„Moralisches Risiko“ – Versionsunterschied
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Ein '''moralisches Risiko''' (auch '''moralische Versuchung''', '''moralisches Wagnis''' oder '''Rationalitätsfalle'''; {{enS|moral hazard}}) liegt vor, wenn sich [[Wirtschaftssubjekt]]e aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten und damit ein [[Risiko]] auslösen oder verstärken. Als Standardbeispiel gelten Verhaltensänderungen aufgrund eines [[Versicherte Person|versicherten Risikos]].<ref>Hermann May/Hans-Jürgen Albers, ''Handbuch zur ökonomischen Bildung'', 1992, S. 438</ref> Ursprünglich ein Begriff aus der [[Versicherungswissenschaft]], ist ''moralisches Risiko'' heute Teil des allgemeinen [[Wirtschaftswissenschaft|ökonomischen]] Sprachgebrauchs. |
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'''Moral Hazard''' (wörtlich "sittliche Gefährdung", engl.''Subjektives Risiko'' oder ''moralische Versuchung'') beschreibt die Gefahr einer [[Verhaltensänderung]], nach vermeintlichem Wegfall des [[Risiko]]s. Ursprünglich ein Begriff aus der [[Versicherung]]swissenschaft. Meist wird der Begriff auch [[ökonomisch]] verwendet. |
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== Beschreibung == |
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Ein Moral Hazard droht, wenn es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was für die Allgemeinheit (für das Kollektiv) und dem, was für das Individuum vernünftig ist, wenn also ein Widerspruch zwischen ''Kollektivrationalität'' und ''Individualrationalität'' vorliegt. Daher ist der Moral Hazard eng verwandt mit der [[Rationalitätenfalle]]. Ein Moral Hazard droht, wenn eine höhere Instanz, z. B. eine Regierung, oder eine kollektive Instanz, z. B. eine Versicherung, eine Kollektivrationalität durchsetzen will, dies aber von den Individuen zugunsten ihrer eigenen Interessen ausgenutzt und damit womöglich unterlaufen wird. |
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Das moralische Risiko wird gern modellhaft erklärt als Resultat aus [[asymmetrische Information|asymmetrischer Information]] zwischen den beteiligten Wirtschaftssubjekten ([[Privatperson]]en, [[Unternehmen]] oder der [[Staat]] mit seinen Untergliederungen), die gegenseitig nicht den gleichen Informationsstand aufweisen. Ein moralisches Risiko droht, wenn Individuen davon befreit werden, für potentiell kostspielige Folgen ihres Handelns selbst einzustehen, weil diese Kosten anderweitig getragen werden. Das individuelle Risiko wird kollektiviert, also von einem Risiko für den handelnden Einzelnen zu einem Risiko für das betroffene Kollektiv. Kurz: Ein moralisches Risiko ist in diesem Fall die Förderung leichtfertigen oder kriminellen Verhaltens aufgrund der Abdeckungsgewissheit des resultierenden Schadensrisikos. |
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==Beispiele== |
== Beispiele == |
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Nachfolgend sind in alphabetischer Reihenfolge einige Beispiele für moralische Risiken im Alltag aufgeführt: |
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=== Aktien-Kursverfall === |
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⚫ | ''Greenspan-Put'': Ein allgemeiner Verfall der [[Aktienkurs]]e kann schwerwiegend die Investitionstätigkeit beeinträchtigen und eine [[Wirtschaftskrise]] auslösen. Als Gegenmaßnahme kann die [[Zentralbank]] [[Aktie]]n im Falle eines [[Börsenkrach]]s aufkaufen, um eine Ausweitung des Wertezerfalls zu verhindern. Als Folge davon liegen die Aktienkurse höher, weil sich die Aktienhändler auf einen solchen Eingriff der Zentralbank im Notfall verlassen. Diese mutmaßliche Garantie durch die Zentralbank gegen einen allgemeinen Aktienkursverfall wird nach dem ehemaligen US-Zentralbank-Chef [[Alan Greenspan]] und nach den normalen [[Sicherungsgeschäft]]en gegen Kursverfall, den [[Verkaufsoption|Put-Optionen]], ''Greenspan-Put'' genannt.<ref>Zum ''Moral Hazard'' bei Rettungsaktionen durch die Zentralbanken vgl. Gerhard Illing: ''Die Liquiditätskrise sieht in den Vereinigten Staaten düsterer als in Europa aus.'' [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]], 16. August 2007, S. 19</ref> |
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=== Beamtentum === |
