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„Prometheus (Hymne)“ – Versionsunterschied

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Inhalt: Goethes Werke, Weimar 1888
 
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[[Datei:Atlas Typhoeus Prometheus.png|mini|hochkant=1.2|Der gefesselte [[Prometheus]] mit dem Adler, links sein Bruder [[Atlas (Mythologie)|Atlas]] mit der Weltkugel (Trinkschale aus [[Cerveteri]], um 555 v. Chr.; [[Vatikanische Museen]], Rom)]]
'''Prometheus''' ist eines der bekanntesten Gedichte von [[Johann Wolfgang von Goethe]].
[[Datei:De-Prometheus Gedicht-wikisource.ogg|mini|Lesung der Ode ''Prometheus'']]


'''Prometheus''' ist der Titel einer [[Ode]] oder [[Hymne (Gedichtform)|Hymne]]<ref>Hartmut Reinhardt (''Prometheus und die Folgen''. In: ''Goethe-Jahrbuch'' 1991, S. 137–168; [http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/prometheus_reinhardt.pdf online] im ''Goethezeitportal'', dort S.&nbsp;1, Fußnote&nbsp;3) verweist auf den zeitgenössischen Typus der „Ode des Affekts“ ([[Johann Gottfried Herder]]), gibt zwar die inhaltliche Ähnlichkeit zur Hymne (direkte Anrede einer Gottheit) zu, hält aber durch „die besondere Art des Anredens&nbsp;– Protest, ja Verachtung statt Ergebung und Verehrung&nbsp;–“ eher den Begriff der „Antihymne“ für gerechtfertigt. Vgl. Edith Braemer: ''Goethes Prometheus und die Grundpositionen des Sturm und Drang''. Dritte Auflage, Berlin und Weimar 1968, S. 301.</ref> [[Johann Wolfgang von Goethe]]s aus dem Jahr 1774. Das Werk gehört zu seinen bekanntesten [[Gedicht]]en und ging aus dem [[Prometheus (Dramenfragment)|gleichnamigen Dramenfragment]] hervor.
==Das Gedicht==
</br>
Prometheus</br>
</br>
Bedecke deinen Himmel, Zeus,</br>
Mit Wolkendunst</br>
Und übe, dem Knaben gleich,</br>
Der Disteln köpft,</br>
An Eichen dich und Bergeshöhn!</br>
Mußt mir meine Erde</br>
Doch lassen stehn</br>
Und meine Hütte,</br>
Die du nicht gebaut,</br>
Und meinen Herd,</br>
Um dessen Glut</br>
Du mich beneidest.</br>
</br>
Ich kenne nichts Ärmer´s</br>
Unter der Sonn´ als euch Götter!</br>
Ihr nähret kümmerlich</br>
Von Opfersteuern</br>
Und Gebetshauch</br>
Eure Majestät</br>
Und darbtet, wären</br>
Nicht Kinder und Bettler</br>
Hoffnungsvolle Toren.</br>
</br>
Da ich ein Kind war,</br>
Nicht wußt´, wo aus noch ein,</br>
Kehrte mein verirrtes Aug´</br>
Zur Sonne, als wenn drüber wär´</br>
Ein Ohr, zu hören meine Klage,</br>
Ein Herz wie meins,</br>
Sich des Bedrängten zu erbarmen.</br>
</br>
Wer half mir wider</br>
Der Titanen Übermut?</br>
Wer rettete vom Tode mich,</br>
Von Sklaverei?</br>
Hast du´s nicht alles selbst vollendet,</br>
Heilig glühend Herz?</br>
Und glühtest jung und gut,</br>
Betrogen, Rettungsdank</br>
Dem Schlafenden dadroben?</br>
</br>
Ich dich ehren? Wofür?</br>
Hast du die Schmerzen gelindert</br>
Je des Beladenen?</br>
Hast du die Tränen gestillet</br>
Je des Geängsteten?</br>
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet</br>
Die allmächtige Zeitv
Und das ewige Schicksal,</br>
Meine Herrn und deine?</br>
</br>
Wähntest du etwa,</br>
Ich solle das Leben hassen,</br>
In Wüsten fliehen,</br>
Weil nicht alle Knabenmorgen-v
Blütenträume reiften?</br>
</br>
Hier sitz ich, forme Menschen</br>
Nach meinem Bilde,</br>
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,</br>
Zu leiden, weinen,</br>
Genießen und zu freuen sich,</br>
Und dein nicht zu achten,</br>
Wie ich!</br>
</br>


