„Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau“ – Versionsunterschied
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Die '''Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau''' ereignete sich, als das [[KZ Dachau|Konzentrationslager Dachau]] am 29. April 1945 von [[United States Army|US-Truppen]] befreit wurde und amerikanische Soldaten dabei mehrere bereits gefangengenommene Angehörige der [[Schutzstaffel|SS]]-Wachmannschaft töteten. |
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'''Dachau-Massaker''' ist die Bezeichnung für ein angeblich durch [[US-Armee|US-Soldaten]] verübtes [[Kriegsverbrechen]] bei der Befreiung des [[KZ Dachau|Konzentrationslagers Dachau]] am 29. April [[1945]]. |
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Die Erschießungen bei der [[Befreiung des Konzentrationslagers Dachau|Befreiung des KZ Dachau]] wurden und werden in [[Rechtsextremismus|rechtsextremen Kreisen]] propagandistisch aufgenommen und unter dem Begriff „Dachau-Massaker“ verbreitet. Hierbei wird der Eindruck erweckt, es hätte sich um eine systematische [[Hinrichtung|Exekution]] sämtlicher deutscher Kriegsgefangenen gehandelt. Diese Auffassung stützt sich hauptsächlich auf ein Buch von Howard A. Buechner, in dem die systematische Hinrichtung von 560 Personen des SS-Wachpersonals behauptet wird. Belege dafür werden jedoch nicht genannt. Die Auswertung neu zugänglicher Quellen hingegen zeigen, dass es sich vielmehr um vereinzelte und spontane Taten handelte, hervorgerufen durch das Entsetzen über die grauenhaften Zustände im Lager und den Anblick des [[Todeszug aus Buchenwald|Todeszuges aus Buchenwald]] mit Tausenden von Leichen. [[Völkerrecht]]swidrig erschossen wurden vermutlich etwa 50 Angehörige des SS-Wachpersonals. Etwa 160 SS-Männer wurden von den Amerikanern gefangen genommen. |
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Die Zahl der bei der Befreiung getöteten Personen ist Gegenstand revanchistischer [[Geschichtsklitterung]]. Gestützt auf ein Buch des ehemaligen Militärarztes Col. '''Howard A. Buechner''' wird die systematische [[Exekution]] von 560 kriegsgefangenen deutschen Soldaten behauptet. Tatsache ist jedoch, dass im Verlauf der Befreiung 39 (gesichert) bis 50 Angehörige des Wachpersonals der [[Schutzstaffel|SS]] [[Völkerrecht|völkerrechtswidrig]] erschossen wurden. |
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{{Annotiertes Bild |image=Concentration camp dachau aerial view.jpg |image-width = 500| image-left = -50| image-top = -50| width = 400 |height = 250 |caption=Luftaufnahme des KZ Dachau<br/>2 = SS-Lazarett/Kohlenhof, 3 = Jourhaus, 6 = Wachturm B<br />(für die Legende auf das Bild klicken)}} |
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==Zustand des KZ Dachau== |
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In den letzten Kriegsmonaten waren die Zustände im Lager katastrophal. Aufgrund immer neuer Transporte von der Front war das Lager ständig überbelegt, die hygienischen Zustände waren menschenunwürdig. Ab Ende [[1944]] bis zum Tag der Befreiung starben mit 15.000 Menschen etwa die Hälfte aller Todesopfer im KZ Dachau. Am 27. April durfte '''Victor Maurer''', ein Delegierter des [[Deutsches Rotes Kreuz|Deutschen Roten Kreuzes]] das Lager betreten und Nahrungsmittel verteilen. Am Abend des selben Tages traf ein Gefangenentransport aus [[KZ Buchenwald|Buchenwald]] ein. Von ursprünglich 4480 bis 4800 Personen im Zug wurden nur 800 Überlebende ins Lager gebracht. Über 2300 Leichen wurden im und um den Zug liegen gelassen. Der letzte reguläre Kommandant des KZs, Obersturmbannführer [[Eduard Weiter]], hatte sich bereits am 26. April abgesetzt. Ihm folgte vermutlich Obersturmbannführer [[Martin Weiss]], der bereits von September 1942 bis November 1943 das Lager geleitet hatte. Am 28. oder 29. April floh auch er, das Kommando übernahm der 23jährige Untersturmführer Heinrich Wicker. Bereits am 28. April hatte SS-Standartenführer [[Kurt Becher]] vermutlich mit Weiß die Übergabe des Lagers an die Amerikaner besprochen. |
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== Zustand des KZ Dachau vor dem Ereignis == |
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Am 29. April wollte sich auch der letzte Teil der SS-Garnison um Heinrich Wicker absetzen, sie wurden jedoch von Victor Maurer zum Bleiben überredet. Maurer befürchtete den Ausbruch der Gefangenen und die Verbreitung der unter ihnen grassierenden [[Typhus|Typhusepidemie]]. Die Wachtürme des Lagers blieben besetzt, eine [[weiße Fahne]] wurde gehisst. |
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[[Datei:Dead corpses in train dachau.jpg|mini|Ein offener Waggon des ''[[Todeszug aus Buchenwald|Todeszuges aus Buchenwald]]'']] |
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Ab Ende 1944 trafen im Konzentrationslager Dachau Transporte mit Häftlingen aus bereits geräumten Lagern ein, so dass die Überfüllung des Lagers dramatische Formen annahm. Aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen und der Versorgung mit Lebensmitteln brach im November 1944 eine [[Fleckfieber]]-Epidemie aus, der mehrere tausend Häftlinge zum Opfer fielen.<ref>Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, ''Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944'', Edition Lipp 2005, S. 197</ref> Etwa 15.000 Häftlinge starben allein zwischen Ende 1944 bis zum Tag der Befreiung am 29. April 1945 an Krankheit, Unterernährung und durch die Gewalt der SS. Das war, laut [[Angelika Königseder]], fast die Hälfte der gesamten Todesopfer im KZ Dachau.<ref>Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), ''Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression'', Metropol-Verlag 2008, S. 106</ref> Bekundet und nachgewiesen sind im Konzentrationslager Dachau insgesamt 41.566 Todesfälle.<ref>Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, ''Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944'', Edition Lipp 2005, S. 206</ref> |
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Auslöser der Erschießungen von SS-Männern im Zuge der Befreiung des Konzentrationslagers war die Entdeckung des [[Todeszug aus Buchenwald|Todeszuges aus Buchenwald]].<ref name="Distel">Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, ''Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944'', Edition Lipp 2005, S. 203</ref> Dieser Zug traf im Konzentrationslager Dachau am Abend des 27. April ein. Der Schweizer Victor Maurer, ein Delegierter des [[Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung|Internationalen Komitees vom Roten Kreuz]], der am gleichen Tag das Lager betreten durfte, wurde Zeuge des Vorfalls. Er führte fünf Lastwagen mit Essensrationen mit und übernachtete im Lager.<ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 32</ref> Der Zug von 4.500 Häftlingen unter der Leitung von [[SS-Obersturmführer]] [[Hans Merbach]] brach am 7. April 1945 vom [[Bahnstrecke Weimar–Buchenwald|Bahnhof Buchenwald]] über [[Weimar]] Richtung [[KZ Flossenbürg]] auf und wurde dann nach Dachau umgeleitet. Verpflegung war nur für zwei Tage vorhanden. Der Todeszug benötigte schließlich 21 Tage, um nach Dachau zu gelangen. 2.385 Überlebende aus diesem Transport wurden in Dachau registriert. Die Zahl der Toten ist jedoch nicht mehr genau feststellbar.<ref>[Anon.]. "Einleitung: ". Band 16 Das KZ Auschwitz 1942–1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, edited by , Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2018, S. 86</ref> Verschiedene Quellen berichten, dass der Zug in der Nacht zum 28. April 1945 auf einem Stichgleis im Eingangsbereich der SS-Garnison abgestellt und mit zirka 2.300 verwesenden Leichen liegen gelassen wurde.<ref>[[Norbert Frei]], [[Sybille Steinbacher]]: ''Beschweigen und Bekennen: die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust'', Band 1 von Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Wallstein 2001, S. 12.</ref><ref>[[Wolfgang Benz]], Angelika Königseder, ''Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression'', Metropol 2008, S. 106.</ref> |
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Das Gelände in Dachau umfasste neben dem eigentlichen [[Konzentrationslager]] noch weitere SS-Einrichtungen - eine Führerschule des Wirtschafts- und Verwaltungsdienstes, die Sanitätsschule der SS und andere. Das Schutzhaftlager (also das eigentliche KZ) nahm den flächenmäßig kleineren Teil des gesamten Komplexes ein. |
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Der letzte reguläre [[KZ-Kommandant|Kommandant]] des KZs, Obersturmbannführer [[Eduard Weiter]], setzte sich, wie ebenfalls die gesamte SS-Lagerführung, am 26. April ab.<ref>Wolfgang Benz, [[Barbara Distel]], Angelika Königseder, ''Der Ort des Terrors: Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager'', Band 2, Beck 2005, S. 486.</ref> Zwei Tage später, am 28. April, übernahmen der einzige verbliebene Offizier, der 23-jährige Untersturmführer [[Heinrich Wicker]] (Kommandant des [[Hessentaler Todesmarsch]]es), und seine Einheit der [[SS-Totenkopfverbände]] von zirka 130 Mann die Bewachung des Konzentrationslagers.<ref name="Distel202">Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, ''Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944'', Edition Lipp 2005, S. 202f</ref> |
