) einzelne Punkte bzw. kleine Einzelflächen erfolgen kann. |
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== Störparameter == |
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Folgende Parameter sind für das Eintreten des Mbemba-Effektes nicht entscheidend, wenngleich sie ihn in verstärkender (positiver) oder abschwächender (negativer) Form zu stören vermögen. Deswegen sollten sie bei der Betrachtung von vornherein durch eine geeignete Wahl der Bedingungen ausgeschaltet werden. |
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Ist das Glas jedoch mit einer hinreichend warmen Flüssigkeit gefüllt, so verläuft der Abkühlvorgang mehrphasig: Zunächst sorgt die Wärme aus dem Becherglas für ein Schmelzen der Eiskristalle zwischen Stellfläche und Glasboden, wodurch somit eine homogene (weil flüssige) Wärmeleitschicht hergestellt wird. Abhängig u. a. von der Wärmekapazität des Becherinhalts sowie der Wärmeleitfähigkeit des Becherglases und des Gefrierschrankbodens kommt es danach zwar schnell zu einer Wiedervereisung dieser Grenzschicht, die jedoch nunmehr homogen bleibt und somit eine flächige – und damit deutlich schnellere – Wärmeübertragung ermöglicht. |
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=== Unterkühlte Flüssigkeiten bzw. Schmelzen === |
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Kühlt man sehr reine Flüssigkeiten unter ihren Gefrierpunkt ab, so kann die Kristallisation ausbleiben, wenn keine Kristallisationskeime in der Flüssigkeit vorhanden sind. Zur Vermeidung kann man den Wasserproben einige Körnchen Quarzsand als Kristallisationsmatrix hinzufügen. Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist die Konzentration (d.h. Menge) an Kristallisationskeimen für jeden Kristallisationsprozeß bedeutungslos, entscheidendend ist lediglich, ob es mindestens einen geeigneten Kristallisationskeim gibt oder nicht. Die Gefrierpunktserniedrigung durch fehlende Kristallisation ist im übrigen unabhängig von der Tatsache, daß sich der Gefrierpunkt einer Flüssigkeit in Abhängigkeit von Druck und Volumen des Systems sowohl zu niedrigeren als auch zu höheren Werten hin verschieben kann (siehe dazu: Phasendiagramme von Einkomponentensystemen). |
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In der Konsequenz kühlt die ursprünglich wärmere Flüssigkeit in der Folge – genauer: von dem Schmelzvorgang an – schneller ab als die zunächst kältere. Von einem Mpemba-Effekt kann indes nur dann die Rede sein, wenn die ursprünglich wärmere Flüssigkeit die ursprünglich kältere (die ja einen „Vorsprung“ besitzt) beim Abkühlvorgang irgendwann „überholt“, und dafür darf z. B. die ursprüngliche Temperaturdifferenz in den Gläsern nicht zu hoch sein. Auch eine Reihe weiterer Bedingungen muss für einen Mpemba-Effekt erfüllt sein; sie betreffen etwa die Füllmengen und Ausgangstemperaturen in beiden Gläsern, die Geometrie und Wärmeleitfähigkeit der Gläser sowie die Wärmeleitfähigkeit und Temperatur der Stellfläche. Diese Bedingungen sind indes sämtlich mit den Mitteln der klassischen Thermodynamik unmittelbar nachvollziehbar. |
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Prinzipiell wirkt sich der Effekt der unterkühlten Flüssigkeit aufgrund fehlender Kristallisationskeime nicht auf den Mbemba-Effekt aus, da er die ursprünglich kühlere Probe genauso betrifft, wie die ursprünglich wärmere. Sofern man allerdings unterstellt, daß das ursprünglich wärmere Wasser potentielle Kristallisationskeime - beispielsweise durch Ausgasen gelöster Fremdbestandteile wie Kohlendioxid - im Vergleich zum ursprünglich kühleren Wasser verliert, so würde der Effekt der unterkühlten Flüssigkeiten den Mbemba-Effekt abschwächen, da das ehedem heißere Wasser nun gerade nicht schneller gefrieren würde, sondern zur Unterkühlung neigte. |
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Beispielsweise wird anhand dieses Modells verständlich, dass der Mpemba-Effekt kaum zustande kommen wird, wenn die Ausgangstemperatur des ''ursprünglich kälteren'' Glases zu hoch über dem Gefrierpunkt liegt, denn in diesem Fall wäre auch hier ein Schmelzvorgang am Becherboden zu erwarten. |
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=== Temperaturgradienten === |
