„Existentialismus“ – Versionsunterschied
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Mit '''Existentialismus''' (auch '''Existenzialismus''') wird im allgemeinen Sinne die überwiegend französische [[Philosophie|philosophische]] Strömung der [[Existenzphilosophie]] bezeichnet. Der zentrale Gedanke ist, dass der Mensch sich selbst durch seine Entscheidungen und Handlungen definieren muss, da es keine vorgegebene menschliche Natur gibt, die menschliches Leben bestimmt. Dies wird in der berühmten Formel "Die Existenz geht der [[Essentialismus|Essenz]] voraus" ausgedrückt: Wir existieren zunächst und müssen dann selbst entscheiden, wer wir sein wollen und welchen Sinn wir unserem Leben geben. Diese radikale Freiheit zur Selbstbestimmung kann sowohl als eine Chance als auch eine Last gedeutet werden. |
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Mit '''Existenzialismus''' (oder '''Existenzialphilosophie''') bezeichnet man eine [[Philosophie|philosophische]] Strömung, deren Hauptgewicht auf der [[Individualität]], [[Freiheit]] und [[Subjektivität]] des Einzelnen liegt. Sie entwickelte sich um 1940 hauptsächlich aus der Existenzphilosophie [[Martin Heidegger]]s, [[Karl Jaspers]] und der [[Phänomenologie]] [[Edmund Husserl]]s, die aber auch Denkansätze und Probleme aus der Existenzphilosophie [[Søren Kierkegaard]]s, dem [[Idealismus]] [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegels]] und der modernen [[Gestaltpsychologie]] aufnahm. |
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Der Hauptvertreter des französischen Existenzphilosophie ist vor allem [[Jean-Paul Sartre]]; daneben ordnet man den christlichen Philosophen [[Gabriel Marcel]], den Philosophen des Absurden [[Albert Camus]], den Phänomenologen [[Maurice Merleau-Ponty]] und Sartres Lebensgefährtin [[Simone de Beauvoir]] dem Existenzialismus zu. |
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Der Existentialismus entwickelte sich zu einer einflussreichen Bewegung in der Mitte des 20. Jahrhunderts, besonders in Frankreich. Zu seinen wichtigsten Vertretern zählen [[Jean-Paul Sartre]], [[Simone de Beauvoir]] und [[Albert Camus]], die diese Grundgedanken nicht nur philosophisch, sondern auch in Romanen und Theaterstücken verarbeiteten. In einer christlichen Ausprägung wurde der Existentialismus von [[Gabriel Marcel]] vertreten. Wichtige Vordenker waren im 19. Jahrhundert [[Søren Kierkegaard]] und [[Friedrich Nietzsche]], die die Bedeutung der individuellen Existenz und die Problematik des Sinnverlusts in der modernen Welt thematisierten. |
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Zu den bekanntesten und einflussreichsten existentialistischen Äußerungen zählt das Wort Sartres, "''Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus.''", das normalerweise zum Beleg herangezogen wird, dass es keine äußere moralische oder geistige Bestimmung zur [[Humanität]] gibt, außer die wir uns selbst schaffen. Die Menschen werden nicht von außen bestimmt, aber sind frei zu tun, während sie wählen - sie sind durch ihre Taten statt durch ihr Sein zu beurteilen, sie sind eins mit dem, was sie tun. Diese Version des Existenzialismus scheidet die Existenz eines [[Gott]]es oder einer anderen äußeren Instanz aus. Sartre warnte auch vor allen 'zähen' Elementen der Existenz, die die menschliche [[Freiheit]] beeinträchtigen könnten. Solange die Falle der Zähigkeit vermieden wird, wird das Hauptproblem für den Menschen in der Auswahl und Entscheidung für seine Taten bestehen. |
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== Philosophie == |
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Der Existenzialismus hat einen großen Einfluss auf die [[Literatur des 20. Jahrhunderts]] ausgeübt. Als erster existentialistischer Roman wird [[Hermann Hesse]]s, [[Der Steppenwolf]] angesehen. |
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Eine der bekanntesten existentialistischen Äußerungen, die jedoch sinngemäß schon bei [[Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling|Schelling]] nachgewiesen werden kann, ist die Aussage Sartres „Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus“ aus dem 1946 veröffentlichten Essay ''[[L’existentialisme est un humanisme|Der Existentialismus ist ein Humanismus]]''. Somit ist der Existentialismus eine Gegenposition zum [[Essentialismus]]. |
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Hier wird thematisch an die [[Wesen (Philosophie)|Wesen]]s­bestimmung (Essenz) des Menschen in der [[Philosophie]] angeknüpft. Durch die Bestimmung des Menschen als biologisches Wesen, als [[Vernunft]]­wesen, als göttliches Wesen etc. erhält der Mensch vor seiner Existenz zunächst schon eine Bedeutung, eben biologisch, vernünftig, gottähnlich. Der Existentialismus kritisiert diese der Existenz vorgängige Sinnbestimmung und setzt ihr die Existenz entgegen: Der Mensch ist als Mensch nicht zu erfassen, wenn nicht je von seiner eigenen individuellen Existenz ausgegangen wird. Jede Wesensbestimmung enthält, so die Kritik durch den Existentialismus, immer schon einen Theorieaspekt, der sich nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung der Existenz speist, sondern „nachrangig“ gebildet wird. |
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== Einordnung und Differenzierung == |
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Hieraus erklärt sich auch die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen. Der Mensch versteht sich selbst nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existentialismus nicht mehr auf eine göttliche oder [[Kosmologie|kosmologische]] Ordnung, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Dadurch wird eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt (auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird), sondern der Glaube wird vielmehr selbst zum existentiellen Erleben. |
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Neben den vielen Übereinstimmungen zwischen den Existentialisten, muss jedoch auch eine genaue Abgrenzung vorgenommen werden, da beispielsweise Albert Camus eher über die absurden Lebensbedingungen des Menschen nachdachte; Merleau-Ponty hinsichtlich der phänomenologischen Wahrnehmung des Bewusstseins die entgegengesetzte Position zu Sartre vertrat, Gabriel Marcel, im Gegensatz zu den meisten [[Atheismus|atheistischen]] oder [[Agnostizismus|agnostischen]] Denkern, in seinem Denken christlich geprägt war und Simone de Beauvoir eher lebensweltliche-gesellschaftskritische statt erkenntnistheoretische Fragen behandelte. Daneben gibt es zahlreiche andere Philosophen, die zum Teil mehr in die Bereiche des [[Marxismus]] (Henri Lefebvre) oder des Strukturalismus (Roland Barthes) bzw. schon des [[Poststrukturalismus]] (Michel Foucault) hinein reichen. Das Etikett Existenzphilosophie wurde von den damaligen französischen Zeitungen geprägt und geht nicht genuin auf einen der entsprechenden Autoren zurück. Sartre musste sich sogar mit seiner Schrift „''Ist der Existenzialismus ein Humanismus?''“ (1946) gegen Kritik und Vorbehalte wehren, die dem Etikett anhafteten. Der Existenzialismus war stets Anfeindungen ausgesetzt und um so mehr je mehr er das kulturelle, intellektuelle und politische Leben Frankreichs (zum Teil auch Deutschlands und Amerikas) beeinflusste. Auch eine ganze Reihe von Künstlern (etwa den Bildhauer Alberto Giacometti) ordnet man dem E. oder einer seiner Subkulturen zu. |
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In Begriffen wie ''[[Geworfenheit]]'', ''Selbstentwurf'', ''Freiheit'' und ''Selbstbestimmung'' zeigt sich die Zentrierung des Existentialismus auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein zeigt sich in den Erfahrungen von ''Absurdität'', ''Ekel'', ''Angst'', ''Sorge'', ''Tod'' und ''Langeweile'' und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen. |
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== Ursprung == |
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{{Zitat|Der atheistische Existentialismus, für den ich stehe, ist zusammenhängender. Er erklärt, dass, wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass dieses Wesen der Mensch oder, wie [[Heidegger]] sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. Was bedeutet hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert.|ref=<ref>Jean-Paul Sartre: ''Ist der Existentialismus ein Humanismus?'' Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 11.</ref>}} |
