„Runen“ – Versionsunterschied
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→Weblinks: Zeitschriftenartikel über Runen auf dem Philosophieportal von Neue Akropolis e.V. |
Guidod (Diskussion | Beiträge) →Ursprung: Hinweis auf Formenreichtum am Mittelmeer |
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[[Datei:Rokstenen west view.jpg|mini|Der [[Runenstein von Rök]] ([[Östergötland|Südschweden]]), 9. Jahrhundert]] |
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'''Runen''' sind die ältesten Schriftzeichen der [[Germanen]]. Sie waren vor allem zwischen dem 2. und dem 12. Jahrhundert für geritzte und gravierte Inschriften auf Gegenständen und [[Runenstein|Steindenkmälern]] in Gebrauch. Ihre Verbreitung zeigt von Anfang an einen deutlichen Schwerpunkt in Süd[[skandinavien]]. In allen anderen Siedlungsräumen germanischsprachiger Völker ist nur eine dünne Streuüberlieferung zu finden, die außerdem mit dem jeweiligen Einzug des [[Christentum]]s zu ihrem Ende kommt. Die nominelle [[Christianisierung]] Nordeuropas hatte grundsätzlich den Wechsel zur lateinischen Schrift zur Folge. Die Verwendung von Runen endete mithin in Mitteleuropa vor 700 n. Chr. und in England im 10. Jahrhundert. Nur in Skandinavien hielt sich der Gebrauch der Runenschrift deutlich länger, in einzelnen Regionen bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der weitaus größte Teil der etwa 6.500 erhaltenen Runeninschriften stammt aus dem Skandinavien der [[Wikingerzeit]]. |
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[[Datei:Burserydfunt1.jpg|mini|Runen auf dem Taufbecken von Burseryd]] |
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Als '''Runen''' bezeichnet man die alten [[Schriftzeichen]] der [[Germanen]]. Der Sammelbegriff umfasst Zeichen unterschiedlicher Alphabete in zeitlich und regional abweichender Verwendung. |
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Runen können einerseits als Zeichen für jeweils einen Laut geschrieben werden ([[Alphabetschrift]]), andererseits stehen sie als Zeichen für die jeweiligen Begriffe, deren Namen sie tragen. Daneben können sie Zahlen darstellen oder als magisches Zeichen verwendet werden. Die Entwicklung der Zeichenformen zielte nicht auf eine flüssige [[Gebrauchsschrift]] ab. Abgesehen von einer kurzen Phase im hochmittelalterlichen [[Skandinavien]] wurde die Runenschrift nicht zur Alltagskommunikation verwendet. |
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Die ältesten Inschriften datieren aus dem [[2. Jahrhundert]] und stammen aus Moorfunden in Südschweden und Dänemark ([[Jütland]]). Als älteste Runeninschrift gilt derzeit der Name ''harja'' auf dem Kamm von Vimose, der in die Zeit 150–200 n. Chr. datiert wird. Älter ist zwar die Fibel von [[Meldorf]] (Schleswig-Holstein) von etwa 50–100 n. Chr., doch ist die Inschrift nicht sicher runisch (lateinisch?). Etwas jünger ist die auf einer eisernen Speerspitze eingeritzte Beschwörung ''raunijaR'' („Herausforderer“). Die Spitze wurde in einem Grab aus der Zeit um 200 in Øvre Stabu ([[Oppland]]) Norwegen gefunden. |
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== Verbreitung == |
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Der [[Literalität]]sgrad der Kulturen, die Runen gebrauchten, muss als sehr niedrig eingeschätzt werden. Die Runenschrift entwickelte sich nie zu einer Buch- und Urkundenschrift und erfasste niemals so weite Bereiche des [[Kollektives Gedächtnis|kollektiven Gedächtnisses]] und der Alltagskommunikation wie die lateinische Schrift in Antike und Mittelalter: Literatur, Liturgie, Geschichtsüberlieferung, Recht blieben [[Oralität|mündlich]]. Der hauptsächliche Anwendungsbereich von Runen waren [[Inschrift]]en zum Gedenken an Verstorbene oder an besondere Ereignisse, zur Weihe oder Verschenkung von Gegenständen, als Besitzerangaben und als Münzinschriften. |
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Runen waren vom 2. bis zum 14. Jahrhundert n. Chr. überwiegend für geritzte und gravierte Inschriften auf Gegenständen und auf [[Runenstein|Steindenkmalen]] in Gebrauch. |
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Die Verbreitung der etwa 7100 bisher bekannten Runeninschriften (Stand 2023), „wobei zahlreiche unpublizierte Neufunde nicht miteingerechnet“ sind,<ref>Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023, S. 3</ref> zeigt einen deutlichen Fundschwerpunkt in Dänemark und [[Skandinavien|Südskandinavien]]. Dies ist zum Teil durch die lokalen Traditionen von Runensteinen begründet. Runen waren durchaus auch entlang des Rheins, bei den Alemannen, in Bayern, Brandenburg, Thüringen sowie in Pommern, Schlesien und Böhmen begrenzt in Gebrauch, wobei sich die Funde im Norden und Osten grob vor der [[Völkerwanderung]] (200–500 n. Chr.), die im Süden und Westen zum Ende der Völkerwanderung (500–700 n. Chr.) einordnen lassen. |
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Runen wurden meist rechtsläufig (von links nach rechts) geschrieben, aber es gab auch Ausnahmen, besonders im [[Nordgermanen|nordgermanischen]] Raum. |
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[[Bild:Rok Stone.jpg|thumb|320px|Der [[Runenstein von Rök]] ([[Östergötland|Südschweden]]), 9. Jh.]] |
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Dabei dominiert das ältere [[Futhark]] auf dem Kontinent, während [[Wikinger]] ab dem 4. Jahrhundert jüngere Versionen des Futhark hinterließen. In den anderen zeitweiligen Siedlungsräumen, zum Beispiel in den Niederlanden, Ungarn, Rumänien (zum Beispiel Lecani, Pietroassa und Szabadbattyán) sowie in der Schweiz, Belgien, Norditalien und Frankreich ist nur eine dünne Streuüberlieferung aus der Zeit der Völkerwanderung zu finden. Lediglich in Regionen, die von Wikingern und Nordmännern erobert worden waren, nutzte man noch einige Zeit Runen, die jedoch ebenfalls mit der Christianisierung der Nordmänner verschwanden. So waren Runen im 7. Jahrhundert noch an der niederländischen Küste, in Russland bis ins 9. Jahrhundert und auf den britischen Inseln sogar bis ins 10. Jahrhundert in Gebrauch, wobei es sich um jüngere Variationen handelt.<ref>Tineke Looijenga: ''Texts and Contexts of the Oldest Runic Inscriptions.''</ref> |
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[[Datei:Small Sigtrygg stone.jpg|mini|Der kleine Sigtryggstein im Wikingermuseum [[Haithabu]] in Schleswig-Holstein]] |
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Die [[Christianisierung]] der Germanen, Nordmänner und Waräger führte letztendlich die lateinischen Buchstaben und in Russland die kyrillischen Buchstaben ein. Nur in den [[Nordische Länder|nordischen Ländern]] hielt sich der Gebrauch der Runenschrift bis ins 15. Jahrhundert. Die gut 350 Runeninschriften der mittelschwedischen Region [[Dalarna]] (''Dalrunen'') bezeugen den Runengebrauch vom späten 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert; sie befinden sich hauptsächlich auf Haushalts- und Arbeitsgeräten und sind zum Beispiel Herstellerinschriften und Besitzervermerke.<ref>Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023</ref> |
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Der weitaus größte Teil der etwa 7100 Runenfunde stammt aus dem Skandinavien der [[Wikingerzeit]]. Die ältesten Inschriften datieren aus dem 2. Jahrhundert und stammen aus Moorfunden in [[Schleswig-Holstein]], in Jütland und [[Fünen]] in Dänemark und Südschweden, sowie aus Ostdeutschland, zum Beispiel Brandenburg ([[Müncheberg|Dahmsdorf]]) und Polen (Kowel, Rozwadów). In Deutschland und Polen wurde mit dem Aufschwung des Königreichs Preußen im 18. Jahrhundert vieles zugunsten der Landwirtschaft trockengelegt und abgetragen, sodass Runenfunde eher selten sind und sich vorwiegend auf wenige mobile Gegenstände beschränken. |
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Die älteste datierte Runeninschrift eines ganzen Satzes ist der [[Runenstein von Svingerud]], datiert auf 1–250 n. Chr. Daneben gibt es mehrere Funde mit einzelnen Worten. Dazu gehört das 2024 entdeckte Runenmesser aus einem Urnengrab bei Odense, datiert um 150 n. Chr, mit der Inschrift „hirila“ (kleines Messer).<ref>{{cite web|url=https://www.derstandard.de/story/3000000204173/jahrhundertfund-aelteste-runen-auf-messer-in-daenemark-entdeckt|publisher=Der Standard|date=2024-01-22|title=Jahrhundertfund: Älteste Runen auf Messer in Dänemark entdeckt}}</ref> Aus dem [[Moorfund von Vimose]] stammt ein Kamm mit der Inschrift ''harja'' (Kamm), der in die Zeit 150–200 n. Chr. datiert wird. Die [[Fibel von Meldorf]] ist eine in [[Schleswig-Holstein]] gefundene bronzene Rollenkappenfibel (Gewandspange), die in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert wird. Sie ist damit zwar älter als andere Funde, doch besteht die vierbuchstabige Inschrift nicht sicher aus Runen; ihre Lesung ist deshalb umstritten, es könnte aber eine Vorstufe der Runen sein.<ref>Klaus Düwel: ''Runenkunde.'' 3., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001, ISBN 3-476-13072-X, S. 23.</ref> Etwas jünger ist die auf einer eisernen Speerspitze eingeritzte Bezeichnung ''raunijaR'' (der Stamm ''raun''- = „versuchen“, „erproben“). Die Spitze wurde in einem Grab aus der Zeit um 200 n. Chr. in Øvre Stabu ([[Oppland]]) [[Norwegen]] gefunden.<ref>Klaus Düwel: ''Runenkunde.'' 3., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001, ISBN 3-476-13072-X, S. 24.</ref> |
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Die Verwendung von Schrift war vor Christi Geburt in den germanischen Kulturen nicht verwurzelt. Bereits früh gab es jedoch regelmäßige Handelskontakte zu den schriftkundigen Griechen. Möglicherweise gab es Vorstellungen, die gegen eine Übernahme dieser Innovation sprachen. Eine [[Schriftkultur]] hatte sich daher sehr spät und nur im Ansatz entwickelt. Sie ging kaum über eine kleine Elite von Schreibern hinaus und wurde mit magischer Bedeutung belegt. Die Runenschrift entwickelte sich daher nie zu einer vollwertigen Buch- und Urkundenschrift und erfasste nie Bereiche der Alltagskommunikation und des [[Kollektives Gedächtnis|kollektiven Gedächtnisses]], wie es bei Schriftsystemen der Römer, Griechen oder Perser der Fall war. Literatur, Liturgie, Geschichte und Recht wurden zunächst [[Mündliche Überlieferung|mündlich]], später lateinschriftlich überliefert. Runen wurden vor allem für [[Inschrift]]en zum Gedenken an Verstorbene oder an besondere Ereignisse, zur [[Weihe (Religion)|Weihe]] oder zum Verschenken von Gegenständen, als Besitzerangaben und als Münzinschriften verwendet. Erst im hochmittelalterlichen Skandinavien bildete sich, in Konkurrenz zur lateinischen Schrift, eine Art Gebrauchsschriftlichkeit in Runen aus. |
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== Bezeichnungsherkunft == |
== Bezeichnungsherkunft == |
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Im 17. Jahrhundert wurde das neuhochdeutsche Wort ''Rune'' aus der dänischen [[Philologie|philologischen]] Literatur entlehnt, zunächst als gelehrte Bezeichnung für den germanischen Sänger (''Runen und Skalder'', Schottel), dann für das germanische Schriftzeichen (18. Jahrhundert), neben ''Runbuchstabe''. Zuvor war das dänische Wort ''rune'' aus dem [[Altdänisch]]en wiederbelebt worden. |
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Die Bedeutung des Wortes im Sinne von „Schriftzeichen“ greift zurück auf [[Altnordische Sprache|altnordisch]] ''rún'', Plur. ''rúnir, rúnar'' „Zauber-, Schriftzeichen“. Das altnordische Wort entspricht [[altenglisch]] ''rūn'' „Geheimnis, geheime Beratung, Runenzeichen“, [[Gotische Sprache|gotisch]] ''rūna'' „Geheimnis, Ratschluss“ und [[Althochdeutsche Sprache|althochdeutsch]] ''rūna'' „geheime Beratung, Geheimnis, Geflüster“. Die althochdeutsche Bedeutung ist im [[Verb]] ''raunen'' erhalten geblieben.<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/raunen ''raunen.''] In: ''Duden online''</ref> Bis ins 19. Jahrhundert war zudem das [[Schweizer Hochdeutsch|schweizerische]] Substantiv ''Raun'' für eine „geheime Abstimmung, Stimmabgabe ins Ohr einer beeidigten Magistratsperson“ gebräuchlich.<ref>Wolfgang Pfeifer et al.: ''Etymologisches Wörterbuch des Deutschen.'' 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. Stichwort: „Rune“.</ref> Alle genannten Wortformen beruhen auf [[Urgermanische Sprache|urgermanisch]] *''rūnō'' mit Grundbedeutung „Geheimnis“. |
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Die Bezeichnung der germanischen Schriftzeichen mit dem urgermanischen Wort *''rūnō''- findet sich schon in der Runeninschrift auf dem Stein von Einang (ca. 350–400) als Akk. sg. ''runo''. Außerhalb der Runeninschriften findet sich das Wort in einem Gedicht (um 565) von [[Venantius Fortunatus]] (''Carmina'' VII, 18), der im fränkischen [[Merowinger]]reich mit Runen in Berührung gekommen sein könnte: ''Barbara fraxineis pingatur rhuna tabellis/quodque papyrus agit virgula plana valet'' („Die Rune der Barbaren mag man auf eschene Tafeln zeichnen; was der Papyrus vermag, tut der geglättete Zweig“). Nach einer Theorie leitet sich das Wort ''Buchstabe'' von den Buchenstäben ab, auf die die Runen geritzt wurden. Nach einer weiteren Theorie geht die Bezeichnung auf den kräftigen senkrechten Strich, den sogenannten Stab, zurück, der vielen Runen gemein ist. Für eine genauere Beschreibung der vermuteten Etymologie vgl. den zugehörigen Eintrag im Artikel [[Buchstabe]]. |
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''Rune'' ist in der [[Finnougristik]] und in manchen Übersetzungen auch die Bezeichnung für die einzelnen Gesänge der [[Kalevala]] und andere Werke der karelischen und finnischen Volksdichtung.<ref>Vgl. [https://www.duden.de/rechtschreibung/Rune ''Rune.''] In: ''Duden online''</ref> |
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Der Bezeichnung „Rune“ ist von einer Wurzel ''rūn-'' ([[gotische Sprache|gotisch]] ''runa'') mit der Bedeutung „Geheimnis“ abzuleiten. Verwandt damit sind auch die deutschen Wörter „raunen“ und „Geraune“. Entgegen der weitverbreiteten Meinung, der Name ''Runen'' sei neuzeitlichen Ursprungs, gibt es aus dem 6. Jahrhundert mehrere Nennungen von ''runa'' auf beritzten Gegenständen (z. B. Runenstab von Neudingen). Und [[Venantius Fortunatus]], der im fränkischen [[Merowinger]]reich mit Runen in Berührung gekommen sein könnte, dichtete um 565: ''Barbara fraxineis pingatur '''rhuna''' tabellis / quodque papyrus agit virgula plana valet.'' (Die Rune der Barbaren mag man auf eschene Tafeln zeichnen; was der Papyrus vermag, dazu taugt auch das flache Holzstäbchen. ''Carmina'' VII, 18). Von den Buchen-Stäben, auf die die Runen geritzt wurden, leitet sich das Wort [[Buchstabe|''Buchstabe'']] ab. |
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== Ursprung == |
== Ursprung == |
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Die Runen sind vermutlich weder unabhängig entstanden, noch sind sie von den Germanen als fertiges Schriftsystem übernommen worden, sondern wurden weitgehend eigenständig nach Vorbildern mediterraner Schriften entwickelt. Sie treten allerdings schon sehr früh als komplettes Alphabet mit 24 Buchstaben auf. Vor allem die lateinische Schrift, aber auch die zahlreichen vom Lateinischen verdrängten und untergegangenen Schriften des keltisch-alpin-italischen Raums kommen als Vorbilder in Betracht. Runen gehören damit – sowohl in ihrem Prinzip einer [[Alphabetschrift]] als auch in der Form vieler Lautzeichen – zu der großen [[Phönizische Schrift|phönizisch]]-[[Aramäische Sprachen|aramäischen]] Familie von Alphabeten, zu denen auch alle heutigen europäischen Schriften gezählt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Alfred Bammesberger, Gabriele Waxenberger, René Derolez |Titel=Das fuÞark und seine einzelsprachlichen Weiterentwicklungen. Akten der Tagung in Eichstätt vom 20. bis 24. Juli 2003 |Verlag=W. De Gruyter |Ort=Berlin |Datum=2006 |ISBN=3-11-092298-3}}</ref> |
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Der Ursprung der Runenschrift ist zeitlich und räumlich kaum zu erhellen, weil die ältesten Belege bereits einen etablierten Satz von Zeichen präsentieren. Die bisher ältesten gesicherten Funde von Runen liegen auf der Halbinsel [[Jütland]]. Aber auch in Schleswig-Holstein tauchen etwa gleich alte Funde auf, ebenso in Schweden. Sie sind alle zeitlich in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts einzuordnen. Es handelt sich um Gegenstände aus Mooropferplätzen in Jütland wie [[Moorfund von Vimose|Vimose]], [[Illerup Ådal]], [[Nydamer Moor|Nydam]] und [[Thorsberger Moor|Thorsberg]]. Vorstufen dieser Schrift, an denen ihre Entstehung nachzuvollziehen wäre, konnten nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Das im älteren Futhark äußerliche Charakteristikum der Runen ist die Vermeidung waagrechter und gebogener Linien, was früher immer wieder die Vermutung aufkommen ließ, dass es sich um eine Buchstabenumformung handelt, die dazu geeignet sein sollte, vor allem in hölzernes Material geritzt zu werden. Man nahm folglich an, dass Vorstufen der Runen nur deshalb nicht bewahrt sind, weil ihr mutmaßlicher Träger Holz sich schlechter als Metall erhalten hat. Trotzdem sollte auch davon ausgegangen werden, dass im Zuge der Christianisierung diese Zeugnisse zerstört wurden. Neuere Funde (zum Beispiel Moorfunde von Illerup Ådal, Dänemark) zeigen jedoch auch gerundete Formen (zum Beispiel bei der Odal-Rune) auf metallenen Waffenteilen.<ref>{{Literatur |Autor=Heinrich Beck, Klaus Düwel, Dieter Michael Job, Astrid van Nahl |Titel=Schriften zur Runologie und Indogermanistik |Ort=Berlin |Datum=2014 |ISBN=978-3-11-030723-8}}</ref> |
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Die Runen sind von den Germanen nicht als fertiges Schriftsystem übernommen, sondern weitgehend eigenständig nach Vorbildern südeuropäischer Schriften entwickelt worden. Vor allem die lateinische Schrift, aber auch die zahlreichen vom Lateinischen verdrängten und untergegangenen Schriften des keltisch-alpin-italischen Raums kommen als "Initialzünder" in Betracht. Die Runen gehen damit - sowohl in ihrem Prinzip einer [[Buchstabenschrift]] als auch in der Form vieler Lautzeichen - letztlich auf die große [[Phönizisches Alphabet|phönizisch]]-[[Aramäische Sprache|aramäische]] Familie von Alphabeten zurück, die im 1. Jahrtausend v. Chr. im Gebiet des [[Libanon]] und [[Syrien]]s entstanden sind und zu denen auch alle heutigen europäischen Schriften gezählt werden. |
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Bei der Herkunft der Runen muss der Formenreichtum der [[Griechisches_Alphabet#Epichorische_Alphabete|epichorischen Alphabete]] beachtet werden, bei der gleiche Zeichen in verschiedenen Städten am Mittelmeer andere Lautwerte hatte, gleiche Lautwerte mit anderen Buchstaben geschrieben wurden, gleiche Buchstaben anders geschrieben wurden, und für den örtlichen Dialekt eigene Zeichen hinzugefügt wurden. Beispielgebend ist [[Omega]] eine lokale Erfindung, die ans Ende der phönizischen Reihenfolge angehängt wurde, wie auch [[Othala]] am Ende der älteren Runenreihe steht. Da die [[rätische Sprache]] keinen O-Laut kannte, konnte es nicht als Quelle für die Schreibung mit [[Omicron]] dienen, wie es die lateinische und etruskische Sprache machten. Gleichwohl kann die andere Schreibung des Lautwerts (O-mega heißt „großes O“) dort bekannt gewesen sein, spätestens mit dem [[Attizismus]] des 1. Jahrhunderts v. Chr. |
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Der Ursprung der Runenschrift ist zeitlich und räumlich kaum zu erhellen, weil die ältesten Belege bereits einen etablierten Satz von Zeichen präsentieren. Das erste gesicherte Auftreten von Runen fällt in die zweite Hälfte des [[2. Jahrhundert]]s (Gegenstände wie z. B. Waffen aus Mooropferplätzen in Jütland wie [[Vimose]], [[Illerup]], [[Nydam]], [[Thorsberg]]). Vorstufen der Schrift, an denen ihre Entstehung nachzuvollziehen wäre, konnten nicht unzweifelhaft identifiziert werden. Das äußerliche Charakteristikum der Runen ist die Vermeidung waagrechter und gebogener Linien, was früher immer wieder die Vermutung aufkommen ließ, dass es sich um eine Buchstabenumformung handelt, die dazu geeignet sein sollte, vor allem in hölzernes Material geritzt zu werden. Man nahm folglich an, dass Vorstufen der Runen nur deshalb nicht bewahrt sind, weil ihr mutmaßlicher Träger, Holz, sich schlechter als Metall erhalten hat. Neuere Funde (z. B. Moorfunde von [[Illerup]], Dänemark) zeigen jedoch auch gerundete Formen (z. B. bei der Odal-Rune) auf metallenen Waffenteilen. |
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Es werden |
Es werden vier Hypothesen zur Entstehung der Runenschrift vertreten: |
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=== Italisch-etruskische |
=== Italisch-etruskische Hypothese === |
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Das Vorbild der Runen soll gemäß verbreiteter Ansicht ein [[Etruskische Schrift|nordetruskisches Alphabet]] bzw. aus dem Kreis der zahlreichen verschiedenen Alphabete Norditaliens und des Alpenraums (4. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) genommen sein. Alle diese Alphabete sind, wie auch die lateinische Schrift, ihrerseits Abkömmlinge des [[Griechisches Alphabet|westgriechischen Alphabets]] (griechischer Kultureinfluss durch Händler und Kolonien in Italien ab dem 7. Jahrhundert v. Chr.). |
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Besonders der [[Negauer Helm]]<ref>[http://titus.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runealph.htm ''Die Entwicklungsgeschichte altgermanischer Alphabete | Der Helm von Negau.''] In: ''titus.uni-frankfurt.de''</ref> wurde früh zur Unterstützung dieser These herangezogen. Der Helm mit einer möglicherweise frühgermanischen Namensinschrift (''harigasti…'') in einem norditalischen Alphabet soll demnach den Ursprung einiger Runenzeichen aus den norditalischen Varianten der griechischen Schrift belegen. Die ''Germanizität'' und die Datierung der Inschrift bleiben jedoch umstritten, zumal der Helm aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammt und die Inschrift selbst erst später (vermutlich im 3./2. Jahrhundert v. Chr.) angebracht wurde. Nach Ansicht mancher Forscher hat die Inschrift nichts mit Runen zu tun.<ref>Robert Nedoma, [[Otto Helmut Urban|Otto H. Urban]]: ''Negauer Helm.'' In: [[Heinrich Beck (Philologe)|Heinrich Beck]], [[Dieter Geuenich]], [[Heiko Steuer]] (Hrsg.): ''[[Reallexikon der Germanischen Altertumskunde]].'' Band 21: ''Naualia – Østfold.'' 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin/New York 2002, S. 58–60 ([http://books.google.de/books?id=YN1NhfSamhUC&lpg=PP1&hl=de&pg=PA58 books.google.de]).</ref> |
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Das Vorbild der Runen soll ein [[nordetruskisches Alphabet]] sein bzw. aus dem Kreis der zahlreichen verschiedenen Alphabete Norditaliens und des Alpenraums (4. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) genommen sein. Alle diese Alphabete sind, wie auch die lateinische Schrift, ihrerseits Abkömmlinge des westgriechischen Alphabets (griechischer Kultureinfluss durch Händler und Kolonien in Italien ab dem [[7. Jahrhundert v. Chr.]]). |
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Das stärkste Argument für die italisch-etruskische These sind die Buchstabenformen, der Schreibduktus und das Verfahren der Worttrennung durch Punkte. In keiner anderen antiken Schrift finden sich so viele Übereinstimmungen mit einzelnen Runenzeichen. Von kulturgeschichtlicher Seite ist diese These jedoch schwer zu untermauern, denn sie impliziert, dass die Runenschrift sich im norditalienischen, westalpinen oder [[Noricum|norischen]] Raum im 1. Jahrhundert v. Chr. oder im 1. Jahrhundert n. Chr. herausgebildet haben müsste und dann bis gegen 200 n. Chr. bis in den Norden Germaniens verbreitet worden wäre, wo sie erst deutlich ins Licht der Geschichte tritt. Der Altertumswissenschaftler Jürgen Zeidler hat versucht, im Bereich der keltischen [[Latènezeit|La-Tène-Kultur]] eben jenes fehlende Zwischenglied (zwischen 100 v. und 100 n. Chr.) nachzuweisen.<ref>Jürgen Zeidler: ''A Disregarded Celtic Script at the End of the First Millenium BC.'' Online-Publikationen des Forums Celtic Studies und seiner Mitglieder. Universität Trier, Trier 1999. [https://www.uni-trier.de/fileadmin/forschung/projekte/ZAT/CEL/celtscr.pdf uni-trier.de] (PDF; 220 kB) Abgerufen am 3. April 2011.</ref> Für diese Hypothese spricht, dass in den Runen, wie auch im Etruskischen und den Alpenschriften, [[Artikulationsort|homorgane]] [[Nasal (Phonetik)|Nasallaute]] vor [[Plosiv|Verschlusslauten]] oft nicht geschrieben werden. Außerdem lässt sich das rätselhafte Formelwort ''alu'' mit etruskisch ''alu'' identifizieren, dem Verbalsubstantiv Präsens Aktiv oder Passiv zu ''al(i)-'' „geben“, „weihen“; ''alu'' lässt sich also als „wer gibt/weiht“, „Geber/Weihender“ bzw. „gegeben/geweiht werdend“, „(Weihe-)gabe“ übersetzen, was passend erscheint. |
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Besonders der [[Helm von Negau]] ([http://titus.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runealph.htm Abb.]) wurde zur Unterstützung dieser These herangezogen. Der Helm mit einer teils frühgermanischen Namensinschrift (''harigasti...'') in einem norditalischen Alphabet soll den Ursprung einiger Runenzeichen aus den norditalischen Varianten der griechischen Schrift belegen. Die Deutung der Inschrift bleibt jedoch umstritten, zumal der Helm aus dem [[5. Jahrhundert v. Chr.]] stammt und die Inschrift selbst erst später ([[3. Jahrhundert v. Chr.|3.]]/[[2. Jahrhundert v. Chr.]]?) angebracht wurde. |
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=== Lateinische Hypothese === |
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Das stärkste Argument für die italisch-etruskische These sind die Buchstabenformen, der Schreibduktus und das Verfahren der Worttrennung durch Punkte. In keiner anderen Schrift finden sich so viele Übereinstimmungen für einzelne Zeichen. Von kulturgeschichtlicher Seite ist diese These jedoch schwer zu untermauern, denn sie impliziert, dass die Runenschrift sich im norditalienischen, westalpinen oder [[Noricum|norisch]]en Raum im 1. Jahrhundert v. Chr. oder im 1. Jahrhundert n. Chr. herausgebildet haben müsste (wo es jedoch keine Spuren von ihr gibt) und dann bis gegen 200 n. Chr. bis in den Norden Germaniens verbreitet worden wäre, wo sie zuerst ins Licht der Geschichte tritt. |
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Die [[Lateinisches Alphabet|lateinische Schrift]] ist eine Schwesterschrift der italischen Alphabete und weist daher einige übereinstimmende Buchstabenformen auf. Im Gegensatz zu den Regionalschriften setzte sie sich mit der Expansion der Großmacht Rom überregional durch und wurde als Verwaltungsschrift in alle Winkel des römischen Imperiums verbreitet. Somit hätten germanische Stämme selbst im abgelegenen südskandinavischen Raum, der selbst nie zum römischen Reich gehörte, durch Kontakte mit der römischen Kultur (über Händler, Geiseln, Söldner, Besucher etc.) die lateinische [[Capitalis monumentalis]] der Kaiserzeit kennenlernen und davon angeregt eine eigene Schrift entwickeln können.<ref>{{Literatur |Autor=Michael P. Barnes |Titel=Runes, a handbook |Auflage=1. |Verlag=Boydell Press |Ort=Woodbridge / New York |Datum=2012 |Seiten=10-12}}</ref> |
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Für diese These sprechen einzelne Übereinstimmungen von Zeichenformen, die jedoch auch auf den gemeinsamen [[Phönizische Schrift|phönizischen]] Ursprung der Schriftsysteme zurückgeführt werden können. |
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=== Latein-These === |
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Viele Runologen gehen heute von der Lateinthese aus. Den genannten Ähnlichkeiten stehen jedoch nach Ansicht anderer Forscher bedeutende Unterschiede entgegen, die eher auf ein griechisches oder zumindest älteres italisches Alphabet als Ursprung schließen lassen. |
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Die [[lateinische Schrift]] ist eine Schwesterschrift der italischen Alphabete und weist daher einige übereinstimmende Buchstabenformen auf. Im Gegensatz zu den Regionalschriften setzte sie sich mit der Großmacht Rom überregional durch und wurde als Verwaltungsschrift bis in alle Winkel des römischen Imperiums verbreitet. Somit war es möglich, dass germanische Stämme selbst im abgelegenen südskandinavischen Raum durch Kontakte mit der römischen Kultur (über Händler, Geiseln, Söldner, Besucher etc.) die lateinische [[Capitalis Monumentalis]] der Kaiserzeit kennen lernen und davon angeregt eine eigene Schrift entwickeln konnten. Für diese These sprechen einzelne Übereinstimmungen von Zeichenformen (unzweifelhaft sind '''F, R''' und '''B'''). Viele Runologen gehen heute von der Latein-These aus. |
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=== Griechische |
=== Griechische Hypothese === |
