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„Ludwig Poullain“ – Versionsunterschied

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Dr. h.c. '''Ludwig Poullain''' (* [[23. Dezember]] [[1919]] in [[Lüttringhausen]]) war von [[1969]] bis [[1977]] Vorstandsvorsitzender der [[WestLB]] und von [[1967]] bis [[1972]] Präsident des [[Deutscher Sparkassen- und Giroverband|Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes]] (DSGV).
'''Ludwig Poullain''' (* [[23. Dezember]] [[1919]] in [[Lüttringhausen]]; [[10. Februar]] [[2015]] in [[Münster]]<ref>{{Internetquelle|url = http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ehemaliger-chef-der-westlb-banker-ludwig-poullain-ist-tot-1.2345817|titel = Banker Ludwig Poullain ist tot|autor = Harald Freiberger|hrsg = |werk = Süddeutsche Zeitung|datum = 2015-02-11|sprache = |zugriff = 2015-02-11}}</ref>) war ein [[Deutschland|deutscher]] [[Bank]]manager. Er war von 1969 bis 1977 [[Vorstandsvorsitzender]] der [[WestLB]] und von 1967 bis 1972 Präsident des [[Deutscher Sparkassen- und Giroverband|Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes]] (DSGV).
[[File:Grab Ludwig Poullain.jpg|thumb|Das Grab von Ludwig Poullain auf dem [[Zentralfriedhof Münster]].]]


==Biografie==
== Leben ==
Ludwig Poullain wurde in Lüttringhausen, jetzt Stadt [[Remscheid]], als dritter Sohn eines Bäckermeisters geboren. Nach Abschluss des [[Realgymnasium]]s begann er 1937 eine [[Bankkaufmann|Sparkassenlehre]] bei der [[Stadtsparkasse Remscheid]]. Mit Beginn des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] 1939 wurde er Soldat; bei Kriegsende war er [[Oberleutnant]]. Ab 1950 wurde er Verbandsprüfer beim [[Rheinischer Sparkassen- und Giroverband|Rheinischen Sparkassen- und Giroverband]]. Weitere Stationen seiner Karriere waren ab 1955 Vorstandsmitglied bei der [[Stadt-Sparkasse Solingen]] und ab 1958 Vorstandsvorsitzender bei der [[Sparkasse Vest Recklinghausen|Kreissparkasse Recklinghausen]].


1964 wechselte er zur „Landesbank für Westfalen Girozentrale“ in [[Münster]], deren Generaldirektion er 1966 übernahm. Am 1. Januar 1969 vereinigte sich die Landesbank für Westfalen Girozentrale mit der „Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank“ in [[Düsseldorf]] zur [[WestLB|„Westdeutschen Landesbank Girozentrale“ (WestLB)]] mit Sitz in Düsseldorf und Münster. Damit entstand in [[Nordrhein-Westfalen]] die damals größte Bank in Deutschland. Poullain war ihr erster Vorstandsvorsitzender.
Ludwig Poullain wurde wurde am 23. Dezember 1919 in Lüttringhausen bei [[Remscheid]] als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Nach Abschluss des Realgymnasiums begann er 1937 eine Lehre als [[Bankkaufmann]] bei der [[Sparkasse Remscheid]]. Mit Beginn des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] 1939 wurde er Soldat, bei Kriegsende war er [[Oberleutnant]]. Ab 1950 wurde er Verbandsprüfer beim [[Rheinischer Sparkassen- und Giroverband|Rheinischen Sparkassen- und Giroverband]], weitere Stationen seiner Karriere waren ab 1955 Vorstandsmitglied bei der [[Sparkasse Solingen]] und ab 1958 Vorstandsmitglied bei der [[Sparkasse Recklinghausen]].