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Am besten lässt sich der Existenzialismus anhand einiger Problemstellungen verstehen. Hier sei nur die Entwicklung verfolgt, die von Heideggers Werk „''Sein und Zeit''“ (1927), der Phänomenologie Husserls und der Begrifflichkeit Hegels ausging und die sich über Sartres Hauptwerk „''Das Sein und das Nichts''“ (1943) bis zu seinem Spätwerk „''Die Kritik der dialektischen Vernunft''“ (1960) fortsetzte. Für eine Abgrenzung gegenüber Camus und de Beauvoir werden deren Philosophien gesondert behandelt. |
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== Grundpositionen des Existentialismus == |
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=== Martin Heidegger === |
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=== Jean-Paul Sartre === |
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[[Datei:Jean-Paul Sartre FP.JPG|mini|[[Jean-Paul Sartre]] (um 1950)]] |
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Das philosophische Hauptwerk Sartres ''[[Das Sein und das Nichts]]'' (''L’être et le néant'', 1943) gilt als theoretisches Fundament des Existentialismus. Hier zeigt Sartre auf, dass sich das menschliche Sein (''Für-Sich'') von dem anderen Sein, den ''Dingen'', ''Tieren'', ''Sachen'' etc. (''An-sich''), durch seinen Bezug zum Nichts unterscheidet. |
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:Der Mensch ist ein Sein, „das nicht das ist, was es ist, und das das ist, was es nicht ist“.<ref>Jean-Paul Sartre: ''Das Sein und das Nichts'', Reinbek rororo, 1993, Seite 191.</ref> |
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Als einziges Wesen, das verneinen könne, das einen Bezug zu dem Noch-Nicht oder Nicht-Mehr habe, das lügen könne, also das sagen, was nicht sei, habe der Mensch damit auch die Bürde der Freiheit und damit auch die Verantwortung. Das Hauptwerk zeigt in Analysen menschlicher Situationen, wie sich die Freiheit in allen Bezügen des Seins des Menschen aufdrängt, der Mensch vor dieser Verantwortung flieht und wie der konkrete Bezug zum Anderen ihm erst diese Verantwortung und Freiheit aufzeigt. Das Vorurteil, dass es sich bei dem Existentialismus sartrescher Prägung um einen egoistischen [[Individualismus]] handelt, kann so nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil: In seinen Analysen kommt Sartre zu dem Schluss, dass menschliches Leben niemals als vereinzeltes Leben verstanden werden könne. Damit argumentiert er gegen den [[Solipsismus]]. |
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Methodisch geht Sartre [[phänomenologisch]] vor, indem er die oben genannten ''[[Existenzialien|Existentiale]]'' wie ''Freiheit'', ''Furcht'', ''[[Angst]]'', ''Liebe'', ''Scham'' als Zeugen für die Freiheit des Menschen befragt. Durch diese Analysen gelangt er schließlich auch zu dem Anderen als mir gegenübertretende Freiheit und zeigt auf, dass unsere Freiheit und Verantwortung eine [[Ontologie|ontologische]] Entsprechung hat. Somit kann Sartre zwar keine moralischen Forderungen stellen, bejaht aber solche grundsätzlich, wenngleich sie auch von überindividuellen Bezügen abgelöst werden müssen und ihre eigentliche Entsprechung in der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen finden. |
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In „''Sein und Zeit''“ (1927) wird der Mensch von Heidegger nicht-metaphysisch bestimmt; das Wesen des Menschen ist vielmehr seine Existenz. Der Mensch, oder, wie Heidegger sagt, das Dasein, existiert in einer Welt. Die Welt ist der Verweisungszusammenhang des Zeugs, in dessen Zentrum das Dasein steht. Ein Zeug ist ein Ding, das benutzt werden kann, um irgend etwas zu tun, etwa ein Hammer. Das Dasein besitzt bestimmte Existenziale. Diese unterscheiden sich von den Kategorialien der Dinge. Die Dinge sind einfach vorhanden; das Zeug ist zuhanden (d.h., es kann gegriffen und benutzt werden), das Dasein aber existiert, d.h., es verzeitlicht sich. Verzeitlichen bedeutet, seine Möglichkeiten entfalten. Dies wird später von Sartre aufgenommen und zur Freiheit des Menschen radikalisiert werden. Bei Heidegger wird aber schon deutlich, dass der Mensch ein Dasein ist, das immer auf die Zukunft ausgerichtet ist. Es ist nicht gemacht worden, sondern macht sich und vollendet sich erst in der Zukunft, das heißt nie, denn es realisiert vorher den Tod, der seine fundamentalste Möglichkeit ist. In der Gegenwart hat das Dasein zwei Weisen zu sein: Es kann eigentlich und uneigentlich sein. Eigentlich ist es dann, wenn es seine spezifischen Möglichkeiten ergreift; uneigentlich dann, wenn es wie alle anderen Daseine ist und sich im Man, der Durchschnittlichkeit aller Daseine, verliert. Nur die Angst reißt das Dasein in seine Eigentlichkeit zurück. Die Angst bezieht sich dabei niemals auf etwas, vor dem sich das Dasein konkret fürchtet, wie etwa vor einem bissigen Hund, sondern in der Angst fürchtet es sich vor seiner Geworfenheit, das heißt: dem unbegründeten In-der-Welt-sein. Das Dasein ist unbegründet, es muss sich in der Welt finden und seine Möglichkeiten realisieren. |
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{{Zitat|Aber wenn wirklich die Existenz der Essenz vorausgeht, so ist der Mensch verantwortlich für das, was er ist. Somit ist der erste Schritt des Existentialismus, jeden Menschen in den Besitz dessen, was er ist, zu bringen, und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur für seine [[Individualität]] verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen.|ref=<ref>Jean-Paul Sartre: ''Das Sein und das Nichts'', Reinbek rororo, 1993, Seite 325</ref>}} |
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=== Jean-Paul Sartre === |
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Nun findet sich aber gerade hier häufig der Einwand, warum Menschen denn dann unmoralisch handeln bzw. ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, wenn wir doch frei sind. Der Mensch hat nach Sartre einen Bezug zum Nichts eben dadurch, dass er in seiner eigenen Seinsstruktur selber Nichts ist, d. h. der oben zitierte Satz bringt zum Ausdruck, dass wir selbst immer wieder vor der Verantwortung fliehen können: Sartre nennt diese ontologische Struktur des Menschen „[[Unaufrichtigkeit (Sartre)|mauvaise foi]]“, die [[Unaufrichtigkeit (Sartre)|Unaufrichtigkeit]] oder Selbstlüge. Er beschreibt, wie wir in der Selbstlüge zugleich Lügner und Belogener in einer Person sind, und zeigt auf, warum dieses offensichtlich logisch Widersinnige nachzuvollziehen ist: Da wir offensichtlich nicht eindeutig zu bestimmen sind, wie die Analyse der mauvaise foi nahelegt, tätigen wir immer wieder einen sog. Entwurf. |
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Sartre gelangt in seinem ersten Hauptwerk „''Das Sein und das Nichts''“ (1943) zu einer ganz ähnlichen Konzeption des Menschen, radikalisiert sie aber und greift zusätzliche Probleme auf. Eher aus der Phänomenologie kommend macht sich Sartre darüber Gedanken, wie der Unterschied zwischen Sein und Nichts bestimmt ist. Dafür verwendet er Begriffe, die er bei Hegel findet, nämlich das Begriffspaar an-sich und für-sich und die Perspektive des Phänomenologen, der nur das Ding, wie es erscheint, ansieht. Während Heidegger die Frage nach dem Sinn von Sein aufwarf und nur nebensächlich den Menschen als Dasein bestimmte, definiert Sartre das Sein als reine Identität mit sich. Das Sein ist an-sich. Das Nichts hingegen ist der Mangel an dieser Identität. Sartre identifiziert den Menschen mit diesem Nichts. Dem Menschen mangelt es an einem gegebenen, festen Sein; er muss dieses erst finden, kann es aber zugleich nie. Sartre in „''Das Sein und das Nichts''“: ''Der Mensch ist ein Sein, das das ist, was es nicht ist und das nicht das ist, was es ist.'' Ebenso wie bei Heidegger ist der Mensch auf die Zukunft gerichtet; er ist sich immer schon voraus. Er entwirft sich und das heißt, er bildet ein provisorisches Sein, das durch einen erneuten Entwurf durchkreuzt wird usf. Der Mensch ist ein Sein, dass nie mit sich identisch wird; es besitzt immer einen Mangel an Sich. Der Mensch ist für-sich und das bedeutet: er ist frei. Und noch mehr: Sartre bestimmt den Menschen als ein Sein, dass seine Freiheit nicht zerstören kann, weil die Freiheit eben die grundlegende Möglichkeit ist, sich stets zu entwerfen und das, was man vorher war, zu überschreiten. Sartre schreibt: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.