== Entstehung ==
== Entstehung ==
''Prometheus'' wurde zwischen 1772 und 1774 verfasst. Wie auch die anderen Hymnen ''[[Mahomets Gesang]]'', ''[[Ganymed (Goethe)|Ganymed]]'', ''An Schwager Kronos'' entstand dieses Werk in Goethes [[Sturm und Drang|Sturm-und-Drang-Zeit]]. [[Friedrich Heinrich Jacobi]] druckte die Hymne erstmals in seiner Schrift „Über die Lehre des [[Spinoza]] in Briefen an den Herrn [[Moses Mendelssohn]]“ unautorisiert und anonym ab. Goethe nahm sie erst 1789 in seine neu edierten Schriften auf und ließ sie zusammen mit der [[Ganymed (Mythologie)|Ganymed]]-Ode erscheinen. Die Form der Hymne (oder Ode) ist die lyrische Ausdrucksform, die dem Sturm und Drang am ehesten gerecht wird, denn in ihr treten mythische Figuren auf, die als Repräsentanten der Künstler des Sturm und Drang betrachtet werden können und die somit das Dilemma von Kunst und Leben verkörpern. Ein Hauptanliegen des Sturm und Drang ist das Überwinden von überkommenen Autoritäten, und damit kann ''Prometheus'' als programmatisch für diese Epoche gesehen werden.

Prometheus wurde zwischen [[1772]] und [[1774]] verfasst (wie auch die anderen Hymnen ''Mahomets Gesang'', ''Ganymed'', ''An Schwager Kronos''). Also entstand dieses Werk in der Epoche Goethes als ''[[Sturm und Drang|Stürmer und Dränger]]''.


== Inhalt ==
== Inhalt ==
[[Datei:Heinrich fueger 1817 prometheus brings fire to mankind.jpg|miniatur|[[Heinrich Füger]]: ''Prometheus bringt der Menschheit das Feuer'' (um 1817)]]


Bei einer [[Hymne]] handelt es sich normalerweise um einen Lobgesang; dieses Prinzip wird aber hier ins Gegenteil verkehrt, denn [[Prometheus]] preist die Götter keineswegs, sondern erhebt eine Klage gegen sie, die von Vorwürfen, aber auch Spott geprägt ist. Er spricht [[Zeus]] rebellisch, ja verachtungsvoll an und vergleicht ihn mit einem Kind, das seine Wut an der Welt auslässt, wie ein Knabe, der „Disteln köpft“:
In der [[Hymne]] "Prometheus" schreibt Goethe einen Ruf [[Prometheus]]’ an die Götter, der von Spott, Hohn und Vorwürfen geprägt ist.


<poem style="margin-left:2em">Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Gleich von der ersten Zeile an redet Prometheus [[Zeus]] mit dem freundschaftlichen, aber im Falle der Götter verachtungsvollen und rebellischen „Du“ an. In Zeile 3 stellt er ihn gar auf eine kindliche Stufe und wirft ihm vor, aus Langeweile Zerstörung anzurichten – genau wie Jungen aus dem selben Grund [[Disteln]] die Köpfe abschlagen. Schon in der ersten Zeile benutzt Prometheus anmaßend den Imperativ ("Bedecke").
Mit Wolkendunst!
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen Dich und Bergeshöhn! […]</poem>


