„Ostfront (Erster Weltkrieg)“ – Versionsunterschied
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Die '''Deutsche Ostfront''' im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] war Schauplatz der Kriegshandlungen der [[Mittelmächte]] mit [[Russland]]. |
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{{Linkbox Ostfront (1914–1918)}} |
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[[Bild:Warplans I.jpg|thumb|right|300px|Kriegsplanungen und Übersicht des Jahres [[1914]]]] |
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Die '''Ostfront''' war im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] der Hauptschauplatz der Kriegshandlungen der [[Mittelmächte]] [[Deutsches Kaiserreich|Deutschland]] und [[Österreich-Ungarn]] mit [[Russisches Kaiserreich|Russland]]. Das Kriegsgebiet umfasste große Teile [[Osteuropa]]s und reichte nach dem Kriegseintritt [[Rumänischer Kriegsschauplatz (Erster Weltkrieg)|Rumäniens]] 1916 schließlich vom [[Baltikum]] bis zum [[Schwarzes Meer|Schwarzen Meer]]. Im Gegensatz zum lange Zeit nahezu statischen [[Stellungskrieg]] an der [[Westfront (Erster Weltkrieg)|Westfront]] fanden hier auch in der Mittelphase des Krieges größere Frontverschiebungen statt. Bedingt war dies unter anderem durch den aufgrund der geografischen Lage der Ostfront für die Mittelmächte erleichterten Truppenaustausch mit anderen Kriegsschauplätzen (vgl.: [[Innere Linie]]). |
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{{Kriegsschauplätze 1. Weltkrieg}} |
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Entscheidend wirkte sich jedoch die deutsche Unterstützung der revolutionären [[Bolschewiki]] unter [[Lenin]] aus, die in der [[Oktoberrevolution]] von 1917 die Macht in Russland übernahmen. Starker Druck der Mittelmächte zwang das revolutionäre [[Sowjetrussland]] schließlich zum [[Friedensvertrag von Brest-Litowsk|Separatfrieden von Brest-Litowsk]] vom März 1918, erkauft vor allem durch die Preisgabe der wirtschaftlich bedeutenden [[Ukraine]]. Dieser Vorteil für die Mittelmächte wirkte sich vor allem aufgrund des zwischenzeitlichen Kriegseintritts der [[Vereinigte Staaten|USA]] jedoch nicht auf das Ergebnis des Krieges aus. Die Auflösung der [[Vielvölkerstaat]]en Russland und Österreich-Ungarn und die Bildung neuer [[Nationalstaat]]en im Gefolge des Krieges stellen eine Epochenzäsur in der Geschichte Europas dar. |
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Im Gegensatz zum Kriegsverlauf an der [[Deutsche Westfront (Erster Weltkrieg)|deutschen Westfront]], die bald in einem unbeweglichen [[Stellungskrieg]] verharrte, war das Kriegsgeschehen im Osten wechselhafter. Ein zweiter Unterschied zur Westfront war ihre Zusammensetzung: Im Westen bildeten nur deutsche Truppen die Front, während die Ostfront durch deutsche Truppen im Norden und [[Österreich-Ungarn|österreichisch-ungarische]] Verbände im Süden gebildet wurde. Ein weiterer Unterschied zum Kriegsgeschehen im Westen war die räumliche Ausdehnung der Front: die Ostfront erstreckte sich vom [[Baltikum]] bis an die [[Schwarzes Meer|Schwarzmeerküste]] im Süden, die Westfront reichte lediglich von der Küste Belgiens im Norden bis zur westlichen Schweizer Grenze. |
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== Ausgangslage im Deutschen Reich == |
== Ausgangslage im Deutschen Reich == |
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=== Planungen der Vorkriegszeit === |
=== Planungen der Vorkriegszeit === |
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Der deutsche [[Großer Generalstab|Generalstab]] ging spätestens seit 1905 (vgl. [[Schlieffen-Plan]]) davon aus, dass ein großer europäischer Krieg in jedem Falle zugleich gegen Frankreich und Russland (vgl. [[Zweiverband]]) geführt werden würde. Der damit gegebenen Gefahr, von Anfang an in einen die eigenen Kräfte zersplitternden und ermattenden Zweifrontenkrieg gezwungen zu werden, sollte mittels einer raschen, durch fast vollständige Konzentration des Heeres gegen Frankreich erzwungenen Entscheidung im Westen begegnet werden. Erst anschließend war eine aktive Kriegführung gegen Russland vorgesehen. Bis dahin sollten schwache Deckungskräfte die preußischen Ostprovinzen soweit möglich verteidigen, wobei im ungünstigsten Fall auch ein Rückzug auf die Linie [[Oder|obere Oder]] - [[Festung Posen]] - [[Weichsel|untere Weichsel]] für vertretbar gehalten wurde.<ref>Reichsarchiv (Hrsg.): ''Der Weltkrieg 1914–1918.'' Band 2: ''Die Befreiung Ostpreußens.'' Berlin 1925, S. 39 f.</ref> |
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Nachdem Russland 1894 ein [[Zweiverband|Verteidigungsbündnis]] mit [[Frankreich]] eingegangen war, stellte der preußische [[Generalstab]]schef [[Alfred Graf von Schlieffen]] 1905 den nach ihm benannten [[Schlieffen-Plan]] vor. Schlieffen ging bei der Planung von einer langsamen [[Mobilmachung]] der russischen Armee aus. Daher sollte Deutschland eine schnelle Mobilmachung durchführen und mit Hilfe von [[Strategische Bahn|strategisch gebauten Bahnlinien]] Truppen schnell gegen [[Frankreich]] richten. Schlieffen ging davon aus, dass Frankreich wie bereits im [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg]] von [[1870]] schnell kapitulieren würde. Daraufhin sollten die Verbände gegen das Zarenreich geworfen werden. Der Plan ging davon aus, daß das [[Deutsches Reich|Deutsche Reich]] durch einen entschlossenen Schlag in einem [[Bewegungskrieg]] Frankreich nach wenigen Wochen besiegt haben würde. Die russische Mobilmachungsphase wurde aufgrund der langen Transportwege und des geringer ausgebauten Eisenbahnsystems auf sechs bis acht Woche beziffert, was der deutsche Generalstab als ausreichendes Zeitfenster für den Sieg im Westen ansah. |
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Der Plan für einen die Neutralität oder zumindest die Passivität Frankreichs voraussetzenden „großen Ostaufmarsch“ wurde zwar auch nach 1905 noch Jahr für Jahr aktualisiert, auf Anweisung [[Helmuth Johannes Ludwig von Moltke|Moltkes]] aber im April 1913 ganz zu den Akten gelegt. Damit hatte sich die deutsche Militärführung – ohne Rücksicht auf diplomatische Eventualitäten der Anbahnung und Auslösung eines großen Krieges – auf einen einzigen Kriegsplan festgelegt, der jedem denkbaren Konflikt von vornherein eine kontinentale Dimension verlieh.<ref>Hans Ehlert, Michael Epkenhans, Gerhard P. Groß (Hrsg.): ''Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente.'' Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 2006, S. 88 sowie John C. G. Röhl: ''Der militärpolitische Entscheidungsprozess in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs.'' In: John C. G. Röhl: ''Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik.'' 2. Auflage. München 2007, S. 175–202, S. 201 f.</ref> |
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===Kriegsziele=== |
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Die Frage eines Krieges gegen Russland spielte in den Kalkulationen der zivilen Reichsleitung aus außen- und innenpolitischen Gründen eine weit größere Rolle als in den Überlegungen der auf Frankreich fixierten Militärs,<ref>Siehe Angelow, Jürgen, Kalkül und Prestige. Der Zweibund am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Köln-Weimar-Wien 2000, S. 375.</ref> die zuletzt sogar von einer Kriegserklärung an Russland abrieten.<ref>„Wenn Bethmann angibt, unter dem Zwange der militärischen Lage Russland den Krieg erklärt zu haben, so suche ich vergeblich nach Worten, um meinem Erstaunen über dieses sein Betragen Ausdruck zu geben.“ Schreiben des ehemaligen Oberquartiermeisters im Generalstab Georg Graf von Waldersee an Gottlieb von Jagow vom 8. Oktober 1920. Zitiert nach Willibald Gutsche, Baldur Kaulisch (Hrsg.): ''Herrschaftsmethoden des deutschen Imperialismus 1897/98 bis 1917. Dokumente zur innen- und außenpolitischen Strategie und Taktik der herrschenden Klassen des Deutschen Reiches.'' Berlin 1977, S. 189.</ref> Abgesehen von dem Umstand, dass der Kreis um [[Theobald von Bethmann Hollweg|Bethmann Hollweg]] ohnehin Russland für die größere Bedrohung der deutschen Machtstellung in Europa hielt, kam es dem Reichskanzler in der [[Julikrise]] vor allem auf eine diplomatisch tragfähige Absicherung des offensiven deutschen Vorgehens im Westen und die Erschwerung, günstigstenfalls die Verhinderung eines britischen Kriegseintritts an. Dazu aber musste Russland in die Position des Angreifers manövriert werden,<ref>Siehe dazu grundlegend Fritz Fischer: ''Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914.'' Düsseldorf 1969, S. 542 ff.</ref> der Krieg also „aus dem Osten“ kommen, wie der Kanzler schon am 8. Juli gegenüber [[Kurt Riezler]] anmerkte.<ref>Siehe Fritz Stern: ''Bethmann Hollweg und der Krieg. Die Grenzen der Verantwortung.'' Tübingen 1968, S. 20.</ref> [[Gottlieb von Jagow]] umriss die Logik, die am 1. August 1914 – nachdem die russische Regierung zwar mobilisiert, der deutschen aber „nicht den Gefallen getan hatte, den Krieg zu beginnen“<ref>Willibald Gutsche: ''Sarajevo 1914. Vom Attentat zum Weltkrieg.'' Berlin 1984, S. 142.</ref> – zur deutschen Kriegserklärung an Russland führte, 1926 in einem Schreiben an einen Mitarbeiter des [[Reichsarchiv]]s folgendermaßen: |
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Die Kriegsziele des deutschen Reiches sahen seit dem Beginn des Weltkriegs großflächige Annexionen vor. So hatte Reichskanzler [[Theobald von Bethmann-Hollweg|von Bethmann Hollweg]] in seinem ''Septemberprogramm'' unter anderem Annexionen in Frankreich und die Einrichtung Belgiens als einen [[Satellitenstaat]] proklamiert. Dieses Programm ging allerdings davon aus, dass eine rasche Kriegsentscheidung im Westen erfolgen würde. Mit [[Russland]] sollte nach dem Sieg über Frankreich ein Sonderfrieden zu möglichst günstigen Bedingungen geschaffen werden. Da sich die Kriegslage allerdings ins genaue Gegenteil entwickelte, zog man als Fernziel der Ostpolitik eine Eindämmung Russlands in Betracht. Dies sollte durch die Lostrennung der baltischen Staaten, Finnlands und der Ukraine geschehen. Diese sollten dann als vom Kaiserreich abhängige Pufferstaaten fungieren. Diese Pläne wurden auch weitgehend durch den späteren [[Friedensvertrag von Brest-Litowsk]] 1917 umgesetzt. Über die Zukunft [[Polen]]s herrschte im Lager der [[Mittelmächte]] noch Unsicherheit, doch kam es 1917 zur Einrichtung einer polnischen Marionettenregierung, die unter Unterdrückung der nationalistischen Kräfte die Bevölkerung für die Mittelmächte mobilisieren sollte. Interessant hierbei ist, daß diese aggressive Territorialpolitik durch weite Teile des politischen Spektrums, insbesondere die Rechte unterstützt wurde. Erst 1917 setzten sich die [[SPD]], das [[Zentrum]] und die [[Fortschrittliche Volkspartei]] durch eine gemeinsame Resolution für einen Frieden ohne Annexionen ein. |
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: „Die Aufgabe der Politischen Leitung bestand demnach darin, dieses kriegerische Vorgehen einzuleiten und zu rechtfertigen, und zwar in einer Form, die uns als die 'Angegriffenen' erscheinen lassen konnte, der Angreifer war Russland. Mit Frankreich hatten wir keinen Streit. (...) Mit Belgien lag aber gar kein Konflikt vor, die beabsichtigte Neutralitätsverletzung dieses Landes ließ sich nur durch den Krieg mit Frankreich, und dieser wiederum nur durch den Krieg mit Russland motivieren. Das Vorgehen Russlands war also die Basis, auf der allein das Vorgehen – auch nach Westen – zu begründen war. (...) Der Einmarsch in Belgien ließ sich nur durch den Krieg mit Frankreich, dieser nur durch den Krieg mit Russland rechtfertigen. War kein Krieg mit Russland, so bestand ''überhaupt kein'' Anlass für uns zum Kriege im Westen.“<ref>Zitiert nach Gutsche, Kaulisch, Herrschaftsmethoden, S. 187. Hervorhebung im Original.</ref> |
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== Ausgangslage in Österreich-Ungarn == |
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[[Bild:Kuk-doppeladler.jpg|thumb|[[Kaiserlich und königlich|k.u.k.]]-Doppeladler]] |
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=== Planungen der Vorkriegszeit === |
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Die Planung des österreichischen Generalstabs musste sich mit einer prekären strategischen Lage auseinandersetzen. [[Conrad von Hötzendorf]] hatte als Oberbefehlshaber des Heeres erkannt, dass das auslösende Moment eines europäischen Krieges auf dem Balkan liegen würde. Ein Krieg gegen [[Serbien]] war damit wahrscheinlich. Die größte Bedrohung für die [[Doppelmonarchie]] war das russische [[Zarenreich]], mit dem es um Einfluss auf dem Balkan konkurrierte. Diesen Umständen trug die Gliederung des österreichischen Heeres Rechnung. Es wurde in drei Formationen aufgeteilt. Der überwiegende Teil der Truppen sollte als ''A-Staffel'' in [[Galizien]] einer möglichen russischen Bedrohung entgegengesetzt werden. Die Grenze zu [[Serbien]] sollte von einem kleineren Teil der Armee, der ''Minimalgruppe Balkan'' abgedeckt werden. Neben diesen beiden festgelegten Truppenteilen wurde eine zwölf Divisionen starke Reserve geschaffen. Diese sogenannte ''B-Staffel'' sollte je nach politischer und militärischer Lage entweder offensiv gegen das serbische Königreich, oder gegen [[Russland]] eingesetzt werden. |
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Zudem hielt Bethmann Hollweg den Krieg mit Russland auch aus Rücksicht auf die Anhängerschaft der [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|Sozialdemokratie]] für erwünscht: Dieser sei, so glaubte er, ein Aggressionskrieg im Westen ohne gleichzeitigen „Verteidigungskrieg“ gegen den „reaktionären Zarismus“ nicht zu vermitteln, schwere innere Spannungen wären in einem solchen Fall unausweichlich die Folge.<ref>Siehe Dieter Groh: ''Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges.'' Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1973, S. 625 ff.</ref> [[Albert Ballin]], der den Reichskanzler wenige Stunden vor der Absendung der Kriegserklärung an Russland nach dem Grund für dessen Eile in dieser Angelegenheit („Ich muss meine Kriegserklärung an Russland sofort haben!“) fragte, erhielt von Bethmann Hollweg zur Antwort: „Sonst kriege ich die Sozialdemokraten nicht mit.“<ref>Zitiert nach Lüder Meyer-Arndt: ''Die Julikrise 1914. Wie Deutschland in den Ersten Weltkrieg stolperte.'' Köln/ Weimar/ Wien 2006, S. 266.</ref> |
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Der österreichische Oberst [[Alfred Redl]] verriet jedoch die Pläne und vertuschte Informationen über das russische Reich und dessen Armee. Zwar konnte er bereits 1913 gefasst werden, dennoch waren sich die österreichisch-ungarischen Ermittler nicht über das Ausmaß der Spionagetätigkeit im Klaren und es wäre auch aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen, die gesamte Strategie umzustellen. |
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=== Kriegsziele === |
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Die im Rahmen des Krieges gegen Russland zu verfolgenden Zwecke wurden im Laufe längerer komplexer Auseinandersetzungen, an denen sich neben der zivilen Reichsleitung auch die [[Oberste Heeresleitung|OHL]] sowie private und politische Interessengruppen intensiv beteiligten, bestimmt. Dabei wurden selbst innerhalb ansonsten sozial und politisch homogener Milieus zum Teil diametral entgegengesetzte Positionen vertreten: So engagierten sich exponierte Vertreter des [[Ostelbien|ostelbischen]] Adels im Rahmen des [[Alldeutscher Verband|Alldeutschen Verbandes]] und der [[Deutsche Vaterlandspartei|Vaterlandspartei]] für ein extremes Annexionsprogramm, das unter anderem den Anschluss der russischen [[Ostseegouvernements]] an das [[Königreich Preußen]] vorsah, während sich ein nennenswerter Teil des [[Provinz Brandenburg|märkischen]], [[Provinz Pommern|pommerschen]] und [[Provinz Ostpreußen|ostpreußischen]] Adels von Anfang an recht deutlich für einen Kompromissfrieden, die Schonung der russischen „Standesgenossen“ und die Wiederherstellung der „in seinem Sinne guten“<ref>Joachim Petzold u. a.: ''Deutschland im ersten Weltkrieg.'' Band 3: ''November 1917 bis November 1918.'' Berlin 1969, S. 83.</ref> deutsch-russischen Beziehungen des 19. Jahrhunderts aussprach. Bethmann Hollweg hielt zwar eine deutliche Schwächung und „Zurückdrängung“ Russlands für grundsätzlich wünschenswert, verfolgte aber mindestens bis zum Sommer 1915 mehr oder weniger energisch auch den Gedanken eines Separatfriedens im Osten, der den Status quo ante – abgesehen von einigen für durchsetzbar gehaltenen „Sicherungen und Garantien“ – wiederhergestellt hätte. Im November 1914 sowie im Februar und Juli 1915 ließ er über den dänischen König [[Christian X.]] und dänische Diplomaten entsprechende Vorstöße in [[Petrograd]] unternehmen (die aber trotz relativer Aufgeschlossenheit des Zaren durch das Übergewicht der russischen Kriegspartei um Außenminister [[Sergej Dmitrijewitsch Sasonow|Sasonow]] durchkreuzt wurden).<ref>Siehe Willibald Gutsche u. a.: ''Deutschland im ersten Weltkrieg.'' Band 2: ''Januar 1915 bis Oktober 1917.'' Berlin 1968, S. 197 ff.</ref> |
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Die Armee des Habsburgerstaates war der Einschätzung nach die schwächste unter den europäischen Großmächten. [[Österreich-Ungarn]] besaß eine zu kleine industrielle Basis für die moderne Ausrüstung ihrer Truppen, auch wenn sie punktuell Spitzenprodukte fertigen konnte, etwa die [[Mörser]] von [[Škoda]]. So betrug die österreichische Produktion an Artilleriemunition nie mehr als eine Million Stück pro Jahr, während die russischen Fabriken 1916 schon vier Millionen Stück fertigten. Moderne Technologien fanden nur schwer Einzug in die Streitkräfte. Die Logistik war unterentwickelt, so dass es oft zu Versorgungsproblemen kam. Die Aufmarschgeschwindigkeit der Truppen war durch die mangelhafte Infrastruktur gehemmt. Dabei hinkten die militärischen Spezialisten oft sogar der zivilen Bahngesellschaft hinterher. Während die staatliche Bahnlinie mit bis zu 100 Waggons pro Zug fuhr, erlaubte das Militär nur Zusammenschlüsse von bis zu 50 Waggons. Die militärische Bahnverbindung zwischen [[Wien]] und dem [[San (Fluss)|San]] brauchte dreimal solange wie die zivile Bahngesellschaft. |
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Auch [[Erich von Falkenhayn]] blieb – im Grunde nachdrücklicher als der Kanzler – bis zu seinem Sturz im August 1916 Verfechter eines deutsch-russischen Verständigungsfriedens, dessen Erfolgsaussichten er freilich seit Ende 1915 aufgrund des trotz großer deutscher Erfolge erklärten Willens der russischen Führung zum Weiterführen des Krieges an der Seite der Entente, ernüchtert beurteilte<ref>Siehe Holger Afflerbach: ''Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich.'' München 1994, S. 294 ff.</ref>, obgleich er die Hoffnung auf einen solchen Frieden nicht vollkommen aufgeben wollte<ref>{{Literatur |Autor=Holger Afflerbach |Titel=Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich. |Ort=München |Datum=1994 |Seiten=321}}</ref>. Eine schnell wachsende und schließlich ausschlaggebende Gruppe im und neben dem [[Auswärtiges Amt|Auswärtigen Amt]] plädierte dagegen schon seit Anfang August 1914 für eine Politik, die – unter der Voraussetzung einer ausreichend schwerwiegenden militärischen Niederlage Russlands – auf eine völlige „Dekomposition des russischen Reiches“<ref>Abba Strazhas: ''Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917.'' Wiesbaden 1993, S. 261.</ref> hinauslief. Protagonisten dieser Richtung waren neben Gottlieb von Jagow in erster Linie der Unterstaatssekretär [[Arthur Zimmermann (Diplomat)|Arthur Zimmermann]], der vom Auswärtigen Amt in die Sektion Politik des Stellvertretenden Generalstabs abgestellte [[Rudolf Nadolny]], der in der [[Zentralstelle für Auslandsdienst]] angestellte und dem Kreis um [[Hans Delbrück]] und [[Friedrich Naumann]] eng verbundene einflussreiche liberale Publizist [[Paul Rohrbach]] sowie die Professoren [[Theodor Schiemann]] und [[Johannes Haller]].<ref>Siehe Fritz Fischer: ''Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18.'' 3., verbesserte Auflage. Düsseldorf 1964, S. 141ff. sowie Gutsche, Weltkrieg Band 2, S. 183 f.</ref> |
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Beim Niveau der Truppen zeigten sich ernsthafte Schwächen, was auf den Charakter der Doppelmonarchie als Vielvölkerstaat zurückzuführen ist. Einerseits war [[Deutsche Sprache|Deutsch]] die Befehlssprache, doch der gemeine Soldat bekam davon nur einhundert Wörter beigebracht. Andererseits rekrutierten sich die meisten [[Offizier]]e aus dem deutschen und ungarischen Staatsvolk. Dies wirkte sich negativ auf den Zusammenhalt aus, insbesondere nach dem ersten Kriegsjahr, als immer mehr [[Slawen|slawische]] Soldaten eingezogen wurden. Die mangelnde Kampfkraft der slawischen Soldaten wurde oft herangezogen um die anfänglichen Niederlagen der Donaumonarchie zu rechtfertigen. Als Begründung wurde oft der Einfluss des [[Panslawismus]] angeführt und der Mythos von massenhafter Fahnenflucht ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich allerdings eher um eine Rechtfertigungslegende. Vielmehr versagte die Integration dieses Bevölkerungsteils an besagten sprachlichen Barrieren und an der Geringschätzung dieser Soldaten durch die, vorwiegend deutschösterreichischen und ungarischen Offiziere. Dies obwohl sich auch in den slawischen Provinzen ein nationales Hochgefühl zu Kriegsbeginn geäußert hatte. Sämtliche Rekruten traf auch der Nachteil der mangelhaften militärischen Vorausbildung der Bevölkerung. Zwar besaß [[Österreich-Ungarn]] seit 1866 eine allgemeine [[Wehrpflicht]], doch wurde sie nie vollkommen durchgesetzt. Die Armee hatte nicht die finanziellen Mittel, um einen ganzen Rekrutenjahrgang zu versorgen und zu besolden. Daraufhin erließ man eine Liste von Ausnahmen, so dass im Endeffekt nur 20% eines Jahrgangs überhaupt jemals einer Militäreinheit angehörten. Dies sollte sich nach den Verlusten des Jahres [[1914]] desolat auf die Kampfkraft der Armee auswirken. |
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Dieser Ansatz sah vor, durch energische ideologische, materielle und finanzielle Förderung mehr oder weniger stark ausgeprägter nationalistischer, autonomistischer und separatistischer Tendenzen – der Finnen, Esten, Letten, Litauer, Polen, Juden, Belarussen, Ukrainer, Krimtataren, Kubankosaken und verschiedener Kaukasusvölker – eine dauerhafte „Desintegration“ Russlands zu inszenieren, die zunächst dessen Kriegsanstrengungen lähmen und anschließend, in einem Friedensvertrag festgeschrieben, zur Grundlage des Aufbaus neuer, an Deutschland angelehnter Staatswesen werden sollte. Rohrbach und andere spielten am Rande auch mit dem Gedanken einer „Germanisierung“ des [[Baltikum]]s.<ref>Siehe Gutsche, Weltkrieg Band 2, S. 186.</ref> Auf Anregung Zimmermanns fand sich das Auswärtige Amt ab Herbst 1915 außerdem dazu bereit, in gewisser Weise die Tätigkeit russischer Revolutionäre zu fördern, also die nationalistische „Dekomposition“ durch eine soziale „Revolutionierung“ Russlands zu ergänzen.<ref>Siehe dazu ausführlich Zbyněk A. Zeman: ''Germany and the Revolution in Russia 1915–1918. Documents from the Archives of the German Foreign Ministry.'' London/ New York/ Toronto 1958 und Zbyněk A. Zeman, Winfried B. Scharlau: ''The Merchant of Revolution. The Life of Alexander Israel Helphand (Parvus).'' London/ New York/ Toronto 1965 sowie Fischer, Weltmacht, S. 173 ff.</ref> |
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Insbesondere das Ausmaß deutscher finanzieller Unterstützung für die [[Bolschewiki]] war jahrzehntelang Gegenstand (nicht nur) wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Die immer wieder behauptete politische und finanzielle Abhängigkeit der Bolschewiki von deutscher Unterstützung gilt in der Fachliteratur inzwischen als „Mythos“,<ref>Rex A. Wade: ''The Russian Revolution 1917.'' Cambridge 2005, S. 194. Semion Lyandres zufolge fand der einzige durch Quellen belegbare Transfer deutscher Gelder im August 1917 statt, als das Stockholmer Auslandsbüro der Bolschewiki über den Schweizer Sozialisten (und deutschen Agenten) Carl Moor Geld erhielt – das allerdings niemals Russland erreichte, sondern für die Finanzierung der einen Monat später in Stockholm stattfindenden dritten Konferenz der Zimmerwalder Linken verwendet wurde. Lyandres hält auch die erstmals im Juli 1917 durch die russische Provisorische Regierung erhobenen Vorwürfe, die Bolschewiki seien von deutschen Stellen über Helphand-Parvus in großem Stil finanziert worden, für falsch. Siehe Semion Lyandres: ''The Bolsheviks' „German Gold“ Revisited. An Inquiry into the 1917 Accusations.'' (= ''The Carl Beck Papers in Russian & East European Studies.'' Nr. 1106). Pittsburgh 1995, S. 102, 104.</ref> wurde und wird aber in populärwissenschaftlichen und journalistischen Veröffentlichungen – vor allem im deutschen Sprachraum – auch in jüngerer Zeit umfangreich thematisiert.<ref>Zuletzt umfassend bei Elisabeth Heresch: ''Geheimakte Parvus. Das deutsche Geld und die Oktoberrevolution.'' München 2000 und – einschließlich des Versuchs, die seit Jahrzehnten als Fälschungen bekannten [[Sisson-Dokumente]] auf Umwegen zu rehabilitieren – Gerhard Schiesser, Jochen Trauptmann: ''Russisch Roulette. Das deutsche Geld und die Oktoberrevolution.'' Berlin 1998.</ref> Eine herausragende Rolle spielte in allen amtlichen und öffentlichen Kriegszieldiskussionen in Deutschland bis zuletzt die „polnische Frage“, die sich auch zum „Schlüssel für das Verständnis der Beziehungen zwischen Wien und Berlin im ersten Weltkrieg“<ref>Zbyněk A. Zeman: ''Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1914–1918.'' München 1963, S. 12.</ref> entwickelte. |
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== Ausgangslage in Österreich-Ungarn == |
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[[Datei:Imperial Coat of Arms of the Empire of Austria.svg|hochkant|mini|k.u.k. Doppeladler]] |
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=== Zustand der Streitkräfte === |
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Das Militär Österreich-Ungarn setzte sich neben der von beiden Reichsteilen beschickten [[Gemeinsame Armee|Gemeinsamen Armee]] aus der [[k.k. Landwehr]] der österreichischen und der [[k.u. Landwehr (Österreich-Ungarn)|k.u.-Honved]] der ungarischen Reichshälfte zusammen. Diese politische Dreigliederung sorgte für eine Schwerfälligkeit der Militärpolitik innerhalb der Donaumonarchie. Das Offizierkorps der Gemeinsamen Armee und auch im Verteidigungsministerium dominierten Deutschösterreicher innerhalb der führenden Positionen. Unter den Militärs der Großmächte war die österreichisch-ungarische Armee jedoch die kleinste. Die Mobilisierungsstärke betrug rund 1,8 bis 2 Millionen Mann. Das Offizierkorps hatte aufgrund schlechter Bezahlung starke Nachwuchsschwierigkeiten. Die Militärausgaben waren seit 1870 von 29,1 % auf 19,7 % des Budgets verringert worden. Die Streitkräfte waren bewusst unterfinanziert, so dass nur rund 29 % der Wehrpflichtigen tatsächlich Dienst in Friedenszeiten leisten musste. Russland und das Deutsche Reich kamen hier auf rund 40 %. Frankreich sogar auf 86 %. Auch sorgten Querelen innerhalb der politischen Führung und des Offizierskorps zur Verzögerung von Modernisierungsmaßnahmen bei Bewaffnung und Ausrüstung.<ref>[[Manfried Rauchensteiner]]: ''Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie'', Wien, 2013, S. 51–59.</ref> |
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== Ausgangslage im Russischen Reich == |
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[[Bild:RussischeFlage 1914-17.png|thumb|Flagge des Russischen Reichs]] |
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=== Planungen der Vorkriegszeit === |
=== Planungen der Vorkriegszeit === |
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Der 1879 geschlossene [[Zweibund]] sorgte für eine Bindung Österreich-Ungarns an das Deutsche Reich. Innerhalb der österreichisch-ungarischen Führung bestand jedoch durchaus ein Zwiespalt im Verhältnis zu Deutschland, da die Elite der Donaumonarchie Bevormundung durch den mächtigeren Verbündeten befürchtete. Der 1882 geschlossene [[Dreibund]] stellte eine formale Allianz mit Italien dar, jedoch war das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Italien so fragil, dass die österreichische Führung bestenfalls mit einer italienischen Neutralität rechnete. Die ab 1907 stattfindende Annäherung zwischen Russland und dem Vereinigten Königreich führten zur Konstellation eines Zweifrontenkrieges der Mittelmächte gegen Frankreich und England auf der einen und Russland und dem [[Königreich Serbien]] auf der anderen Seite.<ref>Manfried Rauchensteiner: ''Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie'', Wien, 2013, S. 63–73.</ref> |
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Das russische Reich hatte nach dem verlorenen [[Russisch-Japanischer Krieg|Russisch-Japanischen Krieg]] von [[1904]]/[[1905]] seine [[Imperialismus|imperialistischen]] Bestrebungen in [[Asien]] aufgeben müssen und konzentrierte sich deshalb besonders auf den Balkan. Der [[Panslawismus]], das Ziel, alle slawischen Völker zu vereinigen, brachte das Zarenreich zwangsläufig in einen Konflikt mit Österreich-Ungarn und dessen deutschen Verbündeten. Ebenso erstrebte man die Erringung eines freien Zugangs zum Mittelmeer. Dafür musste die Hoheit über den [[Bosporus]] gewonnen werden, was die russische Regierung naturgemäß in Spannungen mit dem [[Osmanisches Reich|Osmanischen Reich]] brachte, dessen weitere Existenz dadurch bedroht war. |
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Gemeinsame Vorkriegsplanungen innerhalb der Mittelmächte fehlten. Es gab Absprachen zwischen den Generalstabschefs [[Helmuth Johannes Ludwig von Moltke|Moltke]] und [[Franz Conrad von Hötzendorf|Conrad]], jedoch blieben diese sehr oberflächlich. Österreich-Ungarn wurde die Rolle zugedacht drei bis vier Wochen am Balkan und gegen Russland die Stellung zu halten, bis die deutsche Armee Frankreich besiegt hätte. Die österreichische Führung ordnete sich dem [[Schlieffen-Plan]] unter, der österreichische Generalstabschef Conrad von Hötzendorff plante jedoch falls möglich selbst zuerst Serbien auszuschalten um sich dann erst Russland zuzuwenden. Im Kriegsfall mit Russland sah die Planung der Gemeinsamen Armee in [[Galizien]] die ''A-Staffel'' mit drei Armeen gegen Russland in Stellung zu bringen. Eine ''Minimalgruppe Balkan'' sollte gegen Serbien in Stellung gebracht werden. Je nach Lage sollten die in der ''B-Staffel'' zusammengesetzten Reserven, welche eine Armee umfasste, entweder gleich gegen Russland oder zunächst gegen Serbien zur Wirkung gebracht werden. Die schwerpunktmäßig im Mittelmeer operierende [[Österreichische Marine|k.u.k.-Kriegsmarine]] hatte sich mit der Aufstellung einer Donauflottille gegen Serbien auf den Krieg vorbereitet. Über diesen Fall hatte der k.u.k.-Generalstab keine weiteren Planungen, die weitere [[Strategie (Militär)|Strategie]] des Krieges blieb der deutschen Führung überlassen.<ref>Manfried Rauchensteiner: ''Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie'', Wien, 2013, S. 63–73.</ref> |