“ Da der Mensch radikal frei ist, ist er auch radikal verantwortlich. Systematisch hat Sartre diesen Gedanken der Verantwortung aber nie entwickelt. Jedoch unterschied Sartre (ähnlich wie Heidegger) zwischen authentischer Seinsweise und unauthentischer Seinsweise. Zur letzteren gehört vor allem, wenn man seine eigene Freiheit leugnet. Die Konsequenz aus der Bestimmung des Menschen als zur Freiheit Verurteilter lag für Sartre vor allem in der politischen Praxis, für die er viele Anfeindungen erfuhr und wegen der auf ihn zwei Bombenattentate ausgeübt wurden. Sartre besuchte den Terroristen Andreas Baader im Gefängnis Stammheim, um sich von dessen schwierigen Haftbedingungen zu überzeugen; er unterstützte eine illegale Zeitschrift und wies permanent auf Ungerechtigkeiten in den kommunistischen und kapitalistischen Ländern hin. In seinen Romanen und Theaterstücken behandelte er verschiedene Themen, kreiste aber vor allem um das Thema Freiheit und Determinismus. In seinem zweiten Hauptwerk, der „''Kritik der dialektischen Vernunft''“ (1960), versuchte Sartre die Geschichte als einen dialektischen Prozess von Determinismus und Freiheit, der Materie und dem freien Handeln der Gruppe zu untersuchen. Auch setzte er sich kritisch mit der Psychologie Freuds, dem Behaviorismus und vielen anderen deterministischen Theorien auseinander. Der Einfluss von Husserls Phänomenologie ist vor allem in Sartres „''Die Imagination''“ (1936) und in „''Das Sein und das Nichts''“ zu finden. Im letzteren Werk spielt die Phänomenologie, das heißt, die Lehre von den Phänomenen, oder im Husserlschen Sinne: die Lehre von den Bewusstseinsphänomenen, dahingehend eine Rolle, als dass aus ihnen die Wahrnehmungsweisen des subjektiven Bewusstseins entwickelt werden. So unterscheidet Sartre fundamental zwischen der Perspektive des Subjektes und der Perspektive des Anderen, der seinen Blick auf das Subjekt, und der Perspektive, die das Subjekt über einen objektiven Vermittler auf sich richtet. Wie ist das zu verstehen? Die erste Perspektive ist die des subjektiven Bewusstseins. Es nimmt sich wahr als Handelndes. Die Objektivierung kann beispielsweise über ein Röntgenbild erfolgen, indem das Subjekt sein knöchernes Kniegelenk sieht. Das ist aber eine fundamental anders geordnete Seinswahrnehmung, denn während des Fußballspiels empfindet sich das Subjekt nicht als Knochen-habend. Den Blick, den ein anderes Bewusstsein auf sein Bewusstsein richtet, bewirkt, dass sich das angeblickte Bewusstsein auf seine Akte geworfen fühlt. Sartre nennt das Beispiel eines Voyeurs, der durch ein Schlüsselloch schaut und entdeckt wird. Die Scham, die er in sich aufsteigen fühlt, rührt daher, dass er erblickt und auf seinen Akt reduziert worden ist (ohne die Möglichkeit der Ausflucht, er sei eigentlich gar nicht neugierig). Für Sartre spielt nur diese fundamentale Freiheit, die den Akt bestimmt, eine Rolle, nicht etwa Charaktereigenschaften. Diese gibt es für Sartre nicht. Das Sein des Subjektes ist nur seine Akte, mehr nicht. So ist also der Körper des Subjekts immer in Situationen. Der Situationsbegriff ist eines der wichtigsten Elemente in der Philosophie Sartres und er wird von de Beauvoir weiterentwickelt (s.u.). Der Körper ist immer in Situation (immer engagiert) und das Wichtigste: Nicht der Körper bestimmt die Situation, sondern die Situation bestimmt den Körper. Man kann daher einen Menschen niemals aus seinen Charaktereigenschaften oder seinem Habitus oder seinen Anlagen etc. verstehen, das wäre unauthentisch. Sondern man muss ihn in seiner Situation verstehen. Gleichwohl entschuldigt die Situation nie eine Handlung. Da der Mensch frei ist, kann er sich nie entschuldigen. Seine Handlung auf eine Kausalität zurückführen hieße, unauthentisch sein. Sich aber darauf hinauszureden, etwa dieses Verbrechen getan zu haben, weil man eben zur Freiheit gezwungen sei, ist ebenso unauthentisch. Das, was der Mensch ist (etwa seine Vergangenheit, seine Erinnerungen etc.), muss er übernehmen. Indem er es übernimmt, wird das, was er ist, etwas anderes. Die Vergangenheit beispielsweise bekommt einen anderen Sinn. |
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{{Zitat|Der Mensch ist zuerst ein Entwurf, der sich subjektiv lebt, anstatt nur ein Schaum zu sein oder eine Fäulnis oder ein Blumenkohl; nichts existiert diesem Entwurf vorweg, nichts ist im Himmel, und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir gewöhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewusste Entscheidung, die für die meisten unter uns dem nachfolgt, zu dem sie sich selbst gemacht haben. Ich kann mich einer Partei anschließen wollen, ein Buch schreiben, mich verheiraten, alles das ist nur Kundmachung einer ursprünglicheren, spontaneren Wahl als was man Willen nennt.|ref=<ref>Jean-Paul Sartre: ''Ist der Existenzialismus ein Humanismus?'' Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 20.</ref>}} |
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Die Hauptpunkte der existentialistischen Bewegung sind in Sartres [http://www.marxists.org/reference/archive/sartre/works/exist/sartre.htm ''L'Existentialisme est un humanisme''] zusammengefasst. |
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In seinen literarischen Werken wird dies – Entwurf und Änderung eines Grundentwurfes – immer wieder zum Thema gemacht. |
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=== Albert Camus === |
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[[Datei:Albert Camus, gagnant de prix Nobel, portrait en buste, posé au bureau, faisant face à gauche, cigarette de tabagisme.jpg|mini|[[Albert Camus]] (1957)]] |
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[[Albert Camus]] ist der zweite wichtige große Vertreter des französischen Existentialismus. In seinem 1942 erschienenen Buch ''[[Der Mythos des Sisyphos]]'' (''Le mythe de Sisyphe'') entwickelt Camus die [[Philosophie des Absurden]]. |
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Sich selbst nicht als Existentialisten begreifend und mehr in der Tradition der französischen Moralisten stehend, fasst er aber in ähnlicher Weise wie Sartre die Welt auf als nicht von sich aus sinnhaft, weil durch den Menschen erst Sinn erhaltend. Jedoch teilt Camus nicht die für den Existentialismus typische Grundannahme, dass die Existenz der Essenz vorausgeht: |
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{{Zitat|Zwei gewöhnliche Irrtümer: die Existenz geht der Essenz voraus oder die Essenz der Existenz. Sie gehen und erheben sich beide im gleichen Schritt.|ref=<ref>{{Literatur |Autor=Albert Camus |Titel=Tagebuch: März 1951 – Dezember 1959 |Auflage=3. Auflage, Neuausgabe |Verlag=Rowohlt Taschenbuch |Ort=Reinbek bei Hamburg |Datum=1993-10-01 |ISBN=9783499221996}}</ref>}} |
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Das philosophische Fragen kulminiert für Camus in der für ihn einzig wichtigen Frage, der nach dem Suizid. Der Suizid ist hier als Lösung, Loslösung von einer sinnlosen Welt gedacht: Warum leben, wenn doch alles sinnlos ist? Allerdings wird der Suizid von Camus abgelehnt; sich umbringen hieße dem Absurden erliegen. |
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Mit dem Bewusstsein, dass alles absurd ist, weiterleben, dem Absurden so ins Auge sehen, ist für Camus die anzustrebende Revolte gegen das Absurde. Wenn wir weder Vertrauen in einen Gott noch in unsere Vernunft setzen können – was bleibt dann als Sicherheit? Nichts! Für den modernen Menschen gibt es diese Sicherheit nicht. Hier liegt auch seine Ablehnung des Existentialismus als System: Ein System suggeriert eine Ordnung, die Camus so nicht sah. Damit treibt er die Überlegungen des Existentialismus auf die Spitze. Seine Antwort liegt in der ständigen Revolte des Menschen. Indem der Mensch das absurde Verhältnis von Mensch und Welt anerkennt, akzeptiert er sich als ein Wesen, das frei ist. Im ''[[Der Mythos des Sisyphos|Mythos des Sisyphos]]'' wird dies exemplarisch an dem besagten Mythos erläutert. Indem [[Sisyphos]] seine Strafe erträgt, annimmt, sich aber nicht von der Bürde der ewigen Qual erschüttern lässt, sondern die Götter verlacht, zeigt er die Größe des modernen Menschen, der sein absurdes Schicksal bewusst lebt. Die Idee der Revolte gegen das Absurde wird in dem Essay ''[[Der Mensch in der Revolte]]'' weiter ausgeführt. |