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==Angriff der US-Armee== |
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[[Bild:Dachau execution coalyard 1945-04-29.jpg|thumb|350px|Exekutionsszene im Kohlenhof]] |
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Am Morgen des 29. April erhielt das 3. Bataillon des 157. Infanterieregiments in der 45. Infanteriedivision der 7. US-Armee den Befehl, das Lager Dachau einzunehmen. Der Bataillonskommandeur Col. Felix L Sparks beauftragte die I-Company und übernahm selbst die Einsatzleitung. Gegen Mittag erreichten die Amerikaner von Westen her den Eingang der SS-Garnison. Auf der Zufahrtsstraße trafen sie auf den Zug aus Buchenwald - 39 Waggons voll mit Toten. Laut einem Untersuchungsbericht machte die [[Parole]] ''Hier machen wir keine Gefangenen!'' unter den Soldaten die Runde. Am Ende des Zuges kamen den Amerikanern vier SS-Leute entgegen, die sich ergaben. Sie wurden zum Zug geführt und vom Kompaniechef niedergeschossen. Da sie nicht sofort tot waren, feuerte ein weiterer Schütze auf die Verwundeten. |
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Am 29. April wollte sich auch der letzte Teil der SS-Garnison um Heinrich Wicker absetzen, wurde jedoch von Victor Maurer zum Bleiben überredet. Maurer befürchtete den Ausbruch der Gefangenen und die Verbreitung der unter ihnen grassierenden [[Typhus]]-Epidemie und organisierte die Übergabe des Lagers an die Amerikaner. Die Wachtürme des Lagers blieben besetzt, eine [[Parlamentärflagge|weiße Fahne]] wurde gehisst.<ref name="Distel"/> |
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Kurz darauf erreichten die Soldaten die in Nähe des Eingangs gelegenen [[Lazarett]]gebäude. Mindestens 100 [[Deutsche]] wurden aus dem Lazarett geholt, darunter auch Frauen. Der Kompaniechef ordnete die Selektion der SS-Leute an, ein polnischer Häftling half bei der Identifizierung. Die 50 bis 75 abgesonderten SS-Wachen wurden in einen nicht einsehbaren Kohlenhof geführt und an einer Mauer aufgestellt. Ein [[Maschinengewehr]] wurde aufgebaut, der Kompaniechef ordnete die Vorbereitung der Exekution an. Aus nicht genau geklärten Gründen eröffnete der MG-Schütze das Feuer, drei oder vier andere US-Soldaten schlossen sich an. Die Getroffenen fielen zu Boden, viele der Unverwundeten ließen sich ebenfalls fallen. Nur wenige SS-Männer blieben mit erhobenen Händen stehen. Aufgrund einer [[Ladehemmung]] am MG dauerte die Schießerei nur wenige Sekunden, kurz darauf erschien Col. Sparks und ordnete die Einstellung der Aktion an. Die Unverletzten wurden in der Dachauer Altstadt inhaftiert, 15 bis 16 Mann blieben tot zurück. |
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[[Bild:Dachau wachtower b 1945-04.jpg|thumb|left|250px|Tote SS-Wachen am Wachturm B]] |
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Beim weiteren Vormarsch in Richtung Lager kam es zu vereinzelten [[Scharmützel]]n mit fliehenden SS-Leuten. Auch bei der Einnahme der Wachtürme gab es Schusswechsel. Der letzte besetzte Turm war der Wachturm B nördlich des Jourhauses. Die Amerikaner näherten sich ohne beschossen zu werden in zwei Gruppen. Ein Soldat feuerte eine Salve in den Turm, woraufhin sich die Wachmannschaft ergab. Die Gefangenen wurden in Zweierreihe aufgestellt. Die darauf folgenden Ereignisse konnten nie mit Sicherheit aufgeklärt werden. Tatsache ist jedoch, dass die Soldaten das Feuer auf die Gefangenen eröffneten. Am Wachturm wurden später sechs Tote gefunden, drei weitere im [[Würm (Bayern)|Würmkanal]]. Auf dem Abmarsch entlang des Kanals wurden nochmals acht Gefangene erschossen. Zeugen berichteten davon, dass ein [[GI (Soldat)|GI]] einen SS-Mann aus nächster Nähe niederschoss, es blieb jedoch unklar, ob es sich um einen Angehörigen der Turmbesatzung oder ein separates Opfer handelte. In einem Untersuchungsbericht wurde zu den Vorfällen geschrieben: ''"Der ganze Vorfall schmeckt nach einer Exekution, ähnlich den anderen Vorfällen, die in diesem Bericht beschrieben werden."''. |
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== Die Befreiung des Konzentrationslagers durch die US-Armee == |
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Auch die Häftlinge nahmen Rache an SS-Leuten, [[Kapo]]s und [[Kollaboration|Kollaborateur]]en. Nach Schätzungen der 7. US-Armee wurden in den ersten 24 Stunden nach der Befreiung 25 bis 50 Personen von Häftlingen ermordet. Auch einige Tage nach der Befreiung fanden noch Vergeltungsakte statt. So wurde am 2. Mai einem Wachsoldat der L-Company von einigen Häftlingen das Gewehr entrissen, die damit zwei angebliche SS-Leute erschossen. |
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Im Vorfeld der Ereignisse, am 25. April 1945, dem Tag, an dem die [[alliierte]]n Truppen sich zum Übergang über die [[Donau]] bereit machten, gab es einen Vorschlag im Alliierten Oberkommando zur Befreiung des Konzentrationslagers. Frank J. McSherry, der Stellvertretende Chef des Civil Affairs/Military Government Stabes von SHAEF (G5) schlug eine Luftlandeoperation vor. Das Lager sollte umstellt, befreit und bis zur Ankunft der Bodentruppen gehalten werden. Hierdurch sollten drohende [[Massaker]] an den Häftlingen vereitelt und zugleich die verantwortlichen Täter festgesetzt werden. Der Vorschlag fand im Alliierten Oberkommando ein geteiltes Echo und wurde letztendlich nicht umgesetzt. Zum einen, weil eingeschätzt wurde, dass eine Luftlandeoperation logistisch zu riskant sei, und zum anderen, weil befürchtet wurde, die Aktion könne einen Massenmord an den Gefangenen eher verursachen, als ihn zu verhindern. Frank J. McSherry hielt an seinem Vorhaben fest, schickte jedoch das [[Memorandum]] nicht weiter. Seine Notizen vermerkten: „nicht abgesandt (Dachau zu rasch genommen)“.<ref>[[Klaus-Dietmar Henke]]: ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 864–866.</ref> |
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[[Datei:Kz dachau liberation person.jpg|mini|SS und US-Soldaten bei der Übergabe des Lagers. Von links: SS-Mann, Heinrich Wicker (größtenteils verdeckt), Paul Levy, Victor Maurer (mit dem Rücken zur Kamera), Gen. Linden (mit Netzhelm) und andere US-Soldaten]] |
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Die Vorgänge um die Befreiung des Lagers wurden von einer Kommission unter Assistant Inspector General Joseph M. Whitaker untersucht. Die Anzahl der mit Sicherheit völkerrechtswidrig von US-Soldaten getöteten Gefangenen beläuft sich auf 39 Personen, die Maximalzahl wird auf 50 geschätzt. Die Kommission empfahl die Eröffnung von fünf [[Militärgericht|Kriegsgericht]]sverfahren wegen [[Mord]]es, eines Pflichtverletzungsverfahren gegen Howard Buechner und die Erteilung einer Rüge. |
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Der Vorstoß nach Dachau wurde von der [[45th Infantry Division (Vereinigte Staaten)|45th Infantry Division]] (der das 157. Infanterieregiment unterstellt war) und der [[42nd Infantry Division (Vereinigte Staaten)|42nd Infantry Division]] ausgeführt (welche die Hauptlast des Vorstoßes der [[United States Army Europe and Africa|Seventh United States Army]] in Richtung [[München]] und [[Salzburg]] trug). Die Grenze zwischen beiden Divisionen lief quer durch das Konzentrationslager.<ref>Klaus-Dietmar Henke, ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 916.</ref> |
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Während des Vormarsches auf München, am Morgen des 29. April, erhielt das 3. Bataillon des 157th Infantry Regiment in der 45th Infantry Division den Befehl, das Lager Dachau einzunehmen. Der Bataillonskommandeur Lieutenant Colonel Felix L. Sparks beauftragte die I-Company und übernahm selbst die Einsatzleitung. Kurz vor Mittag erreichten die Amerikaner von Westen her das Areal des riesigen SS-Lagers, in dem das Konzentrationslager selbst nur einen kleinen Teil ausmachte.<ref>Klaus-Dietmar Henke, ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 917.</ref> Auf der Zufahrtsstraße trafen sie auf den Todeszug aus Buchenwald: ungefähr 39 Waggons voll mit Toten.<ref>Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), ''Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression'', Metropol-Verlag 2008, S. 110</ref> |
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==Legendenbildung== |
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In Berichten ehemaliger Häftlinge werden die Erschießungen von SS-Mitgliedern am Rande erwähnt. Um die Zustände im KZ Dachau zu relativieren und zu verharmlosen, wurden die Schicksale der Lagerwachen von [[Revisionismus|revisionistischen]] Autoren in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gerückt. Ziel dieser Werke war es, Kriegsverbrechen als „Normalität“ bzw. die amerikanischen Soldaten direkt als Killer und grausame Kreuzzügler darzustellen. Der erste Autor, der die Vorgänge bei der Befreiung des KZ Dachau thematisierte, war der ehemalige SS-Mann [[Erich Kern]]. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr der ehemalige Divisionsarzt Howard Buechner. Sein [[1986]] erschienenes Buch ''Dachau: The Hour of the Avenger.'' bildet die wesentliche Basis für die bestehende Legende von der Exekution des gesamten im Lager angetroffenen SS-Personals. Durch die [[1992]] freigegebenen Untersuchungsakten Whitakers und eine von ''John H. Linden'' aufgebaute Quellensammlung konnten Buechners Behauptungen widerlegt werden. |