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Temperaturunterschiede im System, auch Temperaturgradienten genannt. In einer unbewegten Flüssigkeit treten beim Abkühlen ebenso wie in der unbewegten Umgebung, Temperaturdifferenzen auf. So ist beispielsweise die Temperatur an den Gefäßwänden und an der Phasengrenze geringer als im Inneren der Phase, in der Umgebung ist die Temperatur in der Nähe der Gefäße höher als in weiterer Entfernung von diesen. In unterschiedlich warmen Ausgangsgefäßen treten beim Abkühlen unterschiedliche Gradientenverläufe auf, die praktisch gleichbedeutend mit einer Änderung des Wärmeleitfähigkeitskoeffizienten nach außen hin sind. Dieser Effekt wird durch das Rühren der Flüssigkeiten (z.B. Magnetrührer) während des Abkühlens und einem Gebläse im Reservoir, welches eine konstante und gleichförmige Reservoirtemperatur sicherstellt, vermieden. Temperaturgradienten im System schwächen den Mbemba-Effekt ab, da sie die Verdunstung vermindern. |
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Andererseits gilt: Je größer das Füllungsvolumen der Gläser ist – und damit: je länger der Abkühlungsprozess notwendigerweise dauert –, desto eher ist ein Mpemba-Effekt zu erwarten. |
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=== Gelöste Fremdstoffe === |
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Gelöste Stoffe (dazu gehören auch gelöste Gase) können den Gefrierpunkt einer Flüssigkeit erniedrigen (Raoultsches Gesetz), wobei die Gefrierpunkterniedrigung dem Fremdstoffmengenanteil proportional ist. Im Falle von gelösten Gasen (z.B. Kohlendioxid in Wasser) ist die Konzentration an gelöstem Gas wiederum temperaturabhängig (Dampfdruck!), d.h. die unterschiedlich warmen Wasserproben enthalten unter Gleichgewichtsbedingungen unterschiedliche Mengen gelöster Gase und haben damit auch einen geringfügig unterschiedlichen Gefrierpunkt. Der Effekt ist allerdings sehr klein (im Bereich von 0,01 K bis 0,001 K) und spielt damit praktisch für den Mbemba-Effekt keine Rolle. Der Einfluß gelöster Gase würde den Mbemba-Effekt verstärken, da das anfänglich heißere Wasser weniger gelöste Fremdbestandteile enthielte und darum sein Gefrierpunkt im Vergleich zum anfänglich kühleren Wasser weniger herabgesetzt wäre. |
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Insgesamt vermeidet man diesen „Schmutzeffekt“, indem man für den Versuch entgastes Wasser (durch vorheriges Aufkochen und Anlegen eines Vakuums) verwendet. Analoges gilt natürlich auch für Volumen- und andere Effekte, die durch ausfrierende Gasbläschen verursacht werden könnten. |
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Des Weiteren ist eine entscheidende Voraussetzung für den Mpemba-Effekt, dass das ursprünglich wärmere Glas während des gesamten Prozesses nicht auf seiner Unterlage verschoben wird, weil die homogene Grenzschicht sonst zerstört würde. Die Nichtbeachtung des letztgenannten Punktes könnte nach Ansicht des Autors eine wesentliche Ursache dafür sein, dass sich der Mpemba-Effekt bisher so schlecht reproduzieren ließ. |
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== Sonstige Parameter == |
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=== Wasserdampfpartialdruck === |
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Der Wasserdampfpartialdruck in der gasförmigen Phase muß im Vergleich zum Sättigungsdampfdruck klein sein, da sonst kein bzw. weniger Wasser verdampfen kann. Diese Bedingung ist in der Regel bei der Versuchsdurchführung in trockener Umgebung gewährleistet. Ein hoher Wasserdampfpartialdruck in der gasförmigen Phase eines offenen Systems würde den Mbemba-Effekt abschwächen. |
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Ein Mpemba-Effekt wird im Übrigen dem Modell zufolge nicht zu erwarten sein, wenn kein nennenswerter Kontakt der Gläser zur kühlenden Oberfläche besteht (z. B. wenn die Bechergläser an dünnen Fäden aufgehängt sind). |
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== Unbeachtliche Parameter == |
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=== Druck- und Volumenabhängigkeit des Gefrierpunkts === |
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Der exakte Gefrierpunkt von reinem Wasser ist, wie bei jeder Flüssigkeit bzw. Schmelze druck- und volumenabhängig. Der genaue Wert kann dem sogenannten Phasendiagramm des Wassers entnommen werden. Bei Normaldruck (p = 1013,25 hPa) und Standardvolumen entspricht der Gefrierpunkt dem sogenannten [[Tripelpunkt|Tripelpunkt]] im Phasendiagramm. Der Tripelpunkt des Wassers ist auf 0°C bzw. 273,15 K normiert. Bei anderen Drücken bzw. Volumina kann der Gefrierpunkt über oder unter diesem Wert für den Gefrierpunkt liegen. Diese Tatsache ist unabhängig von Gefrierpunktserniedrigungen durch gelöste Fremdbestandteile und unterkühlten Schmelzen aufgrund fehlender Kristallisationskeime. |
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Zusammenfassend ist mit diesem Modell grundsätzlich ein plausibler Erklärungsansatz für das Zustandekommen eines Mpemba-Effektes (in einem erweiterten Sinne) gegeben, wobei allerdings durch die darin implementierten strengen Bedingungen verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt sind. Insbesondere aufgrund der geforderten Materialeigenschaften bleibt es weiterhin strittig, inwieweit es den Effekt auch tatsächlich für Wasser gibt. |