1964 wechselte er zur Landesbank für Westfalen in [[Münster (Westfalen)|Münster]], deren Generaldirektion er 1966 übernahm. 1967 wurde er zusätzlich zum Präsidenten des [[Deutscher Sparkassen- und Giroverband|Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV)]] gewählt. Am [[1. Januar]] [[1969]] vereinigte sich die Landesbank für Westfalen mit der "Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank" in [[Düsseldorf]] zur [[Westdeutsche Landesbank|"Westdeutschen Landesbank Girozentrale" (WestLB)]] mit Sitz in [[Düsseldorf]] und Münster. Damit entstand in [[Nordrhein-Westfalen]] die damals größte Bank in Deutschland. Poullain war ihr erster Vorstandsvorsitzender. 1972 tritt Poullain vom Amt des DSGV-Präsidenten zurück. Die Mehrheit der Sparkassen war seinen Ideen zur Weiterentwicklung der Sparkassenorganisation nicht gefolgt. Poullain widmete sich daraufhin dem Ausbau der Marktposition der WestLB Er stärkte vor allem das Auslandsgeschäft der Bank. Niederlassungen in [[Luxemburg]] (1972), [[London]] (1973) und [[New York City|New York]] (1975) wurden eingerichtet. Außerdem ging die WestLB in dieser Zeit zahlreiche Unternehmensbeteiligungen ein (z.B. Preussag oder Gildemeister]]. Im Zuge der Poullain-Affäre (siehe unten) trat er 1977 zurück.
Poullain widmete sich nach dem Rückzug aus der DSGV-Führung dem Ausbau der Marktposition der WestLB. Er stärkte vor allem das Auslandsgeschäft der Bank. Niederlassungen in [[Luxemburg]] (1972), [[London]] (1973) und [[New York City|New York]] (1975) wurden eingerichtet. Außerdem ging die WestLB in dieser Zeit zahlreiche Unternehmensbeteiligungen ein (z.&nbsp;B. [[Preussag]] oder [[Gildemeister AG]]). Im Zuge der Poullain-Affäre (siehe unten) trat er 1977 zurück.


Ludwig Poullain betätigte sich danach als Berater, unter anderem von [[Max Grundig]]. Später übernahm er bei mittelständischen Unternehmen Funktionen wie Generalbevollmächtigter oder, zuletzt, Aufsichtsratsvorsitzender der [[Marseille-Kliniken]] AG in Hamburg.
Ludwig Poullain betätigte sich danach als Berater, unter anderem von [[Max Grundig]]. Später übernahm er bei mittelständischen Unternehmen Funktionen wie Generalbevollmächtigter oder, zuletzt, Aufsichtsratsvorsitzender der [[Marseille-Kliniken]] AG in Hamburg. Er starb am 10. Februar 2015 im Alter von 95 Jahren in seinem Haus im westfälischen Münster.<ref>[http://www.nwzonline.de/wirtschaft/personen/eigentlich-wollte-er-musiker-werden_a_24,0,277127903.html ''Eigentlich wollte er Musiker werden...''] Nachruf in der [[Nordwest-Zeitung]] vom 10. Februar 2015 (abgerufen am 10. Februar 2015).</ref>


== Verbandstätigkeit ==
==Poullain-Affäre 1977==
1967 wurde Poullain zusätzlich zum Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) gewählt. 1972 trat er von diesem Amt zurück, weil er seine Strategie zur geschäftlichen Weiterentwicklung der [[Sparkassen-Finanzgruppe|Sparkassenorganisation]] nicht durchsetzen konnte. Sein Nachfolger beim DSGV wurde [[Helmut Geiger (Politiker, 1928)|Helmut Geiger]].


