„Ethik“ – Versionsunterschied
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'''Ethik''' (von [[Griechische Sprache|griech.]] ήθος ''ethos'' „gewohnter Sitz; Gewohnheit, Sitte, Brauch; Charakter, Sinnesart“, vgl. lat. ''mos'') ist eines der großen Teilgebiete der [[Philosophie]]. Die Ethik - und die von ihr abgeleiteten Disziplinen (z.B. [[Rechtsphilosophie|Rechts-]], [[Staatsphilosophie|Staats-]] und [[Sozialphilosophie]]) - bezeichnet man auch als „[[praktische Philosophie]]“, da sie sich mit dem menschlichen [[Handeln]] befasst (im Gegensatz zur „[[theoretische Philosophie|theoretischen Philosophie]]“, zu der die [[Logik]], die [[Erkenntnistheorie]] und die [[Metaphysik]] als klassische Disziplinen gezählt werden). |
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Die '''Ethik''' ist jener Teilbereich der [[Philosophie]], der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst. Ihr Gegenstand ist damit die [[Moral]] insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit und [[Reflexion (Philosophie)|Reflexion]]. [[Cicero]] übersetzte als erster ''êthikê téchnē'' (''die ethische Kunst'') in den seinerzeit neuen Begriff ''philosophia moralis'' (''Philosophie der Sitten'').<ref>Cicero: ''De fato'' 1; ''Moral, moralisch, Moralphilosophie.'' In: ''[[Historisches Wörterbuch der Philosophie]].'' Band 6, S. 149.</ref> In seiner Tradition wird die Ethik auch heute noch als '''Moralphilosophie''' bezeichnet.<ref>[[Viktor Cathrein]]: ''Moralphilosophie. Eine wissenschaftliche Darlegung der sittlichen, einschließlich der rechtlichen Ordnung.'' 2 Bände, 5., neu durchgearbeitete Auflage. Herder, Freiburg im Breisgau 1911, S. 1–6 (''Begriff der Moralphilosophie'').</ref> |
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Die ''Ethik'' beschäftigt sich damit, was gutes oder schlechtes Handeln ausmacht. Eine Ethik sagt also, wie der Mensch handeln soll und wie nicht, bzw. wie er sich beim täglichen Handeln zu entscheiden hat. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit dem Ausmaß individueller menschlicher [[Freiheit]] sowie eine Bestimmung von [[Das Gute|Gut]] und [[Das Böse|Böse]]. |
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Die Ethik und ihre benachbarten Disziplinen (z. B. [[Rechtsphilosophie|Rechts-]], [[Staatsphilosophie|Staats-]] und [[Sozialphilosophie]]) werden auch als „[[Philosophie#Praktische Philosophie|praktische Philosophie]]“ zusammengefasst, da sie sich mit dem menschlichen [[Handeln]] befasst. Im Gegensatz dazu steht die „[[theoretische Philosophie]]“, zu der als klassische Disziplinen die [[Logik]], die [[Erkenntnistheorie]] und die [[Metaphysik]] gezählt werden. |
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Sie befasst sich hierzu mit den Grundlagen menschlicher [[Werte]] und [[Gesellschaftliche_Norm|Normen]], des [[Sitte|Sittlichen]] und der allgemeinen [[Moral]]. |
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Ihr entsprechen in der Religionswissenschaft die religionsgeschichtliche Erforschung der Sittlichkeit (Moral) sowie vor allem die [[Moraltheologie|kath. Moraltheologie]] und die ev. [[theologische Ethik]],<ref> Brockhaus Enzyklopädie, 19 Aufl., (1988), Bd. 6, S. 600.</ref> die wiederum Teilgebiete der christlichen [[Systematische Theologie|systematischen Theologie]] sind. |
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Zentrale Probleme der Ethik betreffen die Motive, die Methoden und die Folgen menschlichen Handelns. Es ergeben sich sehr unterschiedliche Ethiken, je nachdem, wie die Gewichte zwischen diesen drei Bereichen gelegt werden, und was die Quelle der ethischen Normen ist. Von solchen grundsätzlichen Reflexionen einer allgemeinen Ethik zu unterscheiden sind die auf besondere lebensweltliche Problemfelder bezogenen Überlegungen der [[angewandte Ethik|angewandten Ethik]]. Die allgemeine Ethik stellt außerdem die Grundlagendisziplin für die speziellen Disziplinen, [[Individualethik]] und [[Sozialethik]], dar. |
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[[Bild:Ethische Disziplinen.png|thumb|300px|Überblick ethische Disziplinen und Ansätze]] |
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== Wortherkunft == |
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== Der Begriff „Ethik“ == |
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Das deutsche Wort Ethik stammt von {{elS|ἠθική (ἐπιστήμη)}} ''{{lang|grc-Latn|ēthikē (epistēmē)}}'' „das sittliche (Verständnis)“, von {{lang|grc|ἦθος}} ''[[Ethos|ēthos]]'' „Charakter, Sinnesart“ (dagegen ἔθος: Gewohnheit, Sitte, Brauch).<ref>Vgl. [[A Greek-English Lexicon]] 9. A. (1996), S. 480.766.</ref> |
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== Ursprung == |
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Als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin wurde der Begriff „Ethik“ von [[Aristoteles]] eingeführt, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (''ethos'') meinte, wobei allerdings schon seit [[Sokrates]] die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens gerückt war ([[Sokratische Wende]]). Hintergrund war dabei die bereits von den [[Sophismus|Sophisten]] vertretene Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet werde. Aristoteles war dagegen der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik ist somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet. |
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{{Hauptartikel|Geschichte der Ethik}} |
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[[Datei:Aristoteles Louvre.jpg|mini|150px|[[Aristoteles]] begründete die Ethik als eigenständige philosophische Disziplin.]] |
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Bereits die [[Sophisten]] (im 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) vertraten die Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet wird. Im Zuge der [[Sokratische Wende|sokratischen Wende]] rückte [[Sokrates]] (5. Jahrhundert v. Chr.) die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens. ''Ethik'' als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin geht auf [[Aristoteles]] (4. Jahrhundert v. Chr.) zurück, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (''ethos'') meinte. Er war der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik war somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat und diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet. |
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'''Begriffliche Abgrenzungen''' |
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== Ziele und Fragestellungen == |
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In einem allgemeinen Verständnis lässt sich Ethik als philosophische Reflexion auf ''[[Moral]]'' definieren. Moral ist dabei zu verstehen als Gesamtheit aller Normen und Ideale des guten und richtigen Lebens, die von einem [[Individuum|Menschen]] oder einer [[Gesellschaft]] vorausgesetzt werden. |
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{{Belege fehlen}} |
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Diese Reflexion kann auf verschiedene Weise vollzogen werden. |
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Die (allgemeine) Ethik wird heute als die philosophische Disziplin verstanden, die Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen aufstellt. Sie ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Es geht ihr nicht um ein Wissen um seiner selbst willen ''(theoria)'', sondern um eine verantwortbare Praxis. Sie soll dem Menschen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings nur allgemeine Prinzipien und Normen guten Handelns oder ethischen Urteilens überhaupt oder Wertvorzugsurteile für bestimmte Typen von Problemsituationen begründen. Die situationsspezifische Anwendung dieser Prinzipien auf neue Situationen und Lebenslagen ist nicht durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft und des geschulten [[Gewissen]]s. |
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Die drei Fragen nach |
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Wenn sie nur auf die möglichst präzise [[Empirie|empirische Erfassung ]] und Beschreibung der tatsächlichen Moral zielt, spricht man von ''deskriptiver Ethik''. Diese Disziplin ist verwandt mit anderen empirischen Disziplinen wie Moralpsychologie, Moralsoziologie, [[Ethnologie]] etc. |
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* dem „höchsten Gut“, |
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* dem richtigen Handeln in bestimmten [[Situation]]en und |
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* der Freiheit des Willens |
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stehen im Zentrum. |
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Als philosophische Disziplin bearbeitet die Ethik moralische Fragen auf der Grundlage lebensweltlicher Einstellungen, Wertüberzeugungen und rationaler [[Argument]]e. Auch in den jüdischen, christlichen und islamischen Theologien werden ethische Fragen behandelt. In der [[Theologische Ethik|Theologischen Ethik]] werden unterschiedliche Voraussetzungen und Vorgehensweisen zugrunde gelegt: Während sogenannte [[Glaubensethik]]en religiöse Überzeugungen, einschließlich [[Offenbarung|offenbarungstheologisch]] vermittelter Traditionen, als Argumentationsgrundlage voraussetzen, werden v. a. seit den 1970er Jahren auch Ansätze vertreten, wonach die Begründung ethischer Normen nur voraussetzt, was unabhängig von spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Verortungen rational einsichtig zu machen ist. Beispiele dafür sind die Vorschläge sogenannter „Autonomer Moral“ von [[Alfons Auer]] oder [[Franz Böckle]]. |
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Wenn die methodische Reflexion auf Moral nicht in empirisch-deskriptiver oder historisch klärender Weise, sondern mit dem Ziel der Begründung und Kritik vorgenommen wird, spricht man - in einem allgemeinen Sinn - von ''normativer Ethik'' (wird im folgenden mit Ethik gleichgesetzt). |
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=== Abgrenzung === |
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Von einer ''normativen Ethik im engeren Sinne'' spricht man für gewöhnlich dann, wenn es sich um eine Sollens- oder deontologische Ethik handelt ([[Ethik#Deontologische Ansätze|s.u.]]). |
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==== Rechtswissenschaft ==== |
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Auch die Rechtswissenschaft fragt danach, wie gehandelt werden soll. Im Unterschied zur Ethik (welche seit [[Christian Thomasius]] und Kant von der Rechtslehre unterschieden wird<ref>Viktor Cathrein: ''Moralphilosophie. Eine wissenschaftliche Darlegung der sittlichen, einschließlich der rechtlichen Ordnung.'' 2 Bände, 5., neu durchgearbeitete Auflage. Herder, Freiburg im Breisgau 1911, S. 17–27 (''Geschichte der Moralphilosophie''), hier: S. 24 f., und S. 27 (''Einteilung der Moralphilosophie'').</ref>) bezieht sie sich jedoch im Allgemeinen auf eine bestimmte, faktisch geltende Rechtsordnung (positives Recht), deren Normen sie auslegt und anwendet. Wo die Rechtswissenschaft als [[Rechtsphilosophie]], Rechtspolitik oder Gesetzgebungslehre auch die Begründung von Rechtsnormen behandelt, nähert sie sich der Ethik an. Auch das [[Vernunftrecht]] zeigt Parallelen zur Ethik. |
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==== Empirie ==== |
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Von der Ethik ist weiterhin die ''[[Metaethik]]'' zu unterscheiden. Diese reflektiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens. Die Metaethik ist eine verhältnismäßig junge Disziplin, die sich in erster Linie der Untersuchung praktischer Argumentationen mit den Mitteln der modernen sprachanalytischen Philosophie verdankt. |
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Mit gesellschaftlichen Normen des Handelns befassen sich auch empirische Wissenschaften wie Soziologie, Ethnologie und Psychologie. Im Unterschied zur normativen Ethik im philosophischen Sinne geht es dort jedoch um die Beschreibung und Erklärung faktisch bestehender ethischer Überzeugungen, Einstellungen und Sanktionsmuster und nicht um deren [[Rechtfertigung (Philosophie)|Rechtfertigung]] oder [[Kritik]]. Beziehungen bestehen also zur deskriptiven Ethik. |
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==== Theorie der rationalen Entscheidung ==== |
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Auch die [[Theorie der rationalen Entscheidung]] beantwortet die Frage: Wie soll ich handeln? Jedoch unterscheidet sie sich von ethischen Fragestellungen dadurch, dass Theorien rationalen Handelns nicht in jedem Falle auch Theorien des moralisch Guten sind. Von ethischen Theorien mit einem allgemeinverbindlichen Anspruch unterscheiden sich Theorien rationaler Entscheidung dadurch, dass nur die Ziele und Interessen eines bestimmten Individuums oder eines kollektiven Subjekts (z. B. eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines Staates) berücksichtigt werden. |
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Formale Betrachtungen zur Ethik nahmen ihren '''Ursprung''' im alten Orient, im antiken [[Kaiserreich China]], [[Indien]] und [[Griechenland]] und wurden in [[Römisches Reich|Römischen Reich]] aufgegriffen und weiterentwickelt. Philosophische Schulen dieser Perioden entwickelten verschiedene ethische Systeme, von denen [[Sokrates]], [[Platon]] und [[Aristoteles]] die bis heute einflussreichsten begründeten. |
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Der [[Epikur|Epikureismus]] und die [[Stoa]] haben in hellenistischer Zeit ethische Schulen ausgebildet, die ihrerseits orientierenden Einfluss auf die Gegenwart ausüben. |
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== Disziplinen == |
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[[Religion]]en entwickeln ihr ethisches System selten systematisch aus Grundprinzipien, sondern als Konsequenz ihres Glaubenssystems. |
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{| class="wikitable float-right" style="width:50%; font-size:95%;" |
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In den [[Judentum|jüdisch]]-[[Christentum|christlichen]] Schriften ([[Tanach]], [[Talmud]], [[Bibel]], [[Kirchenvater|Kirchenväter]]) haben ethische Fragestellungen einen hohen Stellenwert. |
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|+Disziplinen der Ethik nach Art der Behandlung ethischer Aussagen |
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!Disziplin !! Gegenstandsbereich !! Methode |
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| [[Metaethik]] || Sprache und Logik moralischer Diskurse, Methoden moralischer Argumentationen, Leistungskraft ethischer Theorien || analytisch |
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| Normative Ethik || Prinzipien und Kriterien der Moral, Maßstab moralisch richtigen Handelns, Prinzipien eines für alle guten Lebens || abstrakt wertend |
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| [[Angewandte Ethik]] || gültige Normen, Werte, Handlungsempfehlungen des jeweiligen Bereichs || konkret wertend |
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| Deskriptive Ethik || tatsächlich befolgte Handlungspräferenzen, empirisch vorfindliche Normen- und Wertesysteme || beschreibend |
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|} |
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=== Metaethik === |
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Der nächste bedeutende Zeitraum ethischer Betrachtungen begann im '''[[Mittelalter]]''' mit [[Moses Maimonides]] und [[Thomas von Aquin]]. Der auf von gottgegebenen Gesetzen basierenden Ethik dieser jüdisch-christlichen Philosophen wurde ein natürliches Gesetz ([[Naturrecht]]), das dem Menschen und der Welt innewohne, an die Seite gestellt. |
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{{Hauptartikel|Metaethik}} |
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Metaethik stellt die Grundlage der anderen Disziplinen dar und beschäftigt sich mit ihren allgemeingültigen Kriterien und Methoden. Sie analysiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens und sich v. a. mit der Bedeutung ethischer und verwandter Begriffe, der Verwendung ethischer Begriffe in moralischen Sätzen und der Frage nach der Begründbarkeit von Werturteilen beschäftigt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird sie als eigenständige Disziplin betrachtet. |
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Die '''moderne philosophische Ethik''' hatte ihren Ursprung in den Arbeiten von [[Thomas Hobbes]], [[David Hume]], [[Baruch Spinoza|Spinoza]] und [[Immanuel Kant]]. |
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=== Normative Ethik === |
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Der [[Utilitarismus]] wurde von [[Jeremy Bentham]] und [[John Stuart Mill]] entwickelt. [[Arthur Schopenhauer]] schuf in Abgrenzung zu Kant eine Mitleidsethik. [[Friedrich Nietzsche]] gilt als der radikalste Kritiker sämtlicher Arten von Ethik. Insbesondere verwies er darauf, dass moralische Bewertungen von der jeweiligen Perspektive abhängen und dass Moralsysteme sehr oft der Festigung der Position der Herrschenden dienen (sofern damit ein [[Relativismus]] behauptet werden soll, sind die dort aufgeführten Gegenargumente zu nennen). Der analytischen Ethik ([[George Edward Moore|G. E. Moore]], W. D. Ross) folgten [[Emotivismus]] (C. L. Stevenson, [[Alfred Jules Ayer]]) und [[Existenzialismus]] ([[Jean Paul Sartre]]). [[Emmanuel Lévinas]] suchte die Ethik von der Beziehung zu dem Anderen her neu zu denken. In der [[Feminismus|feministischen]] Ethik wird darauf aufmerksam gemacht, dass bestimmte Werte (z.B. Fürsorge) und Lebenssituationen aus Sicht der Frau in der herkömmlichen Diskussion stark vernachlässigt wurden. |
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Normative Ethik erarbeitet und untersucht allgemeingültige [[Soziale Norm|Normen]] und [[Werturteil|Werte]] sowie deren Begründung. Sie ist der Kern der allgemeinen Ethik. Als Reflexionstheorie der [[Moral]] wertet und urteilt sie über das Gute und Richtige. |
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=== Angewandte Ethik === |
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{{Hauptartikel|Angewandte Ethik}} |
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Angewandte Ethik baut auf der normativen Ethik auf. Sie äußert sich als Individual- und Sozialethik sowie in den Bereichsethiken zu spezifischen Lebensbereichen, beispielsweise [[Medizinethik]] oder [[Wirtschaftsethik]]. [[Ethikkommission]]en, [[Ethikrat|-räte]] und -institute erarbeiten Normen oder Handlungsempfehlungen für bestimmte Bereiche. |
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=== Warum überhaupt Ethik? === |
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=== Deskriptive Ethik === |
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Die Ethik ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Sie soll dem Menschen in einer immer unüberschaubarer werdenden Welt Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings immer nur allgemeine Prinzipien zur Verfügung stellen. Die Anwendung dieser Prinzipien auf den einzelnen Fall ist nicht mehr durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft. Aristoteles vergleicht sie mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns. Wie diese muss auch die praktische Urteilskraft allgemeine Prinzipien immer wieder auf neue Situationen und Lebenslagen anwenden. Damit spielt für die richtige sittliche Entscheidung neben der Kenntnis der allgemeinen Prinzipien die persönliche Lebenserfahrung eine große Rolle. |
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Häufig nicht zum klassischen Kanon der Ethik gerechnet wird die ''deskriptive Ethik'', die sich versteht als [[Empirie|empirische]] Untersuchung, Beschreibung und ursächlichen Erklärung von Normensystem innerhalb einer Gesellschaft, und dabei keine moralischen Urteile fällt. |
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== Begründungen normativer Sätze == |
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=== Gründe für und gegen Moral === |
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Die Frage, ob man überhaupt moralisch sein soll, wird in [[Platon]]s ''[[Politeia]]'' im ersten Kapitel aufgeworfen. In der Moderne wurde der Diskurs um die Frage von [[Francis Herbert Bradley|Bradley]]<ref>F. H. Bradley: ''Why should I be moral?'' In: ''Ethical Studies.'' The Clarendon Press, Oxford 1876.</ref> und [[James Cowles Prichard|Prichard]] eingeleitet. |
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Metaethische [[Kognitivismus|Kognitivisten]] behaupten, erkennen zu können, wie man moralisch handeln solle. Somit stellt sich ihnen die Frage, ob man das überhaupt tun soll nicht mehr, da sie auch gleich mit erkennen, dass man dies tun soll. |
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Die Ausgangsfrage, die sich die Ethik stellen muss, ist, ob die Frage nach dem richtigen Handeln überhaupt sinnvoll ist und moralische Sätze sich begründen lassen. Dabei gibt es v.a. drei Ansätze, die die Begründbarkeit moralischer Sätze bestreiten: den ethischen Relativismus, den Nonkognitivismus und den Dezisionismus. |
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Metaethische Nonkognitivisten hingegen müssen die Frage, ob man moralisch handeln soll, klären. |
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'''Ethischer Relativismus''' |
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Die Diskussion wird in der Philosophie zumeist anhand der Frage „Warum soll man moralisch sein?“ geführt. Das Sollen innerhalb der Frage ist dabei kein moralisches Sollen, sondern verweist auf eine Akzeptanz besserer Gründe, z. B. anhand der [[Theorie der rationalen Entscheidung]]. Die Antwort auf die Frage hängt also ab vom jeweiligen Verständnis von [[Vernunft]]. |
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Die Frage, ob man moralisch sein soll oder nicht, wird beantwortet mit: |
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Innerhalb des ethischen Relativismus lassen sich grundsätzlich ein deskriptiver und ein normativer Relativismus unterscheiden. |
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* „Ja“ von allen, die Gründe für Moral anführen,<ref>Kurt Bayertz: ''Warum überhaupt moralisch sein?'' C. H. Beck Verlag, München 2004, ISBN 3-406-52196-7.</ref> |
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* „Nein“ von den [[Amoralismus|Amoralisten]], |
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* „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ von [[Dezisionismus|Dezisionisten]]. |
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Die Situation des Menschen, der sich zwischen diesen Antworten entscheiden muss, hat ihre klassische Gestaltung in der so genannten [[Prodikos]]-Fabel von [[Herakles am Scheideweg]] gefunden, die auch von vielen christlichen Autoren rezipiert wurde. |
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''Der deskriptive Relativismus'' bezieht sich darauf, dass die die Moralvorstellungen der Menschen durch äußere Faktoren wie Kultur, Wirtschaftsordnung, Klassenzugehörigkeit etc. bedingt seien. Daher könne auch keine allgemein gültige Moral formuliert werden. |
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=== Absolute Begründung der Moral === |
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Diese Behauptung lässt sich auf zwei Ebenen angreifen. Auf der empirischen Ebene kann bestritten werden, dass die faktischen moralischen Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen und Kulturen tatsächlich auf grundlegender Ebene miteinander völlig unvereinbar wären. Entscheidend ist jedoch der Einwand, dass aus deskriptiven Urteilen keine Geltungsurteile abgeleitet werden können. Daraus, dass Menschen tatsächlich unterschiedlich moralisch urteilen, kann nicht gefolgert werden, dass tatsächlich auch unterschiedliche Moralvorstellungen Gültigkeit hätten. Dies gilt es ja gerade nachzuweisen. |
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Eine bekannte absolute Moralbegründung ist die der [[Letztbegründung]] von [[Karl-Otto Apel]]. Angenommen jemand lehnt es ab, über Zwecke zu reden, dann sei diese Ablehnung bereits ein Reden über Zwecke. Insofern ist dies ein so genannter [[Retorsion|performativer Selbstwiderspruch]]. |
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Moralbegründung aus Sicht der [[Systemtheorie (Luhmann)|Systemtheorie]] verzichtet darauf, zu begründen, warum Individuen moralisch handeln sollen. Stattdessen wird dargelegt, warum Moral als Regulierungsfunktion des Kommunikationssystems unentbehrlich ist (s. a. [[AGIL-Schema]]). |
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Der ''normative Relativismus'' steht dagegen auf dem Standpunkt, dass ein ethisches Urteil dann gültig ist, wenn es vom moralischen Standpunkt jener Gesellschaft richtig ist, welcher der Urteilende angehört. So sieht z.B. der von [[Alasdair MacIntyre]] vertretene [[Kommunitarismus]] die [[Tradition]] als letzten Maßstab ethischer Rationalität. Seiner Ansicht nach können daher ethische Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen Traditionen nicht gelöst werden. Gegen diese Argumentation lässt sich v.a. der Einwand erheben, dass sie sich als Metatheorie über den Traditionen stehend verstehen muss und sich insofern selbst widerspricht. |
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=== Relative Begründungen der Moral === |
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'''Nonkognitivismus''' |
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Viele Philosophen behaupten, dass man zwar nicht beweisen kann, dass Amoralismus logisch widersprüchlich ist, dass aber im wirklichen Leben Amoralisten viele Nachteile haben, so dass moralisches Verhalten größere Rentabilität im Sinne der [[Theorie der rationalen Entscheidung]] besitzt. Ethik wird mit dieser Form von Moralbegründung zu einer Spezialform von Zweckrationalität. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Argumentationslinie ist [[David Gauthier]]. |
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Viele Philosophen dieser Richtung berufen sich auf den Grundsatz [[quid pro quo]] oder auf ''[[Tit for Tat]]''-Strategien. |
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[[Image:David Hume.jpg|thumb|right|Für Hume ist die Vernunft nur „Sklave der Affekte“.]] |
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Während der ethische Relativismus immerhin noch anerkennt, dass mit moralischen Sätzen ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, der dann zurückgewiesen wird, geht der Nonkognitivismus noch einen Schritt weiter: er bestreitet, dass mit moralischen Sätzen überhaupt ein Wahrheitsanspruch erhoben wird. |
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Andere meinen, Amoralisten seien auf Einsamkeit festgelegt, da man ihnen nicht vertrauen könne und auch sie niemandem vertrauen könnten. Daher könnten sie eines der wichtigsten Lebensgüter, soziale Gemeinschaft und Anerkennung, nie erreichen. |
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''David Hume'' |
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Nach [[R. M. Hare]] können Amoralisten keine moralischen Begriffe gebrauchen und daher nicht von ihren Mitmenschen fordern, sie fair zu behandeln. Die Möglichkeit entsprechender Lügen sah Hare nicht. Hare behauptete zudem, der Aufwand, den Amoralisten treiben müssten, um ihre Überzeugung zu verschleiern, wäre so groß, dass sie sozial immer im Nachteil seien. |
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Die wichtigsten Argumente des Nonkognitivismus finden sich bereits bei [[David Hume]]. Seiner Ansicht nach können nur zwei Typen von Sätzen einen Wahrheitsanspruch erheben: Sätze, die eine Aussage über die Beziehung von Vorstellungen (''ideas'') enthalten und Sätze, die eine Aussage über den Bereich der Erfahrung machen. Bei den „Gegenständen“ der Moral, Affekten, Willensakten und Handlungen, sei die Frage nach einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sinnlos: |
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{{Belege fehlen|WP wäre keine zulässige Quelle}} |
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Amoralisten kritisieren verschiedene Moralbegründungen, indem sie darauf verweisen, dass es in vielen Teilen der Welt relativ stabile Verhältnisse gibt, die üblichen moralischen Vorstellungen widersprechen, z. B. völkerrechtswidrige Kriege um Ressourcen, [[Sklaverei#Gegenwart|Sklaverei]] oder erfolgreiche [[Organisierte Kriminalität|Mafia-Organisationen]]. Siehe [[ethischer Relativismus]]. |
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=== Dezisionismus === |
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''„Es widerspricht der Vernunft nicht, wenn ich die Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer an meinem Finger vorziehe“'' (''[[A Treatise of Human Nature]]'', II 3,3) {{Ref|HuNatur}}. |
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{{Hauptartikel|Dezisionismus}} |
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Dezision (von latein. decidere: entscheiden, fallen, abschneiden) bedeutet so viel wie Entscheidung. |
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Die Vernunft ist seiner Ansicht nach nur „Sklave der Affekte“. Ihre Funktion erschöpft sich darin, dass sie Mittel für die von den Affekten vorgegebenen Ziele sucht. Die Regeln der Moral sind nach Hume keine Folgerungen der Vernunft, sondern beruhen nur auf einem Gefühl. |
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Der Begriff des Dezisionismus wird oft in pejorativer Bedeutung gebraucht von Metaethischen Kognitivisten gegenüber Philosophen, die nur relative Begründungen der Moral anerkennen, z. B. [[Richard Mervyn Hare|Hare]] oder [[Karl Popper|Popper]] und [[Hans Albert]]. |
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Dezisionisten sehen keine Alternative zu Prinzipienentscheidungen, die aus logischen oder pragmatischen Gründen ihrerseits nicht mehr weiter begründet werden können. So behauptete z. B. [[Henry Sidgwick]], der Mensch müsse sich zwischen [[Utilitarismus]] und [[Ethischer Egoismus|Egoismus]] entscheiden. |
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''Alfred Jules Ayer'' |
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Dem Dezisionismus wird von seinen Kritikern ähnlich wie dem metaethischen Nonkognitivismus entgegengehalten, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden könnten: Man entscheide sich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese würden umgekehrt die Grundlage von Entscheidungen darstellen. |
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In der metaethischen Diskussion der Gegenwartsphilosophie wurde dieser Ansatz Humes wieder aufgegriffen. So unterscheidet [[Alfred Jules Ayer]] wie Hume zwei Klassen sinnvoller Aussagen oder Propositionen: analytische und empirische Propositionen. Moralische Sätze lassen sich in keine dieser beiden Klassen einordnen. Sie dienen vielmehr dem Ausdruck von Gefühlen oder von Einstellungen des Sprechers und sollen bei anderen Gefühle hervorrufen, um so Handlungen auszulösen: |
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Außerdem argumentieren Vertreter des [[Naturrecht]]s dafür, dass sich die Objektivität der Ethik (also das Sollen) auf die Natur bzw. das Wesen des Seienden und letztlich auf das Sein selbst (z. B. [[Gott]]) zurückführen ließen. |
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:''„Das Vorhandensein eines ethischen Symbols in einer Proposition fügt ihrem tatsächlichen Inhalt nichts hinzu. Wenn ich daher zu jemand sage ‚Du tatest Unrecht, als du das Geld stahlst’, dann sage ich nicht mehr aus, als ob ich einfach gesagt hätte, ‚Du stahlst das Geld’. Indem ich hinzufüge, dass diese Handlung unrecht war, mache ich über sie keine weitere Aussage. Ich zeige damit nur meine moralische Missbilligung dieser Handlung. Es ist so, als ob ich ‚Du stahlst das Geld’ in einem besonderen Tonfall des Entsetzens oder unter Hinzufügung einiger besonderer Ausrufezeichen geschrieben hätte. Der Tonfall oder die Ausrufezeichen fügen der Bedeutung des Satzes nichts hinzu. Sie dienen nur dem Hinweis, dass sein Ausdruck von gewissen Gefühlen des Sprechers begleitet wird"'' (''[[Sprache, Wahrheit und Logik]]'', S. 141) {{Ref|Ayer}}. |
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== Ethische Grundbegriffe == |
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''Kritik'' |
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[[Datei:Ethische Grundbegriffe.svg|mini|Ethische Grundbegriffe in ihrem Zusammenhang]] |
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=== Moralische Handlungen === |