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Während Sparks’ I-Company kämpfend weiter Richtung SS-Gelände vorrückte, traf gegen 15:00 Uhr<ref name="Distel"/> eine Patrouille des zur [[42nd Infantry Division (Vereinigte Staaten)|42nd Infantry Division]] ''(Rainbow Division)'' gehörenden 222nd Infantry Regiment, drei Jeeps unter Führung des stellvertretenden Divisionskommandeurs Brigadegeneral Henning Linden, am Haupttor des Konzentrationslagers ein.<ref name="Henke918">Klaus-Dietmar Henke, ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 918.</ref> Linden, dessen Einheit vormittags die Stadt [[Dachau]] eingenommen hatte, wurde durch den belgischen Kriegsberichterstatter Paul Levy auf das nahe gelegene Konzentrationslager aufmerksam gemacht. Die Gruppe wurde von dem Fotografen Raphael Algoet und der Kriegsberichterstatterin [[Marguerite Higgins]] begleitet und betrat das Lager ebenfalls von Westen her auf Höhe des Todeszuges, wandte sich jedoch direkt in Richtung Haupteingang des Konzentrationslagers. Dort trafen sie auf Victor Maurer, in Begleitung von Heinrich Wicker, welche die Übergabeverhandlungen mit den Amerikanern führen wollten.<ref name="Benz117">Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), ''Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression'', Metropol-Verlag 2008, S. 117</ref> Vor dem [[Jourhaus (KZ Dachau)|Jourhaus]] trafen zudem die Mitglieder beider US-Verbände aufeinander.<ref name="Distel202"/> Linden, der die Übergabe des Konzentrationslagers durch Wicker annahm und das Haupttor für die Reporter öffnen lassen wollte, geriet mit Sparks in einen kurzen Kompetenzstreit, den Sparks für sich entschied. Sparks hatte strikten Befehl, das Lager zu sichern und bis zur Ankunft von [[Displaced Person|DP]]-Teams, medizinischem Personal und Spezialisten der ''War Crimes Commission'' niemanden hinein-, aber auch keinen Häftling hinauszulassen. Daran musste sich Linden halten.<ref name="Henke918"/> |
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===Erich Kern=== |
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Der ehemalige Untersturmführer der [[SS]] [[Erich Kern]] (eigentlich ''Erich Kernmayr'') veröffentlichte [[1964]] ein revisionistisches Werk unter dem Titel ''Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten.'', desweiteren [[1971]] das Buch ''Meineid gegen Deutschland. Eine Dokumentation über politischen Betrug.''. In diesen Publikationen zitierte Kernmayr die Aussage des Oberscharführers ''Hans Linberger'', der zum Zeitpunkt der Lagerbefreiung als schwerversehrter Ersatzmann im KZ Dienst tat. Linberger gehörte zu den Personen, die im Kohlenhof zur Exekution aufgestellt wurden, kam aber unverletzt davon. Seiner Aussage nach blieben bei der Exekution 12 Mann tot zurück. Der Bericht Linbergers gilt - aus dem rechtsradikalen Kontext von Kerns verharmlosenden Text entnommen - als glaubwürdig. Seine Schilderungen widerlegen die von rechten Autoren oft unkritisch gemachten Annahmen, dass sämtliche SS-Leute im Lager hingerichtet worden seien. |
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== Erschießungen von SS-Männern == |
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===Howard Buechner=== |
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Die während der Befreiung des Dachauer Konzentrationslagers erfolgten Ereignisse konnten nie vollständig rekonstruiert oder aufgeklärt werden. Fest steht, dass es beim Vorrücken der 45. US-Infanterie-Division ''Thunderbird'' auf das Lager zu Schusswechseln mit SS-Einheiten und auch zu Exekutionen von SS-Angehörigen gekommen ist.<ref name="Distel202"/> In der offiziellen Dokumentation des Dachauer Konzentrationslagers werden die Exekutionen wie folgt dargestellt: |
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Col. Howard A. Buechner war als leitender medizinischer [[Offizier]] der 45. Infanteriedivision bei der Befreiung des KZ Dachau vor Ort. Er veröffentlichte [[1986]] das Buch ''Dachau. The Hour of the Avenger''. Seinen Schilderungen zufolge wurden bei der Lagerbefreiung 560 Kriegsgefangene exekutiert. Nach seiner Darstellung wurden von dem 1977 verstorbenen 1st Lt. ''Jack Bushyhead'' 346 Mann im Kohlenhof erschossen. Weiterhin habe ein Gefreiter namens ''Birdeye'' 12 Personen erschossen. Weiter rechnete er 122 an Ort und Stelle erschossene Gefangene, 40 von Häftlingen getötete [[Wache]]n, 30 im [[Gefecht]] gefallene SS-Männer und 10 erst entkommene und später gefasste Personen zusammen. Da Buechner sowohl [[Augenzeuge]] als auch Angehöriger der US-Streitkräfte war, wurde sein Buch in der rechten Szene als unzweifelhafter Beleg für das [[Massaker]] in Dachau rezipiert und bildet die wesentliche Basis für die [[Legende]] des Massenmordes. Aufgrund des Untersuchungsberichts von Joseph Whitaker konnten seine Angaben jedoch widerlegt werden. Buechners Motivation wird anhand des Untersuchungsberichtes deutlich, der die Eröffnung eines Kriegsgerichtsverfahrens wegen Pflichtverletzung gegen ihn empfahl. Dieses Ergebnis kam aufgrund der Tatsache zustande, dass Buechner den [[Opfer]]n der Schießerei im Kohlenhof keine Hilfe leistete. In seinem Buch begründete er diesen Umstand damit, dass wütende Häftlinge die noch lebenden Deutschen mit [[Revolver]]n erschossen hätten. Außer Buechners Bericht gibt es jedoch keine weiteren Quellen dafür. Die Zahl von 560 SS-Leuten entnahm er einer [[Publikation]] des Journalisten [[Nerin Gun]], dessen Angaben jedoch als unzuverlässig gelten. Nach Gun wurde die Zahl bei einem Morgenappell durch einen Leutnant ''Heinrich Skodzensky'' festgestellt. Ein Mann mit diesem Namen konnte jedoch nie ermittelt werden, vermutlich ist er identisch mit Heinrich Wicker. Ausgehend von der Gesamtzahl 560 rechnete Buechner 122 Personen (Eine ''Gesamt''zahl, die vom Army-Photographen ''George Stevens Jr.'' genannt wurde), die 40 von Häftlingen erschlagenen, 30 gefallene, 10 geflohene und 12 von PVT Birdeye getötete Lagerwachen zusammen. Die zur Gesamtzahl fehlende Menge schlug Buechner der [[Exekution]] im Kohlenhof zu, die seiner Aussage nach von Lt. Bushyhead hauptverantwortlich durchgeführt worden sein soll. Buechner behauptete weiter, Bushyhead hätte ihm gegenüber auf die Frage nach dem Grund der Erschiessung die Zustände im Lager und beim [[Krematorium]] angegeben. Tatsache ist jedoch, dass die US-Soldaten das Schutzhaftlager zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erreicht hatten. Mit dem Abschieben der Hauptschuld auf Bushyhead und weiteren Aussagen, die sich nach den Vernehmungsprotokollen Whitakers als falsch herausgestellt haben (z.B. sollen deutsche Ärzte ein Hilfsangebot Buechners ausgeschlagen haben), stellte sich Buechners eigene Rolle bei dem Vorfall natürlich deutlich positiver dar. |
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{{Zitat|Einige amerikanische Soldaten waren durch den Anblick des Todeszuges so außer sich geraten, daß sie eigenmächtig begannen, gefangengenommene SS-Leute hinzurichten. Als der Bataillonskommandeur, Felix L. Sparks, beobachtete, was vor sich ging, stoppte er die Exekution sofort. Insgesamt wurden etwa 50 SS-Angehörige während der Befreiung getötet.<ref name="Distel202"/>}} |
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===Die Rolle von General Patton=== |
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In seinem ''Avenger'' behauptete Buechner, General [[George S. Patton]], der seinerzeitige Militärgouverneur von [[Bayern]] hätte das Untersuchungsverfahren gegen die Beteiligten der Exekutionen persönlich niedergeschlagen und die Unterlagen verbrannt. Dies wird in rechten Kreisen als Beleg dafür gewertet, dass solche Kriegsverbrechen von höchster Stelle gedeckt und gutgeheißen wurden. Tatsache ist, dass die Stellungnahme durch ''Alexander McCarrell Patch'', den Kommandanten der 7. US-Armee, bestrebt war, die Vorfälle herunterzuspielen. So wurden lediglich die Erschießungen am Leichenzug als völkerrechtswidrig anerkannt, bei allen anderen - insbesondere die Exekutionen im Kohlenhof und am Schutzhaftlager - wurde die Darstellung der Beschuldigten adaptiert, dass es sich um die Verhinderung von [[Flucht]]versuchen gehandelt habe. Letztlich blieben die Täter unbehelligt, ein Verfahren hat nie stattgefunden. Die Legende um Patton resultiert aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Untersuchungsverfahren, das General Linden gegen Col. Sparks nach ihrem Zusammenstoß am Eingang des [[Schutzhaftlager]]s in Gang gebracht hatte. Patton schlug aufgrund seiner Wertschätzung Sparks' dieses Verfahren nieder, die Exekutionen waren allerdings nicht Bestandteil desselben. |
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[[Datei:Dachau execution coalyard 1945-04-29.jpg|mini|Exekution von SS-Bewachungstruppen durch US-Soldaten im Kohlenhof]] |
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==Personalia== |