=== Karlsruher Sparkassentag 1969 ===
Am [[23. Dezember]] [[1977]] trat Ludwig Poullain vom Amt als Vorstandsvorsitzender der WestLB zurück. Zuvor war in der Öffentlichkeit ein Beratervertrag Poullains mit dem Unternehmer Franz Josef Schmidt bekannt geworden, der in der Presse als skandalös empfunden wurde. Eine Million DM hatte der Poullain aus diesem Vertrag erhalten. Der Vertrag war von ihm nicht verheimlicht und auch ordnungsgemäß versteuert worden, wie sich später herausstellte. Die WestLB sprach nach weiteren Presseveröffentlichungen am [[17. Januar]] [[1978]] eine fristlose Kündigung gegen Poullain wegen grober Pflichtverletzung aus. Der nordrhein-westfälische Finanzminister [[Friedrich Halstenberg]] (SPD) trat am selben Tag zurück. Halstenberg war Vorsitzender des WestLB-Verwaltungsrat. Es mag hier auch eine Rolle gespielt haben, dass Ludwig Poullain zuvor dem Ministerpräsidenten [[Heinz Kühn]] (SPD) gegenüber standfest geblieben war. Kühn hatte Poullain gebeten, in der Öffentlichkeit künftig kritische Sätze zur Wirtschaftspolitik des damaligen Bundeskanzlers [[Helmut Schmidt]] (SPD) zu unterlassen. Poullain verweigerte sich dem Ansinnen und pochte auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung.
Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt als DSGV-Präsident zielte seine auf dem Sparkassentag in [[Karlsruhe]] veröffentlichte und diskutierte Strategie auf eine starke und rasche Veränderung der Sparkassenorganisation. Er forderte, die Sparkassen „aus den Klauen der Bevormundung“ der Politik zu befreien. Er sah die Sparkassenorganisation klar in einem sich verschärfenden Wettbewerb mit den Banken. Der Beamtenstatus der Geschäftsleiter und weiterer Mitarbeiter sollte abgeschafft werden. Seine Ideen wurden allerdings sehr schleppend und erst Jahre später umgesetzt. Sein Rücktritt als DSGV-Präsident 1972 war eine Konsequenz aus der langsamen Umsetzung seiner Strategie.


=== Umgestaltung des Sparkassenwesens ===
Die Poullain-Affäre beschäftigte auch die Gerichte. Am [[13. Juli]] [[1979]] endete die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Erfüllung seines Abfindungsvertrags zugunsten Poullains. Im Strafverfahren wegen Betrugs und Untreue sprach ihn das Landgericht Münster am [[16. November]] [[1981]] in allen Anklagepunkten frei. Poullain habe nicht als "[[Amtsträger]]" gehandelt und den umstrittenen Beratervertrag somit schließen dürfen.
Die vorgetragene Strategie wurde und wird in der Öffentlichkeit verkürzt auf den von ihm nach eigenen Angaben nie verwendeten Satz „Opas Sparkasse ist tot“.<ref>Zu Poullains Ausspruch siehe Barbara Hillen: ''„Opas Sparkasse ist tot – oder wie ein Satz Karriere machte“''; in: Sparkasse, Heft 3/2002</ref> In den Sparkassen sollte ein Prozess professioneller und universaler Geschäftsführung in Gang kommen. Poullain stellte die Weichen in Richtung technische Modernisierung der Sparkassen und Geschäftsausweitung auf neue Produkte.


Poullain forderte später im Zusammenhang mit der Affäre um die [[Landesbank Hessen-Thüringen|Hessische Landesbank (Helaba)]], Frankfurt am Main, eine Umgestaltung des Sparkassenwesens. Private Hafteinlagen, Zusammenschlüsse zur Landessparkasse oder die Umwidmung zu einer [[Aktiengesellschaft (Deutschland)|Aktiengesellschaft]] dürften kein Tabu in der Diskussion sein.
==Ungehaltene Rede 2004==


== Poullain-Affäre 1977 ==
Im Juli [[2004]] geriet Ludwig Poullain erneut in die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse. Er sollte zur Verabschiedung des Vorstandschefs der [[NORD/LB|Norddeutschen Landesbank]] [[Manfred Bodin]] eine Rede halten. Die geplante Rede über „Bank und Ethos“ wurde kurzfristig abgesagt, nachdem der Redetext mit zahlreichen Kritikpunkten am bestehenden deutschen Bankwesen bekannt geworden war. Die ursprünglich für einen kleinen Insiderkreis geschriebene Rede wurde daraufhin unter der Überschrift „Ungehaltene Rede“ am 16. Juli 2004 in voller Länge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Die Schelte, die man unterdrücken wollte, entfaltete so eine sehr viel größere Wirkung.
1977 wurde in der Öffentlichkeit ein 1972 geschlossener [[Beratervertrag]] Poullains mit dem späteren WestLB-Kunden und Unternehmer [[Franz Josef Schmidt]] (Konstanz) bekannt. 1 Mio. [[Deutsche Mark|DM]] und später noch einmal 100.000 DM hatte Poullain aus diesem Vertrag erhalten. Nachdem Schmidts Ratio-Gruppe in Schieflage geraten war, übernahm die WestLB Ende 1976 seine Schulden in Höhe von ca. 33 Mio. DM. Seine Kreditwürdigkeit war von Ludwig Poullain selbst geprüft und bestätigt worden. Als Schmidt wegen Verdachts auf Konkursstraftaten in Untersuchungshaft kam, bezahlte die WestLB die Kaution in Höhe von 3 Mio. DM.<ref>{{Der Spiegel|ID=14341086|Titel=Kunden, denen das Wasser am Hals steht …|Autor=|Jahr=1981|Nr=26|Seiten=|Datum=1981-06-22}}</ref> Der Beratervertrag war von Ludwig Poullain nicht verheimlicht und auch ordnungsgemäß versteuert worden, wie sich später herausstellte. Allerdings hatte er die Eigentümer der WestLB nicht informiert,<ref>[http://www.zeit.de/1979/23/verurteilt-vor-dem-urteil ''Die Zeit'', 1. Juni 1979 Nr. 2]</ref> diese hatten erst durch das Ermittlungsverfahren davon erfahren.<ref>[http://www.general-anzeiger-bonn.de/incoming/Die-Affaere-Poullain-und-der-Sturz-des-Finanzministers-article106890.html Die Affäre Poullain und der Sturz des Finanzministers] vom 20. Juli 2006</ref><ref>[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40617570.html Schweigen ist Geld]</ref>