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Gegen die These des Nonkognitivismus, ethische Aussagen seien bloße Gefühlsäußerungen ohne Wahrheitswert wird der Einwand erhoben, dass dieser den [[Lokution|lokutionären Bestandteil]] von moralischen Äußerungen zu sehr vernachlässige. Moralische Äußerungen drücken zwar eine subjektive Einstellung des Sprechers zum Gegenstand aus und dienen auch dazu eine bestimmte Verhaltensweise des anderen auszulösen. Ihre Bedeutung könne sich aber darin nicht erschöpfen, da die Grundlage meiner Einstellung und des Anspruchs an den anderen die Überzeugung von der Richtigkeit meiner Aussage darstelle. Weiterhin können Emotionen und Aufforderungen ihrerseits wiederum einer ethischen Bewertung unterzogen werden. |
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Im Mittelpunkt [[Deontologische Ethik|deontologischer Ethiken]] steht der Begriff der [[Handeln|Handlung]]. Sie wird in erster Annäherung definiert als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“.<ref>Friedo Ricken: ''Allgemeine Ethik.'' S. 96.</ref> Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden. |
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==== Absicht und Freiwilligkeit ==== |
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Es ist sinnvoll zu fragen, ob die mit einer moralischen Äußerung verbundene Emotion oder die Handlung, die ich beim Adressaten meiner Äußerung auslösen möchte, ihrerseits gut sind. |
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Handlungen unterscheiden sich von [[Ereignis]]sen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die [[Absicht]] des Handelnden. Die Absicht ([[lateinisch]] ''{{lang|la|intentio}}''; nicht zu verwechseln mit dem juristischen Absichtsbegriff, dem ''{{lang|la|dolus directus}}'' 1. Grades) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der [[Selbstverwirklichung|Freiwilligkeit]] zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen nicht mehr von einer Absicht im engeren Sinne gesprochen werden kann. |
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{{Siehe auch|Freier Wille}} |
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'''Dezisionismus''' |
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==== Wissen und Willen ==== |
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Der [[Dezisionismus]] sieht das letzte Kriterium moralischer Urteile in Entscheidungen, die einer rationalen Kritik allenfalls noch in einem eingeschränkten Sinne unterzogen werden können. |
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Eine Handlung ist dann ''freiwillig'', wenn sie mit Wissen und Willen durchgeführt wird. |
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Der Dezisionismus ist in den verschiedensten Spielarten anzutreffen. Ein Vertreter der sprachanalytischen Variante ist [[Richard Mervyn Hare]]. Für ihn lassen sich moralische Urteile auf Imperative zurückführen. Diesen Imperativen liegen Prinzipienentscheidungen zugrunde, die ihrerseits nicht mehr weiter begründbar sind. |
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Die Unwissenheit kann dabei allerdings nur dann die Freiwilligkeit einer Handlung aufheben, wenn die handelnde Person sich nach besten Kräften vorher informiert hat, und sie mit dem ihr fehlenden ''Wissen'' anders gehandelt hätte. War dem Handelnden eine Kenntnis der Norm oder der Folgen zuzumuten, ist er für ihre Übertretung verantwortlich (''ignorantia crassa'' oder ''supina''). Noch weniger entschuldigt jene Unkenntnis, die absichtlich zum Vermeiden eines Konflikts mit der Norm herbeigeführt wurde ''(ignorantia affectata),'' wenn also z. B. bewusst vermieden wird, sich über ein Gesetz zu informieren, um sagen zu können, man hätte von einem bestimmten [[Verbot]] nicht gewusst. Das Sprichwort sagt zu Recht: „[[Unwissenheit schützt vor Strafe nicht]]“. Auch im deutschen Strafrecht wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen. So heißt es z. B. in § 17 [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|StGB]]:<ref>{{§|17|StGB|dejure}} StGB</ref> |
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Auch im Kritischen Rationalismus [[Hans Albert]]s ist eine [[Letztbegründung]] der Moral nicht möglich (vgl. [[Münchhausen-Trilemma]]). Moralische Normen können sich nur bewähren oder nicht bewähren. Um das zu entscheiden, sind Kriterien erforderlich, die letztlich „erfunden und festgesetzt werden“ müssen. |
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{{Zitat |
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|Text=Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.}} |
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[[Datei:Immanuel Kant (portrait).jpg|mini|Kant versuchte eine rein formale Begründung der Ethik]] |
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Dem Dezisionismus muss ähnlich wie dem Nonkognitivsmus entgegengehalten werden, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden können: ich entscheide mich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese stellen umgekehrt die Grundlage meiner Entscheidungen dar. |
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Für die sittliche Bewertung einer Handlung ist außerdem das effektive ''Wollen'' wesentlich, die Absicht ihrer Verwirklichung. Das setzt voraus, dass zumindest der Handelnde der Auffassung war, dass ihm eine Verwirklichung seiner Absicht möglich sei, d. h., dass das Ergebnis von seinem Handeln kausal herbeigeführt werden könne. Unterliegt der Handelnde einem äußeren Zwang, hebt dieser die Freiwilligkeit der Handlung im Allgemeinen auf. |
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==== Handlungsprinzipien ==== |
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Absichten finden ihren Ausdruck in praktischen Grundsätzen. Diese können zunächst einmal in inhaltliche und formale Grundsätze unterschieden werden. Inhaltliche Grundsätze legen konkrete inhaltliche Güter (Leben, Gesundheit, Besitz, Vergnügen, Umwelt etc.) als Bewertungskriterium für das Handeln zugrunde. Sie sind teilweise subjektiv und haben unter Umständen einen dezisionistischen Charakter. In diesen Fällen können sie ihre eigene Vorrangstellung nicht gegenüber anderen, konkurrierenden inhaltlichen Grundsätzen begründen. |
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Im folgenden werden einige elementare Grundbegriffe der Ethik in systematischer Hinsicht dargestellt. Dabei sollen v.a. die Zusammenhänge zwischen ihnen deutlich werden, um die im historischen Teil dargestellten Positionen besser einordnen zu können. |
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[[Bild:Ethische Grundbegriffe in ihrem Zusammenhang.png|thumb|700px|none|Ethische Grundbegriffe in ihrem Zusammenhang]] |
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==== Moralische Handlungen==== |
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Im Mittelpunkt deontologischer Ethiken steht der Begriff der [[Handlung]]. Sie lässt sich in erster Annäherung definieren als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“ (Ricken, 82) {{Ref|Ri}}. Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden. |
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'''Absicht und Freiwilligkeit''' |
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Formale Grundsätze verzichten auf einen Bezug zu konkreten inhaltlichen Gütern. Das bekannteste Beispiel ist der [[Kategorischer Imperativ|Kategorische Imperativ]] [[Immanuel Kant|Kants]]. |
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Handlungen unterscheiden sich von [[Ereignis]]sen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die [[Absicht]] des Handelnden. Die Absicht (intentio) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der [[Freiwilligkeit]] zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen man nicht mehr von Absicht im engeren Sinne sprechen kann. |
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Es lassen sich grundsätzlich drei Ebenen der praktischen Sätze voneinander unterscheiden:<ref>Vgl. Ricken: ''Allgemeine Ethik.'' S. 136f.</ref> |
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Eine Handlung ist dann „freiwillig“, wenn sie mit Wissen und Willen durchgeführt wird. |
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# ein oberstes Prinzip praktischer Überlegungen (wie z. B. der [[Kategorischer Imperativ|Kategorische Imperativ]]) |
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# praktische Grundsätze, die sich aus dem obersten Prinzip ableiten (wie z. B. die [[zehn Gebote]]) |
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# Sätze, die Entscheidungen formulieren, indem sie Maximen auf konkrete Lebenssituationen anwenden |
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Die Ethik ist häufig nur in der Lage, Aussagen zu den ersten beiden Ebenen zu machen. Die Übertragung von praktischen Grundsätzen auf eine konkrete Situation, erfordert das [[Vermögen (Fähigkeit)|Vermögen]] der praktischen Urteilskraft. Nur mit seiner Hilfe können eventuell auftretende Zielkonflikte gelöst und die voraussichtlichen Folgen von Entscheidungen abgeschätzt werden. |
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* ''Das „Wissen“ als Bedingung der Freiwilligkeit'' |
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==== Handlungsfolgen ==== |
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Die Unwissenheit kann nur die Freiwilligkeit einer Handlung aufheben, wenn die handelnde Person sich nach besten Kräften vorher informiert hat und sie mit dem ihr fehlenden Wissen anders gehandelt hätte. War dem Handelnden eine Kenntnis der Norm oder der Folgen zuzumuten, ist er für ihre Übertretung verantwortlich (ignorantia crassa oder supina). Noch weniger entschuldigt jene Unkenntnis, die absichtlich zum Vermeiden eines Konflikts mit der Norm herbeigeführt wurde (ignorantia affectata), wenn also z.B. bewusst vermieden wird, sich über ein Gesetz zu informieren, um sagen zu können, man hätte von einem bestimmten Verbot nicht gewusst. |
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[[Datei:Handlung.svg|mini|Komponenten einer Handlung]] |
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Wesentlich für die ethische Bewertung von Handlungen sind die mit ihnen verbundenen Folgen. Diese werden unterschieden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind solche, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird. Sie werden vom Handelnden unmittelbar angezielt („Voluntarium in se“). |
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<small>Im deutschen Strafrecht wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen. So heißt es z.B. in §17 [[StGB]]: |
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In Kauf genommene Folgen („Voluntarium in causa“) werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bewusst zugelassen ([[Prinzip der Doppelwirkung]]). So unterliegt beispielsweise bewusste Fahrlässigkeit als bedingter Vorsatz (dolus eventualis) der ethischen und rechtlichen Verantwortung: Volltrunkenheit entschuldigt nicht bei einem Verkehrsunfall. |
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<small>„Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden“.</small> |
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==== Tun und Unterlassen ==== |
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*''Das „Wollen“ als Bedingung der Freiwilligkeit'' |
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Bereits [[Thomas von Aquin]]<ref>[[Thomas von Aquin]]: ''[[Summa theologica]].''</ref> unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird, und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden und strafbar sein. |
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Die strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z. B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive [[Sterbehilfe]] etc.), erscheint daher vom ethischen Standpunkt aus gesehen als teilweise fragwürdig. |
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Für die sittliche Bewertung einer Handlung ist wesentlich das effektive Wollen, die Absicht ihrer Verwirklichung. Das setzt voraus, dass zumindest der Handelnde der Auffassung war, dass ihm eine Verwirklichung seiner Absicht möglich sei, d.h. dass das Ergebnis von seinem Handeln kausal herbeigeführt werden könne. Unterliegt der Handelnde einem äußeren Zwang, hebt diese die Freiwilligkeit der Handlung auf. |
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[[Bild:Handlung.png|thumb|350px|Komponenten einer Handlung]] |
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=== Das Ziel menschlichen Handelns === |
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'''Handlungsfolgen''' |
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{{Hauptartikel|Teleologie}} |
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Im Mittelpunkt teleologischer Ethiken steht die Frage, was ich mit meiner Handlung letztlich bezwecke, welches Ziel ich mit ihr verfolge. Der Begriff „Ziel“ (finis, telos;) ist hier insbesondere als „letztes Ziel“ oder „Endziel“ zu verstehen, von dem all mein Handeln bestimmt wird. |
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Wesentlich für die ethische Bewertung von Handlungen sind die mit ihnen verbundenen Folgen. Diese sind zu unterscheiden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind Folgen, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird. Sie werden vom Handelnden unmittelbar angezielt („Voluntarium in se“). |
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==== Glück als letztes Ziel ==== |
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In Kauf genommene Folgen („Voluntarium in causa“) werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bewusst zugelassen (siehe auch Prinzip der [[Doppelwirkung]]). So unterliegt beispielsweise bewusste Fahrlässigkeit als bedingter Vorsatz (dolus eventualis) der ethischen und rechtlichen Verantwortung. Volltrunkenheit entschuldigt nicht bei einem Verkehrsunfall. |
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[[Datei:Angelo Bronzino - Allegorie Des Glücks.jpg|mini|Das Glück als letztes Ziel des menschlichen Lebens – [[Allegorie]] von [[Angelo Bronzino]]]] |
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In der Tradition wird als letztes Ziel des Menschen häufig das [[Glück]] oder die Glückseligkeit (beatitudo) genannt. Der Ausdruck „Glück“ wird dabei in einem mehrdeutigen Sinne gebraucht: |
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'''Tun und Unterlassen''' |
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* zur Bezeichnung eines gelungenen und guten Lebens, dem nichts Wesentliches fehlt („Lebensglück“, ''eudaimonia'') |
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* zur Bezeichnung günstiger Lebensumstände („Zufallsglück“, ''eutychia'') |
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* zur Bezeichnung des subjektiven Wohlbefindens (Glück als Lust, ''hedone'') |
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Philosophiegeschichtlich konkurrieren die Bestimmungen von Glück als „Lebensglück“ und als subjektives Wohlbefinden miteinander. Für die [[Eudaimonie|Eudämonisten]] (Platon, Aristoteles) ist Glück die Folge der Verwirklichung einer Norm, die als Telos im Wesen des Menschen angelegt ist. Glücklich ist dieser Konzeption zufolge vor allem, wer auf vernünftige Weise tätig ist. |
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Bereits Thomas von Aquin{{Ref|Sth}} unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden. |
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Für die [[Hedonismus|Hedonisten]] (Sophisten, klassische Utilitaristen) gibt es kein zu verwirklichendes Telos des Menschen mehr; es steht keine objektive Norm zur Verfügung, um zu entscheiden, ob jemand glücklich ist. Dies führt zu einer Subjektivierung des Glücksbegriffs. Es obliege allein dem jeweiligen Individuum, zu bewerten, ob es glücklich ist. Glück wird zum Teil auch mit dem Erreichen von Gütern wie Macht, Reichtum, Ruhm etc. gleichgesetzt. |
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Die strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z.B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive [[Sterbehilfe]] etc.), muss daher vom ethischen Standpunkt als fragwürdig erscheinen. |
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==== Sinn und Ziel ==== |
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Das Wort „Sinn“ bezeichnet grundsätzlich die Qualität von etwas, das dieses verstehbar macht. Wir verstehen etwas dadurch, indem wir erkennen, worauf es „hingeordnet“ ist, wozu es dient. Die Frage nach dem Sinn steht also in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Ziel oder Zweck von etwas. Auch der Sinn einer Handlung oder gar des ganzen Lebens kann nur beantwortet werden, wenn die Frage nach seinem Ziel geklärt ist. Eine menschliche Handlung bzw. ein gesamtes Leben ist dann sinnvoll, wenn es auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist. |
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=== Das Gute === |
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Im Mittelpunkt teleologischer Ethiken steht die Frage, was ich mit meiner Handlung letztlich bezwecke, welches Ziel ich mit ihr verfolge. Der Begriff „Ziel“ (finis, telos) ist hier als „letztes Ziel“ oder „Endziel“ zu verstehen, von dem all mein Handeln bestimmt wird. |
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{{Hauptartikel|Das Gute}} |
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==== Der Begriff „gut“ ==== |
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'''Glück als letztes Ziel''' |
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„Gut“ gehört wie der Begriff „seiend“ zu den ersten und daher nicht mehr definierbaren Begriffen. Es wird zwischen einem [[adjektiv]]ischen und einem [[substantiv]]ischen Gebrauch unterschieden. |
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Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Hinordnung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z. B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im Prädikator „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllen – also z. B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen. Ein „guter Mensch“ ist demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht, also dem menschlichen Wesen bzw. seiner Natur entspricht. |
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In der Tradition wird als letztes Ziel des Menschen das Glück oder die Glückseligkeit (beatitudo) genannt. Der Ausdruck „Glück“ wird dabei in einem mehrdeutigen Sinne gebraucht: |
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* zur Bezeichnung eines gelungenen und guten Leben, dem nicht Wesentliches fehlt („Lebensglück“, eudaimonia) |
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* zur Bezeichnung günstiger Lebensumstände („Zufallsglück“, eutychia) |
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* zur Bezeichnung des subjektiven Wohlbefindens (Glück als Lust , hedone) |
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Als Substantiv bezeichnet das Wort „das Gut“ etwas, auf das hin wir unser Handeln ausrichten. Wir gebrauchen es normalerweise in dieser Weise, um „eine unter bestimmten Bedingungen vollzogene Wahl als richtig oder gerechtfertigt zu beurteilen“.<ref>Ricken: ''Allgemeine Ethik.'' S. 84.</ref> So kann beispielsweise eine Aussage wie „Die Gesundheit ist ein Gut“ als Rechtfertigung für die Wahl einer bestimmten Lebens- und Ernährungsweise dienen. In der philosophischen Tradition war man der Auffassung, dass prinzipiell jedes Seiende – unter einer gewissen Rücksicht – Ziel des Strebens sein könne („omne ens est bonum“). Daher wurde die „Gutheit“ des Seienden zu den [[Transzendentalien]] gerechnet. |
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Philosophiegeschichtlich konkurrieren die Bestimmungen von Glück als „Lebensglück“ und als subjektives Wohlbefinden gegeneinander. Für die „eudaimonia-Vertreter“ (Platon, Aristoteles) ist Glück die Folge der Verwirklichung einer Norm, die als Telos im Wesen des Menschen angelegt ist. Glücklich ist dieser Konzeption zufolge vor allem, wer auf vernünftige Weise tätig ist. |
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Gemäß der Analyse von Richard Mervyn Hare werden wertende Wörter wie „gut“ oder „schlecht“ dazu verwendet, in Entscheidungssituationen Handeln anzuleiten bzw. Empfehlungen zu geben. Die Wörter „gut“ oder „schlecht“ haben demnach keine beschreibende (deskriptive), sondern eine vorschreibende (präskriptive) Funktion. |
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Für die „hedone-Vertreter“ (Sophisten, klassische Utilitaristen) gibt es kein zu verwirklichendes Telos des Menschen mehr; es steht keine objektive Norm mehr zu Verfügung, um zu entscheiden, ob jemand glücklich ist. Dies führt zu einer Subjektivierung des Glücksbegriffs. Es obliegt nun allein dem jeweiligen Individuum, zu bewerten, ob es glücklich ist. Glück wird hier mit dem Erreichen von Gütern wie Macht, Reichtum, Ruhm etc. gleichgesetzt. |
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Dies kann an einer außermoralischen Verwendung des Wortes „gut“ verdeutlicht werden. Wenn ein Verkäufer zum Kunden sagt: „Dies ist ein guter Wein“, dann empfiehlt er den Kauf dieses Weines, er beschreibt damit jedoch keine wahrnehmbare Eigenschaft des Weines. Insofern es jedoch sozial verbreitete Bewertungsstandards für Weine gibt (er darf nicht nach Essig schmecken, man darf davon keine Kopfschmerzen bekommen etc.), so bedeutet die Bewertung des Weines als „gut“, dass der Wein diese Standards erfüllt und dass er somit auch bestimmte empirische Eigenschaften besitzt. |
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'''Sinn und Ziel''' |
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Die Bewertungskriterien, die an eine Sache angelegt werden, können ''je nach dem Verwendungszweck variieren''. Ein herber Wein mag als Tafelwein gut, für sich selbst getrunken dagegen eher schlecht sein. Der Verwendungszweck einer Sache ist keine feststehende Eigenschaft der Sache selbst, sondern beruht auf menschlicher Setzung. Eine Sache ist „gut“ – immer bezogen auf bestimmte Kriterien. Wenn der Verkäufer sagt: „Dies ist ein sehr guter Tafelwein“ dann ist er so, wie er gemäß den üblichen Kriterien für Tafelwein sein soll. |
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Das Wort „[[Sinn]]“ bezeichnet grundsätzlich die Qualtität von etwas, das dieses verstehbar macht. Wir verstehen etwas dadurch, indem wir erkennen, worauf es „hingeordnet“ ist, wozu es dient. Die Frage nach dem Sinn steht also in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Ziel oder Zweck von etwas. Auch der Sinn einer Handlung oder gar des ganzen Lebens kann nur beantwortet werden, wenn die Frage nach seinem Ziel geklärt ist. Meine Handlung bzw. mein gesamtes Leben ist dann sinnvoll, wenn es auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist. |
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Wenn das Wort „gut“ in moralischen Zusammenhängen gebraucht wird („Dies war eine gute Tat“), so empfiehlt man die Tat und drückt aus, dass sie so war, wie sie sein soll. Man beschreibt damit jedoch nicht die Tat. Wird auf allgemein anerkannte moralische Kriterien Bezug genommen, drückt man damit zugleich aus, dass die Tat bestimmte empirische Eigenschaften besitzt, z. B. eine Zurückstellung des Eigeninteresses zugunsten überwiegender Interessen von Mitmenschen. |
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==== Das Gute ==== |
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==== Das höchste Gut ==== |
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'''Der Begriff „gut“''' |
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{{Hauptartikel|Höchstes Gut}} |
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Als das höchste Gut (''summum bonum'') wird das bezeichnet, was nicht nur unter einer bestimmten Rücksicht (für den Menschen) gut ist, sondern schlechthin, da es dem Menschen als Menschen ohne Einschränkung entspricht. Es ist identisch mit dem „unbedingt Gesollten“. Seine inhaltliche Bestimmung hängt ab von der jeweiligen Sicht der Natur des Menschen. In der Tradition wurden dabei die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge präsentiert: |
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„Gut“ gehört wie der Begriff „seiend“ zu den ersten und daher nicht mehr definierbaren Begriffen. Es ist zwischen einem adjektivischen und einem substantivischen Gebrauch zu unterscheiden. |
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* das Glück (Eudämonismus) |
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* die Lust ([[Hedonismus]], klassischer [[Utilitarismus]]) |
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* Macht ([[Niccolò Machiavelli|Machiavelli]]) |
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* Einheit mit Gott bzw. Gott selbst ([[christliche Philosophie]]) |
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* [[Erleuchtung (Buddhismus)|Erwachen]] (bodhi) zu Weisheit und Mitgefühl ([[Buddhismus]]) |
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* Bedürfnisbefriedigung ([[Hobbes]]) |
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* Einheit von Tugend und Glück ([[Kant]]) |
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* Freiheit ([[Jean-Paul Sartre|Sartre]]) |
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=== Werte === |
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Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Hinordnung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z.B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im Prädikator „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllen – also z.B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen.<br> |
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Der Begriff „Wert“ stammte ursprünglich aus der [[Politische Ökonomie|Politischen Ökonomie]], in der [[Adam Smith]], [[David Ricardo]] und später [[Karl Marx]] unter anderem die Unterscheidung von [[Gebrauchswert|Gebrauchs-]] und [[Tauschwert]] untersuchten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde „Wert“ ein philosophischer Terminus, der im Rahmen der [[Wertphilosophie]] ([[Max Scheler]] u. a.) eine zentrale Bedeutung einnahm. Dort führte man ihn als Gegenbegriff zur Kantischen Pflichtethik ein, in der Annahme, dass Werten vor allen Vernunftüberlegungen eine „objektive Gültigkeit“ zukommen würde. |
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Ein „guter Mensch“ wäre demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht. |
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In der [[Alltagssprache]] taucht der Begriff auch in jüngster Zeit wieder verstärkt auf, gerade wenn von „[[Wertvorstellung|Grundwerten]]“, einem „[[Wertewandel]]“ oder einer „neuen Wertedebatte“ die Rede ist. |
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Als Substantiv bezeichnet das Wort „Gut“ etwas, auf das hin wir unser Handeln ausrichten. Wir gebrauchen es normalerweise in dieser Weise, um „eine unter bestimmten Bedingungen vollzogene Wahl als richtig oder gerechtfertigt zu beurteilen“ (Ricken, 70){{Ref|Ri}}. So kann beispielsweise eine Aussage wie „Die Gesundheit ist ein Gut“ als Rechtfertigung für die Wahl einer bestimmte Lebens- und Ernährungsweise dienen. In der philosophischen Tradition war man der Auffassung, dass prinzipiell jedes Seiende – unter einer gewissen Rücksicht - Ziel des Strebens sein könne („omne ens est bonum“). Daher wurde die „Gutheit“ der Seienden zu den [[Transzendentalien]] gerechnet. |
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Der Wertbegriff weist große Ähnlichkeiten mit dem [[Das Gute|Begriff des Guten]] auf. Er wird wie dieser grundsätzlich in einer subjektiven und einer objektiven Variante gebraucht: |
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'''Das höchste Gut''' |
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* als „objektiver Wert“ bezeichnet er den „Wert“ von bestimmten Gütern für den Menschen – wie z. B. den Wert des menschlichen Lebens, der Gesundheit etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum physicum“ („physisches Gut“). |
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* als „subjektive Werthaltung“ bezeichnet er das, was mir wertvoll ist, meine „Wertvorstellungen“ – wie Treue, [[Gerechtigkeit]] etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum morale“ („sittliches Gut“). |
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Im Vergleich zum Begriff des Guten kommt dem Wertbegriff allerdings eine stärkere gesellschaftliche Bedingtheit zu. So spricht man von einem „Wertewandel“, wenn man ausdrücken will, dass sich bestimmte, in einer Gesellschaft allgemein akzeptierte [[Handlungsnorm]]en im Verlauf der Geschichte verändert haben. Damit meint man aber in der Regel nicht, dass das, was früher für gut gehalten wurde, nun „tatsächlich“ nicht mehr gut sei, sondern nur, dass sich das allgemeine Urteil darüber geändert habe. |
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Als das [[Das Gute|„höchste Gut (summum bonum)“]] wird das bezeichnet, was nicht nur unter einer bestimmten Rücksicht für den Menschen gut ist, sondern schlechthin, da es dem Menschen als Menschen ohne Einschränkung entspricht. Es ist identisch mit dem „unbedingt Gesollten“. Seine inhaltliche Bestimmung hängt ab von der jeweiligen Sicht der Natur des Menschen. In der Tradition wurden dabei die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge präsentiert: |
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* das Glück (Aristoteles) |
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* die Lust (Hedonismus, klassischer Utilitarismus) |
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* Macht (Machiavelli, Nietzsche) |
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* Einheit mit Gott (christliche Philosophie) |
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* Bedürfnisbefriedigung (Hobbes) |
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* Einheit von Tugend und Glück (Kant) |
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* Freiheit (Sartre) |
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====Wert==== |
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Der Begriff „Wert“ stammte ursprünglich aus der [[Nationalökonomie]], wo man u.a. zwischen [[Gebrauchswert|Gebrauchs-]] und [[Tauschwert]] unterschied. Er wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein philosophischer Terminus, wo er im Rahmen der „Wertphilosophie“ eine zentrale Bedeutung einnahm. In der Alltagssprache taucht der Begriff gerade auch in jüngster Zeit wieder auf, wenn von „[[Grundwerte]]n“, einem „[[Wertewandel]]“ und einer „neuen Wertedebatte“ die Rede ist. |
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Der Bedeutung des Wertbegriffs ähnelt stark der des klassischen Begriffs des „Gutes“ (bonum). Er wird wie dieser grundsätzlich in zwei verschiedenen Varianten gebraucht: |
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* als „objektiver Wert“ (bonum physicum) bezeichnet er den „Wert“ von bestimmten Gütern für den Menschen (wie z.B. den Wert des menschlichen Lebens, der Gesundheit etc.) |
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* als Werthaltung (bonum morale) bezeichnet er das, was mir wertvoll ist, meine „Wertvorstellungen“ (wie Treue, Gerechtigkeit etc.) |
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=== Tugend === |
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Dem Begriff des Wertes kommt im Unterschied zum Begriff des Guten eine gewisse gesellschaftliche Bedingtheit zu. Wir bezeichnen etwas als „werthaft“, wenn es nach dem Urteil der Gesellschaft erstrebbar ist. So kann es zu einem „Wertewandel“ – nicht aber einem „Gutheitswandel“ – kommen, wenn sich das Urteil der Gesellschaft ändert. Die Rolle der Gesellschaft zeigt sich bereits, wenn wir beliebig einige Dinge herausgreifen, die allgemein als „Wert“ oder „wertvoll“ bezeichnet werden: |
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{{Hauptartikel|Tugend}} |
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* ein Mitarbeiter gilt als „wertvoll“, wenn er eine für das Unternehmen wichtige Arbeit leistet |
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[[Datei:Raffael 054.jpg|mini|Allegorie der Tugend von [[Raffael]] in der [[Stanza della Segnatura]] des [[Apostolischer Palast|Vatikan]]]] |
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* als „Grundwerte“ werden für gewöhnlich die Leitbegriffe der Französischen Revolution, „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“, bezeichnet, die einen starken politischen Bezug aufweisen |
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* die hohe Wertschätzung der [[Gesundheit]] – wie sich z.B. in der sich stark verbreitenden „[[Wellness]]kultur“ zeigt - ist das Ergebnis einer intensiven gesellschaftlichen Diskussion der letzten Jahre |