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Die russische Militärdoktrin erlebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Wendepunkt. Die russische Heeresführung hatte trotz der Bindung an [[Frankreich]] seit 1893 einen defensiven Standpunkt eingenommen. Es sollte hinter der [[Weichsel]] ein Verteidigungskrieg geführt werden. Die von drei Seiten durch Deutschland und Österreich-Ungarn umschlossenen und daher schwer zu verteidigenden westpolnischen Gebiete sollten vorläufig preisgegeben werden. Das änderte sich, als der russische Kriegsminister [[Wladimir Suchomlinow|Suchomlinow]] im Jahre 1910 den ''Plan No. 19'' verabschiedete. Dieser sah einen Vorstoß der Russen auf deutsches Territorium vor, um [[Frankreich]] von einem wahrscheinlichen Angriff im Zuge des [[Schlieffen-Plan]]s zu entlasten. Der führende militärische Berater des Ministers [[Juri Danilow]] hatte für diesen Vorstoß Ostpreußen ausersehen, da es sowohl von Süden als auch von Nordosten angegriffen werden konnte. Sehr zur Unzufriedenheit seiner Schöpfer verhinderten die politischen und sozialen Rivalitäten innerhalb der Armee des Zaren die volle Durchsetzung des Plans. In Kraft trat eine Kompromisslösung und somit die Aufspaltung der russischen Kräfte auf zwei Armeegruppen, jeweils gegen Deutschland und gegen Österreich-Ungarn. Der angepasste Plan stellte zwei Armeen für den Einmarsch auf den deutschen Gebietsvorsprung zur Verfügung. Die I. Armee (Njemen-Armee) unter General [[Paul von Rennenkampf]] sollte von der Memel vorstoßen, während die II. Armee (Narew-Armee) unter General [[Alexander Samsonow]] von Süden anmarschieren sollte. Zur gleichen Zeit sollte die Südwestfront unter [[Nikolai Iwanow]] gegen die [[Donaumonarchie]] in [[Galizien]] vorgehen. |
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Die russische Seite war aufgrund der Agententätigkeit des österreichischen Obersten [[Alfred Redl]] von 1907 bis 1913 über die Planungen Österreich-Ungarns detailliert im Bilde. Da die Pläne von 1913 bis zum Kriegsausbruch jedoch auch fortwährend verändert wurden, blieb der eigentliche Geheimnisverrat nur mit geringen Folgen. Vielmehr behinderte die Agententätigkeit die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der Donaumonarchie, da durch Redls Tätigkeit von russischer Seite eine effiziente Gegenspionage betrieben werden konnte.<ref>Manfried Rauchensteiner: ''Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie'', Wien, 2013, S. 166f</ref> |
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=== Russische Armee === |
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[[Bild:Russian Wounded NGM-v31-p369-B.jpg|thumb|Verwundete russische Soldaten wurden tagelang mit Pferdekarren bis zum nächsten Feldlazarett befördert]] |
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Das russische Heer war zu Kriegsbeginn eine zutiefst fragmentierte Organisation, durch deren Körper verschiedene Bruchlinien verliefen, die ihre Schlagkraft im Weltkrieg entschieden schwächen sollten. Einen ersten Konflikt gab es zwischen den beiden Machtpolen, die die Streitkräfte steuerten. Der Kriegsminister [[Wladimir Suchomlinow|Suchomlinow]] musste sich in Ausübung seines Amtes gegen den pro-forma Armeechef [[Großfürst Nikolaj]] durchsetzen. Beide schwächten sich in ihrem Intrigenspiel bei Hofe derart, dass erst wenige Wochen vor Kriegsbeginn ein einheitliches Armeehauptquartier namens STAVKA unter [[Juri Danilow|General Danilow]] aufgestellt werden konnte. Vorher war die Armee im Westen in zwei Fronten aufgegliedert worden. Die Nordwestfront unter [[Yakov Shilinskij|General Shilinksij]] war gegen die deutsche Front bei [[Ostpreußen]] und in Polen aktiviert worden. Die Südwestfront unter [[Nikolaj Iwanow|General Iwanow]] sollte sich gegen die [[k.u.k.]]-Truppen in [[Galizien]] wenden. Das Hauptquartier war allerdings selbst schwach an Einfluss und die Frontkommandeure genossen eine zu starke Autonomie. Darunter sollte die strategische Koordination der russischen Armee bis zur [[Brussilow-Offensive]] 1916 leiden. |
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== Ausgangslage im Russischen Reich == |
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Eine weiterer Graben tat sich im [[Offizier]]skorps des zaristischen Heeres selbst auf. Eine Kaste meist adliger Offiziere durchlief die Generalstabsausbildung und stieg ohne nennenswerte Dienste bis in höchste Ränge auf. Der Rest der Offiziere, vor allem kleinbürgerlicher und bäuerlicher Abkunft, war meist ohne Aufstiegsmöglichkeiten auf schlecht bezahlten Posten fixiert. Diese Umstände schränkten die Genauigkeit ein, mit der sich Informationen entlang der Befehlskette bewegten, da Sender und Empfänger oft sprichwörtlich aus verschiedenen Welten stammten. Sämtliche Armeen [[Europa]]s waren auf den modernen Krieg nicht vorbereitet, die Streitkräfte [[Russland]]s besaßen allerdings die schlechtesten Voraussetzungen für rasche Reformen. |
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[[Datei:Flag of Russian Empire for private use (1914–1917) 3.svg|hochkant|mini|Flagge des Russischen Reichs]] |
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=== Planungen der Vorkriegszeit === |
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Auch in der Feinplanung des Kriegsfalls haftete der Stab der Armee an veralteten Doktrinen. Die Ausnutzung des sowieso schwachen Eisenbahnnetzes wurde ineffizient durchgeführt. Ebenso verhielt es sich mit der Mobilisierungsplanung für den Krieg. Die Truppen wurden zwar schnell aktiviert, doch war ihre Vorbereitung auf einen modernen Krieg unzureichend. Die Munitionsreserve pro Geschütz im Feld wurde an Zahlen aus dem [[Russisch-Japanischer Krieg|Russisch-Japanischen Krieg]] von 1905 ausgerichtet. Somit hatte ein russischer Batteriekommandeur nur ein Drittel der Geschosse seines deutschen Gegenspielers zur Verfügung. Dieselben Probleme traten bei der Zuweisung von Lazarettbetten und Schanzausrüstung auf. |
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Das russische Reich hatte nach dem verlorenen [[Russisch-Japanischer Krieg|Russisch-Japanischen Krieg]] von 1904/05 seine [[Imperialismus|imperialistischen]] Bestrebungen in [[Asien]] aufgeben müssen und konzentrierte sich deshalb besonders auf den Balkan. Der [[Panslawismus]], das Ziel, alle slawischen Völker zu vereinigen, brachte das Zarenreich zwangsläufig in einen Konflikt mit Österreich-Ungarn und dessen deutschen Verbündeten. Ebenso strebte man die Erringung eines freien Zugangs zum Mittelmeer und eines permanent eisfreien Hafens an der Ostsee an. Das an das russische Herrschaftsgebiet angrenzende [[Ostpreußen]] und ein Teil [[Westpreußen]]s sollten annektiert werden. Für den Zugang zum Mittelmeer musste die Hoheit über den [[Bosporus]] gewonnen werden, was die russische Regierung zwangsweise in einen Konflikt mit dem [[Osmanisches Reich|Osmanischen Reich]] bringen würde, dessen weitere Existenz damit in Frage gestellt war. |
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Die russische Militärdoktrin erlebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Wendepunkt. Die russische Heeresführung hatte trotz der Bindung an [[Frankreich]] seit 1893 einen defensiven Standpunkt eingenommen. Es sollte hinter der [[Weichsel]] ein Verteidigungskrieg geführt werden. Die von drei Seiten durch Deutschland und Österreich-Ungarn umschlossenen und daher schwer zu verteidigenden westpolnischen Gebiete sollten vorläufig preisgegeben werden. Das änderte sich, als der russische Kriegsminister [[Wladimir Alexandrowitsch Suchomlinow|Suchomlinow]] im Jahre 1910 den ''Plan No. 19'' verabschiedete. Dieser sah einen Vorstoß der Russen auf deutsches Territorium vor, um Frankreich von einem wahrscheinlichen Angriff im Zuge des [[Schlieffen-Plan]]s zu entlasten. Der führende militärische Berater des Ministers [[Juri Nikiforowitsch Danilow|Juri Danilow]] hatte für diesen Vorstoß Ostpreußen ausersehen, da es sowohl von Süden als auch von Nordosten angegriffen werden konnte. Sehr zur Unzufriedenheit seiner Schöpfer verhinderten die politischen und sozialen Rivalitäten innerhalb der [[Kaiserlich Russische Armee|Armee des Zaren]] die volle Durchsetzung des Plans. |
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In der [[Artillerie]]planung wurden leichte Geschütze bevorzugt. Die wenigen schweren Kanonen wurden fern der Front in den Festungen aufgespart. Dieser Fokus auf militärisch sinnlos gewordene Befestigungswerke band auch den größten Teil der Munitionsreserve der Streitkräfte. |
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Stattdessen trat eine Kompromisslösung in Kraft: die Aufspaltung der russischen Kräfte auf zwei Armeegruppen, jeweils eine gegen Deutschland und gegen Österreich-Ungarn. Der angepasste Plan stellte zwei Armeen für den Einmarsch auf den deutschen Gebietsvorsprung zur Verfügung. Die I. Armee (Njemen-Armee) unter General [[Paul von Rennenkampff]] sollte von der [[Memel]] vorstoßen, während die II. Armee (Narew-Armee) unter General [[Alexander Wassiljewitsch Samsonow|Alexander Samsonow]] von Süden anmarschieren sollte. Zur gleichen Zeit sollte die Südwestfront unter [[Nikolai Iudowitsch Iwanow|Nikolai Iwanow]] in [[Galizien]] gegen die [[Österreich-Ungarn|Donaumonarchie]] vorgehen. |
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=== Soziale und politische Lage === |
=== Soziale und politische Lage === |
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Die gesellschaftliche Lage im Zarenreich war seit langem kritisch, der größte Teil der Menschen lebte in Armut. Die vom Zaren betriebene [[Autokratie]] sorgte für Unzufriedenheit bis in die [[Bürgertum|Bürger]]- und [[Adel]]sschichten. |
Die gesellschaftliche Lage im Zarenreich war seit langem kritisch, der größte Teil der Menschen lebte in Armut. Die vom Zaren betriebene [[Autokratie]] sorgte für Unzufriedenheit bis in die [[Bürgertum|Bürger]]- und [[Adel]]sschichten. |
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Nach dem Russisch-Japanischen Krieg und in der folgenden [[Rezession]] war es zur [[Russische Revolution 1905|Russischen Revolution von 1905]] gekommen. Die Intellektuellen stellten zudem Forderungen nach größerer Freiheit. Der [[Zar]] büßte im Inland an Autorität ein und konnte einen Umsturz nur durch Zugeständnisse an die Bevölkerung verhindern ([[Oktobermanifest]]). So entstand die [[Duma]] als erste russische Volksvertretung. Sie besaß durch die Verfassung kaum effektive Einflussmöglichkeiten. Doch kam ihr durch die expandierende Presse großer propagandistischer Einfluss auf das Volk zu. Dies schränkte die Handlungsfreiheit der Regierung des Reiches immer stärker ein, da die liberalen Abgeordneten die fundamentale Gegnerschaft zum Staat salonfähig machten. Sie bereiteten in dieser Hinsicht den extrem gewalttätigen linken Gruppen der [[Oktoberrevolution]] den Boden. |
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Dieser Gegensatz wurde durch die reaktionäre Politik des Zaren und sein Unverständnis für eine Modernisierung der politischen Struktur noch weiter verschärft. Somit wandelte sich Russland immer mehr zu einer schwachen Autokratie mit instabiler Regierung, die ständig auf die Strömungen einer ihr feindlich gesinnten Öffentlichkeit Rücksicht nehmen musste. Zwar wurde auch in Russland 1914 eine Art ''Burgfrieden'' geschlossen, doch er währte aufgrund der militärischen Rückschläge nicht lange. |
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Bereits 1915 wuchs der Unmut im Parlament immer weiter und es kam zu Spannungen in der Duma, so dass der Zar diese auflöste und Abgeordnete trotz [[Immunität]] polizeilich verfolgen ließ. Es kam während der folgenden Jahre zu Demonstrationen und Streiks im gesamten Land, bis hin zur [[Februarrevolution 1917]]. |
Bereits 1915 wuchs der Unmut im Parlament immer weiter, und es kam zu Spannungen in der Duma, so dass der Zar diese auflöste und Abgeordnete trotz [[Politische Immunität|Immunität]] polizeilich verfolgen ließ. Es kam während der folgenden Jahre zu Demonstrationen und Streiks im gesamten Land, bis hin zur [[Februarrevolution 1917]]. |
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== Kriegsjahr 1914 == |
== Kriegsjahr 1914 == |
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=== Mobilisierung und Aufstellung === |
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[[Bild:Russianinfrail.jpg|thumb|Russische Infanteristen auf dem Vormarsch entlang einer Eisenbahnlinie]] |
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==== Mittelmächte ==== |
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[[Bild:German inf east.jpg|thumb|Deutsche Truppen an der Ostfront]] |
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Wie in den Vorkriegsplanungen vorgesehen, versammelte die deutsche [[Oberste Heeresleitung]] nach der Kriegserklärung an Russland (1. August) im Osten zunächst nur einen einzigen Großverband, die [[8. Armee (Deutsches Kaiserreich)|8. Armee]] (10 1/2 Infanterie-Divisionen, 1 Kavallerie-Division) in [[Ostpreußen]]. Das Armeeoberkommando wurde von der OHL grundsätzlich auf die strategische Defensive festgelegt, gleichzeitig war ihm aber gestattet, nach Beginn des erwarteten russischen Vormarsches örtlich begrenzt offensiv zu werden, wenn günstige Aussichten – etwa im Bereich der [[Masurische Seenplatte|Masurischen Seen]] – bestanden; außerdem erhielt es vorab die Erlaubnis, im „äußersten Notfalle (...) Preußen östlich der Weichsel“<ref>Zitiert nach Reichsarchiv (Hrsg.): ''Der Weltkrieg 1914–1918.'' Band 2: ''Die Befreiung Ostpreußens.'' Berlin 1925, S. 45.</ref> aufzugeben. |
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=== Strategische Lage === |
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Da Polen als eigenständiger Staat nicht existierte, sondern unter den Monarchien Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn aufgeteilt war, gab es eine deutsch-russische Grenze. Nach dem ''[[Schlieffen-Plan]]'' sollte Deutschland zunächst im Westen offensiv werden. Russland hatte aber früh mit der Mobilmachung begonnen, was dafür sorgte, dass die Deutschen unter Zugzwang gerieten und möglichst schnell den Krieg beginnen mussten. Am [[1. August]] [[1914]] erklärte Deutschland Russland den Krieg. Doch Russland konnte relativ schnell Truppen an die Front führen, so dass die Truppen nach [[Ostpreußen]] und [[Galizien]] eindringen konnten und die deutschen Truppen in der [[Schlacht von Gumbinnen]] besiegten. Dies veranlasste die [[Oberste Heeresleitung|OHL]] zwei [[Korps|Armeekorps]] von der Westfront abzuziehen und als Verstärkung an die Ostfront zu verlagern. Da diese beiden Armeekorps aber die einzige Reserve im Westen darstellten, die mögliche Lücken zwischen den Verbänden füllen sollten, geriet der Schlieffen-Plan ins Wanken. So entdeckten britische Aufklärungsflieger des [[Royal Flying Corps]] eine Lücke zwischen der ersten und zweiten deutschen Armee. Dies wurde in der [[Marneschlacht]] ausgenutzt, als britische Truppen in diese Lücke eindrangen. Als Folge wurde der deutsche Vormarsch gestoppt und der fast bis zum Ende des Krieges andauernde [[Grabenkrieg]] im Westen begann. Damit hatten sich beide Grundannahmen des Schlieffen-Plans als falsch erwiesen. Der schnelle Sieg gegen das französische Heer und das britische Expeditionskorps im Westen war unerreichbar. Ebenso vergingen bis zum ersten Angriff russischer Truppen im Osten nicht acht, sondern nur knapp zwei Wochen. |
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Das österreichisch-ungarische Oberkommando bildete in [[Galizien]] die 1., 3. und 4. Armee sowie die Armeegruppe [[Hermann Kövess von Kövesshaza|Kövess]] (zusammen 37 1/2 Infanterie-Divisionen und 12 Kavallerie-Divisionen), während die 5. und die 6. Armee gegen [[Königreich Serbien|Serbien]] und [[Königreich Montenegro|Montenegro]] aufmarschierten (die gleichfalls hierfür vorgesehene 2. Armee wurde schließlich nach Galizien umdirigiert, traf aber erst nach Beginn der Operationen ein); es entschied, nach Abschluss des Aufmarsches mit der 1. und 4. Armee die im Raum [[Lublin]]-[[Chełm|Cholm]] versammelten russischen Truppen anzugreifen, die restlichen Verbände sollten diesen Vorstoß durch Offensivhandlungen nach Osten und Nordosten decken. Im Rahmen dieser Konzeption spielte eine gewisse Rolle, dass [[Helmuth Johannes Ludwig von Moltke|Helmuth von Moltke]] dem österreich-ungarischen Generalstabschef [[Franz Conrad von Hötzendorf]] 1909 einen von Ostpreußen ausgehenden, zeitlich koordinierten deutschen Vorstoß Richtung [[Siedlce]] zugesagt hatte. Irgendwelche praktischen Schritte in dieser Richtung wurden von deutscher Seite jedoch nicht unternommen; über die tatsächlichen Dispositionen und die hierfür völlig unzureichende Stärke der 8. Armee wurden die Österreicher nicht informiert, stattdessen drängte der deutsche Verbindungsoffizier im k.u.k. Hauptquartier, [[Hugo von Freytag-Loringhoven]], Conrad wiederholt zu Offensivaktionen (zu denen dieser ohnehin neigte).<ref>Lawrence Sondhaus: ''Franz Conrad von Hötzendorf. Architect of the Apocalypse.'' Boston/ Leiden/ Köln 2000, S. 154 f.</ref> Inwieweit die nicht eingehaltene Zusage für den Entschluss zum Angriff ausschlaggebend – und damit für die nachfolgende Katastrophe indirekt verantwortlich – war, wurde schon während des Krieges intern und nach dem Krieg öffentlich kontrovers diskutiert. |
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Eine durchgehende „Front“ im Sinne der späteren Bedeutung des Wortes bestand im Osten vor allem auf Seiten der Mittelmächte in den ersten Kriegsmonaten noch nicht. Das österreichisch-ungarische Aufmarschgebiet im Süden – für die Donaumonarchie der Hauptkriegsschauplatz – und das deutsche im Norden – in den Augen der OHL generell und gerade zu Kriegsbeginn ein Nebenkriegsschauplatz – waren weder geografisch noch [[Operation (Militär)|operativ]] miteinander verbunden. Der größte Teil der deutsch-russischen Grenze – insbesondere in den Provinzen [[Provinz Schlesien|Schlesien]], [[Provinz Posen|Posen]] und [[Westpreußen]] – wurde zunächst nur durch schwache Sicherungskräfte zweiten und dritten Ranges (vgl. [[Landwehrkorps]]) gedeckt. Österreich-Ungarn bot abseits des Hauptkriegsschauplatzes 2 1/2 Infanterie-Divisionen und eine Kavallerie-Division zur Deckung [[Krakau]]s auf. |
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==== Russland ==== |
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Das russische Oberkommando (vgl. [[Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshabers|Stawka]]) unter Leitung des Großfürsten [[Nikolai Nikolajewitsch Romanow (1856–1929)|Nikolai Nikolajewitsch]] bildete eine gegen Ostpreußen gerichtete Nordwestfront (1. und 2. Armee, zu Beginn der Kämpfe 19 Infanterie- und 8 Kavallerie-Divisionen) und eine gegen Galizien gerichtete Südwestfront (3., 4., 5. und 8. Armee, zu Beginn der Kämpfe 46 Infanterie- und 18 Kavallerie-Divisionen). Außerdem begann es nach wiederholtem Drängen Großbritanniens und Frankreichs schon am 7. August mit der Aufstellung zweier weiterer Armeen (der 9. und der 10.) in Zentralpolen, mit denen Vorstöße gegen [[Breslau]] bzw. [[Posen]] unternommen werden sollten. Dafür zog es vor allem Truppen heran, die ursprünglich für die Nordwest- und die Südwestfront vorgesehen waren. Wenig günstig war zudem, dass der russische Oberbefehlshaber den Vertretern der westlichen Alliierten versichert hatte, nach Ablauf des 15. Mobilmachungstages mit beiden Fronten zu offensiven Aktionen gegen die Mittelmächte in der Lage zu sein. Großbritannien und Frankreich bestanden im kritischen Augenblick darauf, diese Zusage umzusetzen, obwohl insbesondere der Aufmarsch gegen Österreich-Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abgeschlossen war.<ref>Siehe Reichsarchiv, Befreiung Ostpreußens, S. 32ff., 336.</ref> |
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=== Kriegsverlauf === |
=== Kriegsverlauf === |
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[[Datei:Russian infantry 1914 railroad.jpg|mini|Russische Infanteristen auf dem Vormarsch entlang einer Eisenbahnlinie]] |
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[[Paul von Hindenburg]] und [[Erich Ludendorff]] erhielten das Oberkommando an der Ostfront. Der russische Vormarsch auf [[Ostpreußen]] konnte in der [[Schlacht bei Tannenberg (1914)|Schlacht bei Tannenberg]] erfolgreich gestoppt werden. In der [[Schlacht an den Masurischen Seen]] konnten die russischen Truppen endgültig aus deutschem Reichsgebiet zurückgedrängt werden. Die Deutsche 9. Armee versuchte daraufhin im Herbst und Winter in der [[Schlacht an der Weichsel (1914)|Schlacht an der Weichsel]] und der [[Schlacht um Łódź (1914)|Schlacht um Łódź]] vergeblich, [[Warschau]] zu erobern. |
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Um das [[Oberschlesisches Industriegebiet|oberschlesische Industriegebiet]] besser abschirmen zu können, besetzten deutsche Truppen am 3. August [[Tschenstochau]] und [[Kalisz|Kalisch]]. Letzteres wurde – als „Vergeltung“ für angebliche Übergriffe der Zivilbevölkerung – am 7./8. August mit Artillerie beschossen und brannte zu großen Teilen nieder ([[Zerstörung von Kalisz]]).<ref>Siehe Helmut Otto, Karl Schmiedel: ''Der erste Weltkrieg. Militärhistorischer Abriss.'' 3., völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. Berlin 1977, S. 84.</ref> Mit dem am 17. August beginnenden Eindringen der russischen 1. Armee nach Ostpreußen setzten im Osten die Operationen von strategischer Bedeutung ein (vgl. [[Gefecht bei Stallupönen]]). Die russische 2. Armee überschritt die deutsche Grenze zwei Tage später. Nach der deutschen [[Schlacht bei Gumbinnen|Niederlage bei Gumbinnen]] (19.–20. August) wurden der Oberbefehlshaber und der Stabschef der 8. Armee, die in einem Telefongespräch mit der OHL bezweifelt hatten, dass die [[Weichsel]]linie zu halten sein würde, abgelöst und durch [[Paul von Hindenburg]] und [[Erich Ludendorff]] ersetzt. Gleichzeitig entschied Moltke, die 8. Armee durch zwei aus dem Westen abzuziehende Armeekorps zu verstärken. Noch bevor diese Truppen eintrafen, konnte die 8. Armee die russische 2. Armee in der [[Schlacht bei Tannenberg (1914)|Schlacht bei Tannenberg]] (23.–31. August) fast vollständig zerschlagen. Wenig später unterlag in der [[Schlacht an den Masurischen Seen]] (8.–10. September) auch die russische 1. Armee, die sich anschließend über die Grenze zurückzog. |
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Damit war der russische Vorstoß gegen Ostpreußen gescheitert. Eine weitere, in ihrer Zielsetzung begrenztere russische Offensive führte zwei Monate später zwar zur vorläufigen Besetzung der östlichen Teile Ostpreußens, lief sich Mitte November aber in den inzwischen stark ausgebauten deutschen Stellungen entlang der [[Angerapp (Fluss)|Angerapp]] und der Masurischen Seen fest. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Schwerpunkt der deutsch-russischen Front bereits nach Süden verlagert. |
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Während sich die russischen Truppen Mitte September aus Ostpreußen zurückzogen, operierten die gegen Österreich-Ungarn aufgebotenen Armeen weitaus erfolgreicher. Da die russische Südwestfront und die k.u.k. Armeen ihre offensiven Operationen fast gleichzeitig begannen, entwickelten sich in der zweiten Augusthälfte mehrere große Begegnungsschlachten, an denen hunderttausende Soldaten beteiligt waren (→ [[Schlacht in Galizien]]). Trotz der österreichischen Siege bei [[Schlacht von Kraśnik|Kraśnik]] (22.–25. August) und [[Schlacht von Komarów|Komarów]] (26.–31. August) und anfänglich aussichtsreichem Vordringen der k.u.k. Truppen südlich Lublin wendete sich schon Ende August das Blatt. Nach mehreren Niederlagen vor allem auf dem rechten Flügel ([[Schlacht bei Złoczów]] am 26./27. August, [[I. Schlacht von Brzeżany|Schlacht bei Brzeżany]] am 26. August) und dem Verlust [[Lemberg]]s (30. August) befahl Conrad seinen bereits schwer angeschlagenen Armeen eine Gegenoffensive, die in der [[Schlacht von Lemberg|Schlacht bei Lemberg]] (7.–11. September) scheiterte. Am 11. September musste das österreichisch-ungarische Oberkommando den allgemeinen Rückzug befehlen. Dieser war stellenweise von Auflösungserscheinungen begleitet; etwa 100.000 Soldaten gaben sich gefangen, erst östlich von Krakau und im Vorfeld der [[Karpaten]] kam die Absetzbewegung – begünstigt durch das zögerliche Nachrücken der ebenfalls stark geschwächten russischen Truppen – zum Stehen. Die Festung [[Przemyśl]], in der mehrere Divisionen eingeschlossen waren, lag nun weit im russischen Hinterland (→ [[Belagerung von Przemyśl]]). Für dieses Desaster – neben den Gefangenen wurden 322.000 Tote und Verwundete verzeichnet, zudem waren aufgrund des fluchtartigen Abrückens große Mengen Kriegsmaterial und etwa 1.000 dringend benötigte Lokomotiven verlorengegangen – machten die Wiener Regierung und das Armeeoberkommando in erster Linie die „arglistige Täuschung“<ref>David Stevenson: ''1914–1918. Der Erste Weltkrieg.'' Düsseldorf 2006, S. 95.</ref> durch ihren Bundesgenossen verantwortlich. |
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Für den Fall, dass weiterhin Maßnahmen zur Unterstützung der österreichisch-ungarischen Kriegführung ausblieben, wurde der deutschen Seite – der Conrad am 5. September vorwarf, seine Truppen „im Stich gelassen“ und stattdessen lieber die „[[Hauptgestüt Trakehnen|Gestüte in Trakehnen]] und die Hirschjagden in [[Krasnolessje|Rominten]]“<ref>Zitiert nach Fritz Klein u. a.: ''Deutschland im ersten Weltkrieg.'' Band 1: ''Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis Ende 1914.'' Berlin 1968, S. 326.</ref> geschützt zu haben – indirekt mit einem Sonderfrieden gedroht. Die OHL war allerdings ohnehin zum Handeln gezwungen, da sich durch den russischen Aufmarsch in Zentralpolen nun eine ernste Bedrohung der preußischen Provinzen Schlesien und Posen abzeichnete. Sie bildete aus Teilen der 8. Armee, Reserven und Zuführungen aus dem Westen in Oberschlesien die neue [[9. Armee (Deutsches Kaiserreich)|9. Armee]], die zusammen mit der österreich-ungarischen 1. Armee gegen [[Warschau]] und [[Dęblin|Iwangorod]] vorgehen sollte. Dieser Vorstoß begann am 28. September und gipfelte in der [[Schlacht an der Weichsel (1914)|Schlacht an der Weichsel]], in der die deutsch-österreichische auf die am 5. Oktober begonnene russische Offensivbewegung traf. Anfang Oktober begannen auch die österreich-ungarischen Armeen in Galizien eine Offensive, die anfänglich erfolgreich war und vorübergehend zur Aufhebung der Einschließung Przemyśls führte. Bis Ende Oktober waren jedoch beide Angriffsoperationen vollständig gescheitert, die Kriegführung der Mittelmächte geriet erneut in eine schwere Krise. |
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[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-S34205, Ostfront, Nachschub-Kolonne.jpg|mini|Deutsche Nachschubkolonne an der Ostfront, 1914]] |
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Zur besseren Koordination der deutschen Operationen im Osten wurde am 1. November eine neue Kommandobehörde gebildet (''[[Ober Ost|Oberbefehlshaber Ost]]'', kurz ''Ober Ost'' oder ''Oberost''), an deren Spitze Hindenburg und Ludendorff berufen wurden. Ihr wurden neben der 8. und 9. Armee alle deutschen Verbände und militärischen Dienststellen in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Posen und Schlesien unterstellt. ''Oberost'' agierte von Beginn an „fast unbeschränkt selbständig“<ref>Wilhelm Groener: ''Lebenserinnerungen.'' Göttingen 1957, S. 201.</ref> und entwickelte sich bald zu einem militärisch-politischen Zentrum der Verfechter einer besonders aggressiven und weitreichenden deutschen Kriegführung und Kriegszielplanung. Hindenburg und Ludendorff entschlossen sich nach dem Erlahmen der russischen Offensive, aus dem Raum [[Inowrocław|Hohensalza]]-[[Toruń|Thorn]] heraus einen riskanten Vorstoß in die Flanke der russischen Südwestfront zu führen. Dazu verlegten sie per Eisenbahn binnen weniger Tage die Masse der 9. Armee nach Norden. Der für die russische Seite völlig überraschende Angriff begann am 11. November und führte nach wechselvollen Kämpfen (→ [[Schlacht um Łódź]]) zur deutschen Besetzung von [[Łódź]] (6. Dezember). |
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Während und nach dieser Operation entwickelte sich die erste einer Reihe von schweren Auseinandersetzungen zwischen ''Oberost'' und der neuen OHL um [[Erich von Falkenhayn]]. Hindenburg, Ludendorff und deren wichtigster Mitarbeiter [[Max Hoffmann]] warfen Falkenhayn vor, durch die Verweigerung weiterer Truppenzuführungen und die Fortsetzung der deutschen Angriffe im Westen (→ [[Erste Flandernschlacht]]) eine kriegsentscheidende Niederlage Russlands verhindert zu haben. Falkenhayn bewertete die Situation dagegen weitaus zurückhaltender und hielt allenfalls ein Zurückdrängen der russischen Truppen auf Warschau für möglich. Unterdessen errangen österreich-ungarische Truppen in der [[Schlacht bei Limanowa–Lapanow]] (5.–15. Dezember) einen Sieg gegen auf Krakau vorstoßende russische Truppen und warfen diese auf [[Gorlice]] und hinter den [[Dunajec]] zurück. Ein deutscher Vorstoß in Nordpolen kam in der zweiten Dezemberhälfte an der [[Rawka]] zum Stehen. Damit war am Jahresende auch im Osten eine durchgehende, aber bei weitem nicht so stark wie im Westen ausgebaute Stellungsfront entstanden, die im Norden am [[Kurisches Haff|Kurischen Haff]] begann, östlich [[Sowetsk (Kaliningrad)|Tilsit]], [[Gussew|Gumbinnen]], [[Giżycko|Lötzen]] und [[Pisz|Johannisburg]] Ostpreußen von Nord nach Süd durchzog, in [[Russisch-Polen]] scharf nach Südwesten abbog, sich bei [[Płock]] wieder nach Süden wandte, nordwestlich von [[Tarnów]] österreichisches Territorium erreichte, in südöstlicher Richtung quer [[Schlacht in den Karpaten#Vorgeschichte|durch die Karpaten]] führte und schließlich südlich des von russischen Truppen besetzten [[Czernowitz]] auf die rumänische Grenze traf. |
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Die operativen Anfangsplanungen Russlands und Österreich-Ungarns waren am Jahresende gescheitert, während die deutsche Seite ihr zu Kriegsbeginn formuliertes Hauptziel – die defensive Behauptung der deutschen Ostgebiete – fast vollumfänglich erreicht hatte. Das verbündete österreichisch-ungarische Heer hatte indes Schläge hinnehmen müssen, von denen es sich in der Folge nie wieder ganz erholte. Bis Ende 1914 hatte es an Toten, Verwundeten, Kranken, Gefangenen und Vermissten 1,269 Millionen Mann verloren, davon etwa eine Million Mann an der russischen Front.<ref>Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 105, 119.</ref> |