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Der Historiker [[Jürgen Zarusky]] wertete neuere zugängliche Quellen aus, insbesondere Kopien von Ermittlungsunterlagen des Assistant Inspector General der 7th Armee Joseph M. Whitaker, die im Sommer 1992 freigegeben wurden, sowie weitere Unterlagen aus dem Nachlass von General Linden, die erlaubten, ein detaillierteres Bild der Ereignisse zu zeichnen.<ref name="Zarusky30">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 30</ref> Demnach handelte es sich bei den Erschießungen um verschiedene, schnell ablaufende Vorgänge, die in einem weitläufigen und unübersichtlichen Gelände stattgefunden haben.<ref name="Zarusky52f">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 52f</ref> Im Zuge der Einnahme des Konzentrationslagers wurden, so Zarusky, nach „einigermaßen gesicherten“ Erkenntnissen von amerikanischen Soldaten völkerrechtswidrig 39 SS-Männer getötet.<ref name="Zarusky52f"/> Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Vorfälle: |
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===US-Armee=== |
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General [[George Patton]], Militärgouverneur von Bayern |
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*7. US-Armee unter General ''Alexander McCarrell Patch'' |
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**Assistant Inspector General Lt. Col. ''Joseph M. Whitaker'', Leiter der Untersuchungskommission bei der 7. US-Armee |
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**VII Korps |
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***42. Infanteriedivision US-Army |
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****222. Infanterieregiment unter Brigadegeneral ''Henning Linden'' |
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***45. Infanteriedivision |
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****157. Infanterieregiment |
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*****3. Bataillon |
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*****Col. ''Felix L. Sparks'', Bataillonskommandeur |
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******I Company |
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*******Kompaniechef (Nachname nur als ''W.'' bekannt, Dienstgrad Lt.) |
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*******MG-Schütze (Nachname nur als ''C.'' bekannt), beteiligt an der Exekution im Kohlenhof |
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*******1st Lt. ''Jack Bushyhead'', beteiligt an der Exekution im Kohlenhof |
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*******Schütze (Name nur als ''P.'' bekannt), beteiligt an der Exekution am Zug |
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*******PV ''Birdeye'' |
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****Col. ''Howard A. Buechner'', Militärarzt und leitender medizinischer Offizier der Division |
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* Der erste Vorfall ereignete sich gleich zu Beginn der Einnahme des Konzentrationslagers unmittelbar am Todeszug. Unter dem Schock, den der Anblick des Zuges voller Leichen auslöste, erschoss der Chef der I-Kompanie des 157. Infanterieregiments Leutnant Bill Walsh zusammen mit einem anderen Soldaten 4 SS-Männer, die sich bereits ergeben hatten.<ref name="Zarusky52f"/> |
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===Personal der SS=== |
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*Obersturmbannführer ''Eduard Weiter'', Lagerkommandant bis 26. April 1945 |
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*Obersturmbannführer ''Martin Weiß'', Lagerkommandant Sept. 1942 - Nov. 1943, vermutlich Lagerleiter 26. bis 28./29. April 1945 |
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*SS-Standartenführer ''Kurt Becher'', am 28. April in Dachau um die Übergabe des Lagers an die Amerikaner zu besprechen. |
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*Untersturmführer ''Heinrich Wicker'', Lagerkommandant am 29. April. Schicksal unklar, evtl. exekutiert von einem Major der US-Streitkräfte |
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*Oberleutnant ''Heinrich Skodzensky'', vermutlich identisch mit Wicker |
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* Ein größerer Vorfall ereignete sich im weiteren Verlauf des Eindringens der I-Kompanie in das SS-Lager am Kohlenhof, wo ebenfalls auf Veranlassung des Kompaniechefs Walsh weitere 16 SS-Männer erschossen wurden.<ref name="Zarusky52f"/> Walshs Einheit stieß beim Eingang des Konzentrationslagers auf das SS-[[Lazarett]], wo sie mindestens 100 Deutsche, darunter auch Frauen, auf die Straße holten. Auf Befehl von Walsh wurden laut Zeugenaussagen zwischen 50 und 75 SS-Männer von den übrigen Gefangenen abgesondert und an die Wand des Kohlenhofs aufgestellt.<ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 37</ref> Dies ist auch die Szene, die als Zeitdokument fotografisch festgehalten wurde und in der wenig später der Bataillonskommandeur Felix L. Sparks hinzustieß und die Exekutionen stoppte. |
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==Siehe auch== |
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[[Datei:Killed SS Cammo Dachau.jpg|mini|Tote SS-Bewacher am Wachturm B]] |
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*zum Konzentrationslager Dachau: [[KZ Dachau]] |
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*zur Erläuterung der verwendeten SS-Dienstgrade: [[Organisationsstruktur der SS#Dienstgrade der SS|Dienstgrade der SS]] |
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*zur Erläuterung der verwendeten US-Dienstgrade: [[Dienstgrade_in_der_US-Armee#Hierarchie|Dienstgrade der US-Armee]] |
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* Im nahe gelegenen Fernheizwerk wurde ein SS-Mann von Häftlingen in Anwesenheit amerikanischer Soldaten erschlagen.<ref name="Zarusky52f"/> |
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==Zitate== |
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*''Eben höre ich noch, dass erregte Häftlinge den Soldaten die Maschinenpistolen aus den Händen rissen und SS-Männer erschossen, die mit erhobenen Händen hinter dem elektrischen Drahtzaun standen.'' (Edgar Kupfer-Koberwitz, bezieht sich auf den Vorfall mit der Turmbesatzung) |
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*''You would not have come to here to do that. That is not the American way of fighting.'' (Aussage eines US-Lieutenants aus Whitakers Vernehmungsprotokollen, nach Zarusky) |
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* Beim zweiten größeren Vorfall wurde während des Vormarsches von SS-Wachpersonal und Häftlingen entlang des Lagerzauns die gesamte Besatzung des Wachturms B in zwei Aktionen kurz nacheinander getötet. Dies betraf 17 SS-Männer, die sich zuvor ergeben hatten.<ref name="Zarusky52f"/> |
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==Literatur== |
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*Jürgen Zarusky: ''That is not the American Way of Fighting'. In: Dachauer Hefte 13 - Gericht und Gerechtigkeit, S. 27-55, Verlag Dachauer Hefte, Dachau 1997 |
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*Edgar Kupfer-Koberwitz: ''Dachauer Tagebücher''. Kindler-Verlag, München 1997 |
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*Erich Kern: ''Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten''. Göttingen 1964 |
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*Howard A. Buechner: ''Dachau: The Hour of the Avenger''. Metairie, Louisiana 1986 |
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* Schließlich wurde im Bereich des Jourhauses ein weiterer SS-Mann, der sich ergeben hatte, von einem GI erschossen.<ref name="Zarusky52f"/> |
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[[Kategorie:Kriegsverbrechen]] |
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[[Kategorie:Zweiter Weltkrieg]] |
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[[Kategorie:Dachau]] |
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Der Verbleib von Heinrich Wicker ist bis heute ungeklärt. Er wurde zuletzt am Todeszug zusammen mit Victor Maurer abgelichtet, nachdem General Linden ihn dort zur Rede gestellt hatte. Danach fehlt jede Spur von ihm.<ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 50</ref> |
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[[en:Dachau massacre]] |
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[[fr:Massacre de Dachau]] |
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Nach Schätzungen der 42. Division wurden in den ersten 24 Stunden nach der Befreiung des Konzentrationslagers zusätzlich mindestens 25, vielleicht auch 50 SS-Männer von Häftlingen getötet.<ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 51</ref> Laut Whitakers Bericht wurden ungefähr 160 SS-Männer gefangen genommen.<ref name="Zarusky52f"/> |
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== {{Anker|Buechner}} Untersuchung der Erschießungen == |
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Drei Tage nach den Ereignissen im Konzentrationslager, am 2. Mai 1945, erhielt Generalinspektor Joseph M. Whitaker Anweisungen des Hauptquartiers der 7. Armee, Ermittlungen zu den Vorgängen durchzuführen. Tags darauf begann Whitaker seine akribischen Untersuchungen vor Ort und verfasste dazu mehr als 160 Seiten, darunter ein Wortprotokoll seiner Befragungen mit 960 Fragen an 38 vereidigte Zeugen, einen Abschlussbericht und eine Aktennotiz mit Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.<ref name="Zarusky30"/> |