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Die richtige Abwägung ethischer Güter und ihre Durchsetzung setzt Tugend voraus. |
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====Tugend==== |
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In ihrer klassischen Definition formuliert sie Aristoteles als ''jene feste Grundhaltung, von der aus [der Handelnde] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt'' (NE 1106a).<ref name="NE">[[Aristoteles]]: ''[[Nikomachische Ethik]].'' ''[[Politik (Aristoteles)|Politik]].''</ref> |
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Die richtige Abwägung ethischer Güter und ihre Durchsetzung setzt [[Tugend]] voraus. |
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In ihrer klassischen Definition formuliert sie Aristoteles als ''„jene feste Grundhaltung, von der aus [der Handelnde] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt“'' (NE 1106a){{Ref|NE}}.<br> |
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Die Leistung der ethischen Tugenden besteht v.a. darin, im Menschen eine Einheit von sinnlichem Strebevermögen und sittlicher Erkenntnis zu bewirken. Wir bezeichnen einen Menschen erst dann als „gut“, wenn er zur inneren Einheit mit sich selbst gekommen ist und das als richtig Erkannte auch affektiv voll bejaht. Dies ist nach Aristoteles nur durch eine Integration der Gefühle durch die ethischen Tugenden möglich. Die ungeordneten Gefühle verfälschen das sittliche Urteil. Das Ziel der Einheit von Vernunft und Gefühl führt über eine bloße Ethik der richtigen Entscheidung hinaus. Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern auch wer wir sind.<br> |
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Tugend setzt eine Gewöhnung voraus, die durch Erziehung und soziale Praxis erreicht wird. Wir werden gerecht, mutig etc., indem wir uns in Situationen begeben, wo wir uns entsprechend verhalten können. Die wichtigste Rolle kommt dabei der Tugend der [[Klugheit]] (phronesis) zu. Ihr obliegt es, die rechte „Mitte“ zwischen den Extremen zu finden und sich für die optimale Lösung in der konkreten Situation zu entscheiden. |
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Die Leistung der ethischen Tugenden besteht vor allem darin, im Menschen eine Einheit von sinnlichem Strebevermögen und sittlicher Erkenntnis zu bewirken. Ein Mensch gilt erst dann als „gut“, wenn er zur inneren Einheit mit sich selbst gekommen ist und das als richtig Erkannte auch affektiv voll bejaht. Dies ist nach Aristoteles nur durch eine Integration der Gefühle durch die ethischen Tugenden möglich. Ungeordnete Gefühle verfälschen das sittliche Urteil. Das Ziel der Einheit von Vernunft und Gefühl führt über eine bloße Ethik der richtigen Entscheidung hinaus. Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern auch wer wir sind. |
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====Sollen==== |
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Tugend setzt neben Erkenntnis eine [[Gewöhnung]] voraus, die durch Erziehung und soziale Praxis erreicht wird. Wir werden gerecht, mutig etc., indem wir uns in Situationen begeben, wo wir uns entsprechend verhalten können. Die wichtigste Rolle kommt dabei der Tugend der [[Klugheit]] (phronesis) zu. Ihr obliegt es, die rechte „Mitte“ zwischen den Extremen zu finden und sich für die optimale Lösung in der konkreten Situation zu entscheiden. |
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Der Begriff „sollen“ ist ein Grundbegriff deontologischer Ethikansätze. Er bezieht sich – als Imperativ - auf eine Handlung, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: |
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=== Sollen === |
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Der Begriff „sollen“ ist ein Grundbegriff deontologischer Ethikansätze. Er bezieht sich – als Imperativ – auf eine Handlung, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: |
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* das vorgegebene Ziel kann verfehlt werden |
* das vorgegebene Ziel kann verfehlt werden |
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* das vorgegebene Ziel steht nicht in Konkurrenz zu anderen, übergeordneten Zielen |
* das vorgegebene Ziel steht nicht in Konkurrenz zu anderen, übergeordneten Zielen |
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* das |
* das vorgegebene Ziel kann prinzipiell erreicht werden („Jedes Sollen impliziert ein Können“) |
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Sprachanalytisch lässt sich das Sollen mit Hilfe der sog. [[deontisch]]en Prädikatoren erklären. Diese beziehen sich auf die sittliche Verbindlichkeit von Handlungen. Folgende Varianten sind dabei zu unterscheiden: |
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* moralisch möglich |
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* moralisch notwendig |
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* moralisch unmöglich |
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[[Sprachanalyse|Sprachanalytisch]] lässt sich das Sollen mit Hilfe der sogenannten [[deontisch]]en Prädikatoren erklären. Diese beziehen sich auf die sittliche Verbindlichkeit von Handlungen. Folgende Varianten sind dabei zu unterscheiden: |
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Moralisch mögliche Handlungen sind sittlich erlaubt, d.h. man darf so handeln. Moralisch notwendige Handlungen sind sittlich geboten. Hier spricht man davon, dass wir etwas tun sollen bzw. die [[Pflicht]] haben, etwas zu tun. Moralisch unmögliche Handlungen sind sittlich verbotene Handlungen, die wir nicht ausführen dürfen. |
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* moralisch möglich, |
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* moralisch notwendig, |
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* moralisch unmöglich. |
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Moralisch mögliche Handlungen sind sittlich erlaubt, d. h. man darf so handeln. Moralisch notwendige Handlungen sind sittlich geboten. Hier spricht man davon, dass wir etwas tun sollen bzw. die [[Pflicht]] haben, etwas zu tun. Moralisch unmögliche Handlungen sind sittlich verbotene Handlungen, die wir nicht ausführen dürfen; siehe auch [[Sünde]]. |
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'''Das Verhältnis zum Guten''' |
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;Das Verhältnis zum Guten |
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Die Begriffe „gut“ und „gesollt“ sind zwar eng miteinander verwandt aber nicht deckungsgleich. |
Die Begriffe „gut“ und „gesollt“ sind zwar eng miteinander verwandt aber nicht deckungsgleich. |
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So können wir in Situationen stehen, in denen wir nur zwischen schlechten Alternativen wählen können. Hier ist es gesollt, dass wir uns für das „geringere Übel“ entscheiden. |
So können wir in Situationen stehen, in denen wir nur zwischen schlechten Alternativen wählen können. Hier ist es gesollt, dass wir uns für das „geringere Übel“ entscheiden. Umgekehrt ist nicht alles Gute auch gesollt. Das kann z. B. der Fall sein, wenn das Erreichen eines Gutes ein anderes Gut ausschließt. Hier muss eine [[Güterabwägung]] erfolgen, die zum Verzicht eines Gutes führt. |
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Umgekehrt ist nicht alles Gute auch gesollt. Das kann z.B. der Fall sein, wenn das Erreichen eines Gutes ein anderes Gut ausschließt. Hier muss eine Güterabwägung erfolgen, die zum Verzicht eines Gutes führt. |
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=== Gerechtigkeit === |
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===Gesinnungs- oder Verantwortungsethik? === |
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[[Datei:Raffael 053.jpg|mini|Darstellung der [[Justitia]] von Raffael]] |
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{{Hauptartikel|Gerechtigkeit}} |
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Der Begriff der [[Gerechtigkeit]] ist seit der intensiven Diskussion um die „Theorie der Gerechtigkeit“ von [[John Rawls]] und vor allem seit der aktuellen politischen Debatte um die Aufgaben des Sozialstaates (Betonung der [[Chancengerechtigkeit|Chancen-]] und [[Leistungsgerechtigkeit]] gegenüber der Verteilungsgerechtigkeit) wieder stark ins Blickfeld geraten. |
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Die verschiedenen Ethikansätze werden traditionell – wie weiter [[Ethik#Verschiedene Ethiksysteme|unten]] dargestellt – prinzipiell danach unterschieden, ob sie ihren Schwerpunkt auf die Handlung selbst (deontologische Ethikansätze) oder auf die Handlungsfolgen (teleologische Ethikansätze) legen. Auf diese Unterscheidung bezieht sich auch [[Max Weber]]s Aufteilung in [[Gesinnungsethik|Gesinnungs-]] und [[Verantwortungsethik]]en, wobei diese von ihm als Polemik gegen Gesinnungsethiken verstanden wurde. |
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„Gerecht“ wird – wie der Begriff „gut“ – in vielerlei Bedeutungen gebraucht. Es werden Handlungen, Haltungen, Personen, Verhältnisse, politische Institutionen und zuweilen auch Affekte (der „gerechte Zorn“) als gerecht bezeichnet. Grundsätzlich kann zwischen einem „subjektiven“ und einem „objektiven“ Gebrauch unterschieden werden, wobei beide Varianten aufeinander bezogen sind. |
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Diese Ethik-Einteilung muss jedoch als fragwürdig bezeichnet werden. In der Praxis sind auch selten Ansätze zu finden, die ihre Theorien rein auf Grundlage eines der beiden Prinzipien entwickelt hätten. |
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Die ''subjektive'' oder besser personale ''Gerechtigkeit'' bezieht sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen [[Legalität]] und [[Moral]]ität. Legale Handlungen befinden sind nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe, sondern z. B. auch aus Angst, Opportunismus etc. Bei moralischen Handlungen dagegen stimmen Handlung und Motiv miteinander überein. In diesem Sinne wird Gerechtigkeit als eine der vier ''[[Kardinaltugend]]en'' bezeichnet. |
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Strikte deontologische Ethiken gehen davon aus, dass es Handlungen gibt, die in sich geboten oder v.a verboten sind. Diese sind dann „unter allen Umständen“ zu tun oder zu unterlassen gemäß dem Spruch ''„Fiat iustitia et pereat mundus“'' („''Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen“'', [[Ferdinand I. (Österreich)|Ferdinand I. von Habsburg]]). Eine gute Beschreibung liefert [[Robert Spaemann]]: |
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Die ''objektive'' oder institutionelle ''Gerechtigkeit'' bezieht sich auf die Bereiche Recht und Staat. |
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:''„Unter deontologischer Ethik versteht man moralische Konzepte, […] für welche bestimmte Handlungstypen ohne Beachtung der weiteren Umstände immer verwerflich sind, als z.B. die absichtliche direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, die Folter oder der außereheliche Beischlaf eines verheirateten Menschen“''. |
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Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der ''[[Ausgleichende Gerechtigkeit|ausgleichenden Gerechtigkeit]]'' (iustitita commutativa) und ''[[Verteilungsgerechtigkeit]]'' (iustitita distributiva). Bei der ausgleichenden Gerechtigkeit tritt der Wert einer Ware oder Leistung in den Vordergrund. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um den Wert der beteiligten Personen. |
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:(Keller, 209{{Ref|Ke}}, nach R. Spaemann, Christliche Verantwortungsethik, in: J. Gründel (Hg.), Leben aus christlicher Verantwortung, 1. Grundlegungen , Düsseldorf 1991, 122.) |
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Die Gerechtigkeit der Einzelpersonen und der Institutionen sind in einem engen Zusammenhang zueinander zu sehen. Ohne gerechte Bürger werden keine gerechten Institutionen geschaffen oder aufrechterhalten werden können. Ungerechte Institutionen erschweren andererseits die Entfaltung der Individualtugend der Gerechtigkeit. |
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Einer solchen Ethik müsste es gelingen, Handlungen aufzuzeigen, die unter allen Umständen, völlig losgelöst von ihren Folgen als unsittlich, als „in sich schlecht“ zu bezeichnen wären. Bekannte Beispiele sind die „Tötung Unschuldiger“ oder die nach Kant unzulässige Lüge. Sehr häufig liegt in diesen Fällen eine „[[petitio principii]]“ vor. Wenn z.B. die Tötung Unschuldiger als Mord und dieser wiederum als unsittliche Handlung definiert wird, kann sie natürlich in jedem Fall als „in sich schlecht“ bezeichnet werden. Das gleiche gilt für die Lüge, wenn ich sie als unerlaubtes Verfälschen der Wahrheit bezeichne. Gerade in der Analyse ethischer [[Dilemma]]situationen, in denen nur die Wahl zwischen mehreren Übeln möglich ist, zeigt sich, dass es kaum möglich sein dürfte, bestimmte Handlungen unter allen Umständen als „sittlich schlecht“ zu bezeichnen. |
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Das Anliegen der Ethik beschränkt sich nicht auf das Thema „Gerechtigkeit“. Zu den Tugenden gehören noch diejenigen, die man vor allem sich selbst gegenüber hat (Klugheit, [[Mäßigung]], [[Tapferkeit]]). Zu den ethischen Pflichten gegenüber anderen zählt noch die Pflicht des ''Wohltun''s (beneficientia), die über die Gerechtigkeit hinausgeht und ihre Wurzel letztlich in der [[Liebe]] hat. Während der Gerechtigkeit das Gleichheitsprinzip zugrunde liegt, ist dies beim Wohltun die Notlage oder Bedürftigkeit des anderen. Diese Unterscheidung entspricht der zwischen „iustitia“ und „[[Barmherzigkeit|caritas]]“ (Thomas von Aquin), Rechts- und Tugendpflichten (Kant) bzw. in der Gegenwart der zwischen „duties of justice“ und „duties of charity“ ([[Philippa Foot]]). |
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Strikt teleologisch argumentierende Ethikansätze machen die ethische Bewertung einer Handlung ganz von ihren Folgen abhängig: |
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== Ethische Theorien == |
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:''„Eine Handlung ist dann auszuführen und nur dann, wenn sie oder die Regel, unter die sie fällt, ein größeres Überwiegen des Guten über das Schlechte herbeiführt, vermutlich herbeiführen wird oder herbeiführen sollte als jede erreichbare Alternative“'' |
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Klassen ethischer oder moralphilosophischer Theorien lassen sich danach unterscheiden, welche Kriterien sie für die Bestimmung des moralisch Guten zugrunde legen. Das moralisch Gute kann bestimmt werden durch: |
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:(Keller, 212{{Ref|Ke}}, übersetzt aus: [[William K. Frankena]], Ethics, 2.Aufl., Englewood Cliffs 1973, 14). |
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* die Folgen ([[Teleologische Ethik]]en, [[Konsequentialismus]]); |
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* die [[Einstellung (Psychologie)|Verhaltensdispositionen]], Charaktereigenschaften und „Tugenden“ ([[Tugendethik]]en); |
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* die Absichten des Handelnden ([[Gesinnungsethik]]en); |
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* objektive moralische Tatsachen, etwa objektive moralische [[Ethisches Gut|Güter]] oder Handlungsbewertungen betreffend ([[Deontologische Ethik]]en); |
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* die Optimierung |
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** die Interessen der Betroffenen (Präferenz-[[Utilitarismus|Utilitaristische]] Ethiken), |
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** das Glück ([[Eudämonie]]) |
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** oder die [[Wohlfahrt]]. |
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Dabei werden unterschiedlichste Kombinationen und feinere moraltheoretische Bestimmungen vertreten. |
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=== Teleologische oder deontologische Ethik === |
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Teleologische Ethiken verfahren also so, dass sie das ethisch Gesollte von außerethischen Zwecken abhängig machen. Sie lassen dabei die Frage unbeantwortet, weshalb wir diese Zwecke verfolgen sollen und machen eine Güterabwägung unmöglich. Die Frage, was ein oder das bessere „Gut“ ist, kann nur geklärt werden, wenn vorher allgemeine Handlungsprinzipien definiert wurden. In vielen teleologischen Ansätzen werden diese Handlungsprinzipien einfach stillschweigend vorausgesetzt, wie z.B. im klassischen Utilitarismus, für den Lustgewinnung und Unlustvermeidung die Leitprinzipien jeglicher Folgenabschätzung darstellen. |
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Die verschiedenen Ethikansätze werden traditionell prinzipiell danach unterschieden, ob sie ihren Schwerpunkt auf die Handlung selbst (deontologische Ethikansätze) oder auf die Handlungsfolgen (teleologische Ethikansätze) legen. Die Unterscheidung geht zurück auf [[C. D. Broad]]<ref>C. D. Broad: ''Five Types of Ethical Theory.'' London 1930.</ref> |
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und wurde bekannt durch [[William K. Frankena]]. In dieselbe Richtung geht auch die Aufteilung [[Max Weber]]s in [[Gesinnungsethik|Gesinnungs-]] und [[Verantwortungsethik]]en, wobei diese von ihm als Polemik gegenüber Gesinnungsethiken verstanden wurde. |
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==== Teleologische Ethiken ==== |
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== Verschiedene Ethiksysteme == |
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Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter [[Teleologische Ethik|teleologischen Ethiken]] versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles wird von den verschiedenen Richtungen auf recht unterschiedliche Art und Weise bestimmt. |
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Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind insbesondere insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können. ''Eine Handlung ist dann auszuführen und nur dann, wenn sie oder die Regel, unter die sie fällt, ein größeres Überwiegen des Guten über das Schlechte herbeiführt, vermutlich herbeiführen wird oder herbeiführen sollte als jede erreichbare Alternative'' (Frankena).<ref>William K. Frankena: ''Ethics.'' 2. Auflage. Englewood Cliffs 1973, S. 14, übersetzt in Albert Keller: ''Philosophie der Freiheit.'' Styria, Graz 1994, S. 212.</ref> |
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Die Vielzahl ethischer Positionen lässt sich am einfachsten in ''deontologische'' und ''teleologische'' Richtungen einteilen, wobei aber die jeweilige Zuordnung oft nicht unumstritten ist. |
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Innerhalb teleologischer Ethikansätze wird wiederum zwischen „onto-teleologischen“ und „[[konsequentialistisch]]-teleologischen“ Ansätzen unterschieden. |
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Im Rahmen teleologischer Ethiken (Strebensethiken) wird die moralische Richtigkeit von Handlungen durch ihren Beitrag zur Realisierung oder Erhaltung eines Guten bestimmt. Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind nur insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können. |
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In onto-teleologischen Ansätzen – klassisch vertreten durch Aristoteles – wird davon ausgegangen, dass das zu erstrebende Gut in gewisser Weise dem Menschen selbst als Teil seiner Natur innewohne. Es wird gefordert, dass der Mensch so handeln und leben solle, wie es seiner Wesensnatur entspricht, um so seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise zu vervollkommnen. |
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Deontologische Ethiken (Sollensethiken) gehen davon aus, dass Handlungen aufgrund anderer Charakteristika als ihrer konkreten Folgen moralisch richtig oder falsch sein können. Hier haben normative Sätze eine Vorangsstellung gegenüber valuativen Satzen. Für sie bilden Gebote, Verbote und Erlaubnisse die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können. |
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In konsequentialistisch-teleologischen Ansätzen hingegen wird nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins ausgegangen. Das zu erstrebende Ziel wird daher durch einen außerhalb des handelnden Subjekts liegenden Nutzen bestimmt. Dieser Ansatz wird bereits in der Antike ([[Epikur]]) und später in seiner typischen Form durch den [[Utilitarismus]] vertreten. |
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Durch die Art der Definition lassen sich verschiedene ethische Systeme ableiten: |
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==== Deontologische Ethiken ==== |
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Das griechische Wort ''to deon'' bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. [[Deontologische Ethik]]en kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z. B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z. B. Immanuel Kant) unterschieden. Während die ''Regeldeontologie'' allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z. B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den ''aktdeontologischen Theorien'' zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen. |
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In deontologischen Ethiken haben normative Sätze eine Vorrangstellung gegenüber valuativen Sätzen. Für sie bilden [[Gebot (Ethik)|Gebote]], [[Verbot]]e und [[Erlaubnis]]se die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können. [[Robert Spaemann]] charakterisiert sie als ''moralische Konzepte, […] für welche bestimmte Handlungstypen ohne Beachtung der weiteren Umstände immer verwerflich sind, also z. B. die absichtliche direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, die Folter oder der außereheliche Beischlaf eines verheirateten Menschen.''<ref>Robert Spaemann: ''Christliche Verantwortungsethik.'' In: [[Johannes Gründel]] (Hrsg.): ''Leben aus christlicher Verantwortung, 1. Grundlegungen.'' Düsseldorf 1991, S. 122.</ref> |
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{| border="2" style="background:#ffdead" |
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|'''<small>Ethische Richtung''' |
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|'''<small>Handlungsprinzip''' |
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|'''<small>Handlungsziel''' |
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==== Kritik an der Unterscheidung ==== |
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|- style="background:#FFF5EE" |
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Die Unterscheidung zwischen teleologischen und deontologischen Ethiken wird von einigen Kritikern<ref>Vgl. z. B. Albert Keller: ''Philosophie der Freiheit.'' Styria, Graz 1994, ISBN 3-222-12294-6.</ref> als fragwürdig bezeichnet. In der Praxis sind auch selten Ansätze zu finden, die eindeutig einer der beiden Richtungen zugeordnet werden könnten. |
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|<small>[[Ethik#Aristoteles|Aristoteles]] |
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|<small>Entfaltung seines "telos" |
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|<small>Das Gute |
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Einer strikten deontologischen Ethik müsste es gelingen, Handlungen aufzuzeigen, die „in sich“, völlig losgelöst von ihren Folgen, als unsittlich und „in sich schlecht“ zu bezeichnen wären. Diese wären dann „unter allen Umständen“ zu tun oder zu unterlassen gemäß dem Spruch ''Fiat iustitia et pereat mundus'' („Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen“, [[Ferdinand I. (Österreich)|Ferdinand I. von Habsburg]]). Bekannte Beispiele solcher Handlungen sind die „Tötung Unschuldiger“ oder die nach Kant unzulässige Lüge. In den Augen der Kritiker liegt in diesen Fällen häufig eine „[[petitio principii]]“ vor. Wenn z. B. die Tötung Unschuldiger als Mord und dieser wiederum als unsittliche Handlung definiert wird, könne sie natürlich in jedem Fall als „in sich schlecht“ bezeichnet werden. Das Gleiche gelte für die Lüge, wenn sie als unerlaubtes Verfälschen der Wahrheit bezeichnet wird. |
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|- style="background:#FFF5EE" |
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|<small>[[Ethik#Epikur|Epikur]] |
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|<small>- |
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|<small>die naturgemäße Lust |
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Gerade in der Analyse ethischer [[Dilemma]]situationen, in denen nur die Wahl zwischen mehreren Übeln möglich ist, zeige sich, dass es kaum möglich sein dürfte, bestimmte Handlungen unter allen Umständen als „sittlich schlecht“ zu bezeichnen. Nach einer strikten deontologischen Ethik wäre die „Wahl des kleineren Übels“ nicht möglich. |
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|-style="background:#FFF5EE" |
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|<small>[[Ethik#Stoa|Stoa]] |
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|<small> - |
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|<small>Leben im Einklang mit der Natur |
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An strikt teleologisch argumentierenden Ethikansätzen wird kritisiert, dass sie das ethisch Gesollte von außerethischen Zwecken abhängig machen. Damit bleibe die Frage unbeantwortet, weshalb wir diese Zwecke verfolgen sollen. Eine Güterabwägung werde damit unmöglich gemacht, da die Frage, was ein oder das bessere „Gut“ ist, nur geklärt werden könne, wenn vorher allgemeine Handlungsprinzipien definiert wurden. In vielen teleologischen Ansätzen würden diese Handlungsprinzipien auch einfach stillschweigend vorausgesetzt, wie z. B. im klassischen Utilitarismus, für den Lustgewinnung und Unlustvermeidung die Leitprinzipien jeglicher Folgenabschätzung darstellen. |
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|-style="background:#FFF5EE" |
|||
|<small>[[Ethik#Utilitarismus|Utilitarismus]] |
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| <small>- |
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|<small>Das größte Glück der größten Zahl |
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=== Wollen und Sollen in Ansätzen der Ethik === |
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|-style="background:#FFF5EE" |
|||
Ethische Positionen lassen sich auch danach unterscheiden, wie sich das Gesollte aus einem bestimmten Wollen ergibt. |
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|<small>[[Ethik#Wertethik|Wertethik]] |
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|<small> - |
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|<small>Die durch phänomenologischen Schau erkennbaren Werte der Gegenstände |
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{| class="wikitable" |
|||
|-style="background:#FFF5EE" |
|||
|+Ethische Positionen |
|||
|<small>[[Ethik#Kant|Kant]] |
|||
!Ethische Position |
|||
|<small>Verallgemeinerungsfähigkeit der Handlungsmaxime |
|||
!Vertreter |
|||
|<small>"Heiligkeit" und Glückseligkeit |
|||
!Maßstab des ethisch Gesollten ist … |
|||
|- |
|||
|-style="background:#FFF5EE" |
|||
|[[Divine Command Theory|divine-command]]-Theoretiker<ref>Vgl. {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/voluntarism-theological/|Theological Voluntarism|Mark Murphy|beleg=1}}; {{IEP|http://www.iep.utm.edu/divine-c/|Divine Command Theory|Michael W. Austin}}.</ref> |
|||
|<small>[[Ethik#Diskursethik|Diskursethik]] |
|||
| |
|||
|<small>Rechtfertigbarkeit seiner Handlungsmaxime im Diskurs |
|||
|… der Wille Gottes |
|||
| <small>Transformation der realen Kommunikationsgemeinschaft in eine ideale |
|||
|- |
|||
|[[Intuitionismus (Ethik)|Intuitionismus]] |
|||
|-style="background:#FFF5EE" |
|||
| [[William David Ross|Ross]], [[Robert Audi|Audi]] |
|||
|<small>[[Ethik#Vertragstheorien|Vertragstheorien]] |
|||
|… das allen Menschen gemeinsame Empfinden und Wollen |
|||
|<small>Übereinkunft in einem (virtuellen) Gesellschaftsvertrag |
|||
|- |
|||
|<small>Überwindung des Naturzustandes |
|||
|Position der Verallgemeinerbarkeit, [[Kategorischer Imperativ]] |
|||
| [[Immanuel Kant|Kant]], [[Peter Singer|Singer]] |
|||
|-style="background:#FFF5EE" |
|||
|… der Wille jedes Individuums selbst, wenn es annehmen muss, dass die von ihm gewählten Regeln für das eigene Handeln zugleich auch von allen anderen Individuen befolgt werden |
|||
|<small>[[Ethik#Rawls|Rawls]] |
|||
|- |
|||
|<small>Urzustand; Schleier der Unwissenheit |
|||
| Position des allgemeinen Willens |
|||
|<small>bürgerliche Freiheiten; demokratische Gleichheit |
|||
| [[Jean-Jacques Rousseau|Rousseau]] |
|||
|… der Wille der Individuen selbst, wenn diese in einer Situation sozialer [[Gleichheit]] gemeinsam für alle geltende Gesetze beschließen |
|||
|- |
|||
| [[Konsenstheorie der Wahrheit|Konsenstheoretische]] Position, [[Diskurstheorie]] |
|||
| [[Jürgen Habermas|Habermas]] |
|||
|… der Wille der Individuen selbst, wenn sie sich frei von jeglichem Zwang auf Regeln für den Umgang miteinander dauerhaft einigen müssen |
|||
|- |
|||
|Position des größten allgemeinen Nutzens bzw. typische Varianten des [[Utilitarismus]] |
|||
| [[Jeremy Bentham|Bentham]] |
|||
|… die Summe der gleichgewichtig informierten Willen der Individuen selbst |
|||
|- |
|||
|[[Vertragstheorie|Vertragstheoretische]] Position |
|||
| [[George Buchanan|Buchanan]], [[Thomas M. Scanlon|Scanlon]], [[David Gauthier|Gauthier]] |
|||
|… der Wille der Individuen selbst, wenn sie sich vertraglich auf Regeln für den Umgang miteinander einigen müssten |
|||
|- |
|||
| Position des durch Unwissenheit gebrochenen Eigeninteresses |
|||
| [[John Rawls|Rawls]], |
|||
[[John Harsanyi|Harsanyi]] |
|||
|… der Wille eines eigeninteressierten, rationalen Individuums, das eine soziale Ordnung entwirft, ohne dabei zu wissen, welche Position es in dieser Ordnung selbst einnehmen wird |
|||
|- |
|||
| Position der vertauschten Rollen, [[Goldene Regel]] |
|||
| [[Richard M. Hare|Hare]] |
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|… der Wille jedes Individuum selbst, wenn es bei der Formulierung von Regeln für den Umgang miteinander annimmt, dass es sich selbst in der Position des jeweils betroffenen Anderen befindet |
|||
|- |
|||
| Position der Umkehrbarkeit |
|||
| [[John Rawls|Rawls]], [[Alwill Baier|Baier]] |
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|… der Wille jedes Individuums selbst, wenn es bei der Bestimmung von Regeln für den Umgang miteinander hypothetisch annimmt, dass es selbst sich in der Position des vergleichsweise am schlechtesten Gestellten befindet |
|||
|- |
|||
| [[Nihilismus]], Moralkritik |
|||
| [[Friedrich Nietzsche|Nietzsche]], [[Martin Heidegger|Heidegger]] |
|||
|… das philosophische Hinterfragen von Religion, Weltanschauung, Moral und Wertesystemen, sowie der tatsächlichen Bedeutung des Bestehenden – durch Kritik und Verneinung |
|||
|- |
|||
| Position der überindividuellen Wesenheiten (Rasse, Volk, Nation, Klasse) |
|||
| |
|||
|… der Wille des maßgebenden Kollektivs |
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|- |
|||
|[[Rechtspositivismus]] |
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| |
|||
|… der Wille des jeweiligen gesetzgebenden Souveräns |
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|- |
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|[[Vernunftrecht]]slehre |
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| |
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|… die Einsicht des Vernunftbegabten aufgrund vernünftiger Überlegung |
|||
|- |
|||
|[[Egoismus]] |
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|[[Max Stirner]] |
|||
|… der Wille jedes Individuums selbst, wenn es informiert ist und einen langfristigen Zeithorizont berücksichtigt |
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|- |
|- |
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|} |
|} |
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<small>Abb.: Schema der wichtigsten Ethikansätze |
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Die aufgelisteten Positionen liegen auf unterschiedlichen logischen Ebenen und schließen sich deshalb auch nicht logisch aus. So ist z. B. die Verbindung einer religiösen Position mit einer intuitionistischen Position möglich. Denkbar ist auch eine Verbindung der konsenstheoretischen Position mit einer utilitaristischen Position, wenn man annimmt, dass sich ein Konsens über die richtige Norm nur dann herstellen lässt, wenn dabei der Nutzen (das Wohl) jedes Individuums in gleicher Weise berücksichtigt wird. |