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Diese Ausfälle konnten mit Anstrengungen zwar quantitativ, aber nicht qualitativ – sie hatten insbesondere die Linienregimenter der Vorkriegszeit getroffen – ersetzt werden. Mit Ostgalizien und der [[Bukowina]] waren fruchtbare Agrargebiete und wichtige Ölfelder verlorengegangen. Nur die alles andere als gesicherte Verteidigung der Karpatenpässe hielt die russischen Truppen noch von einem Vorstoß in die ungarische Tiefebene ab (→ [[Winterschlacht in den Karpaten]]). |
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Die militärische und politische Abhängigkeit der k.u.k. Monarchie von Deutschland hatte sich so bis zum Jahresende weiter verstärkt, während parallel der Einfluss der [[Triple Entente|Entente]] auf die Haltung [[Königreich Italien (1861–1946)|Italiens]] und [[Königreich Rumänien|Rumäniens]] gegenüber dem geschwächten Österreich-Ungarn stark zugenommen hatte. Da durch die entstandene Lage die reale Gefahr einer vollständigen Niederlage der Donaumonarchie bestand, sah sich die OHL gezwungen, 1915 wesentlich stärkere Kräfte als bislang im Osten zu konzentrieren und im Westen insgesamt defensiv zu bleiben. |
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In Galizien sah die Lage für die Russen besser aus. Nachdem sie erfolgreich die [[Schlacht von Lemberg]] gegen die österreich-ungarischen Truppen geschlagen hatten, belagerten sie die Festung [[Przemyśl]]. Przemyśl war mittlerweile weit hinter der Front eingeschlossen, konnte aber von den österreich-ungarischen Truppen den ganzen Winter über gehalten werden. Erst im Frühjahr 1915 fiel die Festung unter hohen Verlusten auf beiden Seiten. |
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== Kriegsjahr 1915 == |
== Kriegsjahr 1915 == |
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[[Datei:EasternFront1915b.jpg|mini|Kriegsverlauf 1915]] |
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[[Bild:Prokudin-Gorskii-22.jpg|thumb|Österreich-ungarische Kriegsgefangene in Russland]] |
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[[Bild:GermanTrenchNearTheMazuricLakesOnTheEasternFront.jpg|thumb|Deutscher Schützengraben während der [[Winterschlacht in Masuren]]]] |
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Das Jahr 1914 hatte für die [[Mittelmächte]] eine prekäre Lage hinterlassen. Zwar waren die Angriffe der Nordwestfront gegen Ostpreußen abgewehrt worden. Die zweite russische Heeresgliederung, die Südwestfront unter [[Nikolai Iwanow|Iwanow]] hatte allerdings gegen Österreich-Ungarn einen Sieg errungen. Aufgrund von Querelen innerhalb der Führung und des veralteten taktischen Niveaus der k.u.k-Armee war es den Russen gelungen, fast ganz Galizien zu erobern und in die [[Karpaten]] einzudringen. Damit stand die [[Donaumonarchie]] vor einer ernsthaften strategischen Bedrohung, da die Streitkräfte des Zaren mit einem Stoß durch die Karpaten nach [[Ungarn]] gelangen konnten. |
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Das Jahr 1914 hatte für die [[Mittelmächte]] eine prekäre Lage hinterlassen. Zwar waren die Angriffe der Nordwestfront gegen Ostpreußen abgewehrt worden. Die zweite russische Heeresgliederung, die Südwestfront unter [[Nikolai Iudowitsch Iwanow|Nikolai Iwanow]] hatte allerdings gegen Österreich-Ungarn einen Sieg errungen. Aufgrund von Querelen innerhalb der Führung und des veralteten [[Taktik (Militär)|taktischen]] Niveaus der k.u.k. Armee war es den Russen gelungen, fast ganz Galizien zu erobern und in die [[Karpaten]] vorzudringen. Damit stand die [[Österreich-Ungarn|Donaumonarchie]] vor einer ernsthaften strategischen Bedrohung, da die Streitkräfte des Zaren mit einem Stoß durch die Karpaten in die [[Ungarische Tiefebene]] eindringen konnten. |
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Am deutschen Frontabschnitt ergab sich allerdings nach den Siegen von 1914 eine weitere Entlastung. Die Nordwestfront der Russen unter [[Nikolai Ruzski|General Ruzski]] plante einen neuen Vorstoß nach Ostpreußen. Zwar war man durch die Verluste des Vorjahrs geschwächt und hatte nur noch eine einsatzfähige Armee gegen die deutsche Grenze postiert. Dank der großen Reserven an Menschen und Material wollte Ruzski allerdings im Süden der deutschen Ostprovinz eine neue Armee aufstellen. Mit diesen Kräften sollte analog zu dem Vorgehen, das zum deutschen Sieg in Tannenberg geführt hatte, ein Doppelschlag gegen [[Königsberg]] geführt werden. Die deutschen Truppen wurden aber durch eine neu aufgestellte Armee verstärkt und konnten nun mit zwei Armeen die noch verbliebene russische Armee unter [[Thadeus von Sievers|von Sievers]] an ihren Flanken angreifen und sie über einhundert Kilometer zurückschlagen. Die neue russische Armee war bis zum Ende der Schlacht noch nicht einsatzfähig und griff nicht in die Gefechte ein. Durch diesen Erfolg hatten sich das deutsche Führungsduo Hindenburg und Ludendorff einen breiten ''Puffer'' gegen das Zarenreich geschaffen und die sieben Monate lange Gefährdung Ostpreußens durch russische Angriffe gebannt. Ein Zusammenbrechen der russischen Front konnte allerdings nicht erreicht werden, ebensowenig ein Erfolg in Polen. |
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Am deutschen Frontabschnitt ergab sich allerdings nach den Siegen von 1914 eine weitere Entlastung. Die Nordwestfront der Russen unter General [[Nikolai Wladimirowitsch Russki|Nikolai Russki]] plante einen neuen Vorstoß nach Ostpreußen. Zwar war man durch die Verluste des Vorjahrs geschwächt und hatte nur noch eine einsatzfähige Armee an der deutschen Grenze postiert. Dank der großen Reserven an Menschen und Material wollte Russki allerdings im Süden der deutschen Provinz eine neue Armee aufstellen. Mit diesen Kräften sollte analog zu dem Vorgehen, das zum deutschen Sieg in Tannenberg geführt hatte, ein Doppelschlag gegen [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]] geführt werden. Die deutschen Truppen wurden aber durch eine neu aufgestellte Armee verstärkt und konnten nun mit zwei Armeen die noch verbliebene russische Armee unter [[Thadeus von Sievers]] an ihren Flanken angreifen und sie über einhundert Kilometer zurückschlagen (→ [[Winterschlacht in Masuren]]). Die neue russische Armee war bis zum Ende der Schlacht noch nicht einsatzfähig und griff nicht in die Gefechte ein. Durch diesen Erfolg hatte das deutsche Führungsduo Hindenburg und Ludendorff einen breiten ''Puffer'' gegen das Zarenreich geschaffen und die sieben Monate lange Gefährdung Ostpreußens durch russische Angriffe gebannt. Ein Zusammenbrechen der russischen Front konnte allerdings nicht erreicht werden, ebenso wenig ein Erfolg in Polen. |
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Der österreichische Heeresbefehlshaber [[Conrad von Hötzendorf|von Hötzendorf]] begegnete der Gefahr für Ungarn im Dezember 1914 und befahl eine Offensive in den Bergen nördlich des [[Magyaren|magyarischen]] Kernlands. Diese [[Schlacht in den Karpaten|Winteroffensive]] brach bis zum März zusammen. Aufgrund der winterlichen Witterung und der vorbildlichen Verteidigung ihrer Gegner verlor die Armee des Habsburgerstaates über 300.000 Soldaten. |
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[[Datei:Bundesarchiv Bild 146-1987-028-03, Russland, Bauern auf der Flucht.jpg|mini|Fliehende russische Bauern, 1915]] |
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Der österreichische Heeresbefehlshaber [[Franz Conrad von Hötzendorf|Conrad von Hötzendorf]] begegnete der Gefahr für Ungarn im Dezember 1914 und befahl eine Offensive in den Bergen nördlich des [[Magyaren|magyarischen]] Kernlands. Diese [[Schlacht in den Karpaten|Winterschlacht in den Karpaten]] brach jedoch bis zum März 1915 zusammen. Aufgrund der winterlichen Witterung und der starken Verteidigung ihrer Gegner verlor die k.u.k. Armee über 300.000 Soldaten. |
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Diese Verluste wogen für Österreich-Ungarn doppelt schwer. In der Vorkriegszeit waren wegen finanzieller Erwägungen nur 20–25 % der Dienstpflichigen überhaupt in die Armee eingezogen worden. Davon erhielt auch nur ein Zehntel die vollständige militärische Ausbildung. Somit konnte die Armee nur auf unzureichend ausgebildete Reserven zurückgreifen, um ihre Verluste zu ersetzen. |
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Diese Zahl wurde durch die ethnische Zerrissenheit Österreichs noch schwerwiegender. In Erwartung eines kurzen Krieges wurden zu Anfang vor allem Soldaten aus den Stammvölkern oder aus loyalen Minderheiten (Kroaten, Bosniaken) zu den Waffen gerufen. Damit wurden in dieser Offensive die leistungsfähigsten Teile der Streitkräfte, wie etwa die Tiroler [[Kaiserjäger]] maßgeblich dezimiert. Die noch zu mobilisierenden Reserven bestanden nun aus überwiegend schlecht motivierten Völkerschaften mit mangelnder militärischer Vorbildung. |
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Analog zu den Mannschaften erwiesen sich die hohen Verluste an |
Analog zu den Mannschaften erwiesen sich die hohen Verluste an Offizieren als weiteres fatales Minus für die Kampfkraft des Heeres. Die altgedienten Offiziere wurden durch rasch ausgebildete Neulinge ersetzt. Diese neue Generation militärischen Führungspersonals war oft unfähig, die ethnisch heterogenen Truppen zu führen. Daraus folgte langfristig eine Entfremdung der slawischen Soldaten von ihren Befehlshabern. Nach dem von Conrad von Hötzendorf propagierten ''Befreiungsschlag'' stand Österreich vor dem Kollaps, die eigene Armee war demoralisiert und geschwächt, und die Russen standen weit im Reichsgebiet. Tatsächlich sollte die Winteroffensive in den Karpaten die letzte selbstständige Operation der k.u.k.-Streitkräfte werden. Von diesem Zeitpunkt an wurde die österreichische Armee immer mehr zum Juniorpartner ihres deutschen Verbündeten. Durch eine immer stärker werdende Verzahnung mit deutschem Führungspersonal sollte die militärische Kraft des Habsburgerstaats erhalten bleiben. Dies begann durch Hinzuziehung deutscher Truppen und deutschen Stabspersonals und setzte sich bis zum Kriegsende sogar, wenn auch in geringerem Ausmaß, bis zum Einsatz deutscher Unteroffiziere fort. |
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Bereits im Januar 1915 wandte sich General Ludendorff an den Befehlshaber der Obersten Heeresleitung, [[Erich von Falkenhayn]] |
Bereits im Januar 1915 wandte sich General Ludendorff an den Befehlshaber der Obersten Heeresleitung, [[Erich von Falkenhayn]] und forderte ein deutsches Eingreifen, um den Zusammenbruch des Verbündeten zu verhindern. Ludendorff schlug eine doppelte Umfassung über den Bereich der ganzen Ostfront vor, bei dem die Österreicher von Südwesten und die Deutschen von Nordwesten die russischen Truppen in [[Weichselland|Polen]] in einem mehrere hundert Kilometer tiefen Kessel einschließen sollten. Falkenhayn befand diesen Plan als zu unsicher und wollte dafür keine Truppen von der Westfront abziehen. Er favorisierte einen Plan, den Conrad von Hötzendorf aufgestellt hatte. Das Ziel des Angriffs sollte eine Schwachstelle in der III. Armee der russischen Südwestfront in Südgalizien sein. An diesem schwach verteidigten Frontabschnitt wollte der österreichische Heereschef eine möglichst große zahlenmäßige Überlegenheit konzentrieren, um einen Durchbruch zu erzielen. Diese klassische Planung [[Carl von Clausewitz|clausewitzschen]] Typs hieß Falkenhayn gut, er bezweifelte nur die Fähigkeit der Österreicher, sie auch durchzuführen. Zur Unterstützung der Donaumonarchie entsandte er die [[11. Armee (Deutsches Kaiserreich)|11. Armee]] unter [[August von Mackensen]], wodurch das Deutsche Reich zahlenmäßig den Hauptteil der Kräfte für die Operation stellte. Das Unternehmen ging als [[Schlacht von Gorlice-Tarnów]] in die Geschichte ein und brachte die Wende an der Ostfront. Die russische Front brach infolge des deutschen Durchbruchs zusammen und die russische Armee musste Polen vollkommen räumen, bevor sie wieder aus ihrer Desorganisation fand. |
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=== Russische |
=== Russische Munitions- und Führungskrise === |
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Nach der Katastrophe bei Gorlice-Tarnów zog sich das Heer des Zaren zunächst an den Fluss [[San (Fluss)|San]] zurück |
Nach der Katastrophe bei Gorlice-Tarnów zog sich das Heer des Zaren zunächst an den Fluss [[San (Fluss)|San]] zurück, doch auch diese Stellungen konnten nicht gehalten werden. Die russische Armee musste ganz Polen räumen, da es der ''[[Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshabers#Erster Weltkrieg|Stawka]]'' unmöglich war, die Verluste auszugleichen und die Frontlinie zu konsolidieren. Dieses Manöver in Richtung des Landesinneren ging als „[[Großer Rückzug]]“ in die russische Geschichte ein und gab bis zum Herbst 1915 große Teile der westlichen Grenzgebiete den Mittelmächten preis. Das russische Oberkommando machte für die Verluste des Kriegsjahrs den Mangel an Artilleriemunition verantwortlich (die sogenannte ''Munitionskrise'' betraf allerdings alle kriegführenden Parteien 1915). In der Produktion zeigten sich große Schwächen: Die Munitionsbeschaffung im Zarenreich war problematisch, das Vertrauen des Militärs in die eigene Industrie gering und die Bereitschaft zu [[Investition]]en in die Betriebe bis 1916 unterentwickelt. Dies war auch teilweise begründet, da die russische Privatwirtschaft im Vergleich zu Staatsbetrieben oder dem Ausland teuer produzierte. Der Ausweg, den das Kriegsministerium versuchte, ließ aber die Munitionsversorgung vollkommen zusammenbrechen. Der russische Geschossbedarf sollte zu knapp 50 % aus [[Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland|Großbritannien]] und den [[Vereinigte Staaten|USA]] gedeckt werden. Da die beauftragten Firmen damit voll ausgelastet waren, die Bedürfnisse der Westmächte zu decken, wurde bis zum Sommer 1916 nur 12 % der verlangten Stückzahlen geliefert. Doch selbst die angelieferten Rüstungsgüter konnten aufgrund der unzureichenden Infrastruktur erst spät genutzt werden. Ein Umdenken im Kriegsministerium und im ''Großen Hauptquartier'' erfolgte im Winter 1915. Bereits im folgenden Jahr konnte die russische Armee ihre Munitionsproduktion um den Faktor 2,5 steigern und ihren Bedarf ohne die mangelhafte Hilfe der Verbündeten decken. Der Preis hierfür waren allerdings hohe Kaufpreise. Dies führte zu einer enormen Staatsverschuldung und damit einem weiteren Anheizen der kriegsbedingten [[Inflation]]. |
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Der katastrophale Verlauf des Kriegsjahrs 1915 mit dem Verlust großer Gebiete und dem Verlust von 3 Millionen Soldaten, darunter 300.000 Gefallenen löste in Russland eine innenpolitische Krise aus. Der Kriegsminister [[Wladimir Alexandrowitsch Suchomlinow|Wladimir Suchomlinow]] wurde in der Presse des Landesverrats bezichtigt und wurde im Juni 1915 durch [[Alexei Andrejewitsch Poliwanow|Alexei Poliwanow]] ersetzt. Im August 1915 setzte der Zar Großfürst Nikolai Nikolajewitsch als Oberbefehlshaber des russischen Heeres ab und übernahm diesen Posten formal selbst. Ebenso tauschte der Zar den Generalstabschef [[Nikolai Nikolajewitsch Januschkewitsch|Nikolai Januschkewitsch]] durch [[Michail Wassiljewitsch Alexejew|Michail Alexejew]].<ref>[[Boris Lwowitsch Chawkin|Boris Khavkin]]: ''Russland gegen Deutschland. Die Ostfront des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1914 bis 1915'' in Gerhard P. Groß (Hrsg.): ''Die vergessene Front. Der Osten 1914/1915 - Ereignis, Wirkung, Nachwirkung'', Paderborn, 2006, S. 83–85.</ref> |
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=== Ober Ost === |
=== Ober Ost === |
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{{Hauptartikel|Ober Ost}} |
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Nachdem die deutschen Truppen Gebiete im Osten eroberten, wurde der ''Militärstaat'' [[Ober Ost]] unter Leitung des ''Oberbefehlshabers der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten'' gegründet. Die deutsche Militäradminsiration umfasste Teile des heutigen Polens, Litauens und Lettlands. Dieses Gebiet wurde unter dem Einfluß [[Erich Ludendorff|Ludendorffs]] als Modell der deutschen Besatzungspolitik ausgebaut. Endziel hierbei war die Eindeutschung der betreffenden Territorien. Als erstes fassten die deutschen Stellen einer ökonomischen Kontrolle der Region ins Auge. Im Zuge der Kriegswirtschaft wurden sämtliche ökonomischen Aktivität und auch das Transportwesen unter Aufsicht deutscher Militärbehörden gestellt und ein System der Zwangsrequirirung von Arbeitskräften, Ressourcen und Erzeugnissen wurde in die Wege geleitet. Das Gebiet sollte allerdings auch kulturell unter deutsche Oberhoheit fallen. Hierzu wurde eine Erschwerung der Hochschulbildung für Einheimische veranlasst um eine gebildete Elite und somit mögliche Keimzelle einer Autonomie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ebenso sorgte eine weitgehende Buch- und Zeitungszensur dafür, das jede antideutsche Stimme der öffentlichen Meinung unterdrückt wurde. Das restliche Schulsystem wurde einem deutschen ''Kulturprogramm'' unterworfen. Das zutiefst rassistische Menschenbild, dem dieser Entwurf zugrunde lag, sah die slawischen Völker als minderwertig an und trieb bisweilen skurrile Blüten. So wurden in der Anfangsphase der Besatzung Einheimische gezwungen, in den Straßen und Wohnorten für ''Sauberkeit zu sorgen'', da man es ihnen von deutscher Stelle absprach, grundlegende Hygieneregeln zu beherrschen. Der litauische Historiker [[Vejas Gabriel Liulevicius]] zog in seiner Untersuchung des Sachverhalts den Schluß, daß der deutsche Modellversuch die [[Nationalsozialismus|nationalsozialistische]] Ostpolitik im Zweiten Weltkrieg vorzeichnete. |
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Nachdem die [[Deutsches Heer (Deutsches Kaiserreich)|deutschen Truppen]] große Gebiete im Osten erobert hatten, wurde das Militärverwaltungsgebiet ''Ober Ost'' unter Leitung des ''Oberbefehlshabers der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten'' gegründet. Die deutsche Militäradministration umfasste Teile des heutigen Polen, Litauen und Lettland. Dieses Gebiet wurde unter dem Einfluss Ludendorffs zu einem Modell für die deutsche Besatzungspolitik ausgebaut. Die endgültige politische Zielsetzung in den betroffenen Gebieten blieb jedoch aufgrund widerstreitender Interessen innerhalb Deutschlands, aber auch gegenüber Österreich-Ungarn, unklar. Primäres Interesse der deutschen Stellen war die ökonomische Kontrolle der Region mit dem Ziel der Ausbeutung der landwirtschaftlichen Ressourcen, um die Auswirkungen der [[Seeblockade#Britische Seeblockade in der Nordsee|britischen Seeblockade]] in Deutschland abzumildern. Im Zuge [[Deutsche Wirtschaftsgeschichte im Ersten Weltkrieg#Militärische Güter|der Kriegswirtschaft]] wurden sämtliche ökonomische Aktivitäten und auch das Transportwesen unter Aufsicht deutscher Militärbehörden gestellt und ein System der Zwangsrequirierung von Arbeitskräften, Ressourcen und Erzeugnissen wurde in die Wege geleitet. Das Gebiet sollte allerdings auch kulturell unter deutsche Oberhoheit fallen. Hierzu wurde eine Erschwerung der Hochschulbildung im Baltikum für nichtdeutsche Einheimische veranlasst, um eine gebildete Elite und somit eine mögliche Keimzelle einer Autonomie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ebenso sorgte eine weitgehende Buch- und Zeitungszensur dafür, dass jede antideutsche Stimme in der öffentlichen Meinung unterdrückt wurde. Das Schulsystem wurde einem deutschen ''Kulturprogramm'' unterworfen. Die unterschiedlichen politischen Zielsetzungen in diesem Gebiet reichten von einer Eingliederung von kleineren polnischen Grenzgebieten (entlang dem Fluss Warthe) und der Gründung von monarchischen [[Satellitenstaat]]en (mit deutschen Adeligen an der Staatsspitze) bis zur völligen [[Annexion]] weiter Gebiete und deren vollständiger Eingliederung in das Deutsche Reich. Aufgrund dieser Gegensätze war die deutsche Besatzungspolitik im Bereich von ''Ober Ost'' nicht einheitlich und wandelte sich auch stetig mit der Veränderung der politischen und militärischen Lage. |
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== Kriegsjahr 1916 == |
== Kriegsjahr 1916 == |
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[[Datei:London-geographical-institute the-peoples-atlas 1920 russian-battlefronts.jpg|mini|Frontlinien der Jahre 1915, 1916 und 1917]] |
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===Schlacht am Naroch-See=== |
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=== Schlacht am Naratsch-See === |
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Das Kriegsjahr [[1916]] brachte für die russische Militärführung eine Erholung. Die Munitionskrise war durch Steigerung der Eigenproduktion überwunden worden und somit sah das russische ''Große Hauptquartier'' die Armee wieder als aktionsfähig an. Die alte Elite der zaristischen Armee hatte allein den Mangel an schwerer Artillerie und an Geschossen für die schweren Niederlagen der ersten beiden Kriegsjahre verantwortlich gemacht. Eine eingehende Analyse der veralteten Taktiken fand nicht statt. Dies wurde dadurch begünstigt, dass die meist adligen hohen [[Offizier]]e überaltert waren und sich auch sozial von ihren meist kleinbürgerlichen Truppenführern abschlossen. Weite Teile der russischen Stäbe schafften es den ganzen Krieg nicht, sich über das Niveau der Militärtheorien der Vorkriegszeit zu erheben. Infolgedessen wurde im Frühjahr 1916 an der Nordwestfront im Gebiet von [[Weißrussland]] eine den alten Konventionen entsprechende Offensive geplant. Diese [[Schlacht am Naroch-See]] wurde mit mehr als einhunderttausend Mann Verlusten zu einem Debakel. |
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Das Kriegsjahr [[1916]] brachte für die russische Militärführung eine Erholung. Die Munitionskrise war durch Steigerung der Eigenproduktion überwunden worden, und somit sah das russische ''Große Hauptquartier'' die Armee wieder als aktionsfähig an. Die alte Elite der zaristischen Armee hatte allein den Mangel an schwerer Artillerie und an Geschossen für die schweren Niederlagen der ersten beiden Kriegsjahre verantwortlich gemacht. Eine eingehende Analyse der veralteten Taktiken fand nicht statt. Dies wurde dadurch begünstigt, dass die meist adligen hohen [[Offizier]]e überaltert waren und sich auch sozial von ihren meist kleinbürgerlichen Truppenführern abschlossen. Weite Teile der russischen Stäbe schafften es den ganzen Krieg über nicht, sich über das Niveau der Militärtheorien der Vorkriegszeit zu erheben. Infolgedessen wurde im Frühjahr 1916 an der Nordwestfront im Gebiet von Belarus eine den alten Konventionen entsprechende Offensive geplant. Diese [[Schlacht am Naratsch-See]] wurde mit mehr als einhunderttausend Mann Verlusten zu einem Debakel. |
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Daraus resultierte eine teilweise psychologische Lähmung der russischen Heeresführung. Sogar der Oberkommandierende [[Michail Alexejew]] zweifelte am Sinn irgendeiner neuen Offensivoperation. Nachdem man die ersten zwei Jahre in den hohen Stellen materielle Probleme vorgeschoben hatte, erzielte man mit einer Überlegenheit an Mensch und Material auch nur desaströse Ergebnisse. Damit stellte die Schlacht am Naroch-See eine bedeutende Zäsur des Krieges dar. Sie war die letzte aktive Operation der alten Militärelite. Die betreffenden Offiziere wurden zwar nicht abgesetzt, aber sie glaubten nicht mehr an den Sinn einer Offensive und zeigten auch keine Neigung mehr, solche Unternehmen zu starten. |
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Daraus resultierte eine teilweise psychologische Lähmung der russischen Heeresführung. Sogar der Oberkommandierende [[Michail Wassiljewitsch Alexejew|Alexejew]] zweifelte am Sinn irgendeiner neuen Offensivoperation. Nachdem man die ersten zwei Jahre in den hohen Stellen materielle Probleme vorgeschoben hatte, erzielte man mit einer Überlegenheit an Mensch und Material auch nur desaströse Ergebnisse. Damit stellte die Schlacht am Naratsch-See eine bedeutende Zäsur des Krieges dar. Sie war die letzte aktive Operation der alten Militärelite. Die betreffenden Offiziere wurden zwar nicht abgesetzt, aber sie glaubten nicht mehr an den Sinn einer Offensive und zeigten auch keine Neigung mehr, solche Unternehmen zu starten. |
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===Brussilow-Offensive=== |
=== Brussilow-Offensive === |
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[[Datei:austrianinf.jpg|mini|k.u.k. Infanterie]] |
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Während ein großer Teil des Generalstabs resigniert sämtliche Fehler auf den einfachen Soldaten abwälzte, gab es allerdings doch taktische Neuentwicklungen in der russischen Armee. [[Alexei Brussilow]] hatte bereits in den vorherigen Kriegsjahren ein neues Konzept entwickelt. |
Während ein großer Teil des Generalstabs resigniert sämtliche Fehler auf den einfachen Soldaten abwälzte, gab es allerdings doch taktische Neuentwicklungen in der russischen Armee. [[Alexei Alexejewitsch Brussilow|Alexei Brussilow]] hatte bereits in den vorherigen Kriegsjahren ein neues Konzept entwickelt. |
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Die alte Taktik sah vor, an eng begrenzten Abschnitten möglichst viele Kräfte zu konzentrieren und nach einem langen Artillerieangriff die Infanterie im Sturm auf die feindlichen Stellungen zu jagen. |
Die alte Taktik sah vor, an eng begrenzten Abschnitten möglichst viele Kräfte zu konzentrieren und nach einem langen Artillerieangriff die Infanterie im Sturm auf die feindlichen Stellungen zu jagen. Dies führte zu großen Verlusten, ohne entscheidende Erfolge zu erzielen. Brussilow schaffte es, eine erfolgreichere Taktik auszuarbeiten. Einerseits schlug er den Angriff in einem mehrere hundert Kilometer langen Frontabschnitt aus mehreren Richtungen vor. Dadurch sollte der Gegner an einer schnellen und planvollen Verteilung seiner Reserven gehindert werden. Andererseits sollte man die Strecke, die die [[Infanterie]] zurücklegen musste, möglichst kurz halten. Hatten die russischen Schützen bis zur Naratsch-Schlacht fast einen Kilometer zurückzulegen, so ließ Brussilow die Gräben so nah wie möglich an die feindlichen Stellungen herantreiben. Durch diese Form der Schocktaktik gelang Brussilow die erste siegreiche Offensivoperation der zaristischen Armee seit 1914. Seine [[Brussilow-Offensive]] stürzte die Mittelmächte in eine zeitweilige Krise. Nach den ersten Erfolgen ging man allerdings wieder zu konservativen Taktiken über, was die Verluste auf russischer Seite in die Höhe trieb. Zwar standen im Winter 1916 russische Soldaten wieder an den [[Karpaten]], dennoch war ein nachhaltiges Umschwenken auf die Schocktaktik nicht vollzogen worden. Dies wurde insbesondere dadurch begünstigt, dass weite Teile der Militärführung die Operation geringschätzten, da sie im Frontabschnitt der [[Gemeinsame Armee|k.u.k. Armee]] durchgeführt wurde. |
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=== Kriegseintritt Rumäniens === |
=== Kriegseintritt Rumäniens === |
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[[Datei:Romanianinf.jpg|mini|Rumänische Infanterie während der Ausbildung]] |
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Während die Militärs des Zarenreichs neue Wege beschritten, |
Während die Militärs des Zarenreichs neue Wege beschritten, bemühte sich die politische Führung Russlands ebenfalls, die Situation zu verbessern. Im ganzen Verlauf des Weltkrieges versuchten die jeweiligen Großmächte, kleinere Staaten auf ihre Seite zu ziehen. Der Kriegseintritt [[Königreich Bulgarien|Bulgariens]] auf Seiten der Mittelmächte stellte einen solchen gelungenen Versuch dar. Die russischen Politiker sahen in [[Königreich Rumänien|Rumänien]] das mögliche Zünglein an der Waage, um den Krieg zu Gunsten Russlands zu wenden. Nach der Planung der russischen Regierung sollten die Rumänen eine Offensive gegen Österreich-Ungarn starten und somit Deutschlands engsten Verbündeten ausschalten. Diese sehr optimistischen Erwartungen konnten in der Realität nicht eingelöst werden. Die [[Armata Română#Erster Weltkrieg|rumänischen Streitkräfte]] waren zwar zahlenmäßig stark, aber vergleichsweise schwach gerüstet und mangelhaft geführt. Der in Russland bejubelte [[Rumänischer Kriegsschauplatz (Erster Weltkrieg)|Kriegseintritt Rumäniens]] geriet zum Debakel. Die rumänische Armee drang zwar im Spätsommer 1916 in [[Siebenbürgen]] ein, wurde aber durch die Gegenoffensive der [[Donau-Armee (Deutsches Kaiserreich)|Donau-Armee]] ([[Heeresgruppe Mackensen]]) und der [[9. Armee (Deutsches Kaiserreich)|9. Armee]] (General [[Erich von Falkenhayn]]) seit dem Herbst rasch zurückgedrängt. Dabei setzten die Deutschen auch ihre [[Kavallerie]] ein, bis gegen Jahresende die meisten berittenen Divisionen wegen Pferdeknappheit aufgelöst oder in [[Infanteriedivision|Schützendivisionen]] umgewandelt wurden.<ref>Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg.'' Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003, S. 610.</ref> Bereits Anfang Dezember 1916 fiel [[Bukarest]]. Bis zum Ende 1916 gelang es den Mittelmächten, fast das gesamte Staatsgebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Somit trat das ein, was der russische Stabschef [[Michail Wassiljewitsch Alexejew|Alexejew]] befürchtet hatte. Durch die Schwäche Rumäniens war nun Südrussland von den Mittelmächten bedroht. Die Intervention an der rumänischen Front stärkte Russland also nicht, denn die Truppenverlegungen dorthin schwächten den Schwerpunkt der Ostfront in Galizien und [[Wolhynien]]. |
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Im September 1916 erreichte das deutsche Reich vom immer abhängiger werdenden Österreich-Ungarn die Zusammenlegung der Befehlsgewalt der Mittelmächte in einer gemeinsamen Obersten Heeresleitung ([[Oberste Heeresleitung#Dritte OHL|dritte OHL]]), in der der deutsche Kaiser endgültiger Entscheider war. Die österreichische politische Führung setzte dies durch Erlass des Kaisers gegen den Widerstand ihrer militärischen Führer (deren oberster Chef [[Franz Conrad von Hötzendorf|Conrad von Hötzendorff]] war) durch. Die deutsche Seite fürchtete einen Zusammenbruch der Donaumonarchie und wollte den außenpolitischen Spielraum des Bündnispartners für einen Separatfrieden verkleinern.<ref>[[Manfried Rauchensteiner]]: ''Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie'', Wien, 2013, S. 569–571.</ref> |
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== Kriegsjahr 1917 == |
== Kriegsjahr 1917 == |