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Am 8. Juni 1945 legte Whitaker seinen auf umfangreichen und gründlichen Ermittlungen beruhenden Bericht vor.<ref name="Zarusky53">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 53</ref> Whitaker empfahl die Eröffnung von [[Militärgericht|Kriegsgerichtsverfahren]] wegen Mordes gegen Kompaniechef Walsh und vier weitere Soldaten sowie ein Verfahren wegen Pflichtverletzung gegen den Militärarzt Howard Buechner, der den vorgefundenen Verwundeten keine medizinische Hilfe geleistet hatte.<ref name="Zarusky53"/> Allerdings versuchte das Hauptquartier der 7. Armee unter General Alexander Patch die Ergebnisse von Whitakers Bericht in einer Stellungnahme herunterzuspielen, so Zarusky.<ref name="Zarusky54">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 54</ref> Nur der erste Vorfall direkt am Todeszug wurde anerkannt. Die Vorgänge am Kohlenhof und am Wachturm B wurden als Verhinderung eines Ausbruchsversuchs der Gefangenen bzw. als Kampfhandlungen interpretiert. Auch wurde Whitaker parteiisches Vorgehen sowie ein fehlendes Verständnis für die Situation der Soldaten vorgeworfen, die während der Befreiung mit verstörenden Schrecken konfrontiert gewesen seien.<ref name="Zarusky54"/> |
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Letztendlich gab es nie ein amerikanisches Verfahren wegen der Tötungen während der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.<ref name="Zarusky54"/> Zwar sei festzuhalten, so der Befund des Historikers Zarusky auf Basis der neueren Quellen, „dass es sich bei den Tötungen durch US-Soldaten um Exzesstaten einzelner oder kleiner Gruppen handelte, die nicht auf [[Handeln auf Befehl|höheren Befehl]] erfolgten“.<ref name="Zarusky53"/> Die Gefangenenerschießungen „werfen zweifellos einen Schatten auf die US-Army“. Diese Taten, so Zarusky, hätten nichts zur Befreiung des Konzentrationslagers beigetragen, sondern hätten völkerrechtliche Normen und auch amerikanisches Recht verletzt.<ref name="Zarusky54"/> |
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== Rezeption == |
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Die Erschießungen von SS-Männern während der Befreiung des Konzentrationslagers werden in einer Reihe von Häftlingserinnerungen erwähnt, jedoch meistens nur am Rande.<ref name="Zarusky27f">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 27f</ref> |
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In der rechtsextremen Polemik gegen die [[KZ-Gedenkstätte Dachau]], so der Historiker Zarusky, spielen diese Vorfälle jedoch eine zentrale Rolle, da sich in kaum einem anderen historischen Ereignis „der wahre Charakter des Dritten Reiches und die politisch-moralische Rechtfertigung des alliierten Sieges über das nationalsozialistische Deutschland so sehr verdichtete wie bei der Befreiung des Konzentrationslagers“. In diesen Publikationen versucht man die Verurteilung des [[Nationalsozialismus]] zu relativieren, indem der Eindruck erweckt wird, Kriegsverbrechen seien eine normale und gleichmäßig verteilte Erscheinung des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] gewesen, oder versucht wird, den Spieß umzudrehen, indem man amerikanische Soldaten zu „US-Killern“ und „Kreuzzüglern“ erklärt, die ein Massaker an mehreren hundert wehrlosen SS-Männern begangen hätten.<ref name="Zarusky27f"/> |
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=== Rechtsextreme Legendenbildung === |
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Der erste Autor revisionistischer Literatur, der die Erschießungen von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau aus propagandistischen Motiven heraus behandelte, war der frühere SS-Untersturmführer [[Erich Kern]] (eigentlich ''Erich Kernmayr'').<ref name="Zarusky27f"/> Er veröffentlichte 1964 ein revisionistisches Werk unter dem Titel ''Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten'' und 1971 das Buch ''Meineid gegen Deutschland. Eine Dokumentation über politischen Betrug''. In diesen Publikationen zitierte Kern – im rechtsradikalen Kontext einer verharmlosenden und die Häftlinge diskreditierenden Darstellung des Konzentrationslagers – die Aussage des Oberscharführers Hans Linberger, der zum Zeitpunkt der Lagerbefreiung als schwerversehrter Ersatzmann im KZ Dienst tat. Linberger gehörte zu den Personen, die im Kohlenhof zur Exekution aufgestellt wurden, kam aber unverletzt davon. Laut seiner Aussage blieben nach der Exekution zwölf Mann tot zurück. Der Bericht Linbergers gilt als glaubhaft. Seine Schilderungen widerlegen die häufig von rechten Autoren aufgestellte Behauptung, dass sämtliche SS-Leute im Lager von den Amerikanern erschossen worden seien. So behauptete etwa 1981 [[Alfred Schickel]] in einer seiner Publikationen<ref name="Zarusky27f"/> auf der Grundlage der Interpretation eines Fotos, dass die Amerikaner ungefähr 300 SS-Männer erschossen hätten.<ref name="Zarusky29">Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 29</ref> |
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Die Legende einer systematischen Ermordung sämtlicher im Lager angetroffenen SS-Männer, des sogenannten „Dachau-Massakers“, stützte sich hauptsächlich auf eine Veröffentlichung von Howard Buechner, der bei der Befreiung des KZ Dachau als Divisionsarzt der 45. US-Infanteriedivision vor Ort war und in seinem 1986 erschienenen Buch ''Dachau: The Hour of the Avenger'' behauptete, bei der Lagerbefreiung seien 560 Kriegsgefangene exekutiert worden. Nach seiner Darstellung wurden von dem 1977 verstorbenen 1st Lt. Jack Bushyhead 346 Mann im Kohlenhof erschossen. Weiterhin habe ein Gefreiter namens ''Birdeye'' 12 Personen erschossen. Hinzu rechnete er 122 an Ort und Stelle erschossene Gefangene, 40 von Häftlingen getötete Wachen, 30 im Gefecht gefallene SS-Männer und 10 zunächst entkommene und später gefasste Personen. Da Buechner sowohl Augenzeuge als auch Angehöriger der US-Streitkräfte war, wurde sein Buch in der rechten Szene als unzweifelhafter Beleg für die Massenexekutionen gewertet und bildet die wesentliche Basis für die Massenmord-Legende. |
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Buechners Buch wurde schon kurz nach Erscheinen in der deutschen rechtsextremen Szene rezipiert und von [[Ingrid Weckert]] in der [[Geschichtsrevisionismus|geschichtsrevisionistischen]] Zeitschrift ''[[Hohenrain-Verlag#Tochterunternehmen und organisatorische Verbindungen|Deutschland in Geschichte und Gegenwart]]'' (DGG) als „unzweifelhafte Bestätigung“ eines amerikanischen Massakers interpretiert.<ref name="Zarusky30"/> |
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Die 1992 freigegebenen Untersuchungsakten Whitakers und eine von John H. Linden (dem Sohn von General Henning Linden) aufgebaute Quellensammlung, die Buechner nicht kannte, widerlegen jedoch Buechners Behauptungen.<ref name="Zarusky29"/> Zudem unterscheidet sich Buechners 1986 veröffentlichte Darstellung ganz erheblich von seiner Zeugenaussage vom 5. Mai 1945.<ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 39f</ref> Die Zahl von 560 SS-Leuten entnahm Buechner unkritisch einer Publikation des Journalisten [[Nerin E. Gun]], der zu den im April 1945 befreiten Häftlingen gehörte, dessen Angaben jedoch laut den Historikern Klaus-Dietmar Henke und Jürgen Zarusky als unzuverlässig gelten.<ref>Klaus-Dietmar Henke, ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 921f.</ref><ref>Jürgen Zarusky, ''„That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau.'' In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, ''Gericht und Gerechtigkeit'', Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 42</ref> Auch die Behauptung, General [[George S. Patton]], der seinerzeitige Militärgouverneur von [[Bayern]], habe das Untersuchungsverfahren gegen die an den Exekutionen Beteiligten nach Kenntnisnahme der entsprechenden Berichte persönlich niedergeschlagen und die Unterlagen verbrannt, erwies sich nach den neueren Recherchen von Zarusky als falsch.<ref name="Zarusky54"/> |
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=== Wissenschaftliche Rezeption === |
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Unter den seriösen Historikern beschäftigte sich als erster [[Harold Marcuse|Harold David Marcuse]] in seiner 1992 erschienenen Dissertation „Nazi crimes and identity in West Germany: Collective memories of the Dachau concentration camp, 1945-1990“ mit der Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau. Marcuse stellte hierzu fest: „Diese Tötungen sind ein sehr sensibles Thema – außerhalb Deutschlands wegen des Schattens, den sie auf die Reputation der Befreier werfen, und innerhalb Deutschlands wegen ihrer potentiellen und aktuellen Verwendung zur nachträglichen Rechtfertigung von Nazigreueln und zur Pseudo-Entlastung deutscher Täter durch apologetische Kreise.“<ref name="Zarusky27f"/> |