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Nur mehr wissenschaftsgeschichtlich relevant sind mehrere Versuche, die Entstehung der Runen den [[Goten]] im Schwarzmeergebiet (heutige [[Ukraine]]) zuzuschreiben. Vorbild sollte hier entweder im 2./3. Jahrhundert n. Chr. eine ostgriechische [[Minuskelschrift]] oder ein archaisches griechisches Alphabet des 6. Jahrhunderts v. Chr. gewesen sein. Diese Thesen sind heute weitestgehend aufgegeben worden, denn die ältesten skandinavischen Runendenkmäler sind nach archäologischer Datierung bereits entstanden, ''bevor'' die Goten in Kontakt mit dem römischen Weltreich kamen. Auch aus sprachhistorischen (linguistischen) Gründen scheidet diese Auffassung aus: die älteste Runenreihe reflektiert eindeutig [[Nordgermanische Sprachen|nordgermanische]] bzw. noch [[Urgermanische Sprache|gemeingermanische]] und keine bereits ausdifferenzierten [[Ostgermanische Sprachen|ostgermanischen]] Lautverhältnisse.<ref>{{Literatur |Autor=Klaus Düwel |Titel=Runenkunde |Auflage=4. |Verlag=J.B, Metzler Verlag |Ort=Stuttgart, Deutschland |Datum=2008 |Seiten=176}}</ref><ref name=":0">{{Literatur |Autor=Michael P. Barnes |Titel=Runes – A Handbook |Verlag=The Boydell Press |Ort=Woodbridge, Großbritannien |Datum=2012 |Seiten=120–121}}</ref> |
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Einen Kontakt der Germanen mit den griechischen Alphabeten (beispielsweise durch Handel) kann diese Argumentation jedoch nicht ausschließen.<ref>Zur Griechisch-These siehe Miller: ''Ancient scripts and phonological knowledge.'' Amsterdam 1994, S. 61 ff., 66: “all of the Runic letters can be derived from pre-Classical Greek prototypes.”</ref> |
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Nur mehr wissenschaftsgeschichtlich relevant sind mehrere Versuche, die Entstehung der Runen den [[Goten]] im Schwarzmeergebiet (heutige [[Ukraine]]) zuzuschreiben. Vorbild soll hier entweder im [[2. Jahrhundert|2.]]/[[3. Jahrhundert]] n. Chr. eine ostgriechische Minuskelschrift oder ein archaisches griechisches Alphabet des 6. Jahrhunderts v. Chr. (!) gewesen sein. Diese Thesen sind weitestgehend aufgegeben worden, denn die ältesten skandinavischen Runendenkmäler sind nach archäologischer Datierung bereits entstanden, ''bevor'' die Goten in Kontakt mit dem römischen Weltreich kamen. Auch aus sprachhistorischen (linguistischen) Gründen scheidet diese Auffassung aus: die älteste Runenreihe reflektiert eindeutig [[nordgermanisch]]e bzw. noch [[gemeingermanisch]]e und keine bereits ausdifferenzierten [[ostgermanisch]]en Lautverhältnisse. |
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=== Punische Hypothese === |
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Den drei genannten Hypothesen fällt es schwer, das [[Akrophonie]]-Prinzip der Runen zu erklären, also die Methode, die Buchstaben einer Schrift nach einem Wort zu benennen, das mit dem betreffenden Buchstaben beginnt. Die Akrophonie war bereits bei der Ableitung der griechischen aus der phönizischen Schrift aufgegeben worden. Hier waren lediglich die Buchstabennamen (Alpha, Beta, Gamma … von Aleph, Beth, Gimel …) übernommen worden, die dann bei der Weitergabe ans Lateinische und Etruskische ebenfalls verschwanden. Auffällig ist, dass der erste Buchstabe des phönizischen Alphabets [[Datei:PhoenicianA-01.svg|15px]] „aleph“ ''Rind'' und bei den Runen der erste Buchstabe ''{{Runen|ᚠ}}'' „fehu“ ist, was u. a. ''Vieh, Viehstück'' bedeutet. Weitere Parallelen sind die Nicht-Schreibung der Vokal-Quantität (kurze versus lange Vokale), die Nicht-Schreibung von Konsonanten-[[Gemination (Sprache)|Geminaten]] und die Auslassung von Nasalen (m und n) vor [[Artikulationsort|homorganen]] Konsonanten (Kamba = Kaba auf dem [[Kamm von Frienstedt]]), alles Merkmale sowohl der Runen wie der [[Punier|punischen]] Schrift, aber nicht der griechischen oder lateinischen. |
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Bei der Übernahme und Anpassung der phönizischen Schrift durch die Griechen wurde die graphemische Konsonanten-Gemination (zum Beispiel ἔννεπε, πολλὰ) neu entwickelt. Dieses Konzept wurde später von den Römern in die lateinische Schrift übernommen. Das Urgermanische besaß ebenfalls eine bedeutungsrelevante Konsonantenlänge (Opposition Simplex – Geminate). Folgt man der lateinischen oder griechischen Hypothese, so bleibt unerklärt, weshalb dieses bewährte Verfahren bei der gemutmaßten Weitergabe an die Runen wieder entfernt wurde. |
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=== Die älteste Runenreihe === |
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[[Theo Vennemann]] schlägt deshalb in ''Germanische Runen und phönizisches Alphabet'' vor,<ref>Theo Vennemann: ''Germanische Runen und phönizisches Alphabet''. In: ''Sprachwissenschaft'' 31, 2006, S. 367–429 ([https://www.researchgate.net/publication/296856767_German_runes_and_Phoenician_alphabet online]).</ref> die Runen als unmittelbar aus dem phönizischen Alphabet in seiner westlichsten Ausprägung – dem punischen Alphabet – abgeleitet zu betrachten. Den Vermittlungsrahmen hätten [[Hypothese der Atlantisch-Semitidischen Sprachen|Handels- und Kolonisierungsunternehmungen]] der [[Karthago|Karthager]] an der Nordwestküste Europas geboten, manifestiert vor allem durch die Reise des [[Himilkon (Seefahrer)|Himilkon]], der um 520 v. Chr. die Westküste Europas erkundete mit dem Ziel, neue Kolonien zu gründen. |
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== Runenreihen == |
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Die Bezeichnung „Runenreihe“ steht für die mehrfach überlieferte, geordnete Folge der Runenzeichen. Sie weicht deutlich von der Reihenfolge der uns vertrauten Alphabete ab. Im Lauf der Zeit haben sich aufgrund des Sprachwandels unterschiedliche Laute für die Runenzeichen herausgebildet. Auch die Anzahl und Reihenfolgen der Runen ändern sich mit der Zeit.<ref>Wolfgang Krause: ''Runen.'' de Gruyter, Berlin 1970, S. 14 ff.</ref> |
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=== Das ältere Futhark: Die älteste Runenreihe === |
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Die älteste überlieferte Runenreihe (nach den ersten sechs Buchstaben ''futhark'' genannt) bestand aus 24 Zeichen, die in drei Abschnitte (später im [[Norröne Sprache|Altnordischen]] als ''aettir'' bezeichnet) eingeteilt waren. Sie war anfangs nur bei nordgermanischen Stämmen, in der [[Völkerwanderung]]szeit vereinzelt auch bei Ostgermanen (vor allem [[Goten]], ab 3. Jh.?) und Westgermanen (ab 5. Jh.) in Benutzung. Etwa 350 Inschriften in dieser ältesten Runenreihe wurden bislang entdeckt. Alle jüngeren Runenreihen ab etwa 700 leiten sich vom älteren Futhark ab. |
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[[Datei:01 Runes of the Elder Futhark painted on little stones - Runen des älteren Futhark auf kleine Steine gemalt.jpg|mini|Das ältere Futhark]] |
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{{Hauptartikel|Futhark}} |
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Die älteste überlieferte Runenreihe (nach den ersten sechs Buchstaben ''fuþark'' genannt) bestand aus 24 Zeichen, die in drei Abschnitte (später im Altnordischen als ''ættir'' bezeichnet) eingeteilt waren. Sie war anfangs nur bei nordgermanischen Stämmen, in der [[Völkerwanderung]]szeit vereinzelt auch bei Ostgermanen (vor allem Goten, ab 3. Jahrhundert?) und Westgermanen (ab 5. Jh.) in Benutzung. Etwa 450 Inschriften in dieser ältesten Runenreihe wurden bislang entdeckt (Stand 2023).<ref>Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023, S. 3</ref> Alle jüngeren Runenreihen ab etwa 700 leiten sich vom älteren Futhark ab. |
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Jedes [[Graphem]] (Buchstabe) entspricht einem [[Phonem]] (Laut). Für das ältere Futhark besteht |
Jedes [[Graphem]] (Buchstabe) entspricht einem [[Phonem]] (Laut). Für das ältere Futhark besteht von ca. 550 bis 650 eine bemerkenswert gute Übereinstimmung zwischen dem Zeicheninventar und dem Phoneminventar der damit geschriebenen gemeingermanischen bzw. [[runennordisch]]en Sprache(n). Nur die Verdoppelung der ''i''-Rune ('''{{Runen|ᛁ}}''' ''Eis'' und '''{{Runen|ᛇ}}''' ''Eibe'') muss ein Relikt einer früheren Sprachstufe sein und ist wohl ein Beweis dafür, dass das 24-buchstabige Futhark bereits einige Zeit vor den ersten überlieferten Inschriften entstand. ([[#Weblinks|* <small>Sonderzeichen unlesbar?</small>]]) |
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{| class="wikitable" |
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{| border="1" cellspacing="0" cellpadding="5" |
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! Rune |
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! Name ( |
! Name (rekonstruiert) |
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! Laut |
! Laut­wert |
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! Rune |
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! Rune |
! Rune |
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! Name |
! Name<br />(rekonstruiert) |
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! Laut |
! Laut­wert |
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| '''ᚠ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚠ}}''' |
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| fehu |
| [[fehu]] „Vieh“ |
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|style="text-align:center;"| f |
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| f |
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| '''ᚻ''' / '''ᚺ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚻ}}''' / '''{{Runen|ᚺ}}''' |
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| haglaz |
| [[Hagalaz|haglaz]] „Hagel“ |
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|style="text-align:center;"| h |
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| h |
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| '''ᛏ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛏ}}''' |
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| teiwaz, tīwaz |
| teiwaz, [[Tiwaz|tīwaz]] „Himmels- u. Kriegsgott [[Tyr]]“ |
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|style="text-align:center;"| t |
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| t |
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|- |
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| '''ᚢ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚢ}}''' |
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| ūruz |
| [[Uruz|ūruz]] ‚Ur, [[Auerochse]]‘ |
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|style="text-align:center;"| u |
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| u |
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| '''ᚾ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚾ}}''' |
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| naudiz |
| [[naudiz]] „Not“ |
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|style="text-align:center;"| n |
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| n |
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| '''ᛒ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛒ}}''' |
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| berkanan, berk(a)nō |
| berkanan, [[Berkano|berk(a)nō]] „Birkenzweig“, berkō „Birke“ |
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|style="text-align:center;"| b |
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| b |
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|- |
|- |
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| '''ᚦ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚦ}}''' |
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| þurisaz |
| [[Thurisaz|þurisaz]] „Riese“ |
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|style="text-align:center;"| þ (engl. th / [[Theta]]) |
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| þ (englisches th) |
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| '''ᛁ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛁ}}''' |
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| [[Isa (Rune)|īsan]] „Eis“ |
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| eisa-, īsan ("Eis") |
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|style="text-align:center;"| i |
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| (ei), i |
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| '''ᛖ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛖ}}''' |
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| ehwaz |
| [[ehwaz]] „Pferd“ |
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|style="text-align:center;"| e |
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| e |
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|- |
|- |
||
| '''ᚨ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚨ}}''' |
||
| ansuz |
| [[ansuz]] ‚[[Asen (Mythologie)|Ase]]‘ |
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|style="text-align:center;"| a |
|||
| a |
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| '''ᛃ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛃ}}''' |
||
| jēran |
| [[Jera|jēran]] „(gutes) Jahr“ |
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|style="text-align:center;"| j |
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| j |
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| '''ᛗ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛗ}}''' |
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| mann- |
| [[Mannaz|mann]]- „Mensch“ |
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|style="text-align:center;"| m |
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| m |
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|- |
|- |
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| '''ᚱ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚱ}}''' |
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| raidō |
| [[Raidho|raidō]] „Ritt, Wagen“ |
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|style="text-align:center;"| r |
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| r |
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| '''ᛇ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛇ}}''' |
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| |
| [[Ihwa|īwaz]] „[[Yggdrasil#Von der Eibe Yggdrasil|Eibe]]“ |
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|style="text-align:center;"|e ~ i (ei?) |
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| i |
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| '''ᛚ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛚ}}''' |
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| laguz |
| [[laguz]] „Wasser, See“ oder laukaz „Lauch“ |
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|style="text-align:center;"| l |
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| l |
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|- |
|- |
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| '''ᚲ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚲ}}''' |
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| kaunan (?) |
| [[Kenaz|kaunan]] (?) „Geschwür“ |
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|style="text-align:center;"| k |
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| k |
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| '''ᛈ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛈ}}''' |
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| perþō? perþrō? pezdō? |
| perþō? [[Perthro|perþrō?]] pezdō? |
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| p (extrem seltener Laut) |
|style="text-align:center;"| p (extrem seltener Laut) |
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| '''ᛜ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛜ}}''' |
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| |
| [[ingwaz]] „Gott [[Yngvi|Ing]]“, auch „Feuer“ |
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|style="text-align:center;"| ng |
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| ng |
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|- |
|- |
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| '''ᚷ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚷ}}''' |
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| gibō |
| [[Gebo|gibō]] „Gabe“ |
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|style="text-align:center;"| g |
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| g |
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| '''ᛉ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛉ}}''' |
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| algiz (?) |
| algiz (?), [[elhaz]] ‚[[Elch]]‘ |
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| -z, -R (Endungs- |
|style="text-align:center;"| -z, -R (Endungs-konsonant) |
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| '''ᛞ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛞ}}''' |
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| dagaz |
| [[dagaz]] „Tag“ |
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|style="text-align:center;"| d |
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| d |
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|- |
|- |
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| '''ᚹ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᚹ}}''' |
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| wunjō |
| [[Wunjo|wunjō]] „Wonne“ (?) |
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|style="text-align:center;"| w |
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| w |
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| '''ᛊ''' / '''ᛋ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛊ}}''' / '''{{Runen|ᛋ}}''' |
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| sōwulō |
| [[Sowilo|sōwulō]] „Sonne“ |
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|style="text-align:center;"| s |
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| s |
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| '''ᛟ''' |
|style="text-align:center;"| '''{{Runen|ᛟ}}''' |
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| ōþalan |
| [[Othala|ōþalan]] „Stammgut, Grundstück“ |
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|style="text-align:center;"| o |
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| o |
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''Hinweis zur Tabelle: Namen sind in gemeingermanischem, so nirgends belegtem Lautstand rekonstruiert. Vokale mit [[Makron|Balken]] bezeichnen lange Vokale, alle anderen Vokale sind kurz.'' |
''Hinweis zur Tabelle: Namen sind in gemeingermanischem, so nirgends belegtem Lautstand rekonstruiert. Vokale mit [[Makron|Balken]] bezeichnen lange Vokale, alle anderen Vokale sind kurz.'' |
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Ein Charakteristikum der germanischen Runenschrift ist, dass jede Rune einen Namen trägt, gewöhnlich ein bedeutungsvolles Wort, das mit dem jeweiligen Laut beginnt; so hieß die ''f''-Rune ''fehu'', das heißt „Vieh; Viehstück, [[Fahrnis]]; Reichtum“. Für das älteste Futhark sind diese Runennamen nicht überliefert. Sie können erschlossen werden, weil die Namen sich weitgehend übereinstimmend bei allen jüngeren Runenreihen der germanischen Stämme finden; [[Wulfila]], der Schöpfer der [[Gotische Sprache|gotischen Schriftsprache]] im 4. Jahrhundert, übertrug sie möglicherweise sogar auf die [[Gotisches Alphabet|gotische Schrift]], die keine Runenschrift war. Im 9. und 10. Jahrhundert, als Runen außerhalb Skandinaviens überhaupt nicht mehr im Gebrauch waren, zeichneten klösterliche Gelehrte sowohl in England wie auf dem Kontinent mehrfach die verschiedenen Runenreihen mit Namen oder in Form von Runenmerkversen auf. Aus diesen Quellen werden die Runennamen des ältesten Futhark rekonstruiert; nicht alle Formen sind jedoch unumstritten. |
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[[Bild:Runen_futhark.jpg|framed|Älteste Runenreihe („futhark“) (eu (?) = ei)]] |
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Ein Charakteristikum der germanischen Runenschrift ist, dass jede Rune einen Namen trägt, gewöhnlich ein bedeutungsvolles Wort, das mit dem jeweiligen Laut beginnt; so hieß die Rune für f ''Fehu'', das heißt "Vieh, beweglicher Besitz, Reichtum". Für das älteste Futhark sind diese Runennamen nicht überliefert. Sie können erschlossen werden, weil die Namen sich weitgehend übereinstimmend bei allen jüngeren Runenreihen der germanischen Stämme finden; [[Wulfila]] übertrug sie möglicherweise sogar auf die [[Gotisches Alphabet|gotische Schrift]], die keine Runenschrift war. Im 9. und 10. Jahrhundert, als Runen außerhalb Skandinaviens überhaupt nicht mehr im Gebrauch waren, zeichneten klösterliche Gelehrte sowohl in England wie auf dem Kontinent mehrfach die verschiedenen Runenreihen mit Namen ([http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runennam.htm Übersicht]) oder in Form von Runenmerkversen auf. Aus diesen Quellen werden die Runennamen des ältesten Futhark rekonstruiert; nicht alle Formen sind jedoch unumstritten. |
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Bis zum 7. Jahrhundert hatten sich die Lautsysteme in den germanischen Einzelsprachen deutlich verändert. Zuvor unterschiedene Laute fielen zusammen, neue Vokale bildeten sich. Dies führte zwangsläufig dazu, dass die Laut-Buchstaben-Zuordnung des älteren Futhark nicht mehr stimmig war. So entwickelten die einzelnen Sprachen und Dialekte jeweils eigene Runenreihen. |
Bis zum 7. Jahrhundert hatten sich die Lautsysteme in den germanischen Einzelsprachen deutlich verändert. Zuvor unterschiedene Laute fielen zusammen, neue Vokale bildeten sich. Dies führte zwangsläufig dazu, dass die Laut-Buchstaben-Zuordnung des älteren Futhark nicht mehr stimmig war. So entwickelten die einzelnen Sprachen und Dialekte jeweils eigene Runenreihen, das sogenannte jüngere Futhark. |
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[[ |
[[Datei:Runen Themsemesser.jpg|mini|hochkant=3|zentriert|{{Center|Angelsächsische Runenreihe (auch ''fuþork'') auf dem in der Themse gefundenen [[Sax von Beagnoth]].<br /> Am Schluss steht der Name des [[Runenmeister]]s Beagnoþ.}}]] |
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=== Die angelsächsische Runenreihe === |
=== Das Futhork: Die angelsächsische Runenreihe === |
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[[Datei:British Museum Malton Pin.jpg|mini|links|hochkant=0.65|Bei Malton gefundene Scheibennadel mit den ersten acht und drei weiteren (ᚠᚢᚦᚩᚱᚳᚷᛚᚪᚫᛖ) Futhork-Runen]] |
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[[Datei:Runen angelsaechsisch.jpg|gerahmt|Angelsächsische Runenreihe]] |
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Die [[Angelsachsen]] erweiterten das Futhark aufgrund der reichen Entwicklung des Vokalismus im [[Altenglisch]]en schrittweise auf 33 Zeichen (davon sind nebenstehend nur die wirklich verwendeten abgebildet). Das 33-buchstabige Futhork war in dieser Form im 9. Jahrhundert ausgebildet. Es wurde außer in handschriftlichen Aufzeichnungen auch in northumbrischen Inschriften verwendet. |
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Das längere Nebeneinander von Runen und Lateinschrift im 7. bis 10. Jahrhundert führte in England dazu, dass für Laute des Altenglischen, die im lateinischen Alphabet keine Entsprechung hatten, die entsprechenden Runen quasi weiterverwendet wurden. Auf diese Weise gelangten die thorn-Rune (Þ þ) als Schreibung für /th/ und die wen- oder wynn-Rune (Ƿ ƿ) für das [[bilabial]]e /w/ in die lateinische Schrift. |
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[[Bild:Runen_angelsaechsisch.jpg|framed|angelsächsische Runenreihe]] |
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Die [[Angelsachsen]] erweiterten das Futhark aufgrund der reichen Entwicklung des Vokalismus im [[Altenglisch]]en schrittweise auf 33 Zeichen (davon sind nebenstehend nur die wirklich auch verwendeten abgebildet). Das 33-buchstabige Futhork war in dieser Form im [[9. Jahrhundert]] ausgebildet. Es wurde außer in handschriftlichen Aufzeichnungen auch in northumbrischen Inschriften verwendet. |
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=== Das jüngere Futhark: Die altnordische Runenreihe === |
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Das längere Nebeneinander von Runen und Lateinschrift im 7. bis 10. Jahrhundert führte in England dazu, dass für Laute der [[angelsächsische Sprache|angelsächsischen Sprache]], die im lateinischen Alphabet keine Entsprechung hatten, die entsprechenden Runen quasi weiterverwendet wurden. Auf diese Weise gelangten die thorn-Rune als Schreibung für /th/ und die wen- oder wynn-Rune (Ƿ ƿ) für das bilabiale /w/ in die lateinische Schrift. |
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[[Datei:Runen nordisch.jpg|gerahmt|Nordische Runenreihe]] |
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[[Datei:Runen punktiert.jpg|gerahmt|Punktiertes Runenalphabet]] |
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Auch in Skandinavien war das Futhark Veränderungen unterzogen: Es wurde im 7. bis 8. Jahrhundert auf 16 Runen (f u th o r k: h n i a s: t b l m R) reduziert. Dabei mussten dann einzelne Runen zahlreiche verschiedene Lautwerte bezeichnen: die u-Rune etwa ''u, y, o, ö'' und ''w''. Diesen Verlust an Zeichen glich man am Ende des 10. Jahrhunderts mit der Einführung von Punktierungen aus; später gab es auch noch andere Systeme, die sogar für Laute wie Q eine Rune einführten. Im hohen Mittelalter entsteht so, von Norwegen ausgehend, eine punktierte Runenreihe in alphabetischer Reihenfolge, bei der jeder lateinische Buchstabe eine Entsprechung hat. Das erste datierte Zeugnis für die Verwendung des vollständig punktierten Runenalphabets findet sich auf der kleineren Kirchenglocke von [[Saleby]] ([[Västergötland]]), deren Inschrift das Jahr 1228 angibt. |
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Vielleicht aufgrund der größeren Wertschätzung für die alte vorchristliche Mythologie und Überlieferung (vgl. die [[Edda]]) blieben die Runen in Skandinavien neben der lateinischen Schrift in Gebrauch. Erst im 19. Jahrhundert wurden sie endgültig verdrängt, während dieser Prozess in den anderen germanischen Gebieten teils schon im 7., teils im 11. Jahrhundert abgeschlossen war. |
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=== Die altnordische Runenreihe === |
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=== Schreibrichtung und Besonderheiten: Wende-, Sturz-, Binde- und stablose Runen === |
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[[Bild:Runen_nordisch.jpg|framed|Nordische Runenreihe]] |
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[[Datei:Binderune e+m, Ortband Thorsberger Moor (KJ 20; DR 7).jpg|mini|Binderune aus e + m (Inschrift B, Ortband vom [[Thorsberger Moor]] (KJ 20; DR 7)]] |
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[[Bild:Runen_punktiert.jpg|framed|Punktiertes Runenalphabet]] |
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Runen wurden seit der Wikingerzeit meist rechtsläufig (von links nach rechts) geschrieben. In der frühesten Zeit war die Schreibrichtung jedoch noch nicht festgelegt. Einzeilige Inschriften können sowohl von links nach rechts (rechtsläufig) oder von rechts nach links (linksläufig) geschrieben sein. In mehrzeiligen Inschriften können entweder alle Zeilen rechtsläufig bzw. linksläufig sein, oder es kommt eine von Zeile zu Zeile abwechselnde Schreibrichtung vor, die unter anderem auch aus altgriechischen Inschriften bekannt ist und als ''[[bustrophedon]]'' bezeichnet wird („wie der Ochse beim Pflügen wendet“); daneben kommt auch so genanntes „falsches“ Boustrophedon vor. Die Schreibrichtung kann in der Regel sicher bestimmt werden durch die in eine Richtung weisenden Runen (f, u, þ, a, r, k, w, s und b). Wenn einzelne Runen gegen die Schreibrichtung der Zeile gewendet sind, nennt man sie Wenderunen, wenn sie gelegentlich auf dem Kopf stehen, heißen sie Sturzrunen. |
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Auch in Skandinavien war das Futhark Veränderungen unterzogen: Es wurde im 7. bis 8. Jahrhundert auf 16 Runen (f u th o r k : h n i a s : t b l m R) reduziert. Dabei mussten dann einzelne Runen zahlreiche verschiedene Lautwerte bezeichnen: die u-Rune etwa ''u, y, o, ö'' und ''w''. Diesen Verlust an Zeichen glich man am Ende des [[10. Jahrhundert]]s mit der Einführung von Punktierungen aus; später gab es auch noch andere Systeme, die sogar für Laute wie Q eine Rune einführten. Im hohen Mittelalter entsteht so, von Norwegen ausgehend, eine punktierte Runenreihe in alphabetischer Reihenfolge, bei der jeder lateinische Buchstabe eine Entsprechung hat. Das erste datierte Zeugnis für die Verwendung des vollständig punktierten Runenalphabets findet sich auf der kleineren Kirchenglocke von Saleby (Westgötland), deren Inschrift das Jahr 1228 angibt. |
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[[Datei:Hogs kyrka runestone01.jpg|mini|Stablose Runen auf dem Runenstein von Hogs kyrka]] |
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Vielleicht aufgrund der größeren Wertschätzung für die alte vorchristliche Mythologie und Überlieferung (man denke an die [[Edda]]) blieben die Runen in Skandinavien neben der lateinischen Schrift in Gebrauch. Erst im 19. Jahrhundert wurden sie endgültig verdrängt, während dieser Prozess in den anderen germanischen Gebieten teils schon im 7., teils im 11. Jahrhundert abgeschlossen war. |
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'''Stablose Runen''' waren der Höhepunkt des Vereinfachungsprozesses in der Entwicklung. Sie begann, als das ältere vom jüngeren Futhark abgelöst wurde. Um stablose Runen zu erstellen, wurden vertikale Markierungen (oder Dauben) aus einzelnen Runen entfernt. Der Name „Stablose“ ist nicht ganz richtig, da die i-Rune aus einem ganzen und die Runen f, þ, k und s aus verkürzten Hauptstäben bestehen. Seit ihrer Entdeckung auf Runensteinen im Hälsingland im 17. Jahrhundert sind stablose Runen auch als Hälsinge-Runen bekannt. Sie kommen aber auch in [[Medelpad]], [[Södermanland]] und der [[Norwegen|norwegischen]] Stadt [[Bergen (Norwegen)|Bergen]] vor. Die Runensteine von Aspa Sö 137, Skarpåker Sö 154, Österberga (Sö 159) und Spånga Sö 164 haben, teilweise vermischt mit anderen, auch stablose Runen. |