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Zu Beginn des dritten Kriegsjahres herrschte in den Militärkreisen des Zarenreichs keineswegs Katastrophenstimmung. Man war im Gegenteil davon überzeugt, mit neuen Anstrengungen die Gesamtlage im Weltkrieg zu beeinflussen. Doch bis zum Start neuer Unternehmen war Russland schon im revolutionären Strudel versunken. Der Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung schob |
Zu Beginn des dritten Kriegsjahres herrschte in den Militärkreisen des Zarenreichs keineswegs Katastrophenstimmung. Man war im Gegenteil davon überzeugt, mit neuen Anstrengungen die Gesamtlage im Weltkrieg zu beeinflussen. Doch bis zum Start neuer Unternehmen war Russland schon im revolutionären Strudel versunken. Der Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung schob weiteren Aktionen der zaristischen Militärführung einen Riegel vor. |
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=== Ökonomischer Zusammenbruch Russlands === |
=== Ökonomischer Zusammenbruch Russlands === |
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Das Jahr 1917 brachte für Russland das Ausscheiden aus dem Krieg. Man hatte zwar durch die Kampfhandlungen |
Das Jahr 1917 brachte für Russland das Ausscheiden aus dem Krieg. Man hatte zwar durch die Kampfhandlungen große Verluste an Menschen und Territorium hinnehmen müssen, doch war die militärische Lage nicht ausschlaggebend für den Zusammenbruch des Zarenreichs. Der Vielvölkerstaat litt mehr unter den wirtschaftlichen Verwerfungen, die der Krieg über das Land gebracht hatte. Dies beeinträchtigte die Moral der Bevölkerung derart, dass das politische Gefüge der dynastischen Monarchie durch die [[Februarrevolution 1917|Februarrevolution]] hinweggefegt wurde. Da aber auch die liberale Regierung unter [[Alexander Fjodorowitsch Kerenski|Kerenski]] den Krieg nicht abbrechen wollte und die Lage der Bevölkerung nicht bessern konnte, folgte der kommunistische [[Oktoberrevolution|Umsturz der Bolschewiken]]. Der Zusammenbruch offenbarte sich in einer Krise der Nahrungsversorgung, sowohl in der Armee als auch in den Städten. Dies demoralisierte die Streitkräfte, die in den Wirren des Umbruchs weitgehend passiv blieben und trieb die Arbeiterschaft der urbanen Zentren auf die Barrikaden. |
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[[Datei:Geldmenge und Inflation im Zarenreich.svg|mini|Geldmenge und Inflation im Zarenreich 1914–1917]] |
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[[Bild:inflgeld1417.gif|thumb|right|300px|Geldmenge und Inflation im Zarenreich 1914-1917]] |
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Ein wesentlicher Faktor für den Zusammenbruch des russischen [[Kapitalismus]] war der Zusammenbruch des Finanzsystems durch [[Inflation]]. Aufgrund der Kriegsanstrengungen musste die Regierung enorme Summen aufbringen, um die Streitkräfte auszubauen und zu unterhalten. Der kritische Punkt war, dieses ausgegebene Geld dem Staatshaushalt wieder in irgendeiner Weise zuzuführen. Dafür reichte das normale russische Steuersystem, das sich vor allem auf indirekte Steuern und Einkünfte aus staatlichen [[Monopol]]en deckte, nicht aus. Da sich der Staatsapparat dem politischen Druck nach weiterer indirekter Besteuerung und den administrativen Problemen direkter Steuern nicht gewachsen fühlte, fiel ein Ausbau des bestehenden Systems aus. Die Lösung hierbei sah man in einer breit angelegten Kampagne für [[Kriegsanleihe]]n. Diese sollten den Bürgern durch die Gewährung einer fixen Rendite einen Anreiz geben, in den bevorstehenden Sieg des Zarenreichs zu investieren. Im Laufe des Krieges wurden insgesamt sechs Anleihen ausgegeben, sie scheiterten allerdings an der geringen Nachfrage. Die Inflation durch ein System von Anleihen zu festen Zinssätzen zu bekämpfen, war sinnlos, da für einen Anleger in Zeiten rasanter Geldentwertung diese Anleihen keinen Profit bieten konnten. |
Ein wesentlicher Faktor für den Zusammenbruch des russischen [[Kapitalismus]] war der Zusammenbruch des Finanzsystems durch [[Inflation]]. Aufgrund der Kriegsanstrengungen musste die Regierung enorme Summen aufbringen, um die Streitkräfte auszubauen und zu unterhalten. Der kritische Punkt war, dieses ausgegebene Geld dem Staatshaushalt wieder in irgendeiner Weise zuzuführen. Dafür reichte das normale russische Steuersystem, das sich vor allem auf indirekte Steuern und Einkünfte aus staatlichen [[Monopol]]en deckte, nicht aus. Da sich der Staatsapparat dem politischen Druck nach weiterer indirekter Besteuerung und den administrativen Problemen direkter Steuern nicht gewachsen fühlte, fiel ein Ausbau des bestehenden Systems aus. Die Lösung hierbei sah man in einer breit angelegten Kampagne für [[Kriegsanleihe]]n. Diese sollten den Bürgern durch die Gewährung einer fixen Rendite einen Anreiz geben, in den bevorstehenden Sieg des Zarenreichs zu investieren. Im Laufe des Krieges wurden insgesamt sechs Anleihen ausgegeben, sie scheiterten allerdings an der geringen Nachfrage. Die Inflation durch ein System von Anleihen zu festen Zinssätzen zu bekämpfen, war sinnlos, da für einen Anleger in Zeiten rasanter Geldentwertung diese Anleihen keinen Profit bieten konnten. |
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Somit blieb der russischen Regierung nur ein Ausweg, um den Staatsbankrott zu vermeiden, nämlich die Notenpresse anzuwerfen und den Staat durch neu generiertes Papiergeld zu finanzieren. Dies führte zu einem Anstieg der Gesamtgeldmenge um mehr als 800%, was schließlich die [[Inflation]] mit ihren destabilisierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft noch weiter förderte. |
Somit blieb der russischen Regierung nur ein Ausweg, um den Staatsbankrott zu vermeiden, nämlich die Notenpresse anzuwerfen und den Staat durch neu generiertes Papiergeld zu finanzieren. Dies führte zu einem Anstieg der Gesamtgeldmenge um mehr als 800 %, was schließlich die [[Inflation]] mit ihren destabilisierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft noch weiter förderte. |
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Eine weitverbreitete Legende über das Ende des russischen Reiches bildet der Ansatz, dass die Nahrungsproduktion aufgrund der Massenrekrutierung von Bauern und Knechten zurückging und somit die Revolution auslöste. Nach Schätzungen der Regierung war allerdings die für die Agrarwirtschaft nicht benötigte Bevölkerung in ländlichen Gebieten auf 22 Millionen im Jahre [[1913]] beziffert worden und die zaristische Armee hatte während der ersten drei Kriegsjahre erst 17 Millionen Soldaten an die Front gerufen. Die Produktionszahlen für das Kriegsjahr 1917 führen den Erklärungsansatz der Minderproduktion noch mehr ad absurdum: |
Eine weitverbreitete Legende über das Ende des russischen Reiches bildet der Ansatz, dass die Nahrungsproduktion aufgrund der Massenrekrutierung von Bauern und Knechten zurückging und somit die Revolution auslöste. Nach Schätzungen der Regierung war allerdings die für die Agrarwirtschaft nicht benötigte Bevölkerung in ländlichen Gebieten auf 22 Millionen im Jahre [[1913]] beziffert worden, und die zaristische Armee hatte während der ersten drei Kriegsjahre erst 17 Millionen Soldaten an die Front gerufen. Die Produktionszahlen für das Kriegsjahr 1917 führen den Erklärungsansatz der Minderproduktion noch mehr ad absurdum: |
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{| class="wikitable" |
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{| {{prettytable}} |
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!colspan=8 align="center" |'''Russische Getreideernte 1917'''<br />(in Millionen [[Alte_Ma%C3%9Fe_und_Gewichte_%28Russland%29#Gewichte|Pud]]) |
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! colspan="8" style="background:#ECECEC"|Russische Getreideernte 1917<br />(in 1000 [[Tonne (Einheit)|Tonnen]]) |
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| Ernte 1917 || align="right" |3.809 |
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| Ernte 1917 || align="right" |62.391 |
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| Vorrat für Aussaat || align="right" |– 11.220 |
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| Verfügbare Menge || align="right" |= 3.793 |
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| Reserven aus dem Vorjahr || align="right" |+ 10.958 |
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| Verfügbare Menge || align="right" |= 62.129 |
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| Gesamtverbrauch || align="right" |– 53.611 |
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| Überschuss || align="right" |= 8.518 |
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Nach diesen Produktionszahlen hatte die russische [[Kriegswirtschaft]], trotz ihrer Verluste an Mensch und Anbaufläche, |
Nach diesen Produktionszahlen hatte die russische [[Kriegswirtschaft]], trotz ihrer Verluste an Mensch und Anbaufläche, einen Überschuss erwirtschaftet. Demnach herrschte weniger ein Produktions- als vielmehr ein Verteilungsproblem. Die Struktur der landwirtschaftlichen Produktion hatte sich durch die drei Kriegsjahre mehr und mehr verändert. Die größten Landsitze, die in der Vorkriegszeit 25 % der Ernte bestritten hatten, waren aus der Produktion fast gänzlich ausgeschieden. Aufgrund der rasanten Inflation und der Verteuerung der Arbeit durch den Ausbau der Kriegsindustrie wurde für die Betreiber von [[Latifundium|Latifundien]] der Getreideanbau unrentabel. Dieses Land wurde daher an Kleinbauern verpachtet. Das System von kleinen Familienhöfen arbeitete zwar in der Produktion hervorragend, doch fehlten ihm die Anreize zum Verkauf seiner Produkte in die Städte. Während der Grundbesitzer direkt zu den Märkten der Städte Zugriff hatte, musste sich der gewöhnliche Bauer diesen erst über eine Linie von Zwischenhändlern verschaffen, was seinen Gewinn schmälerte. Falls der Landwirt seine Waren dennoch absetzte, bekam er dafür nur wenig attraktive Gegenleistungen. Der Bedarf der Armee resultierte zudem in einem astronomischen Preisanstieg für sämtliche industriell gefertigten Produkte. |
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[[ |
[[Textilie]]n verteuerten sich im Vergleich zu 1913 um 300 %, [[Eisenwaren]] um bis zu 1000 %. Somit wurden von der Ernte des Jahres 1917 nur noch 15 % des Getreides, statt der in der Vorkriegszeit üblichen 25 %, auf den [[Freier Markt|freien Markt]] geworfen. Da sich der Bedarf der Städte durch die Flüchtlinge aus den von den Deutschen besetzten Gebieten erhöht hatte, führte dies zu den katastrophalen Unterversorgungen des letzten russischen Kriegsjahrs. |
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=== Revolutionen in Russland === |
=== Revolutionen in Russland === |
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[[Datei:Nikolaus II. (Russland).jpg|hochkant|mini|Zar Nikolaus II. nach seinem Sturz]] |
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Die immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen trafen die Bevölkerung hart. Der Krieg hatte hohe Verluste an Menschen gefordert und der größte Teil der Bevölkerung lehnte diesen mittlerweile ab. Die Inflation ließ die Reallöhne sinken. Es kam häufiger zu Streiks und Aufständen. Zar [[Nikolaus II. (Russland)|Nikolaus II.]], der sich voll auf das Kriegsgeschehen konzentrierte und die Politik seiner Frau [[Alix von Hessen-Darmstadt|Alexandra Feodorowna]] überließ, verweigerte jegliche politische Liberalisierung. Zahlreiche Minister, die bereit waren, der [[Duma]] und dem Volk Zugeständnisse zu machen, wurden entlassen. Dies sorgte auch in bürgerlichen Kreisen für Verärgerung und schwächte die Autorität des Zaren weiter. |
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[[Bild:Soviet Union, Lenin (55).jpg|thumb|Lenin]] |
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Die immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen trafen die Bevölkerung hart. Der Krieg hatte hohe Verluste an Menschen gefordert und der größte Teil der Bevölkerung lehnte diesen mittlerweile ab. Die Inflation ließ die nominell steigenden Löhne effektiv sinken. Es kam häufiger zu Streiks und sogar Aufständen. Der Zar [[Nikolaus II. (Russland)|Nikolaus II.]], der sich voll auf das Kriegsgeschehen konzentrierte und die Politik seiner Frau [[Alexandra Feodorowna]] überließ, verweigerte jegliche politische Liberalisierung. Zahlreiche Minister, die bereit waren, der [[Duma]] und dem Volk Zugeständnisse zu machen, wurden entlassen. Dies sorgte auch in bürgerlichen Kreisen für Verärgerung und schwächte die Autorität des Zaren weiter. |
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Der harte Winter |
Der harte Winter 1916/17 verschlimmerte die Versorgungslage der Bevölkerung. Der Staat versuchte, diese durch Zwangseintreibungen und neue Wirtschaftsplanungen zu verbessern. Viele Industriearbeiter widersetzten sich dem; Streiks und Unruhen breiteten sich aus. Am {{JULGREGDATUM|3|3|1917}} kam es zu einem Massenaufruhr. Der Zar erließ einen Schießbefehl, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Soldaten schlossen sich aber den Demonstranten an und versorgten diese mit Waffen. Den Demonstranten in [[Sankt Petersburg|Petrograd]] gelang es, die Macht zu übernehmen. Dies sorgte für ähnliche Vorfälle in anderen großen russischen Städten, wie [[Moskau]]. Am {{JULGREGDATUM|7|3|1917}} schloss sich die Duma der Revolution an und ernannte gegen den Auflösungsbefehl des Zaren ein provisorisches Komitee. Nikolaus II. wollte nun Fronttruppen in Richtung Petrograd vorrücken lassen. Die Armeeführung drängte den Zaren jedoch zum Rücktritt, damit eine Weiterführung des Krieges möglich blieb und die Revolution nicht auf die Feldtruppen übergriff. |
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Das nun entstandene Machtvakuum wurde sowohl von zahlreichen [[Sowjet|Arbeiter- und Soldatenräten]] |
Das nun entstandene Machtvakuum wurde sowohl von zahlreichen [[Sowjet|Arbeiter- und Soldatenräten]] als auch von der Duma beansprucht. Die Duma war hauptsächlich von bürgerlichen und liberalen Kräften geprägt, während die Sowjets (Räte) unterschiedlich stark von [[Menschewiki]] und [[Bolschewiki]] geprägt wurden. Von der Duma wurde am {{JULGREGDATUM|23|3|1917}} eine [[Provisorische Regierung (Russland)|provisorische Regierung]] unter [[Georgi Jewgenjewitsch Lwow|Georgi Lwow]] ernannt, die parallel zu den Räten agierte. |
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[[Lenin]], der Anführer der Bolschewiki, wurde von der deutschen Heeresleitung aus seinem Exil in der Schweiz mit einem Zug nach Petrograd transportiert. Gerüchteweise erhielt er sogar 40 Millionen [[Goldmark]] Unterstützung. Das Deutsche Reich erhoffte sich von Lenin und den Bolschewiki, die den Krieg bereits 1914 ablehnten, einen Separatfrieden. In Petrograd verfasste Lenin am 4 |
[[Lenin]], der Anführer der Bolschewiki, wurde von der deutschen Heeresleitung aus seinem Exil in der Schweiz mit einem [[Reise Lenins im plombierten Wagen|Zug nach Petrograd]] transportiert. Gerüchteweise erhielt er sogar 40 Millionen [[Goldmark]] Unterstützung. Das Deutsche Reich erhoffte sich von Lenin und den Bolschewiki, die den Krieg bereits 1914 ablehnten, einen Separatfrieden. In Petrograd verfasste Lenin am {{JULGREGDATUM|17|4|1917}} die [[Aprilthesen]], die neben der Forderung einer Revolution durch die Bolschewiki auch die Forderung der sofortigen Beendigung des Krieges enthielten. Dies sollte in einem ''Frieden ohne Annexionen und Kontributionen'' geschehen. |
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Die |
Die Regierung, die an ihren Kriegszielen festhielt, veranlasste durch ihren Kriegs- und Marineminister [[Alexander Fjodorowitsch Kerenski]] die [[Kerenski-Offensive]], die jedoch relativ schnell zusammenbrach. Immer häufiger kam es nun an der Front zu [[Fahnenflucht]] und informellen Waffenstillständen.<!-- mehr zu der Offensive --> Ein [[Juliaufstand|Putschversuch]] im Juli gegen die Regierung unter Lwow wurde zwar abgewehrt und Kerenski wurde Regierungschef. Dennoch beruhigte sich die Lage nicht mehr. |
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Die Bolschewiki gewannen immer weiter an Macht, da die Menschewiki und die provisorische Regierung es nicht schafften, die Situation der Menschen wesentlich zu verbessern. So gelang es den Bolschewiki, die Macht in den Moskauer und Petrograder |
Die Bolschewiki gewannen immer weiter an Macht, da die Menschewiki und die provisorische Regierung es nicht schafften, die Situation der Menschen wesentlich zu verbessern. So gelang es den Bolschewiki, die Macht in den Moskauer und [[Petrograder Sowjet]]s an sich zu ziehen. [[Leo Trotzki]] wurde Vorsitzender des Petrograder Militärischen Revolutionskomitees. Die Anführer der Bolschewiki bereiteten die Revolution vor und Anhänger der Bolschewiki bewaffneten sich. Am 22. Oktober übernahm das Revolutionskomitee unter Trotzki die [[Garnison]]. In der Nacht zum [[25. Oktober]] kam es zur sogenannten [[Oktoberrevolution]], in der die Bolschewiki strategische Punkte in Petrograd besetzten und das Winterpalais, das als Sitz der provisorischen Regierung gedient hatte, stürmten. Daraufhin übernahmen die Bolschewiki die gesamte Regierungsgewalt. |
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Am |
Am {{JULGREGDATUM|22|11|1917}} wandte sich Lenin mit dem ''[[Funkspruch an alle]]'' an die russischen Truppen mit der Forderung, provisorische Waffenstillstände mit den Mittelmächten auszuhandeln, da der Oberkommandierende der russischen Truppen, General [[Nikolai Nikolajewitsch Duchonin|Nikolai Duchonin]], sich weigerte, in Waffenstillstandsverhandlungen mit den Mittelmächten einzutreten. |
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In Folge der Machtergreifung durch die Bolschewiki kam es zum [[Russischer Bürgerkrieg| |
In der Folge der Machtergreifung durch die Bolschewiki kam es zum [[Russischer Bürgerkrieg|Russischen Bürgerkrieg]], in dem auch die [[Triple Entente|Entente]] Truppen auf russischem Gebiet anlandeten, um die [[Weiße Armee]] im Kampf gegen die Kommunisten zu unterstützen. 2.500 Briten, 1.500 Franzosen und 1.500 Italiener nahmen an den Kämpfen teil. 70.000 Japaner und 8.000 US-Soldaten landeten im russischen Fernen Osten. Frankreich stationierte in [[Odessa]] einen Flottenverband, der aber zurückgezogen wurde, nachdem es unter den Matrosen zu [[Aufstand in der französischen Schwarzmeerflotte|einem Aufstand]] gekommen war. |
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== Kriegsjahr 1918 == |
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== Friedensvertrag von Brest-Litowsk und Kapitulation Deutschlands 1918 == |
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=== Die Friedensverträge mit Sowjetrussland, Rumänien, Finnland und der Ukraine === |
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[[Bild:Trotzki Deutsche Brest-Litowsk1917.jpg|thumb|Die sowjetische Delegation unter [[Leo Trotzki]] wird von deutschen Offizieren empfangen]] |
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[[Datei:Trotzki Deutsche Brest-Litowsk1917.jpg|mini|Die sowjetische Delegation unter [[Leo Trotzki]] wird von deutschen Offizieren empfangen]] |
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[[Bild:armisticebrestlitovsk.jpg|thumb|left|150px|Folgen des Waffenstillstands von Brest-Litowsk ]] |
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[[Datei:Map Treaty of Brest-Litovsk-en.jpg|mini|links|hochkant=1.4|Ausdehnung des deutschen und österreichisch-ungarischen Besatzungsgebietes im Mai 1918]] |
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Nachdem bereits 1917 ein Waffenstillstand zwischen dem Russischen Reich und den Mittelmächten geschlossen worden war, wurde im Jahr 1918 ein [[Friedensvertrag]] ausgehandelt. Der [[Friedensvertrag von Brest-Litowsk]], der am [[3. März]] [[1918]] unterzeichnet wurde, enthielt massive territoriale Verluste, so verzichtete Sowjetrussland auf Ansprüche in [[Polen]], [[Litauen]] und [[Kurland]]. [[Estland]] und [[Livland]] sollten weiterhin von deutschen Polizeitruppen besetzt bleiben. Die [[Ukraine]] und [[Finnland]] erhielten ihre Unabhängigkeit. Zunächst verzichtete Deutschland auf Reparationszahlungen. Am 27. August 1918 wurde jedoch ein Zusatzvertrag unterzeichnet, der sechs Millionen Goldmark Reparationen von Seiten Russlands festschrieb und in dem sich Russland zum Verzicht auch auf [[Estland]], [[Lettland]] und [[Georgien]] verpflichtete. Im Ausgleich zog das Deutsche Reich seine Truppen aus [[Weißrussland]] zurück und versprach, nicht auf Seiten der Gegner der Bolschewisten im [[Russischer Bürgerkrieg|Russischen Bürgerkrieg]] einzugreifen. |
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Nachdem bereits am 5. Dezember 1917 eine Waffenruhe auf zehn Tage und am 15. Dezember ein längerfristiger Waffenstillstand zwischen [[Sowjetrussland]] und den Mittelmächten vereinbart worden war, diktierten letztere nach langwierigen, von der russischen Delegation am 10. Februar zunächst abgebrochenen Verhandlungen Anfang März 1918 im Anschluss an die [[Operation Faustschlag]] den [[Friedensvertrag von Brest-Litowsk]]. Im Januar 1918 war es zu heftigen Streitereien zwischen Teilen der zivilen Reichsleitung und der OHL gekommen (bis hin zum Rücktrittsangebot Hindenburgs und Ludendorffs am 7. Januar), da man sich zunächst nicht über die gegenüber Russland einzuschlagende Linie einigen konnte. Schlussendlich realisierte dieser Vertrag – durch den das europäische Russland auf seine [[Peter I. (Russland)|vorpetrinischen]] Grenzen zurückgeworfen wurde – inhaltlich in erster Linie die seit 1914 von der Mehrheitsströmung im Auswärtigen Amt verfochtene Kriegszielkonzeption.<ref>Winfried Baumgart: ''Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.'' Wien/ München 1966, S. 13ff.; Fritz Fischer: ''Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18.'' 3., verbesserte Auflage. Düsseldorf 1964, S. 155ff., 627ff.; Joachim Petzold u. a.: ''Deutschland im ersten Weltkrieg.'' Band 3: ''November 1917 bis November 1918.'' Berlin 1969, S. 101 ff., 118 ff.</ref> Die Zurückdrängung Russlands und die deutsche Dominanz in Osteuropa sollten nicht durch die von verschiedenen Interessengruppen und von Ludendorff geforderten direkten Annexionen, sondern durch die informelle Herrschaft über neu geschaffene, politisch und wirtschaftlich an Deutschland gebundene Satellitenstaaten festgeschrieben werden. Dies bot auch unmittelbare außen- und innenpolitische Vorteile: Das – zum Entsetzen Österreich-Ungarns und der OHL – in diesem Zusammenhang vom verantwortlichen Staatssekretär [[Richard von Kühlmann]] ausgesprochene deutsche Bekenntnis zum „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ hob das bisherige einschlägige propagandistische Monopol der Entente auf und ermöglichte es der Reichstagsmehrheit (vgl. [[Friedensresolution]]), den Brest-Litowsker Vertrag ohne vollständigen Gesichtsverlust zu ratifizieren. Durch Brest-Litowsk entstanden die Grundlagen eines Systems deutscher Vasallen- und Klientelstaaten, das Berlin direkten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zugriff „von Murmansk bis Baku“<ref>Baumgart, Ostpolitik, S. 93.</ref> versprach. Die zunächst ausgeklammerte Reparationsfrage wurde – unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit – im Laufe des Sommers in Berlin verhandelt. Am 27. August wurden hier mehrere Ergänzungsverträge unterzeichnet, durch die sich Russland unter anderem zur Zahlung von Reparationen in Höhe von sechs Milliarden Goldmark und zur Anerkennung der Unabhängigkeit [[Demokratische Republik Georgien|Georgiens]] verpflichtete. Im Gegenzug wurde der Rückzug der deutschen Truppen hinter die [[Bjaresina|Beresina]], die estnische und livländische Grenze zugesagt.<ref>Siehe Petzold, Deutschland, S. 385.</ref> |
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Noch während der Brest-Litowsker Verhandlungen und deren Ergebnissen vorgreifend hatte eine Delegation der ukrainischen ''[[Zentralna Rada]]'' einen Friedensvertrag mit den Mittelmächten unterzeichnet (9. Februar), durch den das Land de facto aus dem russischen Staatsverband austrat.<ref>Siehe Petzold, Deutschland, S. 187.</ref> Am 12. Februar übergab die Rada-Regierung der deutschen Seite das von dieser gewünschte formelle Ersuchen, in der Ukraine zu intervenieren und das zu diesem Zeitpunkt von den Bolschewiki kontrollierte [[Kiew]] zu besetzen. Zwischen Februar und April übernahmen deutsche und österreichisch-ungarische Truppen allerdings die Kontrolle über die gesamte „unabhängige“ Ukraine<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 120. Zur deutschen Besatzungspolitik in der Ukraine siehe vor allem die Darstellung von Peter Borowsky: ''Deutsche Ukrainepolitik 1918.'' Lübeck 1970, die anders als die Arbeit des konservativen Diplomatie-Historikers Baumgart auch auf grundlegende ökonomische Kalkulationen eingeht.</ref> und besetzten – unter Verletzung des Brest-Litowsker Friedensvertrages – auch die [[Krim]] (1. Mai [[Sewastopol]]), das ganze [[Donezbecken]] und am 8. Mai schließlich [[Rostow am Don|Rostow]]. Die russische [[Schwarzmeerflotte]] zog sich nach [[Noworossijsk]] zurück, wo sich ihr größter Teil am 17./18. Juni in auswegloser Lage selbst versenkte. Im Zuge der Okkupation kam es zu erheblichen Reibereien zwischen deutschen und österreichisch-ungarischen Kommandostellen, da weder ein einheitliches Oberkommando geschaffen noch – zumindest in den ersten Monaten – eine Abgrenzung der Besatzungszonen vorgenommen wurde. Beide Seiten versuchten anfänglich, durch schnelles Vorrücken (etwa beim „Wettlauf nach Odessa“<ref>Baumgart, Ostpolitik, S. 122.</ref>) Fakten zu schaffen. Eine Stationierung österreichisch-ungarischer Truppen in Kiew, das von deutschen Verbänden am 1. März besetzt worden war, lehnte die OHL ab. Nach einigen Wochen wurden den k.u.k. Truppen die Gouvernements [[Gouvernement Wolhynien|Wolhynien]], [[Gouvernement Podolien|Podolien]], [[Gouvernement Cherson|Cherson]] und [[Gouvernement Ekaterinoslaw|Ekaterinoslaw]] zugewiesen. Den beherrschenden Einfluss auf die ukrainische Politik übten aber allein die deutschen Militärs in Kiew – in erster Linie der Stabschef der dortigen Heeresgruppe, [[Wilhelm Groener]] – aus. Die ukrainische Zentralrada, mit der die Mittelmächte zunächst noch gegen die sowjetrussische Regierung zusammengearbeitet hatten, wurde den deutschen Stellen, die das Gremium nunmehr als handlungsunfähiges „studentisches Konventikel“ bewerteten,<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 129 f.</ref> rasch lästig. Am 28. April setzten deutsche Offiziere „in typisch preußisch-deutscher Manier“<ref>Petzold, Deutschland, S. 217.</ref> – mit vorgehaltener Waffe und dem Ruf „Hände hoch!“ – die von der Rada gestützte ukrainische Regierung ab und verhafteten deren Minister.<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 128.</ref> Einen Tag später rief nach vorangegangener deutscher Ermunterung eine im Kiewer Zirkus zusammengetretene Großgrundbesitzerversammlung ein sogenanntes [[Ukrainischer Staat|Hetmanat]] unter Führung des ehemaligen Generals [[Pawlo Skoropadskyj]] aus.<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 127 f.</ref> Diese Marionettenregierung hielt sich bis zum Abzug der deutschen Truppen im Dezember. Unter ihrer Ägide wurden bis Anfang November 1918 insgesamt 34.745 Waggonladungen Lebensmittel, Getreide und Rohstoffe aus der Ukraine abtransportiert (knapp 20.000 nach Österreich-Ungarn, 14.100 nach Deutschland, der Rest nach Bulgarien und in die Türkei), zudem erklärte sie sich zur Bezahlung der Besatzungskosten bereit.<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 150.</ref> |
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Deutschland versuchte mit den nun freigewordenen Truppenverbänden in der [[Deutsche Frühjahrsoffensive 1918|Frühjahrsoffensive]] im Westen eine Entscheidung herbeizuführen, scheiterte jedoch an der seit 1917 durch US-amerikanische Truppen mitbesetzten Westfront. In der Folge empfahl die OHL, Waffenstillstandsverhandlungen mit der Entente einzuleiten und den Krieg zu beenden. Der [[Waffenstillstand von Compiègne]] am [[11. November]] 1918 beendete den Ersten Weltkrieg und annullierte in weiterer Folge den Friedensvertrag von Brest-Litowsk. |
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Rumänien schied durch den am 7. Mai unterzeichneten [[Friede von Bukarest (1918)|Friedensvertrag von Bukarest]] (der Waffenstillstand war am 9. Dezember 1917 in [[Focșani]] vereinbart worden) ebenfalls aus dem Krieg aus. Der Vertrag sah in erster Linie einschneidende politische und wirtschaftliche Eingriffe vor (Verpachtung der Ölfelder auf 90 Jahre an deutsche Gesellschaften, Export landwirtschaftlicher Produkte nur nach Deutschland und Österreich-Ungarn, verschleierte Zahlung von Reparationen durch Rumänien, Fortdauer der Besetzung, aufsichtsführende deutsche Zivilbeamte in rumänischen Ministerien). Weitergehenden deutschen Forderungen – das Auswärtige Amt hatte ursprünglich neben der Verpachtung des Hafens von [[Constanța]] sogar eine [[Personalunion]] Deutschlands und Rumäniens angestrebt, also den Übergang der rumänischen Königskrone an Wilhelm II. – konnten sich die Rumänen entziehen, nicht zuletzt, weil Österreich-Ungarn, das sich zunächst auf die gleiche Weise die Kontrolle über Rumänien hatte sichern wollen, den weitgehenden Berliner Plänen widersprach. Bulgarien verlangte die gesamte [[Dobrudscha]] und damit die Abdrängung Rumäniens vom [[Schwarzes Meer|Schwarzen Meer]], was aber von der Türkei entschieden abgelehnt wurde. Auf diese Weise neutralisierten sich die Maximalprogramme der Mittelmächte bei den Verhandlungen gegenseitig; Rumänien kam so – obwohl es als einzige kriegführende Macht eine vollständige militärische Niederlage erlitten hatte und zur Gänze von feindlichen Truppen besetzt war – zumindest in territorialer Hinsicht bemerkenswert glimpflich davon: Österreich-Ungarn setzte die Abtretung einiger Gebiete in den Karpaten durch (die letzte Gebietserweiterung der Donaumonarchie), Bulgarien wurde die südliche Dobrudscha, Rumänien zum Ausgleich dafür allerdings das ehemalige russische [[Gouvernement Bessarabien]] zugesprochen (wodurch sich sein Gebietsstand sogar vergrößerte).<ref>Siehe Petzold, Deutschland, S. 203 ff.</ref> |
