Zum Inhalt springen

„Personalismus“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
[ungesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Tippfehler korrigiert
 
(224 dazwischenliegende Versionen von 87 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Der Begriff '''Personalismus''' leitet sich von der ''[[Person]]'' im philosophischen Sinn ab. Man versteht darunter eine [[Philosophie|philosophische]] Denkrichtung insbesondere des 20. Jahrhunderts, die aus dem [[Christentum|christlich]]-[[Humanismus|humanistischen]] Weltbild hervorgegangen ist. Diese sieht das Personsein des Menschen als Kern des Humanismus. Damit versteht sich der Personalismus als kritische Alternative zu einseitig [[Individualismus|individualistischen]] und [[Kollektivismus|kollektivistischen]] ([[Kommunismus|kommunistischen]] und [[Faschismus|faschistischen]]) Theorien. Personalistische Ansätze suchen einen „dritten Weg“ neben [[Naturalismus (Philosophie)|naturalistischen]] und [[Sozialismus|sozialistischen]] Theorien, indem sie die Freiheit der Entscheidung zum Grundprinzip menschlichen Lebens erklären. Darüber hinaus betonen sie die [[geist]]ige Dimension des menschlichen Lebens, das an [[Wert (Philosophie)|Werten]] orientierte Wollen und Handeln des Einzelnen, sowie die Gemeinschaft als Fundament der Entwicklung jeder Person. Ihr Ziel ist durchaus praktischer Natur: die Veränderung der Gesellschaft. Ihr Verhältnis zur [[Autorität]] ist in der Regel positiv, wenn diese höhere geistige Werte vertritt.
== Personalismus in der Soziologie ==
In der [[Soziologie]] und Politikwissenschaft versteht man unter Personalismus die Hervorhebung bzw. Ausrichtung auf eine bestimmte Person, z.B. im Wahlkampf. Ein personalistischer Wahlkampf ist also ein Wahlkampf, der besonders stark auf Personen ausgerichtet ist - und weniger auf Sachthemen.


== Personalismus in der Philosophie ==
== Philosophie ==
Im Kern der personalistischen Idee steht die Überzeugung, dass der [[Mensch]] sich [[Wesen (Philosophie)|wesentlich]] durch die Fähigkeit zu freier Entscheidung und Verantwortlichkeit für sein Handeln auszeichnet, und diese strukturelle Freiheit einen unveräußerlichen, höchsten Wert und Selbstzweck darstellt. Indem der Mensch von seiner [[Freiheit]] Gebrauch macht, bestimmt er sich selbst als Person und wird zum „Autor seiner Lebensgeschichte“ ([[Winfried Böhm]]). Die Person ist kein unsterblicher, unveränderlicher Wesenskern (i. S. v. [[Seele]]), sie offenbart sich nur in der gemeinschaftlichen [[Praxis (Philosophie)|Praxis]] menschlichen Denkens und Handelns. [[Personalität]] bedeutet in diesem Sinn die dynamische Seinsverfassung des Subjekts, das sich selbst durch [[Arbeit (Philosophie)#Aufhebung des Arbeitsbegriffs seit Mitte des 20. Jahrhunderts|Arbeit]] hervorbringt.
In der Philosophie gilt Personalismus als eine Strömung, die zwischen dem [[Individualismus]] und dem [[Kollektivismus]] angesiedelt ist; sie entstand als Antwort auf die Krise des bürgerlichen Individualismus in den 30er Jahren. Der Mensch wird im Personalismus gleichermaßen durch gesellschafliche Zusammenhänge wie auch durch individuelle Faktoren bestimmt angesehen. Neben kirchlichen Kreisen ist der Personalismus besonders für [[Ordoliberalismus|Ordoliberale]] von Bedeutung, auch, um sich vom reinen Individualismus anderer [[liberal]]er Strömungen zu unterscheiden.


Der Unterschied zu einer reinen Subjekttheorie liegt darin, dass sich die Person erst und ausschließlich durch ihre Bezogenheit auf eine andere Person, d.&nbsp;h. in ihren sozialen Bezügen konstituieren und realisieren kann. Daher sind der [[Dialog]], die Zusammenarbeit in Handlungsgemeinschaften, insbesondere aber der lebenslang zu gestaltende Bildungsprozess<ref>Vgl. [[Siegbert A. Warwitz]]: ''Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen''. Baltmannsweiler 2016, S. 260–295.</ref> von personaler [[Erziehung]] und [[Sozialisation]] konstitutive Funktionen in der Theorie des Personalismus.
Die Verwandlung des Individuums in eine [[Persönlichkeit]] ergibt sich aus einem Wechselverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich ein besonderes Verständnis von [[Gesellschaft]], menschlicher [[Freiheit]] und der [[Verantwortung]] gegenüber anderen Menschen.