Daraufhin in der zweiten [[Strophe]] wirft er nicht nur Zeus, sondern allen Göttern vor, sich „kümmerlich“ (Z. 15) von den Opfern gutgläubiger Kinder und Bettler zu ernähren und bekennt ebenso beleidigend: „Ich kenne nichts Ärmer’s/Unter der Sonn’ als euch Götter“ (Z. 13-14). Auch er habe sich verirrt und gutgläubig in der Hoffnung auf ein offenes Ohr und Hilfe an die Götter gewandt jedoch nicht die Götter hätten ihm geholfen, sondern sein eigenes „heilig glühend Herz“ (Z. 34). Somit stellt sich Prometheus nicht nur mindestens ebenbürtig zu den Göttern dar, Goethe nimmt auch Bezug zum Geniebegriff der [[Sturm und Drang]]“-Epoche, die unter einem Genie ein völlig im Einklang der Natur stehenden Menschen mit fast göttlichen Fähigkeiten verstand.
In der zweiten [[Strophe]] wirft er nicht nur Zeus, sondern allen Göttern, vor, sich „kümmerlich“ (Vers 15) von den Opfern der Gutgläubigen zu ernähren, und bekennt ebenso beleidigend: „Ich kenne nichts Ärmer’s&nbsp;/ Unter der Sonn’ als euch Götter“ (Verse 13–14). Auch er habe sich, verirrt und gutgläubig, in der Hoffnung auf ein offenes Ohr und Hilfe, an die Götter gewandt&nbsp;doch nicht die Götter hätten ihm geholfen, sondern sein eigenes „heilig glühend Herz“ (Vers 34). Damit stellt sich Prometheus nicht nur mindestens ebenbürtig neben die Götter (er ist gleichsam selbst ein Gott und verhalf Zeus zu seiner Macht), Goethe nimmt zudem auch Bezug auf den [[Genie]]-Begriff des [[Sturm und Drang]], dessen Vertreter unter einem Genie einen Menschen verstanden, der völlig im Einklang mit sich selbst lebt, über Welt und Natur erhaben ist und beinahe göttliche Fähigkeiten besitzt.<ref>Vgl. beispielsweise [[Kant]]s Definition in der ''[[Kritik der Urteilskraft]]''.</ref>


In den darauf folgenden Strophen vier wie fünf setzt Goethe viele [[rhetorisch]]e Fragen ein, um den vorwurfsvollen Ton Prometheus’ zu verstärken, der nun den Göttern vorwirft, weder geheilt noch gelindert zu haben und ihnen seine Ehrfurcht verweigert. Nicht die Götter, sondern die Zeit und das Schicksal hätten ihn „zum Manne geschmiedet“ (Z.43). Mit der Vorgabe, die Götter nicht zu achten, formt er in der letzten Strophe gar Menschen nach ''seinem'' Bild. Diese Selbstdarstellung und [[Hybris]] wird weiter getragen mit den letzten Worten „wie ich“ und über das ganze Gedicht hinweg mit unterschiedlich langen Versen und Strophen unterstützt.
In den darauffolgenden Strophen 4 und 5 lässt Goethe den Prometheus mehrere [[rhetorisch]]e Fragen stellen, mit denen er seine Vorwürfe gegen die [[Olympier]] noch steigert. Prometheus wirft nun den Göttern vor, weder geheilt noch gelindert zu haben, und verweigert ihnen seine Ehrfurcht. Nicht die Götter, sondern die Zeit und das Schicksal hätten ihn „zum Manne geschmiedet“ (Vers 43). Kraft seines Entschlusses, die Götter nicht zu achten, gewinnt er in der letzten Strophe gar die Macht, Menschen nach ''seinem'' Bilde zu formen. Diese Selbstüberhöhung ([[Hybris]]) wird mit den letzten Worten „wie ich“ besiegelt und über das ganze Gedicht hinweg mit unterschiedlich langen Versen und Strophen unterstützt, die sich zu ‚überstürzen‘ scheinen.


Prometheus will die Götter entthronen. Er sieht in ihnen mitleidlose, schmarotzerische und neidische Gestalten, die auf erbärmliche Weise von Rauchopfern der Menschen abhängig sind. Diese Thematik ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang, in der der Begriff des [[Genie]]s eine etwas andere Bedeutung hatte als heute: Der geniale, schöpferische Mensch sprengt&nbsp;– nach damaliger Auffassung&nbsp;– alle Fesseln und Beschränkungen und erstarkt an Schicksalsschlägen, was auch heißt, dass er ihnen nicht ausweicht.
All diese Äußerungen und Taten zeigen deutlich, wie Prometheus die Götter entthronisiert – sie leben untätig und ausnutzend, während er Göttergleiches leistet.


