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„Liber Sextus“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Bonifacius – Liber sextus Bonifacii VIII, 1301-1325, manuscript – BEIC 14731941.jpg|mini|''Liber sextus Bonifacii VIII'', 1301–1325, manuskript. Città del Vaticano, [[Biblioteca Apostolica Vaticana]], Fondo Borghese, Borgh. 7.]]
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Der '''''Liber Sextus''''' („das sechste Buch“) von 1298 war der dritte Teil des ''[[Corpus Iuris Canonici]]'', einer mittelalterlichen Sammlung römisch-katholischen [[Kirchenrecht]]s. Die Rechtssammlung ist mit Erlass des inzwischen selbst nicht mehr gültigen ''[[Codex Iuris Canonici]]'' von 1917 außer Kraft getreten.
== Liber Sextus (1298) ==


== Entstehungsgeschichte ==
Angesichts des Nebeneinanders älterer [[Kanones-Sammlung|kanonistischer Sammlungen]], des ''[[Liber Extra]]'' (1234) und einer großen Zahl seither erlassener [[Dekretale]]n bestand trotz weiterhin Unsicherheit hinsichtlich der Gültigkeit insbesondere der jüngeren Texte und des Umgangs mit Widersprüchen zwischen allen diesen Rechtsquellen. [[Papst]] [[Bonifatius VIII.]] (1294–1303) beauftragte 1296 Wilhelm de Mandagoto († 1321), Bischof [[Béranger Frédol der Ältere|Béranger Frédol den Älteren]] (um 1250–1323) und Richard Petronius von Siena († 1314) mit der Zusammenstellung einer neuen Dekretalensammlung. Die Kommission sichtete den Bestand der seit 1234 verfassten Dekretalen, wählte einen Teil davon aus und überarbeitete diesen durch Kürzungen und weitgehende inhaltliche Eingriffe, so dass aus den Einzelentscheidungen allgemeine Rechtsnormen wurden. Am 3. März 1298 übersandte der Papst die neue Sammlung zusammen mit der Promulgations[[Päpstliche Bulle|bulle]] ''[[Sacrosanctae|Sacrosanctae Romanae ecclesiae]]'' an die Universitäten von [[Bologna]] und [[Universität Paris#Die alte Universität|Paris]].


== Verhältnis zu anderen Rechtsquellen ==
== Verfasser ==
In der Promulgationsbulle bezeichnete der Papst die Sammlung bereits als ''Liber Sextus'' und damit als „sechstes Buch“ des in fünf Bücher eingeteilten ''Liber Extra''. Anders als dieser wurde der ''Liber Sextus'' eindeutig promulgiert und ausdrücklich verloren zwischen 1234 und 1298 entstandene, aber nicht aufgenommene Dekretalen mit der Promulgation ihre Rechtsgültigkeit.
Auf Veranlassung von [[Bonifatius VIII.]] (1294-1303) von einer Dreierkommission verfasst, durch Wilhelm de Mandagoto (Tod 1321), [[Erzbischof]] Berengar Fredoli (1250-1323) und Richard Petronius von Siena (Tod 1314). Ihre Arbeit vollzog sich in den Jahren 1296 bis 1298.



== Geschichtlich ==
Der [[Liber Sextus]] wurde mit der [[Bulle]] sacrosanctae am 3.3.1298 durch die Versendung an die Universität Bologna von [[Bonifatius VII.]] promulgiert (alle Teile gleichzeitig).



== Abfassungsgrund ==
Die Universität [[Bologna]] ersuchte den Papst eine neue authentische Dekretalensammlung zu erlassen. Man war sich nicht mehr sicher über die Gültigkeit von kanonischen Bestimmungen.
Die Kommission wurde beauftragt die seit der Promulgation des [[Liber Extra]] (1234) erflossenen Normen zu sichten, Unklarheiten und Zwiespältigkeiten aus verschiedenen Dekretalen zu entfernen sowie den Stoff durch Entfernung überflüssiger Stellen, Lösung von Widersprüchen, Kürzungen und Veränderungen zu reinigen und für den Gebrauch zu verbessern.



Die maßgebliche Kommentierung stammt von [[Johannes Andreae (Rechtsgelehrter)|Johannes Andreae]]; sein Kommentar diente als ''[[Glossa ordinaria (Kirchenrecht)|Glossa ordinaria]]''.


