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„Erster Mai in Kreuzberg“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Erster-mai-20060-sponti.jpg|mini|Nicht angemeldete Demonstration am 1. Mai 2006 in [[Berlin-Kreuzberg]]]]
[[Bild:Kreuzberg-ausschreitungen.jpg|thumb|250px|Ausschreitungen nach der 1.-Mai-Demonstration 2001]]
[[Datei:Erster-mai-2006-sponti.jpg|mini|Gegner von ''[[Myfest]]'' auf einer nicht angemeldeten Demonstration am 1. Mai 2006 in Berlin-Kreuzberg]]


Der '''Erste Mai in Kreuzberg''' bezeichnet die durch [[Politische Linke|linke]] und [[Linksradikalismus|linksradikale]] Gruppen organisierten Straßenfeste und [[Demonstration]]en am [[1. Mai]], dem [[Erster Mai|Tag der Arbeit]], in [[Berlin-Kreuzberg]]. Speziell bezieht sich der Begriff auf den 1. Mai 1987, als in Kreuzberg bis dahin ungekannte schwere Unruhen ausbrachen und sich die [[Polizei Berlin|Berliner Polizei]] für mehrere Stunden vollständig aus [[Berlin SO 36|SO 36]], dem östlichen Teil Kreuzbergs, zurückziehen musste. Seitdem führten [[Autonome]] und [[Antifa]]-Gruppen fast jedes Jahr eine oder mehrere sogenannte ''Revolutionäre 1.-Mai-Demonstrationen'' durch.
Der '''Erste Mai in Kreuzberg''' bezeichnet in der Öffentlichkeit allgemein die jährlichen [[Ausschreitung]]en in [[Berlin-Kreuzberg]] am [[Tag der Arbeit]]. Öfter werden auch die Ausschreitungen in der [[Walpurgisnacht]], der Nacht zum 1. Mai, dazu gerechnet.


== Vorgeschichte ==
Speziell bezieht sich der Begriff auf den [[1. Mai]] [[1987]], als Kreuzberg Schauplatz bisher ungekannter schwerer Unruhen wurde und sich die [[Polizei]] für mehrere Stunden komplett aus [[SO 36]] zurück ziehen musste.
Schon vor 1987 war Kreuzberg für [[Straßenschlacht]]en zwischen [[Hausbesetzer]]n oder [[Autonome]]n und der Polizei bekannt. Insbesondere [[Berlin SO 36|SO 36]] war ein Schwerpunkt der autonomen Hausbesetzer- und Punk-Bewegung in Berlin. Am [[Erster Mai|Tag der Arbeit]], der häufig als weltweiter ''Kampftag der Arbeiterklasse'' bezeichnet wird, fand traditionell auf dem [[Lausitzer Platz]] ein jährliches Straßenfest statt, das unter anderem von Autonomen, der [[Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz|Alternativen Liste]] (AL) und der [[Sozialistische Einheitspartei Westberlins|Sozialistischen Einheitspartei Westberlins]] (SEW) organisiert wurde. Auch in einigen Jahren vor 1987 kam es am Rande des Straßenfestes zu kleineren Ausschreitungen, Demonstrationen und anderen politischen Aktionen. Diese waren allerdings für damalige Kreuzberger Verhältnisse eher normal und wurden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.


Neben diesen Aktivitäten aus Reihen der [[Neue Soziale Bewegungen|Neuen sozialen Bewegungen]] organisierte der [[Deutscher Gewerkschaftsbund|DGB]] die traditionelle, große Erste-Mai-Demonstration in [[West-Berlin]]. An dieser beteiligten sich in den Jahren 1986 und 1987 ein sogenannter ''Betroffenenblock'' bzw. ''Revolutionärer Block'', der die offizielle Politik der DGB-Spitze ablehnte. Er setzte sich hauptsächlich aus Personen der Neuen sozialen Bewegungen zusammen und kam auf über tausend Teilnehmer. Unter anderem wegen dessen Ablehnung der offiziellen Politik des DGB kam es in den beiden Jahren zu Polizeieinsätzen gegen den ''Betroffenenblock'', die von den Rednern des DGB begrüßt wurden.<ref name="GeInf">{{Internetquelle |url=http://www.gegeninformationsbuero.de/mai/mai2005_zeitung.pdf |titel=Geschichte des Kreuzberger 1. Mai |werk=Mai-Zeitung |seiten=4 |datum=2005-04 |format=PDF; 967&nbsp;kB |abruf=2009-05-01}}</ref>
==Chronologie==


== Erster Mai 1987 ==
===Vorgeschichte===
Der Erste Mai 1987 in Kreuzberg ist ein [[historisches Ereignis]] und wurde durch die internationale Presse weltweit bekannt. Es zog die Aufmerksamkeit einer großen Öffentlichkeit auf den Bezirk, insbesondere [[Berlin SO 36|Kreuzberg 36]].


=== Vorgeschichte des 1. Mai 1987 ===
Schon früher war Kreuzberg für [[Straßenschlacht]]en zwischen [[Hausbesetzer]]n und / oder [[Autonome]]n und der [[Polizei]] bekannt. Insbesondere [[Kreuzberg 36]] war ein Schwerpunkt der autonomen, Hausbesetzer- und Punk-Bewegung in Berlin. Am ''Tag der Arbeit'', welcher auch als weltweiter ''Kampftag der Arbeiterklasse'' bezeichnet wird, fand traditionell auf dem [[Lausitzer Platz]] ein jährliches [[Straßenfest]] der AL (Alternative Liste), SEW ([[Sozialistische Einheitspartei Westberlins]]) und anderen statt. Auch einigen Jahren vor [[1987]] kam es am Rande zu kleineren Ausschreitungen, Demonstrationen, und anderen politischen Aktionen. Diese waren allerdings für damalige Kreuzberger Verhältnisse eher normal und wurden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
Die linke Szene Berlins war 1987 durch den [[Volkszählungsboykott]] (VoBo) beherrscht, eine Kampagne gegen die [[Volkszählung]] und ein Aufruf zu deren Boykott. Das Zentrum dieses Widerstands und der linken Szene allgemein war der [[Mehringhof]] (in [[Kreuzberg 61]]), in dem sich unter anderem das ''VoBo-Büro'' befand. Am 1. Mai 1987 wurden dieses Büro und weitere Räume des Mehringshofs mit der Begründung [[Gefahr im Verzug]] um 4:45 Uhr von der Polizei aufgebrochen und durchsucht.<ref name="squat1">{{Internetquelle |url=http://squat.net/archiv/berlin/reagan87/ereignisse.html |titel=Chronik der Ereignisse in Berlin vom 1. Mai 1987 bis zum 18. Juni 1987 |werk=squat.net |seiten=1 |abruf=2009-05-01 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20090826035246/http://squat.net/archiv/berlin/reagan87/ereignisse.html |archiv-datum=2009-08-26 |offline=ja }}</ref>


Die Stimmung in Berlin war bereits aufgrund der als [[Unterdrückung|repressiv]] empfundenen Maßnahmen des [[Senat Diepgen II|CDU-geführten Senats]] und der Vorbereitungen zur [[750 Jahre Berlin|750-Jahr-Feier Berlins]] angespannt.<ref name="nadir1">{{Internetquelle |url=http://autox.nadir.org/archiv/chrono/1.mai_03.html |titel=Die Geschichte des revolutionären 1.Mai in Berlin |werk=nadir.org |abruf=2009-05-01}}</ref>
Neben diesen Aktivitäten aus Reihen der [[Neue soziale Bewegungen|neuen sozialen Bewegungen]], organisierte der [[Deutscher Gewerkschaftsbund|DGB]] die traditionelle, große ''Erste-Mai-Demonstration'' in [[Westberlin]], die nahezu immer ohne Zwischenfälle ablief.


===1987===
=== Die Ausschreitungen ===
[[Datei:1 Mai Bullenfunk.ogg|mini|Berichterstattung während der Ausschreitungen vor Bolle]]
[[Datei:Skalitzer Straße 1987 01.jpg|mini|hochkant|[[Skalitzer Straße]] mit ausgebranntem [[Bolle (Supermarkt)|Bolle]]-Supermarkt, 2.&nbsp;Mai 1987]]


Das traditionelle Straßenfest verlief zunächst friedlich, allerdings war die Stimmung innerhalb der linken Szene auf Grund der Durchsuchung des VoBo-Büros gereizt.<ref name="squat1" /> Außerdem war es bereits zu Polizeieinsätzen gegen den „Betroffenenblock“ bei der Ersten-Mai-Demonstration des DGB gekommen. Unter anderem deswegen hatte dieser unter Protesten die Demonstration des DGB verlassen und sich dem Straßenfest angeschlossen.<ref name="GeInf" />
{{überarbeiten}}


Gegen 16 Uhr wurde von Autonomen in unmittelbarer Nähe zum Straßenfest ein [[Streifenwagen]] in Abwesenheit der Beamten umgeworfen, und gegen Abend wurden zwei [[Bauwagen]] auf die Straße geschoben. Derweil vergnügten sich die meisten Besucher davon nichtsahnend auf dem Straßenfest. Die Polizei reagierte auf die vereinzelten Störungen und löste das Fest schließlich unter [[Schlagstock]]- und [[Tränengas]]einsatz auf. Daraufhin errichteten Besucher des Straßenfestes [[Barrikade]]n auf mehreren angrenzenden Straßen.<ref name="squat1" /> Die Polizei zog sich gegen 23&nbsp;Uhr bis zum frühen Morgen aus dem Gebiet um die [[Skalitzer Straße]] zurück.<ref name="Lehmann-Meyerhöfer2003">Frauke Lehmann, Norbert Meyerhöfer: ''Wünsche mir, dass es irgendwann so kracht wie früher''. In: Dieter Rucht: ''1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale''. Opladen 2003, S. 58</ref>
Der ''Erste Mai 1987 in Kreuzberg'' ist ein historisches Datum, welches bis in die internationale Presse hinein große Wellen schlug und die Aufmerksamkeit einer großen Öffentlichkeit auf den Bezirk (ins besondere ''Kreuzberg 36'') zog. Seitdem wird ''Kreuzberg'' oft als [[Synonym]] für die Ereignisse dieses Tages und den daraus entstandenen [[Mythos]] gesehen, der in ''ritualisierter'' Form bis heute fortlebt, allerdings in seiner [[Spontanität]] als ''berechenbar'' gilt.


Obwohl der [[Berliner Verkehrsbetriebe|BVG]]-Verkehr nach SO 36 eingestellt<!-- Keine reputable Quelle!<ref name="MD"/> --> und weiträumige Straßensperren errichtet wurden, gelangten den ganzen Abend weitere Personen nach Kreuzberg. Unter anderem wegen der Live-Berichterstattung des [[Freies Radio|linken Radiosenders]] [[Radio 100]] wurden viele Sympathisanten der linksradikalen Szene mobilisiert, aber auch viele [[Schaulustiger|Schaulustige]] begaben sich in das Gebiet.
====Vorgeschichte des 1. Mai 1987====


Im gesamten Gebiet wurden Barrikaden&nbsp;– u.&nbsp;a. aus Baufahrzeugen und parkenden Autos&nbsp;– errichtet und angezündet.<ref name="squat1" /> An jeder Ecke der [[Oranienstraße]] brannten große Barrikaden, die von Steine werfenden Personen verteidigt wurden. Auch [[Molotowcocktail]]s und [[Zwille]]n kamen dabei zum Einsatz. Löschfahrzeuge der [[Berliner Feuerwehr]], die die Brände löschen wollten, wurden angegriffen.<ref name="squat1" /> Bei einem dieser Zwischenfälle floh die Besatzung eines [[Feuerwehrfahrzeug]]s, welches daraufhin ebenfalls angezündet wurde und ausbrannte.<ref name="nadir1" />
Die ''linke Szene'' Berlins war [[1987]] durch den [[Volkszählungsboykott]] (''VoBo'') - eine Kampange gegen die geplante [[Volkszählung]] und zum Boykott dieser - beherrscht. Das Zentrum dieses Widerstandes und der linken Szene allgemein war der [[Mehringhof]] (in [[Kreuzberg 61]]), in dem sich das ''VoBo-Büro'' befand. Am [[1. Mai]] wurden dieses Büro und weitere Räume des Mehringshofs um 4:45 Uhr von der [[Polizei]] aufgebrochen und durchsucht, als Begründung wurde ''[[Gefahr im Verzug]]'' genannt.