Am 23. Dezember 1977 trat Ludwig Poullain vom Amt als Vorstandsvorsitzender der WestLB zurück. Die WestLB sprach am 17. Januar 1978 eine fristlose Kündigung gegen Poullain wegen grober Pflichtverletzung aus. Der nordrhein-westfälische Finanzminister [[Friedrich Halstenberg]] (SPD) trat am selben Tag zurück. Halstenberg war Vorsitzender des WestLB-Verwaltungsrats. Im Umfeld Poullains wurde die Auffassung vertreten, dass es eine Rolle gespielt habe, dass Ludwig Poullain zuvor dem Ministerpräsidenten [[Heinz Kühn]] (SPD) gegenüber standfest geblieben war. Kühn hatte Poullain gebeten, in der Öffentlichkeit künftig kritische Sätze zur Wirtschaftspolitik des damaligen Bundeskanzlers [[Helmut Schmidt]] (SPD) zu unterlassen. Poullain verweigerte sich dem Ansinnen und pochte auf sein Recht auf [[freie Meinungsäußerung]].
==Werke==

Die Poullain-Affäre beschäftigte die Gerichte. Am 13. Juli 1979 endete die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Erfüllung seines Abfindungsvertrags zugunsten Poullains. Im Strafverfahren wegen Betrugs und Untreue sprach ihn das [[Landgericht Münster]] am 16. November 1981 in allen Anklagepunkten frei.<ref>{{Der Spiegel|ID=14348974|Titel=Der Berater war ja nun auch nicht irgendwer|Autor=|Jahr=1981|Nr=48|Seiten=|Datum=1981-11-23}}</ref> Poullain habe nicht als „[[Amtsträger]]“ gehandelt und den umstrittenen Beratervertrag somit schließen dürfen. Der Freispruch wurde später vom [[Bundesgerichtshof]] bestätigt. Allerdings sahen die Richter in dem Handeln des Angeklagten „eine objektiv unerlaubte Vorteilsannahme“. Dennoch bestätigten sie den Freispruch, da der Angeklagte subjektiv geglaubt hatte, rechtmäßig zu handeln, und somit der Tatvorsatz nicht gegeben sei. Für ähnliche künftige Fälle komme allerdings ein „Freispruch mit dieser Begründung nicht mehr in Betracht. Nach der jetzigen Entscheidung des BGH kann vielmehr für die Vorstände von öffentlich-rechtlichen Unternehmungen wie der WestLB nicht mehr zweifelhaft sein, daß sie sich strafrechtlich als Beamte bzw. Amtsträger behandeln lassen müssen.“<ref>{{Der Spiegel|ID=14019970|Titel=Eine objektiv unerlaubte Vorteilsannahme|Autor=|Jahr=1983|Nr=11|Seiten=|Datum=1983-03-14}}</ref>

== Ungehaltene Rede 2004 ==
Im Juli 2004 geriet Ludwig Poullain erneut in die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse. Er hatte sich bereit erklärt, zur Verabschiedung des Vorstandschefs der [[Nord/LB|Norddeutschen Landesbank]] [[Manfred Bodin]] einen Vortrag zu halten. Die geplante Rede über „Bank und Ethos“ wurde kurzfristig abgesagt, nachdem der Redetext mit zahlreichen Kritikpunkten am bestehenden deutschen Bankwesen bekannt geworden war und der Verfasser nicht bereit war, umstrittene Passagen zu ändern. Poullain redete dem Wert der Redlichkeit unter Bankern das Wort und zeigte in seiner [[Philippika]] den Unterschied zwischen einem „Banker“ und einem „Bankier“ auf.