== Inhalt ==
== Inhalt ==
Der ''Liber Sextus'' wurde, wie zuvor schon der ''Liber Extra'', nach den gleichen Prinzipien wie das ''Breviarium extravagantium'' des Bernhard von Pavia in fünf Bücher (mit 76 Titeln und 359 Kapiteln) eingeteilt. Rund zwei Drittel der enthaltenen Kapitel stammen aus Dekretalen Bonifatius’ VIII., die übrigen 108 aus Dekretalen der Päpste von [[Gregor IX.]] bis [[Nikolaus III. (Papst)|Nikolaus III.]] (1227–1280) sowie den Kanones des [[Erstes Konzil von Lyon|ersten]] (1254) und des [[Zweites Konzil von Lyon|zweiten Konzils von Lyon]] (1274).
Die von Penaforte stammenden Einteilungsgrundsätze wurden beibehalten.
Die Sammlung enthält 108 Dekretalen der Pontifikate von [[Gregor IX.]] bis [[Nikolaus III.]] (1227-1280) und die Kanons des 1.(1254) und 2.(1274) [[Konzils von Lyon]] sowie 251 Kapitel aus dem Gesetzgebungswerk von [[Bonifatius VIII.]] (zweidrittel der Dekretalen stammen von ihm).
Angeschlossen ist eine Kollektion von 88 Rechtsregeln (Regulae Iuris) von
[[Bonifatius VII.]] an Anlehnung an das römische Zivilrecht zusammenstellte.
Er besteht aus 5 Büchern
Der [[Liber Sextus]] ist besser gearbeitet als die Gregorianische Dekretensammlung.


Den letzten Teil (VI. 5.12) des ''Liber Sextus'' bilden 88 Rechtsregeln (''regulae iuris''), die Bonifatius VIII. in Anlehnung an das [[Römisches Recht|römische Zivilrecht]] zusammenstellen ließ. Einige sind bis heute als Rechtsregeln oder Sprichwörter bekannt, z. B. ''[[Latein im Recht#Quod omnes tangit ab omnibus approbari debet|Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet]]'' (VI. 5.12.27; dt. „Was alle angeht, dem müssen alle zustimmen.“)


== Zitierweise ==
Der ''Liber Sextus'' wird nach Buch, Titel und Kapitel mit vorgestelltem „VI“ (für „Sextus“) zitiert, z. B. VI. 1.6.17 für „17. Kapitel im 6. Titel des ersten Buchs des Liber Sextus“. Ältere Zitationen enthalten statt „VI“ Formeln wir „in Sext.“ oder „in VI°“; mittelalterliche und frühneuzeitliche Juristen zitieren die Kapitel nach deren [[Incipit]], z. B. „VI° c. Fundamento de elect.“ (= VI. 1.6.17).


== Bearbeitungsmethode ==
== Drucke und Editionen ==
* {{Literatur |Titel=Decretales D. Gregorii Papae IX. suae integritati una cum glossis restitutae ad exemplar Romanum |Verlag=In aedibus Populi Romani |Ort=Rom |Datum=1582 |Online=https://digital.library.ucla.edu/catalog/ark:/21198/zz0014rx7w?cv=28 |Abruf=2022-06-27}} [Die ''[[editio Romana]]''; wird bis heute für den Text der ''[[Glossa ordinaria (Kirchenrecht)|Glossa ordinaria]]'' verwendet.]
Die für überflüssig gehaltenen oder widersprüchliche Dekretalen schieden aus und die aufgenommenen wurden entsprechend ihren Zielen umgeformt.
* ''Liber Sextus Decretalium''. In: {{Literatur |Hrsg=Emil Friedberg |Titel=Decretalium collectiones: Decretales Gregorii P. IX., Liber sextus decretalium Bonifacii P. VIII, Clementis P. V. constitutiones, Extravagantes tum viginti Joannis P. XXII. tum communes |Reihe=Corpus Iuris Canonici |BandReihe=2 |Spalten=929-1124 |Ort=Leipzig |Datum=1881 |Online=http://www.columbia.edu/cu/lweb/digital/collections/cul/texts/ldpd_6029936_002/index.html |Abruf=2022-06-27}} [Immer noch maßgebliche Ausgabe.]
Die rechtlichen Bestimmungen wurden ins Allgemeine und Abstrakt erhoben. Es handelt sich also zum Teil um eine neue Redaktion.