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In seinem 1995 erschienenen Buch ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'' beschäftigt sich [[Klaus-Dietmar Henke]] ausführlich mit den Vorgängen während der Befreiung des KZ. Ähnlich wie Marcuse ist Henke skeptisch gegenüber den Aussagen Buechners. Mangels weiterer anderer einschlägiger Quellen bleibt seine Darstellung des Ablaufs der Geschehnisse während der Befreiung aber stark von Buechner abhängig.<ref name="Zarusky30"/> Basierend auf der ihm vorliegenden Quellenlage kommt er zu dem Schluss, dass die Exzesse während der Befreiung des Konzentrationslagers wohl das schwerwiegendste, aber nicht das einzige Kriegsverbrechen gewesen seien, das amerikanische Soldaten in Deutschland begangen hätten.<ref>Klaus-Dietmar Henke, ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands'', Oldenbourg Verlag 1996, S. 926.</ref> |
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Jürgen Zarusky vom [[Institut für Zeitgeschichte]] veröffentlichte 1997 seinen Aufsatz ''That is not the American Way of Fighting – Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau'', in dem er die bisherige Literatur zu den Erschießungen untersuchte und neue, vorher nicht verfügbare Quellen auswertete, wie etwa den Untersuchungsbericht von Whitaker. |
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== Literatur == |
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''Wissenschaftliche Literatur'' |
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* [[Harold Marcuse]]: ''Nazi crimes and identity in West~Germany. Collective memories of the Dachau concentration camp, 1945-1990'' (Diss.), University of Michigan, Ann Arbor 1992 |
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* [[Klaus-Dietmar Henke]]: ''Die amerikanische Besetzung Deutschlands''. 2. Auflage, R. Oldenbourg Verlag, München 1996, dort Kapitel 3 ''Die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau'', S. 862–931, ISBN 3-486-56175-8. |
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* [[Jürgen Zarusky]]: ''That is not the American Way of Fighting''. In: [[Comité International de Dachau#Dachauer Hefte|Dachauer Hefte]] 13 – Gericht und Gerechtigkeit, S. 27–55. Dachau: Verlag Dachauer Hefte 1997. |
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''Zeitzeugen-Berichte'' |
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* [[Edgar Kupfer-Koberwitz]]: ''Dachauer Tagebücher: die Aufzeichnungen des Häftlings 24814''. Kindler-Verlag, München 1997, ISBN 3-463-40301-3. |
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* David L. Israel: ''The Day the Thunderbird Cried. Untold Stories of World War II''. emek press, Medford/Oregon 2005 (englisch). |
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* [[Stanislav Zámečník]]: (Hrsg. [[Comité International de Dachau]]): ''Das war Dachau''. Luxemburg 2002. S. 390–396. |
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== Weblinks == |
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* [https://www.youtube.com/watch?v=-PW4ujLpwu0 Videodokumentation einer Befragung von Felix Sparks, USC Shoah Foundation Institute] |
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== Einzelnachweise == |
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<references responsive /> |
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{{SORTIERUNG:Erschiessung von SSMannern bei der Befreiung des KZ Dachau}} |
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[[Kategorie:KZ Dachau]] |
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[[Kategorie:Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg]] |
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[[Kategorie:Schutzstaffel]] |
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[[Kategorie:Militärgeschichte der Vereinigten Staaten (Zweiter Weltkrieg)]] |
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[[Kategorie:Endphase des Zweiten Weltkriegs]] |
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[[Kategorie:Konflikt 1945]] |
Aktuelle Version vom 16. März 2025, 23:27 Uhr
Die Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau ereignete sich, als das Konzentrationslager Dachau am 29. April 1945 von US-Truppen befreit wurde und amerikanische Soldaten dabei mehrere bereits gefangengenommene Angehörige der SS-Wachmannschaft töteten.
Die Erschießungen bei der Befreiung des KZ Dachau wurden und werden in rechtsextremen Kreisen propagandistisch aufgenommen und unter dem Begriff „Dachau-Massaker“ verbreitet. Hierbei wird der Eindruck erweckt, es hätte sich um eine systematische Exekution sämtlicher deutscher Kriegsgefangenen gehandelt. Diese Auffassung stützt sich hauptsächlich auf ein Buch von Howard A. Buechner, in dem die systematische Hinrichtung von 560 Personen des SS-Wachpersonals behauptet wird. Belege dafür werden jedoch nicht genannt. Die Auswertung neu zugänglicher Quellen hingegen zeigen, dass es sich vielmehr um vereinzelte und spontane Taten handelte, hervorgerufen durch das Entsetzen über die grauenhaften Zustände im Lager und den Anblick des Todeszuges aus Buchenwald mit Tausenden von Leichen. Völkerrechtswidrig erschossen wurden vermutlich etwa 50 Angehörige des SS-Wachpersonals. Etwa 160 SS-Männer wurden von den Amerikanern gefangen genommen.
Zustand des KZ Dachau vor dem Ereignis
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Ab Ende 1944 trafen im Konzentrationslager Dachau Transporte mit Häftlingen aus bereits geräumten Lagern ein, so dass die Überfüllung des Lagers dramatische Formen annahm. Aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen und der Versorgung mit Lebensmitteln brach im November 1944 eine Fleckfieber-Epidemie aus, der mehrere tausend Häftlinge zum Opfer fielen.[1] Etwa 15.000 Häftlinge starben allein zwischen Ende 1944 bis zum Tag der Befreiung am 29. April 1945 an Krankheit, Unterernährung und durch die Gewalt der SS. Das war, laut Angelika Königseder, fast die Hälfte der gesamten Todesopfer im KZ Dachau.[2] Bekundet und nachgewiesen sind im Konzentrationslager Dachau insgesamt 41.566 Todesfälle.[3]
Auslöser der Erschießungen von SS-Männern im Zuge der Befreiung des Konzentrationslagers war die Entdeckung des Todeszuges aus Buchenwald.[4] Dieser Zug traf im Konzentrationslager Dachau am Abend des 27. April ein. Der Schweizer Victor Maurer, ein Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der am gleichen Tag das Lager betreten durfte, wurde Zeuge des Vorfalls. Er führte fünf Lastwagen mit Essensrationen mit und übernachtete im Lager.[5] Der Zug von 4.500 Häftlingen unter der Leitung von SS-Obersturmführer Hans Merbach brach am 7. April 1945 vom Bahnhof Buchenwald über Weimar Richtung KZ Flossenbürg auf und wurde dann nach Dachau umgeleitet. Verpflegung war nur für zwei Tage vorhanden. Der Todeszug benötigte schließlich 21 Tage, um nach Dachau zu gelangen. 2.385 Überlebende aus diesem Transport wurden in Dachau registriert. Die Zahl der Toten ist jedoch nicht mehr genau feststellbar.[6] Verschiedene Quellen berichten, dass der Zug in der Nacht zum 28. April 1945 auf einem Stichgleis im Eingangsbereich der SS-Garnison abgestellt und mit zirka 2.300 verwesenden Leichen liegen gelassen wurde.[7][8]
Der letzte reguläre Kommandant des KZs, Obersturmbannführer Eduard Weiter, setzte sich, wie ebenfalls die gesamte SS-Lagerführung, am 26. April ab.[9] Zwei Tage später, am 28. April, übernahmen der einzige verbliebene Offizier, der 23-jährige Untersturmführer Heinrich Wicker (Kommandant des Hessentaler Todesmarsches), und seine Einheit der SS-Totenkopfverbände von zirka 130 Mann die Bewachung des Konzentrationslagers.[10]
Am 29. April wollte sich auch der letzte Teil der SS-Garnison um Heinrich Wicker absetzen, wurde jedoch von Victor Maurer zum Bleiben überredet. Maurer befürchtete den Ausbruch der Gefangenen und die Verbreitung der unter ihnen grassierenden Typhus-Epidemie und organisierte die Übergabe des Lagers an die Amerikaner. Die Wachtürme des Lagers blieben besetzt, eine weiße Fahne wurde gehisst.[4]
Die Befreiung des Konzentrationslagers durch die US-Armee
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Vorfeld der Ereignisse, am 25. April 1945, dem Tag, an dem die alliierten Truppen sich zum Übergang über die Donau bereit machten, gab es einen Vorschlag im Alliierten Oberkommando zur Befreiung des Konzentrationslagers. Frank J. McSherry, der Stellvertretende Chef des Civil Affairs/Military Government Stabes von SHAEF (G5) schlug eine Luftlandeoperation vor. Das Lager sollte umstellt, befreit und bis zur Ankunft der Bodentruppen gehalten werden. Hierdurch sollten drohende Massaker an den Häftlingen vereitelt und zugleich die verantwortlichen Täter festgesetzt werden. Der Vorschlag fand im Alliierten Oberkommando ein geteiltes Echo und wurde letztendlich nicht umgesetzt. Zum einen, weil eingeschätzt wurde, dass eine Luftlandeoperation logistisch zu riskant sei, und zum anderen, weil befürchtet wurde, die Aktion könne einen Massenmord an den Gefangenen eher verursachen, als ihn zu verhindern. Frank J. McSherry hielt an seinem Vorhaben fest, schickte jedoch das Memorandum nicht weiter. Seine Notizen vermerkten: „nicht abgesandt (Dachau zu rasch genommen)“.[11]

Der Vorstoß nach Dachau wurde von der 45th Infantry Division (der das 157. Infanterieregiment unterstellt war) und der 42nd Infantry Division ausgeführt (welche die Hauptlast des Vorstoßes der Seventh United States Army in Richtung München und Salzburg trug). Die Grenze zwischen beiden Divisionen lief quer durch das Konzentrationslager.[12]