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Seine philosophischen Gedanken finden sich auch in seinen literarischen Werken wieder. Immer wieder legen die Personen die Haltung des gegen die sinnlose Welt revoltierenden Menschen dar, so z. B. im Gespräch Meursaults mit dem Anstaltsgeistlichen und seinen anschließenden Gedankengängen in ''[[Der Fremde]].''<ref>Albert Camus: ''Der Fremde'', Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013, 66. Auflage, ISBN 978-3-499-22189-7, ab S. 150.</ref> Diese Haltung wird auch im Kampf des Dr. Rieux gegen die Pest im gleichnamigen Roman deutlich. |
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=== Simone de Beauvoir === |
=== Simone de Beauvoir === |
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[[Datei:Simone de Beauvoir2.png|miniatur|hochkant|Simone de Beauvoir (1967)]] |
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[[Simone de Beauvoir]]s bedeutendster Beitrag zum Existenzialismus findet sich in ihrem Werk ''[[Das andere Geschlecht]]'', in dem sie die Situation von Frauen aus einem existentialistischen Blickwinkel analysiert. De Beauvoir erklärt darin: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“<ref name="DaG1">{{Literatur |Autor=Simone de Beauvoir |Titel=Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau |Auflage=19 |Verlag=Rowohlt Taschenbuch Verlag |Ort=Reinbek bei Hamburg |Datum=2018 |Seiten=334}}</ref> Davon ausgehend, dass es keine weibliche „Essenz“ gibt, untersucht Simone de Beauvoir, wie die Frau als „das Andere“ konstruiert wird, das „zur [[Immanenz]] verdammt“ ist. |
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== Existentialismus als Popkultur == |
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Simone de Beauvoir hat in ihren zwei wichtigsten Büchern („''Das andere Geschlecht''“ (1949); „''Das Alter''“ (1970)) wesentliche Gedanken Sartres auf die gesellschaftlichen Verhältnisse angewandt. Ihr Buch über die Situation der Frau gab die wichtigsten theoretischen Impulse des damaligen [[Feminismus]] und ist in der heutigen poststrukturalistischen Feminismustheorie immer noch Profilgeber und Objekt der Kritik. In „''Das andere Geschlecht''“ untersucht sie, was eine Frau ist bzw. wie die männliche Gesellschaft die Frau über Jahrhunderte und auch noch in der Gegenwart und in verschiedenen Gesellschaften zum Objekt macht. Beauvoirs wichtigste These: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird zu ihr gemacht.“ Frau – das ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das einem an sich sinnlosen, biologischen Merkmal einen bestimmten Sinn verleiht. Beauvoir zeichnet die Stationen nach, wie das junge Mädchen bis zum Alter unterdrückt wird, welche Welt und welche Zukunft man ihm präsentiert und in welche Rolle man es einsperrt. Auch durchforscht Beauvoir die Literatur nach Frauenbildern. Dabei wird deutlich, dass es immer zwei Frauenkonzeptionen gibt, die, obwohl eigentlich widersprüchlich, immer zusammen gehören: Das Bild der reinen Göttin und das der schmutzigen Hure (beide in verschiedenen Variationen). Sie zeigt auf, welche Doppelmoral in der männlichen Gesellschaft herrscht, aber auch, wie Frauen aus diesem Kampf auszubrechen versuchen, d.h., welche Lösungen sie für sich entwerfen – um nicht selten in pathologischen Entwürfen zu enden. Es wird auch deutlich, dass der Mann nicht nur die Frau unterdrückt, sondern ebenso sich selber. De Beauvoir bettet diesen Sachverhalt in eine grundsätzliche Gesellschaftskritik ein und kommt zu dem Ergebnis, dass sich beide Geschlechter befreien müssen. |
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In den 50er-Jahren entstand in der Pariser Existentialistenszene in den Cafés von [[6. Arrondissement (Paris)|Saint-Germain-des-Prés]] das Klischeebild des melancholischen, meist schwarz gekleideten jungen Existentialisten, der zwischen [[Jazzkeller]], Café und Universität verkehrte. |
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In ihrem zweiten Hauptwerk, „''Das Alter''“, untersucht Beauvoir die Lebensbedingungen der alten Menschen im Laufe der Geschichte und ebenso, welche Bilder sich das alltägliche Denken, die Literatur oder auch die Wissenschaft, vom Alter gemacht haben. Beauvoir geht zahlreiche Zeugnisse durch, wie Schriftsteller ihren Zerfallsprozess erlebt haben oder welches die klinischen Probleme der Alten sind. Auch hier wird deutlich, dass das Alter zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht wurde. |
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== Kritik am Existentialismus == |
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Der Existentialismus hat, da er sich unter anderem als politisch engagiert verstand, viel Kritik aus allen gesellschaftlichen Bereichen erhalten, insbesondere durch die [[Römisch-katholische Kirche|katholische Kirche]], aber auch durch Politiker verschiedener Parteien und ebenso durch Vertreter anderer philosophischer Richtungen. |
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Die philosophische Kritik richtet sich meist gegen einen verabsolutierenden Begriff der [[Existenz]] und eine zu geringe Differenzierung menschlicher Lebensformen, eine zu starke Polarisierung und schließlich eine Verfestigung der [[Dichotomie]] von Subjekt und Objekt. [[Martin Heidegger|Heidegger]] und [[Merleau-Ponty]] verwahren sich gegen die Ausprägung der Philosophie Sartres, um bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede zu betonen. |
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Etwas anders gelagert ist die Problemstellung bei Albert Camus. Ihm geht es darum, welchen Wert der Mensch einer wertlosen, absurden Welt geben kann. Es ist nur der Sinn der Auflehnung, der Revolte. Das Leben ist umso mehr wert gelebt zu werden, je weniger es einen Sinn hat. Der Mensch muss in der Lage sein, diese schwere Last der Sinnlosigkeit zu ertragen, sie täglich, wie Sisyphos den Stein einen Hügel im [[Tartarus]] herauf rollt, vor sich her zu wälzen. Der Mensch muss das Gewicht seines Lebens, d.h. seine Verantwortung selber tragen. In seinem Roman „''Der Fremde''“ (1942) schildert Camus die Gleichgültigkeit des Protagonisten gegen die äußeren Umstände. Es ist aber nur eine Gleichgültigkeit, die sich gegenüber der Gleichgültigkeit einer Welt, in der Gott tot ist, auflehnt. Revolte ist die Grundstruktur des Menschen, wenn er seine Existenz sinnvoll entwirft. Während im Roman „''Die Pest''“ (1947) die Einwohner der Stadt Oran unaufhaltsam dezimiert werden und niemand den Kampf gegen die Pest aufnehmen kann, kämpft der Arzt Rieux um so mehr gegen die Katastrophe an, auch wenn ihm die Aussichtslosigkeit seines Kampfes immer vor Augen steht. Der Mensch soll sich nach Camus keine Illusionen über sein Leben machen und ihm kein Ziel geben. So heißt es in der Schrift „''Der absurde Mensch''“: „Nicht an den tiefen Sinn der Dinge glauben – das kennzeichnet den absurden Menschen.“ Die Welt ist eine Oberfläche, hinter der sich allerdings nichts verbirgt; eine Erfahrung, die auch schon Roquentin in Sartres Roman „''Der Ekel''“ (1938) machen musste. Noch mehr als andere existenzialistische Philosophen gestaltet Camus seine Philosophie nicht in theoretischen Werken, sondern in literarischen Schriften, denn nach ihm „(beginnt) der Ausdruck, wo das Denken aufhört.“ Im Mythos von Sisyphos erzählt Camus die Geschichte, dass Sisyphos nicht versklavt ist, sondern dass er Herr seines Schicksals ist, indem er nicht, wie bei Sartre, es auf sich nimmt und ihm einen Sinn verleiht, sondern, indem er es verachtet: „Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.“ |
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== Werke (Auswahl) == |
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* [[Jean-Paul Sartre]]: |
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** ''La nausée ([[Der Ekel]])'' |
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** ''L’être et le néant ([[Das Sein und das Nichts]])'' |
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** ''Les chemins de la liberté ([[Die Wege der Freiheit]])'' |
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** ''Huis clos ([[Geschlossene Gesellschaft]])'' |