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Das Bandartige von Runenzeilen wird oft betont, indem die Zeichen zwischen zwei ununterbrochene parallele „Führungslinien“ geritzt werden (vgl. den ''[[Runenstein von Rök|Stein von Rök]]'', Abb. oben). Solche Randlinien begegnen uns schon bei den ältesten Ritzungen. In vielen Inschriften sind die einzelnen Wörter durch Worttrenner, die aus ein bis fünf übereinanderstehenden Punkten oder kleinen Strichen bestehen, voneinander abgesetzt. Der älteste Beleg findet sich auf der Fibel von Skovgårde (Udby), die ca. 200 zu datieren ist: '''lamo : talgida''' „Lamo schnitzte“. Bei Einzelwörtern finden sich auch Schlussmarken gleicher Form. Später unter christlichem Einfluss finden sich auch kleine Kreuze. |
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=== "Antiquarische" Runenalphabete des frühen Mittelalters === |
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Wie die lateinische Schrift kennt auch die Runenschrift [[Ligatur (Typografie)|Ligaturen]], also Verschmelzungen zweier Buchstaben zu einem Zeichen. Diese '''Binderunen''' werden in der wissenschaftlichen Umschrift mit einem Bogen über der Zeile gekennzeichnet. |
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[[Bild:Marcomannic.PNG|thumb|350px|„Markomannische Runen“]] |
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Schon sehr früh, nachdem sie außer Gebrauch kamen, wurden Runenreihen von lateinkundigen Kirchenmännern als enzyklopädische Kuriositäten und vermeintliche [[Geheimschrift]]en gesammelt - man stellte die Runen dem griechischen, hebräischen und [[Alphabetum Kaldeorum|"chaldäischen" Alphabet]] an die Seite, den [[Tironische Noten|Tironischen Noten]] und dem Phantasiealphabet des [[Aethicus Ister]]. Besonders das [[Kloster Fulda]] mit seiner starken insularen Tradition pflegte im 9. Jahrhundert, wie es scheint, einen Forschungs- und Sammelschwerpunkt 'Runica'. |
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=== „Antiquarische“ Runenalphabete des frühen Mittelalters === |
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In einigen Handschriften aus dem [[8. Jahrhundert|8.]]/[[9. Jahrhundert]] vorwiegend aus Süddeutschland ist in einer Abhandlung "Über die Erfindung der Buchstaben" (''De inventione litterarum'') ein merkwürdiges Runenalphabet in der Reihenfolge der lateinischen Buchstaben überliefert. Es stellt eine Mischung aus Zeichen des älteren Futhark mit angelsächsischen Zeichen dar und soll auf [[Hrabanus Maurus]], den Abt von Fulda und [[Alkuin]]-Schüler, zurückgehen. Da diese Reihe (die früher irreführend als „Markomannische Runen“ bezeichnet wurde) nur in einigen Handschriften, aber nirgends inschriftlich vorkommt, dürfte sie wohl nur ein Versuch der Mönche gewesen sein, allen Buchstaben der lateinischen Schrift Runenzeichen zuzuordnen. |
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[[Datei:Marcomannic.PNG|mini|hochkant=2|„Markomannische Runen“]] |
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Schon sehr früh, nachdem sie außer Gebrauch gekommen waren, wurden Runenreihen von lateinkundigen Kirchenmännern als enzyklopädische Kuriositäten und vermeintliche Geheimschriften gesammelt – man stellte die Runen dem griechischen, [[Hebräisches Alphabet|hebräischen]] und [[Alphabetum Kaldeorum|„chaldäischen“ Alphabet]] an die Seite, den [[Tironische Noten|Tironischen Noten]] und dem Phantasiealphabet des [[Aethicus]]. Besonders das [[Kloster Fulda]] mit seiner starken insularen Tradition pflegte im 9. Jahrhundert, wie es scheint, einen Forschungs- und Sammelschwerpunkt „Runica“.<ref name=":0" /> |
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In einigen Handschriften des 8./9. Jahrhunderts aus oberdeutschen Klöstern ist in einer Abhandlung „Über die Erfindung der Buchstaben“ (''De inventione litterarum'') ein merkwürdiges Runenalphabet in der Reihenfolge der lateinischen Buchstaben überliefert. Es besteht aus den Zeichen des älteren Futhark mit Verschreibungen oder auch angelsächsischen Einflüssen durch Zufügung von Runen aus dem ''Futhorc'' und soll auf [[Hrabanus Maurus]], den Abt von Fulda und [[Alkuin]]-Schüler, zurückgehen („Hrabanische Runen“). Da diese Reihe (die früher irreführend als „Markomannische Runen“ bezeichnet wurde) nur in einigen Handschriften, aber nirgends inschriftlich vorkommt, dürfte sie wohl nur ein Versuch der Mönche gewesen sein, allen Buchstaben der lateinischen Schrift Runenzeichen zuzuordnen. |
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<table align="right" cellpadding="10" cellspacing="10"> |
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<tr> |
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<div class="float-right" style="padding:1em; background:#EEEEEE;"> |
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<td bgcolor="#EEEEEE"> |
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Beginn des ''[[s:en:Rune poems#The Abecedarium Nordmannicum|Abecedarium Nordmannicum]]'' |
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Beginn des<br> |
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''[http://wikisource.org/wiki/Rune_poems#The_Abecedarium_Nordmannicum Abecedarium Nordmannicum]'' |
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'''feu''' forman<br> |
'''feu''' forman<br /> |
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'''ur''' after<br> |
'''ur''' after<br /> |
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'''thuris''' thritten stabu<br> |
'''thuris''' thritten stabu<br /> |
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'''os''' is th(em)o oboro |
'''os''' is th(em)o oboro … |
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<br> |
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'''Vieh''' zuerst,<br> |
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'''Ur''' danach,<br> |
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'''Thurse''' als dritten Stab,<br> |
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'''Ans''' ist rechts davon ... |
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</td> |
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</tr> |
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</table> |
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'''Vieh''' zuerst,<br /> |
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In derselben Alkuin-Handschrift, in der sich ein [[gotisches Alphabet]] und gotische Textbeispiele aufgezeichnet finden (Wien, Ms. 795, spätes 8. Jh.?), ist auch ein 28-buchstabiges angelsächsisches Futhork mit Runennamen überliefert. |
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'''Ur''' danach,<br /> |
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'''Thurse''' als dritten Stab,<br /> |
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'''Ans''' ist rechts davon … |
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</div> |
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In derselben Alkuin-Handschrift, in der sich ein [[gotisches Alphabet]] und gotische Textbeispiele aufgezeichnet finden, der sogenannten Salzburg-Wiener Handschrift (Wien, Ms. 795, spätes 8. Jahrhundert?), ist auch ein 28-buchstabiges angelsächsisches Futhark mit Runennamen überliefert. |
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Daneben existiert eine Reihe von |
Daneben existiert eine Reihe von [[Runengedicht]]en, in denen die Reihenfolge, die Namen und die Bedeutung der Runen in eine memorierbare Form gebracht waren: Das so genannte ''[[Abecedarium Nordmannicum]]'' und älteste überlieferte Beispiel (9. Jahrhundert, Handschrift [[Walahfrid Strabo]]s) in einem Gemisch von Altsächsisch, Althochdeutsch, Angelsächsisch und Nordisch, das angelsächsische Runengedicht in 94 [[Stabreim]]versen (11. Jahrhundert) und hochmittelalterlich überlieferte Exemplare aus Norwegen und Island (13. und 15. Jahrhundert). |
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Aus der Lieder-Edda sind die ''Rúnatal'' („Runenrede“) in der ''[[Sigrdrífomál]]'' und der ''Rúnatals þáttr Óðins'' in den ''[[Hávamál]]'', ebenfalls hochmittelalterlich, poetisch-literarisch überliefert. In diesen Versen sind die namentlichen oder sinnverbundenen Bedeutungen der einzelnen Runen in einen mythischen Kontext gestellt, insbesondere zur Figur Odins als Schöpfer der Runen. Hierbei finden sich Abweichungen zu den Bedeutungen der einzelnen Runenbezeichnungen aus den Runengedichten. |
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== Verwendungen der Runen == |
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== {{Anker|Begriffsrune}} Runen als Begriffszeichen == |
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[[Datei:Stentoftenstenen.jpg|mini|Stentoften-Stein]] |
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Neben dem normalen Lautschreibungsprinzip (Rune steht für einen Laut) konnte das einzelne Runenzeichen im Sinne seines „Namens“ auch wie eine Art [[Ideographie|ideographisches]] Symbol verwendet werden. Das Einzelzeichen '''o''' konnte also für „Erbbesitz“ stehen. Man spricht in diesem Fall von ''Begriffsrunen''. Ein Beispiel für den Gebrauch von Begriffsrunen ist die Zeile „Hathuwolf gab '''j'''“ auf dem sog. [[Blekinger Runensteine#Stentofte|Stentoften-Stein]] (Südschweden, 7. Jahrhundert). Die '''j'''-Rune ist hier mit ihrem Begriffswert „ein (gutes) Jahr“ zu lesen. |
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Diese Technik findet sich unsystematisch fortgesetzt in der Praxis mittelalterlicher Schreiber, besonders in altenglischen und altisländischen [[Manuskript|Handschriften]]. Dort können bestimmte Einzelrunen inmitten des lateinschriftlichen Texts wie [[Logografie|Logogramme]] gebraucht werden: die M-Rune kann für altengl. ''man, mon'' („Mensch“, „Mann“) oder für altisl. ''maðr'' („Mensch“, „Mann“) stehen. |
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== Runen als magische Zeichen {{Anker|Runenzauber|Runenmagie}} == |
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[[Datei:Speerblätter von Müncheberg und Kowel.jpg|mini|Speerblätter von Müncheberg und Kowel (rechts)]] |
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Schriftgebrauch wurde in allen archaischen Kulturen (auch) als Medium [[Magie|magischer]] Macht und Aura angesehen. Viele der alten Kulturen hielten ihre Schrift für die Erfindung oder das Geschenk eines Gottes. Zweifellos waren auch die Runen, zumal in ältester Zeit, mit sakralen und religiösen Zwecken verbunden (Grabinschriften, [[Opfer (Religion)|Opfer]] an [[Gott#Etymologie im germanischen Sprachraum|Götter]], Amulette etc.). Unter den ältesten Funden sind mehrere Ritzungen auf Lanzen- und Speerspitzen, die die Funktion dieser Waffen mit poetisch-magischen Namen beschwören. Bedeutung der Inschrift auf der linken Lanzenspitze: ''raunijaR''. „Herausforderer“, „Erprober“ ([[Lanzenspitze von Øvre Stabu]]), ''tilarids'' – „Ziel-Verfolger“ ([[Kowel]]) Bedeutung auf der rechten Lanzenspitze: ''wagnijo'' – „Angreifer“, „Renner“ ([[Illerup Ådal]]). Eine magische Funktion der Runen wird schon nahegelegt durch die zahlreichen Inschriften, die die Runenreihe (f u th a r k …, oft ergänzt durch die Runenmeister-Signatur) enthalten. Überliefert sind in Schweden die Namen der [[Runenmeister]] Hjälle, Hjälm, Huarpr, Osbjörn und Tryggve. Einen Mitteilungswert besitzt diese Zeichenfolge nicht – sie muss als [[Schriftmagie]] und/oder als Ausdruck eines Bewusstseins, dass Schrift an sich einen Eigenwert habe, gelten. Auch der Name der Runen, der „Geheimnis“ bedeutet, bezeugt diese Aura.<ref>{{Literatur |Autor=Aswynn, Freya |Titel=Die Blätter von Yggdrasil. Runen, Götter, Magie, nordische Mythologie & weibliche Mysterien |Auflage=2. durchges. |Verlag=Ed. Ananael |Ort=Bad Ischl |Datum=1994 |ISBN=3-901134-07-7}}</ref> |
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Die Entstehung der Runen wird oft im Zusammenhang mit [[Orakel]]bräuchen vermutet; ein solcher Zusammenhang ist jedoch nicht gesichert. Ein frühes Zeugnis für das germanische [[Losorakel]] im 1. Jahrhundert n. Chr. ist im 10. Kapitel der ''[[Germania (Tacitus)|Germania]]'' des [[Tacitus]] erhalten. Man streute mit „gewissen Zeichen“ (''notis quibusdam'') bezeichnete hölzerne Stäbchen auf ein weißes Tuch. Darauf wurden auf gut Glück drei dieser Stäbchen aufgehoben und gedeutet. Dies wurde nacheinander dreimal durchgeführt. Ob es sich bei diesen Zeichen aber schon um Vorläufer der Runenschrift oder sogar schon um eigentliche Runen handelte, ist kaum bestimmbar. Archäologische Funde haben nirgends solche Orakelstäbe zu Tage gefördert. |
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Schriftgebrauch wurde in allen archaischen Kulturen (auch) als Medium [[Magie|magischer]] Macht und Aura angesehen. Viele der alten Kulturen hielten ihre Schrift (selten aber ihre Sprache!) für die Erfindung oder das Geschenk eines Gottes. Zweifellos waren auch die Runen, zumal in ältester Zeit, mit sakralen und religiösen Zwecken verbunden (Grabinschriften, [[Opfer]] an Götter, glückbringende Waffen'taufen', Amulette etc.). Eine magische Funktion der Runen wird schon nahegelegt durch die zahlreichen Inschriften, die die Runenreihe (f u th a r k ..., oft ergänzt durch die Runenmeister-Signatur) enthalten. Einen Mitteilungswert besitzt diese Zeichenfolge nicht - sie muss als [[Schriftmagie]] und/oder als Ausdruck eines Bewusstseins, dass Schrift an sich einen Eigenwert habe, gelten. Auch der Name der Runen, der "Geheimnis" bedeutet, bezeugt diese Aura. |
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Die Verwendung der Runen zu magischen Zwecken ist besonders im Norden bezeugt. Als Begriffsrunen bedeuteten zum Beispiel ''Vieh, (gutes) Jahr, Gabe, Ritt'' einen entsprechenden Segenswunsch, umgekehrt sollten ''Not, Geschwür'' eine Befürchtung bannen oder einen Fluch aussprechen. Viele frühe Inschriften bestehen aus einem einzigen Wort wie ''alu, laukaz, laþu'', was man meist als magische Formeln („Heil“, „Gedeihen“) versteht. Auch hier folgt die nordische Welt antiken Vorbildern, Fluchtäfelchen waren in der gesamten klassischen Antike weit verbreitet und beliebt. In den jüngeren skandinavischen Denkmälern werden Zauberrunen für bestimmte Zwecke erwähnt, so [[Siegrune]]n, Bierrunen, Bergerunen (zur Geburtshilfe), Seerunen (zum Schutz der Schiffe), Rederunen (um klug zu sprechen), Löserunen (bei Gefangenschaft), Runen zum Besprechen (Stumpfmachen) der Schwerter und dergleichen. |
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Ob es allerdings zulässig ist, Runen mit Orakelbräuchen in Verbindung zu bringen, ist unsicher. Ein frühes Zeugnis über das germanische [[Losorakel]] ist im 10. Kapitel der ''[[Agricola und Germania|Germania]]'' des [[Gaius Cornelius Tacitus|Tacitus]] erhalten. Man streute mit "gewissen Zeichen" (''notis quibusdam'') bezeichnete hölzerne Stäbchen auf ein weißes Tuch. Darauf wurden auf gut Glück drei dieser Stäbchen aufgehoben und gedeutet. Dies wurde nacheinander dreimal durchgeführt. Ob es sich bei diesen Zeichen ([[1. Jahrhundert]]) aber schon um Vorläufer der Runenschrift oder sogar schon um eigentliche Runen handelte, ist kaum bestimmbar. |
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Der Gott des Runenwissens und der Runenmagie ist [[Odin]]. Ein Götterlied der Lieder-Edda ([[Hávamál]]) erzählt, wie Odin sich selbst opferte und neun Tage kopfüber in der Weltesche [[Yggdrasil]] hing, bevor er Kenntnis von der Macht der Runen gewann und sich befreien konnte. Im weiteren Verlauf des Liedes werden magische Kräfte der Runen beschrieben und schließlich 18 [[Zauberspruch|Zaubersprüche]] genannt. Ein anderes Lied der Edda, [[Skírnismál|Skirnirs Fahrt]], illustriert einen profaneren Einsatz von Zauberrunen: den Widerstand einer sich verweigernden Frau zu brechen. Als Brautwerber für den Gott [[Freyr]] droht Skírnir der Riesentochter Gerd mit immerwährender Verfluchung, falls sie sich mit dem Gott nicht einlassen wolle. Dazu ritzt er am Ende seiner eindrucksvollen Drohrede ''einen Thursen'' (d. h. die schadenbringende th-Rune) und der Runen drei: ''Argheit und Unrast und Irresein'', und daraufhin willigt Gerd in ein Stelldichein mit Freyr ein. |
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[[Image:Brakteat_Odin_Runen.jpg|framed|left|[[Brakteat]] mit Runeninschrift. Dargestellt ist [[Odin]] als göttlicher Heiler]] |
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In der [[Egils saga]] wird die Wirkung der Runen im Zusammenhang mit einer Krankheit beschrieben: {{Zitat|lang=is|Og er þeir Egill sátu og mötuðust, þá sá Egill, að kona sjúk lá í þverpallinum; Egill spurði Þorfinn, hver kona sú væri, er þar var svo þunglega haldin. Þorfinnur segir, að hún hét Helga og var dóttir hans - ‚hefir hún haft langan vanmátt‘, og það var kröm mikil; fékk hún enga nótt svefn og var sem hamstoli væri. ‚Hefir nokkurs í verið leitað‘, segir Egill, ‚um mein hennar?‘ Þorfinnur segir: ‚Ristnar hafa verið rúnar, og er sá einn bóndason héðan skammt í brott, er það gerði, og er síðan miklu verr en áður, eða kanntu, Egill, nokkuð gera að slíkum meinum?‘ Egill segir: ‚Vera kann, að ekki spillist við, þó að eg komi til.‘ Og er Egill var mettur, gekk hann þar til, er konan lá, og ræddi við hana; hann bað þá hefja hana úr rúminu og leggja undir hana hrein klæði, og nú var svo gert. Síðan rannsakaði hann rúmið, er hún hafði hvílt í, og þar fann hann tálkn, og voru þar á rúnarnar. Egill las þær, og síðan telgdi hann af rúnarnar og skóf þær í eld niður; hann brenndi tálknið allt og lét bera vind í klæði þau, er hún hafði haft áður. Þá kvað Egill:<poem>Skalat maðr rúnar rísta, |
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Die Verwendung der Runen zu magischen Zwecken ist besonders im Norden bezeugt. Als Begriffsrunen bedeuteten z. B. ''Vieh, (gutes) Jahr, Gabe, Ritt'' einen entsprechenden Segenswunsch, umgekehrt sollten ''Not, Geschwür'' eine Befürchtung bannen oder einen Fluch aussprechen. Viele frühe Inschriften bestehen aus einem einzigen Wort wie ''alu, laukaz, laþu'', was man meist als magische Formeln („Heil“, „Gedeihen“) versteht. In den jüngeren skandinavischen Denkmälern werden Zauberrunen für bestimmte Zwecke erwähnt, so Siegrunen, Bierrunen, Bergerunen (zur Geburtshilfe), Seerunen (zum Schutz der Schiffe), Rederunen (um klug zu sprechen), Löserunen (bei Gefangenschaft), Runen zum Besprechen (Stumpfmachen) der Schwerter und dergleichen. |
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nema ráða vel kunni, |
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þat verðr mörgum manni, |
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es of myrkvan staf villisk; |
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sák á telgðu talkni |
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tíu launstafi ristna, |
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þat hefr lauka lindi |
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langs ofrtrega fengit.</poem> |
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Egill reist rúnar og lagði undir hægindið í hvíluna, þar er hún hvíldi; henni þótti sem hún vaknaði úr svefni og sagði, að hún var þá heil, en þó var hún máttlítil|Quelle={{lang|is|Egils saga}} Kap. 73. In der Übersetzung von Felix Niedner Kap. 72.|Übersetzung=Als Egil und die Seinen sich gesetzt hatten und aßen, da sah Egil, dass ein Mädchen krank auf dem Querbett lag. Egil fragte Thorfinn, wer das Weib sei, das dort so krank liege. Thorfinn meinte, sie heiße Helga und sei seine Tochter – ‚sie hat schon lange krank gelegen. Sie litt an Auszehrung. Keine Nacht schlief sie und war wie wahnsinnig.‘ ‚Habt ihr irgendwelche Mittel gegen die Krankheit angewendet?‘ fragte Egil. Thorfinn sprach: ‚Runen sind geritzt worden, und ein Bauernsohn ganz in der Nachbarschaft ist’s, der dies tat. Es steht aber seitdem viel schlimmer als vorher. Kannst du, Egil, etwas wider solches Übel tun?‘ Egil meinte: ‚Möglich, dass es nicht schlechter wird, wenn ich mich daran mache.‘ Als Egil gegessen hatte, ging er dorthin, wo das Mädchen lag, und sprach zu ihr. Er bat, sie von dem Platz zu heben und reines Zeug unter sie zu legen. Das geschah. Darauf durchsuchte er den Platz, auf dem sie gelegen hatte und fand dort ein Fischbein, auf dem Runen geritzt waren. Egil las sie. Darauf schabte er die Runen ab und warf sie ins Feuer. Er verbrannte das ganze Fischbein und ließ das Zeug, das das Mädchen gehabt hatte, in den Wind tragen. Dann sprach Egil:<poem>Runen ritze keiner |
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Rät’ er nicht, wie’s steht drum! |
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Manches Sinn schon, mein ich, |
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Wirren Manns Stab irrte. |
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Zehn der Zauberrunen |
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Ziemten schlecht dem Kiemen: |
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Leichtsinn leider machte |
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Lang des Mädchens Krankheit.</poem>Egil ritzte Runen und legte sie unter das Polster des Lagers, auf dem das Mädchen ruhte. Ihr deuchte da, als ob sie aus dem Schlafe erwache, und sie sagte, sie sei gesund, wenn auch noch schwach. (Kiemen ist der Walknochen, auf dem die Runen geritzt waren. Der verliebte Bauernsohn hatte die falschen Runen geritzt.)}} |
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== Vorkommen == |
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Der Gott des Runenwissens und der Runenmagie ist [[Odin]]. Ein Götterlied der Lieder-[[Edda]] erzählt, wie Odin sich selbst opferte und neun Tage kopfüber in einem Baum (der Weltesche Yggdrasil) hing, bevor er Kenntnis von der Macht der Runen gewann und sich befreien konnte. Im weiteren Verlauf des Liedes werden magische Kräfte der Runen beschrieben und schließlich 18 [[Zauberspruch|Zaubersprüche]] genannt. Ein anderes Lied der Edda, Skirnirs Fahrt, kulminiert in der eindrucksvollen (angedrohten) Verfluchung einer sich verweigernden Frau. Dazu ritzt [[Skirnir]], Diener des Gottes [[Freyr]], während er den [[Fluch]] spricht, ''einen Thursen (d.h. die th-Rune) und der Runen drei: Argheit und Unrast und Irresein''. Erstaunlicherweise handelt es sich dabei um einen Fluch zum Zwecke sexueller Nötigung: Skirnir droht dem Opfer, falls es sich nicht mit Freyr einlasse. |
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[[Datei:Franks Casket vorne links.jpg|gerahmt|rechts|[[Runenkästchen von Auzon]] (spätes 7. Jahrhundert) mit altenglischen Stabreimversen in Runen, vordere Tafel: Szene aus der [[Wieland der Schmied|Wieland]]-Sage]] |
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Zu zusammenhängender Schrift sind die Runen von den Germanen des Kontinents nur in geringem Umfang gebraucht worden. Runensteine gibt es in Mitteleuropa nicht. Die einzigen dort erhaltenen Runenritzungen finden sich auf Schmuck, Waffen und (seltener) auf Gebrauchsgegenständen. Auch in England war die Verwendung von Runen zu diesem Zweck nicht häufig: Das umfangreichste Denkmal, die Inschrift auf dem [[Kreuz von Ruthwell]], stammt bereits aus christlicher Zeit. Die Runenschnitzerei auf dem [[Runenkästchen von Auzon|Walbeinkästchen von Auzon]] (auch ''Franks Casket'' genannt) gibt altenglische Stabreimverse wieder, die frühesten überhaupt überlieferten. Dieses in Nordengland um 650 entstandene Stück gehört zu den eindrucksvollsten kunsthandwerklichen Schöpfungen der germanischen Zeit.<ref>Zum Runenkästchen von Auzon siehe Alfred Becker: ''Franks Casket, Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon. Sprache und Literatur'' (= ''Regensburger Arbeiten zur Anglistik und Amerikanistik.'' Band 5). Hans Carl, Regensburg 1973, ISBN 3-418-00205-6; Alfred Becker: ''Franks Casket, Das Runenkästchen von Auzon; Magie in Bildern, Runen und Zahlen.'' Timme & Frank, Berlin 2021, ISBN 978-3-7329-0738-0.</ref> |
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Ein profaner Gebrauch war gerade in der Frühzeit gleichsam als Markenzeichen auf Gegenständen üblich. Formeln wie ''„(Name) machte …“'' sind nicht selten. Damit konnten ebenso (Kunst-)Handwerker wie [[Runenmeister|Runenritzer]] ihre Leistung bezeichnen. Ein besonderes Fundstück dieser Art ist eine Holzplatte aus dem [[Schiffsgrab|Bootsgrab]] der [[Warft|Wurt]] [[Fallward]] (Cuxhaven). [[Dendrochronologie|Dendrochronologisch]] ließ sich das Holz, das vermutlich als Oberteil eines Schemels diente, auf das Jahr 431 datieren. Der Besitzer, der möglicherweise in römischen Diensten stand, ließ auf der Kante die Inschrift ''ksamella lguskathi'' anbringen (''scamella'', lat. für Schemel). [[Kamm von Frienstedt|Kämme wurden gern als ''Kamm'']] und Hobel als ''Hobel'' gekennzeichnet, was vielleicht einen spielerischen Umgang mit Schriftkultur bezeugt. |
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=== Runen als Schrift === |
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=== Die Runen in Mitteleuropa === |
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Zu zusammenhängender Schrift sind die Runen von den Germanen des Kontinents nur in geringem Umfang gebraucht worden. [[Runenstein]]e gibt es in Mitteleuropa nicht. Die einzigen dort erhaltenen Runenritzungen finden sich auf Schmuck, Waffen und (seltener) auf Gebrauchsgegenständen. Auch in England war die Verwendung von Runen zu diesem Zweck nicht häufig: Das umfangreichste Denkmal, die Inschrift auf dem Kreuz von Ruthwell, stammt bereits aus christlicher Zeit. |
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In Mitteleuropa tauchen die ersten Runen ab dem 3. Jahrhundert auf (Lanzenspitze von Dahmsdorf östlich von Berlin, Kamm von Erfurt-Frienstedt). Ab der Mitte des 6. Jahrhunderts finden sie sich regional und zeitlich stark gehäuft, mit der Christianisierung im 7. Jahrhundert verschwinden sie wieder. Vor allem bei den [[Alamannen]] und am [[Mittelrhein]] (heutiges Südwestdeutschland) und [[Südbayern]] finden sich relativ viele Runenritzungen. Charakteristisch ist, dass Runen nur dort vorkommen, wo germanisch sprechende Menschen lebten (im Westen bis [[Charnay-lès-Mâcon|Charnay]], Burgund, siehe [[Burgunden]]). Auch sind die mitteleuropäischen Inschriften, soweit sie deut- und lesbar sind, immer in germanischer Sprache gehalten, genauer in Westgermanisch oder einer seiner Varianten, wie beispielsweise einer Frühform des Friesischen. |
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Die Runenschnitzerei auf dem [[Runenkästchen von Auzon|Walbeinkästchen von Auzon]] (auch [[Franks Casket]]) gibt altenglische Stabreimverse wieder, die frühesten überhaupt überlieferten. Dieses in Nordengland um 650 entstandene Stück gehört zu den eindrucksvollsten kunsthandwerklichen Schöpfungen der germanischen Zeit. |
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Bisher kennt man ca. 80 Inschriften, die fast ausschließlich von Gegenständen aus Gräbern stammen. Zumeist handelt es sich dabei um Schmuck, der von Frauen getragen wurde ([[Fibel (Schließe)|Fibeln]]), oder, weit seltener, Gürtel- und Waffenteile bei Männern. Daneben gibt es auch sehr selten organische Gegenstände aus Holz und [[Bein (Werkstoff)|Bein]]. Da fast sämtliche Runenfunde aus Gräbern stammen und sich dort Metallgegenstände weit besser erhalten als zum Beispiel Holz, darf man daraus nicht schließen, dass Runen bevorzugt in Metallgegenstände geritzt wurden. Die deutliche Überzahl von Frauengräbern mit Runengegenständen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich Ritzungen besonders gut bei Edel- und Buntmetallschmuckstücken erhalten haben als dies bei den viel stärker korrodierten eisernen Waffen- und Gürtelteilen der Männer der Fall ist. |
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==== Die Runen in Mitteleuropa ==== |
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Der Gebrauch der Runen war in Mitteleuropa aber nur von kurzer Dauer, denn spätestens nach der Mitte des 7. Jahrhunderts finden sich keine Runen mehr. Besonders zahlreich treten Runenritzungen zwischen 550 und 600 n. Chr. auf. |
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In Mitteleuropa tauchen die ersten Runen erst zu Beginn des [[6. Jahrhundert]]s, dann jedoch regional und zeitlich stark gehäuft, auf. Vor allem bei den [[Alemannen]] und am Mittelrhein (heutiges Südwestdeutschland) finden sich relativ viele Runenritzungen. Charakteristisch ist, dass Runen nur dort vorkommen, wo germanisch sprechende Menschen lebten (im Westen bis Charnay, Burgund, vgl. [[Burgunden]]). Auch die Inschriften, soweit sie deut- und lesbar sind, sind immer in germanischer Sprache gehalten. Bisher kennt man ca. 80 Inschriften, die fast ausschließlich von Gegenständen aus Gräbern stammen. Zumeist handelt es sich dabei um Schmuck der Frauen ([[Fibel]]n, „Sicherheitsnadeln“, ursprünglich zum Verschließen von Gewändern) oder, weit seltener, Gürtel- und Waffenteile bei den Männern. Daneben gibt es jedoch auch sehr selten organische Gegenstände aus Holz und Knochen. Da fast sämtliche Runenfunde aus Gräbern stammen und sich dort Metallgegenstände weit besser erhalten als z. B. Holz, darf man daraus nicht unbedingt schließen, dass bevorzugt Metallgegenstände zum Runenritzen benutzt wurden. Auch die deutliche Überzahl von Frauengräbern mit Runengegenständen dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, dass sich Ritzungen besonders gut bei Edel- und Buntmetallschmuckstücken erhalten und entdecken lassen, besser als dies bei den viel stärker korrodierten eisernen Waffen- und Gürtelteilen der Männer der Fall ist. |