Über 30 Geschäfte wurden [[Plünderung|geplündert]], darunter neben Filialen großer Einkaufsketten auch kleine [[Einzelhandel|Einzelhändler]].<ref name="nadir1" /> Die Plünderung einer Filiale der Berliner [[Bolle (Supermarkt)|Supermarktkette Bolle]] am [[U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof]] erregte besondere Aufmerksamkeit. Im Anschluss an die Plünderung wurde der Supermarkt Bolle angezündet, brannte komplett nieder und stürzte ein. Es bestand allerdings laut Angaben der Feuerwehr keine Gefährdung der umliegenden Wohnhäuser. Erst Jahre später wurde bekannt, dass der Supermarkt nicht von Mitgliedern der autonomen Szene, sondern von einem [[Pyromane]]n angezündet wurde, der nach eigenen Aussagen von den Ausschreitungen nichts mitbekommen hatte und nur zufällig nach der Plünderung an dem aufgebrochenen Supermarkt vorbeigekommen war.<ref name="plarre">{{Internetquelle |autor=Plutonia Plarre |url=https://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/0,1518,480206,00.html |titel=„Ich war der Feuerteufel“ |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2007-05-01 |abruf=2009-05-01}}</ref>
Neben den bundesweit bedeutsamen Volkszählungsboykott gab es noch lokale Auseinandersetzung, um den alternativen [[Kinderbauernhof]] nahe der [[Berliner Mauer]] in der [[Waldemarstraße]], der durch den [[Berliner Senat]] in seiner Existenz bedroht war. Dies rief den Widerstand der dort engagierten Menschen und der ''linken Szene'' hervorrief. Zur Unterstützung des Kinderbauernhof wurde daher durch Mitglieder der [[autonome]]n Bewegung eine [[Spontandemonstration]] am 1. Mai vom Straßenfest auf dem [[Lausitzer Platz]] aus geplant. Diese fand auch wie geplant statt, allerdings mit ungeahnten Folgen.


Der [[U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof]], ein Zentrum der Unruhen, wurde angezündet. Auf die damals noch gusseisernen Streben der [[U-Bahn Berlin|Hochbahn]] trommelten stundenlang hunderte Menschen, um Lärm zu erzeugen. Der Bahnhof musste auf Grund der Beschädigungen für mehrere Wochen geschlossen werden.
====Das Straßenfest====


=== Beendigung der Ausschreitungen durch die Polizei ===
Das traditionelle Straßenfest war an diesem sonnigen Tag völlig friedlich. Angehörige der ''linken Szene'' waren aber wütend über die Durchsuchung des VoBo-Büros und die Demonstration zum Kinderbauernhof war auch noch geplant (das war und ist nicht allgemein bekannt).
Die Beendigung der Ausschreitungen durch die Polizei wurde durch zwei Faktoren begünstigt: [[Ethanol|Alkohol]] und [[Müdigkeit]]. Durch die Plünderungen der Getränkeregale waren viele Akteure volltrunken. Zwischen zwei und drei Uhr nachts am 2. Mai 1987 startete die Polizei einen Gegenangriff. Unter Einsatz von [[Wasserwerfer]]n und [[Sonderwagen|Räumfahrzeugen]] rückte sie gegen die brennenden Barrikaden und die noch verbliebenen Personen vor. Das durch seine Weitläufigkeit für die Autonomen schwierig zu haltende Gebiet des [[Kottbusser Tor]]s konnte ebenso befriedet werden wie die Adalbert- und die Oranienstraße. Auch der Widerstand am Görlitzer Bahnhof und dem Lausitzer Platz brach allmählich zusammen.


Über hundert Personen wurden verletzt<ref name="nadir1" /> und 47 Personen festgenommen.<ref name="Lehmann-Meyerhöfer2003" /> Darunter befand sich auch [[Norbert Kubat]], der sich in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai im Gefängnis das Leben nahm, nachdem er am Morgen des 2. Mai beim Trampen auf der [[Skalitzer Straße]] von [[Zivilfahnder]]n mitgenommen und in Untersuchungshaft genommen worden war. Als Reaktion auf den Suizid gab es noch in der Nacht einen Brandanschlag auf die [[Bilka]]-Filiale an der Kottbusser Brücke, und am 28. Mai fand ein Trauermarsch mit ungefähr 1.500 Teilnehmern statt.<ref name="squat2">{{Internetquelle |url=http://squat.net/archiv/berlin/reagan87/ereignisse2.html |titel=Chronik der Ereignisse in Berlin vom 1.5.1987 bis zum 18.6.1987 |werk=squat.net |seiten=2 |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20090425132607/http://squat.net/archiv/berlin/reagan87/ereignisse2.html |archiv-datum=2009-04-25 |abruf=2009-05-01}}</ref>
Gegen 16 Uhr kippte die Situation durch einen unerwarteten Anlass. Die [[Polizei]] (welche nicht auf die folgenden Ereignisse vorbereitet war, und sich im Hintergrund hielt) schickte nach dem Anruf eines Anwohners des [[Lausitzer Platz]]es einen [[Streifenwagen]] (einen ''VW-Bus'') zu ebendiesem Anrufer, der sich über den ''Lärm'' beschwert hatte, den dieses Straßenfest verursachte. Es war zwar angemeldet und auch bekannt, dass dort Bands auf einer Bühne auftreten, aber die Polizei kam ihrer Aufgabe nach, die Beschwerde entgegen zu nehmen.


=== Reaktionen ===
Die beiden Beamten parkten ihren Wagen direkt am Lausitzer Platz (Ecke [[Skalitzer Straße]]) und gingen zu diesem Anwohner ins Haus. Als sie zurückkehrten, lag der Wagen auf der Seite. Einige [[Autonome]] hatten ihn umgeworfen. Dies gilt allgemein als der ''Auftakt'' des folgenden Ablaufs, aber es trat erst eine Verzögerung ein. Die Polizei reagierte zunächst ''nicht'' direkt auf diese Tat, sondern fuhr in den Seitenstraßen mit Verstärkung auf, was aber von den Festbesuchern nicht wahrgenommen wurde.
Als staatliche Reaktion auf die Ausschreitungen wurde die Spezialeinheit ''[[Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training]]'' (EbLT) der Berliner Polizei aufgestellt. Diese erhielt eine besondere Ausstattung für den Straßenkampf, um bei gewalttätigen demonstrativen Aktionen „beweissichernde Festnahmen“ vornehmen und im Zentrum des Geschehens offensiv handeln zu können. Allerdings stand diese nach wenigen Einsätzen stark in der Kritik. Ihr wurden sowohl aus dem politisch alternativen Spektrum, der Medienöffentlichkeit, als auch staatlicher Institutionen unverhältnismäßige Einsätze gegen Demonstrationsteilnehmer vorgeworfen. Daraufhin wurde sie im Januar 1989 aufgelöst.


Innerhalb der autonomen Bewegung war die Interpretation der Ereignisse umstritten: „Die Einschätzungen schwankten zwischen der Begeisterung, die Polizei so lange aus dem Kiez herausgehalten zu haben und über die Tatsache, daß sich so viele Menschen an der Revolte beteiligt haben, und der Meinung, es seien völlig entpolitisierte Aktionen gewesen.“<ref name="Schultz-Gross1997">Thomas Schultz, Almut Gross: ''Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung''. Hamburg 1997, S. 80</ref> Es wurden Alkoholmissbrauch, [[Sexismus|sexistische]] Anmache, Plünderung kleinerer Geschäfte und die Gefährdung anderer Personen kritisiert. „Während einige Autonome die Revolte im großen und ganzen billigten und die negativen Erscheinungen damit erklärten, daß sich die Menschen mit ihrer ganzen Sozialisation nicht über Nacht ändern könnten und die Subjektivität der Menschen in der Revolte Ausdruck des gesellschaftlichen Zustands sei, schätzten andere die Revolte als ‚Aufstand der Arschlöcher‘ ohne jeglichen politischen Hintergrund ein.“<ref name="Schultz-Gross1997" />
Einige Zeit später formierte sich an der Ecke Lausitzer Platz / [[Waldemarstraße]] die Demonstration zum Kinderbauernhof. Die Atmosphäre war durch die Ereignisse des Morgens und durch die Aktion mit dem umgeworfenen Polizeiauto zusätzlich diffus. Viele Festbesucher wussten nicht, worum es geht, sondern sahen darin nun den Übergang zu einer allgemeinen [[Straßenschlacht]].


== Erster Mai 1988 ==
Der Demonstrationszug war gerade losgelaufen, als an der nächsten Ecke ein überraschter Mannschaftswagen der Polizei heranfuhr. Dieser wurde sofort mit [[Pflasterstein]]en beworfen, und zog sich eilig zurück.
Aufgrund der negativen Erfahrungen mit einem „Revolutionären Block“ innerhalb der Ersten-Mai-Demonstration des DGB und der positiven Erfahrungen einer Mobilisierung innerhalb des „eigenen Kiezes“ wurde 1988 von Mitgliedern der autonomen Bewegung eine sowohl räumlich als auch politisch eigenständige sogenannte ''Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration'' durch die Bezirke Kreuzberg und Neukölln organisiert. Unter dem [[Slogan|Motto]] ''Heraus zum revolutionären 1.&nbsp;Mai'' sowie dem Zitat [[Rosa Luxemburg]]s „Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark“ konnten trotz polizeilicher Gegenmaßnahmen im Vorfeld über 6000&nbsp;Menschen mobilisiert werden. Während die Demonstration friedlich verlief, kam es nach Ende des Straßenfestes auf dem [[Lausitzer Platz]] zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten.<ref name="GF">{{Literatur |Autor=Geronimo |Titel=Feuer und Flamme. Zur Geschichte der Autonomen |Auflage=1. |Verlag=Edition ID-Archiv |Ort=Berlin/Amsterdam |Datum=1990 |ISBN=3-89408-004-3 |Seiten=93, 183 f. |Online=[http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/geronimo_flamme.pdf nadir.org] |Format=PDF |KBytes= |Abruf=2009-05-01}}</ref> Im Nachhinein gab es massive Kritik gegen die eingesetzte Polizei, insbesondere gegen die EbLT, der unverhältnismäßige Gewalt vorgeworfen wurde. Dabei wurde unter anderem darauf verwiesen, dass drei [[Polizeiführer]], die den Einsatz beobachtet haben, selbst Opfer von Übergriffen durch [[Polizeivollzugsbeamter|Polizeivollzugsbeamte]] wurden und leichte Verletzungen davontrugen. Die Ausschreitungen sollen noch stärker als 1987 durch Jugendliche, Touristen und Betrunkene und nicht durch Autonome bestimmt worden sein.<ref name="nadir1" />


== Erster Mai 1989 ==
Auf dem Straßenfest bauten die ersten Standbetreiber bereits Barrikaden aus ihren Ständen. ''Das'' war der Auftakt zu etwas, was [[West-Berlin]] in der [[Nachkriegszeit]] in der Form und dieser Gewalt noch nicht erlebt hat.
Im Jahr 1989 versuchte der [[Senat Momper|erste rot-grüne Senat]] in Berlin, den 1.&nbsp;Mai durch politische und polizeiliche Zurückhaltung zu entschärfen. Sowohl die umstrittene EbLT als auch die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft waren im Vorfeld aufgelöst worden. Allerdings war die Stimmung innerhalb der linksradikalen Bewegung durch den Hungerstreik der Gefangenen der [[Rote Armee Fraktion|RAF]] und die Festnahme zweier Berliner wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der [[Militanz|militanten]] Frauengruppe ''Die Amazonen'' aufgeheizt. Außerdem wurde eine grundsätzliche Ablehnung eines „rot-grün verwalteten Staatsapparates“ betont. Bereits in der Nacht zum ersten Mai wurden ein Gebäude in der [[Oranienstraße]]&nbsp;192 [[Hausbesetzung|besetzt]] und zwei Geschäfte geplündert. Dabei kam es zu Wasserwerfer-Einsätzen der Polizei sowie 16&nbsp;Festnahmen. Die Polizei erklärte allerdings, das besetzte Haus vorerst nicht zu räumen. An der ''Revolutionären 1.-Mai-Demonstration'' am nächsten Tag nahmen etwa 10.000&nbsp;Menschen teil. Die Polizei verhielt sich während der Demonstration sehr zurückhaltend. Selbst nachdem aus der Demonstration heraus mehrere [[Erotikshop]]s zerstört, ein Supermarkt geplündert, ein [[Mülltonne|Müllcontainer]] angezündet und ein weiteres Kaufhaus geplündert wurden, beschränkte sich die Polizei auf ein massives [[Spalier]].