Die ursprünglich für einen kleineren Kreis geschriebene Rede wurde daraufhin unter der Überschrift ''„Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes“''<ref name="faz.net">{{Internetquelle | autor = Poullain, Ludwig | url = https://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart-1/sittenverfall-im-bankwesen-ungehaltene-rede-1176741.html | titel = Ungehaltene Rede – Sittenverfall im Bankwesen | hrsg = FAZ.net | datum = 2004-07-15 | zugriff = 2015-03-04 | zitat = Statt sich mit der herrschenden Lehre der öffentlich-rechtlichen Bankinstitute zu befassen, wollte der 84 Jahre alte ehemalige Chef der Westdeutschen Landesbank bei einem Festakt am vergangenen Freitag lieber über den Sittenverfall im deutschen Bankwesen sprechen – wozu es nicht kam. Wir dokumentieren die ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes.}}</ref> am 16. Juli 2004 in voller Länge in der [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|Frankfurter Allgemeinen Zeitung]] veröffentlicht.

== Nachwirkung ==
Von Ludwig Poullain stammt die auf dem Karlsruher Sparkassentag veröffentlichte Strategie zur Öffnung der Sparkassenorganisation. Er hat mit der Umgestaltung der WestLB von einer Girozentrale zu einer international tätigen Geschäftsbank wesentlich dazu beigetragen, dass die Sparkassenorganisation den Wettbewerb mit den Groß- und [[Private Bank|Privatbanken]] sowie den [[Genossenschaftsbank]]en intensiviert hat. Die davor vorhandene Abgrenzung der Geschäftsfelder zwischen den Bankengruppen wurde aufgegeben. Die Sparkassen und Landesbanken haben gezielt Geschäftsfelder der Großbanken zu ihren eigenen gemacht. Langfristig entwickelte sich durch diese Umgestaltung und durch die spätere Öffnung der Großbanken hin zum Geschäft mit Privatkunden der Gruppenwettbewerb in der deutschen Kreditwirtschaft. Die von Poullain bereits 1969 geforderte Abschaffung der Staatshaftung für Sparkassen und Landesbanken wurde 2005 im Rahmen der [[Brüsseler Konkordanz]] umgesetzt.

== Werke ==
* ''Gefährdete Wirtschaftsordnung'', Deutsche Weltwirtschaftsgesellschaft, Berlin 1974
* ''Gefährdete Wirtschaftsordnung'', Deutsche Weltwirtschaftsgesellschaft, Berlin 1974
* ''Die Sparkassenorganisation'', Knapp, Frankfurt/M. 1972
* ''Die Sparkassenorganisation'', Knapp, Frankfurt/M. 1972
* ''Tätigkeitsbericht'', Seewald, Stuttgart-Degerloch 1979, ISBN 3-5120-0532-2 (Biographie)
* ''Tätigkeitsbericht'', Seewald, Stuttgart-Degerloch 1979, ISBN 3-5120-0532-2 (Biographie)
* ''Ungehaltene Rede'', in: ''Frankfurter Allgemeine Zeitung'' 163 (2004) vom 16. Juli 2004, S. 9
* ''[https://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart-1/sittenverfall-im-bankwesen-ungehaltene-rede-1176741.html Ungehaltene Rede]'', in: ''Frankfurter Allgemeine Zeitung'' 163 (2004) vom 16. Juli 2004, S. 9


==Literatur==
== Literatur ==
* Helmut Reuther: ''Ludwig Poullain'', Transcontact Verlag, Bonn 1973 (Menschen unserer Zeit; Bd. 19)
* Helmut Reuther: ''Ludwig Poullain'', Transcontact Verlag, Bonn 1973 (Menschen unserer Zeit; Bd. 19)