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** ''Morts sans sépulture ([[Tote ohne Begräbnis]])'' |
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* [[Albert Camus]]: |
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Der Existenzialismus ist vielfältiger, als es hier dargestellt werden konnte. Man sollte ihn eher anhand seiner verschiedenen Probleme zu verstehen versuchen, anstatt nach geschichtlichen Ereignissen oder in Abgrenzung zu anderen Philosophien. Die zentrale Frage aller existenzialistischen Konzepten ist die nach dem Menschen und seiner Stellung in der Welt. Der Mensch ist im Existenzialismus mehr als in anderen Philosophien Mittelpunkt, und der Mensch wird weder nur theoretisch beschrieben noch nur als denkendes Wesen bestimmt. Er wird aus vielen Perspektiven, philosophischen, künstlerischen, politischen, erfasst und als ein Handelnder, als Subjekt seiner Situation und der menschlichen Geschichte bestimmt. Es ist der individuelle, leidenschaftliche, ängstliche, schmutzige Mensch, den der Existenzialismus ins Auge fasst und nicht ein Ideal vom Menschen. |
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** ''Le Mythe de Sisyphe ([[Der Mythos des Sisyphos]])'' |
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** ''L’Homme révolté ([[Der Mensch in der Revolte]])'' |
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** ''L’Étranger ([[Der Fremde]])'' |
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** ''La Peste ([[Die Pest]])'' |
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** ''Le Malentendu ([[Das Missverständnis]])'' |
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** ''La Chute ([[Der Fall (Roman)|Der Fall]])'' |
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** ''[[Caligula (Camus)|Caligula]]'' |
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* [[Simone de Beauvoir]]: |
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==Vorläufer== |
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** ''L’Invitée (Sie kam und blieb)'' |
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*[[Blaise Pascal]], [[Marquis de Sade]], [[Arthur Schopenhauer]], [[Søren Kierkegaard]], [[Friedrich Nietzsche]]. |
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** ''Pyrrhus et Cinéas (1944) (Pyrrhus und Cinéas)'' |
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** ''Pour une morale de l’ambiguïté (1947) (Für eine Moral der Doppelsinnigkeit)'' |
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** ''Le Deuxième Sexe (1949) ([[Das andere Geschlecht]])'' |
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== Zitate == |
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{{Quellen}} |
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=== Jean-Paul Sartre === |
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* ''Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten''<ref>Thomas Blech: ''Bildung als Ereignis des Fremden. Freiheit und Geschichtlichkeit bei Jean-Paul Sartre.'' [[Tectum Verlag]], 2001, ISBN 3828882846, S. 53.</ref> |
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* ''Denn die dialektische Totalisierung muss die Handlungen, die Leidenschaften, die [[Arbeit (Philosophie)#Aufhebung des Arbeitsbegriffs seit Mitte des 20. Jahrhunderts|Arbeit]] und die Bedürfnisse ebenso wie die ökonomischen Kategorien umfassen, sie muss gleichzeitig den Handelnden wie das Ereignis in den historischen Komplex einordnen, ihn im Verhältnis zur Richtung des Werdens definieren und genauestens den Sinn der Gegenwart bestimmen.''<ref>Jean-Paul Sartre: ''Die progressiv–regressive Methode.'' (Auszug, Ausgabe 1957) In: [[Bernhard Fetz]], [[Wilhelm Hemecker]] (Hrsg.): ''Theorie der Biographie.'' De Gruyter, Berlin 2011, ISBN 9783110237634, S. 254.</ref> |
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* ''Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht, das heißt, wenn die Tatsache, dass wir existieren, uns (nicht) von der Notwendigkeit entlastet, uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen, dann sind wir damit, solange wir leben, zur Freiheit verurteilt…'' |
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* ''Das „Paradoxe unserer historischen Situation“ bestehe darin, dass „unsere Freiheit heute […] lediglich der freie Entschluss, die Freiheit zu erkämpfen“, sei.'' |
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* ''Der Marxismus wird zu einer unmenschlichen Anthropologie degenerieren, wenn er nicht den Menschen als seine Grundlage reintegriert'' |
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* ''… es gibt keine Auswege zu wählen. Ein Ausweg, der wird erfunden'' |
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* ''Nicht die „Härte einer Situation und die von ihr auferlegten Leiden“ sind Motive dafür, dass man sich einen anderen Zustand der Dinge denkt, bei dem es aller Welt besser ginge; im Gegenteil, von dem Tag an, da man sich einen anderen Zustand denken kann, fällt ein neues Licht auf unsere Mühsale und Leiden und entscheiden wir, dass sie unerträglich sind.'' |
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=== Albert Camus === |
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* ''Für „die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“'' (französisch: „la tendre indifférence du monde“) ''öffnet sich der Protagonist am Ende des Romans „Der Fremde“, als er sich in der Todeszelle kurz vor der Hinrichtung befindet.''<ref>Albert Camus: ''Der Fremde'', Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013, 66. Auflage, ISBN 978-3-499-22189-7, S. 159.</ref> |
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=== Simone de Beauvoir === |
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* „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.“<ref name="DaG1" /> |
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== Siehe auch == |
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* [[Sinn des Lebens]] |
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*Philosophen: |
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* [[Maurice Blondel]] |
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**[[Nikolai Berdjajew]] (ehemaliger Marxist, entwickelte vor dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] in seinem russischen Geburtsland und später in Frankreich einen christlichen Existenzialismus.) |
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* [[Simone Weil]] |
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**[[Otto Friedrich Bollnow]] |
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**[[Martin Heidegger]] |
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**[[Karl Jaspers]] (theologischer Existenzialismus) |
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**[[Gabriel Marcel]] (theologischer Existenzialismus) |
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**[[Emmanuel Levinas]] |
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**[[Maurice Merleau-Ponty]] |
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**[[Simone de Beauvoir]] |
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**[[Jean-Paul Sartre]] |
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**[[Max Stirner]] |
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**[[Peter Wessel Zapffe]] |
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**[[Søren Kierkegaard]] |
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== Literatur == |
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*Psychologen: |
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{{Philosophie-Bibliographie|Existenzialismus}} |
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**[[Ludwig Binswanger]] |
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* Nicola Abbagnano: ''Philosophie des menschlichen Konflikts. Eine Einführung in den Existentialismus.'' Rowohlt, Hamburg 1957. |
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**[[Medard Boss]] |
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* [[Sarah Bakewell]]: ''Das Café der Existenzialisten: Freiheit, Sein und Aprikosencocktails''. Deutsch von Rita Seuß. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-69764-7. |
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**[[Viktor Frankl]] |