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Mit [[Finnland]] und Georgien schloss das Reich Verträge, die diese Staaten zum nördlichen bzw. südlichen Eckpfeiler des geplanten deutschen Herrschaftsraumes machen sollten. Am 7. März wurden in Berlin mehrere deutsch-finnische Verträge (darunter ein Friedensvertrag) unterzeichnet, die Finnland politisch und ökonomisch in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Deutschland brachten.<ref>Siehe Manfred Menger: ''Die Finnland-Politik des deutschen Imperialismus 1917–1918.'' Berlin 1974, S. 140 ff.</ref> Die weißfinnische Regierung (vgl. [[Finnischer Bürgerkrieg]]), deren Vertreter diese Abkommen unterzeichnet hatten, kehrte im April im Gefolge deutscher Interventionstruppen (vgl. [[Finnland-Intervention]]) wieder nach Helsinki zurück. Am 9. Oktober 1918 wählte der finnische Landtag [[Friedrich Karl von Hessen]] zum finnischen König. Georgien, das sich am 26. Mai für unabhängig erklärt hatte, unterzeichnete zwei Tage später in [[Poti]] das erste einer Reihe von Abkommen mit dem Reich. Im Juni landete ein kleines deutsches Kontingent in dieser Stadt und besetzte anschließend [[Tiflis]]. Die deutschen Truppen in Georgien wurden rasch deutlich verstärkt (Gesamtstärke Mitte September 19.000 Mann<ref>Wolfdieter Bihl: ''Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte.'' Teil 2: ''Die Zeit der versuchten kaukasischen Staatlichkeit 1917–1918.'' Wien/ Köln/ Weimar 1992, S. 76.</ref>). Im Kaukasusgebiet zeichneten sich im Spätsommer 1918 bereits die Konturen einer neuen deutsch-britischen Front ab, da zur gleichen Zeit britische Truppen am Westufer des [[Kaspisches Meer|Kaspischen Meeres]] operierten und am 4. August [[Baku]] besetzten. |
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Im nördlichen Baltikum, dessen offene oder verschleierte Annexion (auch hier wurde zunächst an eine Personalunion gedacht) sich als innenpolitisch nicht durchsetzbar erwiesen hatte, kam es – in erster Linie auf Betreiben der OHL – zum Versuch, ein von der deutschen Minderheit beherrschtes Staatswesen zu etablieren (vgl. [[Vereinigtes Baltisches Herzogtum]]). In Litauen ließ die deutsche Politik den einheimischen Nationalisten mehr Spielraum, schaffte es aber dennoch, einen württembergischen Grafen als König [[Wilhelm Karl von Urach|Mindaugaus II.]] zu installieren. Auch das [[Königreich Sachsen|sächsische]] Königshaus hatte zunächst Anspruch auf die litauische Krone erhoben.<ref>Siehe dazu insgesamt Werner Basler: ''Deutschlands Annexionspolitik in Polen und im Baltikum 1914–1918.'' Berlin 1962.</ref> |
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=== Kriegsentscheidung im Westen und Zusammenbruch der Mittelmächte === |
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Hauptzweck der wiederholten, zur Eile drängenden Interventionen der OHL in den Fortgang der Brest-Litowsker Verhandlungen war Anfang 1918, schnellstmöglich Truppen für die seit November 1917 geplanten Entscheidungskämpfe im Westen freizubekommen. Zwischen Ende 1917 und November 1918 wurden der Westfront aus dem Osten 63 Divisionen zugeführt; drei weitere Divisionen wurden auf den Balkan verlegt. Österreich-Ungarn verstärkte zwischen Januar und August 1918 die italienische Front mit 25 und die Balkanfront mit fünf bislang im Osten gebundenen Divisionen. Die Zahl der verbleibenden Verbände war indes signifikant hoch. Noch am 21. März 1918, zu Beginn der [[Deutsche Frühjahrsoffensive 1918|Frühjahrsoffensive an der Westfront]], standen 53 deutsche Divisionen und 13 selbständige Brigaden im Osten – insgesamt mehr als eine Million Mann.<ref>Etwas abweichende Zahlen (47 Divisionen am 21. März) nennt Stevenson, Weltkrieg, S. 473.</ref> Den Stationierungsschwerpunkt bildete die auch von der OHL als „künstliches Gebilde“ bewertete Ukraine, die – so die Befürchtung – „automatisch an Russland zurück“<ref>Zitiert nach Baumgart, Ostpolitik, S. 148.</ref> falle, wenn die deutschen und österreichisch-ungarischen Besatzungstruppen zu massiv reduziert würden. Bis zum Herbst wurden dennoch nach und nach 25 weitere Divisionen abgezogen, so dass die Gesamtstärke bis Anfang Oktober auf etwas mehr als 500.000 Mann (verteilt auf die 8. Armee im Baltikum, die 10. Armee in [[Belarus]] und Ostpolen sowie die Heeresgruppe Kiew) sank. Die österreichisch-ungarische Besatzungsarmee in der Ukraine ([[2. Armee (Österreich-Ungarn)|2. Armee]]) hatte im Sommer 1918 eine Stärke von 200.000, nach anderen Angaben von 250.000 Mann.<ref>Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 149 (Fußnote 160) sowie Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 413.</ref> |
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Alle von der Ostfront kommenden deutschen Verbände wurden vor ihrem Einsatz im Westen durch spezielle Schulungsoffiziere einem intensiven „vaterländischen Unterricht“ unterzogen, da die OHL angesichts der seit der Jahreswende 1917/18 rasant zunehmenden Zahl schwerer disziplinarischer Vergehen – eigenmächtiges Entfernen von der Truppe, Desertion, offene Befehlsverweigerung<ref>Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 402.</ref> – davon ausging, dass der unmittelbare Eindruck der russischen Revolution nicht ohne Folgen für die „Verlässlichkeit“ der Truppe geblieben war.<ref>Siehe Petzold, Deutschland, S. 101.</ref> Im September 1918 – nur wenige Wochen vor dem [[Kieler Matrosenaufstand]] – kam es in [[Rowno]], [[Schepetiwka|Schepetowka]], Kiew und [[Polozk]] erstmals zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mannschaften und Offizieren. In [[Charkow]] rebellierten Soldaten offen gegen die befohlene Verlegung an die Westfront und hissten rote Fahnen.<ref>Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 413 sowie Baumgart, Ostpolitik, S. 150, 344.</ref> Die schon vorbereitete Besetzung von Petrograd und [[Murmansk]] (vgl. [[Unternehmen Schlußstein]]) wurde Ende September auch wegen dieser Entwicklungen aufgegeben, ebenso ein von Georgien aus geplantes Unternehmen gegen Baku. Ludendorff räumte am 17. Oktober [[Max von Baden]] gegenüber ein, dass die Masse der deutschen Truppen im Osten nicht mehr für offensive Aktionen verwendbar sei und allenfalls noch über „eine gewisse Abwehrkraft“<ref>Zitiert nach Baumgart, Ostpolitik, S. 150.</ref> verfüge. |
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Bereits am 13. November 1918, zwei Tage nach dem [[Waffenstillstand von Compiègne (1918)|Waffenstillstand von Compiègne]], annullierte die sowjetrussische Regierung den Brest-Litowsker Friedensvertrag. Der Osten Europas, wo sich sofort nach Kriegsende die Frontlinien des Russischen Bürgerkrieges, nationalistischer Staatsgründungs- bzw. Staatsausdehnungsprojekte und politisch-sozialer Aufstandsbewegungen überschnitten, blieb bis 1920/21 in weiten Teilen Kriegsgebiet.<ref>„Die 'Nachkriegsgeschichte', so stellt sich heraus, steht dem Weltkrieg insbesondere mit Blick auf Osteuropa (...) in grenzen-übergreifender Gewaltsamkeit nicht nach.“ [[Michael Geyer (Historiker)|Michael Geyer]]: ''Zwischen Krieg und Nachkrieg – die deutsche Revolution 1918/19 im Zeichen blockierter Transnationalität.'' In: [[Alexander Gallus (Historiker)|Alexander Gallus]] (Hrsg.): ''Die vergessene Revolution von 1918/19.'' Göttingen 2010, S. 187–222, S. 188.</ref> |
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== Verluste == |
== Verluste == |
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[[Datei:Russian prisoners tannenberg.jpg|mini|Russische Gefangene nach der Schlacht bei Tannenberg]] |
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Die Verluste auf russischer Seite sind |
Die Verluste auf russischer Seite sind aufgrund mangelnder Statistik schwer zu ermitteln. Historiker schätzen die Zahl der Toten auf rund 1,3 Millionen, was in etwa den Verlusten, die auch [[Frankreich]] und [[Österreich-Ungarn]] erlitten, entspräche. |
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{{Navigationsleiste 1. Weltkrieg (Ostfront)}} |
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Von rund neun Millionen Kriegsgefangenen im Weltkrieg wurde die Mehrheit von 5 Millionen an der Ostfront gefangen genommen. Rund 2,1 Millionen Soldaten der Mittelmächte waren Kriegsgefangene in Russland. Die Mehrheit von ihnen waren Soldaten Österreich-Ungarns. Rund 140.000 Deutsche und rund 80.000 Türken und Bulgaren befanden sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Sterberate unter den Gefangenen war in Russland aufgrund Seuchen und mangelhafter Versorgung mit 20 % unter allen kriegführenden Mächten am höchsten. Rund 2,4 – 3,1 Millionen russische Soldaten wurden Kriegsgefangene bei den Mittelmächten. Die Gesamtsterberate der Gefangenen betrug rund 5 – 8 %. Innerhalb der Kriegsgefangenschaft wurden von russischer Seite aus politischen Erwägungen kriegsgefangene Slawen gegenüber nichtslawischen Gefangenen bevorzugt, während Kriegsgefangene der Westmächte in Deutschland bevorzugt wurden.<ref>Reinhard Nachtigal: ''Die Kriegsgefangenen-Verluste an der Ostfront, Eine Übersicht zur Statistik und zu Problemen der Heimatfronten 1914/15.'' in Gerhard P. Groß (Hrsg.): ''Die vergessene Front. Der Osten 1914/1915 - Ereignis, Wirkung, Nachwirkung'', Paderborn, 2006, S. 201–215.</ref> |
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{{Julianischer Kalender}} |
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== Die „vergessene“ Front: Zur Ostfronthistoriografie des Ersten Weltkrieges == |
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[[Datei:Deutscher Soldatenfriedhof Dsjasjatniki 1.JPG|mini|Deutscher Soldatenfriedhof in der Nähe von [[Waloschyn]] in [[Belarus]]]] |
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Die Historiografie zur Ostfront des Ersten Weltkriegs nimmt innerhalb der Literatur zu den Jahren 1914 bis 1918 nur wenig Raum ein. In Darstellungen zur deutschen Ostpolitik zum Beispiel erwähnte man das Gebiet [[Ober Ost]] nur kurz oder ließ es ganz außer Acht. Weitere Ereignisse wie etwa der Krieg der Mittelmächte gegen Rumänien sind fast völlig in Vergessenheit geraten. |
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Der Brite [[Norman Stone]] verfasste die erste umfassende und bedeutende Darstellung der Geschehnisse an der Ostfront. Sein 1975 erschienenes Buch ''The Eastern Front 1914–1917'' betont die Wichtigkeit der Schlachten an der Ostfront für den militärischen Gesamtverlauf des Krieges. Es gelang Stone, einige interessante Schlussfolgerungen zu ziehen: Er beschränkt sich in seiner Darstellung nicht nur auf eine Rekonstruktion der Ereignisse des Krieges im Osten, sondern stellte bis dahin geltende Lehrmeinungen in Frage. So bezweifelt Stone die wirtschaftliche Rückständigkeit des Russischen Reiches. Laut seiner Belege befand sich das Zarenreich in einer bis dahin ungekannten wirtschaftlichen Aufschwungphase. Die Schwäche Russlands liegt für Stone in der veralteten Administration. Dieser waren die Versorgungsschwierigkeiten und eine ineffiziente Armeeführung anzulasten. Stones Darstellung schweigt sich allerdings gänzlich aus über die von den Mittelmächten eroberten und besetzten Gebiete. |
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Immer noch sind „[[Schlacht um Verdun|Verdun]]“, „[[Schlacht an der Somme|Somme]]“, „Grabenkrieg“, „Stellungs- und Gaskrieg“ charakteristische Schlagwörter und gleichzeitig die ersten Assoziationen zum Ersten Weltkrieg. Allerdings beschreiben diese nur den Westen. Kriegsromane wie [[Erich Maria Remarque]]s ''[[Im Westen nichts Neues]]'' prägten dieses Bild weiter und so lag die Ostfront nicht im Fokus der westlichen Weltkriegsforscher. Der Journalist [[Sven Felix Kellerhoff]] trifft mit der Formulierung ''„aber wer weiß schon, dass es die relativ gesehen höchsten Verlustraten dieses Völkerschlachtens keineswegs im Stellungskrieg in Belgien und Ostfrankreich gab, sondern in der [[Schlacht in den Karpaten|Karpatenschlacht]]?“'' ziemlich genau den Kern des Problems. |
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Spätestens seit Stones Ausführungen dürfte eindeutig klargeworden sein, dass sich der Krieg im Osten markant von den Ereignissen an der Westfront unterschied. Als im Westen die Fronten bereits erstarrt waren, herrschte im Osten immer noch eine von Bewegung geprägte Kriegsführung vor. Die Gründe hierfür liegen bei den spärlichen Kommunikationsmöglichkeiten und der schlechten Verkehrserschließung der Ostfront. Folglich konnten aufgebrochene Lücken in den Verteidigungslinien lange nicht so schnell gefüllt werden, wie dies in Frankreich der Fall war. Die räumliche Ausdehnung der Ostfront mit mehreren tausend Frontkilometern, ganz abgesehen von den landschaftlichen Unterschieden, kontrastierte mit der Westfront und ihren über 800 Kilometern Frontlinie. |
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Erst in den neueren und neuesten westlichen Darstellungen und Forschungen zum Ersten Weltkrieg rückt die Ostfront wieder in den Blickpunkt. Das [[Militärgeschichtliches Forschungsamt|Militärgeschichtliche Forschungsamt]] (MGFA) in Potsdam führte im August 2004 eine Konferenz über „Die vergessene Front“ durch. Führende Militärhistoriker aus acht Ländern kamen dort zusammen. Unter anderem war auch der US-amerikanische Historiker (litauischer Abstammung) Vejas Gabriel Liulevicius auf dieser Konferenz dabei. Mit seinem Buch ''Kriegsland im Osten'' über das Gebiet Ober Ost lieferte er 2002 die erste umfassende westliche Darstellung der deutschen Besatzungsherrschaft im [[Baltikum]] während der Zeit des Ersten Weltkrieges und schloss so eine Forschungslücke. |
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Im Buch und einigen kurz darauf geschriebenen Artikeln beschreibt er nicht nur Wesen und Charakter der deutschen Militäradministration im Lande Ober Ost, sondern versucht auch die Ursachen des Wandels des deutschen Bildes vom Osten zu analysieren und Verbindungslinien zwischen den Vorstellungen der Militärverwaltung von Ober Ost und denen der späteren NS-Elite nachzuzeichnen. Auch im Spiegel-Artikel ''Der vergiftete Sieg'' geht Liulevicius auf diese Thematik ein. Der Versuch eine Kontinuitätslinie zur Zeit des [[Zeit des Nationalsozialismus|NS-Regimes]] zu ziehen, dürfte wohl noch einige Reaktionen in der Geschichtswissenschaft hervorrufen, zumal Liulevicius damit eine Brücke über die Zeit zwischen 1918 und 1933 zu schlagen versucht. Er sieht im Ostfronterlebnis der deutschen Soldaten das verborgene Vermächtnis des Ersten Weltkrieges. |
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Ein gewichtiges Problem bei den Ausführungen bezüglich der Frontwahrnehmung der Soldaten und des Wandels der Kategorien, in welche der Osten gefasst wurde (Land und Leute vs. Raum und Volk), liegt in der einseitigen Quellenbasis des Werkes „Kriegsland“ im Osten. Liulevicius berücksichtigt offenbar vorwiegend Tagebücher und Memoiren von Militärs in höheren Rängen. Feldpostbriefe von Soldaten beispielsweise fehlen fast ganz. In der Konsequenz muss das entstehende Bild als elitär gefärbt betrachtet werden. |
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Stellenweise läuft Liulevicius’ Werk Gefahr, eine national-litauische Sicht auf die deutsche Besatzung einzunehmen, wie sie sich auch in anderen Werken zur litauischen Geschichte findet. Dies zeigt sich wiederkehrend in der Wortwahl, wenn er von ''„krankhaften Auswüchsen der Macht“'' (S. 217) und einer ''„rücksichtlosen Jagd nach Steuern“'' (S. 87) schreibt. Solche und ähnliche Formulierungen verhelfen dem Werk nicht unbedingt zu mehr Objektivität. Gleichzeitig dürfen die Ungerechtigkeiten, welche durch die deutschen Besatzer an der Bevölkerung Litauens begangen worden sind, nicht verharmlost werden. |
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Wie der Historiker [[Eberhard Demm]] festhielt, verzichtet Liulevicius ferner auf polnische und französische Quellen und Darstellungen. Als Beispiel ist die ausführliche 700 Seiten starke zeitgenössische Dokumentation ''La Lithuanie sous le joug allemand 1915–1918. Le plan annexioniste allemand en Lithuanie'' von C. Rivas (Pseudonym für Yvonne Pouvreau) zu nennen. |
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Frühere Untersuchungen über Ober Ost stellen die Werke des litauischen Historikers Abba Strazhas dar. In seiner Monografie ''Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917'' berücksichtigte Strazhas im Speziellen auch die litauische Seite der Besatzung. Ein weiterer, erwähnenswerter Aufsatz von Strazhas ist „The Land Oberost and Its Place in Germany’s Ostpolitik 1915–1918“. Strazhas’ Ausführungen wurden in später geschriebenen Werken über die Geschichte Litauens oftmals übernommen. Seine Darstellungen können als die Weiterführung von in [[Fritz Fischer (Historiker)|Fritz Fischers]] kontroversem Werk ''Griff nach der Weltmacht'' gemachten Aussagen bezüglich der deutschen Ostpolitik gesehen werden. Fischer beschreibt Deutschlands annexionistische Absichten im Baltikum. Weiter stellt er gar eine gewisse Kontinuität zwischen den Zielen des Kaiserreiches und jenen des nationalsozialistischen Regimes her. Solche Linien sind in der Geschichtswissenschaft nicht unumstritten und lösten eine Diskussion über Kontinuität in der Geschichte aus. |
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In Artikeln wie ''Der litauische Landesrat als Instrument der deutschen Ostpolitik'' nimmt Strazhas stellenweise eine national litauische Sichtweise ein, welche von Autoren wie Liulevicius scheinbar kritiklos aus der Sekundärliteratur übernommen wurde. Doch wo liegt die Problematik der Ostfront und speziell von [[Ober Ost]] als praktisch unbeschriebenes Blatt in der Geschichtswissenschaft? Der Schatten des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] lag lange über jenem des Ersten. Sicher muss auch der [[Kalter Krieg|Kalte Krieg]] und der damit erschwerte Zugang zu den Archiven, als ein entscheidendes Kriterium genannt werden. Des Weiteren galt jahrelang der Schwerpunkt jeglicher Forschung im östlichen Raum der Russischen Revolution. Unter Lenin wurden Soldatenfriedhöfe des Zarenreiches zerstört und so der Versuch unternommen, gewisse Ereignisse aus dem Geschichtsbewusstsein der Menschen auszulöschen. Über das Verhältnis von Politik und Geschichtswissenschaft in Bezug auf den Osten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg machte [[Norman Stone]] in dem Vorwort zur zweiten überarbeiteten Version seines Buches folgende Bemerkungen:<ref>[[Norman Stone]]: ''The Eastern Front 1914–1917.'' [[Penguin Books]], London 1998, ISBN 0-14-026725-5, S. 7.</ref> |
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{{Zitat |
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|Text=Whatever you said about the Tsarist Russian army might give you trouble. If you wrote in a positive, patriotic way about it, you might offend against the Communist orthodoxy, by which everything Tsarist was condemned. If, on the other hand, you concentrated on the negative side, you could offend against the nationalist line which emerged with [[Stalin]] and which flourished under [[Leonid Iljitsch Breschnew|Brezhnev]]. Even the obvious sources were quite difficult to obtain; I was told, some years later, that ''The Eastern Front'' was listed in a German catalogue, but could not be read without permission. […] the subject was still, in the seventies, taboo. |
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|Sprache=en |
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|Übersetzung=Alles, was man über die Armee des zaristischen Russlands sagte, konnte einen in Schwierigkeiten bringen. Wenn man auf positive, patriotische Weise darüber schrieb, konnte man gegen die kommunistische Orthodoxie verstoßen, die alles Zaristische verdammte. Wenn man sich andererseits auf die negativen Aspekte konzentrierte, konnte man gegen die nationalistische Parteilinie verstoßen, die mit Stalin aufkam und unter Breschnew erblühte. Selbst die offensichtlichen Quellen waren nur schwer zugänglich; einige Jahre später sagte man mir, dass ''The Eastern Front'' in einem (ost-)deutschen Katalog aufgeführt sei, aber nicht ohne Erlaubnis gelesen werden dürfe. […] das Thema war in den Siebzigern immer noch tabu.}} |
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Der russische Historiker [[Igor Narskij]] konstatiert, dass in Russland der Erste Weltkrieg einen vergessenen Krieg darstellt. Der Krieg wurde von seinen Zeitgenossen als Teil einer siebenjährigen Katastrophe bis zum Ende des Bürgerkriegs 1922 gesehen. In der von der Sowjetunion amtlich durchgesetzten Auseinandersetzung dominiert hierbei die Revolution und der Bürgerkrieg. Innerhalb der Emigrantengemeinde gab es Publikationen über den Krieg, jedoch waren dies meist die Memoiren von Anführern der im Bürgerkrieg geschlagenen Weißen Bewegung. Zahlreiche Archive, unter anderem ein zentrales Archiv mit Soldatenbriefen sind bis heute nicht ausgewertet. Narskij macht die massenhafte Erfahrung militärischer Massengewalt- und -disziplinierung als einen Hauptfaktor für die Gewalt des Bürgerkrieges aus, geprägt durch eine personelle Kontinuität zwischen ehemaligen Frontsoldaten und Angehörigen der staatlichen Repressionsorgane der frühen Sowjetunion.<ref>Igor Narskij: ''Kriegswirklichkeit und Kriegserfahrung Russischer Soldaten'' in Gerhard P. Groß: ''Die vergessene Front, Der Osten 1914/1915 – Ereignis, Wirkung, Nachwirkung'', Paderborn, 2006, S. 258–261.</ref> |
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== Siehe auch == |
== Siehe auch == |
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* [[Chronologie des Ersten Weltkrieges]] |
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*[[Ostfront]] |
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{{Commons|Eastern Front (World War I)|Deutsche Ostfront (Erster Weltkrieg)}} |
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{{EnWikisource|The Russian Situation and Its Significance to America}} |
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== Literatur == |
== Literatur == |
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* Bettine Brand, [[Dittmar Dahlmann]]: ''Streitkräfte (Russland).'' In: [[Gerhard Hirschfeld]], [[Gerd Krumeich]], Irina Renz (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg.'' Paderborn 2003, S. 901–904. |
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* Liulevicius, Vejas Gabriel : ''Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg 1914-1918.'' Hamburg 2002. |
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* Konrad Canis: ''Die deutsche Außenpolitik im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg im Lichte österreichisch-ungarischer diplomatischer Berichte.'' In: Wolfgang Elz, [[Sönke Neitzel]] (Hrsg.): ''Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Winfried Baumgart zum 65. Geburtstag.'' Paderborn 2003, S. 105–126. |
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* Liulevicius, Vejas Gabriel : ''Ober Ost.'' in: Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg'', Zürich 2003, S. 762-763. |
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* Walter Elze: ''Tannenberg. Das deutsche Heer von 1914, seine Grundzüge und deren Auswirkung im Sieg an der Ostfront.'' Breslau 1928, {{DNB|579343197}}. |
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* Rauchensteiner, Manfred: ''Der Tod des Doppeladlers: Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg.'' – Graz, Wien, Köln: Styria, 1993. – ISBN 3-222-12116-8 |
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* William C. Fuller, Jr.: ''The Eastern Front.'' In: Jay Winter, Geoffrey Parker, Mary R. Habeck: ''The Great War and the twentieth century.'' New Haven/ London 2000. |
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* Strazhas, Abba: ''Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915-1917.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1993. ISBN 3-447-03293-6 |
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* [[Imanuel Geiss]]: ''Deutschland und Österreich-Ungarn beim Kriegsausbruch 1914. Eine Machthistorische Analyse.'' In: Michael Gehler: ''Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung; historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert.'' (= ''Historische Mitteilungen.'' Beiheft 15). Stuttgart 1996, S. 375–395. |
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* Stone, Norman: ''The Eastern Front 1914–1917.'' London 1998 |
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* [[Gerhard P. Groß]] (Hrsg.): ''Die vergessene Front. Der Osten 1914/15 Ereignis, Wirkung, Nachwirkung'' (= ''Zeitalter der Weltkriege.'' Band 1). 2. Auflage. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2009, ISBN 978-3-506-75655-8. |
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* Zentner, Christian: ''Der Erste Weltkrieg.'' – Moewig-Verlag, Rastatt 2000. – ISBN 3-8118-1652-7 |
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* [[Sven Hedin]]: ''Nach Osten!'' Leipzig 1916 ([https://archive.org/details/nachosten00hedi/page/n5/mode/2up online] bei [[Archive.org]]) |
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* Elmar Heinz: ''Ostfront 1914–1916.'' In: ''Ära – Das Magazin für Geschichte.'' Heft 1, 2004, S. 50–55. |
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* Rudolf Jeřábek: ''Die Ostfront.'' In: Mark Cornwall (Hrsg.): ''Die letzten Jahre der Donau-Monarchie. Der erste Vielvölkerstaat im Europa des frühen 20. Jahrhunderts.'' 1. Auflage. Magnus Verlag, Essen 2004, S. 155–173. |
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* Vejas Gabriel Liulevicius: ''Der vergiftete Sieg.'' In: Stephan Burgdorff, [[Klaus Wiegrefe]] (Hrsg.): ''Der Erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.'' 2. Auflage. München 2004, S. 105–117. |
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* Vejas Gabriel Liulevicius: ''Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg 1914–1918.'' Hamburg 2002. |
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* Vejas Gabriel Liulevicius: ''Ober Ost.'' In: Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg.'' Zürich 2003, S. 762–763. |
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* E. Moraht: ''Unser Krieg.'' Dritter Band: ''Die Ostfront. Der Krieg an der Ostfront von Kurland bis Konstantinopel.'' Dachau bei München 1916. |
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* Carl Mühlmann: ''Oberste Heeresleitung und Balkan im Weltkrieg 1914–1918.'' Berlin 1942. |
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* Theobald v. Schäfer: ''Tannenberg.'' (= ''Schlachten des Weltkriegs.'' Band 19). Berlin 1927. |
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* [[Norman Stone]]: ''Ostfront.'' In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg.'' Paderborn 2003, S. 762–764. |
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* Norman Stone: ''The Eastern Front 1914–1917.'' London 1998. |
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* Abba Strazhas: ''Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1993, ISBN 3-447-03293-6. |
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* Anton Wagner: ''Zur Entwicklung der Kriegspläne Deutschlands und Österreich-Ungarns gegen Russland bis 1914.'' In: Institut für Österreichkunde (Hrsg.) Mitarbeit: [[Hugo Hantsch]] u. a.: ''Österreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs.'' Graz/ Wien 1964, S. 73–82. |
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* German Werth: ''Tannenberg / Tannenberg-Mythos.'' In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): ''Enzyklopädie Erster Weltkrieg.'' Paderborn 2003, S. 919–920. |
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* Gerhard Wiechmann: ''Von der „Schlacht in Ostpreußen“ zum Tannenberg-Mythos. Eine deutsche Legende.'' In: ''Militärgeschichte.'' Zeitschrift für historische Bildung. 1/2004, S. 10–13. |
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== Weblinks == |
== Weblinks == |
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{{Commonscat|Eastern Front theatre of World War I|Ostfront (Erster Weltkrieg)}} |
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* [http://www.welt.de/data/2004/06/02/285589.html welt.de - Die vergessene Front] |
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* [[s:en:National Geographic Magazine/Volume 31/Number 4/The Russian Situation and Its Significance to America#The Russian Situation and Its Significance to America|WikiSource: National Geographic Magazine Volume 31 Number 4, The Russian Situation and Its Significance to America]] |
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* [http://www.flickr.com/photos/65817306@N00/sets/486575/ flickr.com - Bilder Sammlung] |
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* [https://www.flickr.com/photos/65817306@N00/sets/486575/ Foto-Nachlass eines deutschen Offiziers auf flickr.com] |
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== Einzelnachweise == |
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<references /> |
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[[Kategorie:Militär (Deutsches Reich)|Ostfront]] |
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[[Kategorie:Militärgeschichte (Erster Weltkrieg)|Ostfront]] |
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{{Exzellent|27. März 2006|15059007}} |
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[[en:Eastern Front (World War I)]] |
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[[sl:Vzhodna fronta (prva svetovna vojna)]] |
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[[Kategorie:Konflikt 1914]] |
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[[Kategorie:Konflikt 1918]] |
Aktuelle Version vom 18. April 2025, 07:34 Uhr

Ostfront (1914–1918)
1914
Ostpreußische Operation (Stallupönen, Gumbinnen, Tannenberg, Masurische Seen) – Galizien (Kraśnik, Komarów, Gnila Lipa, Lemberg,
Rawa Ruska) – Przemyśl – Weichsel – Krakau – Łódź – Limanowa–Lapanow – Karpaten
1915
Humin – Masuren – Zwinin – Przasnysz – Gorlice-Tarnów – Bug-Offensive – Narew-Offensive – Großer Rückzug – Nowogeorgiewsk – Rowno – Swenziany-Offensive
1916
Naratsch-See – Brussilow-Offensive – Baranowitschi-Offensive
1917
Aa – Kerenski-Offensive (Zborów) – Tarnopol-Offensive – Riga – Unternehmen Albion
1918
Operation Faustschlag – Krim
Die Ostfront war im Ersten Weltkrieg der Hauptschauplatz der Kriegshandlungen der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn mit Russland. Das Kriegsgebiet umfasste große Teile Osteuropas und reichte nach dem Kriegseintritt Rumäniens 1916 schließlich vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Im Gegensatz zum lange Zeit nahezu statischen Stellungskrieg an der Westfront fanden hier auch in der Mittelphase des Krieges größere Frontverschiebungen statt. Bedingt war dies unter anderem durch den aufgrund der geografischen Lage der Ostfront für die Mittelmächte erleichterten Truppenaustausch mit anderen Kriegsschauplätzen (vgl.: Innere Linie).
Entscheidend wirkte sich jedoch die deutsche Unterstützung der revolutionären Bolschewiki unter Lenin aus, die in der Oktoberrevolution von 1917 die Macht in Russland übernahmen. Starker Druck der Mittelmächte zwang das revolutionäre Sowjetrussland schließlich zum Separatfrieden von Brest-Litowsk vom März 1918, erkauft vor allem durch die Preisgabe der wirtschaftlich bedeutenden Ukraine. Dieser Vorteil für die Mittelmächte wirkte sich vor allem aufgrund des zwischenzeitlichen Kriegseintritts der USA jedoch nicht auf das Ergebnis des Krieges aus. Die Auflösung der Vielvölkerstaaten Russland und Österreich-Ungarn und die Bildung neuer Nationalstaaten im Gefolge des Krieges stellen eine Epochenzäsur in der Geschichte Europas dar.