== Weblinks ==
[[Kategorie:Mann|Poullain, Ludwig]]
* [http://www.wn.de/Muenster/1877195-Frueherer-Chef-der-Landesbank-WestLB-Ludwig-Poullain-ist-gestorben Früherer Chef der Landesbank-WestLB verstorben.] In: [[Westfälische Nachrichten]] vom 10. Februar 2015
[[Kategorie:Deutscher|Poullain, Ludwig]]

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== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 1. April 2023, 20:31 Uhr

Ludwig Poullain (* 23. Dezember 1919 in Lüttringhausen; † 10. Februar 2015 in Münster[1]) war ein deutscher Bankmanager. Er war von 1969 bis 1977 Vorstandsvorsitzender der WestLB und von 1967 bis 1972 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV).

Das Grab von Ludwig Poullain auf dem Zentralfriedhof Münster.

Ludwig Poullain wurde in Lüttringhausen, jetzt Stadt Remscheid, als dritter Sohn eines Bäckermeisters geboren. Nach Abschluss des Realgymnasiums begann er 1937 eine Sparkassenlehre bei der Stadtsparkasse Remscheid. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurde er Soldat; bei Kriegsende war er Oberleutnant. Ab 1950 wurde er Verbandsprüfer beim Rheinischen Sparkassen- und Giroverband. Weitere Stationen seiner Karriere waren ab 1955 Vorstandsmitglied bei der Stadt-Sparkasse Solingen und ab 1958 Vorstandsvorsitzender bei der Kreissparkasse Recklinghausen.

1964 wechselte er zur „Landesbank für Westfalen Girozentrale“ in Münster, deren Generaldirektion er 1966 übernahm. Am 1. Januar 1969 vereinigte sich die Landesbank für Westfalen Girozentrale mit der „Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank“ in Düsseldorf zur „Westdeutschen Landesbank Girozentrale“ (WestLB) mit Sitz in Düsseldorf und Münster. Damit entstand in Nordrhein-Westfalen die damals größte Bank in Deutschland. Poullain war ihr erster Vorstandsvorsitzender.

Poullain widmete sich nach dem Rückzug aus der DSGV-Führung dem Ausbau der Marktposition der WestLB. Er stärkte vor allem das Auslandsgeschäft der Bank. Niederlassungen in Luxemburg (1972), London (1973) und New York (1975) wurden eingerichtet. Außerdem ging die WestLB in dieser Zeit zahlreiche Unternehmensbeteiligungen ein (z. B. Preussag oder Gildemeister AG). Im Zuge der Poullain-Affäre (siehe unten) trat er 1977 zurück.

Ludwig Poullain betätigte sich danach als Berater, unter anderem von Max Grundig. Später übernahm er bei mittelständischen Unternehmen Funktionen wie Generalbevollmächtigter oder, zuletzt, Aufsichtsratsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG in Hamburg. Er starb am 10. Februar 2015 im Alter von 95 Jahren in seinem Haus im westfälischen Münster.[2]

Verbandstätigkeit

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1967 wurde Poullain zusätzlich zum Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) gewählt. 1972 trat er von diesem Amt zurück, weil er seine Strategie zur geschäftlichen Weiterentwicklung der Sparkassenorganisation nicht durchsetzen konnte. Sein Nachfolger beim DSGV wurde Helmut Geiger.

Karlsruher Sparkassentag 1969

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Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt als DSGV-Präsident zielte seine auf dem Sparkassentag in Karlsruhe veröffentlichte und diskutierte Strategie auf eine starke und rasche Veränderung der Sparkassenorganisation. Er forderte, die Sparkassen „aus den Klauen der Bevormundung“ der Politik zu befreien. Er sah die Sparkassenorganisation klar in einem sich verschärfenden Wettbewerb mit den Banken. Der Beamtenstatus der Geschäftsleiter und weiterer Mitarbeiter sollte abgeschafft werden. Seine Ideen wurden allerdings sehr schleppend und erst Jahre später umgesetzt. Sein Rücktritt als DSGV-Präsident 1972 war eine Konsequenz aus der langsamen Umsetzung seiner Strategie.