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* Cornelia Blasberg u. Franz-Josef Deiters (Hrsg.): ''Denken/Schreiben (in) der Krise – Existentialismus und Literatur.'' Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2004. ISBN 3-86110-379-6. |
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**[[Rollo May]] |
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* [[Arthur C. Danto]]: ''Jean-Paul Sartre.'' Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-172-5. |
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* [[Helmut Fahrenbach]]: ''[[Søren Kierkegaard|Kierkegaards]] existenzdialektische Ethik'', Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1968. |
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* Helmut Fahrenbach: ''Existenzphilosophie und Ethik'', Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1970. |
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* Thomas R. Flynn: ''Existenzialismus. Eine kurze Einführung.'' Aus dem Amerik. von Erik M. Vogt, Turia + Kant, Wien 2008, ISBN 978-3-85132-488-4. |
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* Haim Gordon (Hrsg.): ''Dictionary of existentialism.'' Fitzroy Dearborn, London u. a. 1999, ISBN 1-57958-167-6. |
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* Helene Harth; Volker Roloff (Hrsg.): ''Literarische Diskurse des Existentialismus.'' Stauffenburg, Tübingen 1986, ISBN 3-923721-55-2. |
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* [[Alexander Lohner]]: ''Der Tod im Existentialismus. Eine Analyse der fundamentaltheologischen, philosophischen und ethischen Implikationen'', Schöningh, Paderborn 1997, ISBN 3-506-75245-6 ([https://opacplus.bsb-muenchen.de/metaopac/search?View=default&db=100&id=BV011588019 Digitalisat BSB München]) |
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* Wilhelm Antonius Maria Luijpen: ''Existentielle Phänomenologie. Eine Einführung.'' Manz, München 1971, ISBN 3-7863-0135-2. |
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* William L. McBride (Hrsg.): ''Sartre and existentialism. Philosophy, politics, ethics, the psyche, literature, and aesthetics.'' Bisher 8 Bde. Garland, New York, NY u. a. 1997ff. |
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* Leo Pollmann: ''Sartre und Camus. Literatur der Existenz.'' Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1967. |
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* [[Hans-Martin Schönherr-Mann]]: ''Sartre. Philosophie als Lebensform.'' Beck, München 2005, ISBN 3-406-51138-4. |
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* Robert C. Solomon (Hrsg.): ''Existentialism.'' 2. Auflage, Oxford University Press, New York u. a. 2005, ISBN 0-19-517463-1 (Sammlung von Quellentexten). |
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* Josef Speck (Hrsg.): ''Philosophie der Gegenwart V – Grundprobleme der großen Philosophen'', (Jaspers, Heidegger, Sartre, Camus, Wust, Marcel), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-03309-5. |
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* Rainer Thurnher, Wolfgang Röd, Heinrich Schmidinger: ''Geschichte der Philosophie Bd. 13: Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 3: Lebensphilosophie und Existenzphilosophie'', C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-49275-4. |
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* [[Urs Thurnherr]], [[Anton Hügli]] (Hrsg.): ''Lexikon Existentialismus / Existenzphilosophie'', WBG, Darmstadt 2007. |
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* Yves Trottier, Marc Imbeault: ''Limites de la violence'', Les Presses de l’Université Laval, Québec 2006. |
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* [[René Weiland]]: ''Philosophie der Lebensführung. Ethisches Denken zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus.'' transcript, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3632-1. |
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== Weblinks == |
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==Wichtige Dichter und Schriftsteller== |
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*[[Fjodor Dostojewski]], [[Franz Kafka]], [[Samuel Beckett]], [[Luigi Pirandello]], [[Alberto Moravia]], [[Albert Camus]], [[Michel Leiris]]. |
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* {{SEP|https://plato.stanford.edu/entries/existentialism/|Existentialism|Steven Crowell}} |
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* {{IEP|https://iep.utm.edu/existent/|Existentialism|Douglas Burnham und George Papandreopoulos}} |
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* [https://lernarchiv.bildung.hessen.de/sek/philosophie/philosophen/exis/index.html Online-Lernarchiv Existentialismus] beim Hessischen Bildungsserver |
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== Einzelnachweise == |
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==Siehe auch:== |
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Aktuelle Version vom 27. Februar 2025, 11:16 Uhr
Mit Existentialismus (auch Existenzialismus) wird im allgemeinen Sinne die überwiegend französische philosophische Strömung der Existenzphilosophie bezeichnet. Der zentrale Gedanke ist, dass der Mensch sich selbst durch seine Entscheidungen und Handlungen definieren muss, da es keine vorgegebene menschliche Natur gibt, die menschliches Leben bestimmt. Dies wird in der berühmten Formel "Die Existenz geht der Essenz voraus" ausgedrückt: Wir existieren zunächst und müssen dann selbst entscheiden, wer wir sein wollen und welchen Sinn wir unserem Leben geben. Diese radikale Freiheit zur Selbstbestimmung kann sowohl als eine Chance als auch eine Last gedeutet werden.
Der Existentialismus entwickelte sich zu einer einflussreichen Bewegung in der Mitte des 20. Jahrhunderts, besonders in Frankreich. Zu seinen wichtigsten Vertretern zählen Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus, die diese Grundgedanken nicht nur philosophisch, sondern auch in Romanen und Theaterstücken verarbeiteten. In einer christlichen Ausprägung wurde der Existentialismus von Gabriel Marcel vertreten. Wichtige Vordenker waren im 19. Jahrhundert Søren Kierkegaard und Friedrich Nietzsche, die die Bedeutung der individuellen Existenz und die Problematik des Sinnverlusts in der modernen Welt thematisierten.
Philosophie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine der bekanntesten existentialistischen Äußerungen, die jedoch sinngemäß schon bei Schelling nachgewiesen werden kann, ist die Aussage Sartres „Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus“ aus dem 1946 veröffentlichten Essay Der Existentialismus ist ein Humanismus. Somit ist der Existentialismus eine Gegenposition zum Essentialismus.
Hier wird thematisch an die Wesensbestimmung (Essenz) des Menschen in der Philosophie angeknüpft. Durch die Bestimmung des Menschen als biologisches Wesen, als Vernunftwesen, als göttliches Wesen etc. erhält der Mensch vor seiner Existenz zunächst schon eine Bedeutung, eben biologisch, vernünftig, gottähnlich. Der Existentialismus kritisiert diese der Existenz vorgängige Sinnbestimmung und setzt ihr die Existenz entgegen: Der Mensch ist als Mensch nicht zu erfassen, wenn nicht je von seiner eigenen individuellen Existenz ausgegangen wird. Jede Wesensbestimmung enthält, so die Kritik durch den Existentialismus, immer schon einen Theorieaspekt, der sich nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung der Existenz speist, sondern „nachrangig“ gebildet wird.
Hieraus erklärt sich auch die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen. Der Mensch versteht sich selbst nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existentialismus nicht mehr auf eine göttliche oder kosmologische Ordnung, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Dadurch wird eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt (auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird), sondern der Glaube wird vielmehr selbst zum existentiellen Erleben.
In Begriffen wie Geworfenheit, Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung zeigt sich die Zentrierung des Existentialismus auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein zeigt sich in den Erfahrungen von Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod und Langeweile und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen.