Ausgangslage im Deutschen Reich
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Planungen der Vorkriegszeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der deutsche Generalstab ging spätestens seit 1905 (vgl. Schlieffen-Plan) davon aus, dass ein großer europäischer Krieg in jedem Falle zugleich gegen Frankreich und Russland (vgl. Zweiverband) geführt werden würde. Der damit gegebenen Gefahr, von Anfang an in einen die eigenen Kräfte zersplitternden und ermattenden Zweifrontenkrieg gezwungen zu werden, sollte mittels einer raschen, durch fast vollständige Konzentration des Heeres gegen Frankreich erzwungenen Entscheidung im Westen begegnet werden. Erst anschließend war eine aktive Kriegführung gegen Russland vorgesehen. Bis dahin sollten schwache Deckungskräfte die preußischen Ostprovinzen soweit möglich verteidigen, wobei im ungünstigsten Fall auch ein Rückzug auf die Linie obere Oder - Festung Posen - untere Weichsel für vertretbar gehalten wurde.[1]
Der Plan für einen die Neutralität oder zumindest die Passivität Frankreichs voraussetzenden „großen Ostaufmarsch“ wurde zwar auch nach 1905 noch Jahr für Jahr aktualisiert, auf Anweisung Moltkes aber im April 1913 ganz zu den Akten gelegt. Damit hatte sich die deutsche Militärführung – ohne Rücksicht auf diplomatische Eventualitäten der Anbahnung und Auslösung eines großen Krieges – auf einen einzigen Kriegsplan festgelegt, der jedem denkbaren Konflikt von vornherein eine kontinentale Dimension verlieh.[2]
Die Frage eines Krieges gegen Russland spielte in den Kalkulationen der zivilen Reichsleitung aus außen- und innenpolitischen Gründen eine weit größere Rolle als in den Überlegungen der auf Frankreich fixierten Militärs,[3] die zuletzt sogar von einer Kriegserklärung an Russland abrieten.[4] Abgesehen von dem Umstand, dass der Kreis um Bethmann Hollweg ohnehin Russland für die größere Bedrohung der deutschen Machtstellung in Europa hielt, kam es dem Reichskanzler in der Julikrise vor allem auf eine diplomatisch tragfähige Absicherung des offensiven deutschen Vorgehens im Westen und die Erschwerung, günstigstenfalls die Verhinderung eines britischen Kriegseintritts an. Dazu aber musste Russland in die Position des Angreifers manövriert werden,[5] der Krieg also „aus dem Osten“ kommen, wie der Kanzler schon am 8. Juli gegenüber Kurt Riezler anmerkte.[6] Gottlieb von Jagow umriss die Logik, die am 1. August 1914 – nachdem die russische Regierung zwar mobilisiert, der deutschen aber „nicht den Gefallen getan hatte, den Krieg zu beginnen“[7] – zur deutschen Kriegserklärung an Russland führte, 1926 in einem Schreiben an einen Mitarbeiter des Reichsarchivs folgendermaßen:
- „Die Aufgabe der Politischen Leitung bestand demnach darin, dieses kriegerische Vorgehen einzuleiten und zu rechtfertigen, und zwar in einer Form, die uns als die 'Angegriffenen' erscheinen lassen konnte, der Angreifer war Russland. Mit Frankreich hatten wir keinen Streit. (...) Mit Belgien lag aber gar kein Konflikt vor, die beabsichtigte Neutralitätsverletzung dieses Landes ließ sich nur durch den Krieg mit Frankreich, und dieser wiederum nur durch den Krieg mit Russland motivieren. Das Vorgehen Russlands war also die Basis, auf der allein das Vorgehen – auch nach Westen – zu begründen war. (...) Der Einmarsch in Belgien ließ sich nur durch den Krieg mit Frankreich, dieser nur durch den Krieg mit Russland rechtfertigen. War kein Krieg mit Russland, so bestand überhaupt kein Anlass für uns zum Kriege im Westen.“[8]
Zudem hielt Bethmann Hollweg den Krieg mit Russland auch aus Rücksicht auf die Anhängerschaft der Sozialdemokratie für erwünscht: Dieser sei, so glaubte er, ein Aggressionskrieg im Westen ohne gleichzeitigen „Verteidigungskrieg“ gegen den „reaktionären Zarismus“ nicht zu vermitteln, schwere innere Spannungen wären in einem solchen Fall unausweichlich die Folge.[9] Albert Ballin, der den Reichskanzler wenige Stunden vor der Absendung der Kriegserklärung an Russland nach dem Grund für dessen Eile in dieser Angelegenheit („Ich muss meine Kriegserklärung an Russland sofort haben!“) fragte, erhielt von Bethmann Hollweg zur Antwort: „Sonst kriege ich die Sozialdemokraten nicht mit.“[10]
Kriegsziele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die im Rahmen des Krieges gegen Russland zu verfolgenden Zwecke wurden im Laufe längerer komplexer Auseinandersetzungen, an denen sich neben der zivilen Reichsleitung auch die OHL sowie private und politische Interessengruppen intensiv beteiligten, bestimmt. Dabei wurden selbst innerhalb ansonsten sozial und politisch homogener Milieus zum Teil diametral entgegengesetzte Positionen vertreten: So engagierten sich exponierte Vertreter des ostelbischen Adels im Rahmen des Alldeutschen Verbandes und der Vaterlandspartei für ein extremes Annexionsprogramm, das unter anderem den Anschluss der russischen Ostseegouvernements an das Königreich Preußen vorsah, während sich ein nennenswerter Teil des märkischen, pommerschen und ostpreußischen Adels von Anfang an recht deutlich für einen Kompromissfrieden, die Schonung der russischen „Standesgenossen“ und die Wiederherstellung der „in seinem Sinne guten“[11] deutsch-russischen Beziehungen des 19. Jahrhunderts aussprach. Bethmann Hollweg hielt zwar eine deutliche Schwächung und „Zurückdrängung“ Russlands für grundsätzlich wünschenswert, verfolgte aber mindestens bis zum Sommer 1915 mehr oder weniger energisch auch den Gedanken eines Separatfriedens im Osten, der den Status quo ante – abgesehen von einigen für durchsetzbar gehaltenen „Sicherungen und Garantien“ – wiederhergestellt hätte. Im November 1914 sowie im Februar und Juli 1915 ließ er über den dänischen König Christian X. und dänische Diplomaten entsprechende Vorstöße in Petrograd unternehmen (die aber trotz relativer Aufgeschlossenheit des Zaren durch das Übergewicht der russischen Kriegspartei um Außenminister Sasonow durchkreuzt wurden).[12]
Auch Erich von Falkenhayn blieb – im Grunde nachdrücklicher als der Kanzler – bis zu seinem Sturz im August 1916 Verfechter eines deutsch-russischen Verständigungsfriedens, dessen Erfolgsaussichten er freilich seit Ende 1915 aufgrund des trotz großer deutscher Erfolge erklärten Willens der russischen Führung zum Weiterführen des Krieges an der Seite der Entente, ernüchtert beurteilte[13], obgleich er die Hoffnung auf einen solchen Frieden nicht vollkommen aufgeben wollte[14]. Eine schnell wachsende und schließlich ausschlaggebende Gruppe im und neben dem Auswärtigen Amt plädierte dagegen schon seit Anfang August 1914 für eine Politik, die – unter der Voraussetzung einer ausreichend schwerwiegenden militärischen Niederlage Russlands – auf eine völlige „Dekomposition des russischen Reiches“[15] hinauslief. Protagonisten dieser Richtung waren neben Gottlieb von Jagow in erster Linie der Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann, der vom Auswärtigen Amt in die Sektion Politik des Stellvertretenden Generalstabs abgestellte Rudolf Nadolny, der in der Zentralstelle für Auslandsdienst angestellte und dem Kreis um Hans Delbrück und Friedrich Naumann eng verbundene einflussreiche liberale Publizist Paul Rohrbach sowie die Professoren Theodor Schiemann und Johannes Haller.[16]
Dieser Ansatz sah vor, durch energische ideologische, materielle und finanzielle Förderung mehr oder weniger stark ausgeprägter nationalistischer, autonomistischer und separatistischer Tendenzen – der Finnen, Esten, Letten, Litauer, Polen, Juden, Belarussen, Ukrainer, Krimtataren, Kubankosaken und verschiedener Kaukasusvölker – eine dauerhafte „Desintegration“ Russlands zu inszenieren, die zunächst dessen Kriegsanstrengungen lähmen und anschließend, in einem Friedensvertrag festgeschrieben, zur Grundlage des Aufbaus neuer, an Deutschland angelehnter Staatswesen werden sollte. Rohrbach und andere spielten am Rande auch mit dem Gedanken einer „Germanisierung“ des Baltikums.[17] Auf Anregung Zimmermanns fand sich das Auswärtige Amt ab Herbst 1915 außerdem dazu bereit, in gewisser Weise die Tätigkeit russischer Revolutionäre zu fördern, also die nationalistische „Dekomposition“ durch eine soziale „Revolutionierung“ Russlands zu ergänzen.[18]
Insbesondere das Ausmaß deutscher finanzieller Unterstützung für die Bolschewiki war jahrzehntelang Gegenstand (nicht nur) wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Die immer wieder behauptete politische und finanzielle Abhängigkeit der Bolschewiki von deutscher Unterstützung gilt in der Fachliteratur inzwischen als „Mythos“,[19] wurde und wird aber in populärwissenschaftlichen und journalistischen Veröffentlichungen – vor allem im deutschen Sprachraum – auch in jüngerer Zeit umfangreich thematisiert.[20] Eine herausragende Rolle spielte in allen amtlichen und öffentlichen Kriegszieldiskussionen in Deutschland bis zuletzt die „polnische Frage“, die sich auch zum „Schlüssel für das Verständnis der Beziehungen zwischen Wien und Berlin im ersten Weltkrieg“[21] entwickelte.
Ausgangslage in Österreich-Ungarn
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Zustand der Streitkräfte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Militär Österreich-Ungarn setzte sich neben der von beiden Reichsteilen beschickten Gemeinsamen Armee aus der k.k. Landwehr der österreichischen und der k.u.-Honved der ungarischen Reichshälfte zusammen. Diese politische Dreigliederung sorgte für eine Schwerfälligkeit der Militärpolitik innerhalb der Donaumonarchie. Das Offizierkorps der Gemeinsamen Armee und auch im Verteidigungsministerium dominierten Deutschösterreicher innerhalb der führenden Positionen. Unter den Militärs der Großmächte war die österreichisch-ungarische Armee jedoch die kleinste. Die Mobilisierungsstärke betrug rund 1,8 bis 2 Millionen Mann. Das Offizierkorps hatte aufgrund schlechter Bezahlung starke Nachwuchsschwierigkeiten. Die Militärausgaben waren seit 1870 von 29,1 % auf 19,7 % des Budgets verringert worden. Die Streitkräfte waren bewusst unterfinanziert, so dass nur rund 29 % der Wehrpflichtigen tatsächlich Dienst in Friedenszeiten leisten musste. Russland und das Deutsche Reich kamen hier auf rund 40 %. Frankreich sogar auf 86 %. Auch sorgten Querelen innerhalb der politischen Führung und des Offizierskorps zur Verzögerung von Modernisierungsmaßnahmen bei Bewaffnung und Ausrüstung.[22]
Planungen der Vorkriegszeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der 1879 geschlossene Zweibund sorgte für eine Bindung Österreich-Ungarns an das Deutsche Reich. Innerhalb der österreichisch-ungarischen Führung bestand jedoch durchaus ein Zwiespalt im Verhältnis zu Deutschland, da die Elite der Donaumonarchie Bevormundung durch den mächtigeren Verbündeten befürchtete. Der 1882 geschlossene Dreibund stellte eine formale Allianz mit Italien dar, jedoch war das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Italien so fragil, dass die österreichische Führung bestenfalls mit einer italienischen Neutralität rechnete. Die ab 1907 stattfindende Annäherung zwischen Russland und dem Vereinigten Königreich führten zur Konstellation eines Zweifrontenkrieges der Mittelmächte gegen Frankreich und England auf der einen und Russland und dem Königreich Serbien auf der anderen Seite.[23]
Gemeinsame Vorkriegsplanungen innerhalb der Mittelmächte fehlten. Es gab Absprachen zwischen den Generalstabschefs Moltke und Conrad, jedoch blieben diese sehr oberflächlich. Österreich-Ungarn wurde die Rolle zugedacht drei bis vier Wochen am Balkan und gegen Russland die Stellung zu halten, bis die deutsche Armee Frankreich besiegt hätte. Die österreichische Führung ordnete sich dem Schlieffen-Plan unter, der österreichische Generalstabschef Conrad von Hötzendorff plante jedoch falls möglich selbst zuerst Serbien auszuschalten um sich dann erst Russland zuzuwenden. Im Kriegsfall mit Russland sah die Planung der Gemeinsamen Armee in Galizien die A-Staffel mit drei Armeen gegen Russland in Stellung zu bringen. Eine Minimalgruppe Balkan sollte gegen Serbien in Stellung gebracht werden. Je nach Lage sollten die in der B-Staffel zusammengesetzten Reserven, welche eine Armee umfasste, entweder gleich gegen Russland oder zunächst gegen Serbien zur Wirkung gebracht werden. Die schwerpunktmäßig im Mittelmeer operierende k.u.k.-Kriegsmarine hatte sich mit der Aufstellung einer Donauflottille gegen Serbien auf den Krieg vorbereitet. Über diesen Fall hatte der k.u.k.-Generalstab keine weiteren Planungen, die weitere Strategie des Krieges blieb der deutschen Führung überlassen.[24]
Die russische Seite war aufgrund der Agententätigkeit des österreichischen Obersten Alfred Redl von 1907 bis 1913 über die Planungen Österreich-Ungarns detailliert im Bilde. Da die Pläne von 1913 bis zum Kriegsausbruch jedoch auch fortwährend verändert wurden, blieb der eigentliche Geheimnisverrat nur mit geringen Folgen. Vielmehr behinderte die Agententätigkeit die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der Donaumonarchie, da durch Redls Tätigkeit von russischer Seite eine effiziente Gegenspionage betrieben werden konnte.[25]
Ausgangslage im Russischen Reich
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Planungen der Vorkriegszeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das russische Reich hatte nach dem verlorenen Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 seine imperialistischen Bestrebungen in Asien aufgeben müssen und konzentrierte sich deshalb besonders auf den Balkan. Der Panslawismus, das Ziel, alle slawischen Völker zu vereinigen, brachte das Zarenreich zwangsläufig in einen Konflikt mit Österreich-Ungarn und dessen deutschen Verbündeten. Ebenso strebte man die Erringung eines freien Zugangs zum Mittelmeer und eines permanent eisfreien Hafens an der Ostsee an. Das an das russische Herrschaftsgebiet angrenzende Ostpreußen und ein Teil Westpreußens sollten annektiert werden. Für den Zugang zum Mittelmeer musste die Hoheit über den Bosporus gewonnen werden, was die russische Regierung zwangsweise in einen Konflikt mit dem Osmanischen Reich bringen würde, dessen weitere Existenz damit in Frage gestellt war.
Die russische Militärdoktrin erlebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Wendepunkt. Die russische Heeresführung hatte trotz der Bindung an Frankreich seit 1893 einen defensiven Standpunkt eingenommen. Es sollte hinter der Weichsel ein Verteidigungskrieg geführt werden. Die von drei Seiten durch Deutschland und Österreich-Ungarn umschlossenen und daher schwer zu verteidigenden westpolnischen Gebiete sollten vorläufig preisgegeben werden. Das änderte sich, als der russische Kriegsminister Suchomlinow im Jahre 1910 den Plan No. 19 verabschiedete. Dieser sah einen Vorstoß der Russen auf deutsches Territorium vor, um Frankreich von einem wahrscheinlichen Angriff im Zuge des Schlieffen-Plans zu entlasten. Der führende militärische Berater des Ministers Juri Danilow hatte für diesen Vorstoß Ostpreußen ausersehen, da es sowohl von Süden als auch von Nordosten angegriffen werden konnte. Sehr zur Unzufriedenheit seiner Schöpfer verhinderten die politischen und sozialen Rivalitäten innerhalb der Armee des Zaren die volle Durchsetzung des Plans.
Stattdessen trat eine Kompromisslösung in Kraft: die Aufspaltung der russischen Kräfte auf zwei Armeegruppen, jeweils eine gegen Deutschland und gegen Österreich-Ungarn. Der angepasste Plan stellte zwei Armeen für den Einmarsch auf den deutschen Gebietsvorsprung zur Verfügung. Die I. Armee (Njemen-Armee) unter General Paul von Rennenkampff sollte von der Memel vorstoßen, während die II. Armee (Narew-Armee) unter General Alexander Samsonow von Süden anmarschieren sollte. Zur gleichen Zeit sollte die Südwestfront unter Nikolai Iwanow in Galizien gegen die Donaumonarchie vorgehen.
Soziale und politische Lage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die gesellschaftliche Lage im Zarenreich war seit langem kritisch, der größte Teil der Menschen lebte in Armut. Die vom Zaren betriebene Autokratie sorgte für Unzufriedenheit bis in die Bürger- und Adelsschichten.
Nach dem Russisch-Japanischen Krieg und in der folgenden Rezession war es zur Russischen Revolution von 1905 gekommen. Die Intellektuellen stellten zudem Forderungen nach größerer Freiheit. Der Zar büßte im Inland an Autorität ein und konnte einen Umsturz nur durch Zugeständnisse an die Bevölkerung verhindern (Oktobermanifest). So entstand die Duma als erste russische Volksvertretung. Sie besaß durch die Verfassung kaum effektive Einflussmöglichkeiten. Doch kam ihr durch die expandierende Presse großer propagandistischer Einfluss auf das Volk zu. Dies schränkte die Handlungsfreiheit der Regierung des Reiches immer stärker ein, da die liberalen Abgeordneten die fundamentale Gegnerschaft zum Staat salonfähig machten. Sie bereiteten in dieser Hinsicht den extrem gewalttätigen linken Gruppen der Oktoberrevolution den Boden.
Dieser Gegensatz wurde durch die reaktionäre Politik des Zaren und sein Unverständnis für eine Modernisierung der politischen Struktur noch weiter verschärft. Somit wandelte sich Russland immer mehr zu einer schwachen Autokratie mit instabiler Regierung, die ständig auf die Strömungen einer ihr feindlich gesinnten Öffentlichkeit Rücksicht nehmen musste. Zwar wurde auch in Russland 1914 eine Art Burgfrieden geschlossen, doch er währte aufgrund der militärischen Rückschläge nicht lange.
Bereits 1915 wuchs der Unmut im Parlament immer weiter, und es kam zu Spannungen in der Duma, so dass der Zar diese auflöste und Abgeordnete trotz Immunität polizeilich verfolgen ließ. Es kam während der folgenden Jahre zu Demonstrationen und Streiks im gesamten Land, bis hin zur Februarrevolution 1917.
Kriegsjahr 1914
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mobilisierung und Aufstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mittelmächte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wie in den Vorkriegsplanungen vorgesehen, versammelte die deutsche Oberste Heeresleitung nach der Kriegserklärung an Russland (1. August) im Osten zunächst nur einen einzigen Großverband, die 8. Armee (10 1/2 Infanterie-Divisionen, 1 Kavallerie-Division) in Ostpreußen. Das Armeeoberkommando wurde von der OHL grundsätzlich auf die strategische Defensive festgelegt, gleichzeitig war ihm aber gestattet, nach Beginn des erwarteten russischen Vormarsches örtlich begrenzt offensiv zu werden, wenn günstige Aussichten – etwa im Bereich der Masurischen Seen – bestanden; außerdem erhielt es vorab die Erlaubnis, im „äußersten Notfalle (...) Preußen östlich der Weichsel“[26] aufzugeben.
Das österreichisch-ungarische Oberkommando bildete in Galizien die 1., 3. und 4. Armee sowie die Armeegruppe Kövess (zusammen 37 1/2 Infanterie-Divisionen und 12 Kavallerie-Divisionen), während die 5. und die 6. Armee gegen Serbien und Montenegro aufmarschierten (die gleichfalls hierfür vorgesehene 2. Armee wurde schließlich nach Galizien umdirigiert, traf aber erst nach Beginn der Operationen ein); es entschied, nach Abschluss des Aufmarsches mit der 1. und 4. Armee die im Raum Lublin-Cholm versammelten russischen Truppen anzugreifen, die restlichen Verbände sollten diesen Vorstoß durch Offensivhandlungen nach Osten und Nordosten decken. Im Rahmen dieser Konzeption spielte eine gewisse Rolle, dass Helmuth von Moltke dem österreich-ungarischen Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf 1909 einen von Ostpreußen ausgehenden, zeitlich koordinierten deutschen Vorstoß Richtung Siedlce zugesagt hatte. Irgendwelche praktischen Schritte in dieser Richtung wurden von deutscher Seite jedoch nicht unternommen; über die tatsächlichen Dispositionen und die hierfür völlig unzureichende Stärke der 8. Armee wurden die Österreicher nicht informiert, stattdessen drängte der deutsche Verbindungsoffizier im k.u.k. Hauptquartier, Hugo von Freytag-Loringhoven, Conrad wiederholt zu Offensivaktionen (zu denen dieser ohnehin neigte).[27] Inwieweit die nicht eingehaltene Zusage für den Entschluss zum Angriff ausschlaggebend – und damit für die nachfolgende Katastrophe indirekt verantwortlich – war, wurde schon während des Krieges intern und nach dem Krieg öffentlich kontrovers diskutiert.
Eine durchgehende „Front“ im Sinne der späteren Bedeutung des Wortes bestand im Osten vor allem auf Seiten der Mittelmächte in den ersten Kriegsmonaten noch nicht. Das österreichisch-ungarische Aufmarschgebiet im Süden – für die Donaumonarchie der Hauptkriegsschauplatz – und das deutsche im Norden – in den Augen der OHL generell und gerade zu Kriegsbeginn ein Nebenkriegsschauplatz – waren weder geografisch noch operativ miteinander verbunden. Der größte Teil der deutsch-russischen Grenze – insbesondere in den Provinzen Schlesien, Posen und Westpreußen – wurde zunächst nur durch schwache Sicherungskräfte zweiten und dritten Ranges (vgl. Landwehrkorps) gedeckt. Österreich-Ungarn bot abseits des Hauptkriegsschauplatzes 2 1/2 Infanterie-Divisionen und eine Kavallerie-Division zur Deckung Krakaus auf.
Russland
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das russische Oberkommando (vgl. Stawka) unter Leitung des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch bildete eine gegen Ostpreußen gerichtete Nordwestfront (1. und 2. Armee, zu Beginn der Kämpfe 19 Infanterie- und 8 Kavallerie-Divisionen) und eine gegen Galizien gerichtete Südwestfront (3., 4., 5. und 8. Armee, zu Beginn der Kämpfe 46 Infanterie- und 18 Kavallerie-Divisionen). Außerdem begann es nach wiederholtem Drängen Großbritanniens und Frankreichs schon am 7. August mit der Aufstellung zweier weiterer Armeen (der 9. und der 10.) in Zentralpolen, mit denen Vorstöße gegen Breslau bzw. Posen unternommen werden sollten. Dafür zog es vor allem Truppen heran, die ursprünglich für die Nordwest- und die Südwestfront vorgesehen waren. Wenig günstig war zudem, dass der russische Oberbefehlshaber den Vertretern der westlichen Alliierten versichert hatte, nach Ablauf des 15. Mobilmachungstages mit beiden Fronten zu offensiven Aktionen gegen die Mittelmächte in der Lage zu sein. Großbritannien und Frankreich bestanden im kritischen Augenblick darauf, diese Zusage umzusetzen, obwohl insbesondere der Aufmarsch gegen Österreich-Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abgeschlossen war.[28]
Kriegsverlauf
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Um das oberschlesische Industriegebiet besser abschirmen zu können, besetzten deutsche Truppen am 3. August Tschenstochau und Kalisch. Letzteres wurde – als „Vergeltung“ für angebliche Übergriffe der Zivilbevölkerung – am 7./8. August mit Artillerie beschossen und brannte zu großen Teilen nieder (Zerstörung von Kalisz).[29] Mit dem am 17. August beginnenden Eindringen der russischen 1. Armee nach Ostpreußen setzten im Osten die Operationen von strategischer Bedeutung ein (vgl. Gefecht bei Stallupönen). Die russische 2. Armee überschritt die deutsche Grenze zwei Tage später. Nach der deutschen Niederlage bei Gumbinnen (19.–20. August) wurden der Oberbefehlshaber und der Stabschef der 8. Armee, die in einem Telefongespräch mit der OHL bezweifelt hatten, dass die Weichsellinie zu halten sein würde, abgelöst und durch Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff ersetzt. Gleichzeitig entschied Moltke, die 8. Armee durch zwei aus dem Westen abzuziehende Armeekorps zu verstärken. Noch bevor diese Truppen eintrafen, konnte die 8. Armee die russische 2. Armee in der Schlacht bei Tannenberg (23.–31. August) fast vollständig zerschlagen. Wenig später unterlag in der Schlacht an den Masurischen Seen (8.–10. September) auch die russische 1. Armee, die sich anschließend über die Grenze zurückzog.
Damit war der russische Vorstoß gegen Ostpreußen gescheitert. Eine weitere, in ihrer Zielsetzung begrenztere russische Offensive führte zwei Monate später zwar zur vorläufigen Besetzung der östlichen Teile Ostpreußens, lief sich Mitte November aber in den inzwischen stark ausgebauten deutschen Stellungen entlang der Angerapp und der Masurischen Seen fest. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Schwerpunkt der deutsch-russischen Front bereits nach Süden verlagert.
Während sich die russischen Truppen Mitte September aus Ostpreußen zurückzogen, operierten die gegen Österreich-Ungarn aufgebotenen Armeen weitaus erfolgreicher. Da die russische Südwestfront und die k.u.k. Armeen ihre offensiven Operationen fast gleichzeitig begannen, entwickelten sich in der zweiten Augusthälfte mehrere große Begegnungsschlachten, an denen hunderttausende Soldaten beteiligt waren (→ Schlacht in Galizien). Trotz der österreichischen Siege bei Kraśnik (22.–25. August) und Komarów (26.–31. August) und anfänglich aussichtsreichem Vordringen der k.u.k. Truppen südlich Lublin wendete sich schon Ende August das Blatt. Nach mehreren Niederlagen vor allem auf dem rechten Flügel (Schlacht bei Złoczów am 26./27. August, Schlacht bei Brzeżany am 26. August) und dem Verlust Lembergs (30. August) befahl Conrad seinen bereits schwer angeschlagenen Armeen eine Gegenoffensive, die in der Schlacht bei Lemberg (7.–11. September) scheiterte. Am 11. September musste das österreichisch-ungarische Oberkommando den allgemeinen Rückzug befehlen. Dieser war stellenweise von Auflösungserscheinungen begleitet; etwa 100.000 Soldaten gaben sich gefangen, erst östlich von Krakau und im Vorfeld der Karpaten kam die Absetzbewegung – begünstigt durch das zögerliche Nachrücken der ebenfalls stark geschwächten russischen Truppen – zum Stehen. Die Festung Przemyśl, in der mehrere Divisionen eingeschlossen waren, lag nun weit im russischen Hinterland (→ Belagerung von Przemyśl). Für dieses Desaster – neben den Gefangenen wurden 322.000 Tote und Verwundete verzeichnet, zudem waren aufgrund des fluchtartigen Abrückens große Mengen Kriegsmaterial und etwa 1.000 dringend benötigte Lokomotiven verlorengegangen – machten die Wiener Regierung und das Armeeoberkommando in erster Linie die „arglistige Täuschung“[30] durch ihren Bundesgenossen verantwortlich.
Für den Fall, dass weiterhin Maßnahmen zur Unterstützung der österreichisch-ungarischen Kriegführung ausblieben, wurde der deutschen Seite – der Conrad am 5. September vorwarf, seine Truppen „im Stich gelassen“ und stattdessen lieber die „Gestüte in Trakehnen und die Hirschjagden in Rominten“[31] geschützt zu haben – indirekt mit einem Sonderfrieden gedroht. Die OHL war allerdings ohnehin zum Handeln gezwungen, da sich durch den russischen Aufmarsch in Zentralpolen nun eine ernste Bedrohung der preußischen Provinzen Schlesien und Posen abzeichnete. Sie bildete aus Teilen der 8. Armee, Reserven und Zuführungen aus dem Westen in Oberschlesien die neue 9. Armee, die zusammen mit der österreich-ungarischen 1. Armee gegen Warschau und Iwangorod vorgehen sollte. Dieser Vorstoß begann am 28. September und gipfelte in der Schlacht an der Weichsel, in der die deutsch-österreichische auf die am 5. Oktober begonnene russische Offensivbewegung traf. Anfang Oktober begannen auch die österreich-ungarischen Armeen in Galizien eine Offensive, die anfänglich erfolgreich war und vorübergehend zur Aufhebung der Einschließung Przemyśls führte. Bis Ende Oktober waren jedoch beide Angriffsoperationen vollständig gescheitert, die Kriegführung der Mittelmächte geriet erneut in eine schwere Krise.

Zur besseren Koordination der deutschen Operationen im Osten wurde am 1. November eine neue Kommandobehörde gebildet (Oberbefehlshaber Ost, kurz Ober Ost oder Oberost), an deren Spitze Hindenburg und Ludendorff berufen wurden. Ihr wurden neben der 8. und 9. Armee alle deutschen Verbände und militärischen Dienststellen in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Posen und Schlesien unterstellt. Oberost agierte von Beginn an „fast unbeschränkt selbständig“[32] und entwickelte sich bald zu einem militärisch-politischen Zentrum der Verfechter einer besonders aggressiven und weitreichenden deutschen Kriegführung und Kriegszielplanung. Hindenburg und Ludendorff entschlossen sich nach dem Erlahmen der russischen Offensive, aus dem Raum Hohensalza-Thorn heraus einen riskanten Vorstoß in die Flanke der russischen Südwestfront zu führen. Dazu verlegten sie per Eisenbahn binnen weniger Tage die Masse der 9. Armee nach Norden. Der für die russische Seite völlig überraschende Angriff begann am 11. November und führte nach wechselvollen Kämpfen (→ Schlacht um Łódź) zur deutschen Besetzung von Łódź (6. Dezember).
Während und nach dieser Operation entwickelte sich die erste einer Reihe von schweren Auseinandersetzungen zwischen Oberost und der neuen OHL um Erich von Falkenhayn. Hindenburg, Ludendorff und deren wichtigster Mitarbeiter Max Hoffmann warfen Falkenhayn vor, durch die Verweigerung weiterer Truppenzuführungen und die Fortsetzung der deutschen Angriffe im Westen (→ Erste Flandernschlacht) eine kriegsentscheidende Niederlage Russlands verhindert zu haben. Falkenhayn bewertete die Situation dagegen weitaus zurückhaltender und hielt allenfalls ein Zurückdrängen der russischen Truppen auf Warschau für möglich. Unterdessen errangen österreich-ungarische Truppen in der Schlacht bei Limanowa–Lapanow (5.–15. Dezember) einen Sieg gegen auf Krakau vorstoßende russische Truppen und warfen diese auf Gorlice und hinter den Dunajec zurück. Ein deutscher Vorstoß in Nordpolen kam in der zweiten Dezemberhälfte an der Rawka zum Stehen. Damit war am Jahresende auch im Osten eine durchgehende, aber bei weitem nicht so stark wie im Westen ausgebaute Stellungsfront entstanden, die im Norden am Kurischen Haff begann, östlich Tilsit, Gumbinnen, Lötzen und Johannisburg Ostpreußen von Nord nach Süd durchzog, in Russisch-Polen scharf nach Südwesten abbog, sich bei Płock wieder nach Süden wandte, nordwestlich von Tarnów österreichisches Territorium erreichte, in südöstlicher Richtung quer durch die Karpaten führte und schließlich südlich des von russischen Truppen besetzten Czernowitz auf die rumänische Grenze traf.
Die operativen Anfangsplanungen Russlands und Österreich-Ungarns waren am Jahresende gescheitert, während die deutsche Seite ihr zu Kriegsbeginn formuliertes Hauptziel – die defensive Behauptung der deutschen Ostgebiete – fast vollumfänglich erreicht hatte. Das verbündete österreichisch-ungarische Heer hatte indes Schläge hinnehmen müssen, von denen es sich in der Folge nie wieder ganz erholte. Bis Ende 1914 hatte es an Toten, Verwundeten, Kranken, Gefangenen und Vermissten 1,269 Millionen Mann verloren, davon etwa eine Million Mann an der russischen Front.[33]
Diese Ausfälle konnten mit Anstrengungen zwar quantitativ, aber nicht qualitativ – sie hatten insbesondere die Linienregimenter der Vorkriegszeit getroffen – ersetzt werden. Mit Ostgalizien und der Bukowina waren fruchtbare Agrargebiete und wichtige Ölfelder verlorengegangen. Nur die alles andere als gesicherte Verteidigung der Karpatenpässe hielt die russischen Truppen noch von einem Vorstoß in die ungarische Tiefebene ab (→ Winterschlacht in den Karpaten).
Die militärische und politische Abhängigkeit der k.u.k. Monarchie von Deutschland hatte sich so bis zum Jahresende weiter verstärkt, während parallel der Einfluss der Entente auf die Haltung Italiens und Rumäniens gegenüber dem geschwächten Österreich-Ungarn stark zugenommen hatte. Da durch die entstandene Lage die reale Gefahr einer vollständigen Niederlage der Donaumonarchie bestand, sah sich die OHL gezwungen, 1915 wesentlich stärkere Kräfte als bislang im Osten zu konzentrieren und im Westen insgesamt defensiv zu bleiben.
Kriegsjahr 1915
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Das Jahr 1914 hatte für die Mittelmächte eine prekäre Lage hinterlassen. Zwar waren die Angriffe der Nordwestfront gegen Ostpreußen abgewehrt worden. Die zweite russische Heeresgliederung, die Südwestfront unter Nikolai Iwanow hatte allerdings gegen Österreich-Ungarn einen Sieg errungen. Aufgrund von Querelen innerhalb der Führung und des veralteten taktischen Niveaus der k.u.k. Armee war es den Russen gelungen, fast ganz Galizien zu erobern und in die Karpaten vorzudringen. Damit stand die Donaumonarchie vor einer ernsthaften strategischen Bedrohung, da die Streitkräfte des Zaren mit einem Stoß durch die Karpaten in die Ungarische Tiefebene eindringen konnten.
Am deutschen Frontabschnitt ergab sich allerdings nach den Siegen von 1914 eine weitere Entlastung. Die Nordwestfront der Russen unter General Nikolai Russki plante einen neuen Vorstoß nach Ostpreußen. Zwar war man durch die Verluste des Vorjahrs geschwächt und hatte nur noch eine einsatzfähige Armee an der deutschen Grenze postiert. Dank der großen Reserven an Menschen und Material wollte Russki allerdings im Süden der deutschen Provinz eine neue Armee aufstellen. Mit diesen Kräften sollte analog zu dem Vorgehen, das zum deutschen Sieg in Tannenberg geführt hatte, ein Doppelschlag gegen Königsberg geführt werden. Die deutschen Truppen wurden aber durch eine neu aufgestellte Armee verstärkt und konnten nun mit zwei Armeen die noch verbliebene russische Armee unter Thadeus von Sievers an ihren Flanken angreifen und sie über einhundert Kilometer zurückschlagen (→ Winterschlacht in Masuren). Die neue russische Armee war bis zum Ende der Schlacht noch nicht einsatzfähig und griff nicht in die Gefechte ein. Durch diesen Erfolg hatte das deutsche Führungsduo Hindenburg und Ludendorff einen breiten Puffer gegen das Zarenreich geschaffen und die sieben Monate lange Gefährdung Ostpreußens durch russische Angriffe gebannt. Ein Zusammenbrechen der russischen Front konnte allerdings nicht erreicht werden, ebenso wenig ein Erfolg in Polen.

Der österreichische Heeresbefehlshaber Conrad von Hötzendorf begegnete der Gefahr für Ungarn im Dezember 1914 und befahl eine Offensive in den Bergen nördlich des magyarischen Kernlands. Diese Winterschlacht in den Karpaten brach jedoch bis zum März 1915 zusammen. Aufgrund der winterlichen Witterung und der starken Verteidigung ihrer Gegner verlor die k.u.k. Armee über 300.000 Soldaten.
Diese Verluste wogen für Österreich-Ungarn doppelt schwer. In der Vorkriegszeit waren wegen finanzieller Erwägungen nur 20–25 % der Dienstpflichigen überhaupt in die Armee eingezogen worden. Davon erhielt auch nur ein Zehntel die vollständige militärische Ausbildung. Somit konnte die Armee nur auf unzureichend ausgebildete Reserven zurückgreifen, um ihre Verluste zu ersetzen.