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===Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis=== |
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Es gibt die Vermutung, dass die [[Leistungsbereitschaft]] und [[Arbeitseinstellung]] von [[Beamtentum|Beamten]] geringer ist, weil wegen [[Unkündbarkeit]] und gesicherter [[Pension (Altersversorgung)|Pensions]]-Ansprüche geringere Leistungsbereitschaft kein Risiko für die Beamten bedeutet. Derartige Überlegungen gelten auch bei beamtenähnlichen [[Arbeitsverhältnis]]sen etwa in großen Firmen oder für Unkündbarkeitsregelungen nach langer [[Betriebszugehörigkeit]] in [[Tarifvertrag|Tarifverträgen]]. |
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*[[Arbeitnehmer]] reduzieren ihre Leistung, weil die [[Arbeitgeber]] wenig kontrollieren. - Lösungsmöglichkeit: Leistungsprämien, Bezahlung nach [[Akkordarbeit|Akkord]] spornen Arbeitnehmer an. ("[[Prinzipal-Agent-Theorie|Principal-Agent-Problem]]") |
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==== Versicherungen ==== |
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*Nachlassen der Leistungsbereitschaft von [[Beamter|Beamten]] durch Unkündbarkeit und gesicherte [[Pension (Altersversorgung)|Pension]]s-Ansprüche |
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Beim [[Versicherungsschutz]] in westlichen [[Gesundheitssystem]]en besteht für Versicherte durch das Auseinanderfallen von Handlung und Haftung ein geringerer Anreiz, risikoreiche Freizeitbeschäftigungen oder ungesunde Lebensweise einzuschränken, da im Bedarfsfall die Solidargemeinschaft der [[Gesetzliche Krankenversicherung|gesetzlichen Krankenversicherung]] für die [[Therapie|Behandlungskosten]] aufkommt. In der [[Gesundheitsökonomie]] wird dieses als [[Ex ante]]-Moral-Hazard bezeichnet. |
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Mögliche Gegenmaßnahmen: [[Kostenbeteiligung]]en in verschiedener Form, nach Krankheitsrisiko differenzierte [[Versicherungsprämie]]n. |
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===Wirtschaft allgemein=== |
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==== Medizinische Leistungen: Patient ==== |
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*Droht ein großer Konzern pleite zu gehen, wird er vom Staat gerettet, weil er sonst womöglich die ganze Volkswirtschaft mitreißen würde (''"too big to fail"''). Als Folge davon verhalten sich Konzerne risikoreich im Vertrauen darauf, dass ihnen notfalls der Staat beispringen muss (Beispiel ''"bailing out"'' von General Motors durch die US-Regierung). |
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Da die Kosten bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen keine Rolle spielen, besteht die Gefahr, dass Patienten zu viele Leistungen nachfragen, auch solche, die nur sehr wenig oder überhaupt nichts nützen. Die entstehenden Kosten werden von der Allgemeinheit getragen und verteuern das Gesamtsystem. In diesem Fall wird in der Gesundheitsökonomie von [[Ex post]]-Moral-Hazard gesprochen. |
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*Bei Finanzkrisen einzelner Staaten sehen sich die internationalen Institutionen und die großen Industriestaaten gezwungen, mit Geld auszuhelfen, damit der einzelne Staat nicht die Weltwirtschaft mit sich reißt. Dies kann zu risikoreichem Verhalten einzelner Regierungen und von Kapitalanlegern führen, die darauf vertrauen, dass ihnen notfalls geholfen werden muss. |
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Mögliche Gegenmaßnahmen: [[Praxisgebühr]]en oder andere [[Kostenbeteiligung]]en, [[Karenztag]]e. |
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==== Medizinische Leistungen: Arzt ==== |
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Ein kostenloses [[Gesundheitssystem]] lädt dazu ein, das System durch unnötige Arztbesuche (z. B. zum "Blaumachen") überzubeanspruchen und zu verteuern. Hierbei kann beispielsweise mit [[Praxisgebühr]]en, [[Karenztag]]en und/oder [[Bildung]] entgegengesteurt werden. |
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Das moralische Risiko tritt aber auch bei den Behandlern, z. B. den Ärzten, auf: Weil die Kosten der Behandlung nicht vom Patienten direkt, sondern von seiner Versicherung bezahlt werden, kommt der Behandler in Versuchung, überflüssige und/oder zu teure Behandlungen vorzunehmen oder gar [[Abrechnungsbetrug]] zu betreiben. |