Nachdem die Demonstration beendet war und die Teilnehmer sich in großer Zahl zum Straßenfest auf dem Lausitzer Platz bewegten, kam es auch dort zu Zusammenstößen. Zunächst hielt sich die Polizei zurück und bat nur per Lautsprecheransage, den Bewurf mit Steinen einzustellen, räumte dann allerdings das Straßenfest unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern. Die Intensität der sich anschließenden [[Vandalismus|Randale]] überstieg selbst die des 1.&nbsp;Mai 1987. Schätzungen sprachen im Anschluss von über 1500&nbsp;Personen, die sich an den Ausschreitungen beteiligt haben sollen. Zeitweise waren selbst größere Polizeieinheiten eingeschlossen, die sich gezwungen sahen, selber mit Steinen zu werfen, da sie sonst, nach eigener Aussage, nur noch hätten schießen können. Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren richtete sich die Gewalt kaum gegen Geschäfte, sondern gezielt gegen die Polizei. Von den 1600 eingesetzten Polizisten wurden 346 verletzt. Der Sachschaden wurde auf 1,5&nbsp;Millionen [[Deutsche Mark|DM]] geschätzt. Allein der Schaden an 154&nbsp;Fahrzeugen der Polizei betrug 530.000&nbsp;DM. Am nächsten Tag titelte die ''[[B.Z.]]'': „Beirut??? Nein, das ist Berlin!“<ref name="GeInf" />
====Der Aufstand====


Innerhalb der autonomen Bewegung wurden die Ereignisse im Anschluss kontrovers diskutiert und zum Teil auch kritisiert. Thematisiert wurden der Bruch zu liberaleren Linken, der Sinn der Ausschreitungen und die Frage, ob diese noch politisch steuerbar seien oder ob es sich allein um sich austobende „Männergewalt“ handle. Am 10. Mai organisierte die [[Gewerkschaft der Polizei]] eine Demonstration gegen Innensenator [[Erich Pätzold (Politiker)|Erich Pätzolds]] Strategie der [[Deeskalation]] und die Gewalt am 1.&nbsp;Mai. Später wurde vermutet, dass vor allem der den [[Die Republikaner|Republikanern]] nahestehende leitende Polizeidirektor Heinz Ernst bewusst nachlässig gehandelt hatte, um Pätzold und seine Deeskalationsstrategie zu [[Verruf|diskreditieren]].<ref name="nadir1" /><ref>{{Der Spiegel |ID=13494521 |Titel=Tuckernder Trabi |Jahr=1989 |Nr=20}}</ref>
Die folgenden Ereignisse als [[Ausschreitung]]en zu klassifizieren, wäre stark untertrieben. Es ist umstritten, ob es sich hierbei um [[Unruhe]]n oder aber einen [[Aufstand]] gehandelt habe. Durch die historische, räumliche und bevölkerungsmäßige Dimension ist Aufstand nicht übertrieben (und wurde in den Medien damals auch durchaus so gesehen: ''bürgerkriegsähnliche Szenen''). Das einzige was als Kriterium hierfür fehlte, war der Einsatz von Schusswaffen auf beiden Seiten. Ansonsten wurden die Auseinandersetzungen auf beiden Seiten mit ungewöhnlicher Härte geführt, wobei sich breite Kreise der Bevölkerung von [[SO 36]] und anderen Bezirken beteiligten.


== Erster Mai 1990 ==
Die Situation war durch den Rückzug der Polizei und völlig unerwarteten Barrikadenbau auf dem Straßenfest außer Kontrolle. Hilflos musste die Polizei den Ortsteil [[SO 36]] für mehrere Stunden (ungefähr 6 Stunden) sich selbst überlassen. Ein beispielloser Gewaltexzess entlud sich an zahllosen Geschäften, die geplündert wurden. An jeder Straßenecke wurden brennende Barrikaden errichtet.
Der 1. Mai 1990 war durch die [[Deutsche Wiedervereinigung|Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten]] und den dabei aufkommenden [[Nationalismus]] gekennzeichnet. Davon zeugte auch das Motto der ''Revolutionären 1.&nbsp;Mai-Demonstration'': „Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich!“ Gleichzeitig lasteten die Ereignisse des Jahres 1989 als Hypothek auf den Vorbereitungen. Im Vorfeld gab es in den Medien negative Berichterstattung gegen die linksradikale Szene. Die linke Bewegung versuchte mit einer engen Koordination zwischen der Organisation des Straßenfestes und der Demonstration sowie politischen Aktionstagen im Vorfeld dieser Situation zu begegnen.


An der Demonstration nahmen etwa 12.000&nbsp;Menschen teil. Zusätzlich fand eine weitere Demonstration in [[Ost-Berlin]] mit 2.000 Teilnehmern statt. Im Gegensatz zu 1989 verlief die Demonstration weitgehend friedlich. In [[Berlin-Neukölln]] wurden allerdings mehrere Personen verletzt, als die Demonstration aus einem Wohnhaus heraus mit einem [[Luftgewehr]] beschossen wurde. Obwohl das Straßenfest verboten war, verlief auch dieses friedlich. Trotz oder gerade wegen des massiven Auftretens der Polizei, die 3800 Beamte im Einsatz hatte, kam es erst am Abend zu nennenswerten Zusammenstößen. Diese waren in ihrer Intensität und Dauer allerdings nicht mit denen der vorherigen Jahre vergleichbar. Die Beteiligung lag mit geschätzten 500&nbsp;Personen deutlich unter der des Vorjahres. Während Innensenator Pätzold den verhältnismäßig friedlichen Verlauf seinem Konzept der „Deeskalation und Präsenz“ zugute schrieb, wurde durch die autonome Szene im Verhalten der Polizei erst der Auslöser für die Ausschreitungen gesehen. Wie bereits in den Vorjahren wurde eine unverhältnismäßige Gewalt der Polizei kritisiert. Für einen Übergriff von Polizisten gegen zwei Pressefotografen und ein Kamerateam des [[Sender Freies Berlin|SFB]] musste sich Innensenator Erich Pätzold öffentlich entschuldigen. Unter anderem vom [[Allgemeiner Studierendenausschuss|AStA]] der [[Technische Universität Berlin|Technischen Universität]] wurden die Medien auf Grund ihrer Berichterstattung im Vorfeld des 1. Mai für die Schüsse auf die Demonstration mitverantwortlich gemacht. Hierbei wurden Parallelen zum Mord an [[Rudi Dutschke]] gezogen. Die Autonomen bewerteten den Tag als Erfolg, da sowohl die Demonstration als auch das Straßenfest durchgesetzt werden konnten und die Anzahl der Demonstranten weiter gestiegen war.<ref name="nadir1" />
Um die Situation einzudämmen, beschloss der [[Senat]], zumindest den [[Berliner Verkehrsbetriebe|BVG]]-Verkehr nach ''36'' einzustellen, damit kein Nachschub mehr ins aufständische Gebiet gelangt. Gleichzeitig gab es weiträumige [[Straßensperre]]n. Dennoch konnten den ganzen Abend weitere Westberliner nach Kreuzberg gelangen, denn die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und zog auch viele unbeteiligte Beobachter an. Auch der damals noch existente legale linke Radiosender "Radio 100" spielte in diesem Kontext, eine nicht zu unterschätzende Rolle (Live Berichterstattung).


== 1990er Jahre ==
=====Görlitzer Bahnhof=====
[[Datei:Kreuzberg-ausschreitungen.jpg|mini|1. Mai 2001 in Kreuzberg am [[Mariannenplatz (Berlin)|Mariannenplatz]]]]
[[Datei:1mai xberg.jpg|mini|Polizeipräsenz am [[U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof]], 1. Mai 2004]]
[[Datei:Banner2007Mai1.jpg|mini|hochkant|Transparent zur 13-Uhr-Demonstration 2007 in der [[Oranienstraße]]]]
[[Datei:Kreuzberg 1 mai 2009.jpg|mini|Während der Krawalle am 1. Mai 2009 am [[Kottbusser Tor]]]]


Die ''Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen'' in den Jahren 1991, 1992 und 1993 waren durch Konflikte über das Ost-West-Verhältnis und der Haltung zu [[Stalinismus|stalinistischen]] bzw. [[Marxismus-Leninismus|marxistisch-leninistisch]] orientierten Gruppen geprägt. Der Konflikt über das Ost-West-Verhältnis machte sich insbesondere an der Frage der Route fest: Während 1991 und 1993 die Demonstration von Kreuzberg aus in die [[Ost-Berlin]]er Bezirke führte (1991 nach [[Berlin-Friedrichshain|Friedrichshain]]; 1993 nach [[Berlin-Prenzlauer Berg|Prenzlauer Berg]]), ging die Demonstration 1992 durch die westlichen Bezirke Kreuzberg und [[Berlin-Neukölln|Neukölln]] sowie den östlichen Bezirk [[Berlin-Mitte|Mitte]].
Waren die [[Ausschreitungen]] zunächst auf den [[Lausitzer Platz]] beschränkt, so verlagerte sich die Szene, bzw. breitete sich auf diverse weitere Plätze und Straßenzüge aus. Das erste Geschäft, welches geplündert wurde, war ''Getränke Hoffmann'' nahe des Platzes, [[Waldemarstraße|Waldemar-]] Ecke [[Manteuffelstraße]]. Dieser sorgte für alkoholischen Nachschub für das Straßenfest, welches unter veränderten Umständen weiter ging.


Der Konflikt zwischen [[Undogmatische Linke|undogmatisch-autonomen]] Gruppen und dem marxistisch-leninistischen [[Revolutionäre Kommunisten|Revolutionary International Movement]] (RIM) eskalierte. Es kam in den drei Jahren zu [[Schlägerei|körperlichen Auseinandersetzungen]], bei denen einige Personen schwer verletzt und der Lautsprecherwagen der RIM zerstört wurde. Während die RIM in den Jahren 1991 und 1992 trotzdem an der Demonstration teilnehmen konnte, wurde sie 1993 nach kurzer Zeit aus der Demonstration gedrängt. Trotz dieser Konflikte nahmen in den drei Jahren jeweils zwischen 10.000 und 15.000 Personen an den Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen teil. Im Jahr 1994 führte der Konflikt schließlich zum Zerfall des Revolutionären 1.&nbsp;Mai: Während die RIM seitdem jedes Jahr eine eigenständige Demonstrationen um 13&nbsp;Uhr am [[Oranienplatz]] mit 1000–2000 Teilnehmern durchführt, organisierten undogmatisch-autonome Gruppen 1994 und 1995 keine Demonstration.<ref name="Lehmann-Meyerhöfer2003-2">Lehmann, Meyerhöfer 2003: 61</ref> Stattdessen organisierte 1994 die Kreuzberger Spaßpartei [[Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum]] (KPD/RZ) am Abend eine Demonstration unter dem Motto „Gegen nächtliche Ruhestörung und sinnlose Gewalt“, an der 2.500 Personen teilnahmen.<ref name="nadir1" /> Ostern 1995 wurde u.&nbsp;a. als Reaktion auf die Krise des ''Revolutionären 1. Mai'' in Berlin der ''Autonomie-Kongress'' durchgeführt.<ref name="Autonomie-Kongress">''Autonomie-Kongress. Standpunkte – Provokationen – Thesen der undogmatischen linken Bewegungen''. Münster 1997</ref>
Nahe des ''Lauseplatzes'' befindet sich der ''Görli'' (Volksmund für [[Görlitzer Bahnhof]]). Der dortige [[U-Bahnhof]] (der [[Hochbahn]]) wurde im Laufe des Abends so sehr zerstört, dass es Wochen brauchte, bis er wieder in Betrieb genommen werden konnte.


Eine Wieder- bzw. Neubelebung des Revolutionären 1. Mai wurde 1996 insbesondere durch die [[Antifaschistische Aktion Berlin]] (AAB) betrieben. Aufgrund der Konflikte Anfang der 1990er Jahre organisierte das undogmatisch-autonome Spektrum getrennt von der RIM eine eigene ''Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration''. An dieser beteiligten sich in den folgenden Jahren regelmäßig zwischen 8.000 und 15.000 Personen. 1996 und 1998 führte sie durch den Ost-Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg, damals einer beliebten Wohngegend der radikalen Linken. In den anderen Jahren begann sie in Kreuzberg und endete teilweise in Mitte. 1998 wurde der Beginn der Demonstration erstmals auf 18&nbsp;Uhr verlegt. Grund war das Ermöglichen der Teilnahme an den Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 1.&nbsp;Mai in [[Leipzig]].<ref>[http://autox.nadir.org/archiv/chrono/1.mai_03.html#98 ''Die Geschichte des revolutionären 1. Mai in Berlin.''] In: ''[[Nadir (Internetportal)|Nadir]]'', 1998.</ref><ref>[http://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/aufrufe/mai98.htm ''Aufruf zu Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch am 1. Mai in Leipzig.''] In: ''[[Nadir (Internetportal)|Nadir]]''.</ref> Seitdem findet sie regelmäßig um 18&nbsp;Uhr statt.
Gegenüber vom U-Bahnhof befand sich damals ''Bolle'', eine Filiale der Berliner [[Bolle (Supermarkt)|Supermarktkette Bolle]]. Dieser Supermarkt wurde komplett geplündert, wobei sich daran Menschen aus unterschiedlichsten Bevölkerungskreisen und Altersgruppen beteiligten. Dies zog eine hohe Aufmerksamkeit auf sich - selbst der [[Innensenator]] ließ sich vorfahren, wurde allerdings von den Akteuren nicht erkannt. Im Anschluß an die Plünderung wurde der Supermarkt angezündet, brannte komplett aus, stürzte ein und wurde nie wieder aufgebaut. Es bestand allerdings laut Angaben der Feuerwehr keine Gefährdung der umliegenden Wohnhäuser, da der Supermarkt ein isolierter Flachbau war und zu dem angrezenden Wohnhaus eine Brandmauer bestand. Die Ruine bzw. das Brachgelände gilt als ''das'' Mahnmal an diesen Tag. Erst Jahre später wurde bekannt, dass er nicht durch Mitglieder der autonomen Szene, sondern durch einen [[Pyromane|Pyromanen]] angezündet wurde, der nach eigenen Aussagen von den Ausschreitungen nichts mitbekommen haben will und nur zufällig nach der Plünderung an dem aufgebrochenen Supermarkt vorbei gekommen sei.