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=== Die mikroskopische Struktur der Flüssigkeit === |
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Der Mbemba-Effekts ist vollständig im Rahmen der klassischen Wärmelehre erklärbar. Mikroskopische Eigenschaften wie z.B. die Struktur von Flüssigkeiten sind, abgesehen von ihrer Bedeutung für die kalorischen Daten der betrachteten Substanz, unbeachtlich. |
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== Mpemba-Effekt in anderen Substanzen == |
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==Andere Flüssigkeiten== |
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Während die Existenz des Mpemba-Effektes in Wasser bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde, konnte das Phänomen in verschiedenen, insbesondere kristallinen Substanzen nachgewiesen werden, etwa in Clathrathydraten oder Manganitverbindungen, die in einem Magnetfeld abkühlen.<ref name="Avinash Kumar">{{Literatur |Autor=Avinash Kumar |Titel=Anomalous Relaxation in Colloidal Systems |Verlag=Springer International Publishing |Datum=2022 |ISBN=978-3-03113280-3 |Seiten=6 |Online={{Google Buch |BuchID=u8qWEAAAQBAJ |Seite=6}}}}</ref> |
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Der Mpemba-Effekt ist nicht auf Wasser beschränkt, also keine ''Anomalie'' des Wassers. Ob er auftritt wird hauptsächlich durch die [[Wärme|kalorischen]] Daten einer Substanz bestimmt. So weisen auch andere Substanzen wie z.B. Ethanol, Essigsäure, Benzen oder Hexan eine ähnliche exponentielle Abhängigkeit des Dampfdrucks von der Temperatur auf. Allerdings liegen die Gefrierpunkte dieser Substanzen wesentlich tiefer als die von Wasser, so daß der praktische Versuch höhere experimentelle Anforderungen an die notwendige Kühlung stellt. Zudem sind diese Substanzen giftig oder ätzend, so daß sich das Verdampfen in offenen Systemen ohne besondere Schutzmaßnahmen verbietet. |
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== Erwähnung in den Medien == |
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==Praktischer Nutzen== |
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Der Mpemba-Effekt wurde immer wieder auch in populärwissenschaftlichen Medienproduktionen thematisiert, die aber unzureichende Erklärungsmodelle anboten. |
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Eine praktische Anwendung des Mpemba-Effekts ist offensichtlich unsinnig, da man Energie einsetzen muß, um eine Substanz zu verdampfen, die anschließend ungenutzt in die Umgebung entweicht. In diesem Fall wird man von vorneherein mit entsprechend weniger Substanz arbeiten, ohne etwaige Überschüsse durch Verdampfung abzutrennen. |
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Am 26. Juni 2012 lobte die Londoner [[Royal Society of Chemistry]] 1000 [[Britisches Pfund|britische Pfund]] aus, um die weitere Erklärung des Effektes zu fördern.<ref>[http://www.rsc.org/learn-chemistry/resource/res00001018/the-mpemba-effect ''The Mpemba effect: competition and resources.''] Royal Society of Chemistry</ref> Nikola Bregovic, Chemiker an der [[Universität Zagreb]], wurde im Januar 2013 als der Gewinner ausgerufen: Auch er war zu dem Schluss gekommen, dass er keine abschließende Lösung finden konnte, und stellte fest: „Wieder einmal überrascht und fasziniert uns dieses kleine, einfache [Wasser-]Molekül mit seiner Magie.“<ref>[http://www.sueddeutsche.de/wissen/physik-wie-heisses-wasser-schockgefrostet-wird-1.1858370 ''Wie heißes Wasser schockgefrostet wird.''] In: ''Süddeutsche Zeitung'', 8. Januar 2014</ref><ref>{{Literatur |Autor=Nikola Bregović |Hrsg=Royal Society of Chemistry |Titel=Mpemba effect from a viewpoint of an experimental physical chemist |Datum= |Online=https://www.rsc.org/images/nikola-bregovic-entry_tcm18-225169.pdf |Format=PDF |KBytes=129}}</ref> |
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Der Mpemba-Effekt ist im Ergebnis ein überraschender und im ersten Augenblick der Intuition widersprechender Schaueffekt, dessen physikalisch-chemische Grundlage in der seit dem 19. Jhdt. bekannten [[Ernst August|Augustschen]] Formel zu sehen ist. Der Effekt ist jedoch beispielsweise geeignet, Interessierte auf anschauliche und verblüffende Art und Weise an Fragestellungen der klassischen Thermodynamik heranzuführen. |
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== Literatur == |
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==Erwähnung im Fernsehen== |