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Mögliche Gegenmaßnahme: Die Ärzte werden nicht mehr für jede verschriebene Leistung vergütet, sondern durch ein Pauschalvergütungsmodell ([[Fallpauschale und Sonderentgelt]], [[Capitation]]). |
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==Siehe auch:== |
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[[Tragik der Allmende]], [[Prinzipal-Agent-Theorie]], [[Trittbrettfahrerverhalten (Wirtschaft)]], [[moral hazard]], [[Drückebergerei]] |
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=== Schulden === |
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Bei [[Schulden]] besteht die Gefahr, dass sich [[Schuldner]] unter der Annahme eines zukünftigen [[Schuldenerlass]]es hoch verschulden (''Schuldner-Moral Hazard''); gleichermaßen könnten [[Gläubiger]], die sich nicht an Schuldenerlassen beteiligen, den durch den Schuldenerlass entstandenen Finanzierungsspielraum zur weiteren Kreditgewährung nutzen (''Gläubiger-Moral Hazard'').<ref>[https://books.google.de/books?id=g1CBySqrzGwC&pg=PA99&dq=Schuldenerlass+moral+hazard&hl=de&sa=X&ved=0CC0Q6AEwA2oVChMIjZO4_aLrxgIVCb8UCh0_ogsq#v=onepage&q=Schuldenerlass%20moral%20hazard&f=false Hartmut Ihne/Jürgen Wilhelm, ''Einführung in die Entwicklungspolitik'', 2013, S. 99]</ref> Insgesamt birgt der Schuldenerlass hohe Anreize für die Schuldner, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu steigern. |
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Vgl. ''N.N.'' aus Fischer Kompakt, in http://www.fischer-kompakt.de/sixcms/detail.php?template=glossar_detail&id=188601, am 16. November 2004; und ''N.N.'' aus LEO (TU-München), in http://dict.leo.org, weiterführend "moral hazard" am 16. november 2004; sowie ''Mankiw'', Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 631. |
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=== Shirking === |
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Unter dem Begriff [[Shirking]] wird das Problem behandelt, dass [[Arbeitnehmer]] ihre [[Arbeitsleistung]] vermindern, weil die [[Arbeitgeber]] diese Leistung nur unvollkommen kontrollieren können. Dadurch wird das Sanktionsrisiko für die Arbeitnehmer, das mit einer Leistungsverminderung verbunden sein sollte, vermindert. [[Leistungsprämie]]n oder die Bezahlung nach [[Akkordarbeit|Akkord]] können Arbeitnehmer motivieren, eine größere Leistung zu erbringen. |
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=== Sozialleistungen === |
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[[en:Moral hazard]] |
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Ein Empfänger von [[Sozialleistung]]en ([[Hartz-Konzept#Hartz IV|Hartz IV]], [[Arbeitslosengeld|Arbeitslosen-]] oder [[Schwerbehindertenrecht (Deutschland)|Behindertengeld]]) wird für das Annehmen einer prekären Arbeit bestraft, wenn durch (bescheidenen) wirtschaftlichen Aufstieg die Sozialleistungen zuerst reduziert werden und im erneuten Falle der [[Bedürftigkeit]] (z. B. [[Arbeitslosigkeit]], [[Krankheit]] oder [[Unfall]]) das Einkommen aus Lohnarbeit früher sinkt als die Unterstützung durch Sozialleistung reaktiviert wird. Das Einkommen, inklusive Sozialleistungen, kann durch das Abwarten verschiedener Fristen in der Summe im Fall der vorübergehenden Erwerbsarbeit kleiner sein als bei kontinuierlichem Bezug. Der Konflikt kann durch Berechnung von Sozialleistungen auf langfristiger Grundlage (bei unterschiedlicher Bewertung der Fälle von Neubezug bzw. Wiederbezug) sowie schnelles und unkompliziertes Vorgehen bei der Reaktivierung von Sozialleistungen entschärft werden. |
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[[fi:Moraalinen hasardi]] |
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[[fr:Aléa moral]] |
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[[ja:モラル・ハザード]] |