Der [[Titan (Mythologie)|Titan]] Prometheus steht damit für einen einsamen Schöpfer, dessen Rebellion gegen die ‚göttliche Ordnung‘ ihm die eigene Schöpfungstat erst möglich macht. Damit bezieht sich Goethe gewissermaßen in seiner [[Ode]] [[Selbstreferenzialität|autoreferentiell]] auf sein eigenes Künstlertum. Doch die Ode sagt heteroreferentiell auch etwas über die neue [[Poetik]] der [[Sturm und Drang|Sturm-und-Drang-Zeit]] aus: Losgelöst von [[Konvention|konventionellen]] [[Religion]]svorstellungen sowie auch von der inzwischen ritualisierten [[Empfindsamkeit]] (deren Gefühlsbetontheit Goethe hier jedoch übernimmt), ermöglicht die prometheische [[Schöpfung]]stat dem genialen Menschen einen vollen Ersatz für die Religion. Allerdings muss die Prometheus-Ode nicht grundsätzlich als eine Absage an die Religion aufgefasst werden, sondern kann auch als Projektionsfläche für die [[Pantheismusstreit|Pantheismusdebatte]] der damaligen Zeit gelesen werden.
Dieser Inhalt ist typisch für den Sturm und Drang. Der geniale (wobei der Begriff des Genies in der Zeit des Sturm und Drangs anders definiert wurde als heute), schöpferische Mensch, sprengt alle Fesseln und Konventionen und erstarkt an Schicksalsschlägen (weicht denen nicht aus).


== Form ==
== Form ==
Das Gedicht ist (bis auf den drittletzten und letzten Vers, welche dadurch herausgehoben werden) [[reim]]los in [[Freie Rhythmen|freien Rhythmen]] geschrieben, die sich bei Goethe insbesondere in der Lyrik seiner Sturm-und-Drang-Zeit finden. Die Form unterstreicht so die Aussage des Gedichts. Die vielen Unregelmäßigkeiten in der Form spiegeln die für den Sturm und Drang typische Gefühlsbetontheit und Kühnheit des Helden wider. In der ersten der sieben Strophen wird mehrmals der Imperativ benutzt, die Possessivpronomen ‚dein‘ und ‚mein‘ sind herausgehoben. Strophen 4–6 sind in Frageform geschrieben. Die Fragen verkürzen sich dabei teilweise in der Art einer [[Stichomythie]] und zweifellos mit [[pathetisch]]em Ausdrucksziel auf Verslänge und darunter.
Das Gedicht ist [[reim]]los, hat keine feste äußere Form und Rhythmus (also ein typisches Beispiel für die Dichtung des Sturm und Drangs)


== Vergleich mit anderen Gedichten Goethes ==
== Vergleich mit anderen Texten Goethes ==
'''Grenzen der Menschheit''' (~[[1776]] - [[1781]]; genaue Datierung unbekannt): In diesem Gedicht überwiegen eher die Adjektive (im Gegensatz zu Prometheus, wo eher Verben zum Tragen kommen). Daraus ergibt sich eine eher ruhigere Stimmung. Goethe klagt die Götter nicht mehr an wie in Prometheus, sondern sagt, dass man sich mit den Göttern nicht messen kann. Der Mensch soll demütig sein und Respekt vor den Göttern haben.
''Grenzen der Menschheit'' (etwa 1776–1781, genaue Datierung unbekannt): In diesem Gedicht überwiegen die Adjektive (im Gegensatz zu ''Prometheus'', wo eher Verben zum Tragen kommen). Daraus ergibt sich eine ruhigere Stimmung. Goethe klagt die Götter nicht mehr an wie in ''Prometheus'', sondern sagt, dass man sich mit den Göttern nicht messen kann. Der Mensch soll demütig sein und Respekt vor den Göttern haben. Dieses Gedicht steht somit zeitlich und inhaltlich gesehen an der Grenze zwischen dem [[Sturm und Drang]] und der [[Weimarer Klassik]].
Dieses Gedicht steht somit zeitlich und inhaltlich gesehen an der Grenze zwischen dem [[Sturm und Drang]] und der (Weimarer) Klassik.