== Literatur ==
* {{TRE|19|1|44|Kirchenrechtsquellen I. Katholische|[[Georg May (Theologe)|Georg May]]}}, v. a. 29–30.
* {{Literatur |Autor=[[Mathias Schmoeckel]] |Titel=Kanonisches Recht. Geschichte und Inhalt des Corpus iuris canonici: ein Studienbuch |Reihe=Kurzlehrbücher für das juristische Studium |Verlag=C.H.Beck |Ort=München |Datum=2020 |Seiten=177-178 |ISBN=9783406749100}}
* {{Literatur |Autor=[[Andreas Thier]] |Titel=Corpus Iuris Canonici |Sammelwerk=Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte |Auflage=2 |Ort=Berlin |Datum=2008 |Seiten=894-901 |Online=https://www.hrgdigital.de/HRG.corpus_iuris_canonici |Abruf=2022-05-12}}
* {{LexMA|5|1948|1948|Liber Sextus|[[Hartmut Zapp]]}}


== Weblinks ==
* [http://www.columbia.edu/cu/lweb/digital/collections/cul/texts/ldpd_6029936_002/pages/ldpd_6029936_002_00000507.html Corpus Iuris Canonici, bearb. v. Aemilius Friedberg, Emil Ludwig Richter, Teil II: Decretalium Collectiones Decretales Gregorii p. IX, Leipzig 1881, Sp. 929ff.]


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== Bezeichnung ==
Den Namen erhielt der Liber Sextus von Bonifatius VII., der die neue Sammlung als das 6. Buch in der Fortsetzung der Gregorianischen Sammlung (5 Bücher) auffasste (sie sollte nur einen vollendenden Anhang zum Liber Extra bilden).
Die Zahl „6“ ist zudem symbolisch der Begriff der Vollkommenheit (perfectio) und das wollte Bonifatius VII. mit dem Titel zudem symbolisieren.


== Rechtsverbindlichkeit ==
Es ist ein offizielles Gesetzbuch, dessen Normen in gleicher Weise wie die des Liber Extra in der Form des darin enthaltenen Textes allgemeine Rechtskraft erhielten, unbeschadet ihrer früheren Form und Verbindlichkeit. Es ist eine authentische Sammlung, was bedeutet, dass durch die Aufnahme eines Textes, es ein päpstliches Gesetz geworden ist.
Somit ist sie eine offizielle, authetische, einheitliche, universale und ausschliessliche Sammlung mit allen Konsequenzen hieraus.
Durch den [[Liber Sextus]] wurden alle Sammlungen, die seit dem [[Liber Extra]] erschienen waren, obsolet. Die Normen des [[Liber Extra]] verloren ihre Gültigkeit nur dann, wenn sie im Gegensatz zu Rechtssätzen des [[Liber Sextus]] standen. Das gleiche galt für das [[Decretum Gratiani]].
Die Dekretalen der Vorgänger des Papstes [[Bonifatius VII]]: wurden aufgehoben, sofern sie nicht im Liber Sextus enthalten waren oder darin ausdrücklich als fernerhin verbindlich reserviert wurden.
Der [[Liber Sextus]] war jedoch nicht exklusiv hinsichtlich der Dekretalen [[Bonifatius VII]]. selbst. Diese blieben rechtsverbindlich, auch wenn sie nicht im Liber Sextus angeführt waren. Die 88 regulae iuris sind nach der überwiegenden Meinung der Kanonisten ebenfalls mit Rechtskraft ausgestattet.



== Zitierweise ==
Die Zitierungsweise schliesst sich dem [[Liber Extra]] an. Durch Einschalten von „in Sexto“ (in Sext.) oder „in VI (hoch o) beziehungsweise „VI“ wird die Quelle kenntlich gemacht.
c. 1. VI, U, 7 (capitula 1 in libro Sexto, liber I titulus 7)




[[Kategorie:Kanones-Sammlung]]
== Quellen ==
[[Kategorie:Rechtsquelle (13. Jahrhundert)]]
*Geschichte des Kirchenrechts (neueste Auflage): Willibald Plöchl
[[Kategorie:Religion 1298]]
*Theologisches Realenzyklopädie: Kirchenrechtsquellen I: Georg May
*Kirchenrecht, 5. Auflage, 1983: Adalbert Erler
*Lehrbuch des Kirchenrechts, I. Band, 6. Aufl., 1951: Eichmann/ Mörsdorf
*Grundzüge des Katholischen Kirchenrechts, 1. Teil, 1924: Johann B. Haring
*Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, I. Band, 1914: Johannes Sägmüller
*Grundriss des Katholischen Kirchenrechts, 1950: Godehard Ebers
*Kirchliche Rechtsgeschichte, 4. Auflage, 1964: Hans Erich Feine

Aktuelle Version vom 26. Oktober 2024, 07:05 Uhr

Liber sextus Bonifacii VIII, 1301–1325, manuskript. Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Fondo Borghese, Borgh. 7.