1999 setzte man erstmals [[Anti-Konflikt-Team]]s aus speziell geschulten Polizeibeamten ein, die [[Deeskalation|deeskalierend]] wirken sollen. Das Konzept erwies sich als erfolgreich und wurde später für andere Veranstaltungen und in andere Bundesländer übernommen.
Auch Zigarettenautomaten, [[Kaugummiautomat]]en, Bushaltestellen, Ampeln und Telefonzellen wurden bei den Ausschreitungen zerstört.


== Seit 2000 ==
=====Oranienstraße=====
2001 wurde die ''Revolutionäre 1. Mai-Demonstration'' um 18&nbsp;Uhr zum ersten und bisher einzigem Male polizeilich verboten. Nach Beendigung der Demonstration um 13&nbsp;Uhr kam es in Kreuzberg zu mehreren spontanen Aufzügen. Die Räumung des Straßenfestes auf dem Mariannenplatz führte zu heftigen Straßenschlachten am Abend.<ref name="taz2001">''Schlachtfest in Kreuzberg''. In: ''[[Die Tageszeitung|taz]]'', 2. Mai 2001</ref> Bereits 1998 und 2000 waren Teile der Route per Auflage untersagt worden.


Als Reaktion auf die Ereignisse 2001 schlug ein Bündnis um den FU-Professor [[Peter Grottian]] 2002 das Konzept „Denk Mai Neu“ vor. Dieses sah vor, in SO&nbsp;36 „ein großes Fest mit Diskussions-, Informations- und Kulturveranstaltungen an allen Straßenecken stattfinden“ zu lassen. Gleichzeitig solle sich die Polizei vollständig aus dem Bereich zurückziehen. Die Pläne stießen auf heftige Kritik eines Teils der radikalen Linken. Die Beteiligung der AAB an dem Konzept führte zur Spaltung des Vorbereitungskreises ''Revolutionären 1. Mai''-Demonstration um 18 Uhr.<ref>''Jedes Jahr was Neues''. In: ''[[Jungle World]]'', 27. Februar 2002</ref> In der Folge fanden – neben der 13-Uhr-Demonstration – zwei Demonstrationen statt.<ref>[https://www.berliner-zeitung.de/1--mai---die-polizei-muss-in-diesem-jahr-42-veranstaltungen-schuetzen--mehr-als-5-000-beamtewerden-im-einsatz-sein--die-kreuzberger-bringen-schon-mal-ihre-autos-in-sicherheit--weniger-polizisten-fuer-mehr-demonstrationen-16145832 ''Weniger Polizisten für mehr Demonstrationen''.] In: ''[[Berliner Zeitung]]'', 30. April 2002</ref> Auch 2003 kam es u.&nbsp;a. in Folge der Spaltung der AAB zu zwei getrennten Demonstrationen.<ref>''Ein Frage der Spaltung''. In: ''[[Jungle World]]'', 14. Mai 2003</ref>
Die [[Oranienstraße]] ist bekannt dafür, dass sich hier die ''linke Szene'' versammelt, wenn es Grund für eine [[Demonstration]] gibt. Insbesondere [[Spontandemonstration]]en nehmen von ihr ihren Ausgang. Bekannt sind hierfür die drei Orte [[Heinrichplatz]], [[Adalbertstraße|Adalbert-]] Ecke [[Oranienstraße]] und der [[Oranienplatz]] - oft auch das nahe [[Kottbusser Tor]]. Diese vier Punkte spielen auch heute noch in der [[Strategie]] und [[Taktik]], sowohl der [[Polizei]] als auch der [[Demonstrant]]en, eine wichtige Rolle.


Seit 2003 versucht die Polizei Ausschreitungen entgegenzuwirken, indem sie alternative Veranstaltungen fördert. Diese Vorgehensweise ist Teil des 1999 erstmals umgesetzten [[Aha-Konzept]]es, welche unter anderem das alljährliche Kreuzberger Straßenfest ''[[Myfest]]'' unterstützt. Das ''Myfest'' findet im traditionellen Zentrum der Ausschreitungen in SO&nbsp;36 statt und soll diese durch die Anwesenheit zehntausender friedlicher Besucher im Keim ersticken, in den letzten Jahren offenbar mit einigem Erfolg. Die Intensität der Gewalt hat deutlich abgenommen. Gleichwohl kommt es nach wie vor in jedem Jahr zumindest zu kleineren Ausschreitungen im Umfeld des ''Myfestes''. Von den Organisatoren der ''Revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen'' wird das ''Myfest'' als Instrument zur Befriedung der sozialen Konflikte und zur Unterbindung der linksradikalen Demonstrationen kritisiert. Räumliche Überschneidungen der Demonstrationen mit dem ''Myfest'' führten teilweise zu Verboten einiger Abschnitte der angemeldeten Demonstrationsrouten. 2005 und 2006 wurden die Demonstrationen um 18 Uhr von den Veranstaltern daher abgesagt, da sie die räumlichen Auflagen als nicht hinnehmbar ansahen. In der Folge bildeten sich in beiden Jahren spontane Demonstrationen. Seit 2012 findet im Vorfeld der 18-Uhr-Demonstration regelmäßig eine öffentlich mobilisierte, jedoch nicht angemeldete Demonstration durch das Myfest zum Startpunkt der 18-Uhr-Demonstration statt.<ref name="tagesspiegel-9833138">{{Internetquelle |autor=Jörn Hasselmann |url=https://www.tagesspiegel.de/berlin/1-mai-in-berlin-polizei-zufrieden-und-gluecklich-nach-grosseinsatz/9833138.html |titel=Polizei „zufrieden und glücklich“ nach Großeinsatz |werk=[[Tagesspiegel Online]] |datum=2014-05-02 |abruf=2017-08-25}}</ref>
Am Abend des ''Ersten Mai 1987 in Kreuzberg'' war rings um die Oranienstraße ein weiteres Zentrum der Auseinandersetzungen. Auch hier wurden Geschäfte - wie zum Beispiel der Supermarkt ''Plus'' am Oranienplatz - geplündert. Der Laden ''Plus'' wurde vom Treppenaufgang zur darüberliegenden damaligen Disco Trash geöffnet. Die Rollos zur Straße waren unversehrt.


Seit 2007 finden wieder regelmäßig angemeldete ''Revolutionäre 1. Mai-''Demonstrationen statt. Die Anzahl der Teilnehmer stieg kontinuierlich und erreichte 2014 mit 19.000 (Angaben der Polizei) bzw. 25.000 (Angaben der Veranstalter) Personen ihren Höchststand.<ref>Claudia Wrobel, Martin Dolzer: [https://www.jungewelt.de/artikel/219320.krise-im-mittelpunkt.html ''Krise im Mittelpunkt''.] In: ''[[junge Welt]]'', 3. Mai 2014</ref> Die Intensität der Ausschreitungen nimmt gleichzeitig kontinuierlich ab.<ref>[https://www.tagesspiegel.de/berlin/1-mai-in-berlin-polizei-zufrieden-und-gluecklich-nach-grosseinsatz/9833138.html ''Polizei „zufrieden und glücklich“ nach Großeinsatz''.]</ref> Zuletzt war es 2009 zu massiven Angriffen auf die Polizei aus dem Demonstrationszug heraus gekommen.<ref>Jörn Hasselmann: [https://www.tagesspiegel.de/berlin/1-mai-in-berlin-politik-statt-pflasterstein/9812920.html ''1. Mai in Berlin: Politik statt Pflasterstein''.] In: ''[[Der Tagesspiegel]]'', 27. April 2014. Philipp Wittrock: [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mai-randale-in-berlin-krawalle-erschuettern-kreuzberg-a-622415.html ''Mai-Randale in Berlin: Krawalle erschüttern Kreuzberg''.] Bei: ''[[Spiegel Online]]'', 2. Mai 2009</ref>
An jeder Ecke der Oranienstraße brannten große Barrikaden, welche nur Stunden später mit [[Räumpanzer]]n und [[Wasserwerfer]]n entfernt werden konnten. Diese Barrikaden wurden zudem von Steine werfenden Personen verteidigt. Auch [[Molotowcocktail]]s kamen zum Einsatz. Auch hier war die Beteiligung keineswegs auf die [[Autonome]]nszene beschränkt.


Am 1. Mai 2020 während der [[COVID-19-Pandemie in Berlin|COVID-19-Pandemie]] versammelten sich mehrere tausend Menschen ohne Genehmigung. Sie folgten einem Aufruf der Initiative ''Revolutionärer 1. Mai''.<ref name="rbb0105">{{Internetquelle |url=https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/05/polizei-mai-berlin-kreuzberg-friedrichshain-demonstration-demo-corona-coronavirus.html |titel=Tausende Menschen ziehen dicht an dicht durch Kreuzberg |titelerg=1. Mai in Berlin |hrsg=rbb24.de |datum=2020-05-02 |abruf=2020-05-02 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20200501192214/https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/05/polizei-mai-berlin-kreuzberg-friedrichshain-demonstration-demo-corona-coronavirus.html |archiv-datum=2020-05-01 |offline=ja }}</ref> Mit Straßensperren wurden von 5000 Polizeibeamten Demonstrationszüge verhindert.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/mehr-als-1000-menschen-bei-unerlaubten-maifeiertag-protesten-in-berlin-16750713.html |titel=Mehr als 1000 Menschen bei unerlaubten Protesten |titelerg=Demos am 1. Mai in Berlin |hrsg=faz.net |datum=2020-05-02 |abruf=2020-05-02}}</ref> Es kam zu Rangeleien zwischen Polizei und den Demonstranten, dem Zünden von Pyrotechnik, leichten Verletzungen und 50 Festnahmen.
Neben den Plünderungen der kleinen Geschäfte verdeutlicht eine andere Tat am [[Heinrichplatz]] die gewaltätigen Auseinandersetzungen: Ein [[Rüstwagen]] der [[Berliner Feuerwehr]], der einen Brand auf der Straße löschen wollte, wurde mit Steinen beworfen, weswegen die Besatzung geflohen ist. Der große Wagen wurde angezündet und brannte aus. Neben dem ''brennenden Bolle am Görli'' ging dieses Bild um die Welt. Foto-Medial ausgeschlachtet wurde auch das Foto einer sog. „[[Citroën 2CV|Ente]]“ ([[Citroën]]) an der Kreuzung Görlitzer Bahnhof auf der nördlichen Seite der U-Bahn. Angeblich handelte es sich um ein Autowrack, welches schon längere Zeit dort gestanden haben soll.