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==== Inhalte ==== |
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Der Gebrauch der Runen war in Mitteleuropa aber nur von kurzer Dauer, denn spätestens nach der Mitte des [[7. Jahrhundert]]s finden sich keine Runen mehr. Besonders zahlreich treten Runenritzungen zwischen 550 und 600 n. Chr. auf. |
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Die Inschriften sind kurz, häufig nur ein Wort, manchmal nur eine einzelne Rune. Die längsten Inschriften ([[Neudingen]], [[Runenschnalle von Pforzen]]) sind gerade einmal ein bis zwei Sätze lang. Häufig sind die Inschriften nicht deutlich erkennbar oder lesbar. Neben den Einzelrunen gibt es „falsch“ geschriebene Runen und Pseudorunen. |
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Selbst wenn die Inschrift gut zu erkennen und länger ist, gibt es wissenschaftlich oft kaum eine einhellige Meinung zu einer Übersetzung des Inhaltes. Deutlicher ist zum Beispiel der Holzstab (Teil eines [[Webstuhl]]s) aus Neudingen (Baden-Württemberg): „lbi (ergänzt zu leub/liubi): imuba: hamale: blithguth uraitruna“ (Liebes der Imuba: (von) Hamale: Blithgund ritzte/schrieb die Runen) oder die [[Fibel von Bad Krozingen]] (Baden-Württemberg) „Boba leub Agirike“ („Boba ist lieb dem Agerich“ oder „Boba wünscht Liebes dem Agerich“). |
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==== Runen als Geheimschrift in mittelalterlichen Glossen des 7. bis 11. Jahrhunderts ==== |
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Die Inschriften sind kurz, häufig nur ein Wort, manchmal nur eine einzelne Rune. Die längsten Inschriften (Neudingen, Pforzen) sind gerade einmal ein bis zwei Sätze lang. Häufig sind die Inschriften nicht deutlich erkennbar oder lesbar. Neben den Einzelrunen gibt es „falsch“ geschriebene Runen und Pseudorunen (ein Versuch zu schreiben, ohne es wirklich zu können?). |
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Aus dem Mittelalter sind zahlreiche Beispiele geheimschriftlich annotierter Klostermanuskripte bekannt. Diese enthalten Anmerkungen, die als Griffelglossen ausgeführt sind. Diese Runen-Geheimschriften verwenden meist ein an Angelsächsisch angelehntes Futhark. Beispiele dafür befinden sich zum Beispiel in der [[Stiftsbibliothek St. Gallen]], zum Beispiel Cod. 11, S. 144 (Geheimglosse in Runenschrift).<ref>{{cite web|url=http://glossenwiki.phil.uni-augsburg.de/wiki/index.php?title=Datei:Runenglosse_stgallen_cod11.jpg|title=Runenglosse St. Gallen Cod. 11 |format=Abbildung |work=uni-augsburg.de |date=2014}}</ref> Hierzu die Quellensammlung von Andreas Nievergelt (2009): ''Althochdeutsch in Runenschrift. Geheimschriftliche volkssprachige Griffelglossen.'' In: ''Beiheft ZfdA'' 11. Stuttgart: Hirzel. |
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==== Magische Runen in Mitteleuropa ==== |
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Selbst wenn die Inschrift gut zu erkennen und länger ist, gibt es unter den Wissenschaftlern oft kaum eine einhellige Meinung zu einer Übersetzung des Inhaltes. Deutlicher ist z. B. der Holzstab (Teil eines Webstuhls) aus Neudingen (Baden-Württemberg): „lbi (ergänzt zu leub/liubi) : imuba : hamale : blithguth uraitruna“ (Liebes der Imuba: (von) Hamale: Blithgund ritzte/schrieb die Runen) oder die Fibel von Bad Krozingen (Baden-Württemberg) „Boba leub Agerike“ (Boba liebt den Agerich). |
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Anders als bei den skandinavischen Funden lassen sich im mitteleuropäischen Raum weniger Inschriften als eindeutig magisch oder als Zauberformeln deuten. Es handelt sich meist um eher profane private Vermerke, Liebesbezeugungen oder Schenkungswidmungen. Nicht wenige der Ritzungen tragen die [[Signatur (Kunst)|Signatur]] einer Frau. |
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Auf den [[Brakteaten von Hüfingen]] (Baden-Württemberg) finden sich die Formelwörter „alu“ ([[Ale (Bier)|Ale]]/Bier = Gesundheit/Schutz?) und „ota“ (Schrecken/Abwehr?), die auch aus dem Norden bekannt sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um magische Formelwörter, die Unheil abwehren und Gedeihen herbeiwünschen sollen. |
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===== Magisches ===== |
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Anders als bei den skandinavischen Funden lässt sich im mitteleuropäischen Raum kaum eine Inschrift als magisch oder Zauberformel deuten. Es handelt sich meist um eher profane private Vermerke, Liebesbezeugungen oder Schenkungswidmungen. Nicht wenige der Ritzungen tragen die Signatur einer Frau. |
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Auf der [[Runenfibel von Beuchte|Fibel von Beuchte]] (Niedersachsen, 6. Jahrhundert) finden sich zwei Inschriften (1. ''Buirso'', wohl der Name des Runenmeisters, 2. die Futhark-Reihe von ''f'' bis ''r'', erweitert um ''z'' und ''j''), wobei die eine im Gegensatz zur Fibel keine Abnutzungsspuren aufweist und womöglich erst nach dem Tode der Trägerin eingeritzt worden war (die Futhark-Reihe, also die ersten acht Zeichen, als „Alphabet-Zauber“, die quasi als magische „Formel“ gilt?). Dies könnte darauf hindeuten, dass die Inschrift zur Abwehr eines „[[Wiedergänger]]s“ gedacht war. |
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Auf den [[Brakteat]]en von Hüfingen (Baden-Württemberg) finden sich die Formelwörter „alu“ ([[Ale]]/Bier = Gesundheit/Schutz?) und „ota“ (Schrecken/Abwehr?), die auch aus dem Norden bekannt sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um magische Formelwörter, die Unheil abwehren und Gedeihen herbeiwünschen sollen. |
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Auf dem silbernen [[Scheidenmundblech]] aus dem Männergrab 186 von [[Eichstetten am Kaiserstuhl]] (Baden-Württemberg) wurde die Inschrift (erster Teil nicht sinnvoll lesbar) „muniwiwoll“ eingeritzt. Dies wird als „mun(t) wi woll“ gelesen und mit „Schutz wie Wohl“ (Munt/Mund bedeutet Schutz und steckt heute noch im Wort „Mündel“ (Schützling)) oder einfach „Guter Schutz/Schutz wie vortrefflich“ übersetzt. Anscheinend erhoffte sich der Besitzer durch die Runen Schutz im Kampf. |
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Auf der Fibel von Beuchte (Niedersachsen, 6. Jh.) finden sich zwei Inschriften (1. ''Buirso'', wohl der Name des Runenmeisters, 2. die Futhark-Reihe von ''f'' bis ''r'', erweitert um ''z'' und ''j''), wobei die eine im Gegensatz zur Fibel keine Abnutzungsspuren aufweist und womöglich erst nach dem Tode der Trägerin eingeritzt worden war (die Futhark-Reihe, also die ersten acht Zeichen, als „Alphabet“-Zauber, die quasi als magische „Formel“ gilt?). Dies könnte darauf hindeuten, dass die Inschrift zur Abwehr eines „[[Wiedergänger]]s“ gedacht war. |
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Die zahlreich auftauchenden Futhark-Einritzungen auf Schmuck und Waffen werden meist als Glücksfetische gedeutet. |
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===== Religiöses ===== |
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==== Religion ==== |
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Auf der Fibel von Nordendorf bei Augsburg (Anf. 7. Jh.) wird eine Göttertrias genannt: |
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Auf der [[Bügelfibeln von Nordendorf|Fibel von Nordendorf]] (bei Augsburg, Ende 6. Jahrhundert) wird vielleicht eine Göttertrias genannt: ''„logaþore wodan wigiþonar“''. Leicht zu erkennen sind die aus späteren Quellen bekannten [[Südgermanische Gottheiten|südgermanischen Götter]] [[Odin|Wodan]] und [[Thor|Donar]], der hier mit der Vorsilbe ''wigi-'' als besonders verehrenswert benannt wird (ahd. ''wîh'',<ref name="woerterbuchnetz.de">{{Literatur |Online=http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GW12830|Titel=„Weich“ |Sammelwerk=Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm |Band=Band 28 Sp. 474}}</ref> noch im 19. Jhd. mundartlich ''weich''<ref name="woerterbuchnetz.de" /> „heilig“ < germ. *wīgian 'weihen'; vielleicht aber auch zu germ. *wīgan 'kämpfen' zu stellen). Logathore könnte ein dritter, lokaler Gott gewesen sein, der wohl nicht an die nordgermanischen [[Loki]] oder [[Lodur|Loðurr]] anzuschließen ist. |
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„Logathore, Wodan, Wigi-Thonar“ (Wigi-Thonar = Weihe-Donar/Thor). |
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Es würde sich um die aus späteren Quellen bekannten germanischen Götter Donar/[[Thor]] und Wodan/[[Odin]] handeln. Logathore könnte ein dritter, lokaler Gott gewesen sein (Loki?). |
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Klaus Düwel liest ''logaþore'' hingegen als „Ränkeschmiede/Zauberer“ und deutet die Inschrift als „Ränkeschmiede/Zauberer (sind) Wodan und Weihe-Donar“. Dies entspräche dann einer Verdammung der alten Götter und einem Bekenntnis der Trägerin zum neuen christlichen Glauben. Demgegenüber liest U. Schwab „Zauberhaft/Zauberer (im positiven Sinne) (sind) Weihe-Donar und Wodan“, womit die Trägerin dem alten Glauben angehangen hätte. Doch könnte ''logaþore'' auch als [[Kenning]] für eine weitere Gottheit (vielleicht Tyr) stehen, die die Trias wiederum vollständig machte. |
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In einigen Fällen sind Formeln bezeugt, die |
In einigen Fällen sind Formeln bezeugt, die nicht anders denn als Abwendung von den heidnischen Gottheiten gelesen werden können. Auf der [[Scheibenfibel von Osthofen]] ist mit der Inschrift „Gott mit dir, Theophilus (= Gott-Freund)“ die Wendung zum Christentum deutlich vollzogen. In einem Kirchengrab in [[Arlon]] (Belgien) fand sich eine, durch eine Kreuzdarstellung als christlich ausgewiesene, Amulettkapsel mit Runen, die recht eindeutig die dort bestattete Tote als Christin ausweist. In einem reich ausgestatteten Frauengrab bei [[Kirchheim unter Teck]] (Baden-Württemberg) vom Ende 6. Jh. wurde neben einer großen Runenfibel ein [[Goldblattkreuz]] gefunden, das eine Annäherung an christliches Gedankengut zumindest denkbar erscheinen lässt. |
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==== Beginn und Ende der Runenritzungen ==== |
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In einem Kirchengrab in Arlon (Belgien) fand sich eine (christliche/Kreuzdarstellung) Amulettkapsel mit Runen, die recht eindeutig die dort bestattete Tote als Christin ausweist. |
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Die Germanen Mitteleuropas übernahmen die Runen erst fast 400 Jahre nach der ersten Verwendung dieses Schriftsystems in Skandinavien. Es stellt sich die Frage, warum sie sich nicht gleich (oder früher) der lateinischen Schrift der benachbarten römischen Gebiete bedienten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Runen hier erstmals auftauchen, als die Gebiete in das [[Fränkisches Reich|Frankenreich]] eingegliedert wurden ([[Alamannen]] 496/506/535, [[Thüringer]] 529/532) und [[Bajuwaren]] (Mitte 6. Jh.). Eine These lautet, dass nach dem Fall des Thüringerreiches 531 die „romanisch“ geprägten Franken und Alemannen zu direkten Nachbarn der [[Sachsen (Volk)|Sachsen]] wurden und sich der Austausch zwischen Nord und Süd intensivierte. |
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Zeitlich gilt dasselbe für die so genannte „nordische“ Modewelle, mit der viele Elemente und Formen (Fibelformen, [[Brakteat]]en, Verzierungen im [[Germanischer Tierstil|Tierstil]] I und II) verstärkt ab ca. 530 n. Chr. von Skandinavien nach Mitteleuropa gelangten bzw. dort kopiert wurden und zu eigenen Formen anregten (kontinentaler Tierstil II). Dass auch die Runen im Zuge dieser Modewelle nach Süden gelangten, ist durchaus möglich; man bedenke auch die Formelwörter alu und ota, auf den [[Brakteaten von Hüfingen]], die häufig in Skandinavien vorkommen. Wie diese „nördlichen“ Elemente sich verbreiteten und weshalb sie in Mitteleuropa so bereitwillig [[Kulturelle Rezeption|rezipiert]] wurden, ist noch nicht hinreichend erklärt. Es könnte sich um intensivierte Handelsbeziehungen handeln oder um engere soziale Kontakte (Heiratsbeziehungen, Einwanderung, Wanderhandwerker oder Krieger, die sich neuen Gefolgschaftsherren auf dem Festland anschlossen). Eine weitere These lautet, dass diese „nordischen“ Elemente gezielt von einigen germanischen Gruppen übernommen wurden, um sich eine eigene Identität zu geben und diese nach außen (eventuell gegen die eher romanisierten Gebiete/Gruppen und die Einflüsse aus dem Mittelmeerraum) zu demonstrieren und sich dadurch abzugrenzen. Alles weist jedoch darauf hin, dass der Gebrauch von Runen auf dem Boden des fränkischen Reichs ein kurzlebiges und sekundäres Phänomen war.<ref>{{Literatur |Autor=Axboe, Morten. |Titel=Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Herstellungsprobleme und Chronologie |Ort=Berlin |Datum=2004 |ISBN=3-11-092646-6}}</ref> |
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===== Ende der Runenritzungen ===== |
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Warum der Brauch, Runen zu ritzen, in Mitteleuropa im |
Warum der Brauch, Runen zu ritzen, in Mitteleuropa im 7. Jahrhundert ausstarb, ist nicht geklärt. Dass die römische Kirche aktiv gegen den Runengebrauch vorging, ist wenig wahrscheinlich. Weder ist ein solches Verbot überliefert, noch scheinen christlicher Glaube und Runen unverträglich gewesen zu sein. Einige mit Runengegenständen Bestattete waren anscheinend schon Christen (Arlon, Kirchheim). Zudem arrangierte sich die Kirche in England und Skandinavien recht zwanglos mit Runen als Schrift. Dennoch dürfte die vom Frankenreich ausgehende Christianisierung mit einem Wandel vieler Bräuche und einer latenten [[Romanisierung]] (abzulesen zum Beispiel am [[Lehnwort]]schatz) einhergegangen und somit indirekt auch für das Erlöschen der Runenkultur verantwortlich gewesen sein. |
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Da die Runen nur für einen recht kurzen Zeitraum in Gebrauch waren (ca. |
Da die Runen nur für einen recht kurzen Zeitraum in Gebrauch waren (ca. 100 bis 150 Jahre) und die Inschriften oftmals eine unsichere Hand verraten, war die Kenntnis vermutlich nie sehr verbreitet oder fest verwurzelt. Viele Inschriften machen einen ausgesprochen „privaten“ Eindruck. Etwas, das der skandinavischen Runenmeisterkultur mit ihrer Traditionsbildung entsprach, existierte in Mitteleuropa offenbar nicht. Stattdessen wechselte man, wohl unter dem mittelbaren Einfluss der Kirchen und Klöster, auf die gebräuchlichere, „internationalere“ und prestigereichere lateinische Schrift über. |
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Interessanter ist die Frage, warum die Germanen Mitteleuropas überhaupt erst fast 400 Jahre, nachdem die ersten Runen in Skandinavien benutzt wurden, dieses Schriftsystem übernahmen und nicht gleich (oder früher) die lateinische Schrift der benachbarten römischen Gebiete. |
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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Runen hier erstmals auftauchen, als die Gebiete in das Frankenreich eingegliedert wurden (Alemannen 496/506/535, Thüringer 529/532). Eine These lautet, dass nach dem Fall des Thüringerreichs [[531]] die 'romanisch' geprägten Franken und Alemannen zu direkten Nachbarn der Sachsen wurden und der Austausch zwischen Nord und Süd sich intensivierte. |
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Vielleicht erklärt sich auch die Übernahme der Runen durch die sogenannte "Nordische" Modewelle mit der viele Elemente und Formen (Fibelformen, Brakteaten, Verzierungen im Tierstil I und II) verstärkt ab ca. 530 n. Chr. von Skandinavien nach Mitteleuropa gelangten bzw. dort kopiert wurden und zu eigenen Formen anregte (kontinentaler Tierstil II)(man bedenke auch die Formelwörter '''alu''' und '''ota''' auf den Hüfinger Brakteaten, die häufig in Skandinavien vorkommen). Warum diese Elemente nach Mitteleuropa gelangten, ist noch nicht hinreichend erklärt. Es könnte sich um intensiviertere Handelsbeziehungen handeln und engere soziale Kontakte (Heiratsbeziehungen, Einwanderung, Wanderhandwerker, Krieger die sich neue Gefolgschaftsherren auf dem Festland anschlossen). Eine weitere These lautet, dass diese "nordischen" Elemente gezielt von einigen germanischen Gruppen übernommen wurde, um sich eine eigene Identität zu geben und diese nach aussen (eventl. gegen die eher romanisierten Gebiete/Gruppen und die Einflüsse aus dem Mittelmeerraum)zu demonstrieren und sich dadurch abzugrenzen. |
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=== Die Runen in Skandinavien === |
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Im skandinavischen Norden, wohin die lateinische Schrift erst im Mittelalter im Zuge der Christianisierung gelangte, nahm die Verwendung der Runen dagegen bis zum [[Hochmittelalter|hohen Mittelalter]] weiter zu. Runeninschriften sind beispielsweise häufig in norwegischen Kirchen zu finden,<ref>{{Internetquelle |url=http://www.arild-hauge.com/innskrifter2.htm |titel=RUNEINNSKRIFTER I NORSKE KIRKER |werk=arild-hauge.com |datum=2025-05-24 |sprache=no |abruf=2025-06-05}}</ref> aber auch bei Grabinschriften oder zum Andenken an Familienangehörige auf Runensteinen. Aus der Zeit des älteren Futharks stammt die Inschrift auf dem kleineren der [[Goldhörner von Gallehus]], die große Berühmtheit erlangte. |
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[[Datei:Trikvetra.JPG|mini|Runenstein in [[Uppsala]]]] |
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Im skandinavischen Norden, wohin die lateinische Schrift erst im Mittelalter im Zuge der Christianisierung gelangte, haben die Runen dagegen sehr ausgedehnte Verwendung gefunden, besonders bei Grabinschriften oder zum Andenken an Familienangehörige auf [[Runenstein]]en. Aus der Zeit des älteren Futharks hat die Inschrift auf dem kleineren der [[Goldhörner von Gallehus]] große Berühmtheit erlangt. |
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Die Inschriften im kürzeren Futhark beginnen etwa um 800; Beispiele dafür sind die Steine von [[Helnæs]] und Flemløse auf [[Fünen]]. Ganz sicher datierbar sind jedoch erst die zweifellos jüngeren [[Runensteine von Jelling|Jellingsteine]] aus dem 10. Jahrhundert. Diese Runen sind in Schweden besonders zahlreich und reichen bis in spätere Zeit hinauf, auf Gotland bis ins 16. Jahrhundert; einige (beispielsweise der [[Runenstein von Karlevi]] auf [[Öland]] und der [[Runenstein von Rök]] in Östergötland) enthalten [[stabreim]]ende Verse. Die jüngeren Inschriften aus der Wikingerzeit machen mit über 5000 den Hauptanteil aller erhaltenen Runendenkmäler aus. Allein im schwedischen Uppland finden sich 1200 Runensteine, in ganz Schweden etwa 2500. Die meisten Steine tragen Inschriften der Art „(Name) errichtete für (Name)“ und anschließend wird der Verwandtschaftsgrad genannt. Manche Inschriften sind verschlüsselt. Der Gebrauch der Runen in Handschriften (auch ''Runica manuscripta'' genannt) ist im Vergleich dazu selten; literarische Texte wurden hingegen in [[Lateinisches Schriftsystem|Lateinschrift]] festgehalten.<ref>{{Literatur |Autor=Julia-Sophie Heier |Titel=Phänomene lateinschriftlicher Orthographie in den Runeninschriften von Bergen im Vergleich mit nordischen Runica manuscripta |Hrsg=[[Edith Marold]] und Christiane Zimmermann |Sammelwerk=Studien zur runischen Graphematik: Methodische Ansätze und digitale Umsetzung |Ort=Uppsala |Datum=2022 |Reihe=Runrön |BandReihe=25 |Seiten=219–220 |DOI=10.33063/diva-462706}}</ref> Das umfangreichste Denkmal handschriftlicher Runen ist der so genannte ''[[Codex Runicus]]'' mit dem [[Schonisches Recht|schonischen Recht]] aus dem 14. Jahrhundert. Besonders lange wurden Runen auf [[Kalenderstab|Kalenderstäben]] gebraucht. |
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Da Mythen, [[Sage]]n und epische Lieder [[Mündliche Überlieferung|mündlich überliefert]] wurden und die isländischen Prosa-[[Saga (Literatur)|Sagas]] von Anfang an eine (latein)schriftliche Textgattung waren, spielten Runen als Medium literarischer Überlieferung kaum eine Rolle. Aber nicht nur die große Verbreitung von Inschriften macht es wahrscheinlich, dass seit der Wikingerzeit zumindest in der wohlhabenden Oberschicht Skandinaviens ein recht großer Teil der Menschen Runen lesen und schreiben konnte. Die große Mehrheit der einfachen Landbewohner allerdings wird gewusst haben, was auf den markanten Steinen stand und für wen sie errichtet waren, auch ohne selbst lesen und schreiben zu können. Runen dienten oft auch profanen Zwecken. Dazu zählen Besitzmarken, mit denen Handelswaren und anderes Eigentum gekennzeichnet wurden, geschäftliche Mitteilungen, aber auch Gelegenheitsinschriften in Form von kurzen privaten Botschaften, wie zum Beispiel die Aufforderung „kysmik“ (küss mich), die im [[Oslo]] des 11. Jahrhunderts auf einen Knochen geritzt wurde. Überliefert sind viele Runenstäbchen (Holzstäbchen mit Runen) und Bleistreifen mit solchen Liebesbezeugungen, Gedichten oder Handelsnotizen. Auch Verwünschungen blieben in Mode. |
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[[Bild:Trikvetra.JPG|thumb|left|Runenstein in [[Uppsala]]]] |
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Die Inschriften im kürzeren Futhark beginnen etwa um 800; Beispiele dafür sind die Steine von Helnäs und Flemlöse auf Fünen. Ganz sicher datierbar sind jedoch erst die zweifellos jüngeren Iällingesteine aus dem [[10. Jahrhundert]]. Sie sind in Schweden besonders zahlreich und reichen bis in spätere Zeit hinauf, auf Gotland bis ins [[16. Jahrhundert]]; einige (beispielsweise der Karlevistein auf Öland und der Rökstein in Östergötland) enthalten [[stabreim]]ende Verse. Diese jüngeren Inschriften aus der Wikingerzeit machen mit über 5000 den Hauptanteil aller erhaltenen Runendenkmäler aus. Allein im schwedischen Uppland finden sich 1200 Runensteine. Der Gebrauch der Runen zu literarischen Zwecken, also in Handschriften, ist dagegen selten und wohl nur als eine gelehrte Spielerei zu betrachten. Das umfangreichste Denkmal war der sogenannte ''Codex runicus'' mit dem [[Schonisches Recht|schonischen Recht]] aus dem [[14. Jahrhundert]]. Besonders lange wurden Runen auf [[Kalenderstab|Kalenderstäben]] gebraucht. |
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Erst im 16. Jahrhundert ging die Zeit der Runen in Skandinavien zu Ende. Lediglich in der schwedischen Provinz [[Dalarna]] hielt sich der Gebrauch von Runen noch bis ins frühe 20. Jahrhundert.<ref>Lise Brix: ''Isolated people in Sweden only stopped using runes 100 years ago.'' In: Science Nordic, 21. Mai 2015 ([https://www.sciencenordic.com/language-linguistics-runes/isolated-people-in-sweden-only-stopped-using-runes-100-years-ago/1418110 sciencenordic.com]).</ref> |
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Da Mythen, [[Sage]]n und epische Lieder mündlich überliefert wurden und die isländischen Prosa-[[Saga (Literatur)|Saga]]s von Anfang an eine (latein)schriftliche Textgattung waren, spielten Runen als Medium literarischer Überlieferung kaum eine Rolle. Aber nicht nur die große Verbreitung von Inschriften macht es wahrscheinlich, dass zumindest in der wohlhabenden Oberschicht Skandinaviens ein recht großer Teil der Menschen Runen lesen und schreiben konnte. Runen dienten oft auch profanen Zwecken. Dazu zählen Besitzmarken, mit denen Handelswaren und anderes Eigentum gekennzeichnet wurden, geschäftliche Mitteilungen, aber auch Gelegenheitsinschriften in Form von kurzen privaten Botschaften, wie zum Beispiel die Aufforderung „kysmik“ (küss mich), die im [[Oslo]] des [[11. Jahrhundert]]s auf einen Knochen geritzt wurde. In [[Byzanz]] hinterließen mehrere nordische Reisende, möglicherweise Krieger der kaiserlichen [[Warägergarde]], Runengraffitos auf Galerien der [[Hagia Sophia]]. |
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Als Erbe des langen Nebeneinanders von lateinischer und runischer Schrift enthält das isländische Alphabet bis heute ein Zeichen, das ursprünglich eine Rune war: [[Þ]] (''thorn'') steht für den [[Stimmloser dentaler Frikativ|stimmlosen th-Laut]] (wie beispielsweise im englischen Wort „thing“). |
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[[Datei:Runen Hagia Sophia.JPG|mini|Runen auf Empore der Hagia Sophia, 9. Jh. n. Chr.]] |
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=== Runen außerhalb Skandinaviens und Mitteleuropas === |
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In [[Byzantinisches Reich|Byzanz]] hinterließen mehrere nordische Reisende, möglicherweise Krieger der kaiserlichen [[Warägergarde]], Runengraffiti auf Galerien der [[Hagia Sophia]]. Unter den [[Runeninschriften der Britischen Inseln]] gibt es neben den altenglischen auch etwa 220 Inschriften in [[Altnordische Sprache|altnordischer Sprache]] aus der [[Wikingerzeit]]. Runen wurden auch auf den [[Färöer]]n, auf [[Island]], in [[Russland]] ([[Staraja Ladoga]]) und auf [[Grönland]]<ref>siehe: ''[[Stab von Narsaq]]''</ref> gefunden.<ref>[[Robert Nedoma]]: [https://an.univie.ac.at/ms/ms2.pdf ''Runenschrift und Runeninschriften – eine kurze Einführung''] (= ''Miscellanea septentrionalia'' 2). Universität Wien. 3. Juni 2024. S. 5.</ref> |
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== Runen in der Neuzeit == |
== Runen in der Neuzeit == |
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[[Datei:Goldast antiquitates runen.jpg|mini|''Alamannicarum Antiquitates'' von 1606]] |
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[[Bild:Goldast antiquitates runen.jpg|thumb|240px|''Alamannicarum Antiquitates'' von 1606]] |
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=== Beginn der wissenschaftlichen Erforschung === |
=== Beginn der wissenschaftlichen Erforschung === |
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Die Runen gerieten nie in völlige Vergessenheit. Die wissenschaftliche Befassung mit Runendenkmälern und der Runenschrift hielt sich das ganze Mittelalter hindurch, bis zum [[Humanismus]] auf denselben Gleisen wie die enzyklopädische und geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit anderen Altertümern. Humanisten wie der Schweizer [[Melchior Goldast]] fahndeten in mittelalterlichen Manuskripten nach der Geschichtsüberlieferung des eigenen „Stammes“, wenn sie [[Althochdeutsche Sprache|althochdeutsche]] Texte ebenso abdruckten wie die klösterlichen Runentraktate des 9. Jahrhunderts (s. Abb.). Im Norden konnte sich die Aufmerksamkeit auf die inschriftlichen Denkmäler selbst richten. Seit dem 16. Jahrhundert wurden gelehrte Sammlungen und Studien veröffentlicht, allerdings erscheinen die Herleitungen der Schrift zum Beispiel aus der Zeit der Sintflut ([[Johan Magnus]], 1554) oder von der hebräischen Schrift ([[Olaus Wormius]], 1639) doch eher kurios. [[Johan Göransson]]s ''Baustil'' von 1750 ist mit seinen Abbildungen von 1200 schwedischen Runensteinen noch immer von wissenschaftlicher Bedeutung, auch wenn er die These vertrat, die Runen seien um 2000 v. Chr. von einem Bruder [[Gog und Magog|Magogs]] in den Norden gebracht worden. Das verlorengegangene [[Goldhörner von Gallehus|Goldhorn von Gallehus]] ist nur noch durch Stiche des 18. Jahrhunderts fassbar. |
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Heute ist die Runenkunde ([[Runologie]]) kein eigenständiges akademisches Fach, aber ein etabliertes Forschungsgebiet im Berührungsfeld von vergleichender Sprachwissenschaft, [[Ältere Skandinavistik|Nordistik]], Geschichtswissenschaft und Archäologie. |
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Die Runen gerieten nie in völlige Vergessenheit. Die wissenschaftliche Befassung mit Runendenkmälern und der Runenschrift hielt sich das ganze Mittelalter hindurch, bis zum [[Humanismus]] auf denselben Gleisen wie die enzyklopädische und geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit anderen Altertümern. Humanisten wie der Schweizer [[Melchior Goldast]] fahnden in mittelalterlichen Manuskripten nach der Geschichtsüberlieferung des eigenen 'Stammes', wenn sie [[althochdeutsch]]e Texte ebenso abdrucken wie die klösterlichen Runentraktate des 9. Jahrhunderts (s. Abb.). Im Norden konnte sich die Aufmerksamkeit auf die inschriftlichen Denkmäler selbst richten. Seit dem 16. Jahrhundert wurden gelehrte Sammlungen und Studien veröffentlicht, allerdings erscheinen die Herleitungen der Schrift z.B. aus der Zeit der Sintflut (Johan Magnus, 1554) oder von der hebräischen Schrift ([[Ole Worm]], 1639) doch eher kurios. Johan Göranssons ''Bautil'' von 1750 ist mit seinen Abbildungen von 1200 schwedischen Runensteinen noch immer von Bedeutung, auch wenn er die These vertrat, die Runen seien um 2000 v.Chr. von einem Bruder [[Magog]]s in den Norden gebracht worden. Das verlorengegangene [[Goldhörner von Gallehus|Goldhorn von Gallehus]] ist nur noch durch Stiche des 18. Jahrhunderts fassbar. |
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Heute ist die Runenkunde (Runologie) kein eigenständiges akademisches Fach, aber ein etabliertes Forschungsgebiet im Berührungsfeld von vergleichender Sprachwissenschaft, [[Skandinavistik|Nordistik]], Geschichtswissenschaft und Archäologie. |