|||
Außerdem ist zu beachten: Einige dieser Ansätze haben ausdrücklich nicht den Anspruch, umfassende ethische Konzepte zu sein, sondern z. B. nur Konzepte für die Beurteilung, ob eine Gesellschaft in politisch-ökonomischer Hinsicht gerecht eingerichtet ist; z. B. bei John Rawls, im Unterschied zu umfassenderen Ansätzen, die auch Fragen privater, individueller Ethik betreffen – etwa, ob es eine moralische Pflicht gibt, zu lügen, wenn genau dies notwendig ist, um ein Menschenleben zu retten (und wenn ohne diese Lüge niemand sonst stattdessen gerettet würde). Auch z. B. Habermas beantwortet diese Frage nicht „inhaltlich“, aber sein Konzept beinhaltet den Bereich auch solcher Fragen, indem es „formal“ postuliert, richtig sei, was in dieser Frage alle, die an einem zwanglosen und zugleich vernünftigen Diskurs dazu teilnehmen würden, als verbindlich für alle dazu herausfinden und akzeptieren würden. |
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===Teleologische Ansätze=== |
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=== Inhaltliche Richtigkeit und formale Verbindlichkeit von Normen === |
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Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter [[Teleologische Ethik|teleologischen Ethiken]] versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles kann unterschiedlich bestimmt werden. |
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Wenn man fragt, warum Individuum A eine bestimmte Handlungsnorm N befolgen soll, so gibt es zwei Arten von Antworten. |
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Die eine Art von Antworten bezieht sich auf ''eine Institution oder ein Verfahren, wodurch die Norm gesetzt wurde''. Beispiele hierfür sind: |
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==== onto-teleologische Ansätze ==== |
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A soll N befolgen, weil … |
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Dieser klassische teleologische Ansatz wurde v.a. in der Blütezeit der griechischen Klassik und im Hellenismus vertreten. Er geht davon aus, dass jedem natürlichen Gegenstand das Streben innewohnt, ein in seiner Natur oder seinem Wesen angelegtes Ziel zu erreichen. Das wesenseigene Ziel wird dadurch verwirklicht, dass der Gegenstand seine spezifischen Anlagen vervollkommnet und so eine natürliche Endgestalt ausbildet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem betreffenden Objekt um ein lebloses Ding, eine Pflanze, ein Tier oder ein Vernunftwesen handelt. |
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Als Gegenstände in diesem Sinne kommen aber nicht nur natürliche Gegenstände in Frage; auch die soziale oder politische Gemeinschaft, die Geschichte oder der gesamte Kosmos können als teleologische Entitäten aufgefasst werden. |
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* … A dies versprochen hat, |
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Auch der Mensch besitzt ein eigenes Ziel, das er durch die Perfektionierung seiner spezifischen Anlagen verwirklicht. In seiner Natur ist also schon eine ganz bestimmte Zielgestalt angelegt, auf die hin er sich entwickelt. Allerdings ist er - anders als bei unbelebten Gegenständen, Pflanzen oder Tieren - nicht gänzlich durch seine natürlichen Eigenschaften und Zielvorgaben determiniert. Er muss sich in einem gewissen Rahmen an der Realisierung seines „telos“ selbst beteiligen. |
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* … der Verstorbene dies in seinem Testament so festgelegt hat, |
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* … das geltende Recht dies vorschreibt, |
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* … der Eigentümer es so will, |
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* … es mehrheitlich so beschlossen wurde etc. |
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Die andere Art von Antworten bezieht sich auf ''die inhaltliche Beschaffenheit der Norm''. Beispiele für diese Art von Antworten sind: |
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Der Mensch soll so handeln und leben, wie es seiner Wesensnatur entspricht und seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise vervollkommnen. Unter der Voraussetzung, dass er tatsächlich über ein gewisses Maß an Freiheit verfügt, kann er seine Zielvorgabe auch verfehlen. |
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A soll N befolgen, weil … |
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Eine Unterscheidung zwischen moralischer Richtigkeit und außermoralischer Gutheit ergibt im Rahmen onto-teleologischer Ethiken keinen Sinn. Obgleich die Verfügung über äußere Güter durchaus eine Rolle spielen kann, sind es nicht diese Güter, die in erster Linie angestrebt werden. Das Gut, um das es vor allem geht, ist eine bestimmte Art und Weise zu handeln, nämlich das gute Handeln selbst. |
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* … N gerecht ist, |
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===== Platon ===== |
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* … N für alle das Beste ist, |
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(...) |
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* … die Befolgung von N zum größten Wohl aller führt, |
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* … N der Menschenwürde entspricht etc. |
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Offensichtlich liegen diese Begründungen auf zwei verschiedenen Ebenen, denn man kann ohne logischen Widerspruch sagen: „Ich halte den Beschluss der Parlamentsmehrheit zwar für inhaltlich falsch, aber dennoch ist er für mich verbindlich. Als Demokrat respektiere ich die Beschlüsse der Mehrheit.“ |
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===== Aristoteles ===== |
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[[Image:Aristoteles.jpg|thumb|160px|right|Im Zentrum der Aristotelischen Ethik steht der Begriff der Tugend]] |
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[[Aristoteles]] gilt als der klassische Vertreter des onto-teleologischen Ansatzes. Seine Ethik setzt an beim Begriff des ''[[Das Gute|höchsten Guts]]''. Dieses muss folgende Kriterien erfüllen: |
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Man kann die ethischen Theorien nun danach unterscheiden, wie sie mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Ebene der verfahrensmäßigen Setzung von verbindlichen Normen und der Ebene der argumentativen Bestimmung von richtigen Normen umgehen. |
|||
* Es muss autark sein, das heißt, man darf, wenn man im Besitz dieses Guts ist, keiner anderer Dinge mehr bedürfen |
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* Es muss um seiner selbst und niemals um einer anderen Sache willen gewählt werden |
|||
* Es wird nicht dadurch vergrößert, dass ein anderes Gut hinzugezählt wird |
|||
Auf der einen Seite stehen ganz außen die ''Dezisionisten''. Für sie ist nur die verbindliche Setzung von Normen bedeutsam. Sie bestreiten, dass man in Bezug auf Normen überhaupt von inhaltlicher Richtigkeit und von einer Erkenntnis der richtigen Norm sprechen kann. |
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Diese Kriterien werden nach allgemeiner Ansicht von der ''eudaimonia'' ([[Glück]]) erfüllt. Allerdings bestehen Kontroversen über die Frage, worin das Glück besteht. |
|||
Das Hauptproblem der Dezisionisten ist, dass es für sie keine Berechtigung für einen Widerstand gegen die gesetzten Normen geben kann, denn „verbindlich ist verbindlich“. Außerdem können Dezisionisten nicht begründen, warum man das eine Normsetzungsverfahren irgendeinem anderen Verfahren vorziehen soll. |
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Nach Aristoteles' Ansicht kann der Mensch das Glück dadurch erreichen, dass er sein spezifisches „''ergon''“ zu verwirklichen versucht. Das Wort „ergon“ meint die spezifische Funktion, Aufgabe oder Leistung einer Sache. Um die Frage nach dem „ergon“ des Menschen zu beantworten, greift Aristoteles auf die verschiedenen Fähigkeiten der menschlichen Seele zurück: |
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Auf der anderen Seite stehen ganz außen die ethischen ''Kognitivisten''. Für sie ist das Problem ethischen Handelns allein ein Erkenntnisproblem, das man durch die Gewinnung relevanter Informationen und deren Auswertung nach geeigneten Kriterien lösen kann. Eine Legitimation von Normen durch Verfahren ist für sie nicht möglich. |
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* sie verfügt über die lebenserhaltenden Fähigkeiten der Ernährung und des Wachstums: diese stellen aber keine spezifische Leistung des Menschen dar, weil sie sich auch bei allen anderen Lebewesen finden |
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* sie verfügt über das Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung: auch dieses Vermögen findet sich bei anderen Lebewesen |
|||
* sie verfügt, über die Fähigkeit der ''[[Vernunft]] ([[logos]]''): dies ist das dem Menschen eigentümliche Vermögen, weil kein anderes Lebewesen über diese Fähigkeit verfügt. |
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Das Hauptproblem der Kognitivisten ist, dass es auch beim wissenschaftlichen Meinungsstreit oft nicht zu definitiven Erkenntnissen kommt, die als Grundlage der sozialen Koordination dienen könnten. Es werden deshalb zusätzlich verbindliche und sanktionierte Normen benötigt, die für jedes Individuum das Handeln der anderen berechenbar macht. |
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In der menschlichen ''[[Seele]]'' gibt es nach Aristoteles zwei verschiedene Teile, die mit der Vernunft zu tun haben: |
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* den Teil, der selbst vernünftig ist bzw. über Vernunft verfügt |
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* den Teil, der zwar nicht selbst vernünftig, jedoch in der Lage ist, auf die Vernunft zu hören und ihr zu gehorchen: die Emotionen und bestimmte nicht-rationale Begierden |
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== Erkenntnistheoretische und metaphysische Probleme der Ethik == |
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Das gesuchte ergon des Menschen besteht nun darin, die Vernunftfähigkeit der beiden Seelenteile zu aktivieren, das heißt von der Potentialität (''dynamis'') in die Aktualität (''energeia'') überzuführen ([[Akt-Potenz|Akt-Potenz-Lehre]]). Diese spezifisch-menschliche Leistung wird dann erreicht, wenn die Seele in einem „vortrefflichen“ Zustand ist, was von Aristoteles mit dem Ausdruck ''„arete“ ([[Tugend]])'' bezeichnet wird. |
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=== Sein und Sollen === |
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Teleologische Ethiken sind in der Regel Güter-Ethiken; sie bezeichnen bestimmte Güter (z. B. „Glück“ oder „Lust“) als für den Menschen gut und damit erstrebenswert. |
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Schon [[David Hume]] hat den Einwand erhoben, dass der Übergang von Seins- zu Sollensaussagen nicht legitim sei („[[Humes Gesetz]]“). Unter dem Stichwort „[[Naturalistischer Fehlschluss]]“ hat [[George Edward Moore]] damit eng verwandte Fragen aufgeworfen, die aber genau genommen nicht dieselben sind. |
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Den beiden Seelenteilen entsprechend, die vernünftig genannt werden können, lassen sich nach Aristoteles auch zwei Arten von Tugenden zuordnen. Dem vernünftigen Seelenteil entsprechen die ''dianoetischen'' oder Verstandes-Tugenden, dem unvernünftigen Seelenteil die ''ethischen'' oder Charakter-Tugenden. |
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Hume kritisiert an den ihm bekannten Moralsystemen, |
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Von diesem Ansatz ergibt sich Aristoteles Verständnis, wie das vollkommene Glück erreicht werden könne. |
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{{Zitat |
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|Text=… daß mir anstatt der üblichen Verbindungen von Worten mit ‚ist‘ und ‚ist nicht‘ kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein ‚sollte‘ oder ‚sollte nicht‘ sich fände. […] Dies sollte und sollte nicht drückt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, muß also notwendigerweise betrachtet und erklärt werden. Gleichzeitig muß ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind. |
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|Autor=Hume |
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|Quelle=Traktat über die [[menschliche Natur]]. III, 1, 1.}} |
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Für Hume sind logische Schlussfolgerungen von dem, was ist, auf das, was sein soll, unzulässig, denn durch logische Umformungen könne aus Ist-Sätzen kein völlig neues Bedeutungselement wie das Sollen hergeleitet werden. |
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Die beste Lebensform sei die ''„theoretische“'' oder ''„kontemplative“.'' In ihr könne der höchste menschliche Seelenteil, die Vernunft, entfaltet werden. Ein solches Leben ist aber nach Aristoteles’ Ansicht höher als es dem Menschen als Menschen zukommt und steht eigentlich den Göttern zu. Außerdem sind die Menschen dazu gezwungen, sich mit ihrem äußeren Umfeld auseinanderzusetzen. So bleibt als zweitbeste Lebensform nur die ''„politische''“. Diese ermöglicht im Umgang mit anderen Menschen die Entfaltung der Charaktertugenden. |
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Wie später die [[Positivisten]] betont haben, muss erkenntnistheoretisch zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wegen ihres unterschiedlichen Verhältnisses zur Sinneswahrnehmung differenziert werden. Während der Satz „Peter ist um 14 Uhr am Bahnhof gewesen“ durch intersubjektiv übereinstimmende Beobachtungen überprüfbar, also verifizierbar oder falsifizierbar ist, lässt sich der Satz „Peter soll um 14 Uhr am Bahnhof sein“ mit den Mitteln von Beobachtung und Logik allein nicht begründen oder widerlegen. |
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==== konsequentialistisch-teleologische Ansätze ==== |
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Die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen Sein und Sollen liegt den modernen Erfahrungswissenschaften zugrunde. Wer diese Unterscheidung nicht akzeptiert, der muss entweder ein Sein postulieren, das nicht direkt oder indirekt wahrnehmbar ist, oder er muss das Gesollte für sinnlich wahrnehmbar halten. Beiden Positionen mangelt es bisher an einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit. |
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Mit diesem Begriff werden teleologische Ansätze bezeichnet, die nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausgehen. Ihr Augenmerk zur moralischen Qualifizierung von Handlungen richtet sich ausschließlich auf deren Konsequenzen im Hinblick auf ein als Nutzen verstandenes „telos“. Diese Theorien können wiederum danach unterschieden werden: |
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* wie sie diesen Nutzen definieren; dies geschieht meist als eine Form von subjektivem Wohlbefinden: Lust ([[Hedonismus]]), Freude, Zufriedenheit, Glück ([[Eudämonismus]]) etc. |
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* ob es nur um den eigenen Nutzen ([[Individualismus]], [[Egoismus]]) oder auch um den der anderen ([[Utilitarismus]]) geht |
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Die vermeintliche Herleitung ethischer Normen aus Aussagen über das Seiende wird oft nur durch die unbemerkte Ausnutzung der normativ-empirischen Doppeldeutigkeit von Begriffen wie „Wesen“, „Natur“, „Bestimmung“, „Funktion“, „Zweck“, „Sinn“ oder „Ziel“ erreicht. |
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===== Epikur ===== |
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[[bild:Epikur.jpg|130px|thumb|Bei Epikur ist die Lust (hedone) der Schlüssel zum guten Leben]] |
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Die [[Epikur|epikureische Ethik]], die schon während der Blütezeit der klassischen teleologischen Ethik als gewichtiger Gegenentwurf konzipiert wurde, weist bereits eine letzte Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausdrücklich zurück. |
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So bezeichnet das Wort „Ziel“ einmal das, was ein Mensch ''tatsächlich anstrebt'' („Sein Ziel ist das Diplom“). Das Wort kann jedoch auch das bezeichnen, was ein Mensch ''anstreben sollte'' („Wer nur am Materiellen ausgerichtet ist, der verfehlt das wahre Ziel des menschlichen Daseins“). |
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Die [[Lust]] (''hedone'') wird von Epikur zum alleinigen Inhalt des guten Lebens erklärt. Er unterscheidet zwei Arten der Lust: eine „kinetische“ (bewegte) Lust auf der einen Seite sowie eine „katastematische“, d.h. mit dem naturgemäßen Zustand verbundene Lust auf der anderen. |
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Die unbemerkte empirisch-normative Doppeldeutigkeit bestimmter Begriffe führt dann zu logischen Fehlschlüssen wie: „Das Wesen der Sexualität ist die Fortpflanzung. Also ist Empfängnisverhütung nicht erlaubt, denn sie entspricht nicht dem Wesen der Sexualität.“ |
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Die ''kinetische Lust'' scheidet für Epikur als Kandidat für ein gutes Leben aus. Sie beruht auf einem stetigen Wechsel von Unlust- und Lustzuständen und muss somit auch die Unlust als Bedingung ihrer Möglichkeit bejahen. Sie birgt außerdem stets die Gefahr in sich, dass Bedürfnisse ständig über das sinnvolle Maß hinaus befriedigt und somit neue Bedürfnisse geschaffen werden. Diese Art des Luststrebens ist potenziell maßlos und droht entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu einer fortwährenden Quelle der Unlust zu werden. |
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Aus der logischen Unterscheidung von Sein und Sollen folgt jedoch keineswegs, dass damit eine auf Vernunft gegründete Ethik unmöglich ist, wie dies sowohl von Vertretern des logischen [[Empirismus]] als auch des [[Idealismus]] geäußert wird. Zwar ließe sich allein auf [[Empirie]] und [[Logik]] keine Ethik gründen, aber daraus folgt noch nicht, dass es nicht andere allgemein nachvollziehbare Kriterien für die Gültigkeit ethischer Normen gibt. Ein aussichtsreiches Beispiel für eine nachpositivistische Ethik ist die am Kriterium des zwangfreien Konsenses orientierte [[Diskursethik]]. |
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Die ''katastematische Lust'' ist die höchste Form der Lust und das Ziel des Lebens. Sie wird erreicht durch den Zustand unbedürftiger Seelenruhe. Diese wird durch Schmerz und Furcht gefährdet. Schlimmer als der körperliche ist der seelische Schmerz. Jeder seelische Schmerz ist aber auf einen körperlichen Schmerz bezogen: er ist Erwartung oder Erinnerung eines körperlichen Schmerzes. Wenn gezeigt werden kann, dass die Erwartung körperlichen Schmerzes unbegründet ist, löst der seelische Schmerz sich auf. |
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Der größte Schmerz wird durch die Furcht vor dem Tod erzeugt. Dieser kann durch eine richtige Sicht des menschlichen Lebens begegnet werden. Es ist nach Epikur nur ein zufälliges Aggregat von Atomen, das sich mit dem Tod vollständig in seine Bestandteile auflöst. Die Grenze des Todes besitzt somit keinerlei Relevanz für die gegenwärtige Lebensführung und braucht deshalb die Daseinsfreude auch nicht zu beeinträchtigen. |
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Mit der Feststellung, dass das Gesollte nicht aus dem Seienden logisch ableitbar ist, wird eine Begründung von Normen noch nicht aussichtslos. Denn neben den Seinsaussagen und den normativen Sätzen gibt es Willensäußerungen. Die Willensäußerung einer Person: „Ich will in der nächsten Stunde von niemandem gestört werden“ beinhaltet die Norm: „Niemand soll mich in der nächsten Stunde stören“. Die Aufgabe der Ethik ist es, allgemeingültige Willensinhalte bzw. Normen zu bestimmen und nachvollziehbar zu begründen. |
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===== Stoa ===== |
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Die logische Unterscheidung zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wird vor allem von Vertretern idealistischer Positionen als eine unzulässige Trennung von Sein und Sollen angesehen und es wird eingewandt, dass ihr ein verkürzter Seinsbegriff zugrunde liege. So argumentiert [[Vittorio Hösle]], das Sollen könne nur vom realen, empirischen Sein strikt abgegrenzt werden, „... ein ideales Sein, das nicht vom Menschen gesetzt ist, wird dem Sollen damit ebenso wenig abgesprochen wie eine mögliche Prinzipiierungsfunktion gegenüber dem empirischen Sein“.<ref>Vittorio Hösle: ''[[Moral und Politik]]. Grundlagen einer Politischen Ethik für das 21. Jahrhundert.'' Beck, München 1997, ISBN 3-406-42797-9, S. 127.</ref> Es könne gerade als Aufgabe des Menschen angesehen werden, „damit fertig zu werden, dass das Sein nicht so ist, wie es sein soll“.<ref>Hösle: ''Moral und Politik.'' S. 242.</ref> Das Gesollte solle eben sein und sei als solches bereits Prinzip des Seins: |
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Für die [[Stoa|Stoiker]] stellen Selbstliebe bzw. Selbsterhaltung den Grundtrieb überhaupt dar. Die Verfolgung dieses Triebes steht am Anfang jedes natürlichen Entwicklungsprozesses. Im Unterschied zum Tier besitzt der Mensch aber mit der Vernunft noch eine darüber hinausgehende Naturanlage, die sich schon bei Kindern ab einem gewissen Zeitpunkt als zweckfreies Erkenntnisstreben zu regen beginnt. |
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[[Bild:Chrysippos.jpg|left|130px|thumb|Ziel allen Handelns ist für Chrysipp das naturgemäße Leben]] |
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Mit dieser Entdeckung der Vernunft kommt es zu einer wichtigen Konkretisierung des Gegenstandes der Selbstliebe. Das naturgemäße Leben lässt sich jetzt nämlich als ein Leben gemäß der Vernunft begreifen. Dabei ist die Vernunft nicht nur Gegenstand der Selbstsorge, sondern erweist sich zugleich auch als die eigentliche Leitungsinstanz, die alle anderen Antriebsmomente zu bilden und zu ordnen hat. |
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Um ihre Funktionen angemessen erfüllen zu können, muss die Vernunft einen langwierigen Bildungsprozess durchlaufen, der den Menschen allmählich dazu befähigt, sich nur das zu eigen zu machen, was wirklich seiner Natur gemäß ist. Diese Einsichts- und Aneignungsbewegung nennen die Stoiker ''„oikeiosis“'', womit die Vervollkommnung der vornehmsten menschlichen Eigenschaften gemeint ist. |
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{{Zitat |
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Dieser Vervollkommnungsprozess wird nicht nur als individuelles Geschehen gedeutet, sondern in einen kosmischen Zusammenhang gestellt: die allmähliche Aneignung der Vernunft, die sich im praktischen Bereich als Zuwachs der Tugend äußert, deuten die Stoiker als eine schrittweise Angleichung an das allgemeine Weltgesetz. |
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|Text=Aber wenn das Projekt der Ethik einen Sinn haben soll, dann muß das Sein in einer bestimmten Weise strukturiert sein: Es muß Wesen enthalten, die zumindest der Erkenntnis des Sollens fähig sind, ja in denen diese Erkenntnis – bei allen Widerständen durch verschiedene Interessen – nicht ohne Einfluß auf ihr Handeln ist. Daß aus der Geltung des Sollens Annahmen über die Wirklichkeit folgen, ist eine keineswegs triviale Annahme und m. E. nur im Rahmen eines objektiven Idealismus zu begreifen, nach dem das faktische Sein durch ideale Strukturen wenigstens zum Teil prinzipiert ist. |
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|Autor=Hösle |
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|Quelle=Moral und Politik, S. 241f}} |
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Die Möglichkeit einer teleologischen Ethik scheint mit der logischen Unterscheidung von Seins- und Sollens-Aussagen grundsätzlich in Frage gestellt. Aus Sicht der klassischen Position des [[Realismus (Philosophie)|Realismus]] bezüglich der Ethik, insbesondere des Naturrechts, ist es aber gerade das Sein, aus dem das Sollen abgeleitet werden muss, da es (außer dem Nichts) zum Sein keine Alternative gibt. Weil das Gute das Seinsgerechte, also das dem jeweiligen Seienden gerechte bzw. entsprechende ist, muss demnach das Wesen des Seins zunächst erkannt und aus ihm die Forderung des Sollens (ihm gegenüber) logisch abgeleitet werden. |
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Die lebenspraktischen Resultate dieser Haltung verdichten sich im Streben nach der Seelenruhe ([[Ataraxie|ataraxia]]), die von allen äußeren Umständen und Zufällen völlig unabhängig machen soll. |
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Aus der Tatsache, dass das wahre menschliche Selbst an einer allgemeinen Weltvernunft partizipiert, folgt eine innere Verbundenheit und prinzipielle Gleichheit aller Menschen. Die |
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Welt wird als der gemeinsame Staat der Götter und Menschen betrachtet. |
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Weil jeder Mensch Teil dieses Ganzen und auf es angewiesen ist, ist der gemeinsame Nutzen dem des einzelnen vorzuziehen. |
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=== Das Problem des Bösen === |
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Trotz der teilweise apokalyptischen geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wird der Begriff „[[Das Böse|böse]]“ in der Umgangssprache nur noch selten gebraucht. Stattdessen werden meist die Begriffe „schlecht“ („ein schlechter Mensch“) oder „falsch“ („die Handlung war falsch“) verwendet. Das Wort „böse“ gilt im gegenwärtigen Bewusstsein generell als metaphysikverdächtig und aufgrund der allgemeinen Dominanz des naturwissenschaftlichen Denkens als überholt. |
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[[Image:Bentham.jpg|130px|thumb|Benthams Maßstab ist das größte Glück der größten Zahl]] |
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In der philosophischen Tradition wird das Böse als eine Form des [[Das Übel|Übels]] betrachtet. Klassisch geworden ist die Unterscheidung von [[Gottfried Wilhelm Leibniz|Leibniz]] zwischen einem metaphysischen (malum metaphysicum), einem physischen ([[malum physicum]]) und einem moralischen Übel ([[malum morale]]). Das metaphysische Übel besteht in der Unvollkommenheit alles Seienden, das physische Übel in Schmerz und Leid. Diese Übel sind Widrigkeiten, die ihren Ursprung in der Natur haben. Sie sind nicht „böse“, da sie nicht das Ergebnis des (menschlichen oder allgemeiner gesagt geistigen) Willens sind. Das moralische Übel oder das Böse hingegen besteht in der Nicht-Übereinstimmung einer Handlung mit dem Sittengesetz bzw. Naturrecht. Es kann, wie Kant betont, nur „die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst“ böse sein.<ref>Vgl. Kant: ''KpV.'' S. 106.</ref> Das Böse ist also als Leistung oder besser Fehlleistung des Subjekts zu verstehen. |
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Der [[Utilitarismus]] ist die am weitesten ausgearbeitete und - u.a. auch deshalb - seit etwa hundert Jahren international meistdiskutierte Variante einer konsequentialistischen Ethik. Seine Anziehungskraft beruht auf seinem Ansatz, Handlungsalternativen ließen sich quantifizieren und durch einen mathematischen Kalkül entscheiden. |
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==== Reduktionistische Erklärungsversuche ==== |
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'''Konsequentialismus''' |
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Die [[Verhaltensforschung]] führt das Böse auf die allgemeine „Tatsache“ der [[Aggression]] zurück. Diese sei einfachhin ein Bestandteil der menschlichen Natur und als solcher moralisch irrelevant. Daher spricht [[Konrad Lorenz]] auch vom „sogenannten Bösen“. Dieser Erklärung wird von Kritikern eine [[Reduktionismus|reduktionistische]] Betrachtungsweise vorgeworfen. Sie übersehe, dass dem Menschen auf der Grundlage der Freiheit die Möglichkeit gegeben ist, zu seiner eigenen Natur Stellung zu nehmen.<ref>Vgl. [[Walter Schulz (Philosoph)|Walter Schulz]]: ''[[Philosophie in der veränderten Welt]].'' 7. Auflage. Stuttgart 2001, ISBN 3-608-91040-9, S. 723ff.</ref> |
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In der Philosophie stellte sich bereits Platon die Frage, wie das Böse überhaupt möglich sei. Das Böse werde nur getan, weil jemand im irrtümlichen Glauben annimmt, er (oder jemand) habe einen Nutzen davon. Somit wolle er aber den mit dem Bösen verbundenen Nutzen. Das Böse um seiner selbst willen könne niemand vernünftigerweise wollen:<ref>Platon: ''[[Menon]].'' 77a-78b.</ref> |
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Die moralische Beurteilung menschlichen Handelns beruht im Utilitarismus auf der Beurteilung der (wahrscheinlichen) Handlungsfolgen. Den Handlungsfolgen gegenüberzustellen sind allerdings die mit der Handlung selbst verbundenen Aufwände. |
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{{Zitat |
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Nicht jede Handlung mit guten Folgen ist daher auch schon moralisch geboten. Es können Umstände eintreten (z.B. politische Gewaltherrschaft), unter denen die einzig mögliche Handlung mit guten Folgen so viel moralischen Heroismus verlangt, dass sie von niemandem ernstlich erwartet werden kann. |
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|Text=Sokrates: ''So ist denn doch klar, daß diejenigen, welche es nicht kennen, nicht das Böse begehren, sondern vielmehr das, was sie für gut halten, während es böse ist; so daß diejenigen, welche es nicht kennen und es für gut halten, offenbar eigentlich das Gute begehren. Oder nicht?''<br /> |
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Sokrates: ''Und weiter: Diejenigen, welche das Böse begehren, wie du behauptest, während sie doch glauben, daß das Böse dem schade, welchem es zuteil wird, erkennen doch wohl, daß sie von ihm Schaden nehmen werden?''<br /> |
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Menon: ''Notwendig.''<br /> |
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Sokrates: ''Diese aber, halten sie nicht die, welche Schaden leiden, für elend, sofern sie Schaden leiden?''<br /> |
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Menon: ''Notwendig auch das.''<br /> |
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Sokrates: ''Halten sie die Elenden aber nicht für unglücklich?''<br /> |
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Menon: ''Ich meine doch.''<br /> |
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Sokrates: ''Gibt es nun einen Menschen, welcher elend und unglücklich sein will?''<br /> |
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Menon: ''Ich denke nicht, Sokrates.''<br /> |
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Sokrates: ''Niemand also will das Böse, Menon; wenn anders er nicht ein solcher sein will. Denn was heißt elend sein anders, als das Böse begehren und es besitzen?''}} |
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==== Nicht-reduktionistische Erklärungsversuche ==== |
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Auf der anderen Seite ist nicht jede Handlung mit schlechten Folgen unter allen Umständen moralisch verboten. In manchen Situationen kann selbst eine Handlung mit schlechten Folgen erlaubt oder sogar geboten sein, z. B. wenn die Handlungsalternativen - einschließlich Untätigkeit - noch schlechtere Folgen hätten. Zu den „Folgen“ gehören dabei: |
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Dieses in der Antike noch weit verbreitete Verständnis, das Böse ließe sich durch die Vernunft überwinden, wird allerdings durch die geschichtlichen Erfahrungen, insbesondere die des 20. Jahrhunderts, in Frage gestellt. Diese lehren in den Augen vieler Philosophen der Gegenwart, dass der Mensch durchaus im Stande sei, das Böse auch um seiner selbst willen zu wollen. |
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* die beabsichtigen Folgen der Handlung |
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* die unbeabsichtigten absehbaren Folgen („Nebenfolgen“) der Handlung |
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* die Handlung und ihre Umstände selbst (z.B. der mit ihr verbundene physische und psychische Aufwand) |