2021 kam es am 1. Mai abends bei einer Demo unter dem Motto „Streiken, besetzen, enteignen – Kapitalismus überwinden“ zu Ausschreitungen, nachdem der schwarze Block wegen Verstößen gegen die [[COVID-19-Pandemie#Maßnahmen in der EU|Corona-Schutzmaßnahmen]] von der Polizei ausgeschlossen wurde. An der Spitze des Kundgebungszuges wurden aus einer Gruppe heraus [[Geschichte des Antisemitismus seit 1945|antisemitische]] und [[israel]]&shy;feindliche Parolen gerufen. Flaschen und Steine wurden geworfen sowie Papiercontainer und Müllbehälter in Brand gesetzt. Nach vorläufigen Zahlen wurden laut Polizeiangaben mindestens 30 Polizisten verletzt und 240 Personen festgenommen.<ref>Alexander Fröhlich, Julius Geiler, Madlen Haarbach, Christoph Kluge, Nicolas Lepartz, Lukas Wittland: [https://www.tagesspiegel.de/berlin/fahrradkorso-querdenker-linke-30-000-menschen-demonstrieren-am-1-mai-in-berlin/27150430.html ''30.000 Menschen demonstrieren am 1. Mai in Berlin''.] Bei: ''[[Tagesspiegel Online]]'', 2. Mai 2021</ref>
=====Ende=====


2024 galt weithin als vorläufiges Ende der traditionellen revolutionären 1.-Mai-Demonstration. Zwar liefen noch 12.000 Menschen weitgehend friedlich durch die Berliner Bezirke Kreuzberg-Friedrichshain und Neukölln, allerdings nicht mehr als linksautonom dominierte, kapitalismuskritische, sondern weitgehend inhaltsleere Kundgebung „in Solidarität mit den Menschen in Gaza“ mit vereinzelten antisemitischen Sprechchören.<ref>{{Internetquelle |autor=Martin Brandt |url=https://jungle.world/artikel/2024/19/berlin-kreuzberg-neukoelln-goodbye-1-mai |titel= - Goodbye, 1. Mai |werk=jungle.world |datum=2024-05-08 |abruf=2024-05-09}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Marie Frank |url=http://taz.de/Revolutionaere-1-Mai-Demo-in-Berlin/!6008168 |titel=Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin: Ohne Krawalle, ohne Inhalt |werk=[[Die Tageszeitung|taz.de]] |datum=2024-05-02 |abruf=2024-05-09}}</ref><ref>{{Internetquelle | autor=Alexander Dinger, Vanessa Nischik | url=https://www.welt.de/politik/deutschland/article251306274/1-Mai-Demo-Die-linksautonome-Szene-ist-Geschichte.html | titel=1. Mai-Demo: „Die linksautonome Szene ist Geschichte“ | werk=[[welt.de]] | datum=2024-05-02 |abruf=2024-05-09}}</ref>
Die Rückeroberung von [[Kreuzberg 36]] durch die Polizei wurde durch zwei Faktoren begünstigt: [[Alkohol]] und [[Müdigkeit]]. Durch die Plünderungen der Getränkeregale waren die meisten Akteure volltrunken.


Im folgenden Jahr 2025 änderte sich das Bild durch den erstmaligen Aufruf von Antifagruppen seit vier Jahren etwas, die Spitze des Zuges von Neukölln und Kreuzberg bestehend aus 15.000–18.000 Personen wurde laut Polizei weiterhin von einem Block linker, pro-palästinensischer Teilnehmern mit propalästinensischen Sprechchören, antisemitischen und polizeifeindlichen Parolen gebildet, doch ganz am Ende sollte zusätzlich ein Block von eher israelfreundlichen Linken und Linksradikalen ziehen. Zu Beginn wurde ein Grußwort von [[Daniela Klette]] verlesen, in dem sie bei verhaltenem Applaus den Kapitalismus, einen „Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung“ durch Israel und deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine verurteilte.<ref name="taz-16085089">{{Internetquelle |autor=ND. |url=http://taz.de/Revolutionaerer-1-Mai-Demo/!6085089 |titel=Revolutionärer 1. Mai-Demo: Hammer entspannt {{!}} taz.de |werk=[[Die Tageszeitung|taz.de]] |datum=2025-04-28 |abruf=2025-05-01}}</ref><ref name="tagessch-1100">{{Internetquelle |autor=tagesschau.de |url=https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-berlin-kreuzberg-teilnehmer-sammeln-sich-zu-revolutionaerer-1-mai-demonstration-100.html |titel=Berlin: Tausende ziehen bei Mai-Demonstration linker Gruppen durch Berlin-Kreuzberg |werk=tagesschau.de |datum=2025-05-01 |abruf=2025-05-01}}</ref><ref name="tagesspiegel-10000-menschen-bei-1-mai-demo-daniela-klette-sendet-solidarische-grusse--teilnehmer-bewerfen-polizei-mit-pyro-13618879">{{Internetquelle | autor=Christoph Papenhausen, Niklas Bessenbach, Marius Gerards, Sophie Krause, Lionel Kreglinger, Dominik | url=https://www.tagesspiegel.de/berlin/liveblog/10000-menschen-bei-1-mai-demo-daniela-klette-sendet-solidarische-grusse--teilnehmer-bewerfen-polizei-mit-pyro-13618879.html | titel=10.000 Menschen bei 1.-Mai-Demo: Daniela Klette sendet „solidarische Grüße“ – Teilnehmer bewerfen Polizei mit Pyro | werk=[[Der Tagesspiegel|tagesspiegel.de]] | datum=2025-05-01 |abruf=2025-05-01}}</ref><ref name="-">{{Internetquelle |autor=Sebastian Beug, Alexander Dinger, Maximilian Heimerzheim, Felix Kühn |url=https://www.welt.de/vermischtes/article256048588/1-Mai-in-Berlin-Propalaestinensische-Gruppen-bestimmen-Agenda-bisher-zehn-Festnahmen-alles-im-Liveticker.html |titel=„Das ist keine freie Meinungsäußerung, es sind Straftaten“ – Gemischtes Fazit der Polizei |werk=Redaktion WELT|datum=2025-05-02 |abruf=2025-05-02}}</ref>
Gegen 2:00 Uhr nachts am [[2. Mai]] [[1987]] war die [[Gegenoffensive]] erfolgreich. Das durch seine Weitläufigkeit für die Aufständischen schwierig zu haltende Areal des [[Kottbusser Tor]]s konnte ebenso eingenommen werden, wie dann die [[Adalbertstraße|Adalbert-]] und [[Oranienstraße]]. Auch der Widerstand am [[Görlitzer Bahnhof]] und dem [[Lausitzer Platz]] brach allmählich zusammen.


== Einordnung in andere linksradikale Aktivitäten am 1.&nbsp;Mai ==
Die noch verbleibenden Personen flohen. Eine große Anzahl wurde allerdings verhaftet. Darunter auch [[Norbert Kubat]], der sich in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai im Gefängnis das Leben nahm. Als Reaktion auf den Selbstmord gab es einen Brandanschlag auf das Kaufhaus [[Bilka]], dass direkt an der Kottbusser Brücke liegt. Das Kaufhaus musste in der Folge monatelang geschlossen bleiben und aufwendig saniert werden.
Auch in anderen deutschen Städten führen Linksradikale revolutionäre 1.-Mai-Demonstrationen durch oder organisieren einen revolutionären Block in den 1.-Mai-Demonstrationen des DGB. Zeitweise fand in Berlin parallel der ''[[EuroMayDay]]'' statt. Die Organisatoren erhofften sich durch die Anknüpfung an diese europäische Bewegung der [[Prekariat|Prekarisierten]] eine Modernisierung der linksradikalen Aktivitäten am [[Erster Mai|Tag der Arbeit]]. Bereits 2005 fand der erste ''EuroMayDay'' innerhalb Deutschlands in [[Hamburg]] statt.


Spätestens seit 1998 ist die Gegenmobilisierung zu [[Rechtsextremismus|rechtsextremen]] Demonstrationen der [[Nationaldemokratische Partei Deutschlands|NPD]] und ihrer Jugendorganisation [[Junge Nationaldemokraten]] (JN) bzw. der [[Freie Kameradschaften|Freien Kameradschaften]], die seit 1992 (verstärkt seit 1996/1997) ebenfalls versuchen, den Tag der Arbeit politisch zu besetzen, zu einem wichtigen Handlungsfeld insbesondere der (autonomen) [[Antifa]]-Bewegung geworden. So lag zum Beispiel 2008 ein Schwerpunkt linksradikaler Aktivitäten am 1.&nbsp;Mai in der [[1. Mai 2008 Hamburg-Barmbek|Verhinderung eines neonazistischen Aufmarsch in Hamburg]]. Die ''Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration'' des undogmatischen Spektrums findet daher seit 1998 erst um 18&nbsp;Uhr statt, um eine Teilnahme sowohl an den antifaschistischen Protesten als auch an der Demonstration zu ermöglichen.
==== Reaktionen ====
Als staatliche Reaktion auf die Ausschreitungen wurde die Spezialeinheit ''[[Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training]]'' der Berliner Polizei aufgestellt. Diese erhielt eine besondere Ausstattung für den Straßenkampf, um bei unfriedlichen demonstrativen Aktionen ''beweissicherende Festnahmen'' vornehmen und im Zentrum des Geschehens offensiv agieren zu können. Allerdings stand diese nach wenigen Einsätzen massiv in der Kritik. Ihr wurden sowohl aus dem politisch alternativen Spektrum, als auch in der Medienöffentlichkeit unverhältnismäßige Einsätze gegen Demonstrationsteilnehmer vorgeworfen. Auf Grund der Kritik wurde sie im Januar 1989 aufgelöst.


== Literatur ==
Innerhalb der [[autonome]]n Bewegung war die Interpretation der Ereignisse umstritten. Einerseits herrschte auf Grund der von ihnen als Sieg über die Polizei interpretierten Straßenschlacht eine große Euphorie, andererseits reagierten viele mit Erschrecken auf die scheinbare Ziellosigkeit der Gewalt. Es wurde Alkoholmissbrauch, sexistische Anmache, Plünderung kleinerer Geschäfte und unkontrollierte Gewalt beklagt. Nachträglich gab es zahlreiche Versuche die Ereignisse nach außen politisch zu vermitteln.
* {{Literatur
|Autor=Geronimo
|Titel=Glut & Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung
|Verlag=Unrast
|Ort=Münster
|Datum=1997
|ISBN=3-928300-63-6}}
* {{Literatur
|Hrsg=Readergruppe
|Titel=Autonomie-Kongress der undogmatischen linken Bewegungen. Standpunkte – Provokationen – Thesen
|Verlag=Unrast
|Ort=Münster
|Datum=1997
|ISBN=3-928300-59-8}}
* {{Literatur
|Hrsg=Dieter Rucht
|Titel=Berlin, 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale
|Verlag=VS Verlag
|Ort=Wiesbaden
|Datum=2003
|ISBN=3-8100-3792-3}}
* {{Der Spiegel |ID=13523063 |Titel=Schwarze Nacht |Jahr=1987 |Nr=20 |Seiten=57–64}}
* Joachim Nawrocki: [https://www.zeit.de/1987/20/kreuzberg-noch-laengst-nicht-befriedet ''Kreuzberg: Noch längst nicht befriedet''.] In: ''[[Die Zeit]]'', Nr. 20/1987.
* Werner van Berber: ''Spur der Pflastersteine''. Der 1. Mai 1987 begründete einen Mythos des Krawalls, in: Der Tagesspiegel, 29. April 2017, S. 24f.


=== Spätere Jahre ===
== Filme ==
* ''[[1. Mai – Helden bei der Arbeit]]'' (Kinofilm aus dem Jahr 2008)
* ''Berliner Mai festspiele'' (Dokumentarfilm aus dem Jahr 2004)


== Weblinks ==
Seit 1987 kommt es an jedem 1. Mai zu Demonstrationen mit schweren Ausschreitungen in Kreuzberg. Während viele Teilnehmer politische Motive für ihre Teilnahme nennen, sehen manche unbeteiligte Beobachter in diesen Krawallen insbesondere seit den [[1990er]] Jahren eher eine Traditionsveranstaltung, die unreflektiert jedes Jahr wieder auf die gleiche Art ablaufe und einige Parallelen zu manchen Ausschreitungen beim Fußball durch [[Hooligan]]s aufweise. Seit einigen Jahren beruhigen sich die Krawalle am ersten Mai jedoch. So war der erste Mai [[2004]] einer der ruhigsten seit Langem. Dies wird vor allem der Polizeistrategie der [[Deeskalation]] zu gute geschrieben, die jedoch nicht unumstritten ist.
{{Commonscat|1st of May in Berlin|Erster Mai in Berlin|audio=1|video=0}}
* [http://www.erstermai.nostate.net/ Website der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration]
* Werner von Westhafen: [http://www.kreuzberger-chronik.de/chroniken/2004/mai/geschichte.html ''Der Mythos von Bolle''.] Kreuzberger-Chronik 57, Mai 2004 (Artikel zum historischen Hintergrund der Kreuzberger 1. Mai-Krawalle)
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/010502berlin.html ''15 Jahre 1. Mai in Berlin''.] Umbruch Bildarchiv
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/0105ausstellung1.html ''„Geschichte wird gemacht“. Protestbewegung und Stadtsanierung in Kreuzberg SO 36''.] Umbruch Bildarchiv
* [http://www.berliner-feuerwehr.de/ueber-uns/historie/historische-einsaetze/1987-kreuzberg-brennt/ ''Kreuzberg brennt. Feuerwehr zwischen allen Fronten''.] Chronik der Berliner Feuerwehr zu Einsätzen am 1. Mai 1987
* [http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/strafrecht/lehrende/hoffmannholland/projekte/1_mai_studie_berlin/index.html Studie zur Analyse der Gewalt am 1. Mai in Berlin] Klaus Hoffmann-Holland (2010)
* Volker Heise, Volker Gunske u.&nbsp;a.: Satirische Kunstrausch-Radiosendung zum 1. Mai 1987 in Berlin, auf Radio 100, 28. April 1990; {{archive.org |19900428KunstrauschSportrauschMaifestspiele |Blatt=}}.