Umgestaltung des Sparkassenwesens

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Die vorgetragene Strategie wurde und wird in der Öffentlichkeit verkürzt auf den von ihm nach eigenen Angaben nie verwendeten Satz „Opas Sparkasse ist tot“.[3] In den Sparkassen sollte ein Prozess professioneller und universaler Geschäftsführung in Gang kommen. Poullain stellte die Weichen in Richtung technische Modernisierung der Sparkassen und Geschäftsausweitung auf neue Produkte.

Poullain forderte später im Zusammenhang mit der Affäre um die Hessische Landesbank (Helaba), Frankfurt am Main, eine Umgestaltung des Sparkassenwesens. Private Hafteinlagen, Zusammenschlüsse zur Landessparkasse oder die Umwidmung zu einer Aktiengesellschaft dürften kein Tabu in der Diskussion sein.

Poullain-Affäre 1977

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1977 wurde in der Öffentlichkeit ein 1972 geschlossener Beratervertrag Poullains mit dem späteren WestLB-Kunden und Unternehmer Franz Josef Schmidt (Konstanz) bekannt. 1 Mio. DM und später noch einmal 100.000 DM hatte Poullain aus diesem Vertrag erhalten. Nachdem Schmidts Ratio-Gruppe in Schieflage geraten war, übernahm die WestLB Ende 1976 seine Schulden in Höhe von ca. 33 Mio. DM. Seine Kreditwürdigkeit war von Ludwig Poullain selbst geprüft und bestätigt worden. Als Schmidt wegen Verdachts auf Konkursstraftaten in Untersuchungshaft kam, bezahlte die WestLB die Kaution in Höhe von 3 Mio. DM.[4] Der Beratervertrag war von Ludwig Poullain nicht verheimlicht und auch ordnungsgemäß versteuert worden, wie sich später herausstellte. Allerdings hatte er die Eigentümer der WestLB nicht informiert,[5] diese hatten erst durch das Ermittlungsverfahren davon erfahren.[6][7]

Am 23. Dezember 1977 trat Ludwig Poullain vom Amt als Vorstandsvorsitzender der WestLB zurück. Die WestLB sprach am 17. Januar 1978 eine fristlose Kündigung gegen Poullain wegen grober Pflichtverletzung aus. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Friedrich Halstenberg (SPD) trat am selben Tag zurück. Halstenberg war Vorsitzender des WestLB-Verwaltungsrats. Im Umfeld Poullains wurde die Auffassung vertreten, dass es eine Rolle gespielt habe, dass Ludwig Poullain zuvor dem Ministerpräsidenten Heinz Kühn (SPD) gegenüber standfest geblieben war. Kühn hatte Poullain gebeten, in der Öffentlichkeit künftig kritische Sätze zur Wirtschaftspolitik des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) zu unterlassen. Poullain verweigerte sich dem Ansinnen und pochte auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Die Poullain-Affäre beschäftigte die Gerichte. Am 13. Juli 1979 endete die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Erfüllung seines Abfindungsvertrags zugunsten Poullains. Im Strafverfahren wegen Betrugs und Untreue sprach ihn das Landgericht Münster am 16. November 1981 in allen Anklagepunkten frei.[8] Poullain habe nicht als „Amtsträger“ gehandelt und den umstrittenen Beratervertrag somit schließen dürfen. Der Freispruch wurde später vom Bundesgerichtshof bestätigt. Allerdings sahen die Richter in dem Handeln des Angeklagten „eine objektiv unerlaubte Vorteilsannahme“. Dennoch bestätigten sie den Freispruch, da der Angeklagte subjektiv geglaubt hatte, rechtmäßig zu handeln, und somit der Tatvorsatz nicht gegeben sei. Für ähnliche künftige Fälle komme allerdings ein „Freispruch mit dieser Begründung nicht mehr in Betracht. Nach der jetzigen Entscheidung des BGH kann vielmehr für die Vorstände von öffentlich-rechtlichen Unternehmungen wie der WestLB nicht mehr zweifelhaft sein, daß sie sich strafrechtlich als Beamte bzw. Amtsträger behandeln lassen müssen.“[9]

Ungehaltene Rede 2004

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Im Juli 2004 geriet Ludwig Poullain erneut in die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse. Er hatte sich bereit erklärt, zur Verabschiedung des Vorstandschefs der Norddeutschen Landesbank Manfred Bodin einen Vortrag zu halten. Die geplante Rede über „Bank und Ethos“ wurde kurzfristig abgesagt, nachdem der Redetext mit zahlreichen Kritikpunkten am bestehenden deutschen Bankwesen bekannt geworden war und der Verfasser nicht bereit war, umstrittene Passagen zu ändern. Poullain redete dem Wert der Redlichkeit unter Bankern das Wort und zeigte in seiner Philippika den Unterschied zwischen einem „Banker“ und einem „Bankier“ auf.