''[[Das Göttliche]]'' (1783): Dieses Gedicht richtet sich direkt an den edlen Menschen und sagt, dass die Menschen sich ein Beispiel an den Göttern nehmen sollen ([[Incipit]] „Edel sei der Mensch&nbsp;/ Hilfreich und gut!“). Außerdem spielt die Natur eine Rolle, die den Menschen nicht wertet („Es leuchtet die Sonne&nbsp;/ Über Bös’ und Gute,&nbsp;/ Und dem Verbrecher&nbsp;/ Glänzen, wie dem Besten,&nbsp;/ Der Mond und die Sterne“). Daneben soll sich der Mensch von anderen Wesen, die wir kennen, unterscheiden, indem wir richten und entscheiden können. Hier ist die [[Weimarer Klassik]] und ihr Ideal des „edlen Menschen“ manifest geworden.
'''[[Das Göttliche]]''' ([[1783]]).

Dieses Gedicht richtet sich direkt an den (edlen) Menschen und sagt, dass die Menschen sich ein Beispiel an den Göttern nehmen sollen. Außerdem spielt die Natur eine Rolle, die den Menschen nicht wertet ("Über Bös' und Gute, Und dem Verbrecher Glänzen, wie dem Besten, der Mond und die Sterne). Außerdem soll sich der Mensch von anderen Wesen, die wir kennen, unterscheiden, indem wir richten und entscheiden können.
In seiner [[Tragödie]] ''[[Faust. Eine Tragödie|Faust]]'' erinnert Goethe hingegen durch [[Mephistopheles]] daran, dass der Satz „Eritis sicut Deus scientes bonum et malum“ („Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“, 2047) von der Schlange im [[Garten Eden|Paradies]] ausgesprochen worden sei und dass er die Vertreibung [[Adam und Eva|Adams und Evas]] aus diesem eingeleitet habe. Spöttisch kommentiert Mephisto, der Teufel, anschließend: „Dir wird gewiss einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“ Was damit gemeint sein dürfte, wird in Goethes Gedicht ''[[Der Zauberlehrling]]'' (1787) deutlich: Der Lehrling ruft, in scheinbarer Ebenbürtigkeit mit dem Meister, Geister herbei, deren Wirken er später nicht mehr kontrollieren kann. Hier wie in ''Faust'' wird die Idee, der Mensch solle Gott (bzw. ''den Göttern'' oder ''der Gottheit'') ähnlich werden, relativiert.
Dieses Gedicht ist ein Beispiel für die (Weimarer) Klassik ("Edel sei der Mensch" - Der edle Mensch - ein klassisches Ideal).

== Literatur ==
* Edith Braemer: ''Goethes Prometheus und die Grundpositionen des Sturm und Drang'' (= ''Beiträge zur deutschen Klassik'', 8). Dritte Auflage, Aufbau-Verlag, Berlin/Weimar 1968.
* [[Barbara Neymeyr]]: ''Die Proklamation schöpferischer Autonomie. Poetologische Aspekte in Goethes „Prometheus“-Hymne vor dem Horizont der mythologischen Tradition.'' In: Olaf Hildebrand (Hrsg.): ''Poetologische Lyrik von Klopstock bis Grünbein. Gedichte und Interpretationen.'' Köln u. a. 2003, ISBN 3-8252-2383-3, S. 28–49
* Inge Wild: ''„Jünglingsgrillen“ oder „Zündkraut einer Explosion“?'' In: Bernd Witte (Hrsg.): ''Interpretationen. Gedichte von Johann Wolfgang Goethe.'' Reclam, Stuttgart 1998, S. 45–61.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikisource|Prometheus (Gedicht, frühe Fassung)|Prometheus (Gedicht, frühe Fassung 1789)}}
*[http://gutenberg.spiegel.de/goethe/gedichte/promethe.htm Prometheus beim Gutenberg-Projekt]
{{Wikisource|Prometheus (Gedicht, späte Fassung)|Prometheus (Gedicht, späte Fassung 1827)}}
*[http://www.vorleser.net/html/goethe.html Hörbuch - Johann Wolfgang von Goethe - Prometheus von Vorleser.net]
*{{PGIW|9260}}
[[Kategorie:Goethe]]
*[https://web.archive.org/web/20060616094107/http://freiburger-anthologie.ub.uni-freiburg.de/fa/fa.pl?cmd=gedichte&sub=show&add=&print=1&spalten=1&id=1100 freiburger-anthologie.ub.uni-freiburg.de; Prometheus (Gedicht), Frühe und weitere Fassungen]