== Literatur ==
== Einzelnachweise ==
<references />
* Geronimo : ''Feuer und Flamme.'' Zur Geschichte der Autonomen [http://www.nadir.org/nadir/initiativ/id-verlag/BuchTexte/FeuerUndFlamme/FeuerFlamme.html]
* Geronimo : ''Glut & Asche''. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung. ISBN 3-928300-63-6
* Readergruppe: ''Autonomie-Kongress.'' ISBN 3-928300-59-8
* Rucht, Dieter (Hg.): ''Berlin, 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale.'' ISBN 3-8100-3792-3

== Weblinks ==
* [http://autox.nadir.org/archiv/chrono/1.mai_03.html Die Geschichte des revolutionären 1.Mai in Berlin]
* [http://kanalb.org/metatopic.php?clipId=64 Videoberichterstattung des 1. Mais (2000-2004) in Berlin] von [[kanalB]]
* [http://tag-der-arbeit.extrajetzt.de/ Tag der Arbeit] Das Online Spiel zum revolutionären Ersten Mai
* [http://www.free.de/schwarze-katze/texte/1mai03.html#taz060589 taz Berlin 06.05.89 +Radio 100 Interview]
* [http://www.germany.indymedia.org/2003/04/48037.shtml 1.Mai 2003 Linksammlung indymedia postings]
* [http://www.bilderbook.org/berlin/erster_mai/pictures/ Fotos]
* [http://www.polizeigewalt.de/index.htm?http%3A//www.polizeigewalt.de/docs/mbericht.htm 2001 1. Mai Berlin-Kreuzberg - ein Stimmungsbild]
* [http://germany.indymedia.org/2004/05/82441.shtml 1.Mai in Berlin - Fotos und Bilanzen, 2004 Nazi Demo gestört]
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/010502berlin.html 15 Jahre 1. Mai in Berlin]
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/protestgegennpd.html Aktuelles zum Protest gegen NPD-Aufmarsch Hohenschönhausen, Berlin 1. Mai 2002]
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/010503npdaufmarsch.html Protest gegen NPD am 1. Mai]
* [http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/0105ausstellung1.html www.umbruch-bildarchiv.de/ Geschichte wird gemacht] literarischer Bericht von 1987
* [http://www.krasse-zeiten.org/ Fotos bei Krasse Zeiten]
* [http://ainfos.de/scripts/klickcounter/scarklick.php?sdl_id=5 Video von ainfos.de vom 1. Mai 1999]


[[Kategorie:Berliner Geschichte]]
[[Kategorie:Erstveranstaltung 1987]]
[[Kategorie:Berlin (Politik)]]
[[Kategorie:Politik (Berlin)]]
[[Kategorie:Veranstaltung in Berlin]]
[[Kategorie:Demonstration]]
[[Kategorie:Demonstration]]
[[Kategorie:Unruhen]]
[[Kategorie:Aufruhr]]
[[Kategorie:Autonome Bewegung]]
[[Kategorie:Erster Mai]]
[[Kategorie:Berlin-Kreuzberg]]

Aktuelle Version vom 3. Mai 2025, 09:26 Uhr

Nicht angemeldete Demonstration am 1. Mai 2006 in Berlin-Kreuzberg
Gegner von Myfest auf einer nicht angemeldeten Demonstration am 1. Mai 2006 in Berlin-Kreuzberg

Der Erste Mai in Kreuzberg bezeichnet die durch linke und linksradikale Gruppen organisierten Straßenfeste und Demonstrationen am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, in Berlin-Kreuzberg. Speziell bezieht sich der Begriff auf den 1. Mai 1987, als in Kreuzberg bis dahin ungekannte schwere Unruhen ausbrachen und sich die Berliner Polizei für mehrere Stunden vollständig aus SO 36, dem östlichen Teil Kreuzbergs, zurückziehen musste. Seitdem führten Autonome und Antifa-Gruppen fast jedes Jahr eine oder mehrere sogenannte Revolutionäre 1.-Mai-Demonstrationen durch.

Schon vor 1987 war Kreuzberg für Straßenschlachten zwischen Hausbesetzern oder Autonomen und der Polizei bekannt. Insbesondere SO 36 war ein Schwerpunkt der autonomen Hausbesetzer- und Punk-Bewegung in Berlin. Am Tag der Arbeit, der häufig als weltweiter Kampftag der Arbeiterklasse bezeichnet wird, fand traditionell auf dem Lausitzer Platz ein jährliches Straßenfest statt, das unter anderem von Autonomen, der Alternativen Liste (AL) und der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) organisiert wurde. Auch in einigen Jahren vor 1987 kam es am Rande des Straßenfestes zu kleineren Ausschreitungen, Demonstrationen und anderen politischen Aktionen. Diese waren allerdings für damalige Kreuzberger Verhältnisse eher normal und wurden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Neben diesen Aktivitäten aus Reihen der Neuen sozialen Bewegungen organisierte der DGB die traditionelle, große Erste-Mai-Demonstration in West-Berlin. An dieser beteiligten sich in den Jahren 1986 und 1987 ein sogenannter Betroffenenblock bzw. Revolutionärer Block, der die offizielle Politik der DGB-Spitze ablehnte. Er setzte sich hauptsächlich aus Personen der Neuen sozialen Bewegungen zusammen und kam auf über tausend Teilnehmer. Unter anderem wegen dessen Ablehnung der offiziellen Politik des DGB kam es in den beiden Jahren zu Polizeieinsätzen gegen den Betroffenenblock, die von den Rednern des DGB begrüßt wurden.[1]

Erster Mai 1987

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Der Erste Mai 1987 in Kreuzberg ist ein historisches Ereignis und wurde durch die internationale Presse weltweit bekannt. Es zog die Aufmerksamkeit einer großen Öffentlichkeit auf den Bezirk, insbesondere Kreuzberg 36.

Vorgeschichte des 1. Mai 1987

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Die linke Szene Berlins war 1987 durch den Volkszählungsboykott (VoBo) beherrscht, eine Kampagne gegen die Volkszählung und ein Aufruf zu deren Boykott. Das Zentrum dieses Widerstands und der linken Szene allgemein war der Mehringhof (in Kreuzberg 61), in dem sich unter anderem das VoBo-Büro befand. Am 1. Mai 1987 wurden dieses Büro und weitere Räume des Mehringshofs mit der Begründung Gefahr im Verzug um 4:45 Uhr von der Polizei aufgebrochen und durchsucht.[2]

Die Stimmung in Berlin war bereits aufgrund der als repressiv empfundenen Maßnahmen des CDU-geführten Senats und der Vorbereitungen zur 750-Jahr-Feier Berlins angespannt.[3]

Die Ausschreitungen

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Berichterstattung während der Ausschreitungen vor Bolle
Skalitzer Straße mit ausgebranntem Bolle-Supermarkt, 2. Mai 1987

Das traditionelle Straßenfest verlief zunächst friedlich, allerdings war die Stimmung innerhalb der linken Szene auf Grund der Durchsuchung des VoBo-Büros gereizt.[2] Außerdem war es bereits zu Polizeieinsätzen gegen den „Betroffenenblock“ bei der Ersten-Mai-Demonstration des DGB gekommen. Unter anderem deswegen hatte dieser unter Protesten die Demonstration des DGB verlassen und sich dem Straßenfest angeschlossen.[1]

Gegen 16 Uhr wurde von Autonomen in unmittelbarer Nähe zum Straßenfest ein Streifenwagen in Abwesenheit der Beamten umgeworfen, und gegen Abend wurden zwei Bauwagen auf die Straße geschoben. Derweil vergnügten sich die meisten Besucher davon nichtsahnend auf dem Straßenfest. Die Polizei reagierte auf die vereinzelten Störungen und löste das Fest schließlich unter Schlagstock- und Tränengaseinsatz auf. Daraufhin errichteten Besucher des Straßenfestes Barrikaden auf mehreren angrenzenden Straßen.[2] Die Polizei zog sich gegen 23 Uhr bis zum frühen Morgen aus dem Gebiet um die Skalitzer Straße zurück.[4]

Obwohl der BVG-Verkehr nach SO 36 eingestellt und weiträumige Straßensperren errichtet wurden, gelangten den ganzen Abend weitere Personen nach Kreuzberg. Unter anderem wegen der Live-Berichterstattung des linken Radiosenders Radio 100 wurden viele Sympathisanten der linksradikalen Szene mobilisiert, aber auch viele Schaulustige begaben sich in das Gebiet.

Im gesamten Gebiet wurden Barrikaden – u. a. aus Baufahrzeugen und parkenden Autos – errichtet und angezündet.[2] An jeder Ecke der Oranienstraße brannten große Barrikaden, die von Steine werfenden Personen verteidigt wurden. Auch Molotowcocktails und Zwillen kamen dabei zum Einsatz. Löschfahrzeuge der Berliner Feuerwehr, die die Brände löschen wollten, wurden angegriffen.[2] Bei einem dieser Zwischenfälle floh die Besatzung eines Feuerwehrfahrzeugs, welches daraufhin ebenfalls angezündet wurde und ausbrannte.[3]

Über 30 Geschäfte wurden geplündert, darunter neben Filialen großer Einkaufsketten auch kleine Einzelhändler.[3] Die Plünderung einer Filiale der Berliner Supermarktkette Bolle am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof erregte besondere Aufmerksamkeit. Im Anschluss an die Plünderung wurde der Supermarkt Bolle angezündet, brannte komplett nieder und stürzte ein. Es bestand allerdings laut Angaben der Feuerwehr keine Gefährdung der umliegenden Wohnhäuser. Erst Jahre später wurde bekannt, dass der Supermarkt nicht von Mitgliedern der autonomen Szene, sondern von einem Pyromanen angezündet wurde, der nach eigenen Aussagen von den Ausschreitungen nichts mitbekommen hatte und nur zufällig nach der Plünderung an dem aufgebrochenen Supermarkt vorbeigekommen war.[5]

Der U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof, ein Zentrum der Unruhen, wurde angezündet. Auf die damals noch gusseisernen Streben der Hochbahn trommelten stundenlang hunderte Menschen, um Lärm zu erzeugen. Der Bahnhof musste auf Grund der Beschädigungen für mehrere Wochen geschlossen werden.

Beendigung der Ausschreitungen durch die Polizei

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Die Beendigung der Ausschreitungen durch die Polizei wurde durch zwei Faktoren begünstigt: Alkohol und Müdigkeit. Durch die Plünderungen der Getränkeregale waren viele Akteure volltrunken. Zwischen zwei und drei Uhr nachts am 2. Mai 1987 startete die Polizei einen Gegenangriff. Unter Einsatz von Wasserwerfern und Räumfahrzeugen rückte sie gegen die brennenden Barrikaden und die noch verbliebenen Personen vor. Das durch seine Weitläufigkeit für die Autonomen schwierig zu haltende Gebiet des Kottbusser Tors konnte ebenso befriedet werden wie die Adalbert- und die Oranienstraße. Auch der Widerstand am Görlitzer Bahnhof und dem Lausitzer Platz brach allmählich zusammen.

Über hundert Personen wurden verletzt[3] und 47 Personen festgenommen.[4] Darunter befand sich auch Norbert Kubat, der sich in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai im Gefängnis das Leben nahm, nachdem er am Morgen des 2. Mai beim Trampen auf der Skalitzer Straße von Zivilfahndern mitgenommen und in Untersuchungshaft genommen worden war. Als Reaktion auf den Suizid gab es noch in der Nacht einen Brandanschlag auf die Bilka-Filiale an der Kottbusser Brücke, und am 28. Mai fand ein Trauermarsch mit ungefähr 1.500 Teilnehmern statt.[6]

Als staatliche Reaktion auf die Ausschreitungen wurde die Spezialeinheit Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training (EbLT) der Berliner Polizei aufgestellt. Diese erhielt eine besondere Ausstattung für den Straßenkampf, um bei gewalttätigen demonstrativen Aktionen „beweissichernde Festnahmen“ vornehmen und im Zentrum des Geschehens offensiv handeln zu können. Allerdings stand diese nach wenigen Einsätzen stark in der Kritik. Ihr wurden sowohl aus dem politisch alternativen Spektrum, der Medienöffentlichkeit, als auch staatlicher Institutionen unverhältnismäßige Einsätze gegen Demonstrationsteilnehmer vorgeworfen. Daraufhin wurde sie im Januar 1989 aufgelöst.