Während des Vormarsches auf München, am Morgen des 29. April, erhielt das 3. Bataillon des 157th Infantry Regiment in der 45th Infantry Division den Befehl, das Lager Dachau einzunehmen. Der Bataillonskommandeur Lieutenant Colonel Felix L. Sparks beauftragte die I-Company und übernahm selbst die Einsatzleitung. Kurz vor Mittag erreichten die Amerikaner von Westen her das Areal des riesigen SS-Lagers, in dem das Konzentrationslager selbst nur einen kleinen Teil ausmachte.[13] Auf der Zufahrtsstraße trafen sie auf den Todeszug aus Buchenwald: ungefähr 39 Waggons voll mit Toten.[14]
Während Sparks’ I-Company kämpfend weiter Richtung SS-Gelände vorrückte, traf gegen 15:00 Uhr[4] eine Patrouille des zur 42nd Infantry Division (Rainbow Division) gehörenden 222nd Infantry Regiment, drei Jeeps unter Führung des stellvertretenden Divisionskommandeurs Brigadegeneral Henning Linden, am Haupttor des Konzentrationslagers ein.[15] Linden, dessen Einheit vormittags die Stadt Dachau eingenommen hatte, wurde durch den belgischen Kriegsberichterstatter Paul Levy auf das nahe gelegene Konzentrationslager aufmerksam gemacht. Die Gruppe wurde von dem Fotografen Raphael Algoet und der Kriegsberichterstatterin Marguerite Higgins begleitet und betrat das Lager ebenfalls von Westen her auf Höhe des Todeszuges, wandte sich jedoch direkt in Richtung Haupteingang des Konzentrationslagers. Dort trafen sie auf Victor Maurer, in Begleitung von Heinrich Wicker, welche die Übergabeverhandlungen mit den Amerikanern führen wollten.[16] Vor dem Jourhaus trafen zudem die Mitglieder beider US-Verbände aufeinander.[10] Linden, der die Übergabe des Konzentrationslagers durch Wicker annahm und das Haupttor für die Reporter öffnen lassen wollte, geriet mit Sparks in einen kurzen Kompetenzstreit, den Sparks für sich entschied. Sparks hatte strikten Befehl, das Lager zu sichern und bis zur Ankunft von DP-Teams, medizinischem Personal und Spezialisten der War Crimes Commission niemanden hinein-, aber auch keinen Häftling hinauszulassen. Daran musste sich Linden halten.[15]
Erschießungen von SS-Männern
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die während der Befreiung des Dachauer Konzentrationslagers erfolgten Ereignisse konnten nie vollständig rekonstruiert oder aufgeklärt werden. Fest steht, dass es beim Vorrücken der 45. US-Infanterie-Division Thunderbird auf das Lager zu Schusswechseln mit SS-Einheiten und auch zu Exekutionen von SS-Angehörigen gekommen ist.[10] In der offiziellen Dokumentation des Dachauer Konzentrationslagers werden die Exekutionen wie folgt dargestellt:
„Einige amerikanische Soldaten waren durch den Anblick des Todeszuges so außer sich geraten, daß sie eigenmächtig begannen, gefangengenommene SS-Leute hinzurichten. Als der Bataillonskommandeur, Felix L. Sparks, beobachtete, was vor sich ging, stoppte er die Exekution sofort. Insgesamt wurden etwa 50 SS-Angehörige während der Befreiung getötet.[10]“

Der Historiker Jürgen Zarusky wertete neuere zugängliche Quellen aus, insbesondere Kopien von Ermittlungsunterlagen des Assistant Inspector General der 7th Armee Joseph M. Whitaker, die im Sommer 1992 freigegeben wurden, sowie weitere Unterlagen aus dem Nachlass von General Linden, die erlaubten, ein detaillierteres Bild der Ereignisse zu zeichnen.[17] Demnach handelte es sich bei den Erschießungen um verschiedene, schnell ablaufende Vorgänge, die in einem weitläufigen und unübersichtlichen Gelände stattgefunden haben.[18] Im Zuge der Einnahme des Konzentrationslagers wurden, so Zarusky, nach „einigermaßen gesicherten“ Erkenntnissen von amerikanischen Soldaten völkerrechtswidrig 39 SS-Männer getötet.[18] Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Vorfälle:
- Der erste Vorfall ereignete sich gleich zu Beginn der Einnahme des Konzentrationslagers unmittelbar am Todeszug. Unter dem Schock, den der Anblick des Zuges voller Leichen auslöste, erschoss der Chef der I-Kompanie des 157. Infanterieregiments Leutnant Bill Walsh zusammen mit einem anderen Soldaten 4 SS-Männer, die sich bereits ergeben hatten.[18]
- Ein größerer Vorfall ereignete sich im weiteren Verlauf des Eindringens der I-Kompanie in das SS-Lager am Kohlenhof, wo ebenfalls auf Veranlassung des Kompaniechefs Walsh weitere 16 SS-Männer erschossen wurden.[18] Walshs Einheit stieß beim Eingang des Konzentrationslagers auf das SS-Lazarett, wo sie mindestens 100 Deutsche, darunter auch Frauen, auf die Straße holten. Auf Befehl von Walsh wurden laut Zeugenaussagen zwischen 50 und 75 SS-Männer von den übrigen Gefangenen abgesondert und an die Wand des Kohlenhofs aufgestellt.[19] Dies ist auch die Szene, die als Zeitdokument fotografisch festgehalten wurde und in der wenig später der Bataillonskommandeur Felix L. Sparks hinzustieß und die Exekutionen stoppte.

- Im nahe gelegenen Fernheizwerk wurde ein SS-Mann von Häftlingen in Anwesenheit amerikanischer Soldaten erschlagen.[18]
- Beim zweiten größeren Vorfall wurde während des Vormarsches von SS-Wachpersonal und Häftlingen entlang des Lagerzauns die gesamte Besatzung des Wachturms B in zwei Aktionen kurz nacheinander getötet. Dies betraf 17 SS-Männer, die sich zuvor ergeben hatten.[18]
- Schließlich wurde im Bereich des Jourhauses ein weiterer SS-Mann, der sich ergeben hatte, von einem GI erschossen.[18]
Der Verbleib von Heinrich Wicker ist bis heute ungeklärt. Er wurde zuletzt am Todeszug zusammen mit Victor Maurer abgelichtet, nachdem General Linden ihn dort zur Rede gestellt hatte. Danach fehlt jede Spur von ihm.[20]
Nach Schätzungen der 42. Division wurden in den ersten 24 Stunden nach der Befreiung des Konzentrationslagers zusätzlich mindestens 25, vielleicht auch 50 SS-Männer von Häftlingen getötet.[21] Laut Whitakers Bericht wurden ungefähr 160 SS-Männer gefangen genommen.[18]
Untersuchung der Erschießungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Drei Tage nach den Ereignissen im Konzentrationslager, am 2. Mai 1945, erhielt Generalinspektor Joseph M. Whitaker Anweisungen des Hauptquartiers der 7. Armee, Ermittlungen zu den Vorgängen durchzuführen. Tags darauf begann Whitaker seine akribischen Untersuchungen vor Ort und verfasste dazu mehr als 160 Seiten, darunter ein Wortprotokoll seiner Befragungen mit 960 Fragen an 38 vereidigte Zeugen, einen Abschlussbericht und eine Aktennotiz mit Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.[17]
Am 8. Juni 1945 legte Whitaker seinen auf umfangreichen und gründlichen Ermittlungen beruhenden Bericht vor.[22] Whitaker empfahl die Eröffnung von Kriegsgerichtsverfahren wegen Mordes gegen Kompaniechef Walsh und vier weitere Soldaten sowie ein Verfahren wegen Pflichtverletzung gegen den Militärarzt Howard Buechner, der den vorgefundenen Verwundeten keine medizinische Hilfe geleistet hatte.[22] Allerdings versuchte das Hauptquartier der 7. Armee unter General Alexander Patch die Ergebnisse von Whitakers Bericht in einer Stellungnahme herunterzuspielen, so Zarusky.[23] Nur der erste Vorfall direkt am Todeszug wurde anerkannt. Die Vorgänge am Kohlenhof und am Wachturm B wurden als Verhinderung eines Ausbruchsversuchs der Gefangenen bzw. als Kampfhandlungen interpretiert. Auch wurde Whitaker parteiisches Vorgehen sowie ein fehlendes Verständnis für die Situation der Soldaten vorgeworfen, die während der Befreiung mit verstörenden Schrecken konfrontiert gewesen seien.[23]
Letztendlich gab es nie ein amerikanisches Verfahren wegen der Tötungen während der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.[23] Zwar sei festzuhalten, so der Befund des Historikers Zarusky auf Basis der neueren Quellen, „dass es sich bei den Tötungen durch US-Soldaten um Exzesstaten einzelner oder kleiner Gruppen handelte, die nicht auf höheren Befehl erfolgten“.[22] Die Gefangenenerschießungen „werfen zweifellos einen Schatten auf die US-Army“. Diese Taten, so Zarusky, hätten nichts zur Befreiung des Konzentrationslagers beigetragen, sondern hätten völkerrechtliche Normen und auch amerikanisches Recht verletzt.[23]
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Erschießungen von SS-Männern während der Befreiung des Konzentrationslagers werden in einer Reihe von Häftlingserinnerungen erwähnt, jedoch meistens nur am Rande.[24]
In der rechtsextremen Polemik gegen die KZ-Gedenkstätte Dachau, so der Historiker Zarusky, spielen diese Vorfälle jedoch eine zentrale Rolle, da sich in kaum einem anderen historischen Ereignis „der wahre Charakter des Dritten Reiches und die politisch-moralische Rechtfertigung des alliierten Sieges über das nationalsozialistische Deutschland so sehr verdichtete wie bei der Befreiung des Konzentrationslagers“. In diesen Publikationen versucht man die Verurteilung des Nationalsozialismus zu relativieren, indem der Eindruck erweckt wird, Kriegsverbrechen seien eine normale und gleichmäßig verteilte Erscheinung des Zweiten Weltkriegs gewesen, oder versucht wird, den Spieß umzudrehen, indem man amerikanische Soldaten zu „US-Killern“ und „Kreuzzüglern“ erklärt, die ein Massaker an mehreren hundert wehrlosen SS-Männern begangen hätten.[24]