== Einzelnachweise ==
<references />

{{Navigationsleiste Goethe}}

{{Normdaten|TYP=w|GND=4099203-2|VIAF=216086717}}

[[Kategorie:Werk von Johann Wolfgang von Goethe]]
[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Literatur (18. Jh.)]]
[[Kategorie:Literatur (18. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Literatur (Deutsch)]]
[[Kategorie:Literatur (Deutsch)]]
[[Kategorie:Lyrik]]
[[Kategorie:Sturm und Drang]]
[[Kategorie:Gedicht]]
[[Kategorie:Mythologie in der Literatur]]
[[Kategorie:Rezeption der griechischen Mythologie]]
[[Kategorie:Prometheus]]

Aktuelle Version vom 26. November 2024, 07:15 Uhr

Der gefesselte Prometheus mit dem Adler, links sein Bruder Atlas mit der Weltkugel (Trinkschale aus Cerveteri, um 555 v. Chr.; Vatikanische Museen, Rom)
Lesung der Ode Prometheus

Prometheus ist der Titel einer Ode oder Hymne[1] Johann Wolfgang von Goethes aus dem Jahr 1774. Das Werk gehört zu seinen bekanntesten Gedichten und ging aus dem gleichnamigen Dramenfragment hervor.

Prometheus wurde zwischen 1772 und 1774 verfasst. Wie auch die anderen Hymnen Mahomets Gesang, Ganymed, An Schwager Kronos entstand dieses Werk in Goethes Sturm-und-Drang-Zeit. Friedrich Heinrich Jacobi druckte die Hymne erstmals in seiner Schrift „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn“ unautorisiert und anonym ab. Goethe nahm sie erst 1789 in seine neu edierten Schriften auf und ließ sie zusammen mit der Ganymed-Ode erscheinen. Die Form der Hymne (oder Ode) ist die lyrische Ausdrucksform, die dem Sturm und Drang am ehesten gerecht wird, denn in ihr treten mythische Figuren auf, die als Repräsentanten der Künstler des Sturm und Drang betrachtet werden können und die somit das Dilemma von Kunst und Leben verkörpern. Ein Hauptanliegen des Sturm und Drang ist das Überwinden von überkommenen Autoritäten, und damit kann Prometheus als programmatisch für diese Epoche gesehen werden.

Heinrich Füger: Prometheus bringt der Menschheit das Feuer (um 1817)

Bei einer Hymne handelt es sich normalerweise um einen Lobgesang; dieses Prinzip wird aber hier ins Gegenteil verkehrt, denn Prometheus preist die Götter keineswegs, sondern erhebt eine Klage gegen sie, die von Vorwürfen, aber auch Spott geprägt ist. Er spricht Zeus rebellisch, ja verachtungsvoll an und vergleicht ihn mit einem Kind, das seine Wut an der Welt auslässt, wie ein Knabe, der „Disteln köpft“:

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen Dich und Bergeshöhn! […]