In Abgrenzung von empirischen Ansätzen, die den Menschen z.&nbsp;B. als biologisches Individuum oder als gesellschaftlichen [[Soziale Rolle|Rollenspieler]] definieren, entzieht sich der Mensch als Person der Fremdbestimmung durch [[Natur]] und [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]], er erschafft sich in gewisser Weise selbst durch sein Handeln. Menschliche Freiheit und die damit einhergehende [[Verantwortung]] sind unveräußerlich, d.&nbsp;h. der Einzelne kann sich nicht von ihnen trennen. Diese Ansicht hat der Personalismus mit dem [[Existenzialismus]] gemeinsam. Während der Existenzialismus sich aber teilweise auf eine Beschreibung der Sinnlosigkeit des Daseins konzentriert, kommt es dem Personalismus darauf an, Werte zu leben bzw. hervorzubringen, die ein sinnvolles Dasein begründen können. Auf der Grenze stehen christliche Existenzialisten wie [[Maurice Blondel|Blondel]] und [[Gabriel Marcel]]. Die [[Ethik|ethischen]] Dimensionen der Person erstrecken sich (nach [[Paul Ricœur]]) auf drei Ebenen: dem ''Wunsch nach einem erfüllten Leben – mit und für die anderen – in gerechten Institutionen''.<ref>Paul Ricœur: ''Das Selbst als ein Anderer'' (1990).</ref>
Gemäß dem Personalismus ist der Mensch frei - er steht grundsätzlich über dem Staat, der Nation, der Familie und anderen Kollektiven. Dennoch ist das soziale und geistige Leben einer Person unmittelbar mit dem gesellschaftlichen Leben verbunden. Ein allzu [[Individualismus|individualistischer]] Mensch steht in der Gefahr, sich der Gesellschaft zu [[Entfremdung|entfremden]] und damit entfremdet er sich zugleich sich selbst.


Der bekennende Katholik [[Jacques Maritain]] bietet eine umfassende Theorie des Personalismus. Besonders bei ihm stellt sich die Frage, ob der Personalismus von religiösen Voraussetzungen ablösbar ist. Tatsächlich sind die meisten Personalisten stark religiös.<ref>{{Literatur |Autor=Waltraud Harth-Peter |Titel=Religion und Bildung im Licht des modernen Personalismus |Hrsg=Heitger, Wenger |Sammelwerk=Kanzel und Katheder. Zum Verhältnis von Religion und Pädagogik seit der Aufklärung |Ort=Paderborn |Datum=1994 |URN=nbn:de:bvb:20-opus-42832 |Seiten= |Online=https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/3631/file/Harth_Peter_Religion_Bildung.pdf |Format=PDF}}</ref> Auch beziehen sie sich oft auf die Methode der inneren Erfahrung (so [[Paul Ludwig Landsberg]])<ref>{{Literatur |Autor=Birgitta Fuchs |Titel=Urteilskraft und Pädagogik: Beiträge zu einer pädagogischen Handlungstheorie; Lutz Koch zum 65. Geburtstag |Verlag=Königshausen & Neumann |Datum=2007 |ISBN=978-3-8260-3597-5 |Online=https://books.google.de/books?id=yAb5hj45clYC&pg=PA64&lpg=PA64&dq=Personalistische+P%C3%A4dagogik&source=bl&ots=URToS6kvtt&sig=ACfU3U2fHtKyfGt0nfcQJNpzh3b36nloHA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjflqvziL7rAhWJ-KQKHT9fCUgQ6AEwCHoECAEQAQ#v=onepage&q=Paul%20Ludwig%20landsberg&f=false |Abruf=2020-08-28}}</ref>, womit sie für alle Empiriker nicht nachvollziehbare Aussagen machen.
Wird hingegen die Person allzu stark Interessen und Absichten anderer unterworfen: Partei, Arbeitgeber, Kirche oder Staat, so geht dies ebenfalls zu Lasten der [[Persönlichkeit]]. Die Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit ist daher bei jeglicher Gesellschaftsordnung oder menschlichen Organisation zu beachten. Es gehört zur [[Menschenwürde|Würde des Menschen]], dass eine Person das eigene Glück leben kann.