Analog zu den Mannschaften erwiesen sich die hohen Verluste an Offizieren als weiteres fatales Minus für die Kampfkraft des Heeres. Die altgedienten Offiziere wurden durch rasch ausgebildete Neulinge ersetzt. Diese neue Generation militärischen Führungspersonals war oft unfähig, die ethnisch heterogenen Truppen zu führen. Daraus folgte langfristig eine Entfremdung der slawischen Soldaten von ihren Befehlshabern. Nach dem von Conrad von Hötzendorf propagierten Befreiungsschlag stand Österreich vor dem Kollaps, die eigene Armee war demoralisiert und geschwächt, und die Russen standen weit im Reichsgebiet. Tatsächlich sollte die Winteroffensive in den Karpaten die letzte selbstständige Operation der k.u.k.-Streitkräfte werden. Von diesem Zeitpunkt an wurde die österreichische Armee immer mehr zum Juniorpartner ihres deutschen Verbündeten. Durch eine immer stärker werdende Verzahnung mit deutschem Führungspersonal sollte die militärische Kraft des Habsburgerstaats erhalten bleiben. Dies begann durch Hinzuziehung deutscher Truppen und deutschen Stabspersonals und setzte sich bis zum Kriegsende sogar, wenn auch in geringerem Ausmaß, bis zum Einsatz deutscher Unteroffiziere fort.
Bereits im Januar 1915 wandte sich General Ludendorff an den Befehlshaber der Obersten Heeresleitung, Erich von Falkenhayn und forderte ein deutsches Eingreifen, um den Zusammenbruch des Verbündeten zu verhindern. Ludendorff schlug eine doppelte Umfassung über den Bereich der ganzen Ostfront vor, bei dem die Österreicher von Südwesten und die Deutschen von Nordwesten die russischen Truppen in Polen in einem mehrere hundert Kilometer tiefen Kessel einschließen sollten. Falkenhayn befand diesen Plan als zu unsicher und wollte dafür keine Truppen von der Westfront abziehen. Er favorisierte einen Plan, den Conrad von Hötzendorf aufgestellt hatte. Das Ziel des Angriffs sollte eine Schwachstelle in der III. Armee der russischen Südwestfront in Südgalizien sein. An diesem schwach verteidigten Frontabschnitt wollte der österreichische Heereschef eine möglichst große zahlenmäßige Überlegenheit konzentrieren, um einen Durchbruch zu erzielen. Diese klassische Planung clausewitzschen Typs hieß Falkenhayn gut, er bezweifelte nur die Fähigkeit der Österreicher, sie auch durchzuführen. Zur Unterstützung der Donaumonarchie entsandte er die 11. Armee unter August von Mackensen, wodurch das Deutsche Reich zahlenmäßig den Hauptteil der Kräfte für die Operation stellte. Das Unternehmen ging als Schlacht von Gorlice-Tarnów in die Geschichte ein und brachte die Wende an der Ostfront. Die russische Front brach infolge des deutschen Durchbruchs zusammen und die russische Armee musste Polen vollkommen räumen, bevor sie wieder aus ihrer Desorganisation fand.
Russische Munitions- und Führungskrise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der Katastrophe bei Gorlice-Tarnów zog sich das Heer des Zaren zunächst an den Fluss San zurück, doch auch diese Stellungen konnten nicht gehalten werden. Die russische Armee musste ganz Polen räumen, da es der Stawka unmöglich war, die Verluste auszugleichen und die Frontlinie zu konsolidieren. Dieses Manöver in Richtung des Landesinneren ging als „Großer Rückzug“ in die russische Geschichte ein und gab bis zum Herbst 1915 große Teile der westlichen Grenzgebiete den Mittelmächten preis. Das russische Oberkommando machte für die Verluste des Kriegsjahrs den Mangel an Artilleriemunition verantwortlich (die sogenannte Munitionskrise betraf allerdings alle kriegführenden Parteien 1915). In der Produktion zeigten sich große Schwächen: Die Munitionsbeschaffung im Zarenreich war problematisch, das Vertrauen des Militärs in die eigene Industrie gering und die Bereitschaft zu Investitionen in die Betriebe bis 1916 unterentwickelt. Dies war auch teilweise begründet, da die russische Privatwirtschaft im Vergleich zu Staatsbetrieben oder dem Ausland teuer produzierte. Der Ausweg, den das Kriegsministerium versuchte, ließ aber die Munitionsversorgung vollkommen zusammenbrechen. Der russische Geschossbedarf sollte zu knapp 50 % aus Großbritannien und den USA gedeckt werden. Da die beauftragten Firmen damit voll ausgelastet waren, die Bedürfnisse der Westmächte zu decken, wurde bis zum Sommer 1916 nur 12 % der verlangten Stückzahlen geliefert. Doch selbst die angelieferten Rüstungsgüter konnten aufgrund der unzureichenden Infrastruktur erst spät genutzt werden. Ein Umdenken im Kriegsministerium und im Großen Hauptquartier erfolgte im Winter 1915. Bereits im folgenden Jahr konnte die russische Armee ihre Munitionsproduktion um den Faktor 2,5 steigern und ihren Bedarf ohne die mangelhafte Hilfe der Verbündeten decken. Der Preis hierfür waren allerdings hohe Kaufpreise. Dies führte zu einer enormen Staatsverschuldung und damit einem weiteren Anheizen der kriegsbedingten Inflation.
Der katastrophale Verlauf des Kriegsjahrs 1915 mit dem Verlust großer Gebiete und dem Verlust von 3 Millionen Soldaten, darunter 300.000 Gefallenen löste in Russland eine innenpolitische Krise aus. Der Kriegsminister Wladimir Suchomlinow wurde in der Presse des Landesverrats bezichtigt und wurde im Juni 1915 durch Alexei Poliwanow ersetzt. Im August 1915 setzte der Zar Großfürst Nikolai Nikolajewitsch als Oberbefehlshaber des russischen Heeres ab und übernahm diesen Posten formal selbst. Ebenso tauschte der Zar den Generalstabschef Nikolai Januschkewitsch durch Michail Alexejew.[34]
Ober Ost
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachdem die deutschen Truppen große Gebiete im Osten erobert hatten, wurde das Militärverwaltungsgebiet Ober Ost unter Leitung des Oberbefehlshabers der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten gegründet. Die deutsche Militäradministration umfasste Teile des heutigen Polen, Litauen und Lettland. Dieses Gebiet wurde unter dem Einfluss Ludendorffs zu einem Modell für die deutsche Besatzungspolitik ausgebaut. Die endgültige politische Zielsetzung in den betroffenen Gebieten blieb jedoch aufgrund widerstreitender Interessen innerhalb Deutschlands, aber auch gegenüber Österreich-Ungarn, unklar. Primäres Interesse der deutschen Stellen war die ökonomische Kontrolle der Region mit dem Ziel der Ausbeutung der landwirtschaftlichen Ressourcen, um die Auswirkungen der britischen Seeblockade in Deutschland abzumildern. Im Zuge der Kriegswirtschaft wurden sämtliche ökonomische Aktivitäten und auch das Transportwesen unter Aufsicht deutscher Militärbehörden gestellt und ein System der Zwangsrequirierung von Arbeitskräften, Ressourcen und Erzeugnissen wurde in die Wege geleitet. Das Gebiet sollte allerdings auch kulturell unter deutsche Oberhoheit fallen. Hierzu wurde eine Erschwerung der Hochschulbildung im Baltikum für nichtdeutsche Einheimische veranlasst, um eine gebildete Elite und somit eine mögliche Keimzelle einer Autonomie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ebenso sorgte eine weitgehende Buch- und Zeitungszensur dafür, dass jede antideutsche Stimme in der öffentlichen Meinung unterdrückt wurde. Das Schulsystem wurde einem deutschen Kulturprogramm unterworfen. Die unterschiedlichen politischen Zielsetzungen in diesem Gebiet reichten von einer Eingliederung von kleineren polnischen Grenzgebieten (entlang dem Fluss Warthe) und der Gründung von monarchischen Satellitenstaaten (mit deutschen Adeligen an der Staatsspitze) bis zur völligen Annexion weiter Gebiete und deren vollständiger Eingliederung in das Deutsche Reich. Aufgrund dieser Gegensätze war die deutsche Besatzungspolitik im Bereich von Ober Ost nicht einheitlich und wandelte sich auch stetig mit der Veränderung der politischen und militärischen Lage.
Kriegsjahr 1916
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Schlacht am Naratsch-See
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Kriegsjahr 1916 brachte für die russische Militärführung eine Erholung. Die Munitionskrise war durch Steigerung der Eigenproduktion überwunden worden, und somit sah das russische Große Hauptquartier die Armee wieder als aktionsfähig an. Die alte Elite der zaristischen Armee hatte allein den Mangel an schwerer Artillerie und an Geschossen für die schweren Niederlagen der ersten beiden Kriegsjahre verantwortlich gemacht. Eine eingehende Analyse der veralteten Taktiken fand nicht statt. Dies wurde dadurch begünstigt, dass die meist adligen hohen Offiziere überaltert waren und sich auch sozial von ihren meist kleinbürgerlichen Truppenführern abschlossen. Weite Teile der russischen Stäbe schafften es den ganzen Krieg über nicht, sich über das Niveau der Militärtheorien der Vorkriegszeit zu erheben. Infolgedessen wurde im Frühjahr 1916 an der Nordwestfront im Gebiet von Belarus eine den alten Konventionen entsprechende Offensive geplant. Diese Schlacht am Naratsch-See wurde mit mehr als einhunderttausend Mann Verlusten zu einem Debakel. Daraus resultierte eine teilweise psychologische Lähmung der russischen Heeresführung. Sogar der Oberkommandierende Alexejew zweifelte am Sinn irgendeiner neuen Offensivoperation. Nachdem man die ersten zwei Jahre in den hohen Stellen materielle Probleme vorgeschoben hatte, erzielte man mit einer Überlegenheit an Mensch und Material auch nur desaströse Ergebnisse. Damit stellte die Schlacht am Naratsch-See eine bedeutende Zäsur des Krieges dar. Sie war die letzte aktive Operation der alten Militärelite. Die betreffenden Offiziere wurden zwar nicht abgesetzt, aber sie glaubten nicht mehr an den Sinn einer Offensive und zeigten auch keine Neigung mehr, solche Unternehmen zu starten.
Brussilow-Offensive
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Während ein großer Teil des Generalstabs resigniert sämtliche Fehler auf den einfachen Soldaten abwälzte, gab es allerdings doch taktische Neuentwicklungen in der russischen Armee. Alexei Brussilow hatte bereits in den vorherigen Kriegsjahren ein neues Konzept entwickelt. Die alte Taktik sah vor, an eng begrenzten Abschnitten möglichst viele Kräfte zu konzentrieren und nach einem langen Artillerieangriff die Infanterie im Sturm auf die feindlichen Stellungen zu jagen. Dies führte zu großen Verlusten, ohne entscheidende Erfolge zu erzielen. Brussilow schaffte es, eine erfolgreichere Taktik auszuarbeiten. Einerseits schlug er den Angriff in einem mehrere hundert Kilometer langen Frontabschnitt aus mehreren Richtungen vor. Dadurch sollte der Gegner an einer schnellen und planvollen Verteilung seiner Reserven gehindert werden. Andererseits sollte man die Strecke, die die Infanterie zurücklegen musste, möglichst kurz halten. Hatten die russischen Schützen bis zur Naratsch-Schlacht fast einen Kilometer zurückzulegen, so ließ Brussilow die Gräben so nah wie möglich an die feindlichen Stellungen herantreiben. Durch diese Form der Schocktaktik gelang Brussilow die erste siegreiche Offensivoperation der zaristischen Armee seit 1914. Seine Brussilow-Offensive stürzte die Mittelmächte in eine zeitweilige Krise. Nach den ersten Erfolgen ging man allerdings wieder zu konservativen Taktiken über, was die Verluste auf russischer Seite in die Höhe trieb. Zwar standen im Winter 1916 russische Soldaten wieder an den Karpaten, dennoch war ein nachhaltiges Umschwenken auf die Schocktaktik nicht vollzogen worden. Dies wurde insbesondere dadurch begünstigt, dass weite Teile der Militärführung die Operation geringschätzten, da sie im Frontabschnitt der k.u.k. Armee durchgeführt wurde.
Kriegseintritt Rumäniens
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Während die Militärs des Zarenreichs neue Wege beschritten, bemühte sich die politische Führung Russlands ebenfalls, die Situation zu verbessern. Im ganzen Verlauf des Weltkrieges versuchten die jeweiligen Großmächte, kleinere Staaten auf ihre Seite zu ziehen. Der Kriegseintritt Bulgariens auf Seiten der Mittelmächte stellte einen solchen gelungenen Versuch dar. Die russischen Politiker sahen in Rumänien das mögliche Zünglein an der Waage, um den Krieg zu Gunsten Russlands zu wenden. Nach der Planung der russischen Regierung sollten die Rumänen eine Offensive gegen Österreich-Ungarn starten und somit Deutschlands engsten Verbündeten ausschalten. Diese sehr optimistischen Erwartungen konnten in der Realität nicht eingelöst werden. Die rumänischen Streitkräfte waren zwar zahlenmäßig stark, aber vergleichsweise schwach gerüstet und mangelhaft geführt. Der in Russland bejubelte Kriegseintritt Rumäniens geriet zum Debakel. Die rumänische Armee drang zwar im Spätsommer 1916 in Siebenbürgen ein, wurde aber durch die Gegenoffensive der Donau-Armee (Heeresgruppe Mackensen) und der 9. Armee (General Erich von Falkenhayn) seit dem Herbst rasch zurückgedrängt. Dabei setzten die Deutschen auch ihre Kavallerie ein, bis gegen Jahresende die meisten berittenen Divisionen wegen Pferdeknappheit aufgelöst oder in Schützendivisionen umgewandelt wurden.[35] Bereits Anfang Dezember 1916 fiel Bukarest. Bis zum Ende 1916 gelang es den Mittelmächten, fast das gesamte Staatsgebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Somit trat das ein, was der russische Stabschef Alexejew befürchtet hatte. Durch die Schwäche Rumäniens war nun Südrussland von den Mittelmächten bedroht. Die Intervention an der rumänischen Front stärkte Russland also nicht, denn die Truppenverlegungen dorthin schwächten den Schwerpunkt der Ostfront in Galizien und Wolhynien.
Im September 1916 erreichte das deutsche Reich vom immer abhängiger werdenden Österreich-Ungarn die Zusammenlegung der Befehlsgewalt der Mittelmächte in einer gemeinsamen Obersten Heeresleitung (dritte OHL), in der der deutsche Kaiser endgültiger Entscheider war. Die österreichische politische Führung setzte dies durch Erlass des Kaisers gegen den Widerstand ihrer militärischen Führer (deren oberster Chef Conrad von Hötzendorff war) durch. Die deutsche Seite fürchtete einen Zusammenbruch der Donaumonarchie und wollte den außenpolitischen Spielraum des Bündnispartners für einen Separatfrieden verkleinern.[36]
Kriegsjahr 1917
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu Beginn des dritten Kriegsjahres herrschte in den Militärkreisen des Zarenreichs keineswegs Katastrophenstimmung. Man war im Gegenteil davon überzeugt, mit neuen Anstrengungen die Gesamtlage im Weltkrieg zu beeinflussen. Doch bis zum Start neuer Unternehmen war Russland schon im revolutionären Strudel versunken. Der Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung schob weiteren Aktionen der zaristischen Militärführung einen Riegel vor.
Ökonomischer Zusammenbruch Russlands
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Jahr 1917 brachte für Russland das Ausscheiden aus dem Krieg. Man hatte zwar durch die Kampfhandlungen große Verluste an Menschen und Territorium hinnehmen müssen, doch war die militärische Lage nicht ausschlaggebend für den Zusammenbruch des Zarenreichs. Der Vielvölkerstaat litt mehr unter den wirtschaftlichen Verwerfungen, die der Krieg über das Land gebracht hatte. Dies beeinträchtigte die Moral der Bevölkerung derart, dass das politische Gefüge der dynastischen Monarchie durch die Februarrevolution hinweggefegt wurde. Da aber auch die liberale Regierung unter Kerenski den Krieg nicht abbrechen wollte und die Lage der Bevölkerung nicht bessern konnte, folgte der kommunistische Umsturz der Bolschewiken. Der Zusammenbruch offenbarte sich in einer Krise der Nahrungsversorgung, sowohl in der Armee als auch in den Städten. Dies demoralisierte die Streitkräfte, die in den Wirren des Umbruchs weitgehend passiv blieben und trieb die Arbeiterschaft der urbanen Zentren auf die Barrikaden.

Ein wesentlicher Faktor für den Zusammenbruch des russischen Kapitalismus war der Zusammenbruch des Finanzsystems durch Inflation. Aufgrund der Kriegsanstrengungen musste die Regierung enorme Summen aufbringen, um die Streitkräfte auszubauen und zu unterhalten. Der kritische Punkt war, dieses ausgegebene Geld dem Staatshaushalt wieder in irgendeiner Weise zuzuführen. Dafür reichte das normale russische Steuersystem, das sich vor allem auf indirekte Steuern und Einkünfte aus staatlichen Monopolen deckte, nicht aus. Da sich der Staatsapparat dem politischen Druck nach weiterer indirekter Besteuerung und den administrativen Problemen direkter Steuern nicht gewachsen fühlte, fiel ein Ausbau des bestehenden Systems aus. Die Lösung hierbei sah man in einer breit angelegten Kampagne für Kriegsanleihen. Diese sollten den Bürgern durch die Gewährung einer fixen Rendite einen Anreiz geben, in den bevorstehenden Sieg des Zarenreichs zu investieren. Im Laufe des Krieges wurden insgesamt sechs Anleihen ausgegeben, sie scheiterten allerdings an der geringen Nachfrage. Die Inflation durch ein System von Anleihen zu festen Zinssätzen zu bekämpfen, war sinnlos, da für einen Anleger in Zeiten rasanter Geldentwertung diese Anleihen keinen Profit bieten konnten. Somit blieb der russischen Regierung nur ein Ausweg, um den Staatsbankrott zu vermeiden, nämlich die Notenpresse anzuwerfen und den Staat durch neu generiertes Papiergeld zu finanzieren. Dies führte zu einem Anstieg der Gesamtgeldmenge um mehr als 800 %, was schließlich die Inflation mit ihren destabilisierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft noch weiter förderte.
Eine weitverbreitete Legende über das Ende des russischen Reiches bildet der Ansatz, dass die Nahrungsproduktion aufgrund der Massenrekrutierung von Bauern und Knechten zurückging und somit die Revolution auslöste. Nach Schätzungen der Regierung war allerdings die für die Agrarwirtschaft nicht benötigte Bevölkerung in ländlichen Gebieten auf 22 Millionen im Jahre 1913 beziffert worden, und die zaristische Armee hatte während der ersten drei Kriegsjahre erst 17 Millionen Soldaten an die Front gerufen. Die Produktionszahlen für das Kriegsjahr 1917 führen den Erklärungsansatz der Minderproduktion noch mehr ad absurdum:
Russische Getreideernte 1917 (in 1000 Tonnen) | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Ernte 1917 | 62.391 | ||||||
Vorrat für Aussaat | – 11.220 | ||||||
Reserven aus dem Vorjahr | + 10.958 | ||||||
Verfügbare Menge | = 62.129 | ||||||
Gesamtverbrauch | – 53.611 | ||||||
Überschuss | = 8.518 |
Nach diesen Produktionszahlen hatte die russische Kriegswirtschaft, trotz ihrer Verluste an Mensch und Anbaufläche, einen Überschuss erwirtschaftet. Demnach herrschte weniger ein Produktions- als vielmehr ein Verteilungsproblem. Die Struktur der landwirtschaftlichen Produktion hatte sich durch die drei Kriegsjahre mehr und mehr verändert. Die größten Landsitze, die in der Vorkriegszeit 25 % der Ernte bestritten hatten, waren aus der Produktion fast gänzlich ausgeschieden. Aufgrund der rasanten Inflation und der Verteuerung der Arbeit durch den Ausbau der Kriegsindustrie wurde für die Betreiber von Latifundien der Getreideanbau unrentabel. Dieses Land wurde daher an Kleinbauern verpachtet. Das System von kleinen Familienhöfen arbeitete zwar in der Produktion hervorragend, doch fehlten ihm die Anreize zum Verkauf seiner Produkte in die Städte. Während der Grundbesitzer direkt zu den Märkten der Städte Zugriff hatte, musste sich der gewöhnliche Bauer diesen erst über eine Linie von Zwischenhändlern verschaffen, was seinen Gewinn schmälerte. Falls der Landwirt seine Waren dennoch absetzte, bekam er dafür nur wenig attraktive Gegenleistungen. Der Bedarf der Armee resultierte zudem in einem astronomischen Preisanstieg für sämtliche industriell gefertigten Produkte. Textilien verteuerten sich im Vergleich zu 1913 um 300 %, Eisenwaren um bis zu 1000 %. Somit wurden von der Ernte des Jahres 1917 nur noch 15 % des Getreides, statt der in der Vorkriegszeit üblichen 25 %, auf den freien Markt geworfen. Da sich der Bedarf der Städte durch die Flüchtlinge aus den von den Deutschen besetzten Gebieten erhöht hatte, führte dies zu den katastrophalen Unterversorgungen des letzten russischen Kriegsjahrs.
Revolutionen in Russland
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Die immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen trafen die Bevölkerung hart. Der Krieg hatte hohe Verluste an Menschen gefordert und der größte Teil der Bevölkerung lehnte diesen mittlerweile ab. Die Inflation ließ die Reallöhne sinken. Es kam häufiger zu Streiks und Aufständen. Zar Nikolaus II., der sich voll auf das Kriegsgeschehen konzentrierte und die Politik seiner Frau Alexandra Feodorowna überließ, verweigerte jegliche politische Liberalisierung. Zahlreiche Minister, die bereit waren, der Duma und dem Volk Zugeständnisse zu machen, wurden entlassen. Dies sorgte auch in bürgerlichen Kreisen für Verärgerung und schwächte die Autorität des Zaren weiter.
Der harte Winter 1916/17 verschlimmerte die Versorgungslage der Bevölkerung. Der Staat versuchte, diese durch Zwangseintreibungen und neue Wirtschaftsplanungen zu verbessern. Viele Industriearbeiter widersetzten sich dem; Streiks und Unruhen breiteten sich aus. Am 18. Februarjul. / 3. März 1917greg. kam es zu einem Massenaufruhr. Der Zar erließ einen Schießbefehl, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Soldaten schlossen sich aber den Demonstranten an und versorgten diese mit Waffen. Den Demonstranten in Petrograd gelang es, die Macht zu übernehmen. Dies sorgte für ähnliche Vorfälle in anderen großen russischen Städten, wie Moskau. Am 22. Februarjul. / 7. März 1917greg. schloss sich die Duma der Revolution an und ernannte gegen den Auflösungsbefehl des Zaren ein provisorisches Komitee. Nikolaus II. wollte nun Fronttruppen in Richtung Petrograd vorrücken lassen. Die Armeeführung drängte den Zaren jedoch zum Rücktritt, damit eine Weiterführung des Krieges möglich blieb und die Revolution nicht auf die Feldtruppen übergriff.
Das nun entstandene Machtvakuum wurde sowohl von zahlreichen Arbeiter- und Soldatenräten als auch von der Duma beansprucht. Die Duma war hauptsächlich von bürgerlichen und liberalen Kräften geprägt, während die Sowjets (Räte) unterschiedlich stark von Menschewiki und Bolschewiki geprägt wurden. Von der Duma wurde am 10. Märzjul. / 23. März 1917greg. eine provisorische Regierung unter Georgi Lwow ernannt, die parallel zu den Räten agierte.
Lenin, der Anführer der Bolschewiki, wurde von der deutschen Heeresleitung aus seinem Exil in der Schweiz mit einem Zug nach Petrograd transportiert. Gerüchteweise erhielt er sogar 40 Millionen Goldmark Unterstützung. Das Deutsche Reich erhoffte sich von Lenin und den Bolschewiki, die den Krieg bereits 1914 ablehnten, einen Separatfrieden. In Petrograd verfasste Lenin am 4. Apriljul. / 17. April 1917greg. die Aprilthesen, die neben der Forderung einer Revolution durch die Bolschewiki auch die Forderung der sofortigen Beendigung des Krieges enthielten. Dies sollte in einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen geschehen.
Die Regierung, die an ihren Kriegszielen festhielt, veranlasste durch ihren Kriegs- und Marineminister Alexander Fjodorowitsch Kerenski die Kerenski-Offensive, die jedoch relativ schnell zusammenbrach. Immer häufiger kam es nun an der Front zu Fahnenflucht und informellen Waffenstillständen. Ein Putschversuch im Juli gegen die Regierung unter Lwow wurde zwar abgewehrt und Kerenski wurde Regierungschef. Dennoch beruhigte sich die Lage nicht mehr.
Die Bolschewiki gewannen immer weiter an Macht, da die Menschewiki und die provisorische Regierung es nicht schafften, die Situation der Menschen wesentlich zu verbessern. So gelang es den Bolschewiki, die Macht in den Moskauer und Petrograder Sowjets an sich zu ziehen. Leo Trotzki wurde Vorsitzender des Petrograder Militärischen Revolutionskomitees. Die Anführer der Bolschewiki bereiteten die Revolution vor und Anhänger der Bolschewiki bewaffneten sich. Am 22. Oktober übernahm das Revolutionskomitee unter Trotzki die Garnison. In der Nacht zum 25. Oktober kam es zur sogenannten Oktoberrevolution, in der die Bolschewiki strategische Punkte in Petrograd besetzten und das Winterpalais, das als Sitz der provisorischen Regierung gedient hatte, stürmten. Daraufhin übernahmen die Bolschewiki die gesamte Regierungsgewalt.
Am 9. Novemberjul. / 22. November 1917greg. wandte sich Lenin mit dem Funkspruch an alle an die russischen Truppen mit der Forderung, provisorische Waffenstillstände mit den Mittelmächten auszuhandeln, da der Oberkommandierende der russischen Truppen, General Nikolai Duchonin, sich weigerte, in Waffenstillstandsverhandlungen mit den Mittelmächten einzutreten.
In der Folge der Machtergreifung durch die Bolschewiki kam es zum Russischen Bürgerkrieg, in dem auch die Entente Truppen auf russischem Gebiet anlandeten, um die Weiße Armee im Kampf gegen die Kommunisten zu unterstützen. 2.500 Briten, 1.500 Franzosen und 1.500 Italiener nahmen an den Kämpfen teil. 70.000 Japaner und 8.000 US-Soldaten landeten im russischen Fernen Osten. Frankreich stationierte in Odessa einen Flottenverband, der aber zurückgezogen wurde, nachdem es unter den Matrosen zu einem Aufstand gekommen war.
Kriegsjahr 1918
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Friedensverträge mit Sowjetrussland, Rumänien, Finnland und der Ukraine
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Nachdem bereits am 5. Dezember 1917 eine Waffenruhe auf zehn Tage und am 15. Dezember ein längerfristiger Waffenstillstand zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten vereinbart worden war, diktierten letztere nach langwierigen, von der russischen Delegation am 10. Februar zunächst abgebrochenen Verhandlungen Anfang März 1918 im Anschluss an die Operation Faustschlag den Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Im Januar 1918 war es zu heftigen Streitereien zwischen Teilen der zivilen Reichsleitung und der OHL gekommen (bis hin zum Rücktrittsangebot Hindenburgs und Ludendorffs am 7. Januar), da man sich zunächst nicht über die gegenüber Russland einzuschlagende Linie einigen konnte. Schlussendlich realisierte dieser Vertrag – durch den das europäische Russland auf seine vorpetrinischen Grenzen zurückgeworfen wurde – inhaltlich in erster Linie die seit 1914 von der Mehrheitsströmung im Auswärtigen Amt verfochtene Kriegszielkonzeption.[37] Die Zurückdrängung Russlands und die deutsche Dominanz in Osteuropa sollten nicht durch die von verschiedenen Interessengruppen und von Ludendorff geforderten direkten Annexionen, sondern durch die informelle Herrschaft über neu geschaffene, politisch und wirtschaftlich an Deutschland gebundene Satellitenstaaten festgeschrieben werden. Dies bot auch unmittelbare außen- und innenpolitische Vorteile: Das – zum Entsetzen Österreich-Ungarns und der OHL – in diesem Zusammenhang vom verantwortlichen Staatssekretär Richard von Kühlmann ausgesprochene deutsche Bekenntnis zum „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ hob das bisherige einschlägige propagandistische Monopol der Entente auf und ermöglichte es der Reichstagsmehrheit (vgl. Friedensresolution), den Brest-Litowsker Vertrag ohne vollständigen Gesichtsverlust zu ratifizieren. Durch Brest-Litowsk entstanden die Grundlagen eines Systems deutscher Vasallen- und Klientelstaaten, das Berlin direkten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zugriff „von Murmansk bis Baku“[38] versprach. Die zunächst ausgeklammerte Reparationsfrage wurde – unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit – im Laufe des Sommers in Berlin verhandelt. Am 27. August wurden hier mehrere Ergänzungsverträge unterzeichnet, durch die sich Russland unter anderem zur Zahlung von Reparationen in Höhe von sechs Milliarden Goldmark und zur Anerkennung der Unabhängigkeit Georgiens verpflichtete. Im Gegenzug wurde der Rückzug der deutschen Truppen hinter die Beresina, die estnische und livländische Grenze zugesagt.[39]
Noch während der Brest-Litowsker Verhandlungen und deren Ergebnissen vorgreifend hatte eine Delegation der ukrainischen Zentralna Rada einen Friedensvertrag mit den Mittelmächten unterzeichnet (9. Februar), durch den das Land de facto aus dem russischen Staatsverband austrat.[40] Am 12. Februar übergab die Rada-Regierung der deutschen Seite das von dieser gewünschte formelle Ersuchen, in der Ukraine zu intervenieren und das zu diesem Zeitpunkt von den Bolschewiki kontrollierte Kiew zu besetzen. Zwischen Februar und April übernahmen deutsche und österreichisch-ungarische Truppen allerdings die Kontrolle über die gesamte „unabhängige“ Ukraine[41] und besetzten – unter Verletzung des Brest-Litowsker Friedensvertrages – auch die Krim (1. Mai Sewastopol), das ganze Donezbecken und am 8. Mai schließlich Rostow. Die russische Schwarzmeerflotte zog sich nach Noworossijsk zurück, wo sich ihr größter Teil am 17./18. Juni in auswegloser Lage selbst versenkte. Im Zuge der Okkupation kam es zu erheblichen Reibereien zwischen deutschen und österreichisch-ungarischen Kommandostellen, da weder ein einheitliches Oberkommando geschaffen noch – zumindest in den ersten Monaten – eine Abgrenzung der Besatzungszonen vorgenommen wurde. Beide Seiten versuchten anfänglich, durch schnelles Vorrücken (etwa beim „Wettlauf nach Odessa“[42]) Fakten zu schaffen. Eine Stationierung österreichisch-ungarischer Truppen in Kiew, das von deutschen Verbänden am 1. März besetzt worden war, lehnte die OHL ab. Nach einigen Wochen wurden den k.u.k. Truppen die Gouvernements Wolhynien, Podolien, Cherson und Ekaterinoslaw zugewiesen. Den beherrschenden Einfluss auf die ukrainische Politik übten aber allein die deutschen Militärs in Kiew – in erster Linie der Stabschef der dortigen Heeresgruppe, Wilhelm Groener – aus. Die ukrainische Zentralrada, mit der die Mittelmächte zunächst noch gegen die sowjetrussische Regierung zusammengearbeitet hatten, wurde den deutschen Stellen, die das Gremium nunmehr als handlungsunfähiges „studentisches Konventikel“ bewerteten,[43] rasch lästig. Am 28. April setzten deutsche Offiziere „in typisch preußisch-deutscher Manier“[44] – mit vorgehaltener Waffe und dem Ruf „Hände hoch!“ – die von der Rada gestützte ukrainische Regierung ab und verhafteten deren Minister.[45] Einen Tag später rief nach vorangegangener deutscher Ermunterung eine im Kiewer Zirkus zusammengetretene Großgrundbesitzerversammlung ein sogenanntes Hetmanat unter Führung des ehemaligen Generals Pawlo Skoropadskyj aus.[46] Diese Marionettenregierung hielt sich bis zum Abzug der deutschen Truppen im Dezember. Unter ihrer Ägide wurden bis Anfang November 1918 insgesamt 34.745 Waggonladungen Lebensmittel, Getreide und Rohstoffe aus der Ukraine abtransportiert (knapp 20.000 nach Österreich-Ungarn, 14.100 nach Deutschland, der Rest nach Bulgarien und in die Türkei), zudem erklärte sie sich zur Bezahlung der Besatzungskosten bereit.[47]
Rumänien schied durch den am 7. Mai unterzeichneten Friedensvertrag von Bukarest (der Waffenstillstand war am 9. Dezember 1917 in Focșani vereinbart worden) ebenfalls aus dem Krieg aus. Der Vertrag sah in erster Linie einschneidende politische und wirtschaftliche Eingriffe vor (Verpachtung der Ölfelder auf 90 Jahre an deutsche Gesellschaften, Export landwirtschaftlicher Produkte nur nach Deutschland und Österreich-Ungarn, verschleierte Zahlung von Reparationen durch Rumänien, Fortdauer der Besetzung, aufsichtsführende deutsche Zivilbeamte in rumänischen Ministerien). Weitergehenden deutschen Forderungen – das Auswärtige Amt hatte ursprünglich neben der Verpachtung des Hafens von Constanța sogar eine Personalunion Deutschlands und Rumäniens angestrebt, also den Übergang der rumänischen Königskrone an Wilhelm II. – konnten sich die Rumänen entziehen, nicht zuletzt, weil Österreich-Ungarn, das sich zunächst auf die gleiche Weise die Kontrolle über Rumänien hatte sichern wollen, den weitgehenden Berliner Plänen widersprach. Bulgarien verlangte die gesamte Dobrudscha und damit die Abdrängung Rumäniens vom Schwarzen Meer, was aber von der Türkei entschieden abgelehnt wurde. Auf diese Weise neutralisierten sich die Maximalprogramme der Mittelmächte bei den Verhandlungen gegenseitig; Rumänien kam so – obwohl es als einzige kriegführende Macht eine vollständige militärische Niederlage erlitten hatte und zur Gänze von feindlichen Truppen besetzt war – zumindest in territorialer Hinsicht bemerkenswert glimpflich davon: Österreich-Ungarn setzte die Abtretung einiger Gebiete in den Karpaten durch (die letzte Gebietserweiterung der Donaumonarchie), Bulgarien wurde die südliche Dobrudscha, Rumänien zum Ausgleich dafür allerdings das ehemalige russische Gouvernement Bessarabien zugesprochen (wodurch sich sein Gebietsstand sogar vergrößerte).[48]
Mit Finnland und Georgien schloss das Reich Verträge, die diese Staaten zum nördlichen bzw. südlichen Eckpfeiler des geplanten deutschen Herrschaftsraumes machen sollten. Am 7. März wurden in Berlin mehrere deutsch-finnische Verträge (darunter ein Friedensvertrag) unterzeichnet, die Finnland politisch und ökonomisch in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Deutschland brachten.[49] Die weißfinnische Regierung (vgl. Finnischer Bürgerkrieg), deren Vertreter diese Abkommen unterzeichnet hatten, kehrte im April im Gefolge deutscher Interventionstruppen (vgl. Finnland-Intervention) wieder nach Helsinki zurück. Am 9. Oktober 1918 wählte der finnische Landtag Friedrich Karl von Hessen zum finnischen König. Georgien, das sich am 26. Mai für unabhängig erklärt hatte, unterzeichnete zwei Tage später in Poti das erste einer Reihe von Abkommen mit dem Reich. Im Juni landete ein kleines deutsches Kontingent in dieser Stadt und besetzte anschließend Tiflis. Die deutschen Truppen in Georgien wurden rasch deutlich verstärkt (Gesamtstärke Mitte September 19.000 Mann[50]). Im Kaukasusgebiet zeichneten sich im Spätsommer 1918 bereits die Konturen einer neuen deutsch-britischen Front ab, da zur gleichen Zeit britische Truppen am Westufer des Kaspischen Meeres operierten und am 4. August Baku besetzten.