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⚫ | Autofahrer fahren nach Abschluss einer [[Kfz-Haftpflichtversicherung]] leichtsinniger, weil ein eventueller [[Schaden]] durch die Versicherung gedeckt würde. Im schlimmsten Falle wird ein Schaden vorsätzlich durch [[Autobumser]] herbeigeführt. Das gilt darüber hinaus für alle [[Sachversicherung|Sach-]] und [[Lebensversicherung]]en. Eine Lösungsmöglichkeit liegt in einer hohen [[Selbstbeteiligung]] oder Selbstbehalt, durch die das Risiko für die Versicherung vermindert, andererseits aber auch der Schutz durch die Versicherung für den [[Versicherungsnehmer]] reduziert wird ([[Zielkonflikt]]). |
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[[sv:Moral hazard]] |
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[[zh:道德风险]] |
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=== Wirtschaftskrisen === |
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Bei [[Wirtschaftskrise]]n einzelner Staaten oder großer Unternehmen von [[Systemrelevanz]] sehen sich die internationalen Institutionen und die großen [[Industriestaat]]en gezwungen, mit [[Rettungsaktion (Wirtschaft)|Rettungsaktionen]] einzuspringen, damit der einzelne [[Staat]] oder [[Großunternehmen]] nicht durch [[Contagion-Effekt|Ansteckung]] die gesamte Wirtschaft mit sich reißt – Akteure wie die [[Zentralbank]]en sind hier in der Rolle des [[Kreditgeber letzter Instanz|Kreditgebers letzter Instanz]]. Dies kann zu risikoreichem Verhalten einzelner Regierungen und von Großunternehmen führen, die darauf vertrauen, dass ihnen notfalls im Rahmen des ''Bail-out'' geholfen werden muss. Wenn Unternehmen Verluste vergemeinschaften, aber Gewinne selbst abschöpfen können und so zu riskantem Verhalten motiviert werden, kann auch vom [[Risikoanreizproblem]] gesprochen werden. |
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== Philosophischer Ansatz == |
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Als ein [[Moralphilosophie|moralphilosophisches]] [[Theorem]] des [[Liberalismus]] und [[Neoliberalismus]] zur Erklärung von wirtschaftlichen Krisenerscheinungen gründet moralisches Risiko auf der ethischen Vorstellung von der „Schlechtigkeit des Menschen“, die in extremer Form in einer „[[Ontologie|Ontologisierung]] von Herrschaft im Sinne eines Endes der Geschichte“ mündet.<ref>Holger Schatz: ''Arbeit als Herrschaft. Die Krise des Leistungsprinzips und seine neoliberale Rekonstruktion.'' Münster 2004, Seite 252ff.</ref> |
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== Weblinks == |
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* [[Herbert Hax]]: [https://books.google.de/books?id=3K4Af3spDw4C&pg=PA420&lpg=PA420&dq=%22Herbert+Hax%22+%22Moral+Hazard%22&source=bl&ots=d37AYIN-bC&sig=8LrPy1Y3CxYD3mywIkA539-lyPo&hl=en&ei=bLZHTtfyJIWe-QbOiLmRBw&sa=X&oi=book_result&ct=result#v=onepage&q=%22Herbert%20Hax%22%20%22Moral%20Hazard%22&f=false Moral Hazard] und [[asymmetrische Information]] |
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== Literatur == |
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* [[N. Gregory Mankiw|Greg Mankiw]]: ''Grundzüge der Volkswirtschaftslehre.'' 7. Auflage 2018, ISBN 978-3-7910-4142-1.<!---Band 631---> (weiterführend) |
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<!----- * [[Malcolm Gladwell]]: ''The Moral-Hazard Myth.'' ------ unauffindbar ------> |
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* [[Arnold Picot]]: |
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** ''Die grenzenlose Unternehmung.'' Gabler, Wiesbaden 2003. |
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** ''Organisation – eine ökonomische Perspektive.'' 2005. |
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== Einzelnachweise == |
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<references /> |
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{{Normdaten|TYP=s|GND=4322425-8}} |
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[[Kategorie:Neue Institutionenökonomik]] |
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:11 Uhr
Ein moralisches Risiko (auch moralische Versuchung, moralisches Wagnis oder Rationalitätsfalle; englisch moral hazard) liegt vor, wenn sich Wirtschaftssubjekte aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten und damit ein Risiko auslösen oder verstärken. Als Standardbeispiel gelten Verhaltensänderungen aufgrund eines versicherten Risikos.[1] Ursprünglich ein Begriff aus der Versicherungswissenschaft, ist moralisches Risiko heute Teil des allgemeinen ökonomischen Sprachgebrauchs.
Beschreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das moralische Risiko wird gern modellhaft erklärt als Resultat aus asymmetrischer Information zwischen den beteiligten Wirtschaftssubjekten (Privatpersonen, Unternehmen oder der Staat mit seinen Untergliederungen), die gegenseitig nicht den gleichen Informationsstand aufweisen. Ein moralisches Risiko droht, wenn Individuen davon befreit werden, für potentiell kostspielige Folgen ihres Handelns selbst einzustehen, weil diese Kosten anderweitig getragen werden. Das individuelle Risiko wird kollektiviert, also von einem Risiko für den handelnden Einzelnen zu einem Risiko für das betroffene Kollektiv. Kurz: Ein moralisches Risiko ist in diesem Fall die Förderung leichtfertigen oder kriminellen Verhaltens aufgrund der Abdeckungsgewissheit des resultierenden Schadensrisikos.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachfolgend sind in alphabetischer Reihenfolge einige Beispiele für moralische Risiken im Alltag aufgeführt:
Aktien-Kursverfall
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Greenspan-Put: Ein allgemeiner Verfall der Aktienkurse kann schwerwiegend die Investitionstätigkeit beeinträchtigen und eine Wirtschaftskrise auslösen. Als Gegenmaßnahme kann die Zentralbank Aktien im Falle eines Börsenkrachs aufkaufen, um eine Ausweitung des Wertezerfalls zu verhindern. Als Folge davon liegen die Aktienkurse höher, weil sich die Aktienhändler auf einen solchen Eingriff der Zentralbank im Notfall verlassen. Diese mutmaßliche Garantie durch die Zentralbank gegen einen allgemeinen Aktienkursverfall wird nach dem ehemaligen US-Zentralbank-Chef Alan Greenspan und nach den normalen Sicherungsgeschäften gegen Kursverfall, den Put-Optionen, Greenspan-Put genannt.[2]
Beamtentum
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt die Vermutung, dass die Leistungsbereitschaft und Arbeitseinstellung von Beamten geringer ist, weil wegen Unkündbarkeit und gesicherter Pensions-Ansprüche geringere Leistungsbereitschaft kein Risiko für die Beamten bedeutet. Derartige Überlegungen gelten auch bei beamtenähnlichen Arbeitsverhältnissen etwa in großen Firmen oder für Unkündbarkeitsregelungen nach langer Betriebszugehörigkeit in Tarifverträgen.
Gesundheitssystem
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Versicherungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beim Versicherungsschutz in westlichen Gesundheitssystemen besteht für Versicherte durch das Auseinanderfallen von Handlung und Haftung ein geringerer Anreiz, risikoreiche Freizeitbeschäftigungen oder ungesunde Lebensweise einzuschränken, da im Bedarfsfall die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung für die Behandlungskosten aufkommt. In der Gesundheitsökonomie wird dieses als Ex ante-Moral-Hazard bezeichnet.
Mögliche Gegenmaßnahmen: Kostenbeteiligungen in verschiedener Form, nach Krankheitsrisiko differenzierte Versicherungsprämien.
Medizinische Leistungen: Patient
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Da die Kosten bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen keine Rolle spielen, besteht die Gefahr, dass Patienten zu viele Leistungen nachfragen, auch solche, die nur sehr wenig oder überhaupt nichts nützen. Die entstehenden Kosten werden von der Allgemeinheit getragen und verteuern das Gesamtsystem. In diesem Fall wird in der Gesundheitsökonomie von Ex post-Moral-Hazard gesprochen.
Mögliche Gegenmaßnahmen: Praxisgebühren oder andere Kostenbeteiligungen, Karenztage.
Medizinische Leistungen: Arzt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das moralische Risiko tritt aber auch bei den Behandlern, z. B. den Ärzten, auf: Weil die Kosten der Behandlung nicht vom Patienten direkt, sondern von seiner Versicherung bezahlt werden, kommt der Behandler in Versuchung, überflüssige und/oder zu teure Behandlungen vorzunehmen oder gar Abrechnungsbetrug zu betreiben.
Mögliche Gegenmaßnahme: Die Ärzte werden nicht mehr für jede verschriebene Leistung vergütet, sondern durch ein Pauschalvergütungsmodell (Fallpauschale und Sonderentgelt, Capitation).
Schulden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei Schulden besteht die Gefahr, dass sich Schuldner unter der Annahme eines zukünftigen Schuldenerlasses hoch verschulden (Schuldner-Moral Hazard); gleichermaßen könnten Gläubiger, die sich nicht an Schuldenerlassen beteiligen, den durch den Schuldenerlass entstandenen Finanzierungsspielraum zur weiteren Kreditgewährung nutzen (Gläubiger-Moral Hazard).[3] Insgesamt birgt der Schuldenerlass hohe Anreize für die Schuldner, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu steigern.