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Als Motiv für das Böse kann zunächst einmal der Egoismus ausgemacht werden. Er äußert sich in vielen Spielarten. In seiner harmlosen Variante zeigt er sich im Ideal einer selbstbezogenen Bedürfnisbefriedigung. In dieser Form stellt er letztlich auch die „Vertragsgrundlage“ des Utilitarismus dar, der nichts anderes als einen Interessensausgleich zwischen den Individuen schaffen möchte. Dieser Aspekt trifft – wie die geschichtliche Erfahrung zeigt – noch nicht den eigentlichen Kern des Bösen. Dieser wird erst dann sichtbar, wenn die eigene Bedürfnisbefriedigung nicht mehr im Vordergrund steht: |
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Alle drei Komponenten müssen bei der Wahl der richtigen Handlung mit ins Kalkül gezogen werden. |
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{{Zitat |
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Entscheidend sind dabei nicht die tatsächlichen, sondern die absehbaren Folgen einer Handlung, d.h. die Folgen, wie sie sich für einen wohl informierten und vernünftig denkenden Beobachter zum Zeitpunkt der Handlung als mehr oder weniger wahrscheinlich darstellen. Für die Beurteilung der Handlung kommt es dabei neben dem Wert und Unwert der möglichen Folgen wesentlich auch auf deren Eintrittswahrscheinlichkeit an. Kleine Risiken dürfen im Allgemeinen für die Realisierung großer Chancen in Kauf genommen werden. Für einmalige oder gelegentliche Handlungen mit schwerwiegenden negativen, aber sehr unwahrscheinlichen Folgen (wie bei Hochrisikotechnologien) liefert die Utilitaristische Ethik kein eindeutiges Entscheidungskriterium. |
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|Text=Die eigentliche Struktur des Bösen aber […] zeigt sich erst dort, wo dieser utilitaristische Bezug nicht leitend ist, sondern die zwecklose, ja sogar widersinnige Freude an der reinen Destruktion vorherrscht. Erst hier entdeckt man die unheimlichen Züge des menschlichen Ich: der Machtrausch der Zerstörung genießt |
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|Autor=Schulz |
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|Quelle=''Philosophie in der veränderten Welt.'' S. 725.}} |
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Die Ursache dieses „radikal Bösen“ ist nach Kant weder in der Sinnlichkeit noch in der Vernunft zu sehen, sondern in einer „Verkehrtheit des Herzens“, in der sich das Ich gegen sich selbst wendet: |
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'''Maximierungsprinzip''' |
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{{Zitat |
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Unter den jeweils verfügbaren Handlungsalternativen ist für den Utilitarismus diejenige Handlung moralisch geboten, die absehbar das maximale Übergewicht der positiven über die negativen Folgen bewirkt. Dieses Maximum ist rein summativ bestimmt. Geboten ist die Handlung, für die die Differenz aus der Summe des durch sie absehbar bewirkten positiven und der Summe des durch sie absehbar bewirkten negativen Nutzens größer ist als für alle anderen in der Situation möglichen Handlungen. |
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|Text=Die Bösartigkeit der menschlichen Natur ist also nicht sowohl Bosheit, wenn man dieses Wort in strenger Bedeutung nimmt, nämlich als eine Gesinnung (subjektives Prinzip der Maximen), das Böse als Böses zur Triebfeder in seine Maxime aufzunehmen (denn die ist teuflisch); sondern vielmehr Verkehrtheit des Herzens, welches nun, der Folge wegen, auch ein böses Herz heißt, zu nennen. |
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|Autor=Kant |
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|Quelle=''Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.'' S. 686}} |
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Dieser Grundgedanke Kants von der Selbstwidersprüchlichkeit des Ichs als Ursache des Bösen wird vor allem in der Philosophie des [[Idealismus (Philosophie)|Idealismus]] noch einmal vertieft. [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Schelling]] unterscheidet zwischen einem alle Bindung verneinenden „Eigenwillen“ und einem sich in Beziehungen gestaltenden „Universalwillen“. Die Möglichkeit zum Bösen bestehe darin, dass der Eigenwille sich seiner Integration in den Universalwillen widersetzt. |
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'''Universalismus''' |
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{{Zitat |
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Für die Beurteilung einer Handlung sind die Folgen für alle von der Handlung Betroffenen erheblich, wobei die Folgenbewertung unparteilich sein und von allen besonderen Sympathien und Loyalitäten absehen soll (Bentham: ''„Everyone to count for one and nobody for more than one“''). Die Folgen für den Akteur und die ihm Nahestehenden sind in den Gesamtfolgen enthalten, erhalten jedoch kein stärkeres Gewicht als die Folgen für Fremde. Räumliche, zeitliche und soziale Distanz der Betroffenen führen nicht (abgesehen von der erhöhten Unsicherheit der Folgenabschätzung) zu einer Minderung ihrer moralischen Relevanz. |
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|Text=Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht faßt), bloße Sucht oder Begierde, d. h. blinder Wille ist. Diesem Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet. |
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|Autor=[[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]] |
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|Quelle=''Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände.'' S. 459}} |
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Das radikal Böse bewirke einen Umsturz der Ordnung in mir selbst und in Bezug zu anderen. Es erfolge um seiner selbst willen, denn „wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt, ebenso gibt es eine Begeisterung des Bösen“.<ref>Schelling: ''Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände.'' S. 468.</ref> |
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'''Der Nutzen als einziger Wert''' |
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Nach der klassischen Lehre (Augustinus, Thomas von Aquin etc.) ist das Böse selbst letztlich substanzlos. Als [[Privation (Philosophie)|privativer]] Gegensatz des Guten besteht es nur in einem Mangel (an [[Sein]] bzw. an Gutem). Im Gegensatz zum absolut Guten (Gott) gibt es demnach das absolut Böse nicht. |
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Der Utilitarismus kennt nur einen einzigen Wert: den „Nutzen“ (''utility''). Dieser wird dabei meist verstanden als das Ausmaß der von einer Handlung bewirkten Lust und des durch sie vermiedenen Leides. Der Utilitarismus ist daher im Kern eine hedonistische Theorie. Träger des Nutzens ist im Utilitarismus dabei immer das Individuum. „Gesamtnutzen“ oder „Gemeinwohl“ werden als Summe der jeweiligen Einzelnutzen aufgefasst. |
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Mit diesem Ansatz entfallen auf der Theorieebene alle Wertkonflikte sowie die Notwendigkeit einer Güterabwägung. Es sind vielmehr nur jeweils homogene Nutzenmengen (positive und negative) miteinander zu verrechnen. |
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== Durchsetzungsproblem == |
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Bei der genaueren Bestimmung des Nutzens sind innerhalb des Utilitatismus’ zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Grundsätzlich ist zwar der Nutzen mit der Gewinnung von Lust gleichzusetzen. Für den ''klassischen Utilitarismus'' ([[Bentham]]) sind dabei alle Arten von Lust gleichwertig. Die Handlungsalternativen können daher nur anhand quantitativer Gesichtspunkte entschieden werden wie Dauer und Intensität der Lust. Für den ''Präferenzutilitarismus'' ([[John Stuart Mill|Mill]], [[Peter Singer|Singer]]) ergeben sich dagegen auch qualitative Unterschiede der Lust. Die Freuden, an denen höhere Tätigkeiten des Menschen beteiligt sind, verdienen den Vorzug vor anderen; denn |
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Das Durchsetzungsproblem der Ethik besteht darin, dass die Einsicht in die Richtigkeit ethischer Prinzipien zwar vorhanden sein kann, daraus aber nicht automatisch folgt, dass der Mensch auch im ethischen Sinne handelt. Die Einsicht in das richtige Handeln bedarf einer zusätzlichen Motivation oder eines Zwangs.<ref>A. Schopenhauer: ''Die beiden Grundprobleme der Ethik.'' 1839/40.</ref> |
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Das Problem erklärt sich daraus, dass die Ethik einerseits und das menschliche Eigeninteresse als Egoismus andererseits oft einen Gegensatz bilden.<ref>[[Helga Hörz|Helga E. Hörz]] und [[Herbert Hörz]]: ''Ist Egoismus unmoralisch? Grundzüge einer neomodernen Ethik.'' trafo Verlagsgruppe, Berlin 2013, ISBN 978-3-86464-038-4.</ref> Das Durchsetzungsproblem gewinne zudem durch die [[Globalisierung]] eine neue Dimension, die zu einer ''Ethik der Neomoderne'' führe. |
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:''„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedengestelltes Schwein; es ist besser ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Narr“'' (Mill) {{Ref|Util}}. |
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=== Beispiel === |
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Die Tatsache, dass die Menschen im Land X Hunger leiden und ihnen geholfen werden sollte, ja es moralisch geboten erscheint ihnen zu helfen, wird niemand bestreiten. Die Einsicht es auch zu tun, einen Großteil seines Vermögens dafür herzugeben, wird es im nennenswerten Umfang erst geben, wenn eine zusätzliche Motivation auftaucht, etwa die Gefahr einer [[Migration]] wegen Hungers ins eigene Land unmittelbar bevorsteht. |
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Der Begriff der Wertethik ist ein Sammelbegriff für ethische Theorien, die das Gute als [[Wert]] begreifen. Maßgeblich für die Prägung des Begriffs „Wertethik“ war das Buch „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik“ von [[Max Scheler]]{{ref|Sch}}. Er begründete damit die materiale Wertethik, die auf der [[phänomenologisch]]en Methode [[Edmund Husserl]]s aufbaut und von [[Nicolai Hartmann]] fortgeführt wurde. Daneben gibt es auch eine formale Richtung wertphilosophischer Ethik. Diese wurde von [[Wilhelm Windelband]] und [[Heinrich Rickert]] entwickelt. |
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Das Durchsetzungsproblem zeigt sich auf andere Weise auch in der Erziehung, etwa wenn fest verinnerlichte Verhaltensregeln später auf entwickelte ethische Prinzipien stoßen.<ref>H. J. Niemann: ''Die Strategie der Vernunft. Rationalität in Erkenntnis, Moral und Metaphysik.'' Vieweg, Braunschweig u. a. 1993, ISBN 3-528-06522-2.</ref> |
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'''Die materiale Wertethik (Scheler)''' |
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=== Lösungsansätze === |
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Scheler entwirft seine materiale Wertethik in betonter Abgrenzung von Kant. Er übernimmt zwar Kants apriorisches Vorgehen und seine Kritik an einer Güter- und Zweckethik. Scheler will jedoch an einer materialen Grundlegung der Ethik festhalten. Dies sei möglich durch den Aufweis apriorischer Wertbestimmtheiten, die nicht in intellektuellen, sondern in emotionalen Akten des Wertfühlens gegeben sind. Werte sind dabei für ihn von den konkreten Gütern in ähnlicher Weise unabhängig wie dies Farben von den Dingen sind. Als Methode zur Erkenntnis der Werte übernimmt Scheler die von Husserl entwickelte Phänomenologie. |
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Erkenntnisse der [[Evolutionäre Spieltheorie|Evolutionären Spieltheorie]]<ref>Vgl. auch [[Johannes Gottfried Mayer]], [[Detlef Weinich]] (Hrsg.): ''Ethik und Evolutionstheorien'' (= ''Texte und Wissen.'' Band 4). Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.</ref> lassen Rückschlüsse darauf zu, dass das Durchsetzungsproblem durch Selbstdurchdringung gelöst werden kann. Diese Auffassung vertraten zuerst Vertreter der [[Neue Institutionenökonomik|Neuen Institutionenökonomik]]. So wiesen Eirik Furubotn und [[Rudolf Richter (Wirtschaftswissenschaftler)|Rudolf Richter]] darauf hin, dass der Aufbau einer Reputation eine dominate Spielstrategie sein kann.<ref>R. Richter, E. Furubotn: ''Neue Institutionenökonomik.'' Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-148060-0, S. 277.</ref> |
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Das Ziel der materialen Wertethik besteht nach Scheler darin, zu einer „von aller positiven psychologischen und geschichtlichen Erfahrung unabhängigen Lehre von den sittlichen Werten“ zu gelangen. Die Werte gelten ihm als „streng apriorische Wesensideen“. Sie sind nicht auf dem Wege einer begrifflichen Rekonstruktion zu gewinnen, sondern müssen aus der „natürlichen Weltanschauung“ herausgelöst werden. Durch die Ausblendung oder Einklammerung (''epoche'') der besonderen Umstände soll die phänomenologische Schau auf das reine Wesen des untersuchten Gegenstands ermöglicht werden. Diese Schau soll dadurch gelingen, dass sie von den besonderen Bedingungen der historisch-kulturell geprägten Situation absieht, indem sie sich rein auf die „aus der Person, dem Ich und dem Weltzusammenhang herausgelöste Aktintention“ konzentriert. Die materiale Wertethik Schelers geht von einer Rangordnung der Werte aus. Diese könne „in einem besonderen Akte der Werterkenntnis“ erfasst werden. Ein Wert steht umso höher, je weniger er durch andere Werte „fundiert“ ist und je tiefer die durch seine Realisierung vermittelte Befriedigung erfahren wird. Jedem positiven Wert steht dabei ein negativer „Unwert“ gegenüber. Scheler entwickelt eine Hierarchie der Werte, die sich einem jeweils entsprechenden „Fühlen“ erschließen: |
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* das Angenehme und das Unangenehme (sinnliches Fühlen) |
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* das Edle und das Gemeine (vitales Fühlen) |
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* das Schöne und das Hässliche; das Rechte und das Unrechte (geistiges Fühlen) |
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* das Heilige und das Unheilige (Gefühl der Liebe) |
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=== Deontologische Ansätze=== |
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Das griechische Wort ''„to deon“'' bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. [[Deontologische Ethik]]en kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. |
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Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z.B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z.B. Immanuel Kant) unterschieden. |
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Während die ''Regeldeontologie'' allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z.B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den ''aktdeontologischen Theorien'' zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen. |
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==== Kant==== |
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[[Image:Immanuel Kant (painted portrait).jpg|160px|thumb| Kant stellte den Pflichtgedanken ins Zentrum seiner Ethik]] |
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Die Ethik [[Immanuel Kant|Kants]] wird allgemein als die erste entfaltete Konzeption einer deontologischen Ethik angesehen. Die von ihm vollzogene deontologische Wende ist in erster Linie durch sein Bemühen motiviert, die durch [[Hume]]s Kritik am [[naturalistischer Fehlschluss|naturalistischen Fehlschluss]] entstandene Grundlagenkrise im Bereich der Moralphilosophie zu überwinden. Kant ist mit Hume der Auffassung, dass aus vor-moralischen Werturteilen kein Sollensanspruch abgeleitet werden könne und daher eine teleologische Moralbegründung nicht möglich sei. |
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'''Formale Ethik''' |
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Für Kant stammt der Anspruch des Sittlichen nicht aus der Erfahrung. Seine unbedingte Verbindlichkeit kann nur [[a priori]], also erfahrungsfrei, und deshalb rein formal, nicht material bestimmt sein. Dieses unbedingt verbindliche Sittengesetz nennt Kant den [[kategorischer Imperativ|kategorischen Imperativ]]. Kant kennt verschiedene Formulierungen des kategorischen Imperativs. Die „Grundformel“ lautet in ihrer ausführlichsten Formulierung: |
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:''„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“'' (GMS, B 52) {{Ref|GMS}}. |
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Der kategorische Imperativ ist für Kant das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“. Er stellt die allgemeine Form eines sittlichen Gesetzes dar. In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ formuliert Kant den kategorischen Imperativ in der sog. „Naturgesetzformel“: |
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:''„Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“'' (GMS, B 52) {{Ref|GMS}}. |
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Ausgehend von dieser Formulierung zeigt Kant an verschiedenen Beispielen Verstöße gegen dieses Prinzip auf. Entscheidend ist dabei immer die Frage, ob die [[Maxime]], die der entsprechenden Handlung zugrunde liegt, sich verallgemeinert denken lässt. Wenn jemand zugeben muss, dass ein objektiv allgemeingültiges Gesetz vorliegt, für sich aber eine Ausnahme davon machen will, liegt ein unmoralisches Handeln vor. Um also die Moralität einer Handlung zu prüfen, muss ein Naturgesetz (ein naturgesetzlich wirkender Trieb) widerspruchsfrei vorstellbar sein, das ein Lebewesen immer auf diese Weise vorgehen ließe. |
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<!-- Exkurs --> |
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<small>Ein Verstoß gegen eine solche geforderte Verallgemeinerungsfähigkeit ist z.B. der [[Selbstmord]]. Wenn ich mir nämlich aus Selbstliebe im Fall des Lebensüberdrusses das Leben nehmen will, so müsste ich einen Naturtrieb denken können, der zum Zweck eines angenehmeren Lebens immer dann, wenn das Leben zu viele Übel befürchten lässt, zur Selbsttötung führt. Es wäre aber offensichtlich widersprüchlich, wenn der naturgegebene Antrieb zur Steigerung der Lebensqualität zur Zerstörung des Lebens führen würde. Ein wohlüberlegter Selbstmord aus Lebensüberdruss lässt sich also nur als eine ausnahmsweise Ad-hoc-Entscheidung, aber nicht als ein regelgeleitetes Handeln rekonstruieren und ist darum unmoralisch.</small> |
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Die Ethik Kants bleibt allerdings nicht rein formal, sie wird auch materiell. So wird in der sog. „Selbstzweckformel“ des kategorischen Imperativs der Mensch als Zweck an sich selbst in den Vordergrund gestellt: |
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:''„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“'' (GMS, B 66f.) {{Ref|GMS}}. |
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'''Autonome Ethik''' |
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Kant vertritt eine [[Autonomie (Philosophie)|autonome]], nicht heteronome Ethik. Autonomie ist dabei im doppelten Sinne zu verstehen: |
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* als Unabhängigkeit sowohl von empirisch materialen Bedingungen oder Beweggründen des Handelns als auch von der Willkür äußerer Gesetzgebung, weil bloße Heteronomie die sittliche Verbindlichkeit nicht begründen kann, sondern voraussetzen muss |
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* als Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft, die sich allein aus sich und durch sich selbst sittlich binden kann. |
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Diese Autonomie bedeutet aber für Kant nichts weniger als gesetzlose Willkür und Beliebigkeit. Er will nur aufzeigen, dass nichts Empirisches, weder eigene Erfahrung noch äußere Gesetzgebung, die unbedingte Verbindlichkeit als solche konstituieren kann, wenn diese nicht als transzendentale Bedingung jedes konkreten, faktisch empirischen Sollens der reinen praktischen, sich selbst verpflichtenden Vernunft entspringt. |
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'''Pflichtethik''' |
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Die Ethik Kants steht unter dem Gedanken der [[Pflicht]]. Sie ist der höchste Moralbegriff, in dem sich die Unbedingtheit des Sittlichen ausspricht. Da jede Heteronomie ausgeschlossen ist, kann der Ursprung der Pflicht nur in der [[Würde]] des Menschen als Person liegen. |
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Kant unterscheidet scharf zwischen Legalität und Moralität. Wahre Moralität wird erst erreicht, wenn das Gesetz allein um seiner selbst willen erfüllt wird, die Handlungen nur „aus Pflicht und aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt“ werden (KpV, A 145){{Ref|KpV}}. |
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'''Postulate der praktischen Vernunft''' |
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Kant unterscheidet zwischen dem Beweggrund (Motiv) und dem Gegenstand (Objekt) des sittlichen Handelns. Das einzig bestimmende Motiv einer nicht nur legalen, sondern wahrhaft moralischen Handlung kann nur das Gesetz als solches sein. Der Gegenstand ist dasjenige, was die sittliche Tat zwar nicht bestimmen kann, von ihr aber bewirkt wird, also nicht der Beweggrund, sondern die Wirkung sittlichen Handelns ist. Dieser Gegenstand ist für Kant - und damit steht er in der klassischen Tradition - das „höchste Gut“ (''summum bonum''). Dazu gehören notwendig zwei Elemente: „Heiligkeit“ – von Kant verstanden als sittliche Vollkommenheit - und [[Eudaimonie|Glückseligkeit]]. Davon ausgehend erschließt Kant die [[Postulat]]e [[Freiheit]], [[Unsterblichkeit]] und [[Gott]]. |
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*''Freiheit'' |
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Das Gesetz wendet sich an den Willen, setzt also die Fähigkeit freier Selbstbestimmung zu sittlichem Handeln, d. h. Freiheit des Willens, voraus. Die Freiheit ist für Kant nicht unmittelbar gegeben, erst recht nicht psychologisch, durch innere Wahrnehmung, erfahrbar: dann wäre sie ein empirischer, d. h. sinnlich erscheinender Inhalt. Unmittelbar als „Faktum der reinen praktischen Vernunft“ gegeben ist allein das sittliche Gesetz. Bedingung der Möglichkeit seiner Verwirklichung ist die Freiheit des Willens. Sie wird von Kant streng [[transzendental]] gedacht: als Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns. Als solche steht sie in notwendigem Zusammenhang mit dem Gesetz, kann daher als Postulat der reinen Vernunft aufgewiesen werden. |
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*''Unsterblichkeit'' |
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Das Sittengesetz gebietet die Verwirklichung der „Heiligkeit“. Dazu ist aber ''„kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig“''. Sie kann daher nur in einem „unendlichen Progressus“ erreicht werden, der ''„nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich“'' ist (KpV, A220){{Ref|KpV}}. Als Postulat der praktischen Vernunft ergibt sich die Unsterblichkeit der Seele, welche Kant als unendlichen Prozess approximativer Verwirklichung sittlicher Vollkommenheit versteht. |
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*''Gott'' |
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Das sittliche Handeln verlangt, nicht als Motiv, nur als Wirkung, die Erreichung der Glückseligkeit. Damit nimmt Kant den seit der griechischen Antike durchgehenden Grundgedanken der „eudaimonia“ als Ziel sittlichen Handelns auf, nur mit dem Unterschied, dass sie nach Kant niemals Motiv, sondern immer nur zu bewirkender Gegenstand moralischen Tuns sein darf. „Glückseligkeit“ bedeutet für Kant die Übereinstimmung zwischen dem Naturgeschehen und unserem sittlichen Wollen. Diese können wir selbst nicht bewirken, weil wir nicht die Urheber der Welt und des Naturgeschehens sind. Daher ist eine höchste Ursache erfordert, die uns und der Natur überlegen, selbst von sittlichem Wollen bestimmt ist und die Macht hat, die Übereinstimmung des Naturgeschehens mit dem sittlichen Wollen zu bewirken. Glückseligkeit setzt daher als Postulat der praktischen Vernunft die Existenz Gottes voraus. Gott ist der letzte Grund der unbedingt gültigen Sinnhaftigkeit alles sittlichen Strebens und Handelns. |
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==== Diskursethik ==== |
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Die [[Diskursethik]] ist der derzeit wohl prominenteste Vertreter einer Sprachethik. Sie steht hinsichtlich ihrer transzendentalen Methodik in der Tradition Kants, erweitert aber dessen Ansatz um die Erkenntnisse der Sprachphilosophie – v.a. der [[Sprechakttheorie]]. |
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Der [[Diskurs]], als der Austausch von Argumenten in einer Sprachgemeinschaft, steht dabei in zweifacher Hinsicht im Vordergrund. |
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Er wird zum einen als Mittel zur Begründung einer allgemeinen Ethik angesehen. Die Diskursethik will aufweisen, dass jede Person, die an einem Diskurs teilnimmt und dort beispielsweise Behauptungen aufstellt, bestreitet oder in Frage stellt, bestimmte Moralprinzipien implizit immer schon als verbindlich anerkannt hat. |
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Zum anderen wird der Diskurs als Mittel angesehen, um konkrete ethische Streitfälle schlichten zu können. Eine konkrete Handlungsweise sei moralisch dann richtig, wenn ihr alle - insbesondere die von dieser Handlungsweise Betroffenen - als Teilnehmer eines zwanglos geführten argumentativen Diskurses zustimmen könnten. |
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Innerhalb der Diskursethik unterscheidet man eine transzendentalpragmatische Variante, die eine Letztbegründung ihrer Prinzipien anstrebt ([[Karl-Otto Apel]], [[Wolfgang Kuhlmann]]) und eine universalpragmatische Variante ([[Jürgen Habermas]]), die eine grundsätzliche Fallibiliät ihrer Theorie einräumt. |
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'''''Der transzendentalpragmatische Ansatz''''' |
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'''Das Apriori der Argumentation''' |
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Das zentrale Anliegen der [[Transzendentalpragmatik|transzendentalpragmatischen]] Ethikbegründung, deren vorrangiger Vertreter Karl-Otto Apel ist, ist die [[Letztbegründung]] ihrer zugrunde gelegten ethischen Prinzipien. Zu diesem Zweck strebt Apel eine „Transformation der Kantischen Position“ in Richtung einer „transzendentalen Theorie der [[Intersubjektivität]]“ an. Von dieser Transformation erhofft er sich eine einheitliche philosophische Theorie, die eine Überbrückung des Gegensatzes von theoretischer und praktischer Philosophie leisten kann. |
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Nach Apels Ansicht setzt jeder, der argumentiert, immer schon voraus, dass er im Diskurs zu wahren Ergebnissen gelangen kann, dass also Wahrheit grundsätzlich möglich ist. Eine ebensolche Wahrheitsfähigkeit setzt der Argumentierende von seinem Gesprächspartner voraus, mit dem er in den Diskurs eintritt. Dies bedeutet in der Sprache Apels, dass die Argumentationssituation für jeden Argumentierenden unhintergehbar ist. Jeder Versuch ihr zu entfliehen ist letztlich inkonsistent. Apel spricht in diesem Zusammenhang von einem „Apriori der Argumentation“: |
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:''„Wer nämlich überhaupt an der philosophischen Argumentation teilnimmt, der hat die soeben angedeuteten Voraussetzungen bereits implizit als Apriori der Argumentation anerkannt, und er kann sie nicht bestreiten, ohne sich zugleich selbst die argumentative Kompetenz streitig zu machen“'' (Transformation der Philosophie, Bd. 1, 62) {{Ref|TP1}} |
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Selbst derjenige, der die Argumentation abbricht, will nach Ansicht Apels damit etwas zum Ausdruck bringen: |
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:''„Auch wer im Namen des existenziellen Zweifels, der durch Selbstmord sich verifizieren kann … das Apriori der Verständigungsgemeinschaft zur Illusion erklärt, bestätigt es zugleich dadurch, daß er noch argumentiert“'' (a.a.O.) {{Ref|TP1}}. |
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Jemand, der auf eine argumentative Rechtfertigung seiner Handlung verzichten will, zerstört sich letztlich selbst. In theologischen Begriffen gesprochen könnte man daher sagen, dass selbst |
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''„der Teufel nur durch den Akt der Selbstzerstörung von Gott unabhängig gemacht werden kann“'' (a.a.O., Bd.2, 414) {{Ref|TP2}}. |
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'''Reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft''' |
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Nach Ansicht Apels wird mit der Unhintergehbarkeit der rationalen Argumentation auch eine Gemeinschaft der Argumentierenden anerkannt. Die Rechtfertigung einer Aussage sei nämlich nicht möglich, ''„ohne im Prinzip eine Gemeinschaft von Denkern vorauszusetzen, die zur Verständigung und Konsensbildung befähigt sind. Selbst der faktisch einsame Denker kann seine Argumente nur insofern explizieren und überprüfen, als er im kritischen ‚Gespräch der Seele mit sich selbst’ (Platon) den Dialog einer potentiellen Argumentationsgemeinschaft zu internalisieren vermag"'' (a.a.O., 399) {{Ref|TP2}}. Das setze aber die Befolgung der moralischen Norm voraus, dass alle Mitglieder der Argumentationsgemeinschaft sich als gleichberechtigte Diskussionspartner anerkennen. |
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Diese notwendig vorauszusetzende Argumentationsgemeinschaft kommt nun bei Apel in zwei Gestalten ins Spiel: |
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*als reale Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglied man „selbst durch einen Sozialisationsprozess geworden ist“ (a.a.O., 429) {{Ref|TP2}} |
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*als ideale Kommunikationsgemeinschaft, „die prinzipiell imstande sein würde, den Sinn seiner Argumente adäquat zu verstehen und ihre Wahrheit definitiv zu beurteilen“ (a.a.O.) {{Ref|TP2}}. |
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Aus der notwendig vorausgesetzten Kommunikationsgemeinschaft in ihren beiden Varianten leitet Apel zwei regulative Prinzipien der Ethik ab: |
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:''„Erstens muss es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen. Das erste Ziel ist die notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, - den Sinn, der mit jedem Argument schon antizipiert ist"'' (a.a.O., 431) {{Ref|TP2}}. |
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Nach Apel sind also sowohl die ideale als auch die reale Kommunikationsgemeinschaft a priori zu fordern. Für Apel stehen die ideale und reale Kommunikationsgemeinschaft in einem dialektischen Zusammenhang. Die Möglichkeit, ihren Widerspruch zu überwinden, ist a priori vorauszusetzen. Die ideale Kommunikationsgemeinschaft ist als das Ziel, auf das es hinzuarbeiten gelte, in der realen Kommunikationsgemeinschaft schon als deren Möglichkeit präsent. |
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==== Vertragstheorien ==== |
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Als [[Vertragstheorie]]n bezeichnet man Konzeptionen, die die moralischen Prinzipien menschlichen Handelns und die Legitimationsbedingungen politischer Herrschaft in einem hypothetischen, zwischen freien und gleichen Individuen geschlossenen, [[Vertrag]] sehen. Die allgemeine Zustimmungsfähigkeit wird damit zu einem fundamentalen normativen Gültigkeitskriterium erklärt. |
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Den Hintergrund der Vertragstheorien bildet die seit der Neuzeit verbreitetete Überzeugung, dass moralisches Handeln nicht mehr durch Rekurs auf den Willen Gottes oder eine objektive natürliche Wertordnung gerechtfertigt werden kann. Gesellschaft wird nicht mehr wie in der aristotelischen Tradition als Folge der sozialen Natur des Menschen („[[Politik (Aristoteles)#Der Mensch als zoon politikon|zoon politikon]]“) verstanden. Das einzige ethische Subjekt ist in dieser Konzeption das autonome, allein auf sich gestellte Individuum, das in keinerlei vorgegebenen Natur- oder Schöpfungsordnungen mehr steht. Gesellschaftliche und politische Institutionen lassen sich demnach nur dann noch rechtfertigen, wenn sie den Interessen, Rechten und Glücksvorstellungen der Individuen dienen. |
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'''Thomas Hobbes: Naturzustand und Legitimation von Herrschaft''' |
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[[Bild:Thomas Hobbes (portrait).jpg|thumb|Für Hobbes ist das Ziel die Überwindung des Krieges aller gegen alle]] |