„Der atheistische Existentialismus, für den ich stehe, ist zusammenhängender. Er erklärt, dass, wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass dieses Wesen der Mensch oder, wie Heidegger sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. Was bedeutet hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert.“[1]
Grundpositionen des Existentialismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jean-Paul Sartre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das philosophische Hauptwerk Sartres Das Sein und das Nichts (L’être et le néant, 1943) gilt als theoretisches Fundament des Existentialismus. Hier zeigt Sartre auf, dass sich das menschliche Sein (Für-Sich) von dem anderen Sein, den Dingen, Tieren, Sachen etc. (An-sich), durch seinen Bezug zum Nichts unterscheidet.
- Der Mensch ist ein Sein, „das nicht das ist, was es ist, und das das ist, was es nicht ist“.[2]
Als einziges Wesen, das verneinen könne, das einen Bezug zu dem Noch-Nicht oder Nicht-Mehr habe, das lügen könne, also das sagen, was nicht sei, habe der Mensch damit auch die Bürde der Freiheit und damit auch die Verantwortung. Das Hauptwerk zeigt in Analysen menschlicher Situationen, wie sich die Freiheit in allen Bezügen des Seins des Menschen aufdrängt, der Mensch vor dieser Verantwortung flieht und wie der konkrete Bezug zum Anderen ihm erst diese Verantwortung und Freiheit aufzeigt. Das Vorurteil, dass es sich bei dem Existentialismus sartrescher Prägung um einen egoistischen Individualismus handelt, kann so nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil: In seinen Analysen kommt Sartre zu dem Schluss, dass menschliches Leben niemals als vereinzeltes Leben verstanden werden könne. Damit argumentiert er gegen den Solipsismus.
Methodisch geht Sartre phänomenologisch vor, indem er die oben genannten Existentiale wie Freiheit, Furcht, Angst, Liebe, Scham als Zeugen für die Freiheit des Menschen befragt. Durch diese Analysen gelangt er schließlich auch zu dem Anderen als mir gegenübertretende Freiheit und zeigt auf, dass unsere Freiheit und Verantwortung eine ontologische Entsprechung hat. Somit kann Sartre zwar keine moralischen Forderungen stellen, bejaht aber solche grundsätzlich, wenngleich sie auch von überindividuellen Bezügen abgelöst werden müssen und ihre eigentliche Entsprechung in der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen finden.
„Aber wenn wirklich die Existenz der Essenz vorausgeht, so ist der Mensch verantwortlich für das, was er ist. Somit ist der erste Schritt des Existentialismus, jeden Menschen in den Besitz dessen, was er ist, zu bringen, und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur für seine Individualität verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen.“[3]
Nun findet sich aber gerade hier häufig der Einwand, warum Menschen denn dann unmoralisch handeln bzw. ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, wenn wir doch frei sind. Der Mensch hat nach Sartre einen Bezug zum Nichts eben dadurch, dass er in seiner eigenen Seinsstruktur selber Nichts ist, d. h. der oben zitierte Satz bringt zum Ausdruck, dass wir selbst immer wieder vor der Verantwortung fliehen können: Sartre nennt diese ontologische Struktur des Menschen „mauvaise foi“, die Unaufrichtigkeit oder Selbstlüge. Er beschreibt, wie wir in der Selbstlüge zugleich Lügner und Belogener in einer Person sind, und zeigt auf, warum dieses offensichtlich logisch Widersinnige nachzuvollziehen ist: Da wir offensichtlich nicht eindeutig zu bestimmen sind, wie die Analyse der mauvaise foi nahelegt, tätigen wir immer wieder einen sog. Entwurf.
„Der Mensch ist zuerst ein Entwurf, der sich subjektiv lebt, anstatt nur ein Schaum zu sein oder eine Fäulnis oder ein Blumenkohl; nichts existiert diesem Entwurf vorweg, nichts ist im Himmel, und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir gewöhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewusste Entscheidung, die für die meisten unter uns dem nachfolgt, zu dem sie sich selbst gemacht haben. Ich kann mich einer Partei anschließen wollen, ein Buch schreiben, mich verheiraten, alles das ist nur Kundmachung einer ursprünglicheren, spontaneren Wahl als was man Willen nennt.“[4]
In seinen literarischen Werken wird dies – Entwurf und Änderung eines Grundentwurfes – immer wieder zum Thema gemacht.
Albert Camus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Albert Camus ist der zweite wichtige große Vertreter des französischen Existentialismus. In seinem 1942 erschienenen Buch Der Mythos des Sisyphos (Le mythe de Sisyphe) entwickelt Camus die Philosophie des Absurden. Sich selbst nicht als Existentialisten begreifend und mehr in der Tradition der französischen Moralisten stehend, fasst er aber in ähnlicher Weise wie Sartre die Welt auf als nicht von sich aus sinnhaft, weil durch den Menschen erst Sinn erhaltend. Jedoch teilt Camus nicht die für den Existentialismus typische Grundannahme, dass die Existenz der Essenz vorausgeht:
„Zwei gewöhnliche Irrtümer: die Existenz geht der Essenz voraus oder die Essenz der Existenz. Sie gehen und erheben sich beide im gleichen Schritt.“[5]
Das philosophische Fragen kulminiert für Camus in der für ihn einzig wichtigen Frage, der nach dem Suizid. Der Suizid ist hier als Lösung, Loslösung von einer sinnlosen Welt gedacht: Warum leben, wenn doch alles sinnlos ist? Allerdings wird der Suizid von Camus abgelehnt; sich umbringen hieße dem Absurden erliegen.
Mit dem Bewusstsein, dass alles absurd ist, weiterleben, dem Absurden so ins Auge sehen, ist für Camus die anzustrebende Revolte gegen das Absurde. Wenn wir weder Vertrauen in einen Gott noch in unsere Vernunft setzen können – was bleibt dann als Sicherheit? Nichts! Für den modernen Menschen gibt es diese Sicherheit nicht. Hier liegt auch seine Ablehnung des Existentialismus als System: Ein System suggeriert eine Ordnung, die Camus so nicht sah. Damit treibt er die Überlegungen des Existentialismus auf die Spitze. Seine Antwort liegt in der ständigen Revolte des Menschen. Indem der Mensch das absurde Verhältnis von Mensch und Welt anerkennt, akzeptiert er sich als ein Wesen, das frei ist. Im Mythos des Sisyphos wird dies exemplarisch an dem besagten Mythos erläutert. Indem Sisyphos seine Strafe erträgt, annimmt, sich aber nicht von der Bürde der ewigen Qual erschüttern lässt, sondern die Götter verlacht, zeigt er die Größe des modernen Menschen, der sein absurdes Schicksal bewusst lebt. Die Idee der Revolte gegen das Absurde wird in dem Essay Der Mensch in der Revolte weiter ausgeführt.
Seine philosophischen Gedanken finden sich auch in seinen literarischen Werken wieder. Immer wieder legen die Personen die Haltung des gegen die sinnlose Welt revoltierenden Menschen dar, so z. B. im Gespräch Meursaults mit dem Anstaltsgeistlichen und seinen anschließenden Gedankengängen in Der Fremde.[6] Diese Haltung wird auch im Kampf des Dr. Rieux gegen die Pest im gleichnamigen Roman deutlich.
Simone de Beauvoir
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Simone de Beauvoirs bedeutendster Beitrag zum Existenzialismus findet sich in ihrem Werk Das andere Geschlecht, in dem sie die Situation von Frauen aus einem existentialistischen Blickwinkel analysiert. De Beauvoir erklärt darin: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“[7] Davon ausgehend, dass es keine weibliche „Essenz“ gibt, untersucht Simone de Beauvoir, wie die Frau als „das Andere“ konstruiert wird, das „zur Immanenz verdammt“ ist.
Existentialismus als Popkultur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den 50er-Jahren entstand in der Pariser Existentialistenszene in den Cafés von Saint-Germain-des-Prés das Klischeebild des melancholischen, meist schwarz gekleideten jungen Existentialisten, der zwischen Jazzkeller, Café und Universität verkehrte.