Im nördlichen Baltikum, dessen offene oder verschleierte Annexion (auch hier wurde zunächst an eine Personalunion gedacht) sich als innenpolitisch nicht durchsetzbar erwiesen hatte, kam es – in erster Linie auf Betreiben der OHL – zum Versuch, ein von der deutschen Minderheit beherrschtes Staatswesen zu etablieren (vgl. Vereinigtes Baltisches Herzogtum). In Litauen ließ die deutsche Politik den einheimischen Nationalisten mehr Spielraum, schaffte es aber dennoch, einen württembergischen Grafen als König Mindaugaus II. zu installieren. Auch das sächsische Königshaus hatte zunächst Anspruch auf die litauische Krone erhoben.[51]
Kriegsentscheidung im Westen und Zusammenbruch der Mittelmächte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hauptzweck der wiederholten, zur Eile drängenden Interventionen der OHL in den Fortgang der Brest-Litowsker Verhandlungen war Anfang 1918, schnellstmöglich Truppen für die seit November 1917 geplanten Entscheidungskämpfe im Westen freizubekommen. Zwischen Ende 1917 und November 1918 wurden der Westfront aus dem Osten 63 Divisionen zugeführt; drei weitere Divisionen wurden auf den Balkan verlegt. Österreich-Ungarn verstärkte zwischen Januar und August 1918 die italienische Front mit 25 und die Balkanfront mit fünf bislang im Osten gebundenen Divisionen. Die Zahl der verbleibenden Verbände war indes signifikant hoch. Noch am 21. März 1918, zu Beginn der Frühjahrsoffensive an der Westfront, standen 53 deutsche Divisionen und 13 selbständige Brigaden im Osten – insgesamt mehr als eine Million Mann.[52] Den Stationierungsschwerpunkt bildete die auch von der OHL als „künstliches Gebilde“ bewertete Ukraine, die – so die Befürchtung – „automatisch an Russland zurück“[53] falle, wenn die deutschen und österreichisch-ungarischen Besatzungstruppen zu massiv reduziert würden. Bis zum Herbst wurden dennoch nach und nach 25 weitere Divisionen abgezogen, so dass die Gesamtstärke bis Anfang Oktober auf etwas mehr als 500.000 Mann (verteilt auf die 8. Armee im Baltikum, die 10. Armee in Belarus und Ostpolen sowie die Heeresgruppe Kiew) sank. Die österreichisch-ungarische Besatzungsarmee in der Ukraine (2. Armee) hatte im Sommer 1918 eine Stärke von 200.000, nach anderen Angaben von 250.000 Mann.[54]
Alle von der Ostfront kommenden deutschen Verbände wurden vor ihrem Einsatz im Westen durch spezielle Schulungsoffiziere einem intensiven „vaterländischen Unterricht“ unterzogen, da die OHL angesichts der seit der Jahreswende 1917/18 rasant zunehmenden Zahl schwerer disziplinarischer Vergehen – eigenmächtiges Entfernen von der Truppe, Desertion, offene Befehlsverweigerung[55] – davon ausging, dass der unmittelbare Eindruck der russischen Revolution nicht ohne Folgen für die „Verlässlichkeit“ der Truppe geblieben war.[56] Im September 1918 – nur wenige Wochen vor dem Kieler Matrosenaufstand – kam es in Rowno, Schepetowka, Kiew und Polozk erstmals zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mannschaften und Offizieren. In Charkow rebellierten Soldaten offen gegen die befohlene Verlegung an die Westfront und hissten rote Fahnen.[57] Die schon vorbereitete Besetzung von Petrograd und Murmansk (vgl. Unternehmen Schlußstein) wurde Ende September auch wegen dieser Entwicklungen aufgegeben, ebenso ein von Georgien aus geplantes Unternehmen gegen Baku. Ludendorff räumte am 17. Oktober Max von Baden gegenüber ein, dass die Masse der deutschen Truppen im Osten nicht mehr für offensive Aktionen verwendbar sei und allenfalls noch über „eine gewisse Abwehrkraft“[58] verfüge.
Bereits am 13. November 1918, zwei Tage nach dem Waffenstillstand von Compiègne, annullierte die sowjetrussische Regierung den Brest-Litowsker Friedensvertrag. Der Osten Europas, wo sich sofort nach Kriegsende die Frontlinien des Russischen Bürgerkrieges, nationalistischer Staatsgründungs- bzw. Staatsausdehnungsprojekte und politisch-sozialer Aufstandsbewegungen überschnitten, blieb bis 1920/21 in weiten Teilen Kriegsgebiet.[59]
Verluste
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Die Verluste auf russischer Seite sind aufgrund mangelnder Statistik schwer zu ermitteln. Historiker schätzen die Zahl der Toten auf rund 1,3 Millionen, was in etwa den Verlusten, die auch Frankreich und Österreich-Ungarn erlitten, entspräche.
Von rund neun Millionen Kriegsgefangenen im Weltkrieg wurde die Mehrheit von 5 Millionen an der Ostfront gefangen genommen. Rund 2,1 Millionen Soldaten der Mittelmächte waren Kriegsgefangene in Russland. Die Mehrheit von ihnen waren Soldaten Österreich-Ungarns. Rund 140.000 Deutsche und rund 80.000 Türken und Bulgaren befanden sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Sterberate unter den Gefangenen war in Russland aufgrund Seuchen und mangelhafter Versorgung mit 20 % unter allen kriegführenden Mächten am höchsten. Rund 2,4 – 3,1 Millionen russische Soldaten wurden Kriegsgefangene bei den Mittelmächten. Die Gesamtsterberate der Gefangenen betrug rund 5 – 8 %. Innerhalb der Kriegsgefangenschaft wurden von russischer Seite aus politischen Erwägungen kriegsgefangene Slawen gegenüber nichtslawischen Gefangenen bevorzugt, während Kriegsgefangene der Westmächte in Deutschland bevorzugt wurden.[60]
Die „vergessene“ Front: Zur Ostfronthistoriografie des Ersten Weltkrieges
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Historiografie zur Ostfront des Ersten Weltkriegs nimmt innerhalb der Literatur zu den Jahren 1914 bis 1918 nur wenig Raum ein. In Darstellungen zur deutschen Ostpolitik zum Beispiel erwähnte man das Gebiet Ober Ost nur kurz oder ließ es ganz außer Acht. Weitere Ereignisse wie etwa der Krieg der Mittelmächte gegen Rumänien sind fast völlig in Vergessenheit geraten.
Der Brite Norman Stone verfasste die erste umfassende und bedeutende Darstellung der Geschehnisse an der Ostfront. Sein 1975 erschienenes Buch The Eastern Front 1914–1917 betont die Wichtigkeit der Schlachten an der Ostfront für den militärischen Gesamtverlauf des Krieges. Es gelang Stone, einige interessante Schlussfolgerungen zu ziehen: Er beschränkt sich in seiner Darstellung nicht nur auf eine Rekonstruktion der Ereignisse des Krieges im Osten, sondern stellte bis dahin geltende Lehrmeinungen in Frage. So bezweifelt Stone die wirtschaftliche Rückständigkeit des Russischen Reiches. Laut seiner Belege befand sich das Zarenreich in einer bis dahin ungekannten wirtschaftlichen Aufschwungphase. Die Schwäche Russlands liegt für Stone in der veralteten Administration. Dieser waren die Versorgungsschwierigkeiten und eine ineffiziente Armeeführung anzulasten. Stones Darstellung schweigt sich allerdings gänzlich aus über die von den Mittelmächten eroberten und besetzten Gebiete.
Immer noch sind „Verdun“, „Somme“, „Grabenkrieg“, „Stellungs- und Gaskrieg“ charakteristische Schlagwörter und gleichzeitig die ersten Assoziationen zum Ersten Weltkrieg. Allerdings beschreiben diese nur den Westen. Kriegsromane wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues prägten dieses Bild weiter und so lag die Ostfront nicht im Fokus der westlichen Weltkriegsforscher. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff trifft mit der Formulierung „aber wer weiß schon, dass es die relativ gesehen höchsten Verlustraten dieses Völkerschlachtens keineswegs im Stellungskrieg in Belgien und Ostfrankreich gab, sondern in der Karpatenschlacht?“ ziemlich genau den Kern des Problems.
Spätestens seit Stones Ausführungen dürfte eindeutig klargeworden sein, dass sich der Krieg im Osten markant von den Ereignissen an der Westfront unterschied. Als im Westen die Fronten bereits erstarrt waren, herrschte im Osten immer noch eine von Bewegung geprägte Kriegsführung vor. Die Gründe hierfür liegen bei den spärlichen Kommunikationsmöglichkeiten und der schlechten Verkehrserschließung der Ostfront. Folglich konnten aufgebrochene Lücken in den Verteidigungslinien lange nicht so schnell gefüllt werden, wie dies in Frankreich der Fall war. Die räumliche Ausdehnung der Ostfront mit mehreren tausend Frontkilometern, ganz abgesehen von den landschaftlichen Unterschieden, kontrastierte mit der Westfront und ihren über 800 Kilometern Frontlinie.
Erst in den neueren und neuesten westlichen Darstellungen und Forschungen zum Ersten Weltkrieg rückt die Ostfront wieder in den Blickpunkt. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) in Potsdam führte im August 2004 eine Konferenz über „Die vergessene Front“ durch. Führende Militärhistoriker aus acht Ländern kamen dort zusammen. Unter anderem war auch der US-amerikanische Historiker (litauischer Abstammung) Vejas Gabriel Liulevicius auf dieser Konferenz dabei. Mit seinem Buch Kriegsland im Osten über das Gebiet Ober Ost lieferte er 2002 die erste umfassende westliche Darstellung der deutschen Besatzungsherrschaft im Baltikum während der Zeit des Ersten Weltkrieges und schloss so eine Forschungslücke.
Im Buch und einigen kurz darauf geschriebenen Artikeln beschreibt er nicht nur Wesen und Charakter der deutschen Militäradministration im Lande Ober Ost, sondern versucht auch die Ursachen des Wandels des deutschen Bildes vom Osten zu analysieren und Verbindungslinien zwischen den Vorstellungen der Militärverwaltung von Ober Ost und denen der späteren NS-Elite nachzuzeichnen. Auch im Spiegel-Artikel Der vergiftete Sieg geht Liulevicius auf diese Thematik ein. Der Versuch eine Kontinuitätslinie zur Zeit des NS-Regimes zu ziehen, dürfte wohl noch einige Reaktionen in der Geschichtswissenschaft hervorrufen, zumal Liulevicius damit eine Brücke über die Zeit zwischen 1918 und 1933 zu schlagen versucht. Er sieht im Ostfronterlebnis der deutschen Soldaten das verborgene Vermächtnis des Ersten Weltkrieges.
Ein gewichtiges Problem bei den Ausführungen bezüglich der Frontwahrnehmung der Soldaten und des Wandels der Kategorien, in welche der Osten gefasst wurde (Land und Leute vs. Raum und Volk), liegt in der einseitigen Quellenbasis des Werkes „Kriegsland“ im Osten. Liulevicius berücksichtigt offenbar vorwiegend Tagebücher und Memoiren von Militärs in höheren Rängen. Feldpostbriefe von Soldaten beispielsweise fehlen fast ganz. In der Konsequenz muss das entstehende Bild als elitär gefärbt betrachtet werden.
Stellenweise läuft Liulevicius’ Werk Gefahr, eine national-litauische Sicht auf die deutsche Besatzung einzunehmen, wie sie sich auch in anderen Werken zur litauischen Geschichte findet. Dies zeigt sich wiederkehrend in der Wortwahl, wenn er von „krankhaften Auswüchsen der Macht“ (S. 217) und einer „rücksichtlosen Jagd nach Steuern“ (S. 87) schreibt. Solche und ähnliche Formulierungen verhelfen dem Werk nicht unbedingt zu mehr Objektivität. Gleichzeitig dürfen die Ungerechtigkeiten, welche durch die deutschen Besatzer an der Bevölkerung Litauens begangen worden sind, nicht verharmlost werden.
Wie der Historiker Eberhard Demm festhielt, verzichtet Liulevicius ferner auf polnische und französische Quellen und Darstellungen. Als Beispiel ist die ausführliche 700 Seiten starke zeitgenössische Dokumentation La Lithuanie sous le joug allemand 1915–1918. Le plan annexioniste allemand en Lithuanie von C. Rivas (Pseudonym für Yvonne Pouvreau) zu nennen.
Frühere Untersuchungen über Ober Ost stellen die Werke des litauischen Historikers Abba Strazhas dar. In seiner Monografie Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917 berücksichtigte Strazhas im Speziellen auch die litauische Seite der Besatzung. Ein weiterer, erwähnenswerter Aufsatz von Strazhas ist „The Land Oberost and Its Place in Germany’s Ostpolitik 1915–1918“. Strazhas’ Ausführungen wurden in später geschriebenen Werken über die Geschichte Litauens oftmals übernommen. Seine Darstellungen können als die Weiterführung von in Fritz Fischers kontroversem Werk Griff nach der Weltmacht gemachten Aussagen bezüglich der deutschen Ostpolitik gesehen werden. Fischer beschreibt Deutschlands annexionistische Absichten im Baltikum. Weiter stellt er gar eine gewisse Kontinuität zwischen den Zielen des Kaiserreiches und jenen des nationalsozialistischen Regimes her. Solche Linien sind in der Geschichtswissenschaft nicht unumstritten und lösten eine Diskussion über Kontinuität in der Geschichte aus.
In Artikeln wie Der litauische Landesrat als Instrument der deutschen Ostpolitik nimmt Strazhas stellenweise eine national litauische Sichtweise ein, welche von Autoren wie Liulevicius scheinbar kritiklos aus der Sekundärliteratur übernommen wurde. Doch wo liegt die Problematik der Ostfront und speziell von Ober Ost als praktisch unbeschriebenes Blatt in der Geschichtswissenschaft? Der Schatten des Zweiten Weltkrieges lag lange über jenem des Ersten. Sicher muss auch der Kalte Krieg und der damit erschwerte Zugang zu den Archiven, als ein entscheidendes Kriterium genannt werden. Des Weiteren galt jahrelang der Schwerpunkt jeglicher Forschung im östlichen Raum der Russischen Revolution. Unter Lenin wurden Soldatenfriedhöfe des Zarenreiches zerstört und so der Versuch unternommen, gewisse Ereignisse aus dem Geschichtsbewusstsein der Menschen auszulöschen. Über das Verhältnis von Politik und Geschichtswissenschaft in Bezug auf den Osten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg machte Norman Stone in dem Vorwort zur zweiten überarbeiteten Version seines Buches folgende Bemerkungen:[61]
“Whatever you said about the Tsarist Russian army might give you trouble. If you wrote in a positive, patriotic way about it, you might offend against the Communist orthodoxy, by which everything Tsarist was condemned. If, on the other hand, you concentrated on the negative side, you could offend against the nationalist line which emerged with Stalin and which flourished under Brezhnev. Even the obvious sources were quite difficult to obtain; I was told, some years later, that The Eastern Front was listed in a German catalogue, but could not be read without permission. […] the subject was still, in the seventies, taboo.”
„Alles, was man über die Armee des zaristischen Russlands sagte, konnte einen in Schwierigkeiten bringen. Wenn man auf positive, patriotische Weise darüber schrieb, konnte man gegen die kommunistische Orthodoxie verstoßen, die alles Zaristische verdammte. Wenn man sich andererseits auf die negativen Aspekte konzentrierte, konnte man gegen die nationalistische Parteilinie verstoßen, die mit Stalin aufkam und unter Breschnew erblühte. Selbst die offensichtlichen Quellen waren nur schwer zugänglich; einige Jahre später sagte man mir, dass The Eastern Front in einem (ost-)deutschen Katalog aufgeführt sei, aber nicht ohne Erlaubnis gelesen werden dürfe. […] das Thema war in den Siebzigern immer noch tabu.“
Der russische Historiker Igor Narskij konstatiert, dass in Russland der Erste Weltkrieg einen vergessenen Krieg darstellt. Der Krieg wurde von seinen Zeitgenossen als Teil einer siebenjährigen Katastrophe bis zum Ende des Bürgerkriegs 1922 gesehen. In der von der Sowjetunion amtlich durchgesetzten Auseinandersetzung dominiert hierbei die Revolution und der Bürgerkrieg. Innerhalb der Emigrantengemeinde gab es Publikationen über den Krieg, jedoch waren dies meist die Memoiren von Anführern der im Bürgerkrieg geschlagenen Weißen Bewegung. Zahlreiche Archive, unter anderem ein zentrales Archiv mit Soldatenbriefen sind bis heute nicht ausgewertet. Narskij macht die massenhafte Erfahrung militärischer Massengewalt- und -disziplinierung als einen Hauptfaktor für die Gewalt des Bürgerkrieges aus, geprägt durch eine personelle Kontinuität zwischen ehemaligen Frontsoldaten und Angehörigen der staatlichen Repressionsorgane der frühen Sowjetunion.[62]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bettine Brand, Dittmar Dahlmann: Streitkräfte (Russland). In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2003, S. 901–904.
- Konrad Canis: Die deutsche Außenpolitik im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg im Lichte österreichisch-ungarischer diplomatischer Berichte. In: Wolfgang Elz, Sönke Neitzel (Hrsg.): Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Winfried Baumgart zum 65. Geburtstag. Paderborn 2003, S. 105–126.
- Walter Elze: Tannenberg. Das deutsche Heer von 1914, seine Grundzüge und deren Auswirkung im Sieg an der Ostfront. Breslau 1928, DNB 579343197.
- William C. Fuller, Jr.: The Eastern Front. In: Jay Winter, Geoffrey Parker, Mary R. Habeck: The Great War and the twentieth century. New Haven/ London 2000.
- Imanuel Geiss: Deutschland und Österreich-Ungarn beim Kriegsausbruch 1914. Eine Machthistorische Analyse. In: Michael Gehler: Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung; historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert. (= Historische Mitteilungen. Beiheft 15). Stuttgart 1996, S. 375–395.
- Gerhard P. Groß (Hrsg.): Die vergessene Front. Der Osten 1914/15 Ereignis, Wirkung, Nachwirkung (= Zeitalter der Weltkriege. Band 1). 2. Auflage. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2009, ISBN 978-3-506-75655-8.
- Sven Hedin: Nach Osten! Leipzig 1916 (online bei Archive.org)
- Elmar Heinz: Ostfront 1914–1916. In: Ära – Das Magazin für Geschichte. Heft 1, 2004, S. 50–55.
- Rudolf Jeřábek: Die Ostfront. In: Mark Cornwall (Hrsg.): Die letzten Jahre der Donau-Monarchie. Der erste Vielvölkerstaat im Europa des frühen 20. Jahrhunderts. 1. Auflage. Magnus Verlag, Essen 2004, S. 155–173.
- Vejas Gabriel Liulevicius: Der vergiftete Sieg. In: Stephan Burgdorff, Klaus Wiegrefe (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. 2. Auflage. München 2004, S. 105–117.
- Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg 1914–1918. Hamburg 2002.
- Vejas Gabriel Liulevicius: Ober Ost. In: Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Zürich 2003, S. 762–763.
- E. Moraht: Unser Krieg. Dritter Band: Die Ostfront. Der Krieg an der Ostfront von Kurland bis Konstantinopel. Dachau bei München 1916.
- Carl Mühlmann: Oberste Heeresleitung und Balkan im Weltkrieg 1914–1918. Berlin 1942.
- Theobald v. Schäfer: Tannenberg. (= Schlachten des Weltkriegs. Band 19). Berlin 1927.
- Norman Stone: Ostfront. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2003, S. 762–764.
- Norman Stone: The Eastern Front 1914–1917. London 1998.
- Abba Strazhas: Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1993, ISBN 3-447-03293-6.
- Anton Wagner: Zur Entwicklung der Kriegspläne Deutschlands und Österreich-Ungarns gegen Russland bis 1914. In: Institut für Österreichkunde (Hrsg.) Mitarbeit: Hugo Hantsch u. a.: Österreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Graz/ Wien 1964, S. 73–82.
- German Werth: Tannenberg / Tannenberg-Mythos. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2003, S. 919–920.
- Gerhard Wiechmann: Von der „Schlacht in Ostpreußen“ zum Tannenberg-Mythos. Eine deutsche Legende. In: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung. 1/2004, S. 10–13.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- WikiSource: National Geographic Magazine Volume 31 Number 4, The Russian Situation and Its Significance to America
- Foto-Nachlass eines deutschen Offiziers auf flickr.com
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Reichsarchiv (Hrsg.): Der Weltkrieg 1914–1918. Band 2: Die Befreiung Ostpreußens. Berlin 1925, S. 39 f.
- ↑ Hans Ehlert, Michael Epkenhans, Gerhard P. Groß (Hrsg.): Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 2006, S. 88 sowie John C. G. Röhl: Der militärpolitische Entscheidungsprozess in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In: John C. G. Röhl: Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik. 2. Auflage. München 2007, S. 175–202, S. 201 f.
- ↑ Siehe Angelow, Jürgen, Kalkül und Prestige. Der Zweibund am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Köln-Weimar-Wien 2000, S. 375.
- ↑ „Wenn Bethmann angibt, unter dem Zwange der militärischen Lage Russland den Krieg erklärt zu haben, so suche ich vergeblich nach Worten, um meinem Erstaunen über dieses sein Betragen Ausdruck zu geben.“ Schreiben des ehemaligen Oberquartiermeisters im Generalstab Georg Graf von Waldersee an Gottlieb von Jagow vom 8. Oktober 1920. Zitiert nach Willibald Gutsche, Baldur Kaulisch (Hrsg.): Herrschaftsmethoden des deutschen Imperialismus 1897/98 bis 1917. Dokumente zur innen- und außenpolitischen Strategie und Taktik der herrschenden Klassen des Deutschen Reiches. Berlin 1977, S. 189.
- ↑ Siehe dazu grundlegend Fritz Fischer: Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914. Düsseldorf 1969, S. 542 ff.
- ↑ Siehe Fritz Stern: Bethmann Hollweg und der Krieg. Die Grenzen der Verantwortung. Tübingen 1968, S. 20.
- ↑ Willibald Gutsche: Sarajevo 1914. Vom Attentat zum Weltkrieg. Berlin 1984, S. 142.
- ↑ Zitiert nach Gutsche, Kaulisch, Herrschaftsmethoden, S. 187. Hervorhebung im Original.
- ↑ Siehe Dieter Groh: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1973, S. 625 ff.
- ↑ Zitiert nach Lüder Meyer-Arndt: Die Julikrise 1914. Wie Deutschland in den Ersten Weltkrieg stolperte. Köln/ Weimar/ Wien 2006, S. 266.
- ↑ Joachim Petzold u. a.: Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 3: November 1917 bis November 1918. Berlin 1969, S. 83.
- ↑ Siehe Willibald Gutsche u. a.: Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 2: Januar 1915 bis Oktober 1917. Berlin 1968, S. 197 ff.
- ↑ Siehe Holger Afflerbach: Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich. München 1994, S. 294 ff.
- ↑ Holger Afflerbach: Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich. München 1994, S. 321.
- ↑ Abba Strazhas: Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915–1917. Wiesbaden 1993, S. 261.
- ↑ Siehe Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. 3., verbesserte Auflage. Düsseldorf 1964, S. 141ff. sowie Gutsche, Weltkrieg Band 2, S. 183 f.
- ↑ Siehe Gutsche, Weltkrieg Band 2, S. 186.
- ↑ Siehe dazu ausführlich Zbyněk A. Zeman: Germany and the Revolution in Russia 1915–1918. Documents from the Archives of the German Foreign Ministry. London/ New York/ Toronto 1958 und Zbyněk A. Zeman, Winfried B. Scharlau: The Merchant of Revolution. The Life of Alexander Israel Helphand (Parvus). London/ New York/ Toronto 1965 sowie Fischer, Weltmacht, S. 173 ff.
- ↑ Rex A. Wade: The Russian Revolution 1917. Cambridge 2005, S. 194. Semion Lyandres zufolge fand der einzige durch Quellen belegbare Transfer deutscher Gelder im August 1917 statt, als das Stockholmer Auslandsbüro der Bolschewiki über den Schweizer Sozialisten (und deutschen Agenten) Carl Moor Geld erhielt – das allerdings niemals Russland erreichte, sondern für die Finanzierung der einen Monat später in Stockholm stattfindenden dritten Konferenz der Zimmerwalder Linken verwendet wurde. Lyandres hält auch die erstmals im Juli 1917 durch die russische Provisorische Regierung erhobenen Vorwürfe, die Bolschewiki seien von deutschen Stellen über Helphand-Parvus in großem Stil finanziert worden, für falsch. Siehe Semion Lyandres: The Bolsheviks' „German Gold“ Revisited. An Inquiry into the 1917 Accusations. (= The Carl Beck Papers in Russian & East European Studies. Nr. 1106). Pittsburgh 1995, S. 102, 104.
- ↑ Zuletzt umfassend bei Elisabeth Heresch: Geheimakte Parvus. Das deutsche Geld und die Oktoberrevolution. München 2000 und – einschließlich des Versuchs, die seit Jahrzehnten als Fälschungen bekannten Sisson-Dokumente auf Umwegen zu rehabilitieren – Gerhard Schiesser, Jochen Trauptmann: Russisch Roulette. Das deutsche Geld und die Oktoberrevolution. Berlin 1998.
- ↑ Zbyněk A. Zeman: Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1914–1918. München 1963, S. 12.
- ↑ Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien, 2013, S. 51–59.
- ↑ Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien, 2013, S. 63–73.
- ↑ Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien, 2013, S. 63–73.
- ↑ Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien, 2013, S. 166f
- ↑ Zitiert nach Reichsarchiv (Hrsg.): Der Weltkrieg 1914–1918. Band 2: Die Befreiung Ostpreußens. Berlin 1925, S. 45.
- ↑ Lawrence Sondhaus: Franz Conrad von Hötzendorf. Architect of the Apocalypse. Boston/ Leiden/ Köln 2000, S. 154 f.
- ↑ Siehe Reichsarchiv, Befreiung Ostpreußens, S. 32ff., 336.
- ↑ Siehe Helmut Otto, Karl Schmiedel: Der erste Weltkrieg. Militärhistorischer Abriss. 3., völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. Berlin 1977, S. 84.
- ↑ David Stevenson: 1914–1918. Der Erste Weltkrieg. Düsseldorf 2006, S. 95.
- ↑ Zitiert nach Fritz Klein u. a.: Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis Ende 1914. Berlin 1968, S. 326.
- ↑ Wilhelm Groener: Lebenserinnerungen. Göttingen 1957, S. 201.
- ↑ Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 105, 119.
- ↑ Boris Khavkin: Russland gegen Deutschland. Die Ostfront des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1914 bis 1915 in Gerhard P. Groß (Hrsg.): Die vergessene Front. Der Osten 1914/1915 - Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn, 2006, S. 83–85.
- ↑ Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003, S. 610.
- ↑ Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien, 2013, S. 569–571.
- ↑ Winfried Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wien/ München 1966, S. 13ff.; Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. 3., verbesserte Auflage. Düsseldorf 1964, S. 155ff., 627ff.; Joachim Petzold u. a.: Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 3: November 1917 bis November 1918. Berlin 1969, S. 101 ff., 118 ff.
- ↑ Baumgart, Ostpolitik, S. 93.
- ↑ Siehe Petzold, Deutschland, S. 385.
- ↑ Siehe Petzold, Deutschland, S. 187.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 120. Zur deutschen Besatzungspolitik in der Ukraine siehe vor allem die Darstellung von Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918. Lübeck 1970, die anders als die Arbeit des konservativen Diplomatie-Historikers Baumgart auch auf grundlegende ökonomische Kalkulationen eingeht.
- ↑ Baumgart, Ostpolitik, S. 122.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 129 f.
- ↑ Petzold, Deutschland, S. 217.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 128.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 127 f.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 150.
- ↑ Siehe Petzold, Deutschland, S. 203 ff.
- ↑ Siehe Manfred Menger: Die Finnland-Politik des deutschen Imperialismus 1917–1918. Berlin 1974, S. 140 ff.
- ↑ Wolfdieter Bihl: Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte. Teil 2: Die Zeit der versuchten kaukasischen Staatlichkeit 1917–1918. Wien/ Köln/ Weimar 1992, S. 76.
- ↑ Siehe dazu insgesamt Werner Basler: Deutschlands Annexionspolitik in Polen und im Baltikum 1914–1918. Berlin 1962.
- ↑ Etwas abweichende Zahlen (47 Divisionen am 21. März) nennt Stevenson, Weltkrieg, S. 473.
- ↑ Zitiert nach Baumgart, Ostpolitik, S. 148.
- ↑ Siehe Baumgart, Ostpolitik, S. 149 (Fußnote 160) sowie Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 413.
- ↑ Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 402.
- ↑ Siehe Petzold, Deutschland, S. 101.
- ↑ Siehe Otto, Schmiedel, Weltkrieg, S. 413 sowie Baumgart, Ostpolitik, S. 150, 344.
- ↑ Zitiert nach Baumgart, Ostpolitik, S. 150.
- ↑ „Die 'Nachkriegsgeschichte', so stellt sich heraus, steht dem Weltkrieg insbesondere mit Blick auf Osteuropa (...) in grenzen-übergreifender Gewaltsamkeit nicht nach.“ Michael Geyer: Zwischen Krieg und Nachkrieg – die deutsche Revolution 1918/19 im Zeichen blockierter Transnationalität. In: Alexander Gallus (Hrsg.): Die vergessene Revolution von 1918/19. Göttingen 2010, S. 187–222, S. 188.
- ↑ Reinhard Nachtigal: Die Kriegsgefangenen-Verluste an der Ostfront, Eine Übersicht zur Statistik und zu Problemen der Heimatfronten 1914/15. in Gerhard P. Groß (Hrsg.): Die vergessene Front. Der Osten 1914/1915 - Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn, 2006, S. 201–215.
- ↑ Norman Stone: The Eastern Front 1914–1917. Penguin Books, London 1998, ISBN 0-14-026725-5, S. 7.
- ↑ Igor Narskij: Kriegswirklichkeit und Kriegserfahrung Russischer Soldaten in Gerhard P. Groß: Die vergessene Front, Der Osten 1914/1915 – Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn, 2006, S. 258–261.