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Vertragsmotive finden sich zwar bereits im Denken der Sophisten und im Epikureismus; erst in der Neuzeit wurde jedoch der Vertrag in den Rang eines theoretischen Legitimationskonzepts erhoben. Als Begründer der Vertragstheorie gilt [[Thomas Hobbes]]. Die von ihm entwickelten Konzepte prägten das gesamte sozialphilosophische Denken der Neuzeit. Sie stellen die ethische Grundlage des [[Liberalismus]] dar. |
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Hobbes Ausgangspunkt{{Ref|Lev}} ist der Gedanke eines unerträglichen [[Naturzustand]]es. Der Naturzustand ist ein Zustand, in dem alle staatlichen Ordnungs- und Sicherheitsleistungen fehlen und jeder seine Interessen mit allen ihm geeignet erscheinenden und verfügbaren Mitteln verfolgen würde. Dieser vorstaatlich-anarchische Zustand sei für die Individuen aufgrund seiner Konfliktträchtigkeit unerträglich. Die Ursache der Konflikte stellen die endlosen Begierden der Menschen und die Knappheit der Güter dar. Dies führe zu einer Situation, in der jeder zum Konkurrent des anderen werde und eine tödliche Gefahr darstelle („[[Homo homini lupus]]“), die in der Konsequenz zu einem Krieg aller gegen alle führe („[[Bellum omnium contra omnes]]“). Dieser Zustand, in der es kein Recht, kein Gesetz und kein Eigentum gebe, sei letztlich für jedermann unerträglich. Es liege also im fundamentalen Interesse eines jeden, diesen gesetzlosen vorstaatlichen Zustand zu verlassen, die absolute Ungebundenheit aufzugeben und eine mit politischer Macht ausgestattete Ordnung zu etablieren, die ein friedliches Miteinander garantiert. Die zur Einrichtung des staatlichen Zustandes notwendige individuelle Freiheitseinschränkung ist allerdings nur möglich auf der Basis eines Vertrags, in dem die Naturzustandsbewohner sich wechselseitig zur Aufgabe der natürlichen Freiheit und zu politischem Gehorsam verpflichten und zugleich für die Einrichtung einer mit Gewaltmonopol ausgestatteten Vertragsgarantiemacht sorgen. Der Vertrag ist nicht kündbar, außer mit Billigung des Souveräns. Dieser verfügt über eine unumschränkte Staatsgewalt (Hobbes bezeichnet nennt ihn daher auch als „[[Leviathan (Mythologie)|Leviathan]]“), da er nur so in der Lage sei, Frieden, Ordnung und Rechtssicherheit zu gewährleisten. |
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==== Rawls ==== |
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'''Ausgangspunkt''' |
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[[John Rawls]] Hauptwerk „[[A Theory of Justice|Eine Theorie der Gerechtigkeit]]“ zählt zu den meistdiskutierten ethischen Werken der Gegenwart. Es führt die Linie der Vertragstheorien fort und wendet sich gegen den ebenfalls die zeitgenössische Diskussion beherrschenden Utilitarismus. |
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Rawls versteht unter [[Gerechtigkeit]] in erster Linie soziale Gerechtigkeit. Diese definiert er als ''„die Art, wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und –pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen“'' (TG, 23){{Ref|TG}}. |
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Er kritisiert dabei am Utilitarismus, dass dieser die Gerechtigkeit im Sinne des „größten Glücks der größten Zahl“ nur als eine Funktion des gesellschaftlichen Wohlergehens gesehen habe. Dies werde den Freiheitsrechten der einzelnen Individuen nicht gerecht. Jedem Individuum müsse man ''„eine auf der Gerechtigkeit - oder wie manche sagen, dem Naturrecht - beruhende Unverletzlichkeit“'' zusprechen, ''„die auch im Namen des Wohles aller anderen nicht aufgehoben werden kann. Es ist mit der Gerechtigkeit unvereinbar, dass der Freiheitsverlust einiger durch ein größeres Wohl aller gutgemacht werden könnte“'' (TG, S. 46) {{Ref|TG}}. |
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'''Der Urzustand und der „Schleier der Unwissenheit“''' |
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Auf der Suche nach den legitimen Gerechtigkeitsprinzipien, entwirft Rawls - wie die Vertragstheoretiker vor ihm - das Gedankenexperiment des Urzustandes. |
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In ihm sollen faire Bedingungen herrschen, die niemanden benachteiligen oder bevorzugen. Jedes Individuum ist dabei mit einem „[[Schleier der Unwissenheit]]“ (''veil of ignorance'') umgeben. In diesem Zustand kennt |
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:''„niemand seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebensowenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft usw. Ferner kennt niemand seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines vernünftigen Lebensplanes, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche wie seine Einstellung zum Risiko oder seine Neigung zu Optimismus oder Pessimismus. Darüber hinaus setze ich noch voraus, daß die Parteien die besonderen Verhältnisse in ihrer eigenen Gesellschaft nicht kennen, d.h. ihre wirtschaftliche und politische Lage, den Entwicklungsstand ihrer Zivilisation und Kultur. Die Menschen im Urzustand wissen auch nicht, zu welcher Generation sie gehören“'' (TG, 160) {{Ref|TG}}. |
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Erst diese totale Unwissenheit über die eigenen Fähigkeiten und Interessen garantiert für Rawls, dass die Menschen die zur Wahl stehenden Gerechtigkeitsprinzipien „allein unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen“ (TG, 159) {{Ref|TG}}. |
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'''Die beiden Gerechtigkeitsprinzipien''' |
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Unter den von Rawls als Gedankenexperiment angenommenen Bedingungen des Urzustandes |
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würden die Menschen sich nun auf zwei Gerechtigkeitsprinzipien einigen: |
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''„1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.''<br /> |
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''2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen“'' (TG, S. 81) {{Ref|TG}}. |
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Das erste Gerechtigkeitsprinzip bezieht sich auf die „Grundfreiheiten“, zu denen Rawls politische und individuelle Freiheiten zählt. Diese sind für alle gleich zu verteilen. Anders sieht es mit den im zweiten Grundprinzip angesprochenen wirtschaftlichen und sozialen Gütern aus. Hier kann eine Ungleichverteilung dann gerechtfertigt sein, wenn sie von allgemeinem Interesse ist. Im Falle eines Konfliktes zwischen beiden Gerechtigkeitsprinzipien hat der Schutz der Freiheit Vorrang. Eine Verletzung der Grundfreiheiten kann selbst dann nicht in Kauf genommen werden, wenn dadurch „größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile“ (TG, 82){{Ref|TG}} entstehen könnten. |
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'''Differenzprinzip und demokratische Gleichheit''' |
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Die im zweiten Gerechtigkeitsprinzip erlaubte sozioökonomische Ungleichheit ist nach Rawls nur dann zulässig, wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft beiträgt. So ist z.B. die Ungleichheit zwischen Unternehmer- und Arbeiterklasse nur dann zu rechtfertigen, „wenn ihre Verringerung die Arbeiterklasse noch schlechter stellen würde“ (TG, 98f.) {{Ref|TG}} . |
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Rawls bezeichnet die durch das Differenzprinzip charakterisierte Ordnung als „System der demokratischen Gleichheit“. Dieses ist den „gesellschaftlichen und natürlichen Zufälligkeiten“ (TG, 95){{Ref|TG}} entgegenzusetzen, so dass „unverdiente Ungleichheiten ausgeglichen werden“ (TG, 121){{Ref|TG}}. |
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== Siehe auch == |
== Siehe auch == |
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{{Portal|Philosophie}} |
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*[[Buddhistische Ethik]], [[Protestantische Ethik]], [[Nationaler Ethikrat]] |
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* [[Metaethik]] |
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* [[Gerechtigkeitstheorien]] |
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* [[Liste bekannter Ethiker]] |
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* [[Liste der Ethik-Modelle]] |
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* [[Ethische Bewegung]] |
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* [[Ethisches Dilemma]] |
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* [[Welfarismus]] |
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* [[Sekyra und White’s-Professur für Moralphilosophie]] |
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== Literatur == |
== Literatur == |
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{{Philosophie-Bibliographie|Ethik}} |
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; Einführungen |
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* [[Arno Anzenbacher]]: ''Einführung in die Ethik.'' 3. Auflage. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5 (gut lesbare Einführung) |
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* [[Dieter Birnbacher]]: ''Analytische Einführung in die Ethik.'' De Gruyter, Berlin u. a. 2003, ISBN 3-11-017625-4 (systematische Darstellung der normativen Ethik aus Sicht eines [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophen]]; moderne Ansätze stehen im Vordergrund) |
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* Dagmar Fenner: ''Ethik. Wie soll ich handeln?'' UTB, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8252-2989-4 (gut strukturierte Einführung, etwas schulbuchhaft) |
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* [[Dietmar Hübner]]: ''Einführung in die philosophische Ethik''. UTB, 2. Aufl., Göttingen 2018, ISBN 978-3-8252-4991-5 (klare Systematik mit historischen Vertiefungen) |
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* [[Annemarie Pieper]]: ''Einführung in die Ethik.'' 5. Auflage. Francke, Tübingen u. a. 2003, ISBN 3-8252-1637-3, ISBN 3-7720-1698-7 (vielzitierte Einführung in die Ethik) |
|||
* Louis P. Pojman, James Fieser: ''Ethics. Discovering Right and Wrong.'' Wadsworth Pub. 2008, ISBN 978-0-495-50235-7. (exzellente, sehr klare, oft als Lehrbuch verwendete erste Einführung) [http://academic.cengage.com/resource_uploads/downloads/0495502359_124757.doc (Inhaltsverzeichnis)] ([[Microsoft Word|MS Word]]; 177 kB) |
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* ''[[Der blaue Reiter (Zeitschrift)|Der blaue reiter. Journal für Philosophie]]. Themenheft: Ethik.'' Nr. 3, 1995. Verlag der blaue reiter, ISBN 978-3-9804005-2-7. |
|||
* Karl Hepfer. ''Philosophische Ethik. Eine Einführung.'' Göttingen 2008 (UTB 3117), ISBN 978-3-8252-3117-0 (Sehr übersichtliche und gut lesbare Darstellung aller gängigen Begründungsmodelle) |
|||
* [[Michael Quante]]: ''Einführung in die allgemeine Ethik.'' Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15464-9 (lehrbuchartig aufgebautes Werk mit Zusammenfassungen, Lektürehinweisen und Übungen am Ende jedes Kapitels; geht ausführlich auf metaethische Fragen ein) |
|||
* [[Hans Reiner]]: ''Ethik. Eine Einführung.'' Studienausgabe, PAIS-Verlag, Oberried 2010, ISBN 978-3-931992-27-9 (gut verständliche Einführung) |
|||
* Andreas Vieth: ''Einführung in die Philosophische Ethik.'' Münster/München 2015, ISBN 978-3-7380-2658-0, [http://ethik.philosovieth.de/ PDF] (themenorientiert, metaethisch, visuelle Themenaufbereitung, Lehrbuch) |
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; Gesamtdarstellungen |
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* Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, [[Micha Werner|Micha H. Werner]] (Hrsg.): ''Handbuch Ethik.'' 2. akt. Auflage. Metzler, Stuttgart u. a. 2006, ISBN 3-476-02124-6 (derzeit das Standardhandbuch zur Ethik; enthält einen historischen und einen begrifflichen Teil; breite Berücksichtigung der aktuellen Diskussion; zum Teil sehr anspruchsvoll) |
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* Hugh LaFollette (Hrsg.): ''Blackwell Guide to Ethical Theory.'' Blackwell, Oxford 2000. ([http://www.hughlafollette.com/papers/b-guide.htm Inhaltsverzeichnis]) |
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* [[Friedo Ricken]]: ''Allgemeine Ethik.'' 4. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017948-9 (sehr fundiert und anspruchsvoll; versucht eine Synthese aus Aristotelischen und Kantischen Ansätzen mit Anleihen aus der analytischen Philosophie) |
|||
* Hugh LaFollette (Hrsg.): ''Ethics in Practice: An Anthology.'' 4. Auflage. Wiley-Blackwell, Oxford 2014, ISBN 978-0-470-67183-2. |
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; Lexika und Grundbegriffe |
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* [[Otfried Höffe]] (Hrsg.): ''Lexikon der Ethik.'' 6. Auflage. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47586-8 (das Standardlexikon zur Einführung in die Begriffe der Ethik) |
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* [[Gerhard Schweppenhäuser]]: ''Grundbegriffe der Ethik zur Einführung.'' 2. Auflage. Junius, Hamburg 2006, ISBN 3-88506-632-7 (konzentriert sich auf die Behandlung zentraler Grundbegriffe der Ethik) |
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; Ethik in der Wissenschaft |
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* [[Hans Lenk (Philosoph)|Hans Lenk]] (Hrsg.): ''Wissenschaft und Ethik'', Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008698-1. |
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== Weblinks == |
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=== Einführungen, Hilfsmittel === |
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{{Commonscat|Ethics|Ethik}} |
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* Arno Anzenbacher: ''Einführung in die Ethik.'' 3. Aufl. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5 <small>(Gut lesbare Einführung mit vielen Graphiken u. Zusammenfassungen. Die einzelnen Kapitel stehen sich allerdings manchmal etwas zusammenhangslos gegenüber.)</small> |
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{{Wiktionary}} |
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* Dieter Birnbacher: ''Analytische Einführung in die Ethik.'' De Gruyter, Berlin u.a. 2003, ISBN 3-11-017625-4 |
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{{Wikiquote}} |
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* Dieter Birnbacher, Norbert Hoerster (Hrsg.): ''Texte zur Ethik.'' 12. Aufl. dtv, München 2003, ISBN 3-423-30096-5 |
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* {{DNB-Portal|4015602-3}} |
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* Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner (Hrsg.): ''Handbuch Ethik.'' Metzler, Stuttgart u.a. 2002, ISBN 3-476-01749-4<small>(Derzeit '''das''' Standardhandbuch zur Ethik. Enthält einen historischen u. einen begrifflichen Teil. Der aktuellen Diskussion wird ein breiter Raum gegeben. Zum Teil sehr anspruchsvolle Artikel.)</small> |
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* [[Karl-Heinz Brodbeck]]: ''{{Webarchiv |url=http://193.174.81.9/professoren/bwl/brodbeck/ethik/bro-moral.pdf |wayback=20130614183131 |text=Ethik und Moral. eine kritische Einführung.}}'' (PDF; 1,5 MB) Verlag BWT, Würzburg 2003, ISBN 3-9808693-1-8. (Freies, einführendes E-Book) |
|||
* Rudolf Ginters: ''Typen ethischer Argumentation. Zur Begründung sittlicher Normen.'' Patmos, Düsseldorf 1976, ISBN 3-491-77661-9 |
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* Roger Crisp: [http://www.rep.routledge.com/article/L132 ''Ethics.''] In: E. Craig (Hrsg.): ''[[Routledge Encyclopedia of Philosophy]].'' London 1998. |
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* [[Otfried Höffe]] (Hrsg.): ''Lexikon der Ethik.'' 6. Aufl. Beck: München 2002, ISBN 3-406-47586-8<small> (Das Standardlexikon zur Einführung in die Begriffe der Ethik)</small> |
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* {{IEP|https://www.iep.utm.edu/e/ethics.htm|Ethics|James Fieser}} |
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* [[Albert Keller]]: {{Fußnote|Ke|''Philosophie der Freiheit'', Graz: Styria, 1994, ISBN 3-222-12294-6}} <small> (Sehr um Klarheit und Zusammenhang der ethischen Grundbegriffe bemüht. Manchmal zu sehr verliebt in Betrachtungen der Alltagssprache)</small> |
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* {{SEP|https://plato.stanford.edu/archives/fall2018/entries/reasoning-moral/|Moral Reasoning|Henry S. Richardson|2018}} |
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* Annemarie Pieper: ''Einführung in die Ethik.'' 5. Aufl. Francke, Tübingen u.a. 2003, ISBN 3-8252-1637-3, ISBN 3-7720-1698-7 |
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* Michael Quante: ''Einführung in die allgemeine Ethik'', Darmstadt 2003 ISBN 3534154649 |
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* [[Friedo Ricken]]: {{Fußnote|Ri|''Allgemeine Ethik.'' 4. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017948-9}}<small> (Sehr fundiert und anspruchsvoll. Geht systematisch auf eine Vielzahl ethischer Grundprobleme ein, ohne an der Oberfläche zu verweilen. Versucht eine Synthese aus Aristotelischen und Kantischen Ansätzen mit Anleihen aus der sprachanalytischen Philosophie.)</small> |
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== Einzelnachweise == |
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* Jan Rohls: ''Geschichte der Ethik.'' 2. Aufl. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-146706-X |
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<references /> |
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* Brigitte Labbé / Michel Puech: ''Was verbindet die Welt? - Ethik für Kinder'' (2005 / ISBN 378555379x) |
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=== Klassische Werke === |
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* [[Aristoteles]]: {{Fußnote|NE|''[[Nikomachische Ethik]]''}}; ''[[Politik (Aristoteles)|Politik]]'' |
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* [[Epikur]]: ''Briefe, Sprüche, Werkfragmente'' |
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* [[Seneca]]: ''Philosophische Schriften'' |
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* [[Thomas von Aquin]]: {{Fußnote|Sth|''[[Summa theologica]]''}} |
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* [[Thomas Hobbes]]: {{Fußnote|Lev|''[[Leviathan (Thomas Hobbes)|Leviathan]]''}} |
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* [[John Locke]]: ''Zwei Abhandlungen über die Regierung; [[Brief über die Toleranz|Brief über Toleranz]]'' |
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* Benedictus de [[Spinoza]]: ''Ethik in der geometrischen Ordnung dargestellt'' |
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* [[David Hume]]: {{Fußnote|HuNatur|''Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. 2: Über die Affekte - Über die Moral}}; Untersuchungen über die Prinzipien der Moral'' |
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* [[Adam Smith]]: ''[[Theorie der ethischen Gefühle]]'' |
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* [[Rene Descartes]]: ''Über die Leidenschaften der Seele'' |
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* [[Immanuel Kant]]: {{Fußnote|GMS|''[[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten]]''}}; {{Fußnote|KpV|''[[Kritik der praktischen Vernunft]]''}} |
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* [[Jeremy Bentham]]: ''Prinzipien der Gesetzgebung'' |
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* Georg W. [[Hegel]]: ''Grundlinien der Philosophie des Rechts'' |
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* [[Arthur Schopenhauer]]: ''Die beiden Grundprobleme der Ethik. - II. Preisschrift über die Grundlage der Moral'' |
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* [[Friedrich Nietzsche]]:'' Jenseits von gut und böse;'' ''Zur Genealogie der Moral.'' |
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* [[John Stuart Mill]]:'' Über die Freiheit''; {{Fußnote|Util|''Der Utilitarismus''}} |
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* [[George Edward Moore]]: ''Principia Ethica'' |
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* [[Max Scheler]]: {{Fußnote|Sch|''Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik''. 4. Auflage, Bern 1954}} |
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* [[Ludwig Wittgenstein]]: ''Vortrag über Ethik''. Suhrkamp TB Wissenschaft ISBN 3518283707 |
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* [[Nicolai Hartmann]]: ''Ethik'' |
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===Einflussreiche neuere Abhandlungen=== |
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* [[Karl-Otto Apel]]: ''Diskurs und Verantwortung''; {{Fußnote|TP1|''Transformation der Philosophie, Bd.1: Sprachanalytik, Semiotik, Hermeneutik''}}; {{Fußnote|TP2|''Transformation der Philosophie, Bd.2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft''}}; |
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* [[Alfred Jules Ayer]]: {{Fußnote|Ayer|''[[Sprache, Wahrheit und Logik]].'' Reclam, Ditzingen 1990, ISBN 3150079209}} |
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* [[Jürgen Habermas]]: ''Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln'', Frankfurt a.M. 1983, ISBN 3-518-28022-8 |
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* [[Norbert Hoerster]]: ''Ethik und Interesse.'' Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-018278-6 |
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* [[Vittorio Hösle]]: ''[[Moral und Politik]]. Grundlagen einer Politischen Ethik für das 21. Jahrhundert.'' Beck, München 1997, ISBN 3-406-42797-9 |
|||
* [[Hans Jonas]]: ''[[Das Prinzip Verantwortung]]. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation.'' Nachdr. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-518-37585-7 |
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* [[John Rawls]]: {{Fußnote|TG|''[[A Theory of Justice|Eine Theorie der Gerechtigkeit]]'', Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3518067370}} |
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* [[Michael Walzer]]: ''Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit'', campus, Frankfurt a.M. 2006, ISBN 3593380358 |
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* [[Marcus George Singer]]: ''Verallgemeinerung in der Ethik. Zur Logik moralischen Argumentierens.'' Frankfurt a.M. 1984, ISBN 3518074814 |
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* [[Ernst Tugendhat]]: ''Vorlesungen über Ethik.'', Suhrkamp, Frankfurt 2003, ISBN 3-518-06746-X |
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== Weblinks == |
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{{Wikiquote1|Ethik}} |
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{{Wiktionary1|Ethik}} |
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* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/reasoning-moral/}} |
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* [http://www.zum.de/wiki/index.php/Ethik Ethik im ZUM-Wiki - Informationen für Ethik-LehrerInnen] |
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* [http://www.ethiknet.de/index.html EthikNet des Instituts Technik - Theologie - Naturwissenschaften der Universität München] |
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* [http://www.treffpunkt-ethik.de/ „Treffpunkt Ethik“ - Materialien und Aktionen zu vielen ethischen Themen, mit Diskussionsforum] |
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* [http://buecherei.philo.at/ethik.htm Ethik in der „Philosophischen Bücherei“ (inklusive guter Linksammlung)] |
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* [http://www.ruhr-uni-bochum.de/e-th-eth/zee_bibliographie Neuerscheinungen aus dem Bereich der Ethik, zusammengestellt für die ''Zeitschrift für Evangelische Ethik''] |
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Aktuelle Version vom 1. Mai 2025, 17:26 Uhr
Die Ethik ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst. Ihr Gegenstand ist damit die Moral insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit und Reflexion. Cicero übersetzte als erster êthikê téchnē (die ethische Kunst) in den seinerzeit neuen Begriff philosophia moralis (Philosophie der Sitten).[1] In seiner Tradition wird die Ethik auch heute noch als Moralphilosophie bezeichnet.[2]
Die Ethik und ihre benachbarten Disziplinen (z. B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) werden auch als „praktische Philosophie“ zusammengefasst, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Im Gegensatz dazu steht die „theoretische Philosophie“, zu der als klassische Disziplinen die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik gezählt werden.
Ihr entsprechen in der Religionswissenschaft die religionsgeschichtliche Erforschung der Sittlichkeit (Moral) sowie vor allem die kath. Moraltheologie und die ev. theologische Ethik,[3] die wiederum Teilgebiete der christlichen systematischen Theologie sind.
Wortherkunft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das deutsche Wort Ethik stammt von griechisch ἠθική (ἐπιστήμη) ēthikē (epistēmē) „das sittliche (Verständnis)“, von ἦθος ēthos „Charakter, Sinnesart“ (dagegen ἔθος: Gewohnheit, Sitte, Brauch).[4]
Ursprung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Bereits die Sophisten (im 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) vertraten die Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet wird. Im Zuge der sokratischen Wende rückte Sokrates (5. Jahrhundert v. Chr.) die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens. Ethik als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin geht auf Aristoteles (4. Jahrhundert v. Chr.) zurück, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (ethos) meinte. Er war der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik war somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat und diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet.
Ziele und Fragestellungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die (allgemeine) Ethik wird heute als die philosophische Disziplin verstanden, die Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen aufstellt. Sie ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Es geht ihr nicht um ein Wissen um seiner selbst willen (theoria), sondern um eine verantwortbare Praxis. Sie soll dem Menschen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings nur allgemeine Prinzipien und Normen guten Handelns oder ethischen Urteilens überhaupt oder Wertvorzugsurteile für bestimmte Typen von Problemsituationen begründen. Die situationsspezifische Anwendung dieser Prinzipien auf neue Situationen und Lebenslagen ist nicht durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft und des geschulten Gewissens.
Die drei Fragen nach
- dem „höchsten Gut“,
- dem richtigen Handeln in bestimmten Situationen und
- der Freiheit des Willens
stehen im Zentrum.
Als philosophische Disziplin bearbeitet die Ethik moralische Fragen auf der Grundlage lebensweltlicher Einstellungen, Wertüberzeugungen und rationaler Argumente. Auch in den jüdischen, christlichen und islamischen Theologien werden ethische Fragen behandelt. In der Theologischen Ethik werden unterschiedliche Voraussetzungen und Vorgehensweisen zugrunde gelegt: Während sogenannte Glaubensethiken religiöse Überzeugungen, einschließlich offenbarungstheologisch vermittelter Traditionen, als Argumentationsgrundlage voraussetzen, werden v. a. seit den 1970er Jahren auch Ansätze vertreten, wonach die Begründung ethischer Normen nur voraussetzt, was unabhängig von spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Verortungen rational einsichtig zu machen ist. Beispiele dafür sind die Vorschläge sogenannter „Autonomer Moral“ von Alfons Auer oder Franz Böckle.
Abgrenzung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Rechtswissenschaft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch die Rechtswissenschaft fragt danach, wie gehandelt werden soll. Im Unterschied zur Ethik (welche seit Christian Thomasius und Kant von der Rechtslehre unterschieden wird[5]) bezieht sie sich jedoch im Allgemeinen auf eine bestimmte, faktisch geltende Rechtsordnung (positives Recht), deren Normen sie auslegt und anwendet. Wo die Rechtswissenschaft als Rechtsphilosophie, Rechtspolitik oder Gesetzgebungslehre auch die Begründung von Rechtsnormen behandelt, nähert sie sich der Ethik an. Auch das Vernunftrecht zeigt Parallelen zur Ethik.
Empirie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mit gesellschaftlichen Normen des Handelns befassen sich auch empirische Wissenschaften wie Soziologie, Ethnologie und Psychologie. Im Unterschied zur normativen Ethik im philosophischen Sinne geht es dort jedoch um die Beschreibung und Erklärung faktisch bestehender ethischer Überzeugungen, Einstellungen und Sanktionsmuster und nicht um deren Rechtfertigung oder Kritik. Beziehungen bestehen also zur deskriptiven Ethik.
Theorie der rationalen Entscheidung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch die Theorie der rationalen Entscheidung beantwortet die Frage: Wie soll ich handeln? Jedoch unterscheidet sie sich von ethischen Fragestellungen dadurch, dass Theorien rationalen Handelns nicht in jedem Falle auch Theorien des moralisch Guten sind. Von ethischen Theorien mit einem allgemeinverbindlichen Anspruch unterscheiden sich Theorien rationaler Entscheidung dadurch, dass nur die Ziele und Interessen eines bestimmten Individuums oder eines kollektiven Subjekts (z. B. eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines Staates) berücksichtigt werden.
Disziplinen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Disziplin | Gegenstandsbereich | Methode |
---|---|---|
Metaethik | Sprache und Logik moralischer Diskurse, Methoden moralischer Argumentationen, Leistungskraft ethischer Theorien | analytisch |
Normative Ethik | Prinzipien und Kriterien der Moral, Maßstab moralisch richtigen Handelns, Prinzipien eines für alle guten Lebens | abstrakt wertend |
Angewandte Ethik | gültige Normen, Werte, Handlungsempfehlungen des jeweiligen Bereichs | konkret wertend |
Deskriptive Ethik | tatsächlich befolgte Handlungspräferenzen, empirisch vorfindliche Normen- und Wertesysteme | beschreibend |
Metaethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Metaethik stellt die Grundlage der anderen Disziplinen dar und beschäftigt sich mit ihren allgemeingültigen Kriterien und Methoden. Sie analysiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens und sich v. a. mit der Bedeutung ethischer und verwandter Begriffe, der Verwendung ethischer Begriffe in moralischen Sätzen und der Frage nach der Begründbarkeit von Werturteilen beschäftigt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird sie als eigenständige Disziplin betrachtet.
Normative Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Normative Ethik erarbeitet und untersucht allgemeingültige Normen und Werte sowie deren Begründung. Sie ist der Kern der allgemeinen Ethik. Als Reflexionstheorie der Moral wertet und urteilt sie über das Gute und Richtige.
Angewandte Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Angewandte Ethik baut auf der normativen Ethik auf. Sie äußert sich als Individual- und Sozialethik sowie in den Bereichsethiken zu spezifischen Lebensbereichen, beispielsweise Medizinethik oder Wirtschaftsethik. Ethikkommissionen, -räte und -institute erarbeiten Normen oder Handlungsempfehlungen für bestimmte Bereiche.
Deskriptive Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Häufig nicht zum klassischen Kanon der Ethik gerechnet wird die deskriptive Ethik, die sich versteht als empirische Untersuchung, Beschreibung und ursächlichen Erklärung von Normensystem innerhalb einer Gesellschaft, und dabei keine moralischen Urteile fällt.
Begründungen normativer Sätze
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gründe für und gegen Moral
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Frage, ob man überhaupt moralisch sein soll, wird in Platons Politeia im ersten Kapitel aufgeworfen. In der Moderne wurde der Diskurs um die Frage von Bradley[6] und Prichard eingeleitet.
Metaethische Kognitivisten behaupten, erkennen zu können, wie man moralisch handeln solle. Somit stellt sich ihnen die Frage, ob man das überhaupt tun soll nicht mehr, da sie auch gleich mit erkennen, dass man dies tun soll.
Metaethische Nonkognitivisten hingegen müssen die Frage, ob man moralisch handeln soll, klären. Die Diskussion wird in der Philosophie zumeist anhand der Frage „Warum soll man moralisch sein?“ geführt. Das Sollen innerhalb der Frage ist dabei kein moralisches Sollen, sondern verweist auf eine Akzeptanz besserer Gründe, z. B. anhand der Theorie der rationalen Entscheidung. Die Antwort auf die Frage hängt also ab vom jeweiligen Verständnis von Vernunft.