Innerhalb der autonomen Bewegung war die Interpretation der Ereignisse umstritten: „Die Einschätzungen schwankten zwischen der Begeisterung, die Polizei so lange aus dem Kiez herausgehalten zu haben und über die Tatsache, daß sich so viele Menschen an der Revolte beteiligt haben, und der Meinung, es seien völlig entpolitisierte Aktionen gewesen.“[7] Es wurden Alkoholmissbrauch, sexistische Anmache, Plünderung kleinerer Geschäfte und die Gefährdung anderer Personen kritisiert. „Während einige Autonome die Revolte im großen und ganzen billigten und die negativen Erscheinungen damit erklärten, daß sich die Menschen mit ihrer ganzen Sozialisation nicht über Nacht ändern könnten und die Subjektivität der Menschen in der Revolte Ausdruck des gesellschaftlichen Zustands sei, schätzten andere die Revolte als ‚Aufstand der Arschlöcher‘ ohne jeglichen politischen Hintergrund ein.“[7]

Erster Mai 1988

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Aufgrund der negativen Erfahrungen mit einem „Revolutionären Block“ innerhalb der Ersten-Mai-Demonstration des DGB und der positiven Erfahrungen einer Mobilisierung innerhalb des „eigenen Kiezes“ wurde 1988 von Mitgliedern der autonomen Bewegung eine sowohl räumlich als auch politisch eigenständige sogenannte Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration durch die Bezirke Kreuzberg und Neukölln organisiert. Unter dem Motto Heraus zum revolutionären 1. Mai sowie dem Zitat Rosa Luxemburgs „Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark“ konnten trotz polizeilicher Gegenmaßnahmen im Vorfeld über 6000 Menschen mobilisiert werden. Während die Demonstration friedlich verlief, kam es nach Ende des Straßenfestes auf dem Lausitzer Platz zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten.[8] Im Nachhinein gab es massive Kritik gegen die eingesetzte Polizei, insbesondere gegen die EbLT, der unverhältnismäßige Gewalt vorgeworfen wurde. Dabei wurde unter anderem darauf verwiesen, dass drei Polizeiführer, die den Einsatz beobachtet haben, selbst Opfer von Übergriffen durch Polizeivollzugsbeamte wurden und leichte Verletzungen davontrugen. Die Ausschreitungen sollen noch stärker als 1987 durch Jugendliche, Touristen und Betrunkene und nicht durch Autonome bestimmt worden sein.[3]

Erster Mai 1989

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Im Jahr 1989 versuchte der erste rot-grüne Senat in Berlin, den 1. Mai durch politische und polizeiliche Zurückhaltung zu entschärfen. Sowohl die umstrittene EbLT als auch die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft waren im Vorfeld aufgelöst worden. Allerdings war die Stimmung innerhalb der linksradikalen Bewegung durch den Hungerstreik der Gefangenen der RAF und die Festnahme zweier Berliner wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der militanten Frauengruppe Die Amazonen aufgeheizt. Außerdem wurde eine grundsätzliche Ablehnung eines „rot-grün verwalteten Staatsapparates“ betont. Bereits in der Nacht zum ersten Mai wurden ein Gebäude in der Oranienstraße 192 besetzt und zwei Geschäfte geplündert. Dabei kam es zu Wasserwerfer-Einsätzen der Polizei sowie 16 Festnahmen. Die Polizei erklärte allerdings, das besetzte Haus vorerst nicht zu räumen. An der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration am nächsten Tag nahmen etwa 10.000 Menschen teil. Die Polizei verhielt sich während der Demonstration sehr zurückhaltend. Selbst nachdem aus der Demonstration heraus mehrere Erotikshops zerstört, ein Supermarkt geplündert, ein Müllcontainer angezündet und ein weiteres Kaufhaus geplündert wurden, beschränkte sich die Polizei auf ein massives Spalier.

Nachdem die Demonstration beendet war und die Teilnehmer sich in großer Zahl zum Straßenfest auf dem Lausitzer Platz bewegten, kam es auch dort zu Zusammenstößen. Zunächst hielt sich die Polizei zurück und bat nur per Lautsprecheransage, den Bewurf mit Steinen einzustellen, räumte dann allerdings das Straßenfest unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern. Die Intensität der sich anschließenden Randale überstieg selbst die des 1. Mai 1987. Schätzungen sprachen im Anschluss von über 1500 Personen, die sich an den Ausschreitungen beteiligt haben sollen. Zeitweise waren selbst größere Polizeieinheiten eingeschlossen, die sich gezwungen sahen, selber mit Steinen zu werfen, da sie sonst, nach eigener Aussage, nur noch hätten schießen können. Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren richtete sich die Gewalt kaum gegen Geschäfte, sondern gezielt gegen die Polizei. Von den 1600 eingesetzten Polizisten wurden 346 verletzt. Der Sachschaden wurde auf 1,5 Millionen DM geschätzt. Allein der Schaden an 154 Fahrzeugen der Polizei betrug 530.000 DM. Am nächsten Tag titelte die B.Z.: „Beirut??? Nein, das ist Berlin!“[1]

Innerhalb der autonomen Bewegung wurden die Ereignisse im Anschluss kontrovers diskutiert und zum Teil auch kritisiert. Thematisiert wurden der Bruch zu liberaleren Linken, der Sinn der Ausschreitungen und die Frage, ob diese noch politisch steuerbar seien oder ob es sich allein um sich austobende „Männergewalt“ handle. Am 10. Mai organisierte die Gewerkschaft der Polizei eine Demonstration gegen Innensenator Erich Pätzolds Strategie der Deeskalation und die Gewalt am 1. Mai. Später wurde vermutet, dass vor allem der den Republikanern nahestehende leitende Polizeidirektor Heinz Ernst bewusst nachlässig gehandelt hatte, um Pätzold und seine Deeskalationsstrategie zu diskreditieren.[3][9]

Erster Mai 1990

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Der 1. Mai 1990 war durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und den dabei aufkommenden Nationalismus gekennzeichnet. Davon zeugte auch das Motto der Revolutionären 1. Mai-Demonstration: „Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich!“ Gleichzeitig lasteten die Ereignisse des Jahres 1989 als Hypothek auf den Vorbereitungen. Im Vorfeld gab es in den Medien negative Berichterstattung gegen die linksradikale Szene. Die linke Bewegung versuchte mit einer engen Koordination zwischen der Organisation des Straßenfestes und der Demonstration sowie politischen Aktionstagen im Vorfeld dieser Situation zu begegnen.

An der Demonstration nahmen etwa 12.000 Menschen teil. Zusätzlich fand eine weitere Demonstration in Ost-Berlin mit 2.000 Teilnehmern statt. Im Gegensatz zu 1989 verlief die Demonstration weitgehend friedlich. In Berlin-Neukölln wurden allerdings mehrere Personen verletzt, als die Demonstration aus einem Wohnhaus heraus mit einem Luftgewehr beschossen wurde. Obwohl das Straßenfest verboten war, verlief auch dieses friedlich. Trotz oder gerade wegen des massiven Auftretens der Polizei, die 3800 Beamte im Einsatz hatte, kam es erst am Abend zu nennenswerten Zusammenstößen. Diese waren in ihrer Intensität und Dauer allerdings nicht mit denen der vorherigen Jahre vergleichbar. Die Beteiligung lag mit geschätzten 500 Personen deutlich unter der des Vorjahres. Während Innensenator Pätzold den verhältnismäßig friedlichen Verlauf seinem Konzept der „Deeskalation und Präsenz“ zugute schrieb, wurde durch die autonome Szene im Verhalten der Polizei erst der Auslöser für die Ausschreitungen gesehen. Wie bereits in den Vorjahren wurde eine unverhältnismäßige Gewalt der Polizei kritisiert. Für einen Übergriff von Polizisten gegen zwei Pressefotografen und ein Kamerateam des SFB musste sich Innensenator Erich Pätzold öffentlich entschuldigen. Unter anderem vom AStA der Technischen Universität wurden die Medien auf Grund ihrer Berichterstattung im Vorfeld des 1. Mai für die Schüsse auf die Demonstration mitverantwortlich gemacht. Hierbei wurden Parallelen zum Mord an Rudi Dutschke gezogen. Die Autonomen bewerteten den Tag als Erfolg, da sowohl die Demonstration als auch das Straßenfest durchgesetzt werden konnten und die Anzahl der Demonstranten weiter gestiegen war.[3]

1. Mai 2001 in Kreuzberg am Mariannenplatz
Polizeipräsenz am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof, 1. Mai 2004
Transparent zur 13-Uhr-Demonstration 2007 in der Oranienstraße
Während der Krawalle am 1. Mai 2009 am Kottbusser Tor

Die Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in den Jahren 1991, 1992 und 1993 waren durch Konflikte über das Ost-West-Verhältnis und der Haltung zu stalinistischen bzw. marxistisch-leninistisch orientierten Gruppen geprägt. Der Konflikt über das Ost-West-Verhältnis machte sich insbesondere an der Frage der Route fest: Während 1991 und 1993 die Demonstration von Kreuzberg aus in die Ost-Berliner Bezirke führte (1991 nach Friedrichshain; 1993 nach Prenzlauer Berg), ging die Demonstration 1992 durch die westlichen Bezirke Kreuzberg und Neukölln sowie den östlichen Bezirk Mitte.

Der Konflikt zwischen undogmatisch-autonomen Gruppen und dem marxistisch-leninistischen Revolutionary International Movement (RIM) eskalierte. Es kam in den drei Jahren zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen einige Personen schwer verletzt und der Lautsprecherwagen der RIM zerstört wurde. Während die RIM in den Jahren 1991 und 1992 trotzdem an der Demonstration teilnehmen konnte, wurde sie 1993 nach kurzer Zeit aus der Demonstration gedrängt. Trotz dieser Konflikte nahmen in den drei Jahren jeweils zwischen 10.000 und 15.000 Personen an den Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen teil. Im Jahr 1994 führte der Konflikt schließlich zum Zerfall des Revolutionären 1. Mai: Während die RIM seitdem jedes Jahr eine eigenständige Demonstrationen um 13 Uhr am Oranienplatz mit 1000–2000 Teilnehmern durchführt, organisierten undogmatisch-autonome Gruppen 1994 und 1995 keine Demonstration.[10] Stattdessen organisierte 1994 die Kreuzberger Spaßpartei Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) am Abend eine Demonstration unter dem Motto „Gegen nächtliche Ruhestörung und sinnlose Gewalt“, an der 2.500 Personen teilnahmen.[3] Ostern 1995 wurde u. a. als Reaktion auf die Krise des Revolutionären 1. Mai in Berlin der Autonomie-Kongress durchgeführt.[11]

Eine Wieder- bzw. Neubelebung des Revolutionären 1. Mai wurde 1996 insbesondere durch die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) betrieben. Aufgrund der Konflikte Anfang der 1990er Jahre organisierte das undogmatisch-autonome Spektrum getrennt von der RIM eine eigene Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration. An dieser beteiligten sich in den folgenden Jahren regelmäßig zwischen 8.000 und 15.000 Personen. 1996 und 1998 führte sie durch den Ost-Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg, damals einer beliebten Wohngegend der radikalen Linken. In den anderen Jahren begann sie in Kreuzberg und endete teilweise in Mitte. 1998 wurde der Beginn der Demonstration erstmals auf 18 Uhr verlegt. Grund war das Ermöglichen der Teilnahme an den Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Leipzig.[12][13] Seitdem findet sie regelmäßig um 18 Uhr statt.

1999 setzte man erstmals Anti-Konflikt-Teams aus speziell geschulten Polizeibeamten ein, die deeskalierend wirken sollen. Das Konzept erwies sich als erfolgreich und wurde später für andere Veranstaltungen und in andere Bundesländer übernommen.

2001 wurde die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration um 18 Uhr zum ersten und bisher einzigem Male polizeilich verboten. Nach Beendigung der Demonstration um 13 Uhr kam es in Kreuzberg zu mehreren spontanen Aufzügen. Die Räumung des Straßenfestes auf dem Mariannenplatz führte zu heftigen Straßenschlachten am Abend.[14] Bereits 1998 und 2000 waren Teile der Route per Auflage untersagt worden.