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=== Ideologische Vereinnahmungen === |
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Als scheinbar [[autochthon]]e, rein germanische Leistung waren die Runen anfällig für den Missbrauch für ideologische und politische Zwecke im Zeitalter des [[Nationalismus|Nationalgedankens]]. Schon im 17. Jahrhundert entwickelten Dänemark und Schweden einen ahistorischen Stolz auf "ihre" Runen. Einer kulturkritischen Strömung am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich in [[Neopaganismus|neuheidnischen]] und antisemitischen Tendenzen äußerte, kamen vorchristliche, „nordische“ Traditionen nur gelegen. Die Vereinnahmung der Rune für '''s''' (wie auch der nordischen Mythologie) durch die [[SS]] im deutschen '[[Zeit des Nationalsozialismus|Dritten Reich]]' und der Rune für '''o''' durch die [[Neonazi]]s (siehe [[Rechtsextreme Symbole und Zeichen]]) ist dabei nur die bekannteste Form dieser ideologischen Indienstnahme. |
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Dabei standen oft Laienforscher gegen die wissenschaftlichen, universitären Runologen (wobei auch vereinzelt Runologen , die aus den unterschiedlichsten Fächern stammten, die Ansichten der Laienforscher teilten). So wurden etwa bronzezeitliche Symbole und Zeichen als Vorläufer der Runen angesehen um somit den Germanen eine möglichst alte, eigenständige Hochkultur zu attestieren. |
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Recht willkürlich wurde den Runen Inhalt zugesprochen, der kaum wissenschaftlich untermauert war und eher dem Wunschdenken völkisch-esoterischer Runologen entsprang. |
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Es muss jedoch betont werden, dass solche völkisch-esoterischen Vorstellungen generell von den höheren Stellen des 3.Reiches eher mit Misstrauen und z.T. Spott aufgenommen wurden. |
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Während Himmler als Vorsitzender des SS-Ahnenerbe diesen mystischen Richtungen aufgeschlossen war und die Runen auch instrumentalisierte, war gerade Hitler eher ablehnend solchen schwärmerischen Strömungen gegenüber und machte sich auch gelegentlich lustig über Himmler. |
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=== Runenesoterik === |
=== Runenesoterik === |
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[[Datei:Armanenrunor i cirkel med siffror vector.svg|mini|links|Armanen-Futhark als Zahl-]] |
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[[Datei:Armanen Runes.JPG|mini|links|und als Buchstabenreihe]] |
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts keimte in einigen [[Esoterik|esoterischen]] Kreisen Interesse für die Runen auf. Es waren vor allem völkisch-mystisch gesinnte Menschen, die die Runen in ihrem Sinne umdeuteten, ihnen [[Magie|magische]] Kraft zuschrieben und sich neue Runenalphabete ausdachten. Die [[völkische Bewegung]] verwendete nie die historischen Runen, sondern frei erfundene runenähnliche Zeichen. Der bedeutendste Impulsgeber war [[Guido von List]] (1848–1919), ein österreichischer Romantiker und Mitgründer der [[Rechtsextremismus und Esoterik|rechtsesoterischen]] [[Ariosophie]]. Er empfing den Großteil seines okkulten „Runenwissens“ nach eigenem Bekunden in Form von Visionen und galt seinen Anhängern als eine Art Prophet. Er postulierte eine pseudohistorische Priesterschaft sogenannter [[Armanen-Orden|Armanen]], die in diese Geheimnisse eingeweiht gewesen seien, und sein frei erfundenes Futhark, das sich nur lose auf das jüngere Futhark stützt, wurde daher auch '''Armanen-Futhark''' genannt. List postulierte des Weiteren ein Urvolk mit eigener Ursprache namens „Ariogermanen“. Er behauptete, dass dieses Volk, diese reinblütige „Rasse“ von blonden, blauäugigen Menschen, schon seit Urzeiten ein 18 Runen umfassendes Schriftsystem benutzt habe. |
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[[Datei:Wiligut Runes.jpg|mini|Von Wiligut entworfene Runen<ref>Jarl Widar: Whispering of Gotos – Rune-Knowledge [aus Hagal 11 (1934), Heft 7, pp. 7–15]. [[Stephen Flowers|Dr. Stephen E. Flowers]], Michael Moynihan: ''The Secret King'' (2001).</ref> |
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Bis in die 1970er Jahre arbeitete die Runenesoterik fast ausschließlich mit diesem Armanen-Futhark. Spätere Autoren stützten sich auf dieses Futhark, so etwa [[Karl Maria Wiligut]], der „[[Grigori Jefimowitsch Rasputin|Rasputin]] Himmlers“, und [[Friedrich Bernhard Marby]], der Erfinder der [[Runengymnastik]] (auch als Runenyoga bekannt), bei dem die auszuführenden Figuren jeweils Runen symbolisieren und mit dem der „rassenbewusste nordische Mensch“ seinen Geist und Körper veredeln sollte. |
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==== Neuere Runenesoterik ==== |
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts keimte in einigen <!-- in welchen? --> esoterischen Kreisen Interesse für die Runen auf. Es waren vor allem völkisch-mystisch gesinnte Menschen, die die Runen in ihrem Sinne deuteten und verwendeten. Der bedeutendste Impulsgeber war [[Guido von List]] (1848-1919), ein österreichischer Romantiker mit recht exzentrischen Ansichten. Er empfing den Großteil seines okkulten "Runenwissens" nach eigenem Bekunden in Form von Visionen und galt seinen Anhängern als eine Art Prophet. Er gründete auch den [[Armanen]]-Orden, und das von List geradezu frei erfundene Futhark, welches sich nur lose auf das jüngere Futhark stützt, wurde daher auch Armanen-Futhark genannt. Er postulierte auch ein Urvolk mit eigener Ursprache namens "Ariogermanen". Er ging davon aus, dass dieses Volk, diese reinblütige "Rasse" von blonden, blauäugigen Menschen, schon seit Urzeiten ein 18 Runen umfassendes Schriftsystem gehabt hätten. Bis in die siebziger Jahre des 20. Jh. arbeitete die Runenesoterik fast ausschliesslich mit diesem Armanen-Futhark. Spätere Autoren stützten sich auf dieses Futhark; so etwa [[Jörg Lanz von Liebenfels]] (ein ehemaliger Zisterzienser-Mönch), der Begründer der [[Ariosophie]], einer Art Rassenmystik, die auch einen der ideologischen Vorläufer für die nationalsozialistische Rassenlehre bildete. Daneben war Lanz Herausgeber der völkisch-rassistischen Ostara-Hefte (von denen man annimmt, dass auch Adolf Hitler mit ihnen in seiner Wiener Zeit in Berührung gekommen ist) und gründete den ONT (Ordo Novi Templi= Neutemplerorden). Daneben sind noch zu nennen: [[Karl Maria Wiligut]] (besser bekannt als Sturmbannführer Weisthor), der "Rasputin" Himmlers und [[Friedrich Bernhard Marby]], der Entdecker des Stödhur (auch als Runen-Gymnastik oder Runen-Yoga bekannt), bei dem die auszuführenden Figuren jeweils Runen symbolisieren. |
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Die neuere Runenesoterik bezieht sich häufig auf die Arbeiten des amerikanischen Runenmagiers Edred Thorsson (d. i. [[Stephen Flowers]]), Vorsitzender der Rune-Gild<ref>{{Webarchiv | url=http://runegild.org/ | wayback=20110430082010 | text=''Website runegild.org''}}</ref> ([[#Literatur|Lit.]]: Edred Thorsson, 1987). Der in Nordistik/Altgermanistik promovierte Flowers verwendete als Grundlage auch wieder das ältere, 24 Runen umfassende Futhark anstelle des Armanen-Futhark. <!-- Anm. Wanax: Habe das Werk nicht gelesen, und kann daher nichts zu seinen Quellen sagen…zwar kann er wohl die Original-Quellen lesen und hat diese wohl auch aufgenommen, dennoch scheint auch er Anleihen aus der älteren völkischen Esoterik und Werken eingearbeitet zu haben…kann hier jemand mehr sagen? --> |
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Generell zeichnen sich die Lehren der Runenesoterik durch einen starken [[Eklektizismus]] aus. Esoterisch arbeitende Runenmagier benutzen bei ihrer Beschäftigung mit Runenmagie und Runenorakel zum einen vorgeblich „eigene“ Gedanken und Überlegungen, greifen aber oft auch auf die wenigen schriftlichen Quellen des Hoch- und vor allem Spätmittelalters zurück, bei denen etwas über die magische Verwendung von Runen berichtet wird. Dazu gehören beispielsweise Phrasen, beziehungsweise Paraphrasen aus den [[Edda|eddischen]] Schriften und aus der übrigen weiteren altnordischen Literatur wie beispielsweise aus den Sagas und die [[Runengedicht]]e. Dabei wird gerne übersehen, dass diese späten schriftlichen Überlieferungen aus einem bereits vollständig [[Christianisierung|christianisierten]] Umfeld stammen und entsprechend kaum reine „germanisch-heidnische“ Vorstellungen wiedergeben. Allerdings legt die Runenmagie keinen Wert auf historische Richtigkeit (sie ist schließlich keine Wissenschaft), sondern auf den praktisch-subjektiven Zugang, der jede (objektive) Fehlinterpretation verzeihlich macht. <!-- dürfte POV sein, bitte umformulieren --> Meist wird in Publikationen zum esoterischen und magischen Gebrauch der Runen betont, dass der jeweilige Autor nur eine Hilfestellung und Ideen liefern möchte, dass jedoch bei der Arbeit mit Runen jeder neue [[Adept (Schüler)|Adept]] aus sich selbst heraus individuell die Runen und ihre Kraft „verstehen“ und den Umgang mit ihnen lernen müsse – etwa durch Meditation, Trance u. ä. |
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So entstanden weder die Rassenlehre des Nationalsozialisten noch der Gebrauch der Runen im Dritten Reich in einem luftleeren Raum, sondern schöpften aus den völkischen Ideen, die vor dem 1. Weltkrieg und vor allem in den 20er Jahren des 20 Jh. entstanden. |
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=== Völkische Ideologie und Rechtsextremismus === |
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Der Gebrauch der Runen zu esoterischen Zwecken gründet sich also lange Zeit auf recht frei erfundenen Annahmen aufgrund von "Visionen" und stützt sich kaum auf historische Überlieferungen. |
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[[Datei:Georg Schoenerer2.jpg|mini|Mitgliedsurkunde des [[Floridsdorf]]er Turnvereins für den [[Deutschnationalismus|deutschnationalen]] Politiker [[Georg von Schönerer]] in Runenschrift]] |
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Als autochthone, rein germanische Leistung waren die Runen anfällig dafür, für ideologische und politische Zwecke zur Zeit des [[Nationalismus]] instrumentalisiert zu werden. Schon im 17. Jahrhundert entwickelten Dänemark und Schweden einen ahistorischen Stolz auf „ihre“ Runen. Einer kulturkritischen Strömung am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich in [[Neopaganismus|neuheidnischen]] und antisemitischen Tendenzen äußerte, kamen vorchristliche, „nordische“ Traditionen nur gelegen. Die Vereinnahmung der völkischen „[[Siegrune|Sig-Rune]]“ (wie auch Teile der nordischen Mythologie) durch die [[Hitlerjugend]] und die [[Schutzstaffel|SS]] in der [[Zeit des Nationalsozialismus]] und der [[Othala|Odalrune]] durch [[Neonazismus|Neonazis]] (siehe [[Rechtsextreme Symbole und Zeichen]]) ist dabei nur die bekannteste Form dieser ideologischen Indienstnahme. Einzelne Runen, insbesondere solche aus Lists Armanen-Futhark, und runenähnliche Zeichen wie die [[Schwarze Sonne]] werden in [[Rechtsextremismus|rechtsextremen]] und neonazistischen Kreisen als Erkennungszeichen verwendet.<ref>[[Rudolf Simek]]: [http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/257816/runen-gestern-heute-morgen ''Runen gestern, heute, morgen.''] In: ''Bundeszentrale für politische Bildung'', 10. Oktober 2017, abgerufen am Februar 2018.</ref> Auch die Erforschung der historischen Runendokumente wurde insbesondere in der Zeit des Dritten Reiches durch politische und ideologische Vorgaben und Erwartungen geprägt.<ref>[[Ulrich Hunger]]: ''Die Runenkunde im Dritten Reich – Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Ideologiegeschichte des Nationalsozialismus'' (= ''Europäische Hochschulschriften.'' Reihe 3, Band 227). Peter Lang, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-8204-8072-2.</ref> |
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=== Weitere heutige Verwendung === |
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Die neuere Runenesoterik bezieht sich häufig auf die Arbeiten des amerikanischen Runenmagiers Edred Thorsson, Vorsitzender der [[Rune-Gild]] http://www.runegild.org/ (bürgerlicher Name: Stephen Flowers) (Edred Thorsson, Handbuch der Runen-Magie, Sauerlach: Urania verlag, 1987). Der in Nordistik/Altgermanistik promovierte Flowers verwendete als Grundlage auch wieder das ältere, 24 Runen umfassende Futhark anstelle des Armanen-Futhark. <!-- Anm. Wanax: Habe das Werk nicht gelesen, und kann daher nichts zu seinen Quellen sagen..zwar kann er wohl die Original-Quellen lesen und hat diese wohl auch aufgenommen, dennoch scheint auch er Anleihen aus der älteren völkischen Esoterik und Werken eingearbeitet zu haben...kann hier jemand mehr sagen? --> |
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{{Hauptartikel|Runen in heutiger Zeit}} |
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[[Datei:Artikel mit Runen - Items with runes.jpg|mini|links|Verschiedene Gegenstände mit Runen]] |
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Runen finden sich auch in Wappen, auf CDs (vor allem in der [[Metal (Kultur)|Metal-Szene]]) und Büchern, auf Kleidungsstücken (vor allem [[T-Shirt]]s), Fingerringen und Anhängern von [[Halskette]]n, [[Tischdecke]]n, [[Essgeschirr]], [[Tragetasche]]n und auf vielen anderen Alltagsgegenständen. |
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Im [[Germanisches Neuheidentum|Ásatrú]] werden die Runen als [[Schrift]], für runenmagische Zwecke und gelegentlich als [[Orakel|Losorakel]] verwendet. |
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Generell werden scheinbar zum einen "eigene" Gedanken und Überlegungen der esoterisch arbeitenden Runenmagier bei der Beschäftigung mit Runenmagie und Runenorakel benutzt, oft wird nun aber auch auf die wenigen schriftlichen Quellen des Hoch- und vor allem Spätmittelalters zurückgegriffen, bei denen etwas über die magische Verwendung von Runen berichtet wird. Beispielsweise Odins Zaubersprüche in der Edda und das altisländische Runengedicht (behandeln die 16 Runen des jüngeren Futhark), das altenglische Runengedicht (behandelt alle 24 Runen). |
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== Unicode == |
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Beachtet werden muss aber, dass die schriftlichen Überlieferungen schon von christianisierten Autoren überliefert wurden und Zauberpraktiken und Einflüsse aus Süd- und Mitteleuropa die Runenmagie beeinflusst hatten (Bleikreuze mit christlichen Segens- und Zaubersprüchen) und entprechend wird kaum die ehemalige rein "germanisch-heidnische" Vorstellungen überliefert. |
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Der ''[[Unicodeblock Runen]]'' (16A0–16FF) enthält die germanischen Runen, wobei sich die Reihenfolge nach dem traditionellen Runen-Alphabet Futhark richtet und alle jüngeren Varianten und Abwandlungen nach der jeweiligen Grundrune einsortiert sind. |
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== Siehe auch == |
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* [[Runen in heutiger Zeit]] |
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* [[Runendichtung]] |
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* [[Samnordisk runtextdatabas]] (Gesamtnordische Runentext-Datenbank) |
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* [[Runenstein von Kensington]] (Stein mit gefälschter Runen-Inschrift) |
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* [[Ogham]] (irische Alphabetschrift, 4. bis 10. Jh.) |
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Formal ähnliche, nicht verwandte Schriften: |
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* Klaus Düwel: ''Runenkunde''. 3. vollst. erw. u. neu bearb. Aufl. Stuttgart: Metzler 2001. ISBN 347613072X |
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* [[Orchon-Runen]] (Turk-Runen) |
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* Artikel "Runen", "R.dichtung", "R.fälschungen", "R.gedichte", "R.inschriften", "R.meister", "R.münzen", "R.namen", "R.reihen", "R.schrift", "R.steine". In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 25 (2003), S. 499-596. ISBN 3-11-017733-1 ''(Beiträge von K. Düwel, H.-P. Naumann, A. Bauer, F.-X. Dillmann, R. I. Page, M. L. Nielsen, R. Nedoma, K. Fjellhammer Seim)'' |
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* [[Altungarische Schrift|Ungarische Runen]] |
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* René Derolez: ''Runica Manuscripta. The English Tradition.'' Brügge 1954 ''(Standardwerk über die 'Buchrunen')'' |
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* Wilhelm Hauer: ''Schrift der Götter. Vom Ursprung der Runen''. Kiel 2005. ISBN 3-89093-028-X |
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* Heinz Klingenberg: ''Runenschrift – Schriftdenken – Runeninschriften''. [Mit 78 Textfiguren und 63 Abbildungen auf 32 Kunstdrucktafeln.] Heidelberg: Carl Winter, 1973. ISBN 3533021815 |
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* Robert Nedoma: ''Personennamen in südgermanischen Runeninschriften''. Heidelberg: Winter 2004. ISBN 3825316467 |
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* Alfred Becker: ''Franks Casket, Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon''. Regensburger Arbeiten zur Anglistik und Amerikanistik, Bd. 5; Regensburg 1973. ISBN 3-418-0025-6 |
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* Ulrich Hunger: ''Die Runenkunde im Dritten Reich - Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Ideologiegeschichte des Nationalsozialismus '' Europäischen Hochschulschriften Reihe 3. Frankfurt am Main; Bern; New York; Nany . 1984. ISBN 3-8204-8072-2 |
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== Literatur == |
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* {{NordFamilje |Lemma=Runor |Auflage=2 |Spalte=1211 |SpalteBis=1220 |Band=23 |Kommentar=mit Abbildungen zu Inschriften}} |
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* [[Helmut Arntz]]: ''Handbuch der Runenkunde.'' Zweite Auflage. Niemeyer, Halle/Saale 1944 (Reprint: Ed. Lempertz, Leipzig, 2007). |
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* [[Ältere Skandinavistik]] |
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* [[René Derolez]]: ''Runica Manuscripta. The English Tradition.'' De Tempel, Brugge 1954 (Standardwerk über die „Buchrunen“). |
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* [[Ungarische Runen]], [[Orchon-Runen]], [[Runenstein von Kensington]] |
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* [[Klaus Düwel]]: ''Zur Auswertung der Brakteatinschriften. Runenkenntnis und Runeninschriften als Oberschichten-Merkmale.'' In: Karl Hauck (Hrsg.): ''Der historische Horizont der Götterbilsamulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter.'' Göttingen 1992. |
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* [[Seidhr]] |
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* Klaus Düwel (Hrsg.): ''Runeninschriften als Quellen interdisziplinärer Forschung. Abhandlungen des Vierten Internationalen Symposiums über Runen und Runeninschriften in Göttingen vom 4. bis 9. August 1995.'' Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-015455-2 |
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* Klaus Düwel, [[Robert Nedoma]]: ''Runenkunde''. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, J. B. Metzler / Springer-Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-476-04629-1. |
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* Klaus Düwel, Robert Nedoma, [[Sigmund Oehrl]]: ''Die südgermanischen Runeninschriften.'' 2 Bände (= ''Reallexikon der Germanischen Altertumskunde.'' Ergänzungsband 119). Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-053099-5. |
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* Lars Magnar Enoksen: ''Runor: historia, tydning, tolkning.'' Historiska Media, Falun 1998, ISBN 91-88930-32-7. |
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* [[Heinz Klingenberg (Mediävist)|Heinz Klingenberg]]: ''Runenschrift – Schriftdenken – Runeninschriften''. Carl Winter, Heidelberg 1973, ISBN 3-533-02181-5. |
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* [[John McKinnell]], [[Rudolf Simek]], Klaus Düwel: ''Runes, magic and religion. A source-book.'' (= ''[[Studia Medievalia Septentrionalia]]'' ; 10), Fassbaender, Wien 2004, ISBN 978-3-900538-81-1. |
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* [[Wolfgang Krause (Sprachwissenschaftler)|Wolfgang Krause]], [[Herbert Jankuhn]]: ''Die Runeninschriften im älteren Futhark''. (= ''Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; Philosophisch-Historische Klasse'' Folge 3, Nr. 65,1 (Text), Nr. 65,2 (Tafeln)), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966. |
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* [[D. Gary Miller]]: ''Ancient scripts and phonological knowledge.'' (= ''Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science. Series IV, Current issues in linguistic theory,'' 116). John Benjamins Publishing, Amsterdam/Philadelphia 1994, ISBN 90-272-3619-4, {{ISSN|0304-0763}}. |
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* [[Stephan Opitz]]: ''Südgermanische Runeninschriften im älteren Futhark aus der Merowingerzeit'' Freiburg 1977 |
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* [[Robert Nedoma]]: ''Personennamen in südgermanischen Runeninschriften''. Carl Winter, Heidelberg 2004, ISBN 3-8253-1646-7. |
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* [[Rochus von Liliencron]], [[Karl Müllenhoff]]: ''Zur Runenlehre.'' Zwei Abhandlungen. Schwetschke, Halle 1852 ([http://archive.org/details/zurrunenlehrezw00mullgoog Digitalisat]). |
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* ''Runen'', ''Runendichtung'', ''Runenfälschungen'', ''Runengedichte'', ''Runeninschriften'', ''Runenmeister'', ''Runenmünzen'', ''Runennamen'', ''Runenreihen'', ''Runenschrift'', ''Runensteine''. In: ''[[Reallexikon der Germanischen Altertumskunde]].'' Band 25. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-017733-1, S. 499–596 (Teilweise aktualisiert via GOA, ''Germanische Altertumskunde Online''). |
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* Wilhelm Carl Grimm: ''Über deutsche Runen.'' Dieterich, Göttingen 1821 ([http://books.google.com/books?id=3QEZAAAAMAAJ&pg=PA1&dq=über+deutsche+runen books.google.com]). |
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* John S. Robertson: ''How the Germanic Futhark Came from the Roman Alphabet.'' In: ''Futhark. International Journal of Runic Studies'' 2, 2001 [2012], S. 7–25. |
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== Weblinks == |
== Weblinks == |
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{{Commonscat|Runic writing|Runen|audio=0|video=0}} |
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{{Commonscat|Runestones|Runenstein|audio=0|video=0}} |
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{{Wiktionary|Rune}} |
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* {{DNB-Portal|4050996-5}} |
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* [https://www.adfontes.uzh.ch/tutorium/die-deutsche-sprache-in-den-quellen/runen ''Runen.''] Herkunft, Verbreitung, Inschriftenträger u. a. Vielfältige Informationen über Runen bei der [[Universität Zürich]] |
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* Die freie Unicode-Schriftart Sun-ExtA zum [http://www.alanwood.net/downloads/sun-exta.zip Download] (ZIP-Datei; 9,6 MB) |
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* Die freie Unicode-Schriftart [[Junicode]] zum [http://junicode.sourceforge.net/ Download] |
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* Robert Nedoma: [https://an.univie.ac.at/ms/ms2.pdf ''Runenschrift und Runeninschriften ‒ eine kurze Einführung.''] (= ''Miscellanea septentrionalia'' 2). Universität Wien, 3. Juni 2024. |
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* Robert Nedoma, Burkhard Bärner: [https://an.univie.ac.at/links2.html ''Altnordistik (Altskandinavistik) : Links.''] In: ''Universität Wien'' |
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* {{Internetquelle |url=http://www.runenprojekt.uni-kiel.de/beschreibung/1/default.htm |titel=Das Kieler Runenprojekt |werk=runenprojekt.uni-kiel.de |sprache=de |abruf=2025-06-05 |abruf-verborgen=1 |titelerg=Portalseite |offline=2025-06-05 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20230130212952/http://www.runenprojekt.uni-kiel.de/beschreibung/1/default.htm |archiv-datum=2023-01-30}} |
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* {{Webarchiv | url=http://ariadne.uio.no/runenews/ | wayback=20070610040025 | text=''Nytt om runer'' – Jährliche Bibliographie sowie Neufunde mit Beschreibung und Abb. seit 1995}} (Die führende Fachzeitschrift, Univ. Oslo) |
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* [http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runentab.htm ''Runenalphabete | Alphabetinschriften.''] (Titus, Uni Frankfurt) |
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* [http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runinsc.htm ''Runeninschriften.''] (Titus, Uni Frankfurt) |
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* Jantina Helena Looijenga: [http://irs.ub.rug.nl/ppn/163895791 ''Runes around the North Sea and on the Continent AD 150–700., texts & contexts.''] Diss. Groningen 1997. |
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* Wolfgang Krischke: [https://www.faz.net/aktuell/wissen/archaeologie-altertum/runen-aus-karthago-streit-ueber-den-ursprung-des-deutschen-16816963.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 ''Ursprung des Deutschen: Runen aus Karthago''] In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung]]'', 21. Juni 2020 |
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== Einzelnachweise == |
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{{Commons|:Category:Runic writing|Runen}} |
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<references /> |
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{{Commons|Category:Runestones|Runenstein}} |
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{{Lesenswert|31. März 2006|15214278}} |
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* [http://www.mazarbul.de mazarbul.de - Runen, Tengwar, fremde Zeichen] |
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{{Normdaten|TYP=s|GND=4050996-5|LCCN=sh85115851|NDL=00576702}} |
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* [http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa?A2=ind0310&L=hexenforschung&P=R4248&I=-3 Kommentierte Linkliste, zusammengestellt von K. Graf] |
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* [http://www.runenprojekt.uni-kiel.de/beschreibung/1/default.htm Umfangreiche Runendatei mit weiterführender Literatur zu den einzelnen Inschriften] (Runenprojekt Uni Kiel) |
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* [http://ariadne.uio.no/runenews/ ''Nytt om runer'' - Jährliche Bibliographie sowie Neufunde mit Beschreibung und Abb. seit 1995] (Die führende Fachzeitschrift, Univ. Oslo) |
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* [http://www.omniglot.com/writing/runic.htm Beispiele germanischer Runen] (engl.) |
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* [http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runentab.htm Beispiele von Inschriften mit Runenreihen] [http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/germ/runinsc.htm Weitere Inschriften] (Titus, Uni Frankfurt) |
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* [http://www.thror.de Runen in den Werken von J.R.R Tolkien] |
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* [http://www.geocities.com/TimesSquare/Alley/1557/fonts1.htm Download von Runenfonts] |
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* [http://www.runegild.org/ Seite der Rune Gild von Edred Thorsson (bürgerlicher Name: Stephen Flowers)] |
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* [http://www.neue-akropolis.de/index.php?option=com_content&task=view&id=34&Itemid=60 Artikel über Runen allgemein und die Bedeutung der einzelnen Futhark-Runen aus philosophischer Sicht] |
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== Andere Wortbedeutung == |
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'''Runen''' heißen auch die karelischen und finnischen Verse, die [[Elias Lönnrot]] gesammelt und 1840 veröffentlicht hat ("''Kanteletar''"). |
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[[ja:ルーン文字]] |
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[[nl:Rune]] |
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[[nn:Runer]] |
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[[pl:Runy]] |
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[[pt:Runas]] |
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[[ru:Руны]] |
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[[sl:Runa]] |
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[[sr:Руне]] |
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[[sv:Runor]] |
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[[zh:如尼文]] |
Aktuelle Version vom 10. Juni 2025, 08:24 Uhr


Als Runen bezeichnet man die alten Schriftzeichen der Germanen. Der Sammelbegriff umfasst Zeichen unterschiedlicher Alphabete in zeitlich und regional abweichender Verwendung.