Die Frage, ob man moralisch sein soll oder nicht, wird beantwortet mit:
- „Ja“ von allen, die Gründe für Moral anführen,[7]
- „Nein“ von den Amoralisten,
- „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ von Dezisionisten.
Die Situation des Menschen, der sich zwischen diesen Antworten entscheiden muss, hat ihre klassische Gestaltung in der so genannten Prodikos-Fabel von Herakles am Scheideweg gefunden, die auch von vielen christlichen Autoren rezipiert wurde.
Absolute Begründung der Moral
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine bekannte absolute Moralbegründung ist die der Letztbegründung von Karl-Otto Apel. Angenommen jemand lehnt es ab, über Zwecke zu reden, dann sei diese Ablehnung bereits ein Reden über Zwecke. Insofern ist dies ein so genannter performativer Selbstwiderspruch.
Moralbegründung aus Sicht der Systemtheorie verzichtet darauf, zu begründen, warum Individuen moralisch handeln sollen. Stattdessen wird dargelegt, warum Moral als Regulierungsfunktion des Kommunikationssystems unentbehrlich ist (s. a. AGIL-Schema).
Relative Begründungen der Moral
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Viele Philosophen behaupten, dass man zwar nicht beweisen kann, dass Amoralismus logisch widersprüchlich ist, dass aber im wirklichen Leben Amoralisten viele Nachteile haben, so dass moralisches Verhalten größere Rentabilität im Sinne der Theorie der rationalen Entscheidung besitzt. Ethik wird mit dieser Form von Moralbegründung zu einer Spezialform von Zweckrationalität. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Argumentationslinie ist David Gauthier.
Viele Philosophen dieser Richtung berufen sich auf den Grundsatz quid pro quo oder auf Tit for Tat-Strategien.
Andere meinen, Amoralisten seien auf Einsamkeit festgelegt, da man ihnen nicht vertrauen könne und auch sie niemandem vertrauen könnten. Daher könnten sie eines der wichtigsten Lebensgüter, soziale Gemeinschaft und Anerkennung, nie erreichen.
Nach R. M. Hare können Amoralisten keine moralischen Begriffe gebrauchen und daher nicht von ihren Mitmenschen fordern, sie fair zu behandeln. Die Möglichkeit entsprechender Lügen sah Hare nicht. Hare behauptete zudem, der Aufwand, den Amoralisten treiben müssten, um ihre Überzeugung zu verschleiern, wäre so groß, dass sie sozial immer im Nachteil seien.
Amoralisten kritisieren verschiedene Moralbegründungen, indem sie darauf verweisen, dass es in vielen Teilen der Welt relativ stabile Verhältnisse gibt, die üblichen moralischen Vorstellungen widersprechen, z. B. völkerrechtswidrige Kriege um Ressourcen, Sklaverei oder erfolgreiche Mafia-Organisationen. Siehe ethischer Relativismus.
Dezisionismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Dezision (von latein. decidere: entscheiden, fallen, abschneiden) bedeutet so viel wie Entscheidung. Der Begriff des Dezisionismus wird oft in pejorativer Bedeutung gebraucht von Metaethischen Kognitivisten gegenüber Philosophen, die nur relative Begründungen der Moral anerkennen, z. B. Hare oder Popper und Hans Albert.
Dezisionisten sehen keine Alternative zu Prinzipienentscheidungen, die aus logischen oder pragmatischen Gründen ihrerseits nicht mehr weiter begründet werden können. So behauptete z. B. Henry Sidgwick, der Mensch müsse sich zwischen Utilitarismus und Egoismus entscheiden.
Dem Dezisionismus wird von seinen Kritikern ähnlich wie dem metaethischen Nonkognitivismus entgegengehalten, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden könnten: Man entscheide sich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese würden umgekehrt die Grundlage von Entscheidungen darstellen.
Außerdem argumentieren Vertreter des Naturrechts dafür, dass sich die Objektivität der Ethik (also das Sollen) auf die Natur bzw. das Wesen des Seienden und letztlich auf das Sein selbst (z. B. Gott) zurückführen ließen.
Ethische Grundbegriffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Moralische Handlungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Mittelpunkt deontologischer Ethiken steht der Begriff der Handlung. Sie wird in erster Annäherung definiert als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“.[8] Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden.
Absicht und Freiwilligkeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Handlungen unterscheiden sich von Ereignissen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die Absicht des Handelnden. Die Absicht (lateinisch intentio; nicht zu verwechseln mit dem juristischen Absichtsbegriff, dem dolus directus 1. Grades) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der Freiwilligkeit zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen nicht mehr von einer Absicht im engeren Sinne gesprochen werden kann.
Wissen und Willen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine Handlung ist dann freiwillig, wenn sie mit Wissen und Willen durchgeführt wird.
Die Unwissenheit kann dabei allerdings nur dann die Freiwilligkeit einer Handlung aufheben, wenn die handelnde Person sich nach besten Kräften vorher informiert hat, und sie mit dem ihr fehlenden Wissen anders gehandelt hätte. War dem Handelnden eine Kenntnis der Norm oder der Folgen zuzumuten, ist er für ihre Übertretung verantwortlich (ignorantia crassa oder supina). Noch weniger entschuldigt jene Unkenntnis, die absichtlich zum Vermeiden eines Konflikts mit der Norm herbeigeführt wurde (ignorantia affectata), wenn also z. B. bewusst vermieden wird, sich über ein Gesetz zu informieren, um sagen zu können, man hätte von einem bestimmten Verbot nicht gewusst. Das Sprichwort sagt zu Recht: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Auch im deutschen Strafrecht wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen. So heißt es z. B. in § 17 StGB:[9]
„Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“

Für die sittliche Bewertung einer Handlung ist außerdem das effektive Wollen wesentlich, die Absicht ihrer Verwirklichung. Das setzt voraus, dass zumindest der Handelnde der Auffassung war, dass ihm eine Verwirklichung seiner Absicht möglich sei, d. h., dass das Ergebnis von seinem Handeln kausal herbeigeführt werden könne. Unterliegt der Handelnde einem äußeren Zwang, hebt dieser die Freiwilligkeit der Handlung im Allgemeinen auf.
Handlungsprinzipien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Absichten finden ihren Ausdruck in praktischen Grundsätzen. Diese können zunächst einmal in inhaltliche und formale Grundsätze unterschieden werden. Inhaltliche Grundsätze legen konkrete inhaltliche Güter (Leben, Gesundheit, Besitz, Vergnügen, Umwelt etc.) als Bewertungskriterium für das Handeln zugrunde. Sie sind teilweise subjektiv und haben unter Umständen einen dezisionistischen Charakter. In diesen Fällen können sie ihre eigene Vorrangstellung nicht gegenüber anderen, konkurrierenden inhaltlichen Grundsätzen begründen.
Formale Grundsätze verzichten auf einen Bezug zu konkreten inhaltlichen Gütern. Das bekannteste Beispiel ist der Kategorische Imperativ Kants.
Es lassen sich grundsätzlich drei Ebenen der praktischen Sätze voneinander unterscheiden:[10]
- ein oberstes Prinzip praktischer Überlegungen (wie z. B. der Kategorische Imperativ)
- praktische Grundsätze, die sich aus dem obersten Prinzip ableiten (wie z. B. die zehn Gebote)
- Sätze, die Entscheidungen formulieren, indem sie Maximen auf konkrete Lebenssituationen anwenden
Die Ethik ist häufig nur in der Lage, Aussagen zu den ersten beiden Ebenen zu machen. Die Übertragung von praktischen Grundsätzen auf eine konkrete Situation, erfordert das Vermögen der praktischen Urteilskraft. Nur mit seiner Hilfe können eventuell auftretende Zielkonflikte gelöst und die voraussichtlichen Folgen von Entscheidungen abgeschätzt werden.
Handlungsfolgen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wesentlich für die ethische Bewertung von Handlungen sind die mit ihnen verbundenen Folgen. Diese werden unterschieden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind solche, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird. Sie werden vom Handelnden unmittelbar angezielt („Voluntarium in se“).
In Kauf genommene Folgen („Voluntarium in causa“) werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bewusst zugelassen (Prinzip der Doppelwirkung). So unterliegt beispielsweise bewusste Fahrlässigkeit als bedingter Vorsatz (dolus eventualis) der ethischen und rechtlichen Verantwortung: Volltrunkenheit entschuldigt nicht bei einem Verkehrsunfall.
Tun und Unterlassen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits Thomas von Aquin[11] unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird, und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden und strafbar sein.
Die strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z. B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive Sterbehilfe etc.), erscheint daher vom ethischen Standpunkt aus gesehen als teilweise fragwürdig.
Das Ziel menschlichen Handelns
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Mittelpunkt teleologischer Ethiken steht die Frage, was ich mit meiner Handlung letztlich bezwecke, welches Ziel ich mit ihr verfolge. Der Begriff „Ziel“ (finis, telos;) ist hier insbesondere als „letztes Ziel“ oder „Endziel“ zu verstehen, von dem all mein Handeln bestimmt wird.
Glück als letztes Ziel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In der Tradition wird als letztes Ziel des Menschen häufig das Glück oder die Glückseligkeit (beatitudo) genannt. Der Ausdruck „Glück“ wird dabei in einem mehrdeutigen Sinne gebraucht:
- zur Bezeichnung eines gelungenen und guten Lebens, dem nichts Wesentliches fehlt („Lebensglück“, eudaimonia)
- zur Bezeichnung günstiger Lebensumstände („Zufallsglück“, eutychia)
- zur Bezeichnung des subjektiven Wohlbefindens (Glück als Lust, hedone)
Philosophiegeschichtlich konkurrieren die Bestimmungen von Glück als „Lebensglück“ und als subjektives Wohlbefinden miteinander. Für die Eudämonisten (Platon, Aristoteles) ist Glück die Folge der Verwirklichung einer Norm, die als Telos im Wesen des Menschen angelegt ist. Glücklich ist dieser Konzeption zufolge vor allem, wer auf vernünftige Weise tätig ist.
Für die Hedonisten (Sophisten, klassische Utilitaristen) gibt es kein zu verwirklichendes Telos des Menschen mehr; es steht keine objektive Norm zur Verfügung, um zu entscheiden, ob jemand glücklich ist. Dies führt zu einer Subjektivierung des Glücksbegriffs. Es obliege allein dem jeweiligen Individuum, zu bewerten, ob es glücklich ist. Glück wird zum Teil auch mit dem Erreichen von Gütern wie Macht, Reichtum, Ruhm etc. gleichgesetzt.
Sinn und Ziel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Wort „Sinn“ bezeichnet grundsätzlich die Qualität von etwas, das dieses verstehbar macht. Wir verstehen etwas dadurch, indem wir erkennen, worauf es „hingeordnet“ ist, wozu es dient. Die Frage nach dem Sinn steht also in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Ziel oder Zweck von etwas. Auch der Sinn einer Handlung oder gar des ganzen Lebens kann nur beantwortet werden, wenn die Frage nach seinem Ziel geklärt ist. Eine menschliche Handlung bzw. ein gesamtes Leben ist dann sinnvoll, wenn es auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist.
Das Gute
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff „gut“
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„Gut“ gehört wie der Begriff „seiend“ zu den ersten und daher nicht mehr definierbaren Begriffen. Es wird zwischen einem adjektivischen und einem substantivischen Gebrauch unterschieden.
Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Hinordnung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z. B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im Prädikator „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllen – also z. B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen. Ein „guter Mensch“ ist demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht, also dem menschlichen Wesen bzw. seiner Natur entspricht.
Als Substantiv bezeichnet das Wort „das Gut“ etwas, auf das hin wir unser Handeln ausrichten. Wir gebrauchen es normalerweise in dieser Weise, um „eine unter bestimmten Bedingungen vollzogene Wahl als richtig oder gerechtfertigt zu beurteilen“.[12] So kann beispielsweise eine Aussage wie „Die Gesundheit ist ein Gut“ als Rechtfertigung für die Wahl einer bestimmten Lebens- und Ernährungsweise dienen. In der philosophischen Tradition war man der Auffassung, dass prinzipiell jedes Seiende – unter einer gewissen Rücksicht – Ziel des Strebens sein könne („omne ens est bonum“). Daher wurde die „Gutheit“ des Seienden zu den Transzendentalien gerechnet.
Gemäß der Analyse von Richard Mervyn Hare werden wertende Wörter wie „gut“ oder „schlecht“ dazu verwendet, in Entscheidungssituationen Handeln anzuleiten bzw. Empfehlungen zu geben. Die Wörter „gut“ oder „schlecht“ haben demnach keine beschreibende (deskriptive), sondern eine vorschreibende (präskriptive) Funktion.
Dies kann an einer außermoralischen Verwendung des Wortes „gut“ verdeutlicht werden. Wenn ein Verkäufer zum Kunden sagt: „Dies ist ein guter Wein“, dann empfiehlt er den Kauf dieses Weines, er beschreibt damit jedoch keine wahrnehmbare Eigenschaft des Weines. Insofern es jedoch sozial verbreitete Bewertungsstandards für Weine gibt (er darf nicht nach Essig schmecken, man darf davon keine Kopfschmerzen bekommen etc.), so bedeutet die Bewertung des Weines als „gut“, dass der Wein diese Standards erfüllt und dass er somit auch bestimmte empirische Eigenschaften besitzt.
Die Bewertungskriterien, die an eine Sache angelegt werden, können je nach dem Verwendungszweck variieren. Ein herber Wein mag als Tafelwein gut, für sich selbst getrunken dagegen eher schlecht sein. Der Verwendungszweck einer Sache ist keine feststehende Eigenschaft der Sache selbst, sondern beruht auf menschlicher Setzung. Eine Sache ist „gut“ – immer bezogen auf bestimmte Kriterien. Wenn der Verkäufer sagt: „Dies ist ein sehr guter Tafelwein“ dann ist er so, wie er gemäß den üblichen Kriterien für Tafelwein sein soll.
Wenn das Wort „gut“ in moralischen Zusammenhängen gebraucht wird („Dies war eine gute Tat“), so empfiehlt man die Tat und drückt aus, dass sie so war, wie sie sein soll. Man beschreibt damit jedoch nicht die Tat. Wird auf allgemein anerkannte moralische Kriterien Bezug genommen, drückt man damit zugleich aus, dass die Tat bestimmte empirische Eigenschaften besitzt, z. B. eine Zurückstellung des Eigeninteresses zugunsten überwiegender Interessen von Mitmenschen.
Das höchste Gut
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als das höchste Gut (summum bonum) wird das bezeichnet, was nicht nur unter einer bestimmten Rücksicht (für den Menschen) gut ist, sondern schlechthin, da es dem Menschen als Menschen ohne Einschränkung entspricht. Es ist identisch mit dem „unbedingt Gesollten“. Seine inhaltliche Bestimmung hängt ab von der jeweiligen Sicht der Natur des Menschen. In der Tradition wurden dabei die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge präsentiert:
- das Glück (Eudämonismus)
- die Lust (Hedonismus, klassischer Utilitarismus)
- Macht (Machiavelli)
- Einheit mit Gott bzw. Gott selbst (christliche Philosophie)
- Erwachen (bodhi) zu Weisheit und Mitgefühl (Buddhismus)
- Bedürfnisbefriedigung (Hobbes)
- Einheit von Tugend und Glück (Kant)
- Freiheit (Sartre)
Werte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff „Wert“ stammte ursprünglich aus der Politischen Ökonomie, in der Adam Smith, David Ricardo und später Karl Marx unter anderem die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert untersuchten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde „Wert“ ein philosophischer Terminus, der im Rahmen der Wertphilosophie (Max Scheler u. a.) eine zentrale Bedeutung einnahm. Dort führte man ihn als Gegenbegriff zur Kantischen Pflichtethik ein, in der Annahme, dass Werten vor allen Vernunftüberlegungen eine „objektive Gültigkeit“ zukommen würde.
In der Alltagssprache taucht der Begriff auch in jüngster Zeit wieder verstärkt auf, gerade wenn von „Grundwerten“, einem „Wertewandel“ oder einer „neuen Wertedebatte“ die Rede ist.
Der Wertbegriff weist große Ähnlichkeiten mit dem Begriff des Guten auf. Er wird wie dieser grundsätzlich in einer subjektiven und einer objektiven Variante gebraucht:
- als „objektiver Wert“ bezeichnet er den „Wert“ von bestimmten Gütern für den Menschen – wie z. B. den Wert des menschlichen Lebens, der Gesundheit etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum physicum“ („physisches Gut“).
- als „subjektive Werthaltung“ bezeichnet er das, was mir wertvoll ist, meine „Wertvorstellungen“ – wie Treue, Gerechtigkeit etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum morale“ („sittliches Gut“).
Im Vergleich zum Begriff des Guten kommt dem Wertbegriff allerdings eine stärkere gesellschaftliche Bedingtheit zu. So spricht man von einem „Wertewandel“, wenn man ausdrücken will, dass sich bestimmte, in einer Gesellschaft allgemein akzeptierte Handlungsnormen im Verlauf der Geschichte verändert haben. Damit meint man aber in der Regel nicht, dass das, was früher für gut gehalten wurde, nun „tatsächlich“ nicht mehr gut sei, sondern nur, dass sich das allgemeine Urteil darüber geändert habe.
Tugend
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Die richtige Abwägung ethischer Güter und ihre Durchsetzung setzt Tugend voraus. In ihrer klassischen Definition formuliert sie Aristoteles als jene feste Grundhaltung, von der aus [der Handelnde] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt (NE 1106a).[13]
Die Leistung der ethischen Tugenden besteht vor allem darin, im Menschen eine Einheit von sinnlichem Strebevermögen und sittlicher Erkenntnis zu bewirken. Ein Mensch gilt erst dann als „gut“, wenn er zur inneren Einheit mit sich selbst gekommen ist und das als richtig Erkannte auch affektiv voll bejaht. Dies ist nach Aristoteles nur durch eine Integration der Gefühle durch die ethischen Tugenden möglich. Ungeordnete Gefühle verfälschen das sittliche Urteil. Das Ziel der Einheit von Vernunft und Gefühl führt über eine bloße Ethik der richtigen Entscheidung hinaus. Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern auch wer wir sind.
Tugend setzt neben Erkenntnis eine Gewöhnung voraus, die durch Erziehung und soziale Praxis erreicht wird. Wir werden gerecht, mutig etc., indem wir uns in Situationen begeben, wo wir uns entsprechend verhalten können. Die wichtigste Rolle kommt dabei der Tugend der Klugheit (phronesis) zu. Ihr obliegt es, die rechte „Mitte“ zwischen den Extremen zu finden und sich für die optimale Lösung in der konkreten Situation zu entscheiden.
Sollen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff „sollen“ ist ein Grundbegriff deontologischer Ethikansätze. Er bezieht sich – als Imperativ – auf eine Handlung, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- das vorgegebene Ziel kann verfehlt werden
- das vorgegebene Ziel steht nicht in Konkurrenz zu anderen, übergeordneten Zielen
- das vorgegebene Ziel kann prinzipiell erreicht werden („Jedes Sollen impliziert ein Können“)
Sprachanalytisch lässt sich das Sollen mit Hilfe der sogenannten deontischen Prädikatoren erklären. Diese beziehen sich auf die sittliche Verbindlichkeit von Handlungen. Folgende Varianten sind dabei zu unterscheiden:
- moralisch möglich,
- moralisch notwendig,
- moralisch unmöglich.
Moralisch mögliche Handlungen sind sittlich erlaubt, d. h. man darf so handeln. Moralisch notwendige Handlungen sind sittlich geboten. Hier spricht man davon, dass wir etwas tun sollen bzw. die Pflicht haben, etwas zu tun. Moralisch unmögliche Handlungen sind sittlich verbotene Handlungen, die wir nicht ausführen dürfen; siehe auch Sünde.
- Das Verhältnis zum Guten
Die Begriffe „gut“ und „gesollt“ sind zwar eng miteinander verwandt aber nicht deckungsgleich. So können wir in Situationen stehen, in denen wir nur zwischen schlechten Alternativen wählen können. Hier ist es gesollt, dass wir uns für das „geringere Übel“ entscheiden. Umgekehrt ist nicht alles Gute auch gesollt. Das kann z. B. der Fall sein, wenn das Erreichen eines Gutes ein anderes Gut ausschließt. Hier muss eine Güterabwägung erfolgen, die zum Verzicht eines Gutes führt.
Gerechtigkeit
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Der Begriff der Gerechtigkeit ist seit der intensiven Diskussion um die „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls und vor allem seit der aktuellen politischen Debatte um die Aufgaben des Sozialstaates (Betonung der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gegenüber der Verteilungsgerechtigkeit) wieder stark ins Blickfeld geraten.
„Gerecht“ wird – wie der Begriff „gut“ – in vielerlei Bedeutungen gebraucht. Es werden Handlungen, Haltungen, Personen, Verhältnisse, politische Institutionen und zuweilen auch Affekte (der „gerechte Zorn“) als gerecht bezeichnet. Grundsätzlich kann zwischen einem „subjektiven“ und einem „objektiven“ Gebrauch unterschieden werden, wobei beide Varianten aufeinander bezogen sind.
Die subjektive oder besser personale Gerechtigkeit bezieht sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Legale Handlungen befinden sind nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe, sondern z. B. auch aus Angst, Opportunismus etc. Bei moralischen Handlungen dagegen stimmen Handlung und Motiv miteinander überein. In diesem Sinne wird Gerechtigkeit als eine der vier Kardinaltugenden bezeichnet.
Die objektive oder institutionelle Gerechtigkeit bezieht sich auf die Bereiche Recht und Staat. Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitita commutativa) und Verteilungsgerechtigkeit (iustitita distributiva). Bei der ausgleichenden Gerechtigkeit tritt der Wert einer Ware oder Leistung in den Vordergrund. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um den Wert der beteiligten Personen.
Die Gerechtigkeit der Einzelpersonen und der Institutionen sind in einem engen Zusammenhang zueinander zu sehen. Ohne gerechte Bürger werden keine gerechten Institutionen geschaffen oder aufrechterhalten werden können. Ungerechte Institutionen erschweren andererseits die Entfaltung der Individualtugend der Gerechtigkeit.
Das Anliegen der Ethik beschränkt sich nicht auf das Thema „Gerechtigkeit“. Zu den Tugenden gehören noch diejenigen, die man vor allem sich selbst gegenüber hat (Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit). Zu den ethischen Pflichten gegenüber anderen zählt noch die Pflicht des Wohltuns (beneficientia), die über die Gerechtigkeit hinausgeht und ihre Wurzel letztlich in der Liebe hat. Während der Gerechtigkeit das Gleichheitsprinzip zugrunde liegt, ist dies beim Wohltun die Notlage oder Bedürftigkeit des anderen. Diese Unterscheidung entspricht der zwischen „iustitia“ und „caritas“ (Thomas von Aquin), Rechts- und Tugendpflichten (Kant) bzw. in der Gegenwart der zwischen „duties of justice“ und „duties of charity“ (Philippa Foot).
Ethische Theorien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Klassen ethischer oder moralphilosophischer Theorien lassen sich danach unterscheiden, welche Kriterien sie für die Bestimmung des moralisch Guten zugrunde legen. Das moralisch Gute kann bestimmt werden durch:
- die Folgen (Teleologische Ethiken, Konsequentialismus);
- die Verhaltensdispositionen, Charaktereigenschaften und „Tugenden“ (Tugendethiken);
- die Absichten des Handelnden (Gesinnungsethiken);
- objektive moralische Tatsachen, etwa objektive moralische Güter oder Handlungsbewertungen betreffend (Deontologische Ethiken);
- die Optimierung
- die Interessen der Betroffenen (Präferenz-Utilitaristische Ethiken),
- das Glück (Eudämonie)
- oder die Wohlfahrt.
Dabei werden unterschiedlichste Kombinationen und feinere moraltheoretische Bestimmungen vertreten.
Teleologische oder deontologische Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die verschiedenen Ethikansätze werden traditionell prinzipiell danach unterschieden, ob sie ihren Schwerpunkt auf die Handlung selbst (deontologische Ethikansätze) oder auf die Handlungsfolgen (teleologische Ethikansätze) legen. Die Unterscheidung geht zurück auf C. D. Broad[14] und wurde bekannt durch William K. Frankena. In dieselbe Richtung geht auch die Aufteilung Max Webers in Gesinnungs- und Verantwortungsethiken, wobei diese von ihm als Polemik gegenüber Gesinnungsethiken verstanden wurde.
Teleologische Ethiken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter teleologischen Ethiken versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles wird von den verschiedenen Richtungen auf recht unterschiedliche Art und Weise bestimmt.
Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind insbesondere insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können. Eine Handlung ist dann auszuführen und nur dann, wenn sie oder die Regel, unter die sie fällt, ein größeres Überwiegen des Guten über das Schlechte herbeiführt, vermutlich herbeiführen wird oder herbeiführen sollte als jede erreichbare Alternative (Frankena).[15]
Innerhalb teleologischer Ethikansätze wird wiederum zwischen „onto-teleologischen“ und „konsequentialistisch-teleologischen“ Ansätzen unterschieden.
In onto-teleologischen Ansätzen – klassisch vertreten durch Aristoteles – wird davon ausgegangen, dass das zu erstrebende Gut in gewisser Weise dem Menschen selbst als Teil seiner Natur innewohne. Es wird gefordert, dass der Mensch so handeln und leben solle, wie es seiner Wesensnatur entspricht, um so seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise zu vervollkommnen.
In konsequentialistisch-teleologischen Ansätzen hingegen wird nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins ausgegangen. Das zu erstrebende Ziel wird daher durch einen außerhalb des handelnden Subjekts liegenden Nutzen bestimmt. Dieser Ansatz wird bereits in der Antike (Epikur) und später in seiner typischen Form durch den Utilitarismus vertreten.
Deontologische Ethiken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das griechische Wort to deon bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. Deontologische Ethiken kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z. B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z. B. Immanuel Kant) unterschieden. Während die Regeldeontologie allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z. B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den aktdeontologischen Theorien zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen.
In deontologischen Ethiken haben normative Sätze eine Vorrangstellung gegenüber valuativen Sätzen. Für sie bilden Gebote, Verbote und Erlaubnisse die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können. Robert Spaemann charakterisiert sie als moralische Konzepte, […] für welche bestimmte Handlungstypen ohne Beachtung der weiteren Umstände immer verwerflich sind, also z. B. die absichtliche direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, die Folter oder der außereheliche Beischlaf eines verheirateten Menschen.[16]
Kritik an der Unterscheidung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Unterscheidung zwischen teleologischen und deontologischen Ethiken wird von einigen Kritikern[17] als fragwürdig bezeichnet. In der Praxis sind auch selten Ansätze zu finden, die eindeutig einer der beiden Richtungen zugeordnet werden könnten.
Einer strikten deontologischen Ethik müsste es gelingen, Handlungen aufzuzeigen, die „in sich“, völlig losgelöst von ihren Folgen, als unsittlich und „in sich schlecht“ zu bezeichnen wären. Diese wären dann „unter allen Umständen“ zu tun oder zu unterlassen gemäß dem Spruch Fiat iustitia et pereat mundus („Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen“, Ferdinand I. von Habsburg). Bekannte Beispiele solcher Handlungen sind die „Tötung Unschuldiger“ oder die nach Kant unzulässige Lüge. In den Augen der Kritiker liegt in diesen Fällen häufig eine „petitio principii“ vor. Wenn z. B. die Tötung Unschuldiger als Mord und dieser wiederum als unsittliche Handlung definiert wird, könne sie natürlich in jedem Fall als „in sich schlecht“ bezeichnet werden. Das Gleiche gelte für die Lüge, wenn sie als unerlaubtes Verfälschen der Wahrheit bezeichnet wird.
Gerade in der Analyse ethischer Dilemmasituationen, in denen nur die Wahl zwischen mehreren Übeln möglich ist, zeige sich, dass es kaum möglich sein dürfte, bestimmte Handlungen unter allen Umständen als „sittlich schlecht“ zu bezeichnen. Nach einer strikten deontologischen Ethik wäre die „Wahl des kleineren Übels“ nicht möglich.
An strikt teleologisch argumentierenden Ethikansätzen wird kritisiert, dass sie das ethisch Gesollte von außerethischen Zwecken abhängig machen. Damit bleibe die Frage unbeantwortet, weshalb wir diese Zwecke verfolgen sollen. Eine Güterabwägung werde damit unmöglich gemacht, da die Frage, was ein oder das bessere „Gut“ ist, nur geklärt werden könne, wenn vorher allgemeine Handlungsprinzipien definiert wurden. In vielen teleologischen Ansätzen würden diese Handlungsprinzipien auch einfach stillschweigend vorausgesetzt, wie z. B. im klassischen Utilitarismus, für den Lustgewinnung und Unlustvermeidung die Leitprinzipien jeglicher Folgenabschätzung darstellen.
Wollen und Sollen in Ansätzen der Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ethische Positionen lassen sich auch danach unterscheiden, wie sich das Gesollte aus einem bestimmten Wollen ergibt.