Ein kritischer Personalismus verlegt sich auf die phänomenologische Bewertung empirischer Theorien. Erkenntnisse der Persönlichkeits-, Entwicklungs- und Sozialpsychologie werden auf ihre Bedeutung für personales Leben hin untersucht.<ref>{{Internetquelle |autor=Geiselhart, Klaus 2021: Der Wille zur Verantwortung. |url=https://www.velbrueck.de/Programm/Der-Wille-zur-Verantwortung.html |titel=Velbrück Wissenschaft |abruf=2022-02-01}}</ref> Persönlichkeitsentwicklung erscheint als Weg, Verantwortung zu übernehmen.
Herausragender Vertreter des Personalismus ist der antifaschistische Widerstandskämpfer und Philosoph [[Emmanuel Mounier]].


== Links ==
== Personalisten ==
Eine der einflussreichsten Quellen der personalistischen Bewegung im 20. Jahrhundert (die den Begriff des Personalismus etablierte) war die Gruppe um [[Emmanuel Mounier]] in Frankreich, der als Verfasser des [[Das personalistische Manifest|Personalistischen Manifests]] 1936, wie als Herausgeber der Zeitschrift [[Esprit (Zeitschrift)|Esprit]] bekannt wurde. Zum Kreis engagierter Denker um Mounier gehörten [[Jacques Maritain]], [[Gabriel Marcel]], [[Nikolai Alexandrowitsch Berdjajew|Nikolai Berdjajew]], [[René Biot]], [[Jean Lacroix (Philosoph)|Jean Lacroix]], [[Paul-Ludwig Landsberg]], [[Louis Lavelle]], [[Alexandre Marc]] und [[Louis Meylan]].
[http://www.bautz.de/bbkl/m/mounier.shtml] Bautz-Katalog zu Mounier

Besonders in der [[Christliche Erziehung|christlichen Pädagogik]] waren personalistische Konzepte nach 1945 häufig vertreten. Nach der „[[Empirische Pädagogik|empirischen Wende]]“ der [[Pädagogik|Erziehungswissenschaften]] in den 1960er Jahren sind sie inzwischen aber seltener geworden. Genauso verhält es sich auch in der Psychologie.

Personalistische Positionen wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen der Philosophiegeschichte vertreten durch:
* vor dem 20. Jahrhundert: [[Friedrich Schleiermacher]], [[Antonio Rosmini]], [[John Henry Newman]], [[Charles Renouvier]];
* im 20. Jahrhundert: [[Martin Buber]] (jüdisch), [[Max Scheler]], [[Romano Guardini]], Bostoner Personalismus ([[Borden Parker Bowne]], [[Ralph Tyler Flewelling]], [[Edgar Sheffield Brightman]]), [[Johannes Paul II.|Karol Wojtyła]], [[Erich Fromm]] (psychoanalytisch), [[Josef Seifert (Philosoph)|Joseph Seifert]], [[Josef Speck]], [[Paul Ricœur]], [[Robert Spaemann]];
* in psychologischen, pädagogischen oder weiteren Zusammenhängen: [[William Stern]], [[Giuseppe Flores d’Arcais]], [[Giuseppe Catalfamo]], [[Karl Lugmayer (Volksbildner)|Karl Lugmayer]], [[Daniel-Rops]], [[Paulo Freire]], [[Winfried Böhm]], [[Martin Luther King, Jr.]], [[Humberto Maturana]] mit der [[Autopoiesis]], [[Theodore Roszak (Schriftsteller)|Theodore Roszak]] (''[[Ökopsychologie]], Mensch und Erde auf dem Weg zur Einheit''), [[Gerhard Danzer]] (Personale Medizin<ref>{{Literatur |Titel=Personale Medizin |DOI=10.1007/978-3-662-63135-5 |Online=https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-63135-5 |Abruf=2022-11-13}}</ref>).