Runen können einerseits als Zeichen für jeweils einen Laut geschrieben werden (Alphabetschrift), andererseits stehen sie als Zeichen für die jeweiligen Begriffe, deren Namen sie tragen. Daneben können sie Zahlen darstellen oder als magisches Zeichen verwendet werden. Die Entwicklung der Zeichenformen zielte nicht auf eine flüssige Gebrauchsschrift ab. Abgesehen von einer kurzen Phase im hochmittelalterlichen Skandinavien wurde die Runenschrift nicht zur Alltagskommunikation verwendet.
Verbreitung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Runen waren vom 2. bis zum 14. Jahrhundert n. Chr. überwiegend für geritzte und gravierte Inschriften auf Gegenständen und auf Steindenkmalen in Gebrauch.
Die Verbreitung der etwa 7100 bisher bekannten Runeninschriften (Stand 2023), „wobei zahlreiche unpublizierte Neufunde nicht miteingerechnet“ sind,[1] zeigt einen deutlichen Fundschwerpunkt in Dänemark und Südskandinavien. Dies ist zum Teil durch die lokalen Traditionen von Runensteinen begründet. Runen waren durchaus auch entlang des Rheins, bei den Alemannen, in Bayern, Brandenburg, Thüringen sowie in Pommern, Schlesien und Böhmen begrenzt in Gebrauch, wobei sich die Funde im Norden und Osten grob vor der Völkerwanderung (200–500 n. Chr.), die im Süden und Westen zum Ende der Völkerwanderung (500–700 n. Chr.) einordnen lassen.
Dabei dominiert das ältere Futhark auf dem Kontinent, während Wikinger ab dem 4. Jahrhundert jüngere Versionen des Futhark hinterließen. In den anderen zeitweiligen Siedlungsräumen, zum Beispiel in den Niederlanden, Ungarn, Rumänien (zum Beispiel Lecani, Pietroassa und Szabadbattyán) sowie in der Schweiz, Belgien, Norditalien und Frankreich ist nur eine dünne Streuüberlieferung aus der Zeit der Völkerwanderung zu finden. Lediglich in Regionen, die von Wikingern und Nordmännern erobert worden waren, nutzte man noch einige Zeit Runen, die jedoch ebenfalls mit der Christianisierung der Nordmänner verschwanden. So waren Runen im 7. Jahrhundert noch an der niederländischen Küste, in Russland bis ins 9. Jahrhundert und auf den britischen Inseln sogar bis ins 10. Jahrhundert in Gebrauch, wobei es sich um jüngere Variationen handelt.[2]

Die Christianisierung der Germanen, Nordmänner und Waräger führte letztendlich die lateinischen Buchstaben und in Russland die kyrillischen Buchstaben ein. Nur in den nordischen Ländern hielt sich der Gebrauch der Runenschrift bis ins 15. Jahrhundert. Die gut 350 Runeninschriften der mittelschwedischen Region Dalarna (Dalrunen) bezeugen den Runengebrauch vom späten 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert; sie befinden sich hauptsächlich auf Haushalts- und Arbeitsgeräten und sind zum Beispiel Herstellerinschriften und Besitzervermerke.[3]
Der weitaus größte Teil der etwa 7100 Runenfunde stammt aus dem Skandinavien der Wikingerzeit. Die ältesten Inschriften datieren aus dem 2. Jahrhundert und stammen aus Moorfunden in Schleswig-Holstein, in Jütland und Fünen in Dänemark und Südschweden, sowie aus Ostdeutschland, zum Beispiel Brandenburg (Dahmsdorf) und Polen (Kowel, Rozwadów). In Deutschland und Polen wurde mit dem Aufschwung des Königreichs Preußen im 18. Jahrhundert vieles zugunsten der Landwirtschaft trockengelegt und abgetragen, sodass Runenfunde eher selten sind und sich vorwiegend auf wenige mobile Gegenstände beschränken.
Die älteste datierte Runeninschrift eines ganzen Satzes ist der Runenstein von Svingerud, datiert auf 1–250 n. Chr. Daneben gibt es mehrere Funde mit einzelnen Worten. Dazu gehört das 2024 entdeckte Runenmesser aus einem Urnengrab bei Odense, datiert um 150 n. Chr, mit der Inschrift „hirila“ (kleines Messer).[4] Aus dem Moorfund von Vimose stammt ein Kamm mit der Inschrift harja (Kamm), der in die Zeit 150–200 n. Chr. datiert wird. Die Fibel von Meldorf ist eine in Schleswig-Holstein gefundene bronzene Rollenkappenfibel (Gewandspange), die in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert wird. Sie ist damit zwar älter als andere Funde, doch besteht die vierbuchstabige Inschrift nicht sicher aus Runen; ihre Lesung ist deshalb umstritten, es könnte aber eine Vorstufe der Runen sein.[5] Etwas jünger ist die auf einer eisernen Speerspitze eingeritzte Bezeichnung raunijaR (der Stamm raun- = „versuchen“, „erproben“). Die Spitze wurde in einem Grab aus der Zeit um 200 n. Chr. in Øvre Stabu (Oppland) Norwegen gefunden.[6]
Die Verwendung von Schrift war vor Christi Geburt in den germanischen Kulturen nicht verwurzelt. Bereits früh gab es jedoch regelmäßige Handelskontakte zu den schriftkundigen Griechen. Möglicherweise gab es Vorstellungen, die gegen eine Übernahme dieser Innovation sprachen. Eine Schriftkultur hatte sich daher sehr spät und nur im Ansatz entwickelt. Sie ging kaum über eine kleine Elite von Schreibern hinaus und wurde mit magischer Bedeutung belegt. Die Runenschrift entwickelte sich daher nie zu einer vollwertigen Buch- und Urkundenschrift und erfasste nie Bereiche der Alltagskommunikation und des kollektiven Gedächtnisses, wie es bei Schriftsystemen der Römer, Griechen oder Perser der Fall war. Literatur, Liturgie, Geschichte und Recht wurden zunächst mündlich, später lateinschriftlich überliefert. Runen wurden vor allem für Inschriften zum Gedenken an Verstorbene oder an besondere Ereignisse, zur Weihe oder zum Verschenken von Gegenständen, als Besitzerangaben und als Münzinschriften verwendet. Erst im hochmittelalterlichen Skandinavien bildete sich, in Konkurrenz zur lateinischen Schrift, eine Art Gebrauchsschriftlichkeit in Runen aus.
Bezeichnungsherkunft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im 17. Jahrhundert wurde das neuhochdeutsche Wort Rune aus der dänischen philologischen Literatur entlehnt, zunächst als gelehrte Bezeichnung für den germanischen Sänger (Runen und Skalder, Schottel), dann für das germanische Schriftzeichen (18. Jahrhundert), neben Runbuchstabe. Zuvor war das dänische Wort rune aus dem Altdänischen wiederbelebt worden.
Die Bedeutung des Wortes im Sinne von „Schriftzeichen“ greift zurück auf altnordisch rún, Plur. rúnir, rúnar „Zauber-, Schriftzeichen“. Das altnordische Wort entspricht altenglisch rūn „Geheimnis, geheime Beratung, Runenzeichen“, gotisch rūna „Geheimnis, Ratschluss“ und althochdeutsch rūna „geheime Beratung, Geheimnis, Geflüster“. Die althochdeutsche Bedeutung ist im Verb raunen erhalten geblieben.[7] Bis ins 19. Jahrhundert war zudem das schweizerische Substantiv Raun für eine „geheime Abstimmung, Stimmabgabe ins Ohr einer beeidigten Magistratsperson“ gebräuchlich.[8] Alle genannten Wortformen beruhen auf urgermanisch *rūnō mit Grundbedeutung „Geheimnis“.
Die Bezeichnung der germanischen Schriftzeichen mit dem urgermanischen Wort *rūnō- findet sich schon in der Runeninschrift auf dem Stein von Einang (ca. 350–400) als Akk. sg. runo. Außerhalb der Runeninschriften findet sich das Wort in einem Gedicht (um 565) von Venantius Fortunatus (Carmina VII, 18), der im fränkischen Merowingerreich mit Runen in Berührung gekommen sein könnte: Barbara fraxineis pingatur rhuna tabellis/quodque papyrus agit virgula plana valet („Die Rune der Barbaren mag man auf eschene Tafeln zeichnen; was der Papyrus vermag, tut der geglättete Zweig“). Nach einer Theorie leitet sich das Wort Buchstabe von den Buchenstäben ab, auf die die Runen geritzt wurden. Nach einer weiteren Theorie geht die Bezeichnung auf den kräftigen senkrechten Strich, den sogenannten Stab, zurück, der vielen Runen gemein ist. Für eine genauere Beschreibung der vermuteten Etymologie vgl. den zugehörigen Eintrag im Artikel Buchstabe.
Rune ist in der Finnougristik und in manchen Übersetzungen auch die Bezeichnung für die einzelnen Gesänge der Kalevala und andere Werke der karelischen und finnischen Volksdichtung.[9]
Ursprung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Runen sind vermutlich weder unabhängig entstanden, noch sind sie von den Germanen als fertiges Schriftsystem übernommen worden, sondern wurden weitgehend eigenständig nach Vorbildern mediterraner Schriften entwickelt. Sie treten allerdings schon sehr früh als komplettes Alphabet mit 24 Buchstaben auf. Vor allem die lateinische Schrift, aber auch die zahlreichen vom Lateinischen verdrängten und untergegangenen Schriften des keltisch-alpin-italischen Raums kommen als Vorbilder in Betracht. Runen gehören damit – sowohl in ihrem Prinzip einer Alphabetschrift als auch in der Form vieler Lautzeichen – zu der großen phönizisch-aramäischen Familie von Alphabeten, zu denen auch alle heutigen europäischen Schriften gezählt werden.[10]
Der Ursprung der Runenschrift ist zeitlich und räumlich kaum zu erhellen, weil die ältesten Belege bereits einen etablierten Satz von Zeichen präsentieren. Die bisher ältesten gesicherten Funde von Runen liegen auf der Halbinsel Jütland. Aber auch in Schleswig-Holstein tauchen etwa gleich alte Funde auf, ebenso in Schweden. Sie sind alle zeitlich in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts einzuordnen. Es handelt sich um Gegenstände aus Mooropferplätzen in Jütland wie Vimose, Illerup Ådal, Nydam und Thorsberg. Vorstufen dieser Schrift, an denen ihre Entstehung nachzuvollziehen wäre, konnten nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Das im älteren Futhark äußerliche Charakteristikum der Runen ist die Vermeidung waagrechter und gebogener Linien, was früher immer wieder die Vermutung aufkommen ließ, dass es sich um eine Buchstabenumformung handelt, die dazu geeignet sein sollte, vor allem in hölzernes Material geritzt zu werden. Man nahm folglich an, dass Vorstufen der Runen nur deshalb nicht bewahrt sind, weil ihr mutmaßlicher Träger Holz sich schlechter als Metall erhalten hat. Trotzdem sollte auch davon ausgegangen werden, dass im Zuge der Christianisierung diese Zeugnisse zerstört wurden. Neuere Funde (zum Beispiel Moorfunde von Illerup Ådal, Dänemark) zeigen jedoch auch gerundete Formen (zum Beispiel bei der Odal-Rune) auf metallenen Waffenteilen.[11]
Bei der Herkunft der Runen muss der Formenreichtum der epichorischen Alphabete beachtet werden, bei der gleiche Zeichen in verschiedenen Städten am Mittelmeer andere Lautwerte hatte, gleiche Lautwerte mit anderen Buchstaben geschrieben wurden, gleiche Buchstaben anders geschrieben wurden, und für den örtlichen Dialekt eigene Zeichen hinzugefügt wurden. Beispielgebend ist Omega eine lokale Erfindung, die ans Ende der phönizischen Reihenfolge angehängt wurde, wie auch Othala am Ende der älteren Runenreihe steht. Da die rätische Sprache keinen O-Laut kannte, konnte es nicht als Quelle für die Schreibung mit Omicron dienen, wie es die lateinische und etruskische Sprache machten. Gleichwohl kann die andere Schreibung des Lautwerts (O-mega heißt „großes O“) dort bekannt gewesen sein, spätestens mit dem Attizismus des 1. Jahrhunderts v. Chr.
Es werden vier Hypothesen zur Entstehung der Runenschrift vertreten:
Italisch-etruskische Hypothese
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Vorbild der Runen soll gemäß verbreiteter Ansicht ein nordetruskisches Alphabet bzw. aus dem Kreis der zahlreichen verschiedenen Alphabete Norditaliens und des Alpenraums (4. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) genommen sein. Alle diese Alphabete sind, wie auch die lateinische Schrift, ihrerseits Abkömmlinge des westgriechischen Alphabets (griechischer Kultureinfluss durch Händler und Kolonien in Italien ab dem 7. Jahrhundert v. Chr.).
Besonders der Negauer Helm[12] wurde früh zur Unterstützung dieser These herangezogen. Der Helm mit einer möglicherweise frühgermanischen Namensinschrift (harigasti…) in einem norditalischen Alphabet soll demnach den Ursprung einiger Runenzeichen aus den norditalischen Varianten der griechischen Schrift belegen. Die Germanizität und die Datierung der Inschrift bleiben jedoch umstritten, zumal der Helm aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammt und die Inschrift selbst erst später (vermutlich im 3./2. Jahrhundert v. Chr.) angebracht wurde. Nach Ansicht mancher Forscher hat die Inschrift nichts mit Runen zu tun.[13]
Das stärkste Argument für die italisch-etruskische These sind die Buchstabenformen, der Schreibduktus und das Verfahren der Worttrennung durch Punkte. In keiner anderen antiken Schrift finden sich so viele Übereinstimmungen mit einzelnen Runenzeichen. Von kulturgeschichtlicher Seite ist diese These jedoch schwer zu untermauern, denn sie impliziert, dass die Runenschrift sich im norditalienischen, westalpinen oder norischen Raum im 1. Jahrhundert v. Chr. oder im 1. Jahrhundert n. Chr. herausgebildet haben müsste und dann bis gegen 200 n. Chr. bis in den Norden Germaniens verbreitet worden wäre, wo sie erst deutlich ins Licht der Geschichte tritt. Der Altertumswissenschaftler Jürgen Zeidler hat versucht, im Bereich der keltischen La-Tène-Kultur eben jenes fehlende Zwischenglied (zwischen 100 v. und 100 n. Chr.) nachzuweisen.[14] Für diese Hypothese spricht, dass in den Runen, wie auch im Etruskischen und den Alpenschriften, homorgane Nasallaute vor Verschlusslauten oft nicht geschrieben werden. Außerdem lässt sich das rätselhafte Formelwort alu mit etruskisch alu identifizieren, dem Verbalsubstantiv Präsens Aktiv oder Passiv zu al(i)- „geben“, „weihen“; alu lässt sich also als „wer gibt/weiht“, „Geber/Weihender“ bzw. „gegeben/geweiht werdend“, „(Weihe-)gabe“ übersetzen, was passend erscheint.
Lateinische Hypothese
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die lateinische Schrift ist eine Schwesterschrift der italischen Alphabete und weist daher einige übereinstimmende Buchstabenformen auf. Im Gegensatz zu den Regionalschriften setzte sie sich mit der Expansion der Großmacht Rom überregional durch und wurde als Verwaltungsschrift in alle Winkel des römischen Imperiums verbreitet. Somit hätten germanische Stämme selbst im abgelegenen südskandinavischen Raum, der selbst nie zum römischen Reich gehörte, durch Kontakte mit der römischen Kultur (über Händler, Geiseln, Söldner, Besucher etc.) die lateinische Capitalis monumentalis der Kaiserzeit kennenlernen und davon angeregt eine eigene Schrift entwickeln können.[15]
Für diese These sprechen einzelne Übereinstimmungen von Zeichenformen, die jedoch auch auf den gemeinsamen phönizischen Ursprung der Schriftsysteme zurückgeführt werden können.
Viele Runologen gehen heute von der Lateinthese aus. Den genannten Ähnlichkeiten stehen jedoch nach Ansicht anderer Forscher bedeutende Unterschiede entgegen, die eher auf ein griechisches oder zumindest älteres italisches Alphabet als Ursprung schließen lassen.
Griechische Hypothese
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nur mehr wissenschaftsgeschichtlich relevant sind mehrere Versuche, die Entstehung der Runen den Goten im Schwarzmeergebiet (heutige Ukraine) zuzuschreiben. Vorbild sollte hier entweder im 2./3. Jahrhundert n. Chr. eine ostgriechische Minuskelschrift oder ein archaisches griechisches Alphabet des 6. Jahrhunderts v. Chr. gewesen sein. Diese Thesen sind heute weitestgehend aufgegeben worden, denn die ältesten skandinavischen Runendenkmäler sind nach archäologischer Datierung bereits entstanden, bevor die Goten in Kontakt mit dem römischen Weltreich kamen. Auch aus sprachhistorischen (linguistischen) Gründen scheidet diese Auffassung aus: die älteste Runenreihe reflektiert eindeutig nordgermanische bzw. noch gemeingermanische und keine bereits ausdifferenzierten ostgermanischen Lautverhältnisse.[16][17]
Einen Kontakt der Germanen mit den griechischen Alphabeten (beispielsweise durch Handel) kann diese Argumentation jedoch nicht ausschließen.[18]
Punische Hypothese
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Den drei genannten Hypothesen fällt es schwer, das Akrophonie-Prinzip der Runen zu erklären, also die Methode, die Buchstaben einer Schrift nach einem Wort zu benennen, das mit dem betreffenden Buchstaben beginnt. Die Akrophonie war bereits bei der Ableitung der griechischen aus der phönizischen Schrift aufgegeben worden. Hier waren lediglich die Buchstabennamen (Alpha, Beta, Gamma … von Aleph, Beth, Gimel …) übernommen worden, die dann bei der Weitergabe ans Lateinische und Etruskische ebenfalls verschwanden. Auffällig ist, dass der erste Buchstabe des phönizischen Alphabets „aleph“ Rind und bei den Runen der erste Buchstabe ᚠ „fehu“ ist, was u. a. Vieh, Viehstück bedeutet. Weitere Parallelen sind die Nicht-Schreibung der Vokal-Quantität (kurze versus lange Vokale), die Nicht-Schreibung von Konsonanten-Geminaten und die Auslassung von Nasalen (m und n) vor homorganen Konsonanten (Kamba = Kaba auf dem Kamm von Frienstedt), alles Merkmale sowohl der Runen wie der punischen Schrift, aber nicht der griechischen oder lateinischen.
Bei der Übernahme und Anpassung der phönizischen Schrift durch die Griechen wurde die graphemische Konsonanten-Gemination (zum Beispiel ἔννεπε, πολλὰ) neu entwickelt. Dieses Konzept wurde später von den Römern in die lateinische Schrift übernommen. Das Urgermanische besaß ebenfalls eine bedeutungsrelevante Konsonantenlänge (Opposition Simplex – Geminate). Folgt man der lateinischen oder griechischen Hypothese, so bleibt unerklärt, weshalb dieses bewährte Verfahren bei der gemutmaßten Weitergabe an die Runen wieder entfernt wurde.
Theo Vennemann schlägt deshalb in Germanische Runen und phönizisches Alphabet vor,[19] die Runen als unmittelbar aus dem phönizischen Alphabet in seiner westlichsten Ausprägung – dem punischen Alphabet – abgeleitet zu betrachten. Den Vermittlungsrahmen hätten Handels- und Kolonisierungsunternehmungen der Karthager an der Nordwestküste Europas geboten, manifestiert vor allem durch die Reise des Himilkon, der um 520 v. Chr. die Westküste Europas erkundete mit dem Ziel, neue Kolonien zu gründen.
Runenreihen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bezeichnung „Runenreihe“ steht für die mehrfach überlieferte, geordnete Folge der Runenzeichen. Sie weicht deutlich von der Reihenfolge der uns vertrauten Alphabete ab. Im Lauf der Zeit haben sich aufgrund des Sprachwandels unterschiedliche Laute für die Runenzeichen herausgebildet. Auch die Anzahl und Reihenfolgen der Runen ändern sich mit der Zeit.[20]
Das ältere Futhark: Die älteste Runenreihe
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Die älteste überlieferte Runenreihe (nach den ersten sechs Buchstaben fuþark genannt) bestand aus 24 Zeichen, die in drei Abschnitte (später im Altnordischen als ættir bezeichnet) eingeteilt waren. Sie war anfangs nur bei nordgermanischen Stämmen, in der Völkerwanderungszeit vereinzelt auch bei Ostgermanen (vor allem Goten, ab 3. Jahrhundert?) und Westgermanen (ab 5. Jh.) in Benutzung. Etwa 450 Inschriften in dieser ältesten Runenreihe wurden bislang entdeckt (Stand 2023).[21] Alle jüngeren Runenreihen ab etwa 700 leiten sich vom älteren Futhark ab.
Jedes Graphem (Buchstabe) entspricht einem Phonem (Laut). Für das ältere Futhark besteht von ca. 550 bis 650 eine bemerkenswert gute Übereinstimmung zwischen dem Zeicheninventar und dem Phoneminventar der damit geschriebenen gemeingermanischen bzw. runennordischen Sprache(n). Nur die Verdoppelung der i-Rune (ᛁ Eis und ᛇ Eibe) muss ein Relikt einer früheren Sprachstufe sein und ist wohl ein Beweis dafür, dass das 24-buchstabige Futhark bereits einige Zeit vor den ersten überlieferten Inschriften entstand. (* Sonderzeichen unlesbar?)
Rune | Name (rekonstruiert) | Lautwert | Rune | Name (rekonstruiert) | Lautwert | Rune | Name (rekonstruiert) |
Lautwert | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
ᚠ | fehu „Vieh“ | f | ᚻ / ᚺ | haglaz „Hagel“ | h | ᛏ | teiwaz, tīwaz „Himmels- u. Kriegsgott Tyr“ | t | ||
ᚢ | ūruz ‚Ur, Auerochse‘ | u | ᚾ | naudiz „Not“ | n | ᛒ | berkanan, berk(a)nō „Birkenzweig“, berkō „Birke“ | b | ||
ᚦ | þurisaz „Riese“ | þ (engl. th / Theta) | ᛁ | īsan „Eis“ | i | ᛖ | ehwaz „Pferd“ | e | ||
ᚨ | ansuz ‚Ase‘ | a | ᛃ | jēran „(gutes) Jahr“ | j | ᛗ | mann- „Mensch“ | m | ||
ᚱ | raidō „Ritt, Wagen“ | r | ᛇ | īwaz „Eibe“ | e ~ i (ei?) | ᛚ | laguz „Wasser, See“ oder laukaz „Lauch“ | l | ||
ᚲ | kaunan (?) „Geschwür“ | k | ᛈ | perþō? perþrō? pezdō? | p (extrem seltener Laut) | ᛜ | ingwaz „Gott Ing“, auch „Feuer“ | ng | ||
ᚷ | gibō „Gabe“ | g | ᛉ | algiz (?), elhaz ‚Elch‘ | -z, -R (Endungs-konsonant) | ᛞ | dagaz „Tag“ | d | ||
ᚹ | wunjō „Wonne“ (?) | w | ᛊ / ᛋ | sōwulō „Sonne“ | s | ᛟ | ōþalan „Stammgut, Grundstück“ | o |
Hinweis zur Tabelle: Namen sind in gemeingermanischem, so nirgends belegtem Lautstand rekonstruiert. Vokale mit Balken bezeichnen lange Vokale, alle anderen Vokale sind kurz.