Ethische Position | Vertreter | Maßstab des ethisch Gesollten ist … |
---|---|---|
divine-command-Theoretiker[18] | … der Wille Gottes | |
Intuitionismus | Ross, Audi | … das allen Menschen gemeinsame Empfinden und Wollen |
Position der Verallgemeinerbarkeit, Kategorischer Imperativ | Kant, Singer | … der Wille jedes Individuums selbst, wenn es annehmen muss, dass die von ihm gewählten Regeln für das eigene Handeln zugleich auch von allen anderen Individuen befolgt werden |
Position des allgemeinen Willens | Rousseau | … der Wille der Individuen selbst, wenn diese in einer Situation sozialer Gleichheit gemeinsam für alle geltende Gesetze beschließen |
Konsenstheoretische Position, Diskurstheorie | Habermas | … der Wille der Individuen selbst, wenn sie sich frei von jeglichem Zwang auf Regeln für den Umgang miteinander dauerhaft einigen müssen |
Position des größten allgemeinen Nutzens bzw. typische Varianten des Utilitarismus | Bentham | … die Summe der gleichgewichtig informierten Willen der Individuen selbst |
Vertragstheoretische Position | Buchanan, Scanlon, Gauthier | … der Wille der Individuen selbst, wenn sie sich vertraglich auf Regeln für den Umgang miteinander einigen müssten |
Position des durch Unwissenheit gebrochenen Eigeninteresses | Rawls, | … der Wille eines eigeninteressierten, rationalen Individuums, das eine soziale Ordnung entwirft, ohne dabei zu wissen, welche Position es in dieser Ordnung selbst einnehmen wird |
Position der vertauschten Rollen, Goldene Regel | Hare | … der Wille jedes Individuum selbst, wenn es bei der Formulierung von Regeln für den Umgang miteinander annimmt, dass es sich selbst in der Position des jeweils betroffenen Anderen befindet |
Position der Umkehrbarkeit | Rawls, Baier | … der Wille jedes Individuums selbst, wenn es bei der Bestimmung von Regeln für den Umgang miteinander hypothetisch annimmt, dass es selbst sich in der Position des vergleichsweise am schlechtesten Gestellten befindet |
Nihilismus, Moralkritik | Nietzsche, Heidegger | … das philosophische Hinterfragen von Religion, Weltanschauung, Moral und Wertesystemen, sowie der tatsächlichen Bedeutung des Bestehenden – durch Kritik und Verneinung |
Position der überindividuellen Wesenheiten (Rasse, Volk, Nation, Klasse) | … der Wille des maßgebenden Kollektivs | |
Rechtspositivismus | … der Wille des jeweiligen gesetzgebenden Souveräns | |
Vernunftrechtslehre | … die Einsicht des Vernunftbegabten aufgrund vernünftiger Überlegung | |
Egoismus | Max Stirner | … der Wille jedes Individuums selbst, wenn es informiert ist und einen langfristigen Zeithorizont berücksichtigt |
Die aufgelisteten Positionen liegen auf unterschiedlichen logischen Ebenen und schließen sich deshalb auch nicht logisch aus. So ist z. B. die Verbindung einer religiösen Position mit einer intuitionistischen Position möglich. Denkbar ist auch eine Verbindung der konsenstheoretischen Position mit einer utilitaristischen Position, wenn man annimmt, dass sich ein Konsens über die richtige Norm nur dann herstellen lässt, wenn dabei der Nutzen (das Wohl) jedes Individuums in gleicher Weise berücksichtigt wird.
Außerdem ist zu beachten: Einige dieser Ansätze haben ausdrücklich nicht den Anspruch, umfassende ethische Konzepte zu sein, sondern z. B. nur Konzepte für die Beurteilung, ob eine Gesellschaft in politisch-ökonomischer Hinsicht gerecht eingerichtet ist; z. B. bei John Rawls, im Unterschied zu umfassenderen Ansätzen, die auch Fragen privater, individueller Ethik betreffen – etwa, ob es eine moralische Pflicht gibt, zu lügen, wenn genau dies notwendig ist, um ein Menschenleben zu retten (und wenn ohne diese Lüge niemand sonst stattdessen gerettet würde). Auch z. B. Habermas beantwortet diese Frage nicht „inhaltlich“, aber sein Konzept beinhaltet den Bereich auch solcher Fragen, indem es „formal“ postuliert, richtig sei, was in dieser Frage alle, die an einem zwanglosen und zugleich vernünftigen Diskurs dazu teilnehmen würden, als verbindlich für alle dazu herausfinden und akzeptieren würden.
Inhaltliche Richtigkeit und formale Verbindlichkeit von Normen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wenn man fragt, warum Individuum A eine bestimmte Handlungsnorm N befolgen soll, so gibt es zwei Arten von Antworten.
Die eine Art von Antworten bezieht sich auf eine Institution oder ein Verfahren, wodurch die Norm gesetzt wurde. Beispiele hierfür sind:
A soll N befolgen, weil …
- … A dies versprochen hat,
- … der Verstorbene dies in seinem Testament so festgelegt hat,
- … das geltende Recht dies vorschreibt,
- … der Eigentümer es so will,
- … es mehrheitlich so beschlossen wurde etc.
Die andere Art von Antworten bezieht sich auf die inhaltliche Beschaffenheit der Norm. Beispiele für diese Art von Antworten sind:
A soll N befolgen, weil …
- … N gerecht ist,
- … N für alle das Beste ist,
- … die Befolgung von N zum größten Wohl aller führt,
- … N der Menschenwürde entspricht etc.
Offensichtlich liegen diese Begründungen auf zwei verschiedenen Ebenen, denn man kann ohne logischen Widerspruch sagen: „Ich halte den Beschluss der Parlamentsmehrheit zwar für inhaltlich falsch, aber dennoch ist er für mich verbindlich. Als Demokrat respektiere ich die Beschlüsse der Mehrheit.“
Man kann die ethischen Theorien nun danach unterscheiden, wie sie mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Ebene der verfahrensmäßigen Setzung von verbindlichen Normen und der Ebene der argumentativen Bestimmung von richtigen Normen umgehen.
Auf der einen Seite stehen ganz außen die Dezisionisten. Für sie ist nur die verbindliche Setzung von Normen bedeutsam. Sie bestreiten, dass man in Bezug auf Normen überhaupt von inhaltlicher Richtigkeit und von einer Erkenntnis der richtigen Norm sprechen kann.
Das Hauptproblem der Dezisionisten ist, dass es für sie keine Berechtigung für einen Widerstand gegen die gesetzten Normen geben kann, denn „verbindlich ist verbindlich“. Außerdem können Dezisionisten nicht begründen, warum man das eine Normsetzungsverfahren irgendeinem anderen Verfahren vorziehen soll.
Auf der anderen Seite stehen ganz außen die ethischen Kognitivisten. Für sie ist das Problem ethischen Handelns allein ein Erkenntnisproblem, das man durch die Gewinnung relevanter Informationen und deren Auswertung nach geeigneten Kriterien lösen kann. Eine Legitimation von Normen durch Verfahren ist für sie nicht möglich.
Das Hauptproblem der Kognitivisten ist, dass es auch beim wissenschaftlichen Meinungsstreit oft nicht zu definitiven Erkenntnissen kommt, die als Grundlage der sozialen Koordination dienen könnten. Es werden deshalb zusätzlich verbindliche und sanktionierte Normen benötigt, die für jedes Individuum das Handeln der anderen berechenbar macht.
Erkenntnistheoretische und metaphysische Probleme der Ethik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sein und Sollen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Teleologische Ethiken sind in der Regel Güter-Ethiken; sie bezeichnen bestimmte Güter (z. B. „Glück“ oder „Lust“) als für den Menschen gut und damit erstrebenswert.
Schon David Hume hat den Einwand erhoben, dass der Übergang von Seins- zu Sollensaussagen nicht legitim sei („Humes Gesetz“). Unter dem Stichwort „Naturalistischer Fehlschluss“ hat George Edward Moore damit eng verwandte Fragen aufgeworfen, die aber genau genommen nicht dieselben sind.
Hume kritisiert an den ihm bekannten Moralsystemen,
„… daß mir anstatt der üblichen Verbindungen von Worten mit ‚ist‘ und ‚ist nicht‘ kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein ‚sollte‘ oder ‚sollte nicht‘ sich fände. […] Dies sollte und sollte nicht drückt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, muß also notwendigerweise betrachtet und erklärt werden. Gleichzeitig muß ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind.“
Für Hume sind logische Schlussfolgerungen von dem, was ist, auf das, was sein soll, unzulässig, denn durch logische Umformungen könne aus Ist-Sätzen kein völlig neues Bedeutungselement wie das Sollen hergeleitet werden.
Wie später die Positivisten betont haben, muss erkenntnistheoretisch zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wegen ihres unterschiedlichen Verhältnisses zur Sinneswahrnehmung differenziert werden. Während der Satz „Peter ist um 14 Uhr am Bahnhof gewesen“ durch intersubjektiv übereinstimmende Beobachtungen überprüfbar, also verifizierbar oder falsifizierbar ist, lässt sich der Satz „Peter soll um 14 Uhr am Bahnhof sein“ mit den Mitteln von Beobachtung und Logik allein nicht begründen oder widerlegen.
Die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen Sein und Sollen liegt den modernen Erfahrungswissenschaften zugrunde. Wer diese Unterscheidung nicht akzeptiert, der muss entweder ein Sein postulieren, das nicht direkt oder indirekt wahrnehmbar ist, oder er muss das Gesollte für sinnlich wahrnehmbar halten. Beiden Positionen mangelt es bisher an einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit.
Die vermeintliche Herleitung ethischer Normen aus Aussagen über das Seiende wird oft nur durch die unbemerkte Ausnutzung der normativ-empirischen Doppeldeutigkeit von Begriffen wie „Wesen“, „Natur“, „Bestimmung“, „Funktion“, „Zweck“, „Sinn“ oder „Ziel“ erreicht.
So bezeichnet das Wort „Ziel“ einmal das, was ein Mensch tatsächlich anstrebt („Sein Ziel ist das Diplom“). Das Wort kann jedoch auch das bezeichnen, was ein Mensch anstreben sollte („Wer nur am Materiellen ausgerichtet ist, der verfehlt das wahre Ziel des menschlichen Daseins“).
Die unbemerkte empirisch-normative Doppeldeutigkeit bestimmter Begriffe führt dann zu logischen Fehlschlüssen wie: „Das Wesen der Sexualität ist die Fortpflanzung. Also ist Empfängnisverhütung nicht erlaubt, denn sie entspricht nicht dem Wesen der Sexualität.“
Aus der logischen Unterscheidung von Sein und Sollen folgt jedoch keineswegs, dass damit eine auf Vernunft gegründete Ethik unmöglich ist, wie dies sowohl von Vertretern des logischen Empirismus als auch des Idealismus geäußert wird. Zwar ließe sich allein auf Empirie und Logik keine Ethik gründen, aber daraus folgt noch nicht, dass es nicht andere allgemein nachvollziehbare Kriterien für die Gültigkeit ethischer Normen gibt. Ein aussichtsreiches Beispiel für eine nachpositivistische Ethik ist die am Kriterium des zwangfreien Konsenses orientierte Diskursethik.
Mit der Feststellung, dass das Gesollte nicht aus dem Seienden logisch ableitbar ist, wird eine Begründung von Normen noch nicht aussichtslos. Denn neben den Seinsaussagen und den normativen Sätzen gibt es Willensäußerungen. Die Willensäußerung einer Person: „Ich will in der nächsten Stunde von niemandem gestört werden“ beinhaltet die Norm: „Niemand soll mich in der nächsten Stunde stören“. Die Aufgabe der Ethik ist es, allgemeingültige Willensinhalte bzw. Normen zu bestimmen und nachvollziehbar zu begründen.
Die logische Unterscheidung zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wird vor allem von Vertretern idealistischer Positionen als eine unzulässige Trennung von Sein und Sollen angesehen und es wird eingewandt, dass ihr ein verkürzter Seinsbegriff zugrunde liege. So argumentiert Vittorio Hösle, das Sollen könne nur vom realen, empirischen Sein strikt abgegrenzt werden, „... ein ideales Sein, das nicht vom Menschen gesetzt ist, wird dem Sollen damit ebenso wenig abgesprochen wie eine mögliche Prinzipiierungsfunktion gegenüber dem empirischen Sein“.[19] Es könne gerade als Aufgabe des Menschen angesehen werden, „damit fertig zu werden, dass das Sein nicht so ist, wie es sein soll“.[20] Das Gesollte solle eben sein und sei als solches bereits Prinzip des Seins:
„Aber wenn das Projekt der Ethik einen Sinn haben soll, dann muß das Sein in einer bestimmten Weise strukturiert sein: Es muß Wesen enthalten, die zumindest der Erkenntnis des Sollens fähig sind, ja in denen diese Erkenntnis – bei allen Widerständen durch verschiedene Interessen – nicht ohne Einfluß auf ihr Handeln ist. Daß aus der Geltung des Sollens Annahmen über die Wirklichkeit folgen, ist eine keineswegs triviale Annahme und m. E. nur im Rahmen eines objektiven Idealismus zu begreifen, nach dem das faktische Sein durch ideale Strukturen wenigstens zum Teil prinzipiert ist.“
Die Möglichkeit einer teleologischen Ethik scheint mit der logischen Unterscheidung von Seins- und Sollens-Aussagen grundsätzlich in Frage gestellt. Aus Sicht der klassischen Position des Realismus bezüglich der Ethik, insbesondere des Naturrechts, ist es aber gerade das Sein, aus dem das Sollen abgeleitet werden muss, da es (außer dem Nichts) zum Sein keine Alternative gibt. Weil das Gute das Seinsgerechte, also das dem jeweiligen Seienden gerechte bzw. entsprechende ist, muss demnach das Wesen des Seins zunächst erkannt und aus ihm die Forderung des Sollens (ihm gegenüber) logisch abgeleitet werden.
Das Problem des Bösen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Trotz der teilweise apokalyptischen geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wird der Begriff „böse“ in der Umgangssprache nur noch selten gebraucht. Stattdessen werden meist die Begriffe „schlecht“ („ein schlechter Mensch“) oder „falsch“ („die Handlung war falsch“) verwendet. Das Wort „böse“ gilt im gegenwärtigen Bewusstsein generell als metaphysikverdächtig und aufgrund der allgemeinen Dominanz des naturwissenschaftlichen Denkens als überholt.
In der philosophischen Tradition wird das Böse als eine Form des Übels betrachtet. Klassisch geworden ist die Unterscheidung von Leibniz zwischen einem metaphysischen (malum metaphysicum), einem physischen (malum physicum) und einem moralischen Übel (malum morale). Das metaphysische Übel besteht in der Unvollkommenheit alles Seienden, das physische Übel in Schmerz und Leid. Diese Übel sind Widrigkeiten, die ihren Ursprung in der Natur haben. Sie sind nicht „böse“, da sie nicht das Ergebnis des (menschlichen oder allgemeiner gesagt geistigen) Willens sind. Das moralische Übel oder das Böse hingegen besteht in der Nicht-Übereinstimmung einer Handlung mit dem Sittengesetz bzw. Naturrecht. Es kann, wie Kant betont, nur „die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst“ böse sein.[21] Das Böse ist also als Leistung oder besser Fehlleistung des Subjekts zu verstehen.
Reduktionistische Erklärungsversuche
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Verhaltensforschung führt das Böse auf die allgemeine „Tatsache“ der Aggression zurück. Diese sei einfachhin ein Bestandteil der menschlichen Natur und als solcher moralisch irrelevant. Daher spricht Konrad Lorenz auch vom „sogenannten Bösen“. Dieser Erklärung wird von Kritikern eine reduktionistische Betrachtungsweise vorgeworfen. Sie übersehe, dass dem Menschen auf der Grundlage der Freiheit die Möglichkeit gegeben ist, zu seiner eigenen Natur Stellung zu nehmen.[22]
In der Philosophie stellte sich bereits Platon die Frage, wie das Böse überhaupt möglich sei. Das Böse werde nur getan, weil jemand im irrtümlichen Glauben annimmt, er (oder jemand) habe einen Nutzen davon. Somit wolle er aber den mit dem Bösen verbundenen Nutzen. Das Böse um seiner selbst willen könne niemand vernünftigerweise wollen:[23]
„Sokrates: So ist denn doch klar, daß diejenigen, welche es nicht kennen, nicht das Böse begehren, sondern vielmehr das, was sie für gut halten, während es böse ist; so daß diejenigen, welche es nicht kennen und es für gut halten, offenbar eigentlich das Gute begehren. Oder nicht?
Sokrates: Und weiter: Diejenigen, welche das Böse begehren, wie du behauptest, während sie doch glauben, daß das Böse dem schade, welchem es zuteil wird, erkennen doch wohl, daß sie von ihm Schaden nehmen werden?
Menon: Notwendig.
Sokrates: Diese aber, halten sie nicht die, welche Schaden leiden, für elend, sofern sie Schaden leiden?
Menon: Notwendig auch das.
Sokrates: Halten sie die Elenden aber nicht für unglücklich?
Menon: Ich meine doch.
Sokrates: Gibt es nun einen Menschen, welcher elend und unglücklich sein will?
Menon: Ich denke nicht, Sokrates.
Sokrates: Niemand also will das Böse, Menon; wenn anders er nicht ein solcher sein will. Denn was heißt elend sein anders, als das Böse begehren und es besitzen?“
Nicht-reduktionistische Erklärungsversuche
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Dieses in der Antike noch weit verbreitete Verständnis, das Böse ließe sich durch die Vernunft überwinden, wird allerdings durch die geschichtlichen Erfahrungen, insbesondere die des 20. Jahrhunderts, in Frage gestellt. Diese lehren in den Augen vieler Philosophen der Gegenwart, dass der Mensch durchaus im Stande sei, das Böse auch um seiner selbst willen zu wollen.
Als Motiv für das Böse kann zunächst einmal der Egoismus ausgemacht werden. Er äußert sich in vielen Spielarten. In seiner harmlosen Variante zeigt er sich im Ideal einer selbstbezogenen Bedürfnisbefriedigung. In dieser Form stellt er letztlich auch die „Vertragsgrundlage“ des Utilitarismus dar, der nichts anderes als einen Interessensausgleich zwischen den Individuen schaffen möchte. Dieser Aspekt trifft – wie die geschichtliche Erfahrung zeigt – noch nicht den eigentlichen Kern des Bösen. Dieser wird erst dann sichtbar, wenn die eigene Bedürfnisbefriedigung nicht mehr im Vordergrund steht:
„Die eigentliche Struktur des Bösen aber […] zeigt sich erst dort, wo dieser utilitaristische Bezug nicht leitend ist, sondern die zwecklose, ja sogar widersinnige Freude an der reinen Destruktion vorherrscht. Erst hier entdeckt man die unheimlichen Züge des menschlichen Ich: der Machtrausch der Zerstörung genießt“
Die Ursache dieses „radikal Bösen“ ist nach Kant weder in der Sinnlichkeit noch in der Vernunft zu sehen, sondern in einer „Verkehrtheit des Herzens“, in der sich das Ich gegen sich selbst wendet:
„Die Bösartigkeit der menschlichen Natur ist also nicht sowohl Bosheit, wenn man dieses Wort in strenger Bedeutung nimmt, nämlich als eine Gesinnung (subjektives Prinzip der Maximen), das Böse als Böses zur Triebfeder in seine Maxime aufzunehmen (denn die ist teuflisch); sondern vielmehr Verkehrtheit des Herzens, welches nun, der Folge wegen, auch ein böses Herz heißt, zu nennen.“
Dieser Grundgedanke Kants von der Selbstwidersprüchlichkeit des Ichs als Ursache des Bösen wird vor allem in der Philosophie des Idealismus noch einmal vertieft. Schelling unterscheidet zwischen einem alle Bindung verneinenden „Eigenwillen“ und einem sich in Beziehungen gestaltenden „Universalwillen“. Die Möglichkeit zum Bösen bestehe darin, dass der Eigenwille sich seiner Integration in den Universalwillen widersetzt.
„Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht faßt), bloße Sucht oder Begierde, d. h. blinder Wille ist. Diesem Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet.“
Das radikal Böse bewirke einen Umsturz der Ordnung in mir selbst und in Bezug zu anderen. Es erfolge um seiner selbst willen, denn „wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt, ebenso gibt es eine Begeisterung des Bösen“.[24]
Nach der klassischen Lehre (Augustinus, Thomas von Aquin etc.) ist das Böse selbst letztlich substanzlos. Als privativer Gegensatz des Guten besteht es nur in einem Mangel (an Sein bzw. an Gutem). Im Gegensatz zum absolut Guten (Gott) gibt es demnach das absolut Böse nicht.
Durchsetzungsproblem
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Durchsetzungsproblem der Ethik besteht darin, dass die Einsicht in die Richtigkeit ethischer Prinzipien zwar vorhanden sein kann, daraus aber nicht automatisch folgt, dass der Mensch auch im ethischen Sinne handelt. Die Einsicht in das richtige Handeln bedarf einer zusätzlichen Motivation oder eines Zwangs.[25]
Das Problem erklärt sich daraus, dass die Ethik einerseits und das menschliche Eigeninteresse als Egoismus andererseits oft einen Gegensatz bilden.[26] Das Durchsetzungsproblem gewinne zudem durch die Globalisierung eine neue Dimension, die zu einer Ethik der Neomoderne führe.
Beispiel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Tatsache, dass die Menschen im Land X Hunger leiden und ihnen geholfen werden sollte, ja es moralisch geboten erscheint ihnen zu helfen, wird niemand bestreiten. Die Einsicht es auch zu tun, einen Großteil seines Vermögens dafür herzugeben, wird es im nennenswerten Umfang erst geben, wenn eine zusätzliche Motivation auftaucht, etwa die Gefahr einer Migration wegen Hungers ins eigene Land unmittelbar bevorsteht.
Das Durchsetzungsproblem zeigt sich auf andere Weise auch in der Erziehung, etwa wenn fest verinnerlichte Verhaltensregeln später auf entwickelte ethische Prinzipien stoßen.[27]
Lösungsansätze
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Erkenntnisse der Evolutionären Spieltheorie[28] lassen Rückschlüsse darauf zu, dass das Durchsetzungsproblem durch Selbstdurchdringung gelöst werden kann. Diese Auffassung vertraten zuerst Vertreter der Neuen Institutionenökonomik. So wiesen Eirik Furubotn und Rudolf Richter darauf hin, dass der Aufbau einer Reputation eine dominate Spielstrategie sein kann.[29]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Metaethik
- Gerechtigkeitstheorien
- Liste bekannter Ethiker
- Liste der Ethik-Modelle
- Ethische Bewegung
- Ethisches Dilemma
- Welfarismus
- Sekyra und White’s-Professur für Moralphilosophie
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Philosophiebibliographie: Ethik – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema
- Einführungen
- Arno Anzenbacher: Einführung in die Ethik. 3. Auflage. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5 (gut lesbare Einführung)
- Dieter Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. De Gruyter, Berlin u. a. 2003, ISBN 3-11-017625-4 (systematische Darstellung der normativen Ethik aus Sicht eines analytischen Philosophen; moderne Ansätze stehen im Vordergrund)
- Dagmar Fenner: Ethik. Wie soll ich handeln? UTB, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8252-2989-4 (gut strukturierte Einführung, etwas schulbuchhaft)
- Dietmar Hübner: Einführung in die philosophische Ethik. UTB, 2. Aufl., Göttingen 2018, ISBN 978-3-8252-4991-5 (klare Systematik mit historischen Vertiefungen)
- Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. 5. Auflage. Francke, Tübingen u. a. 2003, ISBN 3-8252-1637-3, ISBN 3-7720-1698-7 (vielzitierte Einführung in die Ethik)
- Louis P. Pojman, James Fieser: Ethics. Discovering Right and Wrong. Wadsworth Pub. 2008, ISBN 978-0-495-50235-7. (exzellente, sehr klare, oft als Lehrbuch verwendete erste Einführung) (Inhaltsverzeichnis) (MS Word; 177 kB)
- Der blaue reiter. Journal für Philosophie. Themenheft: Ethik. Nr. 3, 1995. Verlag der blaue reiter, ISBN 978-3-9804005-2-7.
- Karl Hepfer. Philosophische Ethik. Eine Einführung. Göttingen 2008 (UTB 3117), ISBN 978-3-8252-3117-0 (Sehr übersichtliche und gut lesbare Darstellung aller gängigen Begründungsmodelle)
- Michael Quante: Einführung in die allgemeine Ethik. Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15464-9 (lehrbuchartig aufgebautes Werk mit Zusammenfassungen, Lektürehinweisen und Übungen am Ende jedes Kapitels; geht ausführlich auf metaethische Fragen ein)
- Hans Reiner: Ethik. Eine Einführung. Studienausgabe, PAIS-Verlag, Oberried 2010, ISBN 978-3-931992-27-9 (gut verständliche Einführung)
- Andreas Vieth: Einführung in die Philosophische Ethik. Münster/München 2015, ISBN 978-3-7380-2658-0, PDF (themenorientiert, metaethisch, visuelle Themenaufbereitung, Lehrbuch)
- Gesamtdarstellungen
- Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner (Hrsg.): Handbuch Ethik. 2. akt. Auflage. Metzler, Stuttgart u. a. 2006, ISBN 3-476-02124-6 (derzeit das Standardhandbuch zur Ethik; enthält einen historischen und einen begrifflichen Teil; breite Berücksichtigung der aktuellen Diskussion; zum Teil sehr anspruchsvoll)
- Hugh LaFollette (Hrsg.): Blackwell Guide to Ethical Theory. Blackwell, Oxford 2000. (Inhaltsverzeichnis)
- Friedo Ricken: Allgemeine Ethik. 4. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017948-9 (sehr fundiert und anspruchsvoll; versucht eine Synthese aus Aristotelischen und Kantischen Ansätzen mit Anleihen aus der analytischen Philosophie)
- Hugh LaFollette (Hrsg.): Ethics in Practice: An Anthology. 4. Auflage. Wiley-Blackwell, Oxford 2014, ISBN 978-0-470-67183-2.
- Lexika und Grundbegriffe
- Otfried Höffe (Hrsg.): Lexikon der Ethik. 6. Auflage. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47586-8 (das Standardlexikon zur Einführung in die Begriffe der Ethik)
- Gerhard Schweppenhäuser: Grundbegriffe der Ethik zur Einführung. 2. Auflage. Junius, Hamburg 2006, ISBN 3-88506-632-7 (konzentriert sich auf die Behandlung zentraler Grundbegriffe der Ethik)
- Ethik in der Wissenschaft
- Hans Lenk (Hrsg.): Wissenschaft und Ethik, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008698-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Ethik im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Karl-Heinz Brodbeck: Ethik und Moral. eine kritische Einführung. ( vom 14. Juni 2013 im Internet Archive) (PDF; 1,5 MB) Verlag BWT, Würzburg 2003, ISBN 3-9808693-1-8. (Freies, einführendes E-Book)
- Roger Crisp: Ethics. In: E. Craig (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. London 1998.
- James Fieser: Ethics. In: James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.
- Henry S. Richardson: Moral Reasoning. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2018.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Cicero: De fato 1; Moral, moralisch, Moralphilosophie. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 6, S. 149.
- ↑ Viktor Cathrein: Moralphilosophie. Eine wissenschaftliche Darlegung der sittlichen, einschließlich der rechtlichen Ordnung. 2 Bände, 5., neu durchgearbeitete Auflage. Herder, Freiburg im Breisgau 1911, S. 1–6 (Begriff der Moralphilosophie).
- ↑ Brockhaus Enzyklopädie, 19 Aufl., (1988), Bd. 6, S. 600.
- ↑ Vgl. A Greek-English Lexicon 9. A. (1996), S. 480.766.
- ↑ Viktor Cathrein: Moralphilosophie. Eine wissenschaftliche Darlegung der sittlichen, einschließlich der rechtlichen Ordnung. 2 Bände, 5., neu durchgearbeitete Auflage. Herder, Freiburg im Breisgau 1911, S. 17–27 (Geschichte der Moralphilosophie), hier: S. 24 f., und S. 27 (Einteilung der Moralphilosophie).
- ↑ F. H. Bradley: Why should I be moral? In: Ethical Studies. The Clarendon Press, Oxford 1876.
- ↑ Kurt Bayertz: Warum überhaupt moralisch sein? C. H. Beck Verlag, München 2004, ISBN 3-406-52196-7.
- ↑ Friedo Ricken: Allgemeine Ethik. S. 96.
- ↑ § 17 StGB
- ↑ Vgl. Ricken: Allgemeine Ethik. S. 136f.
- ↑ Thomas von Aquin: Summa theologica.
- ↑ Ricken: Allgemeine Ethik. S. 84.
- ↑ Aristoteles: Nikomachische Ethik. Politik.
- ↑ C. D. Broad: Five Types of Ethical Theory. London 1930.
- ↑ William K. Frankena: Ethics. 2. Auflage. Englewood Cliffs 1973, S. 14, übersetzt in Albert Keller: Philosophie der Freiheit. Styria, Graz 1994, S. 212.
- ↑ Robert Spaemann: Christliche Verantwortungsethik. In: Johannes Gründel (Hrsg.): Leben aus christlicher Verantwortung, 1. Grundlegungen. Düsseldorf 1991, S. 122.
- ↑ Vgl. z. B. Albert Keller: Philosophie der Freiheit. Styria, Graz 1994, ISBN 3-222-12294-6.
- ↑ Vgl. Mark Murphy: Theological Voluntarism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.; Michael W. Austin: Divine Command Theory. In: James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy..
- ↑ Vittorio Hösle: Moral und Politik. Grundlagen einer Politischen Ethik für das 21. Jahrhundert. Beck, München 1997, ISBN 3-406-42797-9, S. 127.
- ↑ Hösle: Moral und Politik. S. 242.
- ↑ Vgl. Kant: KpV. S. 106.
- ↑ Vgl. Walter Schulz: Philosophie in der veränderten Welt. 7. Auflage. Stuttgart 2001, ISBN 3-608-91040-9, S. 723ff.
- ↑ Platon: Menon. 77a-78b.
- ↑ Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. S. 468.
- ↑ A. Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik. 1839/40.
- ↑ Helga E. Hörz und Herbert Hörz: Ist Egoismus unmoralisch? Grundzüge einer neomodernen Ethik. trafo Verlagsgruppe, Berlin 2013, ISBN 978-3-86464-038-4.
- ↑ H. J. Niemann: Die Strategie der Vernunft. Rationalität in Erkenntnis, Moral und Metaphysik. Vieweg, Braunschweig u. a. 1993, ISBN 3-528-06522-2.
- ↑ Vgl. auch Johannes Gottfried Mayer, Detlef Weinich (Hrsg.): Ethik und Evolutionstheorien (= Texte und Wissen. Band 4). Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
- ↑ R. Richter, E. Furubotn: Neue Institutionenökonomik. Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-148060-0, S. 277.