== Literatur ==
* [[William Stern]]: ''Grundgedanken der personalistischen Philosophie'' (= ''Philosophische Vorträge.'' 20, {{ZDB|973461-2}}). Reuther & Reichard, Berlin 1918.
* [[Emmanuel Mounier|Martin Buber:]] ''Ich und Du''. (1923) Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Bernhard Lang, Reclam, Ditzingen 2021, ISBN 978-3-15-014171-7 = Reclams Universal-Bibliothek 14171.
* [[Emmanuel Mounier]]: ''Manifeste au service du personnalisme'' (= ''Collection Esprit.'') Fernand Aulier, Editions Montaigne, Paris 1936, (deutsch: ''Das personalistische Manifest.'' Jean-Christophe Verlag, Zürich 1936).
* [[Josef Seifert (Philosoph)|Josef M. Seifert]]: ''Essere e persona. Verso una fondazione fenomenologica di una metafisica classica e personalistica'' (= ''Pubblicazioni del Centro di Ricerche di Metafisica. Sezione di metafisica e storia della metafisica.'' 6). Vita e pensiero, Mailand 1989, ISBN 88-343-0278-8.
* [[Theo Kobusch]]: ''Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild.'' 2., durchgesehene und um ein Nachwort und um Literaturergänzungen erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, ISBN 3-534-13377-3.
* [[Robert Spaemann]]: ''Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“.'' Klett-Cotta, Stuttgart 1998, ISBN 3-608-91813-2.
* Ulrich Diehl: ''Personalität und Humanität.'' C. Winter, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0876-6 (Zugleich: Würzburg, Universität, Dissertation, 1994).
* [[Peter Bieri]]: ''Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens.'' Carl Hanser, München u. a. 2002, ISBN 3-446-20070-3.
* Waltraud Harth-Peter, Ulrich Wehner, Frithjof Grell (Hrsg.): ''Prinzip Person. Über den Grund der Bildung. Winfried Böhm zum 22. März 2002'' (= ''Bibliotheca Academica. Pädagogik.'' Bd. 2). Ergon-Verlag, Würzburg 2002, ISBN 3-89913-236-X.
* Max Scheler: ''Die Stellung des Menschen im Kosmos.'' 15., unveränderte Auflage. Bouvier, Bonn 2002, ISBN 3-416-02592-X.
* [[Karl Lugmayer (Volksbildner)|Karl Lugmayer]]: ''Philosophie der Person.'' Mit einer Einleitung von [[Erwin Bader]] und Paul R. Tarmann. Herausgegeben von Erwin Bader und Franz Lugmayer. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2009, ISBN 978-3-631-58390-6.
* Peter Heinrich: ''Person und Pädagogik.'' In: Katharina Nowotný: ''Pädagogik in der Sonderpädagogik.'' Schneider, Baltmanssweiler 2010, ISBN 978-3-8340-0744-5, S. 92–103.
* Andris, Hiršs (2024). Influence of personalism on Latvian theory up to the early twentieth century: substantiality and panentheism. Studies in East European Thought. [[doi:10.1007/s11212-024-09678-7]] Text: https://rdcu.be/dXVTG

== Weblinks ==
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/personalism/|Personalism|Thomas D. Williams und Jan Olof Bengtsson}}
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/personal/|Personalism|Thomas O. Buford}}
* [http://www.personnalisme.org/ http://www.personnalisme.org/]
* [http://www.personalism.pl/ http://www.personalism.pl/ (englische Website)]
* [http://www.personalismo.org/ http://www.personalismo.org/]
* [http://www.lvn.asso.fr/ La Vie Nouvelle (Homepage)]

== Einzelnachweise ==
<references />

{{Normdaten|TYP=s|GND=4135692-5}}

[[Kategorie:Sozialphilosophie]]
[[Kategorie:Philosophie der Gegenwart]]

Aktuelle Version vom 22. März 2025, 10:00 Uhr

Der Begriff Personalismus leitet sich von der Person im philosophischen Sinn ab. Man versteht darunter eine philosophische Denkrichtung insbesondere des 20. Jahrhunderts, die aus dem christlich-humanistischen Weltbild hervorgegangen ist. Diese sieht das Personsein des Menschen als Kern des Humanismus. Damit versteht sich der Personalismus als kritische Alternative zu einseitig individualistischen und kollektivistischen (kommunistischen und faschistischen) Theorien. Personalistische Ansätze suchen einen „dritten Weg“ neben naturalistischen und sozialistischen Theorien, indem sie die Freiheit der Entscheidung zum Grundprinzip menschlichen Lebens erklären. Darüber hinaus betonen sie die geistige Dimension des menschlichen Lebens, das an Werten orientierte Wollen und Handeln des Einzelnen, sowie die Gemeinschaft als Fundament der Entwicklung jeder Person. Ihr Ziel ist durchaus praktischer Natur: die Veränderung der Gesellschaft. Ihr Verhältnis zur Autorität ist in der Regel positiv, wenn diese höhere geistige Werte vertritt.