Der Liber Sextus („das sechste Buch“) von 1298 war der dritte Teil des Corpus Iuris Canonici, einer mittelalterlichen Sammlung römisch-katholischen Kirchenrechts. Die Rechtssammlung ist mit Erlass des inzwischen selbst nicht mehr gültigen Codex Iuris Canonici von 1917 außer Kraft getreten.

Entstehungsgeschichte

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Angesichts des Nebeneinanders älterer kanonistischer Sammlungen, des Liber Extra (1234) und einer großen Zahl seither erlassener Dekretalen bestand trotz weiterhin Unsicherheit hinsichtlich der Gültigkeit insbesondere der jüngeren Texte und des Umgangs mit Widersprüchen zwischen allen diesen Rechtsquellen. Papst Bonifatius VIII. (1294–1303) beauftragte 1296 Wilhelm de Mandagoto († 1321), Bischof Béranger Frédol den Älteren (um 1250–1323) und Richard Petronius von Siena († 1314) mit der Zusammenstellung einer neuen Dekretalensammlung. Die Kommission sichtete den Bestand der seit 1234 verfassten Dekretalen, wählte einen Teil davon aus und überarbeitete diesen durch Kürzungen und weitgehende inhaltliche Eingriffe, so dass aus den Einzelentscheidungen allgemeine Rechtsnormen wurden. Am 3. März 1298 übersandte der Papst die neue Sammlung zusammen mit der Promulgationsbulle Sacrosanctae Romanae ecclesiae an die Universitäten von Bologna und Paris.

Verhältnis zu anderen Rechtsquellen

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In der Promulgationsbulle bezeichnete der Papst die Sammlung bereits als Liber Sextus und damit als „sechstes Buch“ des in fünf Bücher eingeteilten Liber Extra. Anders als dieser wurde der Liber Sextus eindeutig promulgiert und ausdrücklich verloren zwischen 1234 und 1298 entstandene, aber nicht aufgenommene Dekretalen mit der Promulgation ihre Rechtsgültigkeit.

Die maßgebliche Kommentierung stammt von Johannes Andreae; sein Kommentar diente als Glossa ordinaria.

Der Liber Sextus wurde, wie zuvor schon der Liber Extra, nach den gleichen Prinzipien wie das Breviarium extravagantium des Bernhard von Pavia in fünf Bücher (mit 76 Titeln und 359 Kapiteln) eingeteilt. Rund zwei Drittel der enthaltenen Kapitel stammen aus Dekretalen Bonifatius’ VIII., die übrigen 108 aus Dekretalen der Päpste von Gregor IX. bis Nikolaus III. (1227–1280) sowie den Kanones des ersten (1254) und des zweiten Konzils von Lyon (1274).

Den letzten Teil (VI. 5.12) des Liber Sextus bilden 88 Rechtsregeln (regulae iuris), die Bonifatius VIII. in Anlehnung an das römische Zivilrecht zusammenstellen ließ. Einige sind bis heute als Rechtsregeln oder Sprichwörter bekannt, z. B. Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet (VI. 5.12.27; dt. „Was alle angeht, dem müssen alle zustimmen.“)

Der Liber Sextus wird nach Buch, Titel und Kapitel mit vorgestelltem „VI“ (für „Sextus“) zitiert, z. B. VI. 1.6.17 für „17. Kapitel im 6. Titel des ersten Buchs des Liber Sextus“. Ältere Zitationen enthalten statt „VI“ Formeln wir „in Sext.“ oder „in VI°“; mittelalterliche und frühneuzeitliche Juristen zitieren die Kapitel nach deren Incipit, z. B. „VI° c. Fundamento de elect.“ (= VI. 1.6.17).

Drucke und Editionen

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  • Decretales D. Gregorii Papae IX. suae integritati una cum glossis restitutae ad exemplar Romanum. In aedibus Populi Romani, Rom 1582 (ucla.edu [abgerufen am 27. Juni 2022]). [Die editio Romana; wird bis heute für den Text der Glossa ordinaria verwendet.]
  • Liber Sextus Decretalium. In: Emil Friedberg (Hrsg.): Decretalium collectiones: Decretales Gregorii P. IX., Liber sextus decretalium Bonifacii P. VIII, Clementis P. V. constitutiones, Extravagantes tum viginti Joannis P. XXII. tum communes (= Corpus Iuris Canonici. Band 2). Leipzig 1881, Sp. 929–1124 (columbia.edu [abgerufen am 27. Juni 2022]). [Immer noch maßgebliche Ausgabe.]