Rechtsextreme Legendenbildung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der erste Autor revisionistischer Literatur, der die Erschießungen von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau aus propagandistischen Motiven heraus behandelte, war der frühere SS-Untersturmführer Erich Kern (eigentlich Erich Kernmayr).[24] Er veröffentlichte 1964 ein revisionistisches Werk unter dem Titel Verbrechen am deutschen Volk. Eine Dokumentation alliierter Grausamkeiten und 1971 das Buch Meineid gegen Deutschland. Eine Dokumentation über politischen Betrug. In diesen Publikationen zitierte Kern – im rechtsradikalen Kontext einer verharmlosenden und die Häftlinge diskreditierenden Darstellung des Konzentrationslagers – die Aussage des Oberscharführers Hans Linberger, der zum Zeitpunkt der Lagerbefreiung als schwerversehrter Ersatzmann im KZ Dienst tat. Linberger gehörte zu den Personen, die im Kohlenhof zur Exekution aufgestellt wurden, kam aber unverletzt davon. Laut seiner Aussage blieben nach der Exekution zwölf Mann tot zurück. Der Bericht Linbergers gilt als glaubhaft. Seine Schilderungen widerlegen die häufig von rechten Autoren aufgestellte Behauptung, dass sämtliche SS-Leute im Lager von den Amerikanern erschossen worden seien. So behauptete etwa 1981 Alfred Schickel in einer seiner Publikationen[24] auf der Grundlage der Interpretation eines Fotos, dass die Amerikaner ungefähr 300 SS-Männer erschossen hätten.[25]
Die Legende einer systematischen Ermordung sämtlicher im Lager angetroffenen SS-Männer, des sogenannten „Dachau-Massakers“, stützte sich hauptsächlich auf eine Veröffentlichung von Howard Buechner, der bei der Befreiung des KZ Dachau als Divisionsarzt der 45. US-Infanteriedivision vor Ort war und in seinem 1986 erschienenen Buch Dachau: The Hour of the Avenger behauptete, bei der Lagerbefreiung seien 560 Kriegsgefangene exekutiert worden. Nach seiner Darstellung wurden von dem 1977 verstorbenen 1st Lt. Jack Bushyhead 346 Mann im Kohlenhof erschossen. Weiterhin habe ein Gefreiter namens Birdeye 12 Personen erschossen. Hinzu rechnete er 122 an Ort und Stelle erschossene Gefangene, 40 von Häftlingen getötete Wachen, 30 im Gefecht gefallene SS-Männer und 10 zunächst entkommene und später gefasste Personen. Da Buechner sowohl Augenzeuge als auch Angehöriger der US-Streitkräfte war, wurde sein Buch in der rechten Szene als unzweifelhafter Beleg für die Massenexekutionen gewertet und bildet die wesentliche Basis für die Massenmord-Legende. Buechners Buch wurde schon kurz nach Erscheinen in der deutschen rechtsextremen Szene rezipiert und von Ingrid Weckert in der geschichtsrevisionistischen Zeitschrift Deutschland in Geschichte und Gegenwart (DGG) als „unzweifelhafte Bestätigung“ eines amerikanischen Massakers interpretiert.[17]
Die 1992 freigegebenen Untersuchungsakten Whitakers und eine von John H. Linden (dem Sohn von General Henning Linden) aufgebaute Quellensammlung, die Buechner nicht kannte, widerlegen jedoch Buechners Behauptungen.[25] Zudem unterscheidet sich Buechners 1986 veröffentlichte Darstellung ganz erheblich von seiner Zeugenaussage vom 5. Mai 1945.[26] Die Zahl von 560 SS-Leuten entnahm Buechner unkritisch einer Publikation des Journalisten Nerin E. Gun, der zu den im April 1945 befreiten Häftlingen gehörte, dessen Angaben jedoch laut den Historikern Klaus-Dietmar Henke und Jürgen Zarusky als unzuverlässig gelten.[27][28] Auch die Behauptung, General George S. Patton, der seinerzeitige Militärgouverneur von Bayern, habe das Untersuchungsverfahren gegen die an den Exekutionen Beteiligten nach Kenntnisnahme der entsprechenden Berichte persönlich niedergeschlagen und die Unterlagen verbrannt, erwies sich nach den neueren Recherchen von Zarusky als falsch.[23]
Wissenschaftliche Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter den seriösen Historikern beschäftigte sich als erster Harold David Marcuse in seiner 1992 erschienenen Dissertation „Nazi crimes and identity in West Germany: Collective memories of the Dachau concentration camp, 1945-1990“ mit der Erschießung von SS-Männern bei der Befreiung des KZ Dachau. Marcuse stellte hierzu fest: „Diese Tötungen sind ein sehr sensibles Thema – außerhalb Deutschlands wegen des Schattens, den sie auf die Reputation der Befreier werfen, und innerhalb Deutschlands wegen ihrer potentiellen und aktuellen Verwendung zur nachträglichen Rechtfertigung von Nazigreueln und zur Pseudo-Entlastung deutscher Täter durch apologetische Kreise.“[24]
In seinem 1995 erschienenen Buch Die amerikanische Besetzung Deutschlands beschäftigt sich Klaus-Dietmar Henke ausführlich mit den Vorgängen während der Befreiung des KZ. Ähnlich wie Marcuse ist Henke skeptisch gegenüber den Aussagen Buechners. Mangels weiterer anderer einschlägiger Quellen bleibt seine Darstellung des Ablaufs der Geschehnisse während der Befreiung aber stark von Buechner abhängig.[17] Basierend auf der ihm vorliegenden Quellenlage kommt er zu dem Schluss, dass die Exzesse während der Befreiung des Konzentrationslagers wohl das schwerwiegendste, aber nicht das einzige Kriegsverbrechen gewesen seien, das amerikanische Soldaten in Deutschland begangen hätten.[29]
Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte veröffentlichte 1997 seinen Aufsatz That is not the American Way of Fighting – Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau, in dem er die bisherige Literatur zu den Erschießungen untersuchte und neue, vorher nicht verfügbare Quellen auswertete, wie etwa den Untersuchungsbericht von Whitaker.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wissenschaftliche Literatur
- Harold Marcuse: Nazi crimes and identity in West~Germany. Collective memories of the Dachau concentration camp, 1945-1990 (Diss.), University of Michigan, Ann Arbor 1992
- Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands. 2. Auflage, R. Oldenbourg Verlag, München 1996, dort Kapitel 3 Die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, S. 862–931, ISBN 3-486-56175-8.
- Jürgen Zarusky: That is not the American Way of Fighting. In: Dachauer Hefte 13 – Gericht und Gerechtigkeit, S. 27–55. Dachau: Verlag Dachauer Hefte 1997.
Zeitzeugen-Berichte
- Edgar Kupfer-Koberwitz: Dachauer Tagebücher: die Aufzeichnungen des Häftlings 24814. Kindler-Verlag, München 1997, ISBN 3-463-40301-3.
- David L. Israel: The Day the Thunderbird Cried. Untold Stories of World War II. emek press, Medford/Oregon 2005 (englisch).
- Stanislav Zámečník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg 2002. S. 390–396.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944, Edition Lipp 2005, S. 197
- ↑ Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Metropol-Verlag 2008, S. 106
- ↑ Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944, Edition Lipp 2005, S. 206
- ↑ a b c Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944, Edition Lipp 2005, S. 203
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 32
- ↑ [Anon.]. "Einleitung: ". Band 16 Das KZ Auschwitz 1942–1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, edited by , Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2018, S. 86
- ↑ Norbert Frei, Sybille Steinbacher: Beschweigen und Bekennen: die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Band 1 von Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Wallstein 2001, S. 12.
- ↑ Wolfgang Benz, Angelika Königseder, Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Metropol 2008, S. 106.
- ↑ Wolfgang Benz, Barbara Distel, Angelika Königseder, Der Ort des Terrors: Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 2, Beck 2005, S. 486.
- ↑ a b c d Comité Internationale de Dachau, Barbara Distel, Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1944, Edition Lipp 2005, S. 202f
- ↑ Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 864–866.
- ↑ Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 916.
- ↑ Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 917.
- ↑ Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Metropol-Verlag 2008, S. 110
- ↑ a b Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 918.
- ↑ Angelika Königseder, Wolfgang Benz (Hrsg.), Das Konzentrationslager Dachau: Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Metropol-Verlag 2008, S. 117
- ↑ a b c d Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 30
- ↑ a b c d e f g h Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 52f
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 37
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 50
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 51
- ↑ a b c Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 53
- ↑ a b c d e Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 54
- ↑ a b c d e Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 27f
- ↑ a b Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 29
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 39f
- ↑ Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 921f.
- ↑ Jürgen Zarusky, „That is not the American Way of Fighting“. Die Erschießungen gefangener SS-Leute bei der Befreiung des KZ Dachau. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel, Gericht und Gerechtigkeit, Dachauer Hefte, Ausgabe 13 1997, S. 42
- ↑ Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, Oldenbourg Verlag 1996, S. 926.