Kritik am Existentialismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Existentialismus hat, da er sich unter anderem als politisch engagiert verstand, viel Kritik aus allen gesellschaftlichen Bereichen erhalten, insbesondere durch die katholische Kirche, aber auch durch Politiker verschiedener Parteien und ebenso durch Vertreter anderer philosophischer Richtungen.
Die philosophische Kritik richtet sich meist gegen einen verabsolutierenden Begriff der Existenz und eine zu geringe Differenzierung menschlicher Lebensformen, eine zu starke Polarisierung und schließlich eine Verfestigung der Dichotomie von Subjekt und Objekt. Heidegger und Merleau-Ponty verwahren sich gegen die Ausprägung der Philosophie Sartres, um bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede zu betonen.
Werke (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jean-Paul Sartre:
- La nausée (Der Ekel)
- L’être et le néant (Das Sein und das Nichts)
- Les chemins de la liberté (Die Wege der Freiheit)
- Huis clos (Geschlossene Gesellschaft)
- Morts sans sépulture (Tote ohne Begräbnis)
- Albert Camus:
- Le Mythe de Sisyphe (Der Mythos des Sisyphos)
- L’Homme révolté (Der Mensch in der Revolte)
- L’Étranger (Der Fremde)
- La Peste (Die Pest)
- Le Malentendu (Das Missverständnis)
- La Chute (Der Fall)
- Caligula
- Simone de Beauvoir:
- L’Invitée (Sie kam und blieb)
- Pyrrhus et Cinéas (1944) (Pyrrhus und Cinéas)
- Pour une morale de l’ambiguïté (1947) (Für eine Moral der Doppelsinnigkeit)
- Le Deuxième Sexe (1949) (Das andere Geschlecht)
Zitate
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jean-Paul Sartre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten[8]
- Denn die dialektische Totalisierung muss die Handlungen, die Leidenschaften, die Arbeit und die Bedürfnisse ebenso wie die ökonomischen Kategorien umfassen, sie muss gleichzeitig den Handelnden wie das Ereignis in den historischen Komplex einordnen, ihn im Verhältnis zur Richtung des Werdens definieren und genauestens den Sinn der Gegenwart bestimmen.[9]
- Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht, das heißt, wenn die Tatsache, dass wir existieren, uns (nicht) von der Notwendigkeit entlastet, uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen, dann sind wir damit, solange wir leben, zur Freiheit verurteilt…
- Das „Paradoxe unserer historischen Situation“ bestehe darin, dass „unsere Freiheit heute […] lediglich der freie Entschluss, die Freiheit zu erkämpfen“, sei.
- Der Marxismus wird zu einer unmenschlichen Anthropologie degenerieren, wenn er nicht den Menschen als seine Grundlage reintegriert
- … es gibt keine Auswege zu wählen. Ein Ausweg, der wird erfunden
- Nicht die „Härte einer Situation und die von ihr auferlegten Leiden“ sind Motive dafür, dass man sich einen anderen Zustand der Dinge denkt, bei dem es aller Welt besser ginge; im Gegenteil, von dem Tag an, da man sich einen anderen Zustand denken kann, fällt ein neues Licht auf unsere Mühsale und Leiden und entscheiden wir, dass sie unerträglich sind.
Albert Camus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Für „die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ (französisch: „la tendre indifférence du monde“) öffnet sich der Protagonist am Ende des Romans „Der Fremde“, als er sich in der Todeszelle kurz vor der Hinrichtung befindet.[10]
Simone de Beauvoir
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.“[7]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Philosophiebibliographie: Existenzialismus – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema
- Nicola Abbagnano: Philosophie des menschlichen Konflikts. Eine Einführung in den Existentialismus. Rowohlt, Hamburg 1957.
- Sarah Bakewell: Das Café der Existenzialisten: Freiheit, Sein und Aprikosencocktails. Deutsch von Rita Seuß. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-69764-7.
- Cornelia Blasberg u. Franz-Josef Deiters (Hrsg.): Denken/Schreiben (in) der Krise – Existentialismus und Literatur. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2004. ISBN 3-86110-379-6.
- Arthur C. Danto: Jean-Paul Sartre. Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-172-5.
- Helmut Fahrenbach: Kierkegaards existenzdialektische Ethik, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1968.
- Helmut Fahrenbach: Existenzphilosophie und Ethik, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1970.
- Thomas R. Flynn: Existenzialismus. Eine kurze Einführung. Aus dem Amerik. von Erik M. Vogt, Turia + Kant, Wien 2008, ISBN 978-3-85132-488-4.
- Haim Gordon (Hrsg.): Dictionary of existentialism. Fitzroy Dearborn, London u. a. 1999, ISBN 1-57958-167-6.
- Helene Harth; Volker Roloff (Hrsg.): Literarische Diskurse des Existentialismus. Stauffenburg, Tübingen 1986, ISBN 3-923721-55-2.
- Alexander Lohner: Der Tod im Existentialismus. Eine Analyse der fundamentaltheologischen, philosophischen und ethischen Implikationen, Schöningh, Paderborn 1997, ISBN 3-506-75245-6 (Digitalisat BSB München)
- Wilhelm Antonius Maria Luijpen: Existentielle Phänomenologie. Eine Einführung. Manz, München 1971, ISBN 3-7863-0135-2.
- William L. McBride (Hrsg.): Sartre and existentialism. Philosophy, politics, ethics, the psyche, literature, and aesthetics. Bisher 8 Bde. Garland, New York, NY u. a. 1997ff.
- Leo Pollmann: Sartre und Camus. Literatur der Existenz. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1967.
- Hans-Martin Schönherr-Mann: Sartre. Philosophie als Lebensform. Beck, München 2005, ISBN 3-406-51138-4.
- Robert C. Solomon (Hrsg.): Existentialism. 2. Auflage, Oxford University Press, New York u. a. 2005, ISBN 0-19-517463-1 (Sammlung von Quellentexten).
- Josef Speck (Hrsg.): Philosophie der Gegenwart V – Grundprobleme der großen Philosophen, (Jaspers, Heidegger, Sartre, Camus, Wust, Marcel), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-03309-5.
- Rainer Thurnher, Wolfgang Röd, Heinrich Schmidinger: Geschichte der Philosophie Bd. 13: Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 3: Lebensphilosophie und Existenzphilosophie, C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-49275-4.
- Urs Thurnherr, Anton Hügli (Hrsg.): Lexikon Existentialismus / Existenzphilosophie, WBG, Darmstadt 2007.
- Yves Trottier, Marc Imbeault: Limites de la violence, Les Presses de l’Université Laval, Québec 2006.
- René Weiland: Philosophie der Lebensführung. Ethisches Denken zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus. transcript, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3632-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Steven Crowell: Existentialism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Douglas Burnham und George Papandreopoulos: Existentialism. In: James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.
- Online-Lernarchiv Existentialismus beim Hessischen Bildungsserver
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Jean-Paul Sartre: Ist der Existentialismus ein Humanismus? Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 11.
- ↑ Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek rororo, 1993, Seite 191.
- ↑ Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek rororo, 1993, Seite 325
- ↑ Jean-Paul Sartre: Ist der Existenzialismus ein Humanismus? Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 20.
- ↑ Albert Camus: Tagebuch: März 1951 – Dezember 1959. 3. Auflage, Neuausgabe. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1993, ISBN 978-3-499-22199-6.
- ↑ Albert Camus: Der Fremde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013, 66. Auflage, ISBN 978-3-499-22189-7, ab S. 150.
- ↑ a b Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. 19. Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018, S. 334.
- ↑ Thomas Blech: Bildung als Ereignis des Fremden. Freiheit und Geschichtlichkeit bei Jean-Paul Sartre. Tectum Verlag, 2001, ISBN 3828882846, S. 53.
- ↑ Jean-Paul Sartre: Die progressiv–regressive Methode. (Auszug, Ausgabe 1957) In: Bernhard Fetz, Wilhelm Hemecker (Hrsg.): Theorie der Biographie. De Gruyter, Berlin 2011, ISBN 9783110237634, S. 254.
- ↑ Albert Camus: Der Fremde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013, 66. Auflage, ISBN 978-3-499-22189-7, S. 159.