In der zweiten Strophe wirft er nicht nur Zeus, sondern allen Göttern, vor, sich „kümmerlich“ (Vers 15) von den Opfern der Gutgläubigen zu ernähren, und bekennt ebenso beleidigend: „Ich kenne nichts Ärmer’s / Unter der Sonn’ als euch Götter“ (Verse 13–14). Auch er habe sich, verirrt und gutgläubig, in der Hoffnung auf ein offenes Ohr und Hilfe, an die Götter gewandt – doch nicht die Götter hätten ihm geholfen, sondern sein eigenes „heilig glühend Herz“ (Vers 34). Damit stellt sich Prometheus nicht nur mindestens ebenbürtig neben die Götter (er ist gleichsam selbst ein Gott und verhalf Zeus zu seiner Macht), Goethe nimmt zudem auch Bezug auf den Genie-Begriff des Sturm und Drang, dessen Vertreter unter einem Genie einen Menschen verstanden, der völlig im Einklang mit sich selbst lebt, über Welt und Natur erhaben ist und beinahe göttliche Fähigkeiten besitzt.[2]

In den darauffolgenden Strophen 4 und 5 lässt Goethe den Prometheus mehrere rhetorische Fragen stellen, mit denen er seine Vorwürfe gegen die Olympier noch steigert. Prometheus wirft nun den Göttern vor, weder geheilt noch gelindert zu haben, und verweigert ihnen seine Ehrfurcht. Nicht die Götter, sondern die Zeit und das Schicksal hätten ihn „zum Manne geschmiedet“ (Vers 43). Kraft seines Entschlusses, die Götter nicht zu achten, gewinnt er in der letzten Strophe gar die Macht, Menschen nach seinem Bilde zu formen. Diese Selbstüberhöhung (Hybris) wird mit den letzten Worten „wie ich“ besiegelt und über das ganze Gedicht hinweg mit unterschiedlich langen Versen und Strophen unterstützt, die sich zu ‚überstürzen‘ scheinen.

Prometheus will die Götter entthronen. Er sieht in ihnen mitleidlose, schmarotzerische und neidische Gestalten, die auf erbärmliche Weise von Rauchopfern der Menschen abhängig sind. Diese Thematik ist typisch für die Epoche des Sturm und Drang, in der der Begriff des Genies eine etwas andere Bedeutung hatte als heute: Der geniale, schöpferische Mensch sprengt – nach damaliger Auffassung – alle Fesseln und Beschränkungen und erstarkt an Schicksalsschlägen, was auch heißt, dass er ihnen nicht ausweicht.

Der Titan Prometheus steht damit für einen einsamen Schöpfer, dessen Rebellion gegen die ‚göttliche Ordnung‘ ihm die eigene Schöpfungstat erst möglich macht. Damit bezieht sich Goethe gewissermaßen in seiner Ode autoreferentiell auf sein eigenes Künstlertum. Doch die Ode sagt heteroreferentiell auch etwas über die neue Poetik der Sturm-und-Drang-Zeit aus: Losgelöst von konventionellen Religionsvorstellungen sowie auch von der inzwischen ritualisierten Empfindsamkeit (deren Gefühlsbetontheit Goethe hier jedoch übernimmt), ermöglicht die prometheische Schöpfungstat dem genialen Menschen einen vollen Ersatz für die Religion. Allerdings muss die Prometheus-Ode nicht grundsätzlich als eine Absage an die Religion aufgefasst werden, sondern kann auch als Projektionsfläche für die Pantheismusdebatte der damaligen Zeit gelesen werden.

Das Gedicht ist (bis auf den drittletzten und letzten Vers, welche dadurch herausgehoben werden) reimlos in freien Rhythmen geschrieben, die sich bei Goethe insbesondere in der Lyrik seiner Sturm-und-Drang-Zeit finden. Die Form unterstreicht so die Aussage des Gedichts. Die vielen Unregelmäßigkeiten in der Form spiegeln die für den Sturm und Drang typische Gefühlsbetontheit und Kühnheit des Helden wider. In der ersten der sieben Strophen wird mehrmals der Imperativ benutzt, die Possessivpronomen ‚dein‘ und ‚mein‘ sind herausgehoben. Strophen 4–6 sind in Frageform geschrieben. Die Fragen verkürzen sich dabei teilweise in der Art einer Stichomythie und zweifellos mit pathetischem Ausdrucksziel auf Verslänge und darunter.