Shirking
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter dem Begriff Shirking wird das Problem behandelt, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung vermindern, weil die Arbeitgeber diese Leistung nur unvollkommen kontrollieren können. Dadurch wird das Sanktionsrisiko für die Arbeitnehmer, das mit einer Leistungsverminderung verbunden sein sollte, vermindert. Leistungsprämien oder die Bezahlung nach Akkord können Arbeitnehmer motivieren, eine größere Leistung zu erbringen.
Sozialleistungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein Empfänger von Sozialleistungen (Hartz IV, Arbeitslosen- oder Behindertengeld) wird für das Annehmen einer prekären Arbeit bestraft, wenn durch (bescheidenen) wirtschaftlichen Aufstieg die Sozialleistungen zuerst reduziert werden und im erneuten Falle der Bedürftigkeit (z. B. Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Unfall) das Einkommen aus Lohnarbeit früher sinkt als die Unterstützung durch Sozialleistung reaktiviert wird. Das Einkommen, inklusive Sozialleistungen, kann durch das Abwarten verschiedener Fristen in der Summe im Fall der vorübergehenden Erwerbsarbeit kleiner sein als bei kontinuierlichem Bezug. Der Konflikt kann durch Berechnung von Sozialleistungen auf langfristiger Grundlage (bei unterschiedlicher Bewertung der Fälle von Neubezug bzw. Wiederbezug) sowie schnelles und unkompliziertes Vorgehen bei der Reaktivierung von Sozialleistungen entschärft werden.
Versicherungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Autofahrer fahren nach Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung leichtsinniger, weil ein eventueller Schaden durch die Versicherung gedeckt würde. Im schlimmsten Falle wird ein Schaden vorsätzlich durch Autobumser herbeigeführt. Das gilt darüber hinaus für alle Sach- und Lebensversicherungen. Eine Lösungsmöglichkeit liegt in einer hohen Selbstbeteiligung oder Selbstbehalt, durch die das Risiko für die Versicherung vermindert, andererseits aber auch der Schutz durch die Versicherung für den Versicherungsnehmer reduziert wird (Zielkonflikt).
Wirtschaftskrisen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei Wirtschaftskrisen einzelner Staaten oder großer Unternehmen von Systemrelevanz sehen sich die internationalen Institutionen und die großen Industriestaaten gezwungen, mit Rettungsaktionen einzuspringen, damit der einzelne Staat oder Großunternehmen nicht durch Ansteckung die gesamte Wirtschaft mit sich reißt – Akteure wie die Zentralbanken sind hier in der Rolle des Kreditgebers letzter Instanz. Dies kann zu risikoreichem Verhalten einzelner Regierungen und von Großunternehmen führen, die darauf vertrauen, dass ihnen notfalls im Rahmen des Bail-out geholfen werden muss. Wenn Unternehmen Verluste vergemeinschaften, aber Gewinne selbst abschöpfen können und so zu riskantem Verhalten motiviert werden, kann auch vom Risikoanreizproblem gesprochen werden.
Philosophischer Ansatz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als ein moralphilosophisches Theorem des Liberalismus und Neoliberalismus zur Erklärung von wirtschaftlichen Krisenerscheinungen gründet moralisches Risiko auf der ethischen Vorstellung von der „Schlechtigkeit des Menschen“, die in extremer Form in einer „Ontologisierung von Herrschaft im Sinne eines Endes der Geschichte“ mündet.[4]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Greg Mankiw: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 7. Auflage 2018, ISBN 978-3-7910-4142-1. (weiterführend)
- Arnold Picot:
- Die grenzenlose Unternehmung. Gabler, Wiesbaden 2003.
- Organisation – eine ökonomische Perspektive. 2005.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hermann May/Hans-Jürgen Albers, Handbuch zur ökonomischen Bildung, 1992, S. 438
- ↑ Zum Moral Hazard bei Rettungsaktionen durch die Zentralbanken vgl. Gerhard Illing: Die Liquiditätskrise sieht in den Vereinigten Staaten düsterer als in Europa aus. FAZ, 16. August 2007, S. 19
- ↑ Hartmut Ihne/Jürgen Wilhelm, Einführung in die Entwicklungspolitik, 2013, S. 99
- ↑ Holger Schatz: Arbeit als Herrschaft. Die Krise des Leistungsprinzips und seine neoliberale Rekonstruktion. Münster 2004, Seite 252ff.