Die ursprünglich für einen kleineren Kreis geschriebene Rede wurde daraufhin unter der Überschrift „Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes“[10] am 16. Juli 2004 in voller Länge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.

Von Ludwig Poullain stammt die auf dem Karlsruher Sparkassentag veröffentlichte Strategie zur Öffnung der Sparkassenorganisation. Er hat mit der Umgestaltung der WestLB von einer Girozentrale zu einer international tätigen Geschäftsbank wesentlich dazu beigetragen, dass die Sparkassenorganisation den Wettbewerb mit den Groß- und Privatbanken sowie den Genossenschaftsbanken intensiviert hat. Die davor vorhandene Abgrenzung der Geschäftsfelder zwischen den Bankengruppen wurde aufgegeben. Die Sparkassen und Landesbanken haben gezielt Geschäftsfelder der Großbanken zu ihren eigenen gemacht. Langfristig entwickelte sich durch diese Umgestaltung und durch die spätere Öffnung der Großbanken hin zum Geschäft mit Privatkunden der Gruppenwettbewerb in der deutschen Kreditwirtschaft. Die von Poullain bereits 1969 geforderte Abschaffung der Staatshaftung für Sparkassen und Landesbanken wurde 2005 im Rahmen der Brüsseler Konkordanz umgesetzt.

  • Gefährdete Wirtschaftsordnung, Deutsche Weltwirtschaftsgesellschaft, Berlin 1974
  • Die Sparkassenorganisation, Knapp, Frankfurt/M. 1972
  • Tätigkeitsbericht, Seewald, Stuttgart-Degerloch 1979, ISBN 3-5120-0532-2 (Biographie)
  • Ungehaltene Rede, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 163 (2004) vom 16. Juli 2004, S. 9
  • Helmut Reuther: Ludwig Poullain, Transcontact Verlag, Bonn 1973 (Menschen unserer Zeit; Bd. 19)

Einzelnachweise

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  1. Harald Freiberger: Banker Ludwig Poullain ist tot. In: Süddeutsche Zeitung. 11. Februar 2015, abgerufen am 11. Februar 2015.
  2. Eigentlich wollte er Musiker werden... Nachruf in der Nordwest-Zeitung vom 10. Februar 2015 (abgerufen am 10. Februar 2015).
  3. Zu Poullains Ausspruch siehe Barbara Hillen: „Opas Sparkasse ist tot – oder wie ein Satz Karriere machte“; in: Sparkasse, Heft 3/2002
  4. Kunden, denen das Wasser am Hals steht … In: Der Spiegel. Nr. 26, 1981 (online22. Juni 1981).
  5. Die Zeit, 1. Juni 1979 Nr. 2
  6. Die Affäre Poullain und der Sturz des Finanzministers vom 20. Juli 2006
  7. Schweigen ist Geld
  8. Der Berater war ja nun auch nicht irgendwer. In: Der Spiegel. Nr. 48, 1981 (online23. November 1981).
  9. Eine objektiv unerlaubte Vorteilsannahme. In: Der Spiegel. Nr. 11, 1983 (online14. März 1983).
  10. Poullain, Ludwig: Ungehaltene Rede – Sittenverfall im Bankwesen. FAZ.net, 15. Juli 2004, abgerufen am 4. März 2015: „Statt sich mit der herrschenden Lehre der öffentlich-rechtlichen Bankinstitute zu befassen, wollte der 84 Jahre alte ehemalige Chef der Westdeutschen Landesbank bei einem Festakt am vergangenen Freitag lieber über den Sittenverfall im deutschen Bankwesen sprechen – wozu es nicht kam. Wir dokumentieren die ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes.“