Ein Charakteristikum der germanischen Runenschrift ist, dass jede Rune einen Namen trägt, gewöhnlich ein bedeutungsvolles Wort, das mit dem jeweiligen Laut beginnt; so hieß die f-Rune fehu, das heißt „Vieh; Viehstück, Fahrnis; Reichtum“. Für das älteste Futhark sind diese Runennamen nicht überliefert. Sie können erschlossen werden, weil die Namen sich weitgehend übereinstimmend bei allen jüngeren Runenreihen der germanischen Stämme finden; Wulfila, der Schöpfer der gotischen Schriftsprache im 4. Jahrhundert, übertrug sie möglicherweise sogar auf die gotische Schrift, die keine Runenschrift war. Im 9. und 10. Jahrhundert, als Runen außerhalb Skandinaviens überhaupt nicht mehr im Gebrauch waren, zeichneten klösterliche Gelehrte sowohl in England wie auf dem Kontinent mehrfach die verschiedenen Runenreihen mit Namen oder in Form von Runenmerkversen auf. Aus diesen Quellen werden die Runennamen des ältesten Futhark rekonstruiert; nicht alle Formen sind jedoch unumstritten.
Bis zum 7. Jahrhundert hatten sich die Lautsysteme in den germanischen Einzelsprachen deutlich verändert. Zuvor unterschiedene Laute fielen zusammen, neue Vokale bildeten sich. Dies führte zwangsläufig dazu, dass die Laut-Buchstaben-Zuordnung des älteren Futhark nicht mehr stimmig war. So entwickelten die einzelnen Sprachen und Dialekte jeweils eigene Runenreihen, das sogenannte jüngere Futhark.

Am Schluss steht der Name des Runenmeisters Beagnoþ.
Das Futhork: Die angelsächsische Runenreihe
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Die Angelsachsen erweiterten das Futhark aufgrund der reichen Entwicklung des Vokalismus im Altenglischen schrittweise auf 33 Zeichen (davon sind nebenstehend nur die wirklich verwendeten abgebildet). Das 33-buchstabige Futhork war in dieser Form im 9. Jahrhundert ausgebildet. Es wurde außer in handschriftlichen Aufzeichnungen auch in northumbrischen Inschriften verwendet.
Das längere Nebeneinander von Runen und Lateinschrift im 7. bis 10. Jahrhundert führte in England dazu, dass für Laute des Altenglischen, die im lateinischen Alphabet keine Entsprechung hatten, die entsprechenden Runen quasi weiterverwendet wurden. Auf diese Weise gelangten die thorn-Rune (Þ þ) als Schreibung für /th/ und die wen- oder wynn-Rune (Ƿ ƿ) für das bilabiale /w/ in die lateinische Schrift.
Das jüngere Futhark: Die altnordische Runenreihe
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Auch in Skandinavien war das Futhark Veränderungen unterzogen: Es wurde im 7. bis 8. Jahrhundert auf 16 Runen (f u th o r k: h n i a s: t b l m R) reduziert. Dabei mussten dann einzelne Runen zahlreiche verschiedene Lautwerte bezeichnen: die u-Rune etwa u, y, o, ö und w. Diesen Verlust an Zeichen glich man am Ende des 10. Jahrhunderts mit der Einführung von Punktierungen aus; später gab es auch noch andere Systeme, die sogar für Laute wie Q eine Rune einführten. Im hohen Mittelalter entsteht so, von Norwegen ausgehend, eine punktierte Runenreihe in alphabetischer Reihenfolge, bei der jeder lateinische Buchstabe eine Entsprechung hat. Das erste datierte Zeugnis für die Verwendung des vollständig punktierten Runenalphabets findet sich auf der kleineren Kirchenglocke von Saleby (Västergötland), deren Inschrift das Jahr 1228 angibt.
Vielleicht aufgrund der größeren Wertschätzung für die alte vorchristliche Mythologie und Überlieferung (vgl. die Edda) blieben die Runen in Skandinavien neben der lateinischen Schrift in Gebrauch. Erst im 19. Jahrhundert wurden sie endgültig verdrängt, während dieser Prozess in den anderen germanischen Gebieten teils schon im 7., teils im 11. Jahrhundert abgeschlossen war.
Schreibrichtung und Besonderheiten: Wende-, Sturz-, Binde- und stablose Runen
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Runen wurden seit der Wikingerzeit meist rechtsläufig (von links nach rechts) geschrieben. In der frühesten Zeit war die Schreibrichtung jedoch noch nicht festgelegt. Einzeilige Inschriften können sowohl von links nach rechts (rechtsläufig) oder von rechts nach links (linksläufig) geschrieben sein. In mehrzeiligen Inschriften können entweder alle Zeilen rechtsläufig bzw. linksläufig sein, oder es kommt eine von Zeile zu Zeile abwechselnde Schreibrichtung vor, die unter anderem auch aus altgriechischen Inschriften bekannt ist und als bustrophedon bezeichnet wird („wie der Ochse beim Pflügen wendet“); daneben kommt auch so genanntes „falsches“ Boustrophedon vor. Die Schreibrichtung kann in der Regel sicher bestimmt werden durch die in eine Richtung weisenden Runen (f, u, þ, a, r, k, w, s und b). Wenn einzelne Runen gegen die Schreibrichtung der Zeile gewendet sind, nennt man sie Wenderunen, wenn sie gelegentlich auf dem Kopf stehen, heißen sie Sturzrunen.

Stablose Runen waren der Höhepunkt des Vereinfachungsprozesses in der Entwicklung. Sie begann, als das ältere vom jüngeren Futhark abgelöst wurde. Um stablose Runen zu erstellen, wurden vertikale Markierungen (oder Dauben) aus einzelnen Runen entfernt. Der Name „Stablose“ ist nicht ganz richtig, da die i-Rune aus einem ganzen und die Runen f, þ, k und s aus verkürzten Hauptstäben bestehen. Seit ihrer Entdeckung auf Runensteinen im Hälsingland im 17. Jahrhundert sind stablose Runen auch als Hälsinge-Runen bekannt. Sie kommen aber auch in Medelpad, Södermanland und der norwegischen Stadt Bergen vor. Die Runensteine von Aspa Sö 137, Skarpåker Sö 154, Österberga (Sö 159) und Spånga Sö 164 haben, teilweise vermischt mit anderen, auch stablose Runen.
Das Bandartige von Runenzeilen wird oft betont, indem die Zeichen zwischen zwei ununterbrochene parallele „Führungslinien“ geritzt werden (vgl. den Stein von Rök, Abb. oben). Solche Randlinien begegnen uns schon bei den ältesten Ritzungen. In vielen Inschriften sind die einzelnen Wörter durch Worttrenner, die aus ein bis fünf übereinanderstehenden Punkten oder kleinen Strichen bestehen, voneinander abgesetzt. Der älteste Beleg findet sich auf der Fibel von Skovgårde (Udby), die ca. 200 zu datieren ist: lamo : talgida „Lamo schnitzte“. Bei Einzelwörtern finden sich auch Schlussmarken gleicher Form. Später unter christlichem Einfluss finden sich auch kleine Kreuze.
Wie die lateinische Schrift kennt auch die Runenschrift Ligaturen, also Verschmelzungen zweier Buchstaben zu einem Zeichen. Diese Binderunen werden in der wissenschaftlichen Umschrift mit einem Bogen über der Zeile gekennzeichnet.
„Antiquarische“ Runenalphabete des frühen Mittelalters
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schon sehr früh, nachdem sie außer Gebrauch gekommen waren, wurden Runenreihen von lateinkundigen Kirchenmännern als enzyklopädische Kuriositäten und vermeintliche Geheimschriften gesammelt – man stellte die Runen dem griechischen, hebräischen und „chaldäischen“ Alphabet an die Seite, den Tironischen Noten und dem Phantasiealphabet des Aethicus. Besonders das Kloster Fulda mit seiner starken insularen Tradition pflegte im 9. Jahrhundert, wie es scheint, einen Forschungs- und Sammelschwerpunkt „Runica“.[17]
In einigen Handschriften des 8./9. Jahrhunderts aus oberdeutschen Klöstern ist in einer Abhandlung „Über die Erfindung der Buchstaben“ (De inventione litterarum) ein merkwürdiges Runenalphabet in der Reihenfolge der lateinischen Buchstaben überliefert. Es besteht aus den Zeichen des älteren Futhark mit Verschreibungen oder auch angelsächsischen Einflüssen durch Zufügung von Runen aus dem Futhorc und soll auf Hrabanus Maurus, den Abt von Fulda und Alkuin-Schüler, zurückgehen („Hrabanische Runen“). Da diese Reihe (die früher irreführend als „Markomannische Runen“ bezeichnet wurde) nur in einigen Handschriften, aber nirgends inschriftlich vorkommt, dürfte sie wohl nur ein Versuch der Mönche gewesen sein, allen Buchstaben der lateinischen Schrift Runenzeichen zuzuordnen.
Beginn des Abecedarium Nordmannicum
feu forman
ur after
thuris thritten stabu
os is th(em)o oboro …
Vieh zuerst,
Ur danach,
Thurse als dritten Stab,
Ans ist rechts davon …
In derselben Alkuin-Handschrift, in der sich ein gotisches Alphabet und gotische Textbeispiele aufgezeichnet finden, der sogenannten Salzburg-Wiener Handschrift (Wien, Ms. 795, spätes 8. Jahrhundert?), ist auch ein 28-buchstabiges angelsächsisches Futhark mit Runennamen überliefert.
Daneben existiert eine Reihe von Runengedichten, in denen die Reihenfolge, die Namen und die Bedeutung der Runen in eine memorierbare Form gebracht waren: Das so genannte Abecedarium Nordmannicum und älteste überlieferte Beispiel (9. Jahrhundert, Handschrift Walahfrid Strabos) in einem Gemisch von Altsächsisch, Althochdeutsch, Angelsächsisch und Nordisch, das angelsächsische Runengedicht in 94 Stabreimversen (11. Jahrhundert) und hochmittelalterlich überlieferte Exemplare aus Norwegen und Island (13. und 15. Jahrhundert).
Aus der Lieder-Edda sind die Rúnatal („Runenrede“) in der Sigrdrífomál und der Rúnatals þáttr Óðins in den Hávamál, ebenfalls hochmittelalterlich, poetisch-literarisch überliefert. In diesen Versen sind die namentlichen oder sinnverbundenen Bedeutungen der einzelnen Runen in einen mythischen Kontext gestellt, insbesondere zur Figur Odins als Schöpfer der Runen. Hierbei finden sich Abweichungen zu den Bedeutungen der einzelnen Runenbezeichnungen aus den Runengedichten.
Runen als Begriffszeichen
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Neben dem normalen Lautschreibungsprinzip (Rune steht für einen Laut) konnte das einzelne Runenzeichen im Sinne seines „Namens“ auch wie eine Art ideographisches Symbol verwendet werden. Das Einzelzeichen o konnte also für „Erbbesitz“ stehen. Man spricht in diesem Fall von Begriffsrunen. Ein Beispiel für den Gebrauch von Begriffsrunen ist die Zeile „Hathuwolf gab j“ auf dem sog. Stentoften-Stein (Südschweden, 7. Jahrhundert). Die j-Rune ist hier mit ihrem Begriffswert „ein (gutes) Jahr“ zu lesen.
Diese Technik findet sich unsystematisch fortgesetzt in der Praxis mittelalterlicher Schreiber, besonders in altenglischen und altisländischen Handschriften. Dort können bestimmte Einzelrunen inmitten des lateinschriftlichen Texts wie Logogramme gebraucht werden: die M-Rune kann für altengl. man, mon („Mensch“, „Mann“) oder für altisl. maðr („Mensch“, „Mann“) stehen.
Runen als magische Zeichen
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Schriftgebrauch wurde in allen archaischen Kulturen (auch) als Medium magischer Macht und Aura angesehen. Viele der alten Kulturen hielten ihre Schrift für die Erfindung oder das Geschenk eines Gottes. Zweifellos waren auch die Runen, zumal in ältester Zeit, mit sakralen und religiösen Zwecken verbunden (Grabinschriften, Opfer an Götter, Amulette etc.). Unter den ältesten Funden sind mehrere Ritzungen auf Lanzen- und Speerspitzen, die die Funktion dieser Waffen mit poetisch-magischen Namen beschwören. Bedeutung der Inschrift auf der linken Lanzenspitze: raunijaR. „Herausforderer“, „Erprober“ (Lanzenspitze von Øvre Stabu), tilarids – „Ziel-Verfolger“ (Kowel) Bedeutung auf der rechten Lanzenspitze: wagnijo – „Angreifer“, „Renner“ (Illerup Ådal). Eine magische Funktion der Runen wird schon nahegelegt durch die zahlreichen Inschriften, die die Runenreihe (f u th a r k …, oft ergänzt durch die Runenmeister-Signatur) enthalten. Überliefert sind in Schweden die Namen der Runenmeister Hjälle, Hjälm, Huarpr, Osbjörn und Tryggve. Einen Mitteilungswert besitzt diese Zeichenfolge nicht – sie muss als Schriftmagie und/oder als Ausdruck eines Bewusstseins, dass Schrift an sich einen Eigenwert habe, gelten. Auch der Name der Runen, der „Geheimnis“ bedeutet, bezeugt diese Aura.[22]
Die Entstehung der Runen wird oft im Zusammenhang mit Orakelbräuchen vermutet; ein solcher Zusammenhang ist jedoch nicht gesichert. Ein frühes Zeugnis für das germanische Losorakel im 1. Jahrhundert n. Chr. ist im 10. Kapitel der Germania des Tacitus erhalten. Man streute mit „gewissen Zeichen“ (notis quibusdam) bezeichnete hölzerne Stäbchen auf ein weißes Tuch. Darauf wurden auf gut Glück drei dieser Stäbchen aufgehoben und gedeutet. Dies wurde nacheinander dreimal durchgeführt. Ob es sich bei diesen Zeichen aber schon um Vorläufer der Runenschrift oder sogar schon um eigentliche Runen handelte, ist kaum bestimmbar. Archäologische Funde haben nirgends solche Orakelstäbe zu Tage gefördert.
Die Verwendung der Runen zu magischen Zwecken ist besonders im Norden bezeugt. Als Begriffsrunen bedeuteten zum Beispiel Vieh, (gutes) Jahr, Gabe, Ritt einen entsprechenden Segenswunsch, umgekehrt sollten Not, Geschwür eine Befürchtung bannen oder einen Fluch aussprechen. Viele frühe Inschriften bestehen aus einem einzigen Wort wie alu, laukaz, laþu, was man meist als magische Formeln („Heil“, „Gedeihen“) versteht. Auch hier folgt die nordische Welt antiken Vorbildern, Fluchtäfelchen waren in der gesamten klassischen Antike weit verbreitet und beliebt. In den jüngeren skandinavischen Denkmälern werden Zauberrunen für bestimmte Zwecke erwähnt, so Siegrunen, Bierrunen, Bergerunen (zur Geburtshilfe), Seerunen (zum Schutz der Schiffe), Rederunen (um klug zu sprechen), Löserunen (bei Gefangenschaft), Runen zum Besprechen (Stumpfmachen) der Schwerter und dergleichen.
Der Gott des Runenwissens und der Runenmagie ist Odin. Ein Götterlied der Lieder-Edda (Hávamál) erzählt, wie Odin sich selbst opferte und neun Tage kopfüber in der Weltesche Yggdrasil hing, bevor er Kenntnis von der Macht der Runen gewann und sich befreien konnte. Im weiteren Verlauf des Liedes werden magische Kräfte der Runen beschrieben und schließlich 18 Zaubersprüche genannt. Ein anderes Lied der Edda, Skirnirs Fahrt, illustriert einen profaneren Einsatz von Zauberrunen: den Widerstand einer sich verweigernden Frau zu brechen. Als Brautwerber für den Gott Freyr droht Skírnir der Riesentochter Gerd mit immerwährender Verfluchung, falls sie sich mit dem Gott nicht einlassen wolle. Dazu ritzt er am Ende seiner eindrucksvollen Drohrede einen Thursen (d. h. die schadenbringende th-Rune) und der Runen drei: Argheit und Unrast und Irresein, und daraufhin willigt Gerd in ein Stelldichein mit Freyr ein.
In der Egils saga wird die Wirkung der Runen im Zusammenhang mit einer Krankheit beschrieben:
„Og er þeir Egill sátu og mötuðust, þá sá Egill, að kona sjúk lá í þverpallinum; Egill spurði Þorfinn, hver kona sú væri, er þar var svo þunglega haldin. Þorfinnur segir, að hún hét Helga og var dóttir hans - ‚hefir hún haft langan vanmátt‘, og það var kröm mikil; fékk hún enga nótt svefn og var sem hamstoli væri. ‚Hefir nokkurs í verið leitað‘, segir Egill, ‚um mein hennar?‘ Þorfinnur segir: ‚Ristnar hafa verið rúnar, og er sá einn bóndason héðan skammt í brott, er það gerði, og er síðan miklu verr en áður, eða kanntu, Egill, nokkuð gera að slíkum meinum?‘ Egill segir: ‚Vera kann, að ekki spillist við, þó að eg komi til.‘ Og er Egill var mettur, gekk hann þar til, er konan lá, og ræddi við hana; hann bað þá hefja hana úr rúminu og leggja undir hana hrein klæði, og nú var svo gert. Síðan rannsakaði hann rúmið, er hún hafði hvílt í, og þar fann hann tálkn, og voru þar á rúnarnar. Egill las þær, og síðan telgdi hann af rúnarnar og skóf þær í eld niður; hann brenndi tálknið allt og lét bera vind í klæði þau, er hún hafði haft áður. Þá kvað Egill:
Skalat maðr rúnar rísta,
nema ráða vel kunni,
þat verðr mörgum manni,
es of myrkvan staf villisk;
sák á telgðu talkni
tíu launstafi ristna,
þat hefr lauka lindi
langs ofrtrega fengit.
Egill reist rúnar og lagði undir hægindið í hvíluna, þar er hún hvíldi; henni þótti sem hún vaknaði úr svefni og sagði, að hún var þá heil, en þó var hún máttlítil“
„Als Egil und die Seinen sich gesetzt hatten und aßen, da sah Egil, dass ein Mädchen krank auf dem Querbett lag. Egil fragte Thorfinn, wer das Weib sei, das dort so krank liege. Thorfinn meinte, sie heiße Helga und sei seine Tochter – ‚sie hat schon lange krank gelegen. Sie litt an Auszehrung. Keine Nacht schlief sie und war wie wahnsinnig.‘ ‚Habt ihr irgendwelche Mittel gegen die Krankheit angewendet?‘ fragte Egil. Thorfinn sprach: ‚Runen sind geritzt worden, und ein Bauernsohn ganz in der Nachbarschaft ist’s, der dies tat. Es steht aber seitdem viel schlimmer als vorher. Kannst du, Egil, etwas wider solches Übel tun?‘ Egil meinte: ‚Möglich, dass es nicht schlechter wird, wenn ich mich daran mache.‘ Als Egil gegessen hatte, ging er dorthin, wo das Mädchen lag, und sprach zu ihr. Er bat, sie von dem Platz zu heben und reines Zeug unter sie zu legen. Das geschah. Darauf durchsuchte er den Platz, auf dem sie gelegen hatte und fand dort ein Fischbein, auf dem Runen geritzt waren. Egil las sie. Darauf schabte er die Runen ab und warf sie ins Feuer. Er verbrannte das ganze Fischbein und ließ das Zeug, das das Mädchen gehabt hatte, in den Wind tragen. Dann sprach Egil:
Runen ritze keiner
Rät’ er nicht, wie’s steht drum!
Manches Sinn schon, mein ich,
Wirren Manns Stab irrte.
Zehn der Zauberrunen
Ziemten schlecht dem Kiemen:
Leichtsinn leider machte
Lang des Mädchens Krankheit.
Egil ritzte Runen und legte sie unter das Polster des Lagers, auf dem das Mädchen ruhte. Ihr deuchte da, als ob sie aus dem Schlafe erwache, und sie sagte, sie sei gesund, wenn auch noch schwach. (Kiemen ist der Walknochen, auf dem die Runen geritzt waren. Der verliebte Bauernsohn hatte die falschen Runen geritzt.)“
Vorkommen
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Zu zusammenhängender Schrift sind die Runen von den Germanen des Kontinents nur in geringem Umfang gebraucht worden. Runensteine gibt es in Mitteleuropa nicht. Die einzigen dort erhaltenen Runenritzungen finden sich auf Schmuck, Waffen und (seltener) auf Gebrauchsgegenständen. Auch in England war die Verwendung von Runen zu diesem Zweck nicht häufig: Das umfangreichste Denkmal, die Inschrift auf dem Kreuz von Ruthwell, stammt bereits aus christlicher Zeit. Die Runenschnitzerei auf dem Walbeinkästchen von Auzon (auch Franks Casket genannt) gibt altenglische Stabreimverse wieder, die frühesten überhaupt überlieferten. Dieses in Nordengland um 650 entstandene Stück gehört zu den eindrucksvollsten kunsthandwerklichen Schöpfungen der germanischen Zeit.[23]
Ein profaner Gebrauch war gerade in der Frühzeit gleichsam als Markenzeichen auf Gegenständen üblich. Formeln wie „(Name) machte …“ sind nicht selten. Damit konnten ebenso (Kunst-)Handwerker wie Runenritzer ihre Leistung bezeichnen. Ein besonderes Fundstück dieser Art ist eine Holzplatte aus dem Bootsgrab der Wurt Fallward (Cuxhaven). Dendrochronologisch ließ sich das Holz, das vermutlich als Oberteil eines Schemels diente, auf das Jahr 431 datieren. Der Besitzer, der möglicherweise in römischen Diensten stand, ließ auf der Kante die Inschrift ksamella lguskathi anbringen (scamella, lat. für Schemel). Kämme wurden gern als Kamm und Hobel als Hobel gekennzeichnet, was vielleicht einen spielerischen Umgang mit Schriftkultur bezeugt.
Die Runen in Mitteleuropa
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Mitteleuropa tauchen die ersten Runen ab dem 3. Jahrhundert auf (Lanzenspitze von Dahmsdorf östlich von Berlin, Kamm von Erfurt-Frienstedt). Ab der Mitte des 6. Jahrhunderts finden sie sich regional und zeitlich stark gehäuft, mit der Christianisierung im 7. Jahrhundert verschwinden sie wieder. Vor allem bei den Alamannen und am Mittelrhein (heutiges Südwestdeutschland) und Südbayern finden sich relativ viele Runenritzungen. Charakteristisch ist, dass Runen nur dort vorkommen, wo germanisch sprechende Menschen lebten (im Westen bis Charnay, Burgund, siehe Burgunden). Auch sind die mitteleuropäischen Inschriften, soweit sie deut- und lesbar sind, immer in germanischer Sprache gehalten, genauer in Westgermanisch oder einer seiner Varianten, wie beispielsweise einer Frühform des Friesischen.
Bisher kennt man ca. 80 Inschriften, die fast ausschließlich von Gegenständen aus Gräbern stammen. Zumeist handelt es sich dabei um Schmuck, der von Frauen getragen wurde (Fibeln), oder, weit seltener, Gürtel- und Waffenteile bei Männern. Daneben gibt es auch sehr selten organische Gegenstände aus Holz und Bein. Da fast sämtliche Runenfunde aus Gräbern stammen und sich dort Metallgegenstände weit besser erhalten als zum Beispiel Holz, darf man daraus nicht schließen, dass Runen bevorzugt in Metallgegenstände geritzt wurden. Die deutliche Überzahl von Frauengräbern mit Runengegenständen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich Ritzungen besonders gut bei Edel- und Buntmetallschmuckstücken erhalten haben als dies bei den viel stärker korrodierten eisernen Waffen- und Gürtelteilen der Männer der Fall ist.
Der Gebrauch der Runen war in Mitteleuropa aber nur von kurzer Dauer, denn spätestens nach der Mitte des 7. Jahrhunderts finden sich keine Runen mehr. Besonders zahlreich treten Runenritzungen zwischen 550 und 600 n. Chr. auf.
Inhalte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Inschriften sind kurz, häufig nur ein Wort, manchmal nur eine einzelne Rune. Die längsten Inschriften (Neudingen, Runenschnalle von Pforzen) sind gerade einmal ein bis zwei Sätze lang. Häufig sind die Inschriften nicht deutlich erkennbar oder lesbar. Neben den Einzelrunen gibt es „falsch“ geschriebene Runen und Pseudorunen.
Selbst wenn die Inschrift gut zu erkennen und länger ist, gibt es wissenschaftlich oft kaum eine einhellige Meinung zu einer Übersetzung des Inhaltes. Deutlicher ist zum Beispiel der Holzstab (Teil eines Webstuhls) aus Neudingen (Baden-Württemberg): „lbi (ergänzt zu leub/liubi): imuba: hamale: blithguth uraitruna“ (Liebes der Imuba: (von) Hamale: Blithgund ritzte/schrieb die Runen) oder die Fibel von Bad Krozingen (Baden-Württemberg) „Boba leub Agirike“ („Boba ist lieb dem Agerich“ oder „Boba wünscht Liebes dem Agerich“).
Runen als Geheimschrift in mittelalterlichen Glossen des 7. bis 11. Jahrhunderts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aus dem Mittelalter sind zahlreiche Beispiele geheimschriftlich annotierter Klostermanuskripte bekannt. Diese enthalten Anmerkungen, die als Griffelglossen ausgeführt sind. Diese Runen-Geheimschriften verwenden meist ein an Angelsächsisch angelehntes Futhark. Beispiele dafür befinden sich zum Beispiel in der Stiftsbibliothek St. Gallen, zum Beispiel Cod. 11, S. 144 (Geheimglosse in Runenschrift).[24] Hierzu die Quellensammlung von Andreas Nievergelt (2009): Althochdeutsch in Runenschrift. Geheimschriftliche volkssprachige Griffelglossen. In: Beiheft ZfdA 11. Stuttgart: Hirzel.
Magische Runen in Mitteleuropa
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anders als bei den skandinavischen Funden lassen sich im mitteleuropäischen Raum weniger Inschriften als eindeutig magisch oder als Zauberformeln deuten. Es handelt sich meist um eher profane private Vermerke, Liebesbezeugungen oder Schenkungswidmungen. Nicht wenige der Ritzungen tragen die Signatur einer Frau.
Auf den Brakteaten von Hüfingen (Baden-Württemberg) finden sich die Formelwörter „alu“ (Ale/Bier = Gesundheit/Schutz?) und „ota“ (Schrecken/Abwehr?), die auch aus dem Norden bekannt sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um magische Formelwörter, die Unheil abwehren und Gedeihen herbeiwünschen sollen.
Auf der Fibel von Beuchte (Niedersachsen, 6. Jahrhundert) finden sich zwei Inschriften (1. Buirso, wohl der Name des Runenmeisters, 2. die Futhark-Reihe von f bis r, erweitert um z und j), wobei die eine im Gegensatz zur Fibel keine Abnutzungsspuren aufweist und womöglich erst nach dem Tode der Trägerin eingeritzt worden war (die Futhark-Reihe, also die ersten acht Zeichen, als „Alphabet-Zauber“, die quasi als magische „Formel“ gilt?). Dies könnte darauf hindeuten, dass die Inschrift zur Abwehr eines „Wiedergängers“ gedacht war.
Auf dem silbernen Scheidenmundblech aus dem Männergrab 186 von Eichstetten am Kaiserstuhl (Baden-Württemberg) wurde die Inschrift (erster Teil nicht sinnvoll lesbar) „muniwiwoll“ eingeritzt. Dies wird als „mun(t) wi woll“ gelesen und mit „Schutz wie Wohl“ (Munt/Mund bedeutet Schutz und steckt heute noch im Wort „Mündel“ (Schützling)) oder einfach „Guter Schutz/Schutz wie vortrefflich“ übersetzt. Anscheinend erhoffte sich der Besitzer durch die Runen Schutz im Kampf.
Die zahlreich auftauchenden Futhark-Einritzungen auf Schmuck und Waffen werden meist als Glücksfetische gedeutet.