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* {{Literatur |
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In der Fernsehsendung [[Clever_(Fernsehshow)|''Clever! – Die Show, die Wissen schafft'']] vom 13. März 2006 wurde der Mpemba-Effekt vorgestellt. Der Effekt wurde zum Teil durch die Entstehung von Kristallisationskeimen erklärt. Dieses war aber offensichtlich falsch, weil es sich bei dem heißen Wasser um gewöhnliches Leitungswasser handelte. Es waren also bereits (wie bei der Bereitung von Speiseeis) unzählige Kristallisationskeime vorhanden und das Entstehen weiterer hätte keinen Einfluss auf den Versuch. Außerdem konnte bei dem Versuchsaufbau der Effekt hinreichend durch die schnellere Verdunstung des heißen Wassers erklärt werden. |
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|Autor=Martin Bier |
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|Titel=The Rise and Fall of the Mpemba Effect |
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|Sammelwerk=Sceptical Inquirer |
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|Band=47 |
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|Nummer=4 |
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|Datum=2023-07 |
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|Online=https://skepticalinquirer.org/2023/06/the-rise-and-fall-of-the-mpemba-effect/}} |
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==Weblinks== |
== Weblinks == |
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*[http://www.wissenschaft-technik-ethik.de/wasser_mpemba-effekt. |
* ''[http://www.wissenschaft-technik-ethik.de/wasser_mpemba-effekt.shtml Der Mpemba-Effekt.]'' In: ''wissenschaft-technik-ethik.de'' |
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* {{Cite web |last=Mann |first=Adam |title=Friert heißes Wasser schneller als kaltes? |date=2022-09-04 |url=https://www.spektrum.de/news/mpemba-effekt-friert-heisses-wasser-schneller-als-kaltes/2054358 |accessdate=2023-07-15 |website=Spektrum der Wissenschaft}} |
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*[http://www.desy.de/user/projects/Physics/General/hot_water.html The freezing of hot water - Ausführliche Informationen in Englisch ] |
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* {{Cite web |last=Ris |first=Dylan |title=The Mpemba effect: Does hot water really freeze faster than cold water? |language=en |date=2023-01-19 |url=https://science.howstuffworks.com/dictionary/physics-terms/mpemba-effect.htm#pt5 |website=HowStuffWorks}} |
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*[http://www.lsbu.ac.uk/water/explan4.html#mpemba The anomalies of water (incl. Mpemba-effect) - Wissenschaftlicher Blick auf die Anomalien des Wassers in Englisch] |
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* {{Cite web |title=Understanding the Mpemba Effect: Why Hot Water Freezes Faster |language=en |date=2023-05-12 |url=https://tuitionphysics.com/may-2023/understanding-the-mpemba-effect-why-hot-water-freezes-faster/ |accessdate=2023-07-20 |website=Best Physics Tuition}} |
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*[http://www.sat1.de/comedy_show/clever/wissensbuch/content/09642/003/ Der Mpemba-Effekt bei ''Clever - Die Show, die Wissen schafft''] |
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* {{Cite web |last=Agrawal |first=Siddhant Govardhan |title=The Mpemba effect: When hot water freezes faster than cold |language=en |date=2023-03-25 |url=https://english.elpais.com/science-tech/2023-03-25/the-mpemba-effect-when-hot-water-freezes-faster-than-cold.html |accessdate=2023-07-20 |website=El País}} |
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== Einzelnachweise == |
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<references /> |
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[[Kategorie:Thermodynamik]] |
[[Kategorie:Thermodynamik]] |
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[[Kategorie:Wasser]] |
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[[Kategorie:Eis]] |
[[Kategorie:Eis]] |
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[[Kategorie:Physikalischer Effekt]] |
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[[cs:Mpembův jev]] |
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[[en:Mpemba effect]] |
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[[fr:Effet Mpemba]] |
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[[nl:Mpemba-effect]] |
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[[pt:Efeito Mpemba]] |
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[[zh:姆潘巴现象]] |
Aktuelle Version vom 31. März 2025, 17:50 Uhr