Im Kern der personalistischen Idee steht die Überzeugung, dass der Mensch sich wesentlich durch die Fähigkeit zu freier Entscheidung und Verantwortlichkeit für sein Handeln auszeichnet, und diese strukturelle Freiheit einen unveräußerlichen, höchsten Wert und Selbstzweck darstellt. Indem der Mensch von seiner Freiheit Gebrauch macht, bestimmt er sich selbst als Person und wird zum „Autor seiner Lebensgeschichte“ (Winfried Böhm). Die Person ist kein unsterblicher, unveränderlicher Wesenskern (i. S. v. Seele), sie offenbart sich nur in der gemeinschaftlichen Praxis menschlichen Denkens und Handelns. Personalität bedeutet in diesem Sinn die dynamische Seinsverfassung des Subjekts, das sich selbst durch Arbeit hervorbringt.

Der Unterschied zu einer reinen Subjekttheorie liegt darin, dass sich die Person erst und ausschließlich durch ihre Bezogenheit auf eine andere Person, d. h. in ihren sozialen Bezügen konstituieren und realisieren kann. Daher sind der Dialog, die Zusammenarbeit in Handlungsgemeinschaften, insbesondere aber der lebenslang zu gestaltende Bildungsprozess[1] von personaler Erziehung und Sozialisation konstitutive Funktionen in der Theorie des Personalismus.

In Abgrenzung von empirischen Ansätzen, die den Menschen z. B. als biologisches Individuum oder als gesellschaftlichen Rollenspieler definieren, entzieht sich der Mensch als Person der Fremdbestimmung durch Natur und Gesellschaft, er erschafft sich in gewisser Weise selbst durch sein Handeln. Menschliche Freiheit und die damit einhergehende Verantwortung sind unveräußerlich, d. h. der Einzelne kann sich nicht von ihnen trennen. Diese Ansicht hat der Personalismus mit dem Existenzialismus gemeinsam. Während der Existenzialismus sich aber teilweise auf eine Beschreibung der Sinnlosigkeit des Daseins konzentriert, kommt es dem Personalismus darauf an, Werte zu leben bzw. hervorzubringen, die ein sinnvolles Dasein begründen können. Auf der Grenze stehen christliche Existenzialisten wie Blondel und Gabriel Marcel. Die ethischen Dimensionen der Person erstrecken sich (nach Paul Ricœur) auf drei Ebenen: dem Wunsch nach einem erfüllten Leben – mit und für die anderen – in gerechten Institutionen.[2]

Der bekennende Katholik Jacques Maritain bietet eine umfassende Theorie des Personalismus. Besonders bei ihm stellt sich die Frage, ob der Personalismus von religiösen Voraussetzungen ablösbar ist. Tatsächlich sind die meisten Personalisten stark religiös.[3] Auch beziehen sie sich oft auf die Methode der inneren Erfahrung (so Paul Ludwig Landsberg)[4], womit sie für alle Empiriker nicht nachvollziehbare Aussagen machen.

Ein kritischer Personalismus verlegt sich auf die phänomenologische Bewertung empirischer Theorien. Erkenntnisse der Persönlichkeits-, Entwicklungs- und Sozialpsychologie werden auf ihre Bedeutung für personales Leben hin untersucht.[5] Persönlichkeitsentwicklung erscheint als Weg, Verantwortung zu übernehmen.

Eine der einflussreichsten Quellen der personalistischen Bewegung im 20. Jahrhundert (die den Begriff des Personalismus etablierte) war die Gruppe um Emmanuel Mounier in Frankreich, der als Verfasser des Personalistischen Manifests 1936, wie als Herausgeber der Zeitschrift Esprit bekannt wurde. Zum Kreis engagierter Denker um Mounier gehörten Jacques Maritain, Gabriel Marcel, Nikolai Berdjajew, René Biot, Jean Lacroix, Paul-Ludwig Landsberg, Louis Lavelle, Alexandre Marc und Louis Meylan.