Religion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auf der Fibel von Nordendorf (bei Augsburg, Ende 6. Jahrhundert) wird vielleicht eine Göttertrias genannt: „logaþore wodan wigiþonar“. Leicht zu erkennen sind die aus späteren Quellen bekannten südgermanischen Götter Wodan und Donar, der hier mit der Vorsilbe wigi- als besonders verehrenswert benannt wird (ahd. wîh,[25] noch im 19. Jhd. mundartlich weich[25] „heilig“ < germ. *wīgian 'weihen'; vielleicht aber auch zu germ. *wīgan 'kämpfen' zu stellen). Logathore könnte ein dritter, lokaler Gott gewesen sein, der wohl nicht an die nordgermanischen Loki oder Loðurr anzuschließen ist.
Klaus Düwel liest logaþore hingegen als „Ränkeschmiede/Zauberer“ und deutet die Inschrift als „Ränkeschmiede/Zauberer (sind) Wodan und Weihe-Donar“. Dies entspräche dann einer Verdammung der alten Götter und einem Bekenntnis der Trägerin zum neuen christlichen Glauben. Demgegenüber liest U. Schwab „Zauberhaft/Zauberer (im positiven Sinne) (sind) Weihe-Donar und Wodan“, womit die Trägerin dem alten Glauben angehangen hätte. Doch könnte logaþore auch als Kenning für eine weitere Gottheit (vielleicht Tyr) stehen, die die Trias wiederum vollständig machte.
In einigen Fällen sind Formeln bezeugt, die nicht anders denn als Abwendung von den heidnischen Gottheiten gelesen werden können. Auf der Scheibenfibel von Osthofen ist mit der Inschrift „Gott mit dir, Theophilus (= Gott-Freund)“ die Wendung zum Christentum deutlich vollzogen. In einem Kirchengrab in Arlon (Belgien) fand sich eine, durch eine Kreuzdarstellung als christlich ausgewiesene, Amulettkapsel mit Runen, die recht eindeutig die dort bestattete Tote als Christin ausweist. In einem reich ausgestatteten Frauengrab bei Kirchheim unter Teck (Baden-Württemberg) vom Ende 6. Jh. wurde neben einer großen Runenfibel ein Goldblattkreuz gefunden, das eine Annäherung an christliches Gedankengut zumindest denkbar erscheinen lässt.
Beginn und Ende der Runenritzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Germanen Mitteleuropas übernahmen die Runen erst fast 400 Jahre nach der ersten Verwendung dieses Schriftsystems in Skandinavien. Es stellt sich die Frage, warum sie sich nicht gleich (oder früher) der lateinischen Schrift der benachbarten römischen Gebiete bedienten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Runen hier erstmals auftauchen, als die Gebiete in das Frankenreich eingegliedert wurden (Alamannen 496/506/535, Thüringer 529/532) und Bajuwaren (Mitte 6. Jh.). Eine These lautet, dass nach dem Fall des Thüringerreiches 531 die „romanisch“ geprägten Franken und Alemannen zu direkten Nachbarn der Sachsen wurden und sich der Austausch zwischen Nord und Süd intensivierte.
Zeitlich gilt dasselbe für die so genannte „nordische“ Modewelle, mit der viele Elemente und Formen (Fibelformen, Brakteaten, Verzierungen im Tierstil I und II) verstärkt ab ca. 530 n. Chr. von Skandinavien nach Mitteleuropa gelangten bzw. dort kopiert wurden und zu eigenen Formen anregten (kontinentaler Tierstil II). Dass auch die Runen im Zuge dieser Modewelle nach Süden gelangten, ist durchaus möglich; man bedenke auch die Formelwörter alu und ota, auf den Brakteaten von Hüfingen, die häufig in Skandinavien vorkommen. Wie diese „nördlichen“ Elemente sich verbreiteten und weshalb sie in Mitteleuropa so bereitwillig rezipiert wurden, ist noch nicht hinreichend erklärt. Es könnte sich um intensivierte Handelsbeziehungen handeln oder um engere soziale Kontakte (Heiratsbeziehungen, Einwanderung, Wanderhandwerker oder Krieger, die sich neuen Gefolgschaftsherren auf dem Festland anschlossen). Eine weitere These lautet, dass diese „nordischen“ Elemente gezielt von einigen germanischen Gruppen übernommen wurden, um sich eine eigene Identität zu geben und diese nach außen (eventuell gegen die eher romanisierten Gebiete/Gruppen und die Einflüsse aus dem Mittelmeerraum) zu demonstrieren und sich dadurch abzugrenzen. Alles weist jedoch darauf hin, dass der Gebrauch von Runen auf dem Boden des fränkischen Reichs ein kurzlebiges und sekundäres Phänomen war.[26]
Warum der Brauch, Runen zu ritzen, in Mitteleuropa im 7. Jahrhundert ausstarb, ist nicht geklärt. Dass die römische Kirche aktiv gegen den Runengebrauch vorging, ist wenig wahrscheinlich. Weder ist ein solches Verbot überliefert, noch scheinen christlicher Glaube und Runen unverträglich gewesen zu sein. Einige mit Runengegenständen Bestattete waren anscheinend schon Christen (Arlon, Kirchheim). Zudem arrangierte sich die Kirche in England und Skandinavien recht zwanglos mit Runen als Schrift. Dennoch dürfte die vom Frankenreich ausgehende Christianisierung mit einem Wandel vieler Bräuche und einer latenten Romanisierung (abzulesen zum Beispiel am Lehnwortschatz) einhergegangen und somit indirekt auch für das Erlöschen der Runenkultur verantwortlich gewesen sein.
Da die Runen nur für einen recht kurzen Zeitraum in Gebrauch waren (ca. 100 bis 150 Jahre) und die Inschriften oftmals eine unsichere Hand verraten, war die Kenntnis vermutlich nie sehr verbreitet oder fest verwurzelt. Viele Inschriften machen einen ausgesprochen „privaten“ Eindruck. Etwas, das der skandinavischen Runenmeisterkultur mit ihrer Traditionsbildung entsprach, existierte in Mitteleuropa offenbar nicht. Stattdessen wechselte man, wohl unter dem mittelbaren Einfluss der Kirchen und Klöster, auf die gebräuchlichere, „internationalere“ und prestigereichere lateinische Schrift über.
Die Runen in Skandinavien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im skandinavischen Norden, wohin die lateinische Schrift erst im Mittelalter im Zuge der Christianisierung gelangte, nahm die Verwendung der Runen dagegen bis zum hohen Mittelalter weiter zu. Runeninschriften sind beispielsweise häufig in norwegischen Kirchen zu finden,[27] aber auch bei Grabinschriften oder zum Andenken an Familienangehörige auf Runensteinen. Aus der Zeit des älteren Futharks stammt die Inschrift auf dem kleineren der Goldhörner von Gallehus, die große Berühmtheit erlangte.
Die Inschriften im kürzeren Futhark beginnen etwa um 800; Beispiele dafür sind die Steine von Helnæs und Flemløse auf Fünen. Ganz sicher datierbar sind jedoch erst die zweifellos jüngeren Jellingsteine aus dem 10. Jahrhundert. Diese Runen sind in Schweden besonders zahlreich und reichen bis in spätere Zeit hinauf, auf Gotland bis ins 16. Jahrhundert; einige (beispielsweise der Runenstein von Karlevi auf Öland und der Runenstein von Rök in Östergötland) enthalten stabreimende Verse. Die jüngeren Inschriften aus der Wikingerzeit machen mit über 5000 den Hauptanteil aller erhaltenen Runendenkmäler aus. Allein im schwedischen Uppland finden sich 1200 Runensteine, in ganz Schweden etwa 2500. Die meisten Steine tragen Inschriften der Art „(Name) errichtete für (Name)“ und anschließend wird der Verwandtschaftsgrad genannt. Manche Inschriften sind verschlüsselt. Der Gebrauch der Runen in Handschriften (auch Runica manuscripta genannt) ist im Vergleich dazu selten; literarische Texte wurden hingegen in Lateinschrift festgehalten.[28] Das umfangreichste Denkmal handschriftlicher Runen ist der so genannte Codex Runicus mit dem schonischen Recht aus dem 14. Jahrhundert. Besonders lange wurden Runen auf Kalenderstäben gebraucht.
Da Mythen, Sagen und epische Lieder mündlich überliefert wurden und die isländischen Prosa-Sagas von Anfang an eine (latein)schriftliche Textgattung waren, spielten Runen als Medium literarischer Überlieferung kaum eine Rolle. Aber nicht nur die große Verbreitung von Inschriften macht es wahrscheinlich, dass seit der Wikingerzeit zumindest in der wohlhabenden Oberschicht Skandinaviens ein recht großer Teil der Menschen Runen lesen und schreiben konnte. Die große Mehrheit der einfachen Landbewohner allerdings wird gewusst haben, was auf den markanten Steinen stand und für wen sie errichtet waren, auch ohne selbst lesen und schreiben zu können. Runen dienten oft auch profanen Zwecken. Dazu zählen Besitzmarken, mit denen Handelswaren und anderes Eigentum gekennzeichnet wurden, geschäftliche Mitteilungen, aber auch Gelegenheitsinschriften in Form von kurzen privaten Botschaften, wie zum Beispiel die Aufforderung „kysmik“ (küss mich), die im Oslo des 11. Jahrhunderts auf einen Knochen geritzt wurde. Überliefert sind viele Runenstäbchen (Holzstäbchen mit Runen) und Bleistreifen mit solchen Liebesbezeugungen, Gedichten oder Handelsnotizen. Auch Verwünschungen blieben in Mode.
Erst im 16. Jahrhundert ging die Zeit der Runen in Skandinavien zu Ende. Lediglich in der schwedischen Provinz Dalarna hielt sich der Gebrauch von Runen noch bis ins frühe 20. Jahrhundert.[29]
Als Erbe des langen Nebeneinanders von lateinischer und runischer Schrift enthält das isländische Alphabet bis heute ein Zeichen, das ursprünglich eine Rune war: Þ (thorn) steht für den stimmlosen th-Laut (wie beispielsweise im englischen Wort „thing“).
Runen außerhalb Skandinaviens und Mitteleuropas
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Byzanz hinterließen mehrere nordische Reisende, möglicherweise Krieger der kaiserlichen Warägergarde, Runengraffiti auf Galerien der Hagia Sophia. Unter den Runeninschriften der Britischen Inseln gibt es neben den altenglischen auch etwa 220 Inschriften in altnordischer Sprache aus der Wikingerzeit. Runen wurden auch auf den Färöern, auf Island, in Russland (Staraja Ladoga) und auf Grönland[30] gefunden.[31]
Runen in der Neuzeit
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Beginn der wissenschaftlichen Erforschung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Runen gerieten nie in völlige Vergessenheit. Die wissenschaftliche Befassung mit Runendenkmälern und der Runenschrift hielt sich das ganze Mittelalter hindurch, bis zum Humanismus auf denselben Gleisen wie die enzyklopädische und geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit anderen Altertümern. Humanisten wie der Schweizer Melchior Goldast fahndeten in mittelalterlichen Manuskripten nach der Geschichtsüberlieferung des eigenen „Stammes“, wenn sie althochdeutsche Texte ebenso abdruckten wie die klösterlichen Runentraktate des 9. Jahrhunderts (s. Abb.). Im Norden konnte sich die Aufmerksamkeit auf die inschriftlichen Denkmäler selbst richten. Seit dem 16. Jahrhundert wurden gelehrte Sammlungen und Studien veröffentlicht, allerdings erscheinen die Herleitungen der Schrift zum Beispiel aus der Zeit der Sintflut (Johan Magnus, 1554) oder von der hebräischen Schrift (Olaus Wormius, 1639) doch eher kurios. Johan Göranssons Baustil von 1750 ist mit seinen Abbildungen von 1200 schwedischen Runensteinen noch immer von wissenschaftlicher Bedeutung, auch wenn er die These vertrat, die Runen seien um 2000 v. Chr. von einem Bruder Magogs in den Norden gebracht worden. Das verlorengegangene Goldhorn von Gallehus ist nur noch durch Stiche des 18. Jahrhunderts fassbar.
Heute ist die Runenkunde (Runologie) kein eigenständiges akademisches Fach, aber ein etabliertes Forschungsgebiet im Berührungsfeld von vergleichender Sprachwissenschaft, Nordistik, Geschichtswissenschaft und Archäologie.
Runenesoterik
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts keimte in einigen esoterischen Kreisen Interesse für die Runen auf. Es waren vor allem völkisch-mystisch gesinnte Menschen, die die Runen in ihrem Sinne umdeuteten, ihnen magische Kraft zuschrieben und sich neue Runenalphabete ausdachten. Die völkische Bewegung verwendete nie die historischen Runen, sondern frei erfundene runenähnliche Zeichen. Der bedeutendste Impulsgeber war Guido von List (1848–1919), ein österreichischer Romantiker und Mitgründer der rechtsesoterischen Ariosophie. Er empfing den Großteil seines okkulten „Runenwissens“ nach eigenem Bekunden in Form von Visionen und galt seinen Anhängern als eine Art Prophet. Er postulierte eine pseudohistorische Priesterschaft sogenannter Armanen, die in diese Geheimnisse eingeweiht gewesen seien, und sein frei erfundenes Futhark, das sich nur lose auf das jüngere Futhark stützt, wurde daher auch Armanen-Futhark genannt. List postulierte des Weiteren ein Urvolk mit eigener Ursprache namens „Ariogermanen“. Er behauptete, dass dieses Volk, diese reinblütige „Rasse“ von blonden, blauäugigen Menschen, schon seit Urzeiten ein 18 Runen umfassendes Schriftsystem benutzt habe.

Bis in die 1970er Jahre arbeitete die Runenesoterik fast ausschließlich mit diesem Armanen-Futhark. Spätere Autoren stützten sich auf dieses Futhark, so etwa Karl Maria Wiligut, der „Rasputin Himmlers“, und Friedrich Bernhard Marby, der Erfinder der Runengymnastik (auch als Runenyoga bekannt), bei dem die auszuführenden Figuren jeweils Runen symbolisieren und mit dem der „rassenbewusste nordische Mensch“ seinen Geist und Körper veredeln sollte.
Neuere Runenesoterik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die neuere Runenesoterik bezieht sich häufig auf die Arbeiten des amerikanischen Runenmagiers Edred Thorsson (d. i. Stephen Flowers), Vorsitzender der Rune-Gild[33] (Lit.: Edred Thorsson, 1987). Der in Nordistik/Altgermanistik promovierte Flowers verwendete als Grundlage auch wieder das ältere, 24 Runen umfassende Futhark anstelle des Armanen-Futhark.
Generell zeichnen sich die Lehren der Runenesoterik durch einen starken Eklektizismus aus. Esoterisch arbeitende Runenmagier benutzen bei ihrer Beschäftigung mit Runenmagie und Runenorakel zum einen vorgeblich „eigene“ Gedanken und Überlegungen, greifen aber oft auch auf die wenigen schriftlichen Quellen des Hoch- und vor allem Spätmittelalters zurück, bei denen etwas über die magische Verwendung von Runen berichtet wird. Dazu gehören beispielsweise Phrasen, beziehungsweise Paraphrasen aus den eddischen Schriften und aus der übrigen weiteren altnordischen Literatur wie beispielsweise aus den Sagas und die Runengedichte. Dabei wird gerne übersehen, dass diese späten schriftlichen Überlieferungen aus einem bereits vollständig christianisierten Umfeld stammen und entsprechend kaum reine „germanisch-heidnische“ Vorstellungen wiedergeben. Allerdings legt die Runenmagie keinen Wert auf historische Richtigkeit (sie ist schließlich keine Wissenschaft), sondern auf den praktisch-subjektiven Zugang, der jede (objektive) Fehlinterpretation verzeihlich macht. Meist wird in Publikationen zum esoterischen und magischen Gebrauch der Runen betont, dass der jeweilige Autor nur eine Hilfestellung und Ideen liefern möchte, dass jedoch bei der Arbeit mit Runen jeder neue Adept aus sich selbst heraus individuell die Runen und ihre Kraft „verstehen“ und den Umgang mit ihnen lernen müsse – etwa durch Meditation, Trance u. ä.
Völkische Ideologie und Rechtsextremismus
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Als autochthone, rein germanische Leistung waren die Runen anfällig dafür, für ideologische und politische Zwecke zur Zeit des Nationalismus instrumentalisiert zu werden. Schon im 17. Jahrhundert entwickelten Dänemark und Schweden einen ahistorischen Stolz auf „ihre“ Runen. Einer kulturkritischen Strömung am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich in neuheidnischen und antisemitischen Tendenzen äußerte, kamen vorchristliche, „nordische“ Traditionen nur gelegen. Die Vereinnahmung der völkischen „Sig-Rune“ (wie auch Teile der nordischen Mythologie) durch die Hitlerjugend und die SS in der Zeit des Nationalsozialismus und der Odalrune durch Neonazis (siehe Rechtsextreme Symbole und Zeichen) ist dabei nur die bekannteste Form dieser ideologischen Indienstnahme. Einzelne Runen, insbesondere solche aus Lists Armanen-Futhark, und runenähnliche Zeichen wie die Schwarze Sonne werden in rechtsextremen und neonazistischen Kreisen als Erkennungszeichen verwendet.[34] Auch die Erforschung der historischen Runendokumente wurde insbesondere in der Zeit des Dritten Reiches durch politische und ideologische Vorgaben und Erwartungen geprägt.[35]
Weitere heutige Verwendung
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Runen finden sich auch in Wappen, auf CDs (vor allem in der Metal-Szene) und Büchern, auf Kleidungsstücken (vor allem T-Shirts), Fingerringen und Anhängern von Halsketten, Tischdecken, Essgeschirr, Tragetaschen und auf vielen anderen Alltagsgegenständen.
Im Ásatrú werden die Runen als Schrift, für runenmagische Zwecke und gelegentlich als Losorakel verwendet.
Unicode
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Unicodeblock Runen (16A0–16FF) enthält die germanischen Runen, wobei sich die Reihenfolge nach dem traditionellen Runen-Alphabet Futhark richtet und alle jüngeren Varianten und Abwandlungen nach der jeweiligen Grundrune einsortiert sind.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Runen in heutiger Zeit
- Runendichtung
- Samnordisk runtextdatabas (Gesamtnordische Runentext-Datenbank)
- Runenstein von Kensington (Stein mit gefälschter Runen-Inschrift)
- Ogham (irische Alphabetschrift, 4. bis 10. Jh.)
Formal ähnliche, nicht verwandte Schriften:
- Orchon-Runen (Turk-Runen)
- Ungarische Runen
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Runor. In: Theodor Westrin, Ruben Gustafsson Berg (Hrsg.): Nordisk familjebok konversationslexikon och realencyklopedi. 2. Auflage. Band 23: Retzius–Ryssland. Nordisk familjeboks förlag, Stockholm 1916, Sp. 1211–1220 (schwedisch, runeberg.org – mit Abbildungen zu Inschriften).
- Helmut Arntz: Handbuch der Runenkunde. Zweite Auflage. Niemeyer, Halle/Saale 1944 (Reprint: Ed. Lempertz, Leipzig, 2007).
- René Derolez: Runica Manuscripta. The English Tradition. De Tempel, Brugge 1954 (Standardwerk über die „Buchrunen“).
- Klaus Düwel: Zur Auswertung der Brakteatinschriften. Runenkenntnis und Runeninschriften als Oberschichten-Merkmale. In: Karl Hauck (Hrsg.): Der historische Horizont der Götterbilsamulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter. Göttingen 1992.
- Klaus Düwel (Hrsg.): Runeninschriften als Quellen interdisziplinärer Forschung. Abhandlungen des Vierten Internationalen Symposiums über Runen und Runeninschriften in Göttingen vom 4. bis 9. August 1995. Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-015455-2
- Klaus Düwel, Robert Nedoma: Runenkunde. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, J. B. Metzler / Springer-Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-476-04629-1.
- Klaus Düwel, Robert Nedoma, Sigmund Oehrl: Die südgermanischen Runeninschriften. 2 Bände (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 119). Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-053099-5.
- Lars Magnar Enoksen: Runor: historia, tydning, tolkning. Historiska Media, Falun 1998, ISBN 91-88930-32-7.
- Heinz Klingenberg: Runenschrift – Schriftdenken – Runeninschriften. Carl Winter, Heidelberg 1973, ISBN 3-533-02181-5.
- John McKinnell, Rudolf Simek, Klaus Düwel: Runes, magic and religion. A source-book. (= Studia Medievalia Septentrionalia ; 10), Fassbaender, Wien 2004, ISBN 978-3-900538-81-1.
- Wolfgang Krause, Herbert Jankuhn: Die Runeninschriften im älteren Futhark. (= Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; Philosophisch-Historische Klasse Folge 3, Nr. 65,1 (Text), Nr. 65,2 (Tafeln)), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966.
- D. Gary Miller: Ancient scripts and phonological knowledge. (= Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science. Series IV, Current issues in linguistic theory, 116). John Benjamins Publishing, Amsterdam/Philadelphia 1994, ISBN 90-272-3619-4, ISSN 0304-0763.
- Stephan Opitz: Südgermanische Runeninschriften im älteren Futhark aus der Merowingerzeit Freiburg 1977
- Robert Nedoma: Personennamen in südgermanischen Runeninschriften. Carl Winter, Heidelberg 2004, ISBN 3-8253-1646-7.
- Rochus von Liliencron, Karl Müllenhoff: Zur Runenlehre. Zwei Abhandlungen. Schwetschke, Halle 1852 (Digitalisat).
- Runen, Runendichtung, Runenfälschungen, Runengedichte, Runeninschriften, Runenmeister, Runenmünzen, Runennamen, Runenreihen, Runenschrift, Runensteine. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 25. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-017733-1, S. 499–596 (Teilweise aktualisiert via GOA, Germanische Altertumskunde Online).
- Wilhelm Carl Grimm: Über deutsche Runen. Dieterich, Göttingen 1821 (books.google.com).
- John S. Robertson: How the Germanic Futhark Came from the Roman Alphabet. In: Futhark. International Journal of Runic Studies 2, 2001 [2012], S. 7–25.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Runen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Runen. Herkunft, Verbreitung, Inschriftenträger u. a. Vielfältige Informationen über Runen bei der Universität Zürich
- Die freie Unicode-Schriftart Sun-ExtA zum Download (ZIP-Datei; 9,6 MB)
- Die freie Unicode-Schriftart Junicode zum Download
- Robert Nedoma: Runenschrift und Runeninschriften ‒ eine kurze Einführung. (= Miscellanea septentrionalia 2). Universität Wien, 3. Juni 2024.
- Robert Nedoma, Burkhard Bärner: Altnordistik (Altskandinavistik) : Links. In: Universität Wien
- Das Kieler Runenprojekt. Portalseite. In: runenprojekt.uni-kiel.de. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 30. Januar 2023 .
- Nytt om runer – Jährliche Bibliographie sowie Neufunde mit Beschreibung und Abb. seit 1995 ( vom 10. Juni 2007 im Internet Archive) (Die führende Fachzeitschrift, Univ. Oslo)
- Runenalphabete | Alphabetinschriften. (Titus, Uni Frankfurt)
- Runeninschriften. (Titus, Uni Frankfurt)
- Jantina Helena Looijenga: Runes around the North Sea and on the Continent AD 150–700., texts & contexts. Diss. Groningen 1997.
- Wolfgang Krischke: Ursprung des Deutschen: Runen aus Karthago In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juni 2020
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023, S. 3
- ↑ Tineke Looijenga: Texts and Contexts of the Oldest Runic Inscriptions.
- ↑ Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023
- ↑ Jahrhundertfund: Älteste Runen auf Messer in Dänemark entdeckt. Der Standard, 22. Januar 2024 .
- ↑ Klaus Düwel: Runenkunde. 3., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001, ISBN 3-476-13072-X, S. 23.
- ↑ Klaus Düwel: Runenkunde. 3., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001, ISBN 3-476-13072-X, S. 24.
- ↑ raunen. In: Duden online
- ↑ Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. Stichwort: „Rune“.
- ↑ Vgl. Rune. In: Duden online
- ↑ Alfred Bammesberger, Gabriele Waxenberger, René Derolez: Das fuÞark und seine einzelsprachlichen Weiterentwicklungen. Akten der Tagung in Eichstätt vom 20. bis 24. Juli 2003. W. De Gruyter, Berlin 2006, ISBN 3-11-092298-3.
- ↑ Heinrich Beck, Klaus Düwel, Dieter Michael Job, Astrid van Nahl: Schriften zur Runologie und Indogermanistik. Berlin 2014, ISBN 978-3-11-030723-8.
- ↑ Die Entwicklungsgeschichte altgermanischer Alphabete | Der Helm von Negau. In: titus.uni-frankfurt.de
- ↑ Robert Nedoma, Otto H. Urban: Negauer Helm. In: Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 21: Naualia – Østfold. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin/New York 2002, S. 58–60 (books.google.de).
- ↑ Jürgen Zeidler: A Disregarded Celtic Script at the End of the First Millenium BC. Online-Publikationen des Forums Celtic Studies und seiner Mitglieder. Universität Trier, Trier 1999. uni-trier.de (PDF; 220 kB) Abgerufen am 3. April 2011.
- ↑ Michael P. Barnes: Runes, a handbook. 1. Auflage. Boydell Press, Woodbridge / New York 2012, S. 10–12.
- ↑ Klaus Düwel: Runenkunde. 4. Auflage. J.B, Metzler Verlag, Stuttgart, Deutschland 2008, S. 176.
- ↑ a b Michael P. Barnes: Runes – A Handbook. The Boydell Press, Woodbridge, Großbritannien 2012, S. 120–121.
- ↑ Zur Griechisch-These siehe Miller: Ancient scripts and phonological knowledge. Amsterdam 1994, S. 61 ff., 66: “all of the Runic letters can be derived from pre-Classical Greek prototypes.”
- ↑ Theo Vennemann: Germanische Runen und phönizisches Alphabet. In: Sprachwissenschaft 31, 2006, S. 367–429 (online).
- ↑ Wolfgang Krause: Runen. de Gruyter, Berlin 1970, S. 14 ff.
- ↑ Düwel/Nedoma, Runenkunde 2023, S. 3
- ↑ Aswynn, Freya: Die Blätter von Yggdrasil. Runen, Götter, Magie, nordische Mythologie & weibliche Mysterien. 2. durchges. Auflage. Ed. Ananael, Bad Ischl 1994, ISBN 3-901134-07-7.
- ↑ Zum Runenkästchen von Auzon siehe Alfred Becker: Franks Casket, Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon. Sprache und Literatur (= Regensburger Arbeiten zur Anglistik und Amerikanistik. Band 5). Hans Carl, Regensburg 1973, ISBN 3-418-00205-6; Alfred Becker: Franks Casket, Das Runenkästchen von Auzon; Magie in Bildern, Runen und Zahlen. Timme & Frank, Berlin 2021, ISBN 978-3-7329-0738-0.
- ↑ Runenglosse St. Gallen Cod. 11. (Abbildung) In: uni-augsburg.de. 2014 .
- ↑ a b „Weich“. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Band 28 Sp. 474 (woerterbuchnetz.de).
- ↑ Axboe, Morten.: Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Herstellungsprobleme und Chronologie. Berlin 2004, ISBN 3-11-092646-6.
- ↑ RUNEINNSKRIFTER I NORSKE KIRKER. In: arild-hauge.com. 24. Mai 2025, abgerufen am 5. Juni 2025 (norwegisch).
- ↑ Julia-Sophie Heier: Phänomene lateinschriftlicher Orthographie in den Runeninschriften von Bergen im Vergleich mit nordischen Runica manuscripta. In: Edith Marold und Christiane Zimmermann (Hrsg.): Studien zur runischen Graphematik: Methodische Ansätze und digitale Umsetzung (= Runrön. Band 25). Uppsala 2022, S. 219–220, doi:10.33063/diva-462706.
- ↑ Lise Brix: Isolated people in Sweden only stopped using runes 100 years ago. In: Science Nordic, 21. Mai 2015 (sciencenordic.com).
- ↑ siehe: Stab von Narsaq
- ↑ Robert Nedoma: Runenschrift und Runeninschriften – eine kurze Einführung (= Miscellanea septentrionalia 2). Universität Wien. 3. Juni 2024. S. 5.
- ↑ Jarl Widar: Whispering of Gotos – Rune-Knowledge [aus Hagal 11 (1934), Heft 7, pp. 7–15]. Dr. Stephen E. Flowers, Michael Moynihan: The Secret King (2001).
- ↑ Website runegild.org ( vom 30. April 2011 im Internet Archive)
- ↑ Rudolf Simek: Runen gestern, heute, morgen. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 10. Oktober 2017, abgerufen am Februar 2018.
- ↑ Ulrich Hunger: Die Runenkunde im Dritten Reich – Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Ideologiegeschichte des Nationalsozialismus (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Band 227). Peter Lang, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-8204-8072-2.