Als Mpemba-Effekt (nach Erasto B. Mpemba) wird eine paradoxe Beobachtung bezeichnet, nach der eine heiße Flüssigkeit unter ansonsten ähnlichen Bedingungen schneller gefrieren kann als dieselbe Flüssigkeit mit geringer Ausgangstemperatur. Es besteht Uneinigkeit über die notwendigen Rahmenbedingungen und die möglichen Erklärungen für das Phänomen, bis hin zur Frage, ob der Mpemba-Effekt in der postulierten Form tatsächlich existiert oder aber einfach auf einer Fehlbeobachtung bzw. -interpretation beruht.[1][2]
Auch wenn der Mpemba-Effekt nach dem tansanischen Wildhüter Erasto B. Mpemba benannt ist, der ihn 1963 als Schüler wiederentdeckte, stammen die ersten Beobachtungen des Effekts aus der Antike; laut Aristoteles war der Effekt zu der Zeit bereits allgemein bekannt.[3]
Die oft als Beispiel angeführte Schneebildung kochenden Wassers in sehr kalter Luft hat wenig mit dem Mpemba-Effekt zu tun, sondern basiert hauptsächlich auf der Evaporation des heißen Wassers.[4]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Frühere Beobachtungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von schnellerem Gefrieren erwärmten Wassers berichtete bereits im vierten vorchristlichen Jahrhundert der Philosoph Aristoteles in seiner Abhandlung Meteorologica als Beispiel für die von ihm postulierte Antiperistasis (altgriechisch ἀντιπερίστασις), nach der eine Qualität wächst, wenn sie von einer gegensätzlichen umgeben ist:
„Zur Schnelligkeit des Gefrierens trägt es auch bei, wenn das Wasser vorher erwärmt ist; dann kühlt es nämlich schneller ab. Deshalb stellen viele Leute Wasser, das sie rasch abkühlen wollen, erst in die Sonne, und wenn die Bewohner der Pontusgegenden auf dem Eis ihre Hütten für den Fischfang aufschlagen (sie schlagen nämlich ein Loch in das Eis und fischen), dann schütten sie heißes Wasser auf ihre Angelruten, um sie rascher zu vereisen; sie benutzen nämlich Eis anstelle von Blei, um die Ruten ruhig zu stellen.“
Im 13. Jahrhundert diskutierte dies der Mönch und Philosoph Roger Bacon (Opus Majus 6.1).[6]
Im 17. Jahrhundert erwähnten die Philosophen und Wissenschaftler Francis Bacon (Novum Organum 2.50)[7] und René Descartes (Les météores 1)[8] den Effekt.
1775 erschien eine Arbeit des schottischen Wissenschaftlers Joseph Black, in der er den Effekt anhand von Experimenten beschrieb.[9]
1788 bemerkte der erste deutsche Professor für Experimentalphysik, Georg Christoph Lichtenberg, bei eigenen Versuchen einen solchen Vorgang, konnte ihn aber nicht zuverlässig reproduzieren.[10]
Mpembas Entdeckung und darauf aufbauende Forschungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1963 stieß der tansanische Schüler Erasto B. Mpemba auf das Phänomen, als er Speiseeis herstellte. Zusammen mit Denis G. Osborne veröffentlichte er 1969 die Ergebnisse zahlreicher Versuche zu diesem Thema.[11] Jedoch dauerte es einige Jahre, bis der Effekt weiter wissenschaftlich untersucht wurde.[12]
Allerdings bereitete es in der Folgezeit große Schwierigkeiten, die Daten von Mpemba und Osborne zu reproduzieren, was eine Reihe von Wissenschaftlern an deren Glaubwürdigkeit zweifeln ließ.
Angesichts der weitgehend fruchtlosen Bemühungen, den Mpemba-Effekt überhaupt eindeutig nachweisen zu können, wurde 1995 konstatiert, dass er offenbar viel seltener auftritt als zuvor angenommen, da viele der diesbezüglichen Experimente erhebliche Fehlerquellen aufwiesen. So wurde z. B. gezeigt, dass unterkühlte Proben, bei denen lediglich eine dünne Wasserschicht an den Gefäßwänden tatsächlich schon zu Eis erstarrt ist, vollständig durchgefrorenen Proben täuschend ähnlich sehen und daher leicht falsch zugeordnet werden können.[13]
2016 analysierten Henry C. Burridge und Paul F. Linden die bis dahin vorliegenden experimentellen Studien zu dem Thema und führten darüber hinaus selbst sehr sorgfältig geplante Experimente durch. Dabei kamen sie zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sämtliche Arbeiten, die angeblich den Mpemba-Effekt nachwiesen, unter methodischen Mängeln litten und keine einzige davon (mit Ausnahme von Mpembas eigener Originalarbeit) Datenmaterial lieferte, das die Existenz des Mpemba-Effektes stützte. Auch die eigenen Experimente der beiden Autoren blieben in dieser Hinsicht völlig ergebnislos. Sie schlossen daraus, dass der Mpemba-Effekt in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert, sondern auf einem wissenschaftlichen Irrtum beruht.[14]
Frühere Erklärungsversuche
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unabhängig von der weiterhin ungeklärten Frage, inwieweit es sich beim von Mpemba beschriebenen Effekt überhaupt um ein real existierendes Phänomen handelt, wurden zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten dafür erörtert und z. T. auch experimentell überprüft.