Besonders in der christlichen Pädagogik waren personalistische Konzepte nach 1945 häufig vertreten. Nach der „empirischen Wende“ der Erziehungswissenschaften in den 1960er Jahren sind sie inzwischen aber seltener geworden. Genauso verhält es sich auch in der Psychologie.

Personalistische Positionen wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen der Philosophiegeschichte vertreten durch:

  • William Stern: Grundgedanken der personalistischen Philosophie (= Philosophische Vorträge. 20, ZDB-ID 973461-2). Reuther & Reichard, Berlin 1918.
  • Martin Buber: Ich und Du. (1923) Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Bernhard Lang, Reclam, Ditzingen 2021, ISBN 978-3-15-014171-7 = Reclams Universal-Bibliothek 14171.
  • Emmanuel Mounier: Manifeste au service du personnalisme (= Collection Esprit.) Fernand Aulier, Editions Montaigne, Paris 1936, (deutsch: Das personalistische Manifest. Jean-Christophe Verlag, Zürich 1936).
  • Josef M. Seifert: Essere e persona. Verso una fondazione fenomenologica di una metafisica classica e personalistica (= Pubblicazioni del Centro di Ricerche di Metafisica. Sezione di metafisica e storia della metafisica. 6). Vita e pensiero, Mailand 1989, ISBN 88-343-0278-8.
  • Theo Kobusch: Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild. 2., durchgesehene und um ein Nachwort und um Literaturergänzungen erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, ISBN 3-534-13377-3.
  • Robert Spaemann: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“. Klett-Cotta, Stuttgart 1998, ISBN 3-608-91813-2.
  • Ulrich Diehl: Personalität und Humanität. C. Winter, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0876-6 (Zugleich: Würzburg, Universität, Dissertation, 1994).
  • Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. Carl Hanser, München u. a. 2002, ISBN 3-446-20070-3.
  • Waltraud Harth-Peter, Ulrich Wehner, Frithjof Grell (Hrsg.): Prinzip Person. Über den Grund der Bildung. Winfried Böhm zum 22. März 2002 (= Bibliotheca Academica. Pädagogik. Bd. 2). Ergon-Verlag, Würzburg 2002, ISBN 3-89913-236-X.
  • Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. 15., unveränderte Auflage. Bouvier, Bonn 2002, ISBN 3-416-02592-X.
  • Karl Lugmayer: Philosophie der Person. Mit einer Einleitung von Erwin Bader und Paul R. Tarmann. Herausgegeben von Erwin Bader und Franz Lugmayer. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2009, ISBN 978-3-631-58390-6.
  • Peter Heinrich: Person und Pädagogik. In: Katharina Nowotný: Pädagogik in der Sonderpädagogik. Schneider, Baltmanssweiler 2010, ISBN 978-3-8340-0744-5, S. 92–103.
  • Andris, Hiršs (2024). Influence of personalism on Latvian theory up to the early twentieth century: substantiality and panentheism. Studies in East European Thought. doi:10.1007/s11212-024-09678-7 Text: https://rdcu.be/dXVTG

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Vgl. Siegbert A. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Baltmannsweiler 2016, S. 260–295.
  2. Paul Ricœur: Das Selbst als ein Anderer (1990).
  3. Waltraud Harth-Peter: Religion und Bildung im Licht des modernen Personalismus. In: Heitger, Wenger (Hrsg.): Kanzel und Katheder. Zum Verhältnis von Religion und Pädagogik seit der Aufklärung. Paderborn 1994, urn:nbn:de:bvb:20-opus-42832 (uni-wuerzburg.de [PDF]).
  4. Birgitta Fuchs: Urteilskraft und Pädagogik: Beiträge zu einer pädagogischen Handlungstheorie; Lutz Koch zum 65. Geburtstag. Königshausen & Neumann, 2007, ISBN 978-3-8260-3597-5 (google.de [abgerufen am 28. August 2020]).
  5. Geiselhart, Klaus 2021: Der Wille zur Verantwortung.: Velbrück Wissenschaft. Abgerufen am 1. Februar 2022.
  6. Personale Medizin. doi:10.1007/978-3-662-63135-5 (springer.com [abgerufen am 13. November 2022]).