Als Reaktion auf die Ereignisse 2001 schlug ein Bündnis um den FU-Professor Peter Grottian 2002 das Konzept „Denk Mai Neu“ vor. Dieses sah vor, in SO 36 „ein großes Fest mit Diskussions-, Informations- und Kulturveranstaltungen an allen Straßenecken stattfinden“ zu lassen. Gleichzeitig solle sich die Polizei vollständig aus dem Bereich zurückziehen. Die Pläne stießen auf heftige Kritik eines Teils der radikalen Linken. Die Beteiligung der AAB an dem Konzept führte zur Spaltung des Vorbereitungskreises Revolutionären 1. Mai-Demonstration um 18 Uhr.[15] In der Folge fanden – neben der 13-Uhr-Demonstration – zwei Demonstrationen statt.[16] Auch 2003 kam es u. a. in Folge der Spaltung der AAB zu zwei getrennten Demonstrationen.[17]

Seit 2003 versucht die Polizei Ausschreitungen entgegenzuwirken, indem sie alternative Veranstaltungen fördert. Diese Vorgehensweise ist Teil des 1999 erstmals umgesetzten Aha-Konzeptes, welche unter anderem das alljährliche Kreuzberger Straßenfest Myfest unterstützt. Das Myfest findet im traditionellen Zentrum der Ausschreitungen in SO 36 statt und soll diese durch die Anwesenheit zehntausender friedlicher Besucher im Keim ersticken, in den letzten Jahren offenbar mit einigem Erfolg. Die Intensität der Gewalt hat deutlich abgenommen. Gleichwohl kommt es nach wie vor in jedem Jahr zumindest zu kleineren Ausschreitungen im Umfeld des Myfestes. Von den Organisatoren der Revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen wird das Myfest als Instrument zur Befriedung der sozialen Konflikte und zur Unterbindung der linksradikalen Demonstrationen kritisiert. Räumliche Überschneidungen der Demonstrationen mit dem Myfest führten teilweise zu Verboten einiger Abschnitte der angemeldeten Demonstrationsrouten. 2005 und 2006 wurden die Demonstrationen um 18 Uhr von den Veranstaltern daher abgesagt, da sie die räumlichen Auflagen als nicht hinnehmbar ansahen. In der Folge bildeten sich in beiden Jahren spontane Demonstrationen. Seit 2012 findet im Vorfeld der 18-Uhr-Demonstration regelmäßig eine öffentlich mobilisierte, jedoch nicht angemeldete Demonstration durch das Myfest zum Startpunkt der 18-Uhr-Demonstration statt.[18]

Seit 2007 finden wieder regelmäßig angemeldete Revolutionäre 1. Mai-Demonstrationen statt. Die Anzahl der Teilnehmer stieg kontinuierlich und erreichte 2014 mit 19.000 (Angaben der Polizei) bzw. 25.000 (Angaben der Veranstalter) Personen ihren Höchststand.[19] Die Intensität der Ausschreitungen nimmt gleichzeitig kontinuierlich ab.[20] Zuletzt war es 2009 zu massiven Angriffen auf die Polizei aus dem Demonstrationszug heraus gekommen.[21]

Am 1. Mai 2020 während der COVID-19-Pandemie versammelten sich mehrere tausend Menschen ohne Genehmigung. Sie folgten einem Aufruf der Initiative Revolutionärer 1. Mai.[22] Mit Straßensperren wurden von 5000 Polizeibeamten Demonstrationszüge verhindert.[23] Es kam zu Rangeleien zwischen Polizei und den Demonstranten, dem Zünden von Pyrotechnik, leichten Verletzungen und 50 Festnahmen.

2021 kam es am 1. Mai abends bei einer Demo unter dem Motto „Streiken, besetzen, enteignen – Kapitalismus überwinden“ zu Ausschreitungen, nachdem der schwarze Block wegen Verstößen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen von der Polizei ausgeschlossen wurde. An der Spitze des Kundgebungszuges wurden aus einer Gruppe heraus antisemitische und israel­feindliche Parolen gerufen. Flaschen und Steine wurden geworfen sowie Papiercontainer und Müllbehälter in Brand gesetzt. Nach vorläufigen Zahlen wurden laut Polizeiangaben mindestens 30 Polizisten verletzt und 240 Personen festgenommen.[24]

2024 galt weithin als vorläufiges Ende der traditionellen revolutionären 1.-Mai-Demonstration. Zwar liefen noch 12.000 Menschen weitgehend friedlich durch die Berliner Bezirke Kreuzberg-Friedrichshain und Neukölln, allerdings nicht mehr als linksautonom dominierte, kapitalismuskritische, sondern weitgehend inhaltsleere Kundgebung „in Solidarität mit den Menschen in Gaza“ mit vereinzelten antisemitischen Sprechchören.[25][26][27]

Im folgenden Jahr 2025 änderte sich das Bild durch den erstmaligen Aufruf von Antifagruppen seit vier Jahren etwas, die Spitze des Zuges von Neukölln und Kreuzberg bestehend aus 15.000–18.000 Personen wurde laut Polizei weiterhin von einem Block linker, pro-palästinensischer Teilnehmern mit propalästinensischen Sprechchören, antisemitischen und polizeifeindlichen Parolen gebildet, doch ganz am Ende sollte zusätzlich ein Block von eher israelfreundlichen Linken und Linksradikalen ziehen. Zu Beginn wurde ein Grußwort von Daniela Klette verlesen, in dem sie bei verhaltenem Applaus den Kapitalismus, einen „Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung“ durch Israel und deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine verurteilte.[28][29][30][31]

Einordnung in andere linksradikale Aktivitäten am 1. Mai

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Auch in anderen deutschen Städten führen Linksradikale revolutionäre 1.-Mai-Demonstrationen durch oder organisieren einen revolutionären Block in den 1.-Mai-Demonstrationen des DGB. Zeitweise fand in Berlin parallel der EuroMayDay statt. Die Organisatoren erhofften sich durch die Anknüpfung an diese europäische Bewegung der Prekarisierten eine Modernisierung der linksradikalen Aktivitäten am Tag der Arbeit. Bereits 2005 fand der erste EuroMayDay innerhalb Deutschlands in Hamburg statt.

Spätestens seit 1998 ist die Gegenmobilisierung zu rechtsextremen Demonstrationen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) bzw. der Freien Kameradschaften, die seit 1992 (verstärkt seit 1996/1997) ebenfalls versuchen, den Tag der Arbeit politisch zu besetzen, zu einem wichtigen Handlungsfeld insbesondere der (autonomen) Antifa-Bewegung geworden. So lag zum Beispiel 2008 ein Schwerpunkt linksradikaler Aktivitäten am 1. Mai in der Verhinderung eines neonazistischen Aufmarsch in Hamburg. Die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration des undogmatischen Spektrums findet daher seit 1998 erst um 18 Uhr statt, um eine Teilnahme sowohl an den antifaschistischen Protesten als auch an der Demonstration zu ermöglichen.

  • Geronimo: Glut & Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung. Unrast, Münster 1997, ISBN 3-928300-63-6.
  • Readergruppe (Hrsg.): Autonomie-Kongress der undogmatischen linken Bewegungen. Standpunkte – Provokationen – Thesen. Unrast, Münster 1997, ISBN 3-928300-59-8.
  • Dieter Rucht (Hrsg.): Berlin, 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale. VS Verlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-8100-3792-3.
  • Schwarze Nacht. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1987, S. 57–64 (online).
  • Joachim Nawrocki: Kreuzberg: Noch längst nicht befriedet. In: Die Zeit, Nr. 20/1987.
  • Werner van Berber: Spur der Pflastersteine. Der 1. Mai 1987 begründete einen Mythos des Krawalls, in: Der Tagesspiegel, 29. April 2017, S. 24f.
Commons: Erster Mai in Berlin – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c Geschichte des Kreuzberger 1. Mai. (PDF; 967 kB) In: Mai-Zeitung. April 2005, S. 4, abgerufen am 1. Mai 2009.
  2. a b c d e Chronik der Ereignisse in Berlin vom 1. Mai 1987 bis zum 18. Juni 1987. In: squat.net. S. 1, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. August 2009; abgerufen am 1. Mai 2009.
  3. a b c d e f g h Die Geschichte des revolutionären 1.Mai in Berlin. In: nadir.org. Abgerufen am 1. Mai 2009.
  4. a b Frauke Lehmann, Norbert Meyerhöfer: Wünsche mir, dass es irgendwann so kracht wie früher. In: Dieter Rucht: 1. Mai 2002. Politische Demonstrationsrituale. Opladen 2003, S. 58
  5. Plutonia Plarre: „Ich war der Feuerteufel“. In: Spiegel Online. 1. Mai 2007, abgerufen am 1. Mai 2009.
  6. Chronik der Ereignisse in Berlin vom 1.5.1987 bis zum 18.6.1987. In: squat.net. S. 2, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. April 2009; abgerufen am 1. Mai 2009.
  7. a b Thomas Schultz, Almut Gross: Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung. Hamburg 1997, S. 80
  8. Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschichte der Autonomen. 1. Auflage. Edition ID-Archiv, Berlin/Amsterdam 1990, ISBN 3-89408-004-3, S. 93, 183 f. (nadir.org [PDF; abgerufen am 1. Mai 2009]).
  9. Tuckernder Trabi. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1989 (online).
  10. Lehmann, Meyerhöfer 2003: 61
  11. Autonomie-Kongress. Standpunkte – Provokationen – Thesen der undogmatischen linken Bewegungen. Münster 1997
  12. Die Geschichte des revolutionären 1. Mai in Berlin. In: Nadir, 1998.
  13. Aufruf zu Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch am 1. Mai in Leipzig. In: Nadir.
  14. Schlachtfest in Kreuzberg. In: taz, 2. Mai 2001
  15. Jedes Jahr was Neues. In: Jungle World, 27. Februar 2002
  16. Weniger Polizisten für mehr Demonstrationen. In: Berliner Zeitung, 30. April 2002
  17. Ein Frage der Spaltung. In: Jungle World, 14. Mai 2003
  18. Jörn Hasselmann: Polizei „zufrieden und glücklich“ nach Großeinsatz. In: Tagesspiegel Online. 2. Mai 2014, abgerufen am 25. August 2017.
  19. Claudia Wrobel, Martin Dolzer: Krise im Mittelpunkt. In: junge Welt, 3. Mai 2014
  20. Polizei „zufrieden und glücklich“ nach Großeinsatz.
  21. Jörn Hasselmann: 1. Mai in Berlin: Politik statt Pflasterstein. In: Der Tagesspiegel, 27. April 2014. Philipp Wittrock: Mai-Randale in Berlin: Krawalle erschüttern Kreuzberg. Bei: Spiegel Online, 2. Mai 2009
  22. Tausende Menschen ziehen dicht an dicht durch Kreuzberg. 1. Mai in Berlin. rbb24.de, 2. Mai 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. Mai 2020; abgerufen am 2. Mai 2020.
  23. Mehr als 1000 Menschen bei unerlaubten Protesten. Demos am 1. Mai in Berlin. faz.net, 2. Mai 2020, abgerufen am 2. Mai 2020.
  24. Alexander Fröhlich, Julius Geiler, Madlen Haarbach, Christoph Kluge, Nicolas Lepartz, Lukas Wittland: 30.000 Menschen demonstrieren am 1. Mai in Berlin. Bei: Tagesspiegel Online, 2. Mai 2021
  25. Martin Brandt: - Goodbye, 1. Mai. In: jungle.world. 8. Mai 2024, abgerufen am 9. Mai 2024.
  26. Marie Frank: Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin: Ohne Krawalle, ohne Inhalt. In: taz.de. 2. Mai 2024, abgerufen am 9. Mai 2024.
  27. Alexander Dinger, Vanessa Nischik: 1. Mai-Demo: „Die linksautonome Szene ist Geschichte“. In: welt.de. 2. Mai 2024, abgerufen am 9. Mai 2024.
  28. ND.: Revolutionärer 1. Mai-Demo: Hammer entspannt | taz.de. In: taz.de. 28. April 2025, abgerufen am 1. Mai 2025.
  29. tagesschau.de: Berlin: Tausende ziehen bei Mai-Demonstration linker Gruppen durch Berlin-Kreuzberg. In: tagesschau.de. 1. Mai 2025, abgerufen am 1. Mai 2025.
  30. Christoph Papenhausen, Niklas Bessenbach, Marius Gerards, Sophie Krause, Lionel Kreglinger, Dominik: 10.000 Menschen bei 1.-Mai-Demo: Daniela Klette sendet „solidarische Grüße“ – Teilnehmer bewerfen Polizei mit Pyro. In: tagesspiegel.de. 1. Mai 2025, abgerufen am 1. Mai 2025.
  31. Sebastian Beug, Alexander Dinger, Maximilian Heimerzheim, Felix Kühn: „Das ist keine freie Meinungsäußerung, es sind Straftaten“ – Gemischtes Fazit der Polizei. In: Redaktion WELT. 2. Mai 2025, abgerufen am 2. Mai 2025.