Es gibt Hypothesen, welche zum einen die wesentliche Ursache darin sehen, dass die Menge des wärmeren Wassers beim Abkühlen in einem offenen System durch Verdunstung im Vergleich zur Menge des kühleren Wassers überproportional abnimmt. Dies liegt daran, dass der Dampfdruck einer Flüssigkeit (zu dem wiederum die Geschwindigkeit der Verdampfung proportional ist) exponentiell mit der Temperatur ansteigt. Das heißt, dass bezogen auf dieselbe Zeitspanne mehr heißes als kaltes Wasser verdampft (Augustsche Dampfdruckformel). Dadurch liegen – wenn beim Versuch offene Gefäße verwendet werden – beim Erreichen des Gefrierpunktes unterschiedliche Wassermengen vor, und zwar derart, dass die Menge des ursprünglich wärmeren Wassers kleiner ist als die Menge des ursprünglich kühleren Wassers, und eine geringere Wassermenge gefriert bei ansonsten gleichen Bedingungen immer schneller als eine größere Wassermenge. Allerdings trat in Jugend-forscht-Versuchen mit geschlossenen Gefäßen der Mpemba-Effekt unter ansonsten identischen Randbedingungen mit vergleichbarer Häufigkeit auf,[15] was gegen Verdunstung als wesentliche Ursache spricht.
Zum anderen gibt es die Hypothese, dass im Wasser gelöste Salze (vor allem Hydrogencarbonate) bei hohen Temperaturen ausfallen (z. B. als Carbonate) und so keinen Einfluss mehr auf den Gefrierpunkt haben. Im kalten Wasser wächst die Konzentration der Salze im nach Kristallisationsbeginn noch flüssigen Wasser. Dies führt zu einer Gefrierpunktserniedrigung. Aber auch in Versuchen mit entsalztem Wasser trat der Mpemba-Effekt unter ansonsten identischen Randbedingungen etwa ebenso häufig auf, so dass gelöste Salze nicht die wesentliche Ursache sein können.[15]
Neuere Experimente deuteten darauf hin, dass im Wasser gelöste Gase oder die bessere Wärmezirkulation bzw. -abgabe im heißen Wasser eine wesentliche Rolle spielen könnten, aber auch hier konnte letztendlich kein schlüssiger Beweis geliefert werden.[15]
Neuestes Erklärungsmodell
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahre 2022 präsentierte Ren Tier von der Ohio State University ein (bisher nur als Vorabdruck vorliegendes) verhältnismäßig einfaches und jedenfalls in sich schlüssiges Erklärungsmodell, das er mit einer Computersimulation und einem einfachen Versuch untermauerte.[16] Es weist dem Wärmestrom im Bereich der Grenzschicht zwischen Becherboden und der Stellfläche im Gefrierschrank eine entscheidende Rolle zu. Hierbei ist ein bisher unberücksichtigt gebliebenes, aber aus der Alltagserfahrung geläufiges Detail wesentlich: Auf der inneren Oberfläche eines Gefrierschrankes bildet sich regelmäßig eine (zunächst mikroskopisch dünne) Schicht aus Eiskristallen; dies ist die zwangsläufige Folge von Kondensations- und Vereisungsvorgängen, wie sie sich aus den Luftwechseln beim Öffnen und Schließen des Kühlschranks ergeben (und irgendwann das Abtauen erforderlich machen). Aufgrund dieser Eiskristalle können die Stellflächen des Gefrierschranks jedenfalls nie völlig eben sein, und dies hat Folgen für die Wärmeleitfähigkeit.
Wird nämlich ein kaltes Becherglas in den Gefrierschrank gestellt, so sorgen die minimalen Unebenheiten auf den Berührflächen dafür, dass eine Wärmeübertragung nicht großflächig, sondern nur über (zahlreiche) einzelne Punkte bzw. kleine Einzelflächen erfolgen kann.
Ist das Glas jedoch mit einer hinreichend warmen Flüssigkeit gefüllt, so verläuft der Abkühlvorgang mehrphasig: Zunächst sorgt die Wärme aus dem Becherglas für ein Schmelzen der Eiskristalle zwischen Stellfläche und Glasboden, wodurch somit eine homogene (weil flüssige) Wärmeleitschicht hergestellt wird. Abhängig u. a. von der Wärmekapazität des Becherinhalts sowie der Wärmeleitfähigkeit des Becherglases und des Gefrierschrankbodens kommt es danach zwar schnell zu einer Wiedervereisung dieser Grenzschicht, die jedoch nunmehr homogen bleibt und somit eine flächige – und damit deutlich schnellere – Wärmeübertragung ermöglicht.
In der Konsequenz kühlt die ursprünglich wärmere Flüssigkeit in der Folge – genauer: von dem Schmelzvorgang an – schneller ab als die zunächst kältere. Von einem Mpemba-Effekt kann indes nur dann die Rede sein, wenn die ursprünglich wärmere Flüssigkeit die ursprünglich kältere (die ja einen „Vorsprung“ besitzt) beim Abkühlvorgang irgendwann „überholt“, und dafür darf z. B. die ursprüngliche Temperaturdifferenz in den Gläsern nicht zu hoch sein. Auch eine Reihe weiterer Bedingungen muss für einen Mpemba-Effekt erfüllt sein; sie betreffen etwa die Füllmengen und Ausgangstemperaturen in beiden Gläsern, die Geometrie und Wärmeleitfähigkeit der Gläser sowie die Wärmeleitfähigkeit und Temperatur der Stellfläche. Diese Bedingungen sind indes sämtlich mit den Mitteln der klassischen Thermodynamik unmittelbar nachvollziehbar.