Vergleich mit anderen Texten Goethes

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Grenzen der Menschheit (etwa 1776–1781, genaue Datierung unbekannt): In diesem Gedicht überwiegen die Adjektive (im Gegensatz zu Prometheus, wo eher Verben zum Tragen kommen). Daraus ergibt sich eine ruhigere Stimmung. Goethe klagt die Götter nicht mehr an wie in Prometheus, sondern sagt, dass man sich mit den Göttern nicht messen kann. Der Mensch soll demütig sein und Respekt vor den Göttern haben. Dieses Gedicht steht somit zeitlich und inhaltlich gesehen an der Grenze zwischen dem Sturm und Drang und der Weimarer Klassik.

Das Göttliche (1783): Dieses Gedicht richtet sich direkt an den edlen Menschen und sagt, dass die Menschen sich ein Beispiel an den Göttern nehmen sollen (Incipit „Edel sei der Mensch / Hilfreich und gut!“). Außerdem spielt die Natur eine Rolle, die den Menschen nicht wertet („Es leuchtet die Sonne / Über Bös’ und Gute, / Und dem Verbrecher / Glänzen, wie dem Besten, / Der Mond und die Sterne“). Daneben soll sich der Mensch von anderen Wesen, die wir kennen, unterscheiden, indem wir richten und entscheiden können. Hier ist die Weimarer Klassik und ihr Ideal des „edlen Menschen“ manifest geworden.

In seiner Tragödie Faust erinnert Goethe hingegen durch Mephistopheles daran, dass der Satz „Eritis sicut Deus scientes bonum et malum“ („Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“, 2047) von der Schlange im Paradies ausgesprochen worden sei und dass er die Vertreibung Adams und Evas aus diesem eingeleitet habe. Spöttisch kommentiert Mephisto, der Teufel, anschließend: „Dir wird gewiss einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“ Was damit gemeint sein dürfte, wird in Goethes Gedicht Der Zauberlehrling (1787) deutlich: Der Lehrling ruft, in scheinbarer Ebenbürtigkeit mit dem Meister, Geister herbei, deren Wirken er später nicht mehr kontrollieren kann. Hier wie in Faust wird die Idee, der Mensch solle Gott (bzw. den Göttern oder der Gottheit) ähnlich werden, relativiert.

  • Edith Braemer: Goethes Prometheus und die Grundpositionen des Sturm und Drang (= Beiträge zur deutschen Klassik, 8). Dritte Auflage, Aufbau-Verlag, Berlin/Weimar 1968.
  • Barbara Neymeyr: Die Proklamation schöpferischer Autonomie. Poetologische Aspekte in Goethes „Prometheus“-Hymne vor dem Horizont der mythologischen Tradition. In: Olaf Hildebrand (Hrsg.): Poetologische Lyrik von Klopstock bis Grünbein. Gedichte und Interpretationen. Köln u. a. 2003, ISBN 3-8252-2383-3, S. 28–49
  • Inge Wild: „Jünglingsgrillen“ oder „Zündkraut einer Explosion“? In: Bernd Witte (Hrsg.): Interpretationen. Gedichte von Johann Wolfgang Goethe. Reclam, Stuttgart 1998, S. 45–61.

Einzelnachweise

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  1. Hartmut Reinhardt (Prometheus und die Folgen. In: Goethe-Jahrbuch 1991, S. 137–168; online im Goethezeitportal, dort S. 1, Fußnote 3) verweist auf den zeitgenössischen Typus der „Ode des Affekts“ (Johann Gottfried Herder), gibt zwar die inhaltliche Ähnlichkeit zur Hymne (direkte Anrede einer Gottheit) zu, hält aber durch „die besondere Art des Anredens – Protest, ja Verachtung statt Ergebung und Verehrung –“ eher den Begriff der „Antihymne“ für gerechtfertigt. Vgl. Edith Braemer: Goethes Prometheus und die Grundpositionen des Sturm und Drang. Dritte Auflage, Berlin und Weimar 1968, S. 301.
  2. Vgl. beispielsweise Kants Definition in der Kritik der Urteilskraft.