Beispielsweise wird anhand dieses Modells verständlich, dass der Mpemba-Effekt kaum zustande kommen wird, wenn die Ausgangstemperatur des ursprünglich kälteren Glases zu hoch über dem Gefrierpunkt liegt, denn in diesem Fall wäre auch hier ein Schmelzvorgang am Becherboden zu erwarten.
Andererseits gilt: Je größer das Füllungsvolumen der Gläser ist – und damit: je länger der Abkühlungsprozess notwendigerweise dauert –, desto eher ist ein Mpemba-Effekt zu erwarten.
Des Weiteren ist eine entscheidende Voraussetzung für den Mpemba-Effekt, dass das ursprünglich wärmere Glas während des gesamten Prozesses nicht auf seiner Unterlage verschoben wird, weil die homogene Grenzschicht sonst zerstört würde. Die Nichtbeachtung des letztgenannten Punktes könnte nach Ansicht des Autors eine wesentliche Ursache dafür sein, dass sich der Mpemba-Effekt bisher so schlecht reproduzieren ließ.
Ein Mpemba-Effekt wird im Übrigen dem Modell zufolge nicht zu erwarten sein, wenn kein nennenswerter Kontakt der Gläser zur kühlenden Oberfläche besteht (z. B. wenn die Bechergläser an dünnen Fäden aufgehängt sind).
Zusammenfassend ist mit diesem Modell grundsätzlich ein plausibler Erklärungsansatz für das Zustandekommen eines Mpemba-Effektes (in einem erweiterten Sinne) gegeben, wobei allerdings durch die darin implementierten strengen Bedingungen verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt sind. Insbesondere aufgrund der geforderten Materialeigenschaften bleibt es weiterhin strittig, inwieweit es den Effekt auch tatsächlich für Wasser gibt.
Mpemba-Effekt in anderen Substanzen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Während die Existenz des Mpemba-Effektes in Wasser bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde, konnte das Phänomen in verschiedenen, insbesondere kristallinen Substanzen nachgewiesen werden, etwa in Clathrathydraten oder Manganitverbindungen, die in einem Magnetfeld abkühlen.[17]
Erwähnung in den Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Mpemba-Effekt wurde immer wieder auch in populärwissenschaftlichen Medienproduktionen thematisiert, die aber unzureichende Erklärungsmodelle anboten.
Am 26. Juni 2012 lobte die Londoner Royal Society of Chemistry 1000 britische Pfund aus, um die weitere Erklärung des Effektes zu fördern.[18] Nikola Bregovic, Chemiker an der Universität Zagreb, wurde im Januar 2013 als der Gewinner ausgerufen: Auch er war zu dem Schluss gekommen, dass er keine abschließende Lösung finden konnte, und stellte fest: „Wieder einmal überrascht und fasziniert uns dieses kleine, einfache [Wasser-]Molekül mit seiner Magie.“[19][20]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Martin Bier: The Rise and Fall of the Mpemba Effect. In: Sceptical Inquirer. Band 47, Nr. 4, Juli 2023 (skepticalinquirer.org).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Der Mpemba-Effekt. In: wissenschaft-technik-ethik.de
- Adam Mann: Friert heißes Wasser schneller als kaltes? In: Spektrum der Wissenschaft. 4. September 2022, abgerufen am 15. Juli 2023.
- Dylan Ris: The Mpemba effect: Does hot water really freeze faster than cold water? In: HowStuffWorks. 19. Januar 2023 (englisch).
- Understanding the Mpemba Effect: Why Hot Water Freezes Faster. In: Best Physics Tuition. 12. Mai 2023, abgerufen am 20. Juli 2023 (englisch).
- Siddhant Govardhan Agrawal: The Mpemba effect: When hot water freezes faster than cold. In: El País. 25. März 2023, abgerufen am 20. Juli 2023 (englisch).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Elizabeth H. Oakes: Heat and Thermodynamics. Chelsea, 2012, ISBN 978-1-4381-4141-1, S. 104 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Henry C. Burridge, Paul F. Linden: Questioning the Mpemba effect: hot water does not cool more quickly than cold. In: Scientific Reports. Band 6, Nr. 1, 24. November 2016, ISSN 2045-2322, doi:10.1038/srep37665, PMID 27883034.
- ↑ Aristoteles in E. W. Webster, Meteorologica I,: Oxford University Press, 1923, S. 348b–349a
- ↑ Rhett Allain: The Very Vortex-y Science of Making Snow From Boiling Water. In: Wired. ISSN 1059-1028 (wired.com [abgerufen am 9. März 2024]).
- ↑ Julius Ludwig Ideler (Hrsg.): Άριστοτέλους μετεωρολογικά. Aristotelis meteorologicorum. Band 1, Friedrich Christian Wilhelm Vogel, Leipzig 1834, S. 44 (griechisch mit lateinischer Übersetzung); Ernst Grumach, Hellmut Flashar (Hrsg.): Meteorologie/Über die Welt, Aristoteles Werke 12.1./2., 3. Auflage, Akademie-Verlag, Berlin 1984, S. 30 (deutsche Übersetzung von Hans Strohm)
- ↑ John Henry Bridges (Hrsg.): The ‘Opus Majus’ of Roger Bacon Band 2, Clarendon, Oxford 1897, S. 169 (lateinisch); The Opus Majus of Roger Bacon Band 2, Russell & Russell, New York 1962, S. 584 (englische Übersetzung von Robert Belle Burke)
- ↑ Instauratio magna mit Novum Organum, John Bill, London 1620, S. 345 (lateinisch); Franz Baco’s Neues Organon, L. Heimann, Berlin 1870, S. 370 (deutsche Übersetzung von J. H. v. Kirchmann)
- ↑ Discours de la méthode. La dioptrique. Les météores. La géométrie, Ian Maire, Leiden 1637, S. 164 (französisch); Discourse on Method, Optics, Geometry, and Meteorology, Hackett, Indianapolis 2001, S. 268 (englische Übersetzung von Paul J. Olscamp)
- ↑ Joseph Black: The Supposed Effect of Boiling upon Water, in Disposing It to Freeze More Readily, Ascertained by Experiments. By Joseph Black, M. D. Professor of Chemistry at Edinburgh, in a Letter to Sir John Pringle, Bart. P. R. S. In: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. 65. Jahrgang, 1. Januar 1775, S. 124–128, doi:10.1098/rstl.1775.0014.
- ↑ Ludw. Christian Lichtenberg, Friedrich Kries (Hrsg.): G. Ch. Lichtenberg’s vermischte Schriften Band 7, Ignaz Klang, Wien 1844, S. 164; mit Bezug auf den Artikel Eis in Johann Samuel Traugott Gehler: Physikalisches Wörterbuch Band 1, Schwickert, Leipzig 1787, S. 676
- ↑ Erasto B. Mpemba, Denis G. Osborne: Cool? In: Institute of Physics IOP (Hrsg.): Physics Education. Band 4, Nr. 3. IOP Publishing, 1. Mai 1969, ISSN 1361-6552, S. 172–175, doi:10.1088/0031-9120/4/3/312 (iop.org).
- ↑ The Mpemba Effect: A brief history. ( vom 3. Juni 2013 im Internet Archive) Royal Society of Chemistry, 2013
- ↑ David Auerbach: Supercooling and the Mpemba effect: When hot water freezes quicker than cold. In: American Association of Physics Teachers (Hrsg.): American Journal of Physics. Band 63, Nr. 10. AIP Publishing, Oktober 1995, ISSN 0002-9505, S. 882–885, doi:10.1119/1.18059 (robot-tag.com [PDF]).
- ↑ Henry C. Burridge, Paul F. Linden: Questioning the Mpemba effect: hot water does not cool more quickly than cold. In: Scientific Reports. Band 6, Nr. 1, 24. November 2016, ISSN 2045-2322, S. 37665, doi:10.1038/srep37665 (nature.com [abgerufen am 13. Januar 2021]).
- ↑ a b c Julian Schneider: Der Mpemba-Effekt und seine Ursache. Untersuchungen zur Temperaturschichtung und zum Strömungsverhalten in gefrierenden Wasserproben. In: Physikalisch-Technische Bundesanstalt PTB (Hrsg.): JungeWissenschaft. Jugend forscht in Natur und Technik. Band 110. Verlag Junge Wissenschaft, Düsseldorf 2016, S. 58–69 (ptb.de [PDF; 1,3 MB; abgerufen am 14. Juni 2019] Junge Wissenschaft Nr. 110 online).
- ↑ Ren Tier: Mpemba Effect Demystified. Engineering Archive, 18. Januar 2022, doi:10.31224/osf.io/3ejnh (engrxiv.org [abgerufen am 20. März 2023]).
- ↑ Avinash Kumar: Anomalous Relaxation in Colloidal Systems. Springer International Publishing, 2022, ISBN 978-3-03113280-3, S. 6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ The Mpemba effect: competition and resources. Royal Society of Chemistry
- ↑ Wie heißes Wasser schockgefrostet wird. In: Süddeutsche Zeitung, 8. Januar 2014
- ↑ Nikola Bregović: Mpemba effect from a viewpoint of an experimental physical chemist. Hrsg.: Royal Society of Chemistry. (rsc.org